An der neuen Demonstrationskultur findet Marlene Streeruwitz,
als Beteiligte, vor allem die Reflexion von Qualitäten bemerkenswert:
"Zuerst einmal muß im post histoire jeder und jede seinen/ihren
Ausdruck für das eigene Leben finden. Jeder und jede ist gezwungen,
eine eigene Sprache zu entwickeln. Jeder und jede muß dabei
vorgehen wie ein Künstler oder eine Künstlerin. Oder er/sie
delegiert das an vor-moderne Regelsysteme: Kirchen. Sekten.
Politische Ideologien. Die Donnerstag-Wandertage sind ein
Statement. Gegen Rassismus. Mitgehen bedeutet, dieses Statement
zu machen. Und als Ausdruck der Menschen, die das tun, ist
dieses Mitgehen Kunst. Das weist zunächst einmal nicht über
sich hinaus, gerade darin aber liegt das Politische." Es bilden
sich keine Massen. "Die Chancen, daß daraus Alltagshandlungen
im Geist dieses Statements resultieren, sind daher sehr hoch.
Und genau darum geht es doch: daß Politisches im Alltag wirksam
wird." (Der Standard, Wien, 20.3.00).
An dieser Argumentation interessieren mich im hier gegebenen
Zusammenhang die Hinweise auf Subtiles: Vorgehen wie ein Künstler
oder eine Künstlerin. Ausdruck für das eigene Leben. Präsenz
von eigenen Sprachen, von Poetik. Das Wissen darum, daß es
sich um nichts Bleibendes handeln kann. Individualisierte
Anonymität. Erprobung von Autonomie und von Vernetzung. Die
Bereitschaft, etwas zu organisieren. Unvorhersehbare Alltagswirkungen.
Unversöhnliche Freundlichkeit. Bildung neuer Formen und Codes.
Entstehen eines Raums für Fragen. Das Zeichen bleibt Zeichen.
Dennoch trägt es zum Entstehen von Bedeutung bei. Reale Erfahrungen
transformieren sich zu Bildern. Die Resonanz darauf ist vielfach
Zynismus. Erst aus der Ferne, mit zunehmender Distanz, wird
die sich manifestierende Unmittelbarkeit wieder positiv gesehen.
The Egyptian Gazette zum Beispiel, hat die e-mail Adressen
von gettoattack und undergroundresistance veröffentlicht und
die kommunikationstechnischen Phantasien der "Austrian Protesters",
die Vernetzung über Internet und Mobiltelefone, respektvoll
kommentiert (Kairo, 20.2.00).
Selbstverständlichkeiten dieser Art sind Fragen an sich abzeichnende
Varianten von Selbstverständnis. Auf künstlerisch-wissenschaftliches
Arbeiten bezogen, erinnern sie an die Wertschätzung von Eigensinn,
von Spontaneität, von Haltung und Durchhaltevermögen. Anonymität
bekommt plötzlich einen Wert. Parallelen ergeben sich auch,
weil institutionell geschützte Räume verlassen werden, weil
mit der Kritik an Regeln versucht wird, andere durchzusetzen.
Der öffentliche Raum wird neu definiert, als Schauplatz für
Feldforschungen. Die Anfänge sind entscheidend, dann laufen
Prozesse ab. Welche Nützlichkeit sich einstellen wird, ist
höchst unsicher. Werke, die als Produkte gelten können, sind
noch keine in Sicht. Was aufgrund welcher Theorieansätze geschieht,
läßt sich erst mit Verzögerung Modellen zuordnen. Inwieweit
die Methoden und Aktionsformen, die Herstellung von Situationen,
das Zusammenspiel von Teilnahme, Beobachtung und Medienwirkung,
schließlich bedeutungsbildend und realitätsstiftend werden,
bleibt von Transfers in andere Sektoren abhängig.
Für ein schöpferisches Tun, als Verwandeln von Material und
Informationen, sind solche Muster bloß Muster unter vielen.
Alleingänge behaupten weiterhin ihre Aura. Erwartungshaltungen
und eine vorprogrammierte Rollenverteilung zwingen zur Anpassung.
Sich zu behaupten ist von der Behauptung, dieses oder jenes
zu sein, abhängig. Die biblische Devise, "nur die Werke zählen",
drängt die Person in den Hintergrund; mit dem Kult um einige
wenige muß das latente Manko an Chancen und an Individualisierung
ausgeglichen werden. Wie weit sich jeweils das Netz ausdehnt,
in dem sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an gewissen
Vorgängen bewegen, kann in der Regel nicht bewußt werden.
Zumindest die Ränder verfließen im Diffusen. Wenn sich die
Sicht komplex denkender Definitionsmächte Gehör verschaffen
kann, erhellen sich manchmal solche Zusammenhänge. Auf institutionelle
Einbindungen in diverse "Betriebssysteme" bleiben alle Mitwirkenden
an einer Bedeutungsproduktion angwiesen. Welche Unterschiede
dabei bestehen, in den Künsten, den Wissenschaften oder anderswo,
ist von den jeweils ausgebildeten Strukturen abhängig.
Wird ein forschendes Arbeiten als Denkmodell aus der Masse
sich bietender Arbeitsmöglichkeiten herausgegriffen, dann
fällt auf, wie unterschiedlich sich die - "zwangsläufig" maskulinen
- Heroisierungslinien entwickeln. Einzelleistungen großer
Erfinder zum Beispiel sind in Systemzusammenhängen verschwunden.
Deshalb ist die Erinnerung an die Brüder Wright, an Edison
stärker geblieben als an deren US-Nachfolger Bell, Tesla oder
Sperry. Der Starkult um Einstein wird von jenem um Stephen
Hawking nicht mehr erreicht. Auch die Begeisterung um Charles
Lindbergh war noch eine Reminiszenz an die einsame Tat. Einflußreiche
Systemdesigner, wie Frederick Taylor und Henry Ford scheinen
im Erfolg von Bill Gates eine Nachfolge gefunden zu haben.
Die durch Mitwirkung an der Atomforschung und der Atombombe
ausgelösten Irritationen der scientific community sind verblaßt,
gerade weil die entscheidenden Forschungen weitgehend geheim,
in Konzernen und im Rüstungsbereich stattfinden. Der weltweit
größte Arbeitgeber für Mathematiker ist die National Security
Agency (NSA). Als Kompensation für diese Anonymität bilden
sich in den diversen Fachwelten Ranking-Kulturen heraus; die
besten, also höchstbezahlten Manager und Sanierer, die besten,
also höchstbezahlten Ärzte, Anwälte, Berater, Popstars, Models,
Sportler. Für die Kulturindustrie ist Hollywood das Spiegelbild
davon. Es zählen: die teuersten Filme, die höchsten Gagen,
die schnellsten Einspielergebnisse. Die dazu nötigen Vermittlungsapparate
agieren im Hintergrund; ihre Theorien sind simpel. Aber auch
abgekoppelt davon geht es überall um Bestenlisten, unter Architekten,
Regisseuren, bei Büchern, bei Kuratoren, Kameraleuten, Trickspezialisten,
in der Mode. In einem abgesteckten Gebiet möglichst gut zu
sein, scheint das sich weiter zuspitzende kulturelle Grundmuster
zu sein. Wird die Zuordnung unübersichtlich, gibt es auch
mit der Wertschätzung Schwierigkeiten. Gustave Eiffel hat
in der Architekturgeschichte einen eher marginalen Platz,
weil er als Ingenieur und Unternehmer gilt. Norman Foster
hingegen hat sich von solchen Abqualifizierungen fernhalten
können. Bei Renzo Piano wiederum finden sich, als seltene
Ausnahme, durchwegs alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
seiner Projekte verzeichnet. Das macht die Komplexheit jeder
derartigen Leistung sichtbar. Zu einem realistischen Bild
würde noch die Vernetzung mit Bauherren, Lieferfirmen, Banken,
Medien, mit der Politik, mit Universitäten und Institutionen
gehören. Erst die dabei stattfindenden Kräfteverlagerungen
und Konflikte geben den Blick auf Tendenzen frei, die hinter
der medialen Individualisierung das Geschehen prägen.
Die Mechanismen und Bedingungen, unter denen Architektur
entsteht, machen das besonders deutlich. "Wenn sich die Architektur
so weiter entwickelt", sagt Wolf D. Prix dazu, "dann wird
der Architekt in wenigen Jahren verschwunden sein. Anstatt
selbst Entscheidungen zu treffen, wird er die Entscheidungen
anderer ausführen. Anstatt seine Vorstellungen im direkten
Kontakt mit dem Bauherrn umzusetzen, droht er in die dritte
Reihe hinter Facility Manager und Generalunternehmer relegiert
zu werden. Entsprechend wird erst gefragt werden, wenn alle
wichtigen Rahmendaten schon festgelegt sind. Seine Aufgabe
wird nicht mehr in der Gestaltung von Gebäudeformen und Raumsequenzen
liegen, sondern in der atmosphärischen Ausgestaltung einer
Architektur, die schon tot ist, bevor sie aus ihren Schubladen
gezogen wird. Mit einem Wort: Die Zukunft gehört dem Architekten
als Stimmungsdesigner." Dies wird eintreten, wenn es keine
Gegenoffensiven gibt. Um sie zu entwickeln, ist architektonische
Grundlagenforschung notwendig, die eine weiter zu präzisierende
Verantwortlichkeit "für dreidimensionale Kultur" im Blick
hat. (architektur aktuell, Wien, 237/238/2000)
Im Fernsehen, im Film gibt es analoge Eigengesetzlichkeiten.
Trotzdem gelingt punktuell, an der Peripherie solcher Strukturen,
immer wieder Erfreuliches. Sich am Rand zu bewegen, verbindet
sich mit der Frage "am Rand von was?". Zentrumsnähe kann sich
gegenüber ganz anderen als den vordergründig gemeinten Zentren
ergeben. Inwieweit die Akzeptanz von Literatur vom "Literarischen
Quartett" abhängig ist, läßt sich statistisch messen. Fundierte
Berichte im Feuilleton haben oft keinerlei Auswirkungen auf
den Absatz. Werturteile bilden sich über spezialisierte Fachmedien.
Wertschätzung und Markterfolg sind weiterhin keine deckungsgleichen
Ebenen. Das Chaos bei der Marktbeeinflussung hat auch befreiende
Aspekte.
Für eine Thematisierung von Kuratoren- und Vermittler-Funktionen
können solche Blicke in andere Felder Impulse liefern (obwohl
der Begriff "Feld" angesichts der stattfindenden mentalen
Agrarisierung Österreichs derzeit eher belastet ist). Im Konzept
der Ausstellung "dis-positiv" wird dieses "Zusammenwachsen
der Fächer" in bezug auf bildende Kunst betont sowie die zwangsläufig
theoretisierende Entwicklung, nach der "Kunst zunehmend in
Diskurs übergeht". Ein arbeitsteiliges Zusammenwirken werde
von einer "kongenialen" Umfassung durch die Vermittlung abgelöst;
"der Künstler ist zu einem Theoretiker geworden". Dagegen
kann nur auftreten, wer in einer emotionellen Unmittelbarkeit
im Umgang mit Kunst verhaftet bleibt und sich von Nachdenken
wenig erwartet. Ergriffenheit braucht deswegen nicht diskriminiert
zu werden. Ein Verstehen findet nur Ansatzpunkte, wenn zugleich
ein Nicht-Verstehen die Sache offen läßt. Für Erkenntnisebenen
die richtigen Worte zu finden, hängt von der Qualität der
Argumente und von poetischen Dimensionen ab. Konflikte zwischen
Produzenten der Sachverhalte und diskussionswürdiger Denkmodelle
könnten durchaus produktiv sein. Der bemerkenswerte Kommentar
wird zum Teil des Kommentierten. Völlig neu sind solche Konstellationen
jedenfalls nicht. Sie unter akuten Umständen auszuloten müßte
sich dennoch lohnen. Wenn eine Differenzierung von Theorien
die Sache weiterbringt, dann entsteht etwas anderes als bloße
Begleiterscheinungen. Einem Inbesitznehmen entziehen sich
künstlerische Statements ohnehin immer wieder. Im Blickfeld
sollten aber auch die anderen, qualitätssichernden Teilnehmer
und deren sich transformierenden Möglichkeiten bleiben, die
Galerien, die Druckereien, die Verlage, die Kunstberichterstattung,
die Kulturpolitik, die Auftraggeber, die Finanziers, die Sammler,
die Museen, die Veranstalter, die interessierten und desinteressierten
gesellschaftlichen Gruppen. Ein Herausstellen Weniger verbirgt
deren Abhängigkeit von der Positionierung in solchen Szenerien.
Zugleich lähmt eine fortwährende Beschäftigung mit den Umständen
die eigene Produktivität.
Nach einem persönlichen Kommentar um Perspektiven gefragt,
einige persönliche Antworten: Als Ansätze für konzentriertes
eigenes Arbeiten sind mir forschende Aspekte wichtig. Diese
weit zu fassen, ergibt Berührungspunkte mit Kunst. Subjektiv
ist eine Abwehrhaltung gegen wissenschaftliche, künstlerische,
fachliche, akademische Einordnungen des eigenen Tuns ein latentes
Moment geblieben. Diese Unbestimmtheit macht immer wieder
Schwierigkeiten, die Freude über gelungene Abweichungen kompensiert
das manchmal. Aus früheren beruflichen Umständen hat sich
ein Hang zu Genauigkeit erhalten. Das äußert sich im Anspruch,
bestimmte Sachverhalte möglichst präzise zu analysieren und
daraus Konzepte abzuleiten. Weil das Geschehen sich solchen
Vorstellungen meistens nicht fügen will, kommt es zu einem
Umschlagen von Nervosität in Gelassenheit (oder umgekehrt).
Es motiviert auch dazu, Dinge anzugehen, die einem neu sind.
Traditionelle Arbeitssysteme diskreditieren solche Zugänge,
lagern sie aus. Spezialwissen in der einen oder anderen Sparte
ist zweckmäßig, vor allem zum Verständnis von Grenzen. Sie
ohne einen solchen Hintergrund zu überschreiten, reduziert
die Kommunikationsmöglichkeiten. Ein gewisse Sicherheit bei
den anzuwendenden Methoden schützt vor ausuferndem Dilettantismus.
Sich von vornherein ein Ausbalancieren dieses Dilemmas zuzutrauen,
ist das Kennzeichen professioneller Amateure. Bei mir ist
das Arbeiten ohne Auftrag, ohne konkreten Anlaß erst langsam
zu einer intensiver verfolgten Möglichkeit geworden. Reflexe,
sich unmittelbar nützlich zu machen, sind lange stärker gewesen.
Eine solche Verstrickung in Nützlichkeitsdenken hat zu gewissen
Erfahrungsgrundlagen beigetragen. Die Gewöhnung an anonymes
Arbeiten hat mitgeholfen, nicht ständig von Herzeigbarem abhängig
zu werden. Ein Wechsel der Positionen, der Berufsbezeichnungen,
der Orte ist auch Schutz vor einer Abstempelung. Sich Gehör
zu verschaffen wird dadurch schwieriger. Dafür lassen sich
zusätzliche Beobachtungsebenen erschließen. Texte über Kunst
sind entstanden, weil Künstler oder Künstlerinnen sie verlangt
haben. Basis dafür ist ein Schauen, Zuhören, Lesen, Sprechen.
Von einer fragenden Position aus relativiert sich der Zwang
zu ständigen Statements. Sich jeweils nicht zulange eine allzu
(fremd-)bestimmte Lebensweise aufzwingen zu lassen, kann Blickrichtungen
ändern. Ob einen das Springen von Projekt zu Projekt auf die
Dauer retten kann, bleibt sowieso offen. Von selbst entstehende
Kontinuitäten können Rückhalt bieten. Verallgemeinern läßt
sich davon kaum etwas, außer daß tendenziell freischaffende,
laufend neu definierte Arbeit und daraus resultierende Perspektivenwechsel
für immer mehr Menschen zur Normalität werden.
Für künstlerisch-wissenschaftliches Arbeiten ist längst schon
die Bewegung von Projekt zu Projekt ein Grundmuster. Der jeweilige
Rahmen dafür ist professionell vorgezeichnet. Dennoch sind
die konkreten Formen noch keineswegs ausgeschöpft. Ritualisierte
Finanzierungssysteme der Institutionen erfordern abgekoppelte
Strategien. Als Durchdringung der institutionalisierten Welt
sind "Forschungsprojekte", in einem sehr weit gefaßten, Kunst
mit einschließenden Sinn, deren dynamischen Elemente. Die
Thematik von Eigensinn und Anpassung, von Aufwand und Wirkung,
von Intention und Qualität, von Profit und Non-Profit, von
Theorie und Praxis hat damit Chancen, sich aus der Zufälligkeit
von Vereinnahmungs- und Ignoranzmechanismen zu lösen. In einem
solchen Kontext bekommt die eingangs zitierte Devise: "Vorgehen
wie ein Künstler oder eine Künstlerin" vielleicht zusätzliche
Dimensionen. Auch gegenüber Festlegungen zur Frage Kunst -
Nicht-Kunst, könnte, losgelöst von Spartenritualen, eine solche
Vorsicht die Aufmerksamkeit stimulieren.
|
|