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www.ChristianReder.net: Publikationen: Zwischen hart und weich
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Attersee - Galerie Hilger
Galerie Hilger
   

Zwischen hart und weich
Attersee-Sätze mit Ergänzungen

In: Attersee: Die gemalte Reise
Katalogbuch zur Ausstellungstournee 1990-1992. Wien 1990

Mit Beiträgen von Rudi Fuchs, Attersee, Otmar Rychlik, Christian Reder, Hans-Georg Nicklaus, Wolfgang Pauser, Oswald Wiener

 

 

Attersee: Ich bin von der Untersuchung der naheliegenden Dinge ausgegangen: Essen, Trinken, Sexualität, Schönheit, Kleidung, Wetter und Wasser. Es geht um die Beziehungen gleichwertiger Dinge, um Verbindungen, um Verwandtschaften - in der Kunst, im Alltag. Farben rühren. In der Suppe rühren. Das Weiche und das Harte. Zweck und Zierde gehören zusammen. Alles anwenden. Alles benützen. Bei mir kommt alles aus dem Leben, nicht aus der Kunstgeschichte. Schönheit ist etwas, das man nicht erwischt. Sie funktioniert mehrfach, durch Intensität, durch Umdeutbarkeit, durch Entsymbolisierung; nie so, wie es einem gesagt wird. Denn: Sprache ist eine Degenerationsform des Sehens. Daß Sprache das grundlegende Strukturmuster ist, stimmt einfach nicht.

Dem Erforscher der >Traurigen Tropen< sind manchmal die jenseits diverser Grenzen aufgespürten Situationen so erschienen, >als hätte sich eine gesamte Kultur in zärtlicher Leidenschaft den Formen, Substanzen und Farben des Lebens hingegeben, als hätte sie dem menschlichen Körper jene ihrer wesentlichen Schöpfungen bestimmt, die zugleich am dauerhaftesten und am vergänglichsten sind.< Bei seinen >guten Wilden<, den Boróros, von denen hier die Rede ist, hat Lévi-Strauss ein so starkes Bedürfnis, sich zu schmücken, festgestellt, >daß die Männer stets irgendwelchen neuen Schmuck erfinden<, für sich und von ihnen beschenkte Frauen. >Viele tragen Kronen aller Art auf dem Kopf, Bänder aus Fellen mit Federn geschmückt, geflochtene und ebenfalls mit Federn verzierte Ringe, in Holz gefaßte Jaguarkrallen. Doch um sie in Begeisterung zu versetzen, genügt auch weniger; ein Band aus getrocknetem zufällig gefundenem Stroh, das dann rund gepreßt und bemalt wird, dient als ephemerer Kopfschmuck, mit dem der Betreffende solange herumspaziert, bis irgendein anderer zufällig gefundener Gegenstand seine Einbildungskraft zu fesseln vermag. Statt Dinge am Boden zu suchen, sammelt er vielleicht zur Abwechslung Baumblüten.<
Solche isolierten Bilder der Lebensfreude bleiben in ihrer Romantik kraftlos, verstören nicht einmal mehr, weil sie verlorene, auf Exotismen angewiesene Wirklichkeiten festhalten. Sie zu zitieren, erinnert höchstens an Dimensionen von Künstlichkeit und an die lustlose Transformation von Konventionen. Während die Klischees entstehen, ist das Original längst zugrunde gegangen. Weder am Ort des Geschehens noch hier und jetzt wird irgendjemand neuerlich zum Beteiligten werden. Die Wiederholbarkeit solcher Szenarien hat sich verflüchtigt, der Raum für Erfindungen definiert sich anders, losgelöst von Selbstverständlichkeiten. Das Versagen dabei ist Multiplikationen unterworfen; die Rechnungen gehen automatisch auf, ohne Bezug zu Gegenwelten. Ganz drinnen im Natürlichen kommt das Künstliche zum Zug; die Desoxyribonukleinsäure, als Träger der genetischen Information, ist nicht mehr auf Sexualität angewiesen. Zellen vermehren sich künstlich, lassen sich kombinieren und manipulieren, erzeugen eigene Nachkommen. Vorerst heißen sie alle noch harmlos Klon: der Trieb, der Schößling, der junge Zweig.
Die Inuit hingegen kennen fast hundert Ausdrücke für Schnee, für etwas also, mit dem sie sich ununterbrochen beschäftigen, an dem ihnen jede Nuance seiner Erscheinungsformen wichtig ist - zwischen Frieren und Schmelzen, Eis und Wasser, Sonne und Nacht, zwischen hart und weich. Solche Genauigkeit im Benennen bezeugt, wie ernst bisweilen Materie und Mächte genommen werden. An den Phrasen tendenziell heißer Gesellschaften ist etwas anderes auffallend, der Hang zu moralischen Polarisierungen, die fast so etwas wie ein Organisationsprinzip andeuten: das harte und das weiche Herz, das harte Los, das weiche Bett, das harte Wort, die weiche Welle, die harte Arbeit, der weiche Kompromiß; harte Zeiten, hartes Brot, hartes Geld, harte Männer, harte Getränke, harte Gesetze, harte Entscheidungen, weiches Licht, weiche Konturen, die harte Schale, der weiche Kern, die harte Nuß, die weiche Birne, die harte Hand, das weiche Ei; der Verstand muß scharf sein, das Gefühl darf weich bleiben. Verbindungen zwischen Verstand und Gefühl sind idealerweise >al dente<.
Diese komplizierte Weichheit ist in verschiedenen Arten >wilden Denkens<, also in Begriffssystemen, die in Bildern verdichtet sind, gut aufgehoben. Einer gezähmten Benutzbarkeit entzogen, kann weiches Denken nicht polizeistaatlicher Wahrheitsfindung dienen.. Sehr bezeichnende Ausdruckskonzentrationen schafft es trotzdem, >wie die tiefgreifende Analogie, die das menschliche Denken überall in der Welt zwischen dem Akt der Kopulation und dem Essen gesehen zu haben scheint, und zwar in solchem Maße, daß eine große Anzahl von Sprachen beide mit dem gleichen Wort belegt< (Lévi-Strauss). Den Benennungen zugrundeliegende Bilder und Bedeutungsebenen fallen ineinander. Gleichwichtiges, das Höhepunkte kennt, kommt einander sehr nahe. Die Austauschbarkeit beweist, wie ähnlich und anders es zugehen kann. Das Ding der Unmöglichkeit verliert zeitweilig seine Fesseln. Ablagerungen solcher Prozesse prägen die Strukturen von Formen und Denkweisen. Wie die Sprache, sind die Bildschöpfungen der Mythen >eine bestimmte Form des Sehens, und das mythische Bild, die intuitive Darstellungsweise, erzeugt Wirklichkeit und stellt ein Sinnuniversum her< (Marcel Detienne). Die Trennung von ihm erfolgt mit der von anderen Strukturen erzeugten Konsequenz: >Jedes Bemühen um Verständnis<, so Lévi-Strauss, >zerstört den Gegenstand, dem wir uns widmen, zugunsten eines solchen, dessen Beschaffenheit eine andere ist. Dieser verlangt von neuem eine Anstrengung, die ihn wiederum zerstört, zugunsten eines dritten, eines vierten, eines fünften - bis wir schließlich den Zugang finden zur einzigen dauerhaften Gegenwart: jener, bei der sich der Unterschied auflöst zwischen dem Sinn und dem Fehlen von Sinn, jener, von dem wir ausgegangen sind.<
Sicher ist sich der Strukturalist, der sich nach eigener Aussage nicht mit Menschen, sondern mit Glaubensinhalten, mit Bräuchen und mit Institutionen befaßte, noch als Achtzigjähriger, daß der Ursprung der Sprache weder von den Anthropologen noch von den Linguisten geklärt werden wird, eher aus der Neurophysiologie des Gehirns; aber: >alles, was die Linguisten uns über die Sprache beigebracht haben und was ihre ausschließliche Eigenart zu sein scheint, existiert, wie wir gewahr wurden, auch im Innersten der lebendigen Materie selbst; der genetische und der verbale Code bieten dieselben charakteristischen Merkmale und funktionieren auf dieselbe Weise<. Seine Vorstellung von >wirklicher Freiheit< wirkt gegenüber dieser Determinierung sehr bildhaft, wie ausgleichend-vage Gerechtigkeit: >sie besteht aus dem Gleichgewicht lockerer Zusammengehörigkeitsgefühle< und >schwachen Solidarbindungen<.

Attersee: Jede spannende Lebensform ist zu akzeptieren. Kunst ist reine Realität. Materialien müssen ihre Freiheit haben. Wie ein Knochen der blüht. Mir ging es von Anfang an um das Lebensbejahende - als Gegensatz zu den Zerstörern. Aggression ermöglicht keine Ausdrucksformen von Dauer. Kunst ist Erotik, als Unendlichkeit aller Liebesformen, als der Kreis von Sexualität, Geistigkeit, Schönheit. Ich bin kein Zukunftserfinder, kein Utopist. Mich interessiert an der vorhandenen Welt das Maximale.

Wenn Verwandtschaft heißt, das Eigene im Fremden wiederzuerkennen, und Freundschaft, das Fremde im Eigenen wahrzunehmen, wie Mario Erdheim es formuliert hat, dann wird damit die Fähigkeit angesprochen, einen solchen Austausch zustandezubringen und gleichzeitig das Anderssein zu akzeptieren. Die zugehörigen Gefühle können auf eine gewisse Solidität der Ansprüche bauen, Erwartungen sind auf Stetigkeit und Dauer ausgerichtet. Dem Freund wird Erreichbarkeit und Anwesenheit abverlangt. Sich auf ihn verlassen zu können, soll davor schützen, verlassen zu werden. Bei den vielen verschiedenen Gefühlen von Liebe ist das offenbar völlig anders; erste, schnelle Blicke nehmen einem die Entscheidung ab, anschließende Blindheit wird in Kauf genommen. Liebe erfindet sich ihre eigene Schönheit; je größer und stärker sie empfunden wird, um so eher erzwingen die Gesetze der Heroik ein Scheitern. Leidenschaft schließt Leiden ein, bei Trennungen wird sie daher am intensivsten empfunden. Unerfüllbar reicht das Imaginäre einer Liebe über Bewunderung, Ergriffenheit, Sexualität, Lust, Sprachlosigkeit und die Überwindung der Zweisamkeit hinaus. Ein angeblich ideales Auseinandergehen als gute Freunde kann über das Verlorene nie hinwegtäuschen. Zu einer Technik stilisiert wird Liebe zur Verführung, einer Form des Duells. Von ihr zu sprechen macht Klischees und Trivialitäten zu einer wichtigen Sache. Das wird bereits an den Mythen deutlich, nach deren offizieller Version der Liebesgott die Göttin der sinnlichen Liebe und Schönheit und den Gott des Krieges als Eltern gehabt hat. Von Platon wird anderes überliefert; ihm zufolge ist Eros der Sohn der Armut, die sich ihn in berechnender Weise vom betrunkenen Reichtum hat zeugen lassen: >was er gewinnt, zerrinnt ihm immer wieder, so daß er weder arm ist noch reich und zwischen Weisheit und Torheit immer in der Mitte steht<.
In irgendeiner Mitte hat Liebe allerdings wenig verloren, sofern damit nicht bloß ein gedachter Kreuzungspunkt von in alle Richtungen ausschlagenden Pendelbewegungen gemeint ist. Offen ist inzwischen sogar, ob das Fundament der sexuellen Differenz überhaupt noch so wichtig genommen werden kann. Für Baudrillard jedenfalls ist der geschlechtliche Unterschied in trister Weise >buchstäblich uninteressant<, denn >die Sexualität bezeichnet in ihrem biologischen Anspruch den schwächsten und ärmsten Unterschied, auf den man sich zurückgezogen hat, nachdem alle übrigen verlorengegangen waren<. Die unerbittliche Logik der fortschreitenden Indifferenzierung kann ihm zufolge nur einen nächsten Schritt kennen: den Klon-Körper, >dessen Reproduktionsweise durch zellulare Teilungsvermehrung, durch bio-molekulare Demultiplikation die Sexualität selbst als etwas Überflüssiges erscheinen läßt<. >Wir sind heute praktisch alle Klone in dem Sinne, daß die DNS-Formel des genetischen Codes bereits als unsere absolute biologische Wahrheit anerkannt ist< und >die in jeder Zelle enthaltene genetische Formel wird zur echten modernen Prothese aller Körper.< Vom Prozeß, der da abläuft, sind, so Baudrillard, drei Phasen deutlich zu erkennen: >Nachdem der Körper Ort von Metamorphosen und Freuden gewesen ist, ist er Ort von Trieben, Verboten und Lüsten und schließlich ein Ort von Netztechnik und Faszination geworden.<

Attersee: Ich habe Formen und Befriedigungsformen gesucht, die mir fehlen. Van Gogh hatte gute und schlechte Tage, gemalt hat er die letzteren. Die guten hat er für sich behalten, zum Schutz der Schmerzhändler. Daß Kunst ohne Leiden möglich ist, ist das Schöne an ihr. Religion ist eine Degeneration von Kunst. Ich akzeptiere weder Gott noch den Tod. Sie kommen in meiner Arbeit nicht vor. Die Wunden von Verletzungen wünsche ich mir als Schmuck, ohne jeden Schmerz. Der vom Leid befreite Neurotiker ist der erlebnisreichste Mensch.

Hegel hat sich ausgedacht, daß die Menschheit in der Selbstbefriedigung des Geistes enden werde. Auf dem Weg der Entmaterialisierung der Welt, auf dem Weg der Abstraktion der Gesellschaft sei daher der Geschlechtsakt ein Rückfall ins Natürliche und demzufolge alle >höhere Onanie< ein Fortschritt. Dietmar Kamper greift in >Hieroglyphen der Zeit< diese Prophezeiung auf. Denn weiterhin würde jeder, der darauf setzt, sich mit sich selbst zu verständigen, der es also ablehnt, sich selbst fremd und ein Anderer zu werden, an diesem so vorausgesagten Lauf der Dinge mitwirken. Die >Kunst des Verstehens< kreise doch, längst gleichgültig gegen Inhalte, bloß noch um sich selbst, mit der Selbstgefälligkeit, immer schon verstanden zu haben, >als Vorbote des Wiederholungszwanges, der die Welt in ein einziges Bewußtsein transformiert und Platz schafft für eine automatisierte, menschenleere Maschinenzivilisation, (...) als Wegbereiter des von ihr Ausgeschlossenen: der absoluten Unverständlichkeit des autistischen Selbst.< Was tun? >Die 'neue Ethik' der Ästhetik liegt im Denken des Materials, das von sich her die menschliche Wahrnehmung angeht. Ohne eine solche Verletzlichkeit des Subjekts, ohne die Schonung des Objekts wäre alles verloren.<
Ein anderer Zugang: >Wir wissen heute<, schreibt Hannah Arendt in einem Text über Hermann Broch, >daß Mord bei weitem nicht das Schlimmste ist, was der Mensch dem Menschen antun kann, und daß andererseits der Tod keineswegs das ist, was der Mensch am meisten fürchtet.< Es gelte daher, den Schmerz als entscheidende Kategorie zu begreifen, also anders über den Schmerz zu denken, über den Schmerz, der ohne Tod überhaupt unerträglich werden kann. Aus der Bekräftigung und Umkehrung dieser Forderung ergibt sich neuerlich eine, unter ihrer Naivität leidende Suche danach, was das Beste ist, das der Mensch dem Menschen - und sich - antun kann. Sprachlich sind die entsprechenden Möglichkeiten mysteriös einfach. Die Kompliziertheit der Wünsche und Obsessionen wird negiert oder als Vorwand benutzt, um wohltemperierte Situationen als Maximum hinzustellen. Elementare Gefühle haben in ihnen nichts verloren, deswegen sind sie unverschlüsselt so schwer auszudrücken. Beim Überwinden von Sentimentalität leisten die Standardbezeichnungen keinerlei Hilfestellung. Gelten doch als Gegenwörter des Schmerzes Wohlgefühl, Wohlbehagen; Lust, Wonne, Glück, Vergnügen. Beim Leid sind es Glück, Freude, Lust. Die Tugend der Sparsamkeit hat Verschwendung und Luxus zu Gegnern. So steht es zumindest im Wörterbuch der Antonyme des Bibliographischen Institutes Leipzig.
Freud hat vor solchen Vereinfachungen keine Scheu gehabt; das zeigt sich auch in seinen drei Quellen menschlichen Leidens : >die Übermacht der Natur, die Hinfälligkeit unseres eigenen Körpers und die Unzulänglichkeit der Einrichtungen, welche die Beziehungen der Menschen zueinander in Familie, Staat und Gesellschaft regeln<. Statt einem transzendenten >Zweck des menschlichen Lebens< wendet sich Freud lieber >der anspruchsloseren Frage zu, was die Menschen selbst durch ihr Verhalten als Zweck und Absicht ihres Lebens erkennen lassen, was sie vom Leben fordern, in ihm erreichen wollen. Die Antwort darauf ist kaum zu verfehlen; sie streben nach dem Glück, sie wollen glücklich werden und so bleiben. Dies Streben (...) will einerseits die Abwesenheit von Schmerz und Unlust, andererseits das Erleben starker Lustgefühle. Im engeren Wortsinn wird ' Glück' nur auf das letztere bezogen.< Aber: >die Absicht, daß der Mensch 'glücklich' sei, ist im Plan der 'Schöpfung' nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist (...) nur als episodisches Phänomen möglich.< Solche einleuchtenden, pragmatischen Sätze könnten inzwischen, unter Aufgabe jedes Bezugs zur Psychoanalyse, überall Teil von Parteiprogrammen und Verfassungsbestimmungen sein.
Für den Schöpfer und Genießer erfreulicher Erlebnisse ergibt sich daraus wenig. Freuden, die sich von Begriffen bestimmen lassen, geht offenbar ihr Hauch von Unbegrenztheit verloren. Sind sie doch auf eine Gelöstheit angewiesen, die selbständig funktioniert, die sich von Konstruktionen und Rekonstruktionen unabhängig macht, die mit Differenzen und Unentscheidbarkeit umgehen kann. >Das eigene Leben der einzelnen Stimmen in Ihren Compositionen< heißt es, in diesem Sinn, im ersten begeisterten Brief, den Kandinsky an Schönberg gerichtet hat, >ist gerade das, was auch ich in malerischer Form zu finden versuche<. Das ist lange her und bloß ein Ausdruck für das Begehren und Sehnen des Künstlers. Eine andere, den Ethnologen charakterisierende Formulierung findet sich bei Lévi-Strauss. Er hat das Vermögen für lebenswichtig gehalten, >jenseits von Denken und Gesellschaft<, >mit Geduld, Ernst und gegenseitigem Verzeihen ein Zwiegespräch zu führen mit einer Katze<. Dreißig Jahre nach dieser resümierenden Bemerkung hat er auf die Frage nach seinem geheimsten Wunsch erneut geantwortet: >einmal ein Tier verstehen<.

P. S. Für die nah- und weitblickenden Denkweisen zum Zeitpunkt, als Christian Ludwig Attersee, nach den Wetter- und Wasserbildern, den Schönheitsuntersuchungen und Objekterfindungen, seine Atterseewelt zu malen begonnen und sich der aggressiv-oppositionelle Geist der Wiener 60er Jahre in verschiedenste Richtungen transformiert hat, liefert ein in Anmerkungen verborgener Satz Oswald Wieners (von dem auch der Text zur damaligen Ausstellung >Attersee schön wie seine Bilder< stammt) eine knappe Präzisierung: >ich wage gar nicht, mir den zustand der gesellschaft nach der unausbleiblichen verständigung von 'ost' und 'west' vorzustellen.<

 


Attersee: Ich schneide das Samenzickzack, 1981
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Quellen:

Gespräch mit Christian Ludwig Attersee, Wien, 3. Mai 1990

Christiane Agricola, Erhard Agricola: Wörter und Gegenwörter. Antonyme der deutschen Sprache. Leipzig 1987

Hannah Arendt: Hermann Broch. In: Menschen in finsteren Zeiten. (New York 1968), München 1989, (Seite 147)

Jean Baudrillard: Vom zeremoniellen zum geklonten Körper: Der Einbruch des Obszönen. In: Dietmar Kamper, Christoph Wulf (Hrsg.): Die Wiederkehr des Körpers. Frankfurt/M. 1982, (Seite 355, 356, 357, 362)

Marcel Detienne: Mythologie ohne Illusion. In: Claude Lévi-Strauss, Jean-Pierre Vernant, u.a.: Mythos ohne Illusion, Frankfurt/M. 1984, (Seite 15)

Mario Erdheim: Die Sucht und das Sehnen des Künstlers. Vortrag, Internationales Kunstgespräch der Galerie nächst St. Stephan, Wien, 31. März 1990

Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. In: Gesammelte Werke, Band XIV, London 1948, (Seite 433 f., 444)

Dietmar Kamper: Hieroglyphen der Zeit. Texte vom Fremdwerden der Welt. München-Wien 1988, (Seite 108, 109, 111)

Dietmar Kamper, Christoph Wulf (Hrsg.): Das Schicksal der Liebe. Berlin 1988

Claude Lévi-Strauss: Traurige Tropen. (Paris 1955), Köln-Berlin 1970, (Seite 161, 176, 366, 368)

Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken. (Paris 1962), Frankfurt/M. 1968 (Seite 125, 304)

Claude Lévi-Strauss, Didier Eribon: Das Nahe und das Ferne. Eine Autobiographie in Gesprächen. (Paris 1988), Frankfurt/M. 1989, (Seite 155, 171 f., 204, 224)

Platon: Das Gastmahl oder Von der Liebe. München 1989, (Seite 50)

Arnold Schönberg, Wassily Kandinsky: Briefe, Bilder und Dokumente einer außergewöhnlichen Begegnung. Salzburg und Wien 1980, (Brief vom 18. Jänner 1911, Seite 19)

Oswald Wiener: Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman. Reinbek bei Hamburg 1969, (Anmerkung 62, Seite CLXI)

 

 
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© Christian Reder 1990/2001