Multiplizierte Linientreue
Christian Reder
Wenn ich mir, was manchmal erhellend
sein kann, Bewusstsein als verfilzten Knoten vorstelle,
in dem sich in alle Richtungen verlaufende Fäden,
die ruhig aus Kunststoff sein können, in unentwirrbarer
Weise auf einander beziehen, um gleich nebenan oder
sonst wo, neuerlich, aber unmerklich verändert,
analoge Konstellationen zu erzeugen, dann wird die Versuchung
groß, solchen Linien zu folgen und von ihnen Inputs
zu erwarten. Dass damit schlicht Kommunikation gemeint
ist, braucht einem vorerst gar nicht explizit bewusst
zu werden.
Ob das schon Denken ist, sei dahingestellt. Ähnlich
sind die Vorgänge aber durchaus. Sofern dieser
verfilzte Knoten, das ICH also, mit sonst etwas verbunden
ist, kann ihm das seine Vernetzung deutlicher machen.
Mit autoritärem Fädenziehen hat es nicht unbedingt
zu tun, geht es doch auch um ein Entgegenkommen. Bekanntes
aufzufrischen kann erfreuen, unbekanntes Terrain dürfte
die Neugierde anspornen. Neu muss es nicht unbedingt
sein, irgendwas aber sollte es an sich haben, was so
entsteht. Zu probieren, wann etwas nichts ist oder doch
schon etwas, genügt eigentlich als Ansporn –
auch für jede gestalterische Aufgabe. Sich die
Gegenden, in die ein solches Verfahren ringsum führt,
als Wüste vorzustellen, um nicht abgelenkt zu werden,
ist naheliegend, fördert aber pathetische Zugänge.
Endlose Weiten, bizarre Berge, versteckte Oasen, Palmen,
Kamele, Räuber, Lösegelder sind nur bedingt
eine geeignete Vorstellungswelt. Als urbane Landschaft
wiederum wäre Gewohntes zu prägend. In eine
Traumszenerie versetzt, verschwinden Realitätsbezüge.
Kurz gesagt: Von allem sollte etwas vorhanden sein,
auch das Meer, Inseln, der Weltraum, Abstrahiertes,
Virtuelles. Völlig Fremdes wäre am eindringlichsten.
Ohne jede Wiedererkennbarkeit würde sich diese
Emotionsumgebung aber im Nebulosen verlieren.
Der Linie Kunst entlang tut sich lange gar nichts; es
geht anscheinend einfach geradeaus. Dann erst werden
da und dort Abzweigungen erkennbar. Einmal führen
sie in visuelle, dann wieder in akustische Zonen. Gewisse
Felder sind Statischem vorbehalten, andere ständiger
Bewegung. Wer sofort alles Mögliche verbinden will,
geht leicht unter; trotzdem kann sich auch daraus etwas
ergeben. Freiheit deutet sich an. Fein verästelte
Wege führen jedoch zu Orten des Rigiden, wo jeweils
das und jenes unmöglich ist, in keiner Weise erlaubt.
Sich von ihnen wieder zu lösen, ist gar nicht so
einfach. Es gibt kaum Querverbindungen, alles scheint
bewacht zu sein. Fast scheint es so, als würden
überall Gefangene gehalten, als potenzielle Markenzeichen.
Bekannte zu treffen wird sich nicht vermeiden lassen,
befreiend wäre es aber, im Anonymen zu versinken.
Dort machen Leute etwas, bei dem sich keiner noch so
richtig auskennt. Da drüben fällt einem sofort
etwas ein, das man beitragen könnte. Ein Anruf,
ein Lächeln kann alles verändern. Weil irgendwo
Texte, Bilder, Songs einfach existieren, gibt es die
Gewissheit, auf sie zugreifen zu können.
Einzelgänger in diversen Ecken signalisieren, nicht
am Reden darüber interessiert zu sein, was getan
werden sollte; sie machen eben ihre Sache. Jene, denen
es nicht so sehr um Finanzielles geht, lassen sich das
nicht ausreden, weil sie trotzdem irgendwie durchkommen.
In den Stuben, wo die Schreiber sitzen müssen,
geht es eher deprimierend zu; viele hassen die Bilderwelt,
weil da mehr Geld und Renommee zu holen ist. In der
historischen Abteilung drängen sich plötzlich
alle vor dem Dürer-Hasen; mir hat genügt,
dass er in meiner Jugend über dem Bett gehangen
ist.
Vorgezeichnete Wege der Kunst sind plötzlich nirgends
mehr erkennbar. Zurückzufinden wird immer schwerer.
Der „Virtual Frame“, innerhalb dessen sich
die angedeuteten Bewegungen abspielen, hat sich aufgelöst.
Für Momente wenigstens ist die Welt wirklich anders:
Männer und Frauen brauchen sich nicht mehr um Gleichberechtigung
zu streiten. Wer von wo herkommt, ist völlig egal.
Manchmal beginnt die Haut zu denken, das funktioniert
sogar zu zweit. Ob ich ein Forscher bin oder ein Grübler,
ein Künstler oder einer, der noch wartet, soll
die anderen interessieren: mich nicht.
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