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... kombinieren115, verstehen116,
beschwören117,
verwandeln118, kalkulieren119, vermessen120 ...
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In: 10 + 5 = Gott. Die Macht der Zeichen.
Herausgegeben von Daniel Tyradellis und Michael
S. Friedlander
im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin
Ausstellungskatalog, DuMont Verlag, Köln
2004
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Textbeiträge: Daniel Tyradellis, Michael S. Friedlander,
Alexander Klose, Eva Kudrass, Dan Ben-Amos, Dov Noy,
Yoni Garb, Eva Meyer, Alan Dundes, Christoph Schulte,
Daniel Sperber, Claudia Roden, Ernst Strouhal, Giulio
Busi, Andreas Bernard, Andreas Kilcher, Joshua Cody,
Gotttfried Korff, Art Spiegelman, Jochen Hörisch,
John D. Barrow, Doron Rabinovici, Atina Grossmann, Yair
Zakovitch, Christian Reder, Moshe Idel, Martin Roman
Deppner, Herbert Mehrtens, Alfred Stohl, Wolfgang Pircher,
Benedikt Goebel, Philipp von Hilgers, Monika Schmalz,
Markus Krajewski, Mitchell B. Hart, Manuel Herz, Ben
Katchor, Paul Auster, Wolfgang Benz, Götz Lothar
Darsow, William H. Schneider, Christina Brandt, Boaz
Huss, Renate Tobies, Dirk Baecker, Hans Magnus Enzensberger
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Für Gabriel García Márquez ist
es, wie er rückblickend betont, ein lebensentscheidendes
Glück gewesen, zum richtigen Zeitpunkt, als Student
in Bogotá, Kafkas Die Verwandlung in der Übersetzung
von Borges in die Hand zu bekommen. Von da an wollte
er „in jenem fremden Paradies“ leben,
in dem ein Geschehen nicht belegt zu werden brauchte:
„Der Autor musste nur etwas schreiben, damit
es wahr wurde, keine anderen Beweise waren erforderlich
als die Kraft seines Talents und die Autorität
seiner Stimme.“ Noch ganz irritiert von diesem
Eindruck hat er seine erste veröffentlichte Erzählung
verfaßt.
Die dafür den Anstoß gebende Geschichte
eines mysteriösen, existenzverändernden
Erwachens war Kafka, wie er Felice Bauer mitgeteilt
hat, „im Bett eingefallen“. Das wäre
nicht weiter bemerkenswert, wenn nicht zwischen Ursprungssituation,
Inhalt und Titel eine merkwürdige Verbindung
bestünde. Wird nämlich nach dem Stellenwert
der Buchstaben im Alphabet (a = 1, b = 2, c = 3 usw.),
also unter objektiviertem Rückbezug auf das System
der Schrift, für die aufgetauchten Wörter
ihr Codewert berechnet, ergibt sich die Gleichung:
Die Verwandlung[159] = im Bett eingefallen[159] =
Gedankenspielerei[159] = Spontaneität[159] =
Kritikfähigkeit[159] = Vieldeutigkeit[159] =
unsicheres Leben[159]. Auch dass es hintergründig[159]
um ein Unterdrücken[159] geht, ist nach diesem
Verfahren nicht bloß buchstabentreu[159] sondern
auch psychologsch[159] belegbar. Solche Sachverhalte
erwecken den Anschein, als ob sich im deutschsprachig-jüdischen
Milieu Prags Kabbalistisches wie von selbst bemerkbar
gemacht hätte, als Aufflackern von Traditionen,
nach denen es nicht vorgesehen ist, einer in Sprache
übertragenen rechnerischen Beweisbarkeit zu entrinnen
– trotz aller literarischen Transformationen.
Auch Skepsis gegen Übersetzbarkeit wird deutlich,
denn sie erzeuge ganz andere Wortfelder und Mehrdeutigkeiten.
Transformation[183] verbindet sich übrigens nach
den alphanumerischen Codes mit Milieugebundenheit[183]
und Existenzangst[183], Verwandlung[141] mit Wiederholung[141],
mit Stoffwechsel[141] oder Spieltheorie[141]. Metamorphose[148]
wiederum verweist auf Assoziation[148], auf Struktur[148],
Nervosität[148], auf Weltfremdheit[148] und das
fremde Paradies[148], von dem Márquez spricht.
Im Englischen ergibt sich für metamorphosis[171]
der direkte Bezug zu construction[171] und irrationality[171].
Secret[70] und conversion[134] summieren sich über
die Codes zu The Metamorphosis[204], dem für
Kafkas Erzählung üblichen englischsprachigen
Titel.
Auch wenn berechenbare Wortmuster kaum noch kabbalistisch
als „Welterklärung durch eine mathematisierte
Schriftlichkeit“ (Burghart Schmidt) zur Kenntnis
genommen werden, lenken sie den Blick auf sonderbare
Ebenen von Präzision und Differenz. So erklärt
sich der zum Käfer Verwandelte die Veränderung
seiner Stimme bis hin zum Verlust der Sprache vorerst
lapidar als Folge einer Verkühlung, der „Berufskrankheit“
reisender Vertreter. Da Unbewußtes[168] und
Berufskrankheit[168] korrelieren, ist es zur begrifflichen
Grundstruktur Sigmund Freuds nicht weit – der
bekanntlich Trauminhalte wie eine Geheimschrift behandelte,
„in der jedes Zeichen nach einem feststehenden
Schlüssel in ein anderes Zeichen von bekannter
Bedeutung übersetzt wird“:
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Unbewußtes168 |
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promiscuity168 |
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Muttersprache167 |
Symbolhandlung167 |
Wahrheitssuche167 |
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psychiatrist167 |
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Kommunikation166 |
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anthropology166 |
Weltzustand165 |
Zivilisation165 |
Traumdeutung165 |
Triebverzicht165 |
Intervention165 |
indoctrination165 |
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Geschlechtsorgan164 |
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investigation164 |
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Psychoanalyse163 |
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mystification163 |
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Schwellenangst162 |
Selbständigkeit162 |
Pessimismus162 |
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catastrophism162 |
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Unberechenbarkeit161 |
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Individualität160 |
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Spontaneität159 |
die Verwandlung159 |
Vieldeutigkeit159 |
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individuality159 |
Dass sich im Deutschen jede Welterklärung[172]
– rechnerisch beweisbar – auf Einbildungskraft[172],
Quantentheorie[172], Sprachlosigkeit[172], Gastfreundschaft[172]
und Jahrtausendwende[172] stützen kann, könnte
zu darum kreisenden Erzählungen animieren, wo
doch erzählen und zählen so eng zusammenhängen.
Aber ausgerechnet das wird nicht so ohne weiteres
passieren. Ob ein Text schließlich zählt
oder nicht, ergibt sich auf ganz andere Weise.
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©
Christian Reder 2004 |
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