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www.ChristianReder.net: Publikationen: Modelle zu bildern machen, dann...
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Transforming Models into...
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Gerald Zugmann
Coop Himmelb(l)au
MAK Wien
MAK L.A.
Hatje Cantz Verlag
 

Modelle zu Bildern machen, dann bauen

In: Gerald Zugmann: Blue Universe
Modelle zu Bildern machen / Transforming Models into Pictures
Architectural Projects by COOPHIMMELB[L]AU
Hatje Cantz Verlag 2002

Katalogbuch zur Ausstellung im MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles (deutsch / englisch)
Vorwort: Peter Noever, Text: Christian Reder

Zur Architekturfotografie von Gerald Zugmann
und zu seiner Zusammenarbeit mit COOPHIMMELB[L]AU

 

 

 

 

Alle merken es: Wahrgenommen werden in erster Linie Bilder, durcheinander fließende Bildströme; das fördert Sprachlosigkeit aber auch die Erweiterung und Verwirrung von Sprache, von Denkmöglichkeiten. Das Archaische daran verweist auf universelle, Zeiten und Räume verbindende Momente, im Sinn von: Zuerst war das Bild, dann das Wort. In der gegenwärtig erlebbaren medialen Intensität verschärft sich diese Situation fortwährend. Gefühle von Ordnung, von Begrenztheit, von Zuständigkeit und Übersicht verschwinden. Was passiert, passiert eben; mit bloß sehr vagen Perspektiven. Daran sollen sich gefälligst alle gewöhnen, ist die überall kursierende Botschaft. Stabilisierende Erinnerungszeichen und Anhaltspunkte scheinen immer rascher zu verblassen. Wirklich möglich wird nur, was bestimmte Konstellationen erlauben. Wenn Veränderungsimpulse tatsächlich greifen, ist das gleichsam Glücksache. Die verbleibende Chance: Punktuelle Interventionen. Ohne Bilder wären sie nicht kommunizierbar.

Dem Eindruck, es könne dafür keine Modelle mehr geben, vor allem keine kühnen, weitreichenden, experimentellen, wird im vorliegenden Buch - konzentriert auf entgrenzte Dimensionen von Architektur - entschieden widersprochen, als Gegenposition zur in vielen Sphären vorherrschenden Auffassung, solche Ansätze hätten sich erledigt, da praktisch alle bewegenden - planerischen, gesellschaftspolitischen, technischen, urbanistischen - Entwürfe zu völlig anderen Resultaten als den beabsichtigten geführt hätten. Groß jedenfalls dürfen Visionen nicht mehr sein, weder die zugrundeliegenden Konzepte noch die Erzählungen davon. Dabei haben die Problemlagen sich keineswegs entscheidend verändert. Vieles wird sogar laufend prekärer. An den in diesem Band versammelten Projekten aus über zwei Jahrzehnten und den Fotos von ihnen lässt sich, sozusagen gegenläufig, einiges davon ablesen, als Stellungnahmen zur Zeit, als Manifestation von Möglichem.

Mit Modellen experimentieren

Völlig unzutreffend wäre es, die Modelle und Bauten von COOPHIMMELB[L]AU einer rückwärtsgewandten Sehnsucht nach Radikalität zuzuordnen. Sie sind etwas anderes. Sie sind insistierend visualisierte Fragen, wie sich die Denkfigur "Modell" weiterentwickeln ließe. Das wird in den Entwurfsvorgängen selbst erprobt. Gebaut wird sofort - nämlich am Modell. Es ist immer zugleich Denkmodell, als Fülle von Überlegungen, Bildern, Schichten, Assoziationen. Sich darum zu kümmern, was erlaubt ist, kommt dabei niemandem in den Sinn. Ein unmittelbares Vordringen in den Raum wird für notwendig gehalten. Skizzen erhöhen die Geschwindigkeit. Der vorerst kleine Maßstab ermöglicht Laborsituationen, Experimente. Mit provisorischem Material werden Anforderungen an schließlich verwendete Materialien vorausgedacht. Was unter sachlich und nüchtern verstanden werden könnte, wird jeweils neu interpretiert, als Kontrapunkt zu diversen pathetischen Attitüden. Masse bekommt Zerbrechlichkeit zugeordnet. Stabilität ergibt sich trotzdem. Der Wunsch zu fliegen bleibt präsent. Der Himmel, das Licht ist allgegenwärtig. Pathos als Leidenschaft, als Gefühlsausdruck wird zu fein strukturierten Emotionsgebilden transformiert, ohne dass mit dem Pathos verwandte Muster für Antipathie und Sympathie nivelliert würden. Eine Verliebtheit ins Chaos macht sich nicht bemerkbar, eher ein nervöses Eingehen auf Veränderungen.

Jedes Modell von COOPHIMMELB[L]AU lässt Raum für unzählige Modelle, als Schichten, als Potenzial, als gebaute Offenheit. Die konzipierten architektonischen Situationen als solche ermöglichen Einblicke, Durchblicke, Ausblicke. Energie, in ihren uferlosen, auch sehr persönlichen Dimensionen, ist ein wichtiges Thema. Räume verdrehen sich so, als ob die Schwerkraft aufgehoben wäre, auch die Schwerkraft des Denkens.

Mit konventionellen Modellen hat das nur noch wenig zu tun. Denn sie - in wissenschaftlichem Sinn - als schematische, vereinfachende, idealisierende Darstellungen zu verstehen, in denen Beziehungen und Funktionen der Elemente deutlich werden, würde verhindern, Felder jenseits pragmatischer Planbarkeit zu erobern. Daher fordert Wolf D. Prix auch vehement von jenen, die Architektur ernst nehmen, sich "stärker als je zuvor als Verantwortliche für dreidimensionale Kultur zu verstehen und dem bleiernen Dogma der ‚Wirtschaftlichkeit' die vitale Funktion des Ästhetischen entgegenzuhalten". Denn "wenn sich die Architektur so weiter entwickelt wie bisher, dann wird der Architekt in wenigen Jahrzehnten verschwunden sein. Anstatt selbst Entscheidungen zu treffen, wird er die Entscheidungen anderer ausführen. Anstatt seine Vorstellungen im direkten Kontakt mit dem Bauherren umzusetzen, droht er in die dritte Reihe hinter Facility Manager und Generalunternehmer relegiert zu werden. Entsprechend wird erst gefragt werden, wenn alle wichtigen Rahmendaten schon festgelegt sind. Seine Aufgabe wird nicht mehr in der Gestaltung von Gebäudeformen und Raumsequenzen liegen, sondern in der atmosphärischen Ausgestaltung einer Architektur, die schon tot ist, bevor sie aus ihren Schubladen gezogen wird. Mit einem Wort: Die Zukunft gehört dem Architekten als Stimmungsdesigner."

Die Zuständigkeit für "dreidimensionale Kultur" wird also entschieden beansprucht, trotz aller Erfahrungen mit den Realitäten im Baugeschehen. Der Kampf, auch der innere, auf der Höhe der Zeit, im Brennpunkt brisanter Fragen, zu Modellen zu gelangen, die sich in neue Modelle verwandeln, also nichts Lineares mehr unterstellen, hat Strukturen im Blick, die beweglich bleiben, als Zusammenwirken sich ändernder Raumvorstellungen und Verhaltensweisen. Architektur mit Inhalten zu überfrachten, kann lähmen. Kompetenz lebt von Arbeitsteilung; wo sie nicht funktioniert, muss sie eingefordert werden. Um soziale und technische Innovationen wirklich voranzutreiben, wären Architekturoffensiven notwendig, noch dazu wo der Bedarf an städtischen Situationen weltweit explosiv zunimmt. Es ginge um mehr, als im Fluss des Geschehens ausstrahlende Anhaltspunkte zu positionieren. Durchsetzen lässt sich selbst das, so die spürbar notwendige Strategie, nur als sichtbare und hörbare Stimme in medial erzeugten Kraftfeldern. Dazu braucht es Modelle und Bilder.

Visualisierung von Denkprozessen

Die Bilder dieser Modelle - und vieler fertiggestellter Bauten - stellt seit Jahren Gerald Zugmann her. Er reduziert die drei Dimensionen entworfener Gebäude auf zweidimensionale Flächen, die durch einen Rand begrenzt sind. So lapidar sieht er das. Die Schwierigkeit liege darin, Volumina und Strukturen abzubilden. Es geht ihm dabei um das Fassen von Formen, von Lichtsituationen, von Überschneidungen. Für ihn ist das Handwerk. Das fotografierte Objekt wird dadurch zu etwas anderem. Realismus interessiert ihn nicht. Ein Foto kann und soll nicht so tun, als würde es das Objekt - oder eine Realität - wirklich darstellen, sagt er dazu. Seine Arbeit ist nichts Zusätzliches, Ergänzendes, sondern Teil der in Gang gesetzten Denkprozesse. Auch für die Architekten eröffnen sich damit ständig weitere Zugangsweisen. Indem ihm völlige Freiheit gelassen wird, kann diese Aufgabenteilung beidseitig fruchtbar werden. Es geht zwar in der Regel um Aufträge, deren klarer Rahmen stecke aber zugleich die Bedingungen für Präzision deutlich ab. Das Objekt selbst und die in ihm manifestierte Ideenwelt sind das Wichtige.

Auf die Dynamik der Entwurfsprozesse reagiert er mit Betonung von Statik, von Stille. Er erzeugt Stillleben. Dass es um sorgsam vorbereitete Momente geht, soll sichtbar werden. Damit wird er zum teilnehmenden Beobachter in Forschungsvorgängen, dessen wortlose Statements Gewicht haben. Die Modelle selbst und die Fotos davon repräsentieren komplementäre Ebenen in diesen Verfahren, die weiterlaufen, solange sie zur Präzisierung von Sensibilität und Urteilskraft herausfordern. Das Explosive, Hitzige, nur scheinbar Stillhaltende der Modelle wird mit betonter Kühle betrachtet. Gleichgültig wird der Blick dadurch keineswegs. Von ihm ausgeübte Kontrollfunktionen brauchen sich nicht mit Unbestechlichkeit zu brüsten; die Genauigkeit der Ergebnisse spricht gleichsam eine wissenschaftliche Sprache, dennoch ist klar, dass es nicht um Objektivität gehen kann.

Die Umgebung wird meistens ausgeblendet oder abgedunkelt. Der Eindruck des Düsteren ergebe sich aus der Absicht, Ausschnitte zu betonen, Spannungen zu erzeugen, etwas aus dem Dunkel hervortreten zu lassen, meint er zu seiner Vorliebe für solche Wirkungen. Verfremdungseffekte stellen sich gegen eine unterhaltsame Art der Betrachtung. Es soll Analytisches herausgefordert werden. Trotz aller Statik könnte in jedem Moment etwas Überraschendes passieren, und sei es ein Gewitter. Gerald Zugmann schafft es, eine in der Luft liegende Ungewissheit in seine Fotos hineinzubringen. Wie lang er die Zeit anhält, wird nicht ganz klar. Zeit ist aber genauso präsent wie der Raum. Er macht das jeweilige Objekt zum Kristallisationsort solcher Bezüge, auch dessen vierte Dimension wird als Kraft spürbar.

Die Blickpositionen werden genau überlegt. Aus einer Perspektive gibt es in aller Regel schließlich nur ein Bild. Es ist seine Entscheidung, welche Elemente er hervorhebt, was in den Hintergrund zu treten hat, damit Essentielles Kontur bekommt. Licht- und Schattenbezüge werden oft in der Dunkelkammer nachbearbeitet. Schwarzweiß ist ihm oft lieber; der grafischen Klarheit wegen. Auf den Farbfotos tauchen aus dem Dunkel leuchtende Körper auf, als handle es sich um Wunder. Solche Übersteigerungen appellieren an das Gefühl, das, was sein könnte, nicht von üblichen Standards begrenzen zu lassen. Seine Beweisführung in dieser Richtung baut auf eine fast antiquiert wirkende Technik, als Ausdruck beharrlicher, langsamer Arbeitsweisen. Er macht keine Reportagen über Architektur. Der geleistete Aufwand bleibt ein wichtiger Faktor. In seiner Fotografie spiegelt sich wider, dass das Baugeschehen nur mikroskopische Anteile von Architektur zustande bringt. Ihnen gebührt Sorgfalt. Körper, Linien und Flächen werden, über die Festlegung von Begrenzungen, gleichsam neu definiert. Urbane Umfelder mit einzubeziehen würde nur fiktive Zusammenhänge behaupten. Die oft beklagte Menschenleere bei fotografierter Architektur hat für ihn primär technische Gründe; in Innenräumen sind die Belichtungszeiten zu lang, es müsste mit Statisten gearbeitet werden, der entstehende Eindruck wäre neuerlich inszeniert, ohne dass es viel brächte. Ein Alltagsgeschehen abzubilden würde den Modellcharakter künstlich banalisieren. Wie sich Einzelheiten mit dem Ganzen vertragen, machen Ausschnitte und Verfremdungen deutlicher als jede vermeintliche Detailtreue. Das Weglassen solcher Dinge betont das Modellhafte, als Befreiung. Sich schließlich einzurichten in einem solchen Gebäude, als Benutzer, sollte von solcher Großzügigkeit etwas bewahren. Vorausdenken lässt sich das nur bedingt, wenn es nicht zu beengender Planung verkommen soll. Für ein Foto seien Form, Licht und Struktur maßgebend. Er sieht sich nicht als Dokumentarist. Ihm geht es um hervorragende Architektur, der er sich dann mit hoher Intensität widmet. Der Objektcharakter ergibt sich, weil er sein Objekt als Objekt sieht. Deswegen operiert er oft von Positionen aus, die andere Beobachter nie einnehmen würden. Er will der Grundidee dahinter zusätzliche Schichten und Bezugsfelder erschließen. Daher ist eine Vertrautheit mit den Denkweisen wichtig. Mit COOPHIMMELB[L]AU arbeitet er seit Jahrzehnten; für Günther Domenig, Donald Judd, Kiki Smith, Vito Acconci, Chris Burden, Philip Johnson, Bruno Gironcoli, James Turrell, Jannis Kounellis, Franz West, Hans Hollein oder Richard Artschwager hat er Architekturen oder Objekte fotografiert. Über Frank Lloyd Wright, R. M. Schindler, Louis I. Khan oder Carlo Scarpa gibt es eigene Fotoserien von ihm. Solche über Kompetenz verbundene Netzwerke in arbeitsteiliger Weise auszuweiten, könnte vieles noch intensivieren, meint er zu diesen Erfahrungen.

Indem Gerald Zugmann anhand der für diesen Band zusammengestellten Modellfotos die Entwicklung von COOPHIMMELB[L]AU von Anfang an sichtbar macht, also auch ihre Zugangsweise, die Arbeit an Modellen als konsequente Präzisierung von Denkmodellen zu verstehen, wird vieles kompakter begreifbar, als es die höhere Komplexität fertiger Bauten vermitteln könnte. Modelle drücken aus, was angestrebt wird. Ihre Raumkonzeptionen auf Flächen zu reduzieren, einschließlich der Übertragung in der Realität unsichtbarer, irritierender, mentaler Eigenschaften, wird zur eigenständigen Leistung im Entwurfs- und Beurteilungsprozess. Seine Fotos sind Ausdruck eines Mitdenkens. Im Abstraktionsgrad aneinander gereihter Modelle werden gedankliche Strukturen manifest, Brennpunkte der Konzentration, konzeptionelle Verschiebungen. Eine strahlende Transparenz macht die konkreten Lichtquellen zum Rätsel. Unklar bleibt, welche Zivilisationen sich solche Bauten zutrauen würden. Sie könnten Objekte in einem fiktiven "Blue Universe" aus lauter Nicht-Orten (griechisch: ou topos, Utopie) sein. Diese Pluralität und mitschwingende ironische Komponenten nehmen ihnen ihr Entferntsein. Gerade deswegen wirken die Modelle vielfach realer als realisierte Bauten. Ein solcher Antagonismus ist gewollt. Er verdeutlicht das Kategorische, trotzdem Unabschließbare dieser Grenzen aufsprengenden, auf kühne Anwendungsmöglichkeiten zusteuernden Denkweisen.

Das Modell und das Gebaute - und die Bilder davon - sind Ausformungen kohärenter Gedanken. Über Visualisierungen wird sichtbar, inwieweit sie verschiedenen Welten angehören oder bereits zu Facetten des selben Sachverhaltes werden. Deutlich wird, wie notwendig es bleibt, trotz tausendfacher Blockaden, weiter an Möglichkeiten für neue, vielfältige Qualitäten zu arbeiten, an Gegenbeispielen zu jeder vorauseilenden Anpassung. Es geht gewissermaßen um forschende Entwicklungsarbeiten, die sich vom in der Wissenschaft herrschenden Zwang lösen, primär Wiederholbares beweisen zu müssen. Wird der Blick auf Abfolgen von Singulärem gerichtet, auf noch Uneingeordnetes, haben Modelle und Bilder, als visualisierte Sprache, eine entschieden konstatierende und zugleich forschende Funktion. Zu Kunst wird auch etwas, wenn wenig von Kunst die Rede ist, weil die Konzentration Konzeptivem, Technischem, Handwerklichem, Formalem gilt.

 


UFA CINEMA CENTER - architectural model / architects: Coop Himmelb(l)au, ektachrome transparency, 1996

 

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Architektur aktuell, Wien, Nr. 10/2002
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