Alle merken es: Wahrgenommen werden in erster Linie Bilder,
durcheinander fließende Bildströme; das fördert
Sprachlosigkeit aber auch die Erweiterung und Verwirrung von
Sprache, von Denkmöglichkeiten. Das Archaische daran
verweist auf universelle, Zeiten und Räume verbindende
Momente, im Sinn von: Zuerst war das Bild, dann das Wort.
In der gegenwärtig erlebbaren medialen Intensität
verschärft sich diese Situation fortwährend. Gefühle
von Ordnung, von Begrenztheit, von Zuständigkeit und
Übersicht verschwinden. Was passiert, passiert eben;
mit bloß sehr vagen Perspektiven. Daran sollen sich
gefälligst alle gewöhnen, ist die überall kursierende
Botschaft. Stabilisierende Erinnerungszeichen und Anhaltspunkte
scheinen immer rascher zu verblassen. Wirklich möglich
wird nur, was bestimmte Konstellationen erlauben. Wenn Veränderungsimpulse
tatsächlich greifen, ist das gleichsam Glücksache.
Die verbleibende Chance: Punktuelle Interventionen. Ohne Bilder
wären sie nicht kommunizierbar.
Dem Eindruck, es könne dafür keine Modelle mehr
geben, vor allem keine kühnen, weitreichenden, experimentellen,
wird im vorliegenden Buch - konzentriert auf entgrenzte Dimensionen
von Architektur - entschieden widersprochen, als Gegenposition
zur in vielen Sphären vorherrschenden Auffassung, solche
Ansätze hätten sich erledigt, da praktisch alle
bewegenden - planerischen, gesellschaftspolitischen, technischen,
urbanistischen - Entwürfe zu völlig anderen Resultaten
als den beabsichtigten geführt hätten. Groß
jedenfalls dürfen Visionen nicht mehr sein, weder die
zugrundeliegenden Konzepte noch die Erzählungen davon.
Dabei haben die Problemlagen sich keineswegs entscheidend
verändert. Vieles wird sogar laufend prekärer. An
den in diesem Band versammelten Projekten aus über zwei
Jahrzehnten und den Fotos von ihnen lässt sich, sozusagen
gegenläufig, einiges davon ablesen, als Stellungnahmen
zur Zeit, als Manifestation von Möglichem.
Mit Modellen experimentieren
Völlig unzutreffend wäre es, die Modelle und Bauten
von COOPHIMMELB[L]AU einer rückwärtsgewandten Sehnsucht
nach Radikalität zuzuordnen. Sie sind etwas anderes.
Sie sind insistierend visualisierte Fragen, wie sich die Denkfigur
"Modell" weiterentwickeln ließe. Das wird
in den Entwurfsvorgängen selbst erprobt. Gebaut wird
sofort - nämlich am Modell. Es ist immer zugleich Denkmodell,
als Fülle von Überlegungen, Bildern, Schichten,
Assoziationen. Sich darum zu kümmern, was erlaubt ist,
kommt dabei niemandem in den Sinn. Ein unmittelbares Vordringen
in den Raum wird für notwendig gehalten. Skizzen erhöhen
die Geschwindigkeit. Der vorerst kleine Maßstab ermöglicht
Laborsituationen, Experimente. Mit provisorischem Material
werden Anforderungen an schließlich verwendete Materialien
vorausgedacht. Was unter sachlich und nüchtern verstanden
werden könnte, wird jeweils neu interpretiert, als Kontrapunkt
zu diversen pathetischen Attitüden. Masse bekommt Zerbrechlichkeit
zugeordnet. Stabilität ergibt sich trotzdem. Der Wunsch
zu fliegen bleibt präsent. Der Himmel, das Licht ist
allgegenwärtig. Pathos als Leidenschaft, als Gefühlsausdruck
wird zu fein strukturierten Emotionsgebilden transformiert,
ohne dass mit dem Pathos verwandte Muster für Antipathie
und Sympathie nivelliert würden. Eine Verliebtheit ins
Chaos macht sich nicht bemerkbar, eher ein nervöses Eingehen
auf Veränderungen.
Jedes Modell von COOPHIMMELB[L]AU lässt Raum für
unzählige Modelle, als Schichten, als Potenzial, als
gebaute Offenheit. Die konzipierten architektonischen Situationen
als solche ermöglichen Einblicke, Durchblicke, Ausblicke.
Energie, in ihren uferlosen, auch sehr persönlichen Dimensionen,
ist ein wichtiges Thema. Räume verdrehen sich so, als
ob die Schwerkraft aufgehoben wäre, auch die Schwerkraft
des Denkens.
Mit konventionellen Modellen hat das nur noch wenig zu tun.
Denn sie - in wissenschaftlichem Sinn - als schematische,
vereinfachende, idealisierende Darstellungen zu verstehen,
in denen Beziehungen und Funktionen der Elemente deutlich
werden, würde verhindern, Felder jenseits pragmatischer
Planbarkeit zu erobern. Daher fordert Wolf D. Prix auch vehement
von jenen, die Architektur ernst nehmen, sich "stärker
als je zuvor als Verantwortliche für dreidimensionale
Kultur zu verstehen und dem bleiernen Dogma der Wirtschaftlichkeit'
die vitale Funktion des Ästhetischen entgegenzuhalten".
Denn "wenn sich die Architektur so weiter entwickelt
wie bisher, dann wird der Architekt in wenigen Jahrzehnten
verschwunden sein. Anstatt selbst Entscheidungen zu treffen,
wird er die Entscheidungen anderer ausführen. Anstatt
seine Vorstellungen im direkten Kontakt mit dem Bauherren
umzusetzen, droht er in die dritte Reihe hinter Facility Manager
und Generalunternehmer relegiert zu werden. Entsprechend wird
erst gefragt werden, wenn alle wichtigen Rahmendaten schon
festgelegt sind. Seine Aufgabe wird nicht mehr in der Gestaltung
von Gebäudeformen und Raumsequenzen liegen, sondern in
der atmosphärischen Ausgestaltung einer Architektur,
die schon tot ist, bevor sie aus ihren Schubladen gezogen
wird. Mit einem Wort: Die Zukunft gehört dem Architekten
als Stimmungsdesigner."
Die Zuständigkeit für "dreidimensionale Kultur"
wird also entschieden beansprucht, trotz aller Erfahrungen
mit den Realitäten im Baugeschehen. Der Kampf, auch der
innere, auf der Höhe der Zeit, im Brennpunkt brisanter
Fragen, zu Modellen zu gelangen, die sich in neue Modelle
verwandeln, also nichts Lineares mehr unterstellen, hat Strukturen
im Blick, die beweglich bleiben, als Zusammenwirken sich ändernder
Raumvorstellungen und Verhaltensweisen. Architektur mit Inhalten
zu überfrachten, kann lähmen. Kompetenz lebt von
Arbeitsteilung; wo sie nicht funktioniert, muss sie eingefordert
werden. Um soziale und technische Innovationen wirklich voranzutreiben,
wären Architekturoffensiven notwendig, noch dazu wo der
Bedarf an städtischen Situationen weltweit explosiv zunimmt.
Es ginge um mehr, als im Fluss des Geschehens ausstrahlende
Anhaltspunkte zu positionieren. Durchsetzen lässt sich
selbst das, so die spürbar notwendige Strategie, nur
als sichtbare und hörbare Stimme in medial erzeugten
Kraftfeldern. Dazu braucht es Modelle und Bilder.
Visualisierung von Denkprozessen
Die Bilder dieser Modelle - und vieler fertiggestellter Bauten
- stellt seit Jahren Gerald Zugmann her. Er reduziert die
drei Dimensionen entworfener Gebäude auf zweidimensionale
Flächen, die durch einen Rand begrenzt sind. So lapidar
sieht er das. Die Schwierigkeit liege darin, Volumina und
Strukturen abzubilden. Es geht ihm dabei um das Fassen von
Formen, von Lichtsituationen, von Überschneidungen. Für
ihn ist das Handwerk. Das fotografierte Objekt wird dadurch
zu etwas anderem. Realismus interessiert ihn nicht. Ein Foto
kann und soll nicht so tun, als würde es das Objekt -
oder eine Realität - wirklich darstellen, sagt er dazu.
Seine Arbeit ist nichts Zusätzliches, Ergänzendes,
sondern Teil der in Gang gesetzten Denkprozesse. Auch für
die Architekten eröffnen sich damit ständig weitere
Zugangsweisen. Indem ihm völlige Freiheit gelassen wird,
kann diese Aufgabenteilung beidseitig fruchtbar werden. Es
geht zwar in der Regel um Aufträge, deren klarer Rahmen
stecke aber zugleich die Bedingungen für Präzision
deutlich ab. Das Objekt selbst und die in ihm manifestierte
Ideenwelt sind das Wichtige.
Auf die Dynamik der Entwurfsprozesse reagiert er mit Betonung
von Statik, von Stille. Er erzeugt Stillleben. Dass es um
sorgsam vorbereitete Momente geht, soll sichtbar werden. Damit
wird er zum teilnehmenden Beobachter in Forschungsvorgängen,
dessen wortlose Statements Gewicht haben. Die Modelle selbst
und die Fotos davon repräsentieren komplementäre
Ebenen in diesen Verfahren, die weiterlaufen, solange sie
zur Präzisierung von Sensibilität und Urteilskraft
herausfordern. Das Explosive, Hitzige, nur scheinbar Stillhaltende
der Modelle wird mit betonter Kühle betrachtet. Gleichgültig
wird der Blick dadurch keineswegs. Von ihm ausgeübte
Kontrollfunktionen brauchen sich nicht mit Unbestechlichkeit
zu brüsten; die Genauigkeit der Ergebnisse spricht gleichsam
eine wissenschaftliche Sprache, dennoch ist klar, dass es
nicht um Objektivität gehen kann.
Die Umgebung wird meistens ausgeblendet oder abgedunkelt.
Der Eindruck des Düsteren ergebe sich aus der Absicht,
Ausschnitte zu betonen, Spannungen zu erzeugen, etwas aus
dem Dunkel hervortreten zu lassen, meint er zu seiner Vorliebe
für solche Wirkungen. Verfremdungseffekte stellen sich
gegen eine unterhaltsame Art der Betrachtung. Es soll Analytisches
herausgefordert werden. Trotz aller Statik könnte in
jedem Moment etwas Überraschendes passieren, und sei
es ein Gewitter. Gerald Zugmann schafft es, eine in der Luft
liegende Ungewissheit in seine Fotos hineinzubringen. Wie
lang er die Zeit anhält, wird nicht ganz klar. Zeit ist
aber genauso präsent wie der Raum. Er macht das jeweilige
Objekt zum Kristallisationsort solcher Bezüge, auch dessen
vierte Dimension wird als Kraft spürbar.
Die Blickpositionen werden genau überlegt. Aus einer
Perspektive gibt es in aller Regel schließlich nur ein
Bild. Es ist seine Entscheidung, welche Elemente er hervorhebt,
was in den Hintergrund zu treten hat, damit Essentielles Kontur
bekommt. Licht- und Schattenbezüge werden oft in der
Dunkelkammer nachbearbeitet. Schwarzweiß ist ihm oft
lieber; der grafischen Klarheit wegen. Auf den Farbfotos tauchen
aus dem Dunkel leuchtende Körper auf, als handle es sich
um Wunder. Solche Übersteigerungen appellieren an das
Gefühl, das, was sein könnte, nicht von üblichen
Standards begrenzen zu lassen. Seine Beweisführung in
dieser Richtung baut auf eine fast antiquiert wirkende Technik,
als Ausdruck beharrlicher, langsamer Arbeitsweisen. Er macht
keine Reportagen über Architektur. Der geleistete Aufwand
bleibt ein wichtiger Faktor. In seiner Fotografie spiegelt
sich wider, dass das Baugeschehen nur mikroskopische Anteile
von Architektur zustande bringt. Ihnen gebührt Sorgfalt.
Körper, Linien und Flächen werden, über die
Festlegung von Begrenzungen, gleichsam neu definiert. Urbane
Umfelder mit einzubeziehen würde nur fiktive Zusammenhänge
behaupten. Die oft beklagte Menschenleere bei fotografierter
Architektur hat für ihn primär technische Gründe;
in Innenräumen sind die Belichtungszeiten zu lang, es
müsste mit Statisten gearbeitet werden, der entstehende
Eindruck wäre neuerlich inszeniert, ohne dass es viel
brächte. Ein Alltagsgeschehen abzubilden würde den
Modellcharakter künstlich banalisieren. Wie sich Einzelheiten
mit dem Ganzen vertragen, machen Ausschnitte und Verfremdungen
deutlicher als jede vermeintliche Detailtreue. Das Weglassen
solcher Dinge betont das Modellhafte, als Befreiung. Sich
schließlich einzurichten in einem solchen Gebäude,
als Benutzer, sollte von solcher Großzügigkeit
etwas bewahren. Vorausdenken lässt sich das nur bedingt,
wenn es nicht zu beengender Planung verkommen soll. Für
ein Foto seien Form, Licht und Struktur maßgebend. Er
sieht sich nicht als Dokumentarist. Ihm geht es um hervorragende
Architektur, der er sich dann mit hoher Intensität widmet.
Der Objektcharakter ergibt sich, weil er sein Objekt als Objekt
sieht. Deswegen operiert er oft von Positionen aus, die andere
Beobachter nie einnehmen würden. Er will der Grundidee
dahinter zusätzliche Schichten und Bezugsfelder erschließen.
Daher ist eine Vertrautheit mit den Denkweisen wichtig. Mit
COOPHIMMELB[L]AU arbeitet er seit Jahrzehnten; für Günther
Domenig, Donald Judd, Kiki Smith, Vito Acconci, Chris Burden,
Philip Johnson, Bruno Gironcoli, James Turrell, Jannis Kounellis,
Franz West, Hans Hollein oder Richard Artschwager hat er Architekturen
oder Objekte fotografiert. Über Frank Lloyd Wright, R.
M. Schindler, Louis I. Khan oder Carlo Scarpa gibt es eigene
Fotoserien von ihm. Solche über Kompetenz verbundene
Netzwerke in arbeitsteiliger Weise auszuweiten, könnte
vieles noch intensivieren, meint er zu diesen Erfahrungen.
Indem Gerald Zugmann anhand der für diesen Band zusammengestellten
Modellfotos die Entwicklung von COOPHIMMELB[L]AU von Anfang
an sichtbar macht, also auch ihre Zugangsweise, die Arbeit
an Modellen als konsequente Präzisierung von Denkmodellen
zu verstehen, wird vieles kompakter begreifbar, als es die
höhere Komplexität fertiger Bauten vermitteln könnte.
Modelle drücken aus, was angestrebt wird. Ihre Raumkonzeptionen
auf Flächen zu reduzieren, einschließlich der Übertragung
in der Realität unsichtbarer, irritierender, mentaler
Eigenschaften, wird zur eigenständigen Leistung im Entwurfs-
und Beurteilungsprozess. Seine Fotos sind Ausdruck eines Mitdenkens.
Im Abstraktionsgrad aneinander gereihter Modelle werden gedankliche
Strukturen manifest, Brennpunkte der Konzentration, konzeptionelle
Verschiebungen. Eine strahlende Transparenz macht die konkreten
Lichtquellen zum Rätsel. Unklar bleibt, welche Zivilisationen
sich solche Bauten zutrauen würden. Sie könnten
Objekte in einem fiktiven "Blue Universe" aus lauter
Nicht-Orten (griechisch: ou topos, Utopie) sein. Diese Pluralität
und mitschwingende ironische Komponenten nehmen ihnen ihr
Entferntsein. Gerade deswegen wirken die Modelle vielfach
realer als realisierte Bauten. Ein solcher Antagonismus ist
gewollt. Er verdeutlicht das Kategorische, trotzdem Unabschließbare
dieser Grenzen aufsprengenden, auf kühne Anwendungsmöglichkeiten
zusteuernden Denkweisen.
Das Modell und das Gebaute - und die Bilder davon - sind
Ausformungen kohärenter Gedanken. Über Visualisierungen
wird sichtbar, inwieweit sie verschiedenen Welten angehören
oder bereits zu Facetten des selben Sachverhaltes werden.
Deutlich wird, wie notwendig es bleibt, trotz tausendfacher
Blockaden, weiter an Möglichkeiten für neue, vielfältige
Qualitäten zu arbeiten, an Gegenbeispielen zu jeder vorauseilenden
Anpassung. Es geht gewissermaßen um forschende Entwicklungsarbeiten,
die sich vom in der Wissenschaft herrschenden Zwang lösen,
primär Wiederholbares beweisen zu müssen. Wird der
Blick auf Abfolgen von Singulärem gerichtet, auf noch
Uneingeordnetes, haben Modelle und Bilder, als visualisierte
Sprache, eine entschieden konstatierende und zugleich forschende
Funktion. Zu Kunst wird auch etwas, wenn wenig von Kunst die
Rede ist, weil die Konzentration Konzeptivem, Technischem,
Handwerklichem, Formalem gilt.
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UFA CINEMA CENTER - architectural model /
architects: Coop Himmelb(l)au, ektachrome transparency, 1996
Pressereaktionen:
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Architektur aktuell, Wien, Nr. 10/2002
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