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www.ChristianReder.net: Publikationen: Unfaire Blicke auf das Ganze
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Unfaire Blicke auf das Ganze
Eine Art Zusammenfassung

in: Hochschule für angewandte Kunst in Wien (Hg.): Kunst - Anspruch und Gegenstand. Von der Kunstgewerbeschule zur Hochschule für angewandte Kunst in Wien 1918-1991
Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1991

Zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Hochschule für angewandte Kunst in Wien nach 1918

Weitere Beiträge von Wilhelm Holzbauer, Manfred Wagner, Otto Kapfinger, Matthias Boeckl, Gabriele Koller, Vera Vogelsberger u.a.

 

 

Was er denn bei seiner Berufung zum Direktor der berühmten Kunsthochschule eigentlich vorgefunden habe, hat sich einer gefragt, nachdem er wegen Unvereinbarkeit der Standpunkte fristlos entlassen worden war: Ein durch > beispiellose Reklame< geprägtes Haus, >dessen Leistungsfähigkeit von seinem Ruf um das Mehrfache übertroffen wurde< und das inzwischen für eine verdeckt wirkende Kamarilla zum >Objekt politischen Machtkollers, professoraler Eitelkeiten und ein ästhetisches Animierlokal< geworden sei. Solche harten Worte wählte ein Schweizer, Hannes Meyer. Gegenstand seiner Kritik war das Bauhaus, nichts Österreichisches also, was für die Zitierfähigkeit in diesem Zusammenhang eher günstig ist. Parallelen zur anspornendlatenten Problematik von Kunsthochschulen ergeben sich trotzdem. Denn auch dieser marxistische, soziale Effizienz und rationelle Sachlichkeit fordernde Bauhaus-Reformer (der den dort herrschenden >Formalismus< verhöhnte und dann lange, meist kollektiv und anonym, in der Sowjetunion und in Mexiko gearbeitet hat, ohne als Architekt noch besonders zur Kenntnis genommen zu werden), war der >tiefsten Überzeugung<, daß Kunst nicht lehrbar sei. Einzig möglicher Ansatzpunkt wäre die Arbeit in Werkstätten, um die sich der theoretische Unterricht in Form von Kursen und Gastvorträgen zu entwickeln habe. Nur sei dieser Weg eben nicht fortgesetzt worden, im Gegenteil. Unter Mies van der Rohe hätte es sofort wieder eine Einschränkung der Möglichkeiten gegeben. Mit der Rückkehr zur Lernschule, der Liquidierung des Einflusses der Studenten, mit der Aufgabe aller soziologischen Lehrfächer und Anschauungen in der Werkstattarbeit >erschienen wieder Nachkommen der exklusiven Gesellschaftsschichten und in den Werkstätten exklusive Möbel aus exklusivem Material; es tauchten die ersten organisierten Nazi (...) auf.<1

Dreißig Jahre davor hat Adolf Loos, der nie in einer Institution gelehrt hat, in bezug auf die Wiener Kunstgewerbeschule, die für ihn (und nicht nur ihn allein) >so eine art akademie zweiter güte< gewesen ist, aber der traditionsreichen Akademie der bildenden Künste wenigstens Konkurrenz machte und sie provozierte >aus dem stillstand aufzuwachen< Analoges gefordert: >Das dogma, an dem diese schule zugrunde gehen muß, ist die ansicht, daß unser kunsthandwerk von oben herab, von den ateliers aus reformiert werden soll. Revolutionen aber kommen immer von unten. Und dieses 'unten' ist die werkstatt.< 2 Akademismus, Historismus und Lebensferne sollten, darin treffen sich praktisch alle damaligen Erneuerungsbestrebungen, durch eine neue Wertschätzung für manuelles Tun, für eine vom Material ausgehende Professionalität, durch ein tätiges Lernen, durch eine breite Erziehungsarbeit überwunden werden, wenn auch der Tenor vorerst meistens antiindustriell, kunstgewerblich, esoterisch gewesen ist. Mit Reminiszenzen an einen Zunftgeist und Betonung individueller >Meisterschaft< sind handwerkliche Lehr- und Arbeitsmuster wiederbelebt worden. Auch wo schließlich weitergehende Vorstellungen über eine enge, gleichrangige Kooperation von Kunst, Technik, Wirtschaft prägend wurden, ist, durch Meister der Form und Meister des Handwerks, sprachlich an solche Traditionen angeknüpft worden, ohne daß - als Normalität - je die erhofften haltbaren Symbiosen und ein emanzipiertes, gegenseitiges Akzeptieren bestimmend geworden wären. Loos hat seinen Respekt vor Werkstätten, die so arbeiten sollten, als hätte ihnen noch nie ein Architekt >hineingepfuscht<, bekanntlich anders, auf seine zusehens polemischer werdende Unterscheidung von Kunst und Handwerk gegründet und auf eine kosmopolitische, von nüchternen Geschäftsleuten getragene Kultur, wie es sie in Amerika geben würde. Weder ein Kunsthandwerk noch eine angewandte Kunst ließ er gelten (>Im widerspruch zu allen meinen zeitgenossen<): >Erst wenn das große mißverständnis, daß die kunst etwas ist, was einem zwecke angepaßt werden kann, überwunden sein wird, erst wenn das lügnerische schlagwort 'angewandte Kunst' aus dem sprachschatz der völker verschwunden sein wird, erst dann ...< 2

Verschwunden und entstanden ist anderes. Trennungen (zwischen den Künsten, zur >angewandten< Kunst hin, zur >Nicht-Kunst<, zur Pop-Kultur, und überhaupt) haben sich keineswegs verfestigt, im Gegenteil. Zuordnungen bilden kaum noch Konfliktstoffe; sie werden ungefragt akzeptiert oder passieren irgendwie. Auf ihr Innenleben konzentrierte >Fachwelten< funktionieren - bestenfalls - als Zulieferbetriebe für Medien; Bedeutungen entstehen durch Kolportage. Alles läuft darauf hinaus, daß >keine Fronten mehr, sondern nur noch konkurrierende Angebote< existieren.3 Wertschätzungen für Vergangenes und Gegenwärtiges sind davon gleichermaßen ergriffen. Eine dicke, sich umfassend-populär gebende, aus den Blickwinkeln von Parisern verfaßte >Chronik der Kunst des 20. Jahrhunderts< (1990)4 zum Beispiel würdigt Klimt, Schiele, Kokoschka, Wotruba, Hundertwasser; weitere, Österreich betreffende Fakten zur bildenden Kunst liefern, auch wenn dieser Zusammenhang nicht immer deutlich wird, Erwähnungen von Otto Wagner, Richard Gerstl, Adolf Loos, Josef Hoffmann, Kolo Moser, Alfred Kubin, Raoul Hausmann, Herbert Bayer, Richard Neutra, Günter Brus, Otto Mühl, Oswald Wiener, Arnulf Rainer, Hans Hollein, Coop Himmelblau (Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky), Peter Weibel. In einer >Secret History of the 20th Century< (1989)5 wiederum, die von Kalifornien aus einer Gegenversion zum Offiziellen nachzuspüren sucht, finden sich auf Wien bezogen Sigmund Freud (>he's still a hit<), Karl Kraus (>the great Vienna critic<), Raoul Hausmann (the >Berlin dadaist<) und Adolf Hitler. Wegen solcher Zusammenstellungen, je nach Betroffenheit, verärgert oder beleidigt zu sein, wäre lächerlich; eher ist Heiterkeit angebracht, vielleicht sogar Genugtuung, denn daß vieles im Kontext mit diesem Land oder im Exil Entstandenes nicht mit ihm identifiziert wird, es anderswo, später, internationalisiert wieder auftaucht, schafft auch gewisse Freiheiten. Sorgen deswegen müßten sich primär staatliche Stellen. Deren Kulturpolitik aber ist diesbezüglich immer eigene Wege gegangen, ohne an der Stärkung öffentlicher und privater Strukturen (Zeitschriften, Verlage, elektronische Medien, Galerien, Institutionen, Auslandsprojekte, Copyright-Industrie, Kartellrecht), über die Kontinuität, Nachfrage, Wirkung entstehen, ein auffallenderes Interesse zu zeigen.

Die Kontinuität Österreichs, als Republik, liegt anderswo, im Weiterverwalten aus der Monarchie übernommener Institutionen, und damit sind angesichts der Katastrophen dieses Jahrhunderts be-ruhigende, gewisse Kräfte konzentrierende Funktionen erfüllt worden. Solche Einrichtungen haben sich als stabiler erwiesen, als der Staat selbst es über Jahrzehnte gewesen ist. Alles was manchmal >ehrwürdig< genannt wird, stammt aus jener früheren Epoche, die Oper, die Konzertsäle, die großen Theater, die Orchester, die Mu-seen, die Universitäten. Ad acta gelegt wurde kaum etwas, vor al-lem nichts, was mit einer Verwaltung der Künste zusammenhängt; neue, eigenständige Einrichtungen sind bloß sporadisch hinzuge-kommen. Erst in den letzten Jahren haben sich, weil ihre Verwendbarkeit zum Thema wurde, für visuelle, gestalterische Äußerungen weitläufigere Resonanzräume entwickeln können. Kunst traf also stets auf festgefügte, tendenziell abweisende, konservierende Strukturen, auf ein bürokratietrainiertes Umfeld. Oft genug sind Institutionen zu Rückzugsgebieten geworden. Interessantes ist fast durchwegs irgendwo, im Niemandsland dazwischen entstanden. Kraftfelder haben sich aus einem Eindringen her ergeben und wieder verflüchtigt. Die vage, daraus resultierende Konstellation ist oft als Stärke ausgegeben worden, vielleicht, weil es für ein Bremsen und Umleiten sensibel-seismographischer oder auch kraftvoller Entwicklungen sonst keine Argumente gäbe. Inzwischen geht zwar scheinbar alles, und noch dazu viel animierter; die generelle Zähigkeit, Klebrigkeit der Zustände hat aber bloß den Tonfall geändert; er ist unbekümmerter geworden, beliebig, freundlich, unverfroren. Der Konsens darüber, daß die Klassengesellschaft ihre Unterteilungen nicht mehr ernst zu nehmen braucht, wirkt erleichternd. Alles unmittelbar Anstehende ist entscheidungs- und perspektivelos präsent - die Zweidrittelgesellschaft, der Treibhauseffekt, die Nord-Süd-Polarisierung. Vom 19. Jahrhundert blieb und wurde vieles Realität, inklusive der mit ihm beginnenden >Verhäßlichung der Welt< (Rudolf Burger).6 Nicht experimentelle Ungebundenheit, nicht die Arbeit an Gegenbildern, sondern >die tragische Ambivalenz des Leidens unter günstigen Verhältnissen ist die ästhetische Grundfigur der politischen Unschlüssigkeit, die sie illuminiert< - so ein markantes Resümee zur Situation, in der jede politische Alternative zur westlich ausgeformten Demokratie unvorstellbar geworden ist. >Daß sich Probleme nicht lösen lassen, sondern nur ausgedrückt, erörtert und ertragen werden können, ist die ständig wiederholte Botschaft<, sie prägt >die Kultur einer Gesellschaft, die auf entscheidungsloses Fortschreiben ihrer Krisenzustände angewiesen ist<, auf jene Konflikte, >die sie unterhalb ihres Lebensniveaus und jenseits ihrer Grenzen in Gang hält, um fortzubestehen< (Otto Karl Werckmeister, 1989).7

Auf eine institutionelle Ebene bezogen sind es dennoch bloß mit Ereignissen verknüpfte Zufälle, daß im Gründungsjahr der jetzigen Hochschule für angewandte Kunst (1867) der erste Band des >Kapital< erschienen ist und der vorliegende zweite Teil ihrer Geschichte 1990/91 endet, mit einer Zäsur also, in der global vorgeführt wird, wie erfolgreich die Marktwirtschaft sich ihrer Mitbewerber entledigt. Parallelen zwischen Gründungsintentionen und jetzigen Erfordernissen brauchen deswegen nicht überstrapaziert zu werden, als Überfrachtung mit nicht leistbaren Aufgaben. Im Zeitraffer wird aber doch deutlich, wie eine offensivere Arbeit am Thema >Strukturen und Inhalte< (inkl. Personen, Konzepte, Arbeitsbedingungen, Budgets, Gebäude, Organisation) phasenweise Neuorientierungen bestärken konnte und sollte. Daß in den letzten Jahren neue Medien, Ökonomie, Philosophie und viele interdisziplinäre Ansätze verankert werden konnten, sind Zeichen dafür. Begonnen hatte es wesentlich enger. Nur hat die Wiener Kunstgewerbeschule, als eine der von der Republik übernommenen Institutionen, das Glück gehabt, bereits einen ziemlich prägenden - und daher Konservierungstendenzen einschließenden - Modernisierungsschub hinter sich zu haben. Ihre Tradition ist 1918 gerade fünfzig Jahre alt gewesen, inklusive einer Phase, in der sie weithin ausstrahlendes Zentrum einer als jugendlich verstandenen Ästhetik gewesen ist. Aufgearbeitet wurde das alles im ersten Band der nunmehr komplettierten, bis zur Gegenwart geführten Geschichtsdarstellung (Gottfried Fliedl: Kunst und Lehre am Beginn der Moderne. Die Wiener Kunstgewerbeschule 1867 - 1918, Residenz Verlag, 1986). Daß Defizite der Industrialisierung, eine Aufwertung künstlerischer und (kunst-) gewerblicher Intentionen und Sorgen um die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft zur Gründung der Schule motiviert hatten, ist als latenter - später immer wieder neu gewichteter, abgelehnter, untergrabener - Anspruch aktuell geblieben. Kontext dafür war einerseits das Bildungswesen, ist doch dem >alten< Österreich im internationalen Vergleich stets >ein hervorragendes Schul- und Universitätssystem< konstatiert worden (etwa von William M. Johnston),8 andererseits ein, verzögert und vorübergehend auch in Österreich an Einfluß gewinnender Liberalismus.

Die Grundideen waren pädagogische, das Sammeln und Verbreiten von Zitier- und Kopierfähigem. Ein Bürgertum ohne selbstverständliche Traditionen brauchte historischen Anleihen, um im respektvollen Umgang mit allseits akzeptierten Vorbildern an Sicherheit zu gewinnen, um sich in seinem, als Krönung der Geschichte verstandenen Anspruch zu bestätigen. Ein eigenes Museum - für Kunst und Industrie - dafür zu gründen und bald darauf eine diesem angeschlossene Kunstgewerbeschule, ist die folgerichtige Konsequenz daraus gewesen. Auszuwählen, nachzuahmen, verfügbar zu haben, wurde zum kommerzialisierbaren Ausdruck mehr oder minder eingestandener Forderungen nach Sicherheit, nach einem Ende der Geschichte, nach Zeitgewinn, nach einer Pause, nach Musealisierung. Veränderung hieß Gefährdung des neu gewonnenen Status'. Damit verwoben hat sich Weiterführendes angekündigt, formiert, durch Erforschung des Überlieferten, durch Aggression ihm gegenüber, durch die Ironie des Zitats, in mehr oder minder fortwirkenden Formen des ästhetischen Exils. Daß die Kräfte der Mechanisierung (einschließlich der Ingenieurkonstruktionen) nur defensiv begriffen worden sind, das Handwerk seinen Ruf noch längere Zeit behaupten konnte, obwohl es, >künstlerisch< bevormundetet, weiter unterminiert wurde, daß Leichtlebigkeit als Charaktereigenschaft herhalten mußte, ließ Wien zu einem, allem >Amerikanischen< fernstehenden, von fern gesehen rührenden Sinnbild werden, das mit der Warenwelt wenig zu tun hat. Als innere Harmonisierungsstrategie hat vieles davon durchaus Wirkung gezeigt, >reaktionär<, im Sinn der Blockade von Möglichkeiten; >soziologisch< vor allem durch die Erzeugung des Kleinbürgers und seiner Attribute. Er, der Kleinbürger, ist - im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Sinn - das große Geschäft des 20. Jahrhunderts geworden. Der österreichische Beitrag dazu hat Gewicht behalten; analytisch, durch Spitzenleistungen therapeutischer und nihilistischer Forschung, stabilisierend, durch ein borniertes, exportfähiges Klima, in dem alles an Komplizenschaft und einen Gleichklang der Meinungen gebunden ist. Seit Generationen wird es melancholisch oder aggressiv beschrieben; Genügsamkeit schimmert durch, angeblich Musisch-Spielerisches; >mehr Liberalität< und eine >andere<, urbane Bürgerlichkeit, der intelligente Investitionen nichts Fremdes sind, das wäre schon etwas - als regionale Utopie (passend zum Europa der Regionen). Apropos Liberalismus: Seinen diesbezüglichen Lexikon-Aufsatz leitet Ralf Dahrendorf mit den schlichten Worten ein: >Anarchie ist schön, aber unpraktisch.<9 In diversen Umkehrungen hat er mit Kunsthochschulen einiges zu tun.

Begonnen hat es mit einem neuen Blick auf die Welt, auf die Welt als Markt, kamen doch die Impulse ausdrücklich von den ersten Weltausstellungen (London 1851 und vor allem 1862, Paris 1855). Zur Industrie- und Kolonialpolitik der anderen Mächte mußten Kompensationsmöglichkeiten gesucht werden. Dennoch verlief die Industrialisierung um vieles langsamer als anderswo in Mittel- und Westeuropa, blieben agrarisch-gewerbliche Strukturen dominant (Binnenlage, geringere Städtebildung, hoher Selbstversorgungs-grad, niedrige Kaufkraft, kleinteilige Handelsstruktur, beschränk-ter Kapitalmarkt etc.). Das wirtschaftliche Kräfteverhältnis, ge-messen an der Belieferung des Weltmarktes mit Industrieerzeug-nissen, zeigt noch um die Jahrhundertwende deutlich, welche >Hierarchie< tatsächlich geherrscht hat (Großbritannien 30 %, Deutsches Reich 18 %, Frankreich 13 %, Österreich-Ungarn 5 %).10 Vom ersten sind begehrlich Impulse aufgenommen worden, bis der Nationalismus den zweiten in dieser Rangreihe zum Haupt-partner gemacht hat. Aber auch in London hat es eine Gegenseitig-keit solcher Konkurrenzängste gegeben. Das Royal College of Art (1837 als der Handelskammer unterstellte School of Design ge-gründet) sollte von Anfang an Wettbewerbsnachteilen vorbeugen, denn einer Kommission war klar geworden, >that Britain's more successful economic competitors in Prussia, Bavaria and France had invested deliberately in the education and training of designers.<11 Schon um die Jahrhundertmitte fand sich diese Schule mit kontroversen, später überall wieder auflebenden Vorwürfen konfrontiert: >From some quarters it was said not to be following the true principles of fine art, and from others it was claimed that its work had little relevance for industry and commerce.<11 Einen Boom an Gründungen hat es dennoch gegeben. Um die Jahrhundertwende wurden - mit Wien als interessantem, durchaus zentralem Punkt - die Resultate sichtbar und die Konjunktur für Kunsthochschulen und Künstlervereinigungn setzte sich fort, als Begleiterscheinung der zerbrechenden politischen Situation, des Krieges und der trostlos gewordenen Wirtschaftslage (Berlin, Breslau, Dresden, Darmstadt, Weimar, Dessau; Moskau, Witebsk etc.). Daß im wiederbelebten, nun verblassenden Jugendstiltaumel der Blick kaum darauf gerichtet wurde, was damals sonst noch alles in der Kunst und punkto Gestaltung passiert ist, (Frankreich, Italien, Rußland, Deutschland, Schweiz, Holland, Belgien ...), bekräftigt nur, wie selbstgenügsam weiterhin mit Geschichte umgegangen wird.

Inwieweit eine organisierte künstlerische Ausbildung Wirkung gezeigt hat und zeigt, ist - vielleicht wegen der Hektik des Geschehens - kaum zum Gegenstand angewandter Forschungen geworden. Vergleichende Analysen, eine dezidierte, internationale Bezüge be-rücksichtigende Selbsterforschung und eine aktualisierte Modellentwicklung haben keinen greifbaren Stellenwert erhalten. Nur sporadisch bilden sich Geflechte aus hinreichend überzeugenden Fragmenten. Auch die bislang geschriebene Kunstgeschichte der Moderne hat auf edukativer Ebene wenig beigetragen, außer einer durchgehenden Überbetonung des Bauhauses, für das >die Idee< und die dort versammelten Berühmtheiten zum Synonym wurden. Andere Kunstschulen läßt das als anonym-mysteriöse Organisationen erscheinen, die - wenn überhaupt - von ihrer Geschichte, ihrem Status, von einzelnen Personen, vom akuten Image (und manchmal von Sponsoren) leben. Das liegt selbstverständlich auch an ihnen, am abzuwehrenden Andrang und an der Skepsis, an der Bürokratie, die üblicherweise intern herrschen. Dabei könnte die plausible Distanz, die praktisch alle Beteiligten der Kunstausbildung gegenüber einnehmen, als die eigentliche Chance begriffen werden, und sie wird es auch, punktuell, sehr personenorientiert, im Sinn filigraner Prozesse, in denen sich Ursache und Wirkung, Lehren und Lernen, Theorie und Praxis, Aufwand und Ergebnis, Pro und Kontra einer Effizienzbetrachtung eher entziehen, weil der individuelle Werdegang in künstlerischen Bereichen eben ein Experiment schlechthin ist, mit höchst ungewissem Ausgang.

Daß diese Ungewißheit die Investitionsneigung von Staat und Wirtschaft, die >Strukturen< betreffend, weiterhin in Grenzen hält, ist die Kehrseite davon. Spürbar wird, für wie teuer eine künstlerische Ausbildung, gerade in ihren noch nicht industrialisierten Formen, angesehen wird, wo sie doch im Zweifel bloß Startchancen verbessern kann und sich vage als Infiltration der Gesellschaft mit künstlerischen Gesichtspunkten auswirkt. Mit in gewissem Sinn bestechender Konsequenz gilt das Interesse immer mehr dem Ende des gesamten Verfahrens - den Museen. Diesen Weg andersherum zu beginnen, also in vorgelagerten Phasen für ein anregendes, veränderungsbereites Klima Impulse zu setzen - auf die Produktion von Kunst und Wissenschaft, von Gestaltungsleistungen, von Forschung selbst bezogen - paßt nicht so ohne weiteres ins System des allgemeinen Börsenspiels. Ein, zwei Milliarden für ein Museum sind zuletzt politisch ohne weiteres (und fast überall) diskutabel gewesen, für eine modellhafte Kunsthochschule zum Beispiel, mit großzügigen Werkstatt- und Laborbereichen oder für die Evaluierung künstlerischer Arbeits- und Nachfragesituationen bleiben solche Einsätze jenseits des Denkbaren. Das damit zusammenhängende Do-it-yourself-Konzept, als Ausdruck der allgemeinen Linie (Sich-Durchsetzen, Tüchtigkeit, Deregulierung, Entstaatlichung, Wettbewerb), tendiert wieder deutlich zur Heroisierung und Verklärung des >großen<, jedenfalls aber bekannten Individuums. Im Idealfall, vor allem aber als Künstler, hat es Autodidakt zu sein, weil es so niemandem etwas schuldet, weil es - insgesamt - so preiswert ist. Nervöse Energien werden gebunden, auf Nebenschauplätze abgelenkt. Wie wenig einer andere braucht, soll vorführbar sein. Bei Markenzeichen ist der Werdegang uninteressant, es sei denn als >Karriere<. Künstlerische Autorität, und um die geht es schließlich, wirkt, weil sie auf Alleingänge angewiesen ist, auch bei störrischem Verhalten als Stabilisierung solcher Vorgänge. Der Kunstbetrieb für sich ist dabei gar nicht der Punkt; daß Dekoration und handhabbare Transzendenz zum Thema wurden, hat sich sozusagen insgesamt ergeben. >Ich habe dort und dort, bei dem und dem studiert< paßt daher längst nicht mehr in selbstbewußte Künstlerbiographien, es sei denn, ein Name-Droping erweist sich eine zeitlang als nützlich. Wie - trotz allem - künstlerische Haltungen, selbst wenn sie letztlich nicht greifen, nichts >bewirken<, für sich stehen, sie in anderen schließlich ausgeübten Berufen mitschwingen, durch Ausbildungsangebote bestärkt werden, ist angesichts der sich angeblich formierenden >Kulturgesellschaft< eine sonderbar marginalisierte Frage. Interessant an ihr ist, daß es um den permanenten Versuch geht, um Unbestimmbares, um Sehweisen, um Einzelkontakte, um Gruppensituationen, um >freie<, bereichernde Arbeitssituationen, um ein Klima. Die Rolle von Kunsthochschulen ist also - selbst wenn sie sehr fruchtbar agieren - eine undankbare. Aber gerade weil sie, auch wegen des Universalismus ihrer Themenfelder, noch uferloser als andere hohe Schulen in diverse Unmöglichkeiten verstrickt sind, müßten sich daraus immer wieder Stärken ergeben - naiv formuliert sogar unschlagbare, weil inhaltlich unbegrenzte Stärken. Wenn nämlich in einer Institution thematisch sonst kaum vorhandene Freiheiten bestehen, aber streng genommen nichteinmal ihre Notwendigkeit außer Streit steht, wenn der Beweisnotstand ein permanenter ist, aber ständig Überzeugendes vorgewiesen werden kann, wenn reglementierte Berufsausbildung und spartenübergreifende, völlig offene Tätigkeitsfelder nebeneinander zum Zug kommen, wenn sich Selbstmitleid und Narzißmus erotisierend verbünden, ziemlich dauerhaft sogar, wenn Marktferne und Marktnähe über gemeinsame Erprobungszonen verfügen, wenn Boheme-Reste, Formen gebremster Professionalität und Verwaltungsärger zu Handlungsmustern verschmelzen ..., dann sind realistische Grundbedingungen einer Laborsituation durchaus gegeben. Alles andere müßte sich aus personell attraktiven, hinreichend organisierten und ausgestatteten Arbeitskonstellationen entwickeln. Offenbar liegt es am ziemlich passiven Umfeld, aber auch an einem motivierenden Maximalismus, wenn sich die Klagen über die Kunstausbildung so stereotyp wiederholen. Letzterer ist immerhin zugute zu halten, daß sie sich weit radikaler verändert und erweitert hat, als die Kritik an ihr.

Rund um 1990 stellt sich die Hochschule für angewandte Kunst über ihre künstlerisch wirkenden Professoren nämlich durchaus eindrucksvoll dar: Oswald Oberhuber und Peter Weibel, Adolf Frohner, Attersee (in der Nachfolge Maria Lassnigs), Wolfgang Hutter, Wander Bertoni, Alfred Hrdlicka, Herbert Tasquil, Bernhard Leitner, Ernst W. Beranek (nach Wilhelm Cermak), Roy Ascott, Hubert Dietrich; für Architektur Wilhelm Holzbauer, Hans Hollein, Wolf D. Prix (COOP Himmelblau, in der Nachfolge von Johannes Spalt); im Designbereich Paolo Piva (nach Boris Podrecca, Hermann Czech und Alessandro Mendini), Carl Auböck, Matteo Thun; Axel Manthey für Bühnengestaltung, im textilen Bereich Sepp Moosmann und Beverly Piersol-Spurey, für Mode Vivienne Westwood (nach Karl Lagerfeld, Jil Sander, Jean-Charles de Castelbajac), für Grafik Tino Erben, Walter Lürzer und Mario Terzic (nach Ernst Caramelle). Theoretische bzw. technische Bereiche werden von Friedrich Achleitner, Peter Gorsen, Manfred Wagner, Rudolf Burger, Christian Reder sowie von Alfred Vendl, Günter Zeman, Ernst Mateovics, Erich Frisch und Robert Krapfenbauer abgedeckt. Die Auffächerung des Ausbildungsspektrums wird durch die zehn angebotenenen Studienrichtungen deutlich: Architektur, Malerei und Grafik, Bildhauerei, Industrial Design, Produktgestaltung, Mode (die in Österreich einzige Möglichkeit auf Hochschulebene), Bühnengestaltung, visuelle Mediengestaltung, Restaurierung und Konservierung, Kunsterziehung, (sowie in Vorbereitung: Fotografie). Abschluß ist der Magister artis; auch ein Doktoratsstudium ist möglich. Zur kompakteren internen Willensbildung ist die Hochschule in fünf Abteilungen gegliedert (Architektur, Plastische Gestaltung und Design, Visuelle Kommunikation, Bildende Kunst, Kunstpädagogik); als abteilungsunabhängige Einrichtungen verfügt sie über das Institut für Museologie und Zentralwerkstätten für Grafik, Holz, Metall, Fotografie und Textil. Organisationsprinzip ist die Gliederung in Meisterklassen, die jedem Studenten die Verankerung in einer Gruppensituation bieten, sowie die Existenz übergreifender Lehrkanzeln, Institute und Zentralwerkstätten.12 Das 1877 bezogene Hauptgebäude Heinrich von Ferstels am Stubenring liegt mitten in der Stadt; 1960-65 ist es um einen, von Eugen Wörle und Karl Schwanzer entworfenen >ostentativen Nutzbau< erweitert worden.13 Exposituren am Salzgries und im Prater, sowie das Fehlen adäquater Veranstaltungsräume sind Ausdruck einer weiterhin gegebenen Raumnot, die Werkstatt/Atelier/Labor-Konzepten enge Grenzen setzt.

Zur Zeit, 125 Jahre nach ihrer Gründung, ist die Hochschule für angewandte Kunst Teil eines Universitätssystems, das nach dem Reformschub der 1970er Jahre vor weiteren gravierenden Strukturveränderungen steht, die generell auf eine Ausgestaltung als leistungsfähige >Großbetriebe für Lehre, Forschung und wissenschaftliche Dienstleistungen<14 abzielen. Zwölf Universitäten und sechs Hochschulen künstlerischer Richtung liefern in Österreich ein universitäres Angebot für derzeit knapp 200.000 Studenten, eine Zahl, die nach starken Wachstumsphasen laut offizieller Prognosen nun eher stagnieren wird, womit sich für Konsolidierung und Intensivierung Chancen eröffnen. Unter den künstlerischen Hochschulen hat >traditionsgemäß< die Musik ein dominantes Gewicht; an den drei Hochschulen für Musik und darstellende Kunst (in Wien, Salzburg und Graz) studieren derzeit rund 5.000 ordentliche Hörer. An der Akademie der bildenden Künste in Wien können 500 Studenten studieren, an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz ebenfalls 500 und an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien etwas über 1.000. Rund die Hälfte der jährlich insgesamt 800 Kunsthochschulabsolventen sind Frauen, ein Drittel kommt aus dem Ausland. Als gesellschaftliche Kennziffer ist es von einer gewissen Signifikanz, daß sich also etwa ein Prozent der in Österreich Studierenden den bildenden Künsten im weiteren Sinn widmt (inkl. der Kunsterzieher und abgesehen vom Kunstgeschichtestudium oder dem der Architektur an Technischen Universitäten).14 Daß weit mehr Interesse an den bildenden Künsten besteht, es aber an der Akademie und den beiden Hochschulen durch Aufnahmsprüfungen in Grenzen gehalten werden muß - die auch, und oft dramatisch, von Personalstand und Raumsituation diktiert sind - wirft ständig die Frage auf, wie die Bedingungen für erkennbare Talente sind und wieviel künstlerisch Ausgebildete/Motivierte sich eine Gesellschaft leistet und zumutet. >Verkraften< (auch ökonomisch) müßte sie an künstlerischer Einstellung, Bildung, Aktivität um einiges mehr. Auch ohne zu quantitative Betrachtungsweise ist nämlich offensichtlich, daß gemessen an den in zwanzig Jahren steil angestiegenen Gesamtstudentenzahlen der Anteil an künstlerischer Ausbildung eher an Terrain verloren hat. Wegen des einen Prozents darüber eine Elitediskussion zu führen, wäre angesichts der Arbeits- und Anerkennungsaussichten genauso verfehlt, wie es die Furcht vor einem destabilisierenden Einfluß angeblich >funktionsloser Bildungseliten< ist. Sind doch die Studienmotive längst so komplex, daß Einkommens- und Karriereerwartungen nur bei einem Teil der Studierenden im Vordergrund stehen. Bemerkbar, im Kunstgeschehen, in der Produktivität, im Interesse, in der Rezeption, wurde dennoch sehr wohl, daß sich allein an der Hochschule für angewandte Kunst die bis 1970 kontinuierlich zwischen 300 und 500 pendelnden Studentenzahlen seither fast verdreifachen konnten. Mitte der 80er Jahre ist die 1000er Grenze überschritten worden, interessanter Weise zum selben Zeitpunkt, als in Österreich insgesamt erstmals mehr Frauen ein Studium aufgenommen haben als Männer, also auf mehreren Ebenen eine >Modernisierung< wirksam wurde.

1918/19 hatte die Hochschule 300 Studenten (davon 55 % Frauen) und 30 Absolventen. Der Übergang von Monarchie zur Republik ist inhaltlich und personell bruchlos vollzogen worden. Seit 1900 waren Museum und Schule getrennt. Alfred Roller (Mitglied und 1901 Präsident der Secession, längere Zeit Leiter des Ausstattungswesens der Wiener Oper, Mitbegründer der Salzburger Festspiele und des Österreichischen Werkbundes) ist von 1909 bis 1934 Direktor gewesen. 18 Professoren (heute etwa doppelt soviel) prägten den Unterricht, die Haltung der Schule und ihre Außenwirkung, darunter markante Namen wie Josef Hoffmann (von 1899 - 1937 an der Schule tätig), Heinrich Tessenow (1913 - 1919) und Oskar Strnad (1909 - 1935) für Architektur, Kolo Moser (1899 bis zu seinem Tod im Oktober 1918) und Bertold Löffler (1905 - 1935) für Malerei, Anton Hanak (1913 - 1932), Arthur Strasser (1899 - 1919) für Bildhauerei, Michael Powolny (1909 - 1936) für Keramik, Franz Cizek (1904 - 1939) mit seinem Sonderkurs für Jugendkunst, Eduard Wimmer-Wisgrill (1912/13, 1918/21 und 1925 - 1955) für Mode und Textilarbeiten oder Rudolf von Larisch (1901 - 1933) für Schrift und Heraldik. Die seit 1918 zu verzeichnenden Entwicklungen sind in den einzelnen Fachbeiträgen der vorliegenden Geschichtsdarstellung aufgearbeitet worden (strukturelle Veränderungen insbesonders von Manfred Wagner); diese Übersicht konzentriert sich daher auf knappe, die Schule insgesamt und ihre Situation betreffende Charakterisierungen, inklusive in Andeutungen zwangsläufig mitschwingender Klischees, die Fragen nach Gewißheit andersherum stellen.

Josef Hoffmann z. B. ist über Jahrzehnte hinweg eine prototypische, ein bestimmtes Wien-Bild und die Schule prägende Figur gewesen. Mit >Alles ist Kunstgewerbe< umreißen die Autoren des Architekturkapitels pointiert sein gesamtes Schaffen; >nur wo ein 'Übergreifen' herrsche, sei Leben<. In den 20er Jahren, zugleich der Höhepunkt seiner internationalen Reputation, hat er zur Geltung der Schule, etwa durch ihre - einschließlich radikaler Ablehnung - vielbeachtete Beteiligung an der Pariser Kunstgewerbeschau (1925) maßgeblich beigetragen. Die Wiener Werkstätte (1903 - 1932) ist als künstlerische, von ihm mitbegründete Arbeitsgemeinschaft der Versuch einer modellhaften Brücke zwischen Lehrtätigkeit, Ausbildung und konkreten Gestaltungsaufgaben gewesen. 3/4 ihrer Mitarbeiter waren Studenten und Professoren der Schule. Ähnlich prägende personelle Kontinuitäten gab es durch Alfred Roller, Oskar Strnad, Anton Hanak, Eduard Wimmer-Wisgrill (bis in die 50er Jahre), Rudolf von Larisch, Franz Cizek. Letzterer ist in Wien.eher ein Geheimtyp geblieben, trotz der beträchtlichen internationalen Akzeptanz seiner Methoden für den Elementarunterricht, die >als ganz neue Prinzipien< über Johannes Itten - der während seiner Wiener Jahre offenbar nicht für die Schule gewonnen werden konnte - auch zu einer Grundlage des Bauhauses geworden waren.15 Daß Anton Hanak wiederum, Lehrer Fritz Wotrubas wie auch (später an der Akademie) des NS-Staatskünstlers Josef Thorak, in Wien ganz allgemein und für die Sozialdemokratie im besonderen >als moderner Künstler< gegolten hat (Gabriele Koller), ist ein durchaus bezeichnender Aspekt für die Reserviertheit und Trägheit des Klimas geblieben. Nicht attraktiv genug ist es, auf ihrem Weg von Ungarn nach Weimar, offenbar auch für Moholy-Nagy und Marcel Breuer gewesen; den aus Oberösterreich stammenden Herbert Bayer hat es übrigens ebenfalls dorthin gezogen. Daß Heinrich Tessenow, der 1919 nach Deutschland zurückging, nicht zum Bleiben motivierbar war, als >missing link<, >das vom elitären, dekadenten Glanz der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt zu den elementaren Fragen der Siedlungs- und Wohnungspolitik im republikanischen, 'roten' Wien überleiten konnte< (Kapfinger/Boeckl), bekräftigt das Bild von einer politisch aufbrechenden, künstlerisch-kulturell aber weiterhin höchst spezifischen, verbalradikalen und spießigen, mit Identitätskrisen beschäftigten Situation. Budapest, München, in etwas anderer Weise Berlin, erlebten über ihre Räterepublik-Phasen diesbezüglich viel stärkere Gefährdungen konventioneller Muster; im >neuen< Wien hat die Rechts-Links-Polarisierung rascher etwas >geordnetere< Bahnen gefunden. Von der Potenz als anziehende ehemalige Metropole, in der exemplarische Konflikte um eine >auf die Welt der Sachen angewandte Ethik< (Alfred Polgar) vorangetrieben wurden und wo bei kaum einem der Protagonisten klar war, ob er der Kunst oder der Wissenschaft näher stand, ob er eher als >Physiker oder Philosoph, Analytiker der Seele oder Literat, Historiker oder Gesellschaftstheoretiker< agierte,16 konnte die Stadt noch bis in die 30er Jahre zehren, über herausragende wissenschaftliche Leistungen, >Grenzüberschreitungen< verschiedenster Art, über neue Aktivitätsfelder, wie die basisdemokratische Wiener Siedlerbewegung, die Gemeindebauten, das beispielhafte Sozialwesen, die Arbeiterkultur. Durch einzelne personelle Querverbindungen ist die Kunstgewerbeschule dafür durchaus ein prägender Boden gewesen. Diesbezüglich zu nennen sind vor allem Oskar Strnad (gest. 1935) und Josef Frank (der, gerade als er >zur wichtigsten Figur der progressiven heimischen Architekturszene< aufgestiegen war, 1934 nach Schweden emigrierte), der erst später stärker eingebundene Franz Schuster oder Studentinnen wie Margarete Lihotzky. Gründe, zu internationalen Tendenzen auf Distanz zu bleiben - Bauhaus, Corbusier, De Stijl - hat es auch dabei genug gegeben. Daß von den 26 österreichischen Architekten der Werkbundsiedlung 7 als Hochschullehrer und 8 als Absolventen unmittelbar aus dem Dunstkreis der Kunstgewerbeschule hervorgegangen sind, >belegt den hohen Wirkungsgrad der Institution< (Manfred Wagner). Anderes, in solchem Kontext Entstandenes, wie die Wiener Methode der Bildstatistik und Bildpädagogik Otto Neuraths, mit ihrem später im Exil über Holland und England verlaufendem weltweitem Einfluß, ist ohne Zusammenhang mit ihr vor sich gegangen. Nichts mit ihr zu tun hatte auch Karl Ehn, Erbauer des Karl-Marx-Hofes und Beamter der Stadt Wien. Daß er zuerst Sozialist, dann Vaterländisch, dann Nazi gewesen ist, und auch nach deren Niederlage weiter das Baugeschehen beeinflußte, nach der Niederlage, die paradoxer Weise erst >die Entfaltung der nationalsozialistischen Architektur< ermöglichte,17 faßt für die Zeit - nicht einer >Tragik<, sondern der Kettenreaktionen des Versagens wegens - vieles zusammen. Solche Abfolgen sind in Wien allerdings auch auf andere Weise systemkonform gedeutet worden: Die vielzitierte >verpaßte Chance< nach dem >Zusammenbruch< hätte es nie gegeben, denn >der Wiederaufbau nach dem Krieg auf der Basis freier Marktwirtschaft hatte durchaus keine anderen gesetzlichen Möglichkeiten.<18 Josef Frank ist, in seinen Reaktionen darauf, nicht nur des >Scandinavian Styles< wegen, später >wiederentdeckt< worden, sondern vor allem durch seine Forderung, daß >wir unsere Umgebung so gestalten sollen, als wäre sie durch Zufall entstanden.< 19

Daß in der Zwischenkriegszeit Lehrer wie Eugen Steinhof, >kosmopolitisch und reformpolitisch engagiert<, der 1931 in die USA ging, auf eine zurückhaltende Weise als wichtige Kristallisationspunkte gewirkt haben, ähnlich wie in der 2. Republik Eduard Bäumer, Franz Herberth, Fritz Weber oder Herbert Tasquil, ist nicht bloß eine Vervollständigung des Bildes, sondern tragendes Element. Für eine >liberale Moderne< ist die Schule jedenfalls bis in die 30er Jahre trotz der zunehmend intensiver verordnenden politischen Einengungen eine vieles abwehrende Plattform gewesen. An Konsequenzen hat es nicht gefehlt: >Die Nazifizierung der Kunstgewerbeschule in Wien verlief viel gründlicher als jene der Akademie. Die Schule galt als anfällig für 'internationale Verfallstendenzen', ihre Kunstauffassung und Berufungspolitik waren ungleich offener als die der Akademie< (Jan Tabor). 20 Ein beträchtlicher Teil der Studenten mußte 1938 die Schule verlassen. Der Direktor, Max Fellerer, der >in der Literatur und von Zeitzeugen als weltoffener, liberaler, kultivierter, konfessionell ungebundener Mann< beschrieben wird (und die Schule wieder von 1945 - 1955 leitete) wurde abgesetzt. Eine Reihe anderer Mitglieder des Lehrkörpers verloren, zumindest bis Kriegsende, ihre Stellung (Ceno Kosak, der diesem als Präsident schließlich 1955 - 1971 nachfolgte und Theodor Georgii, beide exponierte Vertreter der >Vaterländischen Front<; Albert Paris Gütersloh, Wilhelm Müller-Hofmann, Hilde Schmid-Jesser, Hans Vetter wegen verschieden begründeter >politischer Unzuverlässigkeit<, Marianne Zels als Jüdin; 1939 wurden Franz Herberth, Erna Kopriva und Otto Prutscher aus politischen Gründen pensioniert). Daß etwa Josef Wimmer - Wisgrill trotz >schärfstem Gegensatz< zur >NS-Lebensauffassung< weiter im Bereich Mode tätig sein konnte, deutet Möglichkeiten gerade noch akzeptierter >Oppositionsformen< an. Die anderen namhaften, den Ruf der Schule prägenden Professoren - Oswald Haerdtl, Franz Schuster, Otto Niedermoser - waren, mehr oder minder zwangsläufig, in die, nunmehr noch radikaler und eindimensionaler politisierten Positions- und Auftragssicherungsmechanismen verstrickt. 21 Josef Hoffmann, als Professor im Ruhestand, hat sich sogar ziemlich intensiv auf sie eingelassen (etwa als >Sonderbeauftragter für das deutsche Kunsthandwerk<).22 Daß für die Schulleitung allerdings nur der bis 1961 am Hause tätige Keramiker Robert Obsieger in Frage kam, könnte als Mangel an politisch bereitwilligen, profilierteren Kandidaten gewertet werden.. Einzig in der Schulgeschichte nachwirkendes Ereignis ist - neben personellen Kontinuitäten und der Passivität im Exil gebliebenen Künstlern und einer >Wiedergutmachung< gegenüber - die >Erhebung< zur Reichshochschule für angewandte Kunst (1941) geblieben.

>Österreichisches< jedenfalls, wie es im Ständestaat kulturpolitisch gefordert worden war - künstlerisch unterstützt von Clemens Holzmeister (als Akademierektor und Staatsrat für Kunst) oder von Gütersloh - hat in seinen groteskengen Ausformulierungen auch nach dem Krieg wieder als Identitätsprogramm herhalten müssen. Man glaubte es >einerseits im katholisch-habsburgischen, deutsch-abendländischen Geist, andererseits in der Fähigkeit des Österreichers zur Nivellierung von Rationalität und Irrationalität, von Aktivität und Passivität und weiters im vermeintlichen 'organischen Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft, das Extreme vermeidet', erkennen zu können. In der künstlerischen Erziehung werde jedoch - auf den Grundlagen der christlichen Werte - durch die Ablehnung 'aller Ismen, alles Kosmopolitischen und Internationalen', aller Polemik und Negativität, ein harmonisches Kunstschaffen entstehen, woraus sich eine 'wahrhaft soziale Gesinnung' entwickeln sollte.<23 Vermengt mit den Nachwirkungen großdeutscher Bewußtseinsbildung ist daraus nach 1945 ein desperater, langwieriger, von Geschichtsfälschungen lebender Neuformierungsprozeß geworden, ein nationalstaatliches, alle multikulturellen Traditionen negierendes Nachholverfahren; erst seit den 70er Jahren ist, Hand in Hand mit wirtschaftlicher Prosperität, der Anteil der sich nicht als eigene Nation verstehenden Österreicher deutlich gesunken (1956 47 Prozent, 1990 offenbar nur noch 5 Prozent). 24

Auf die nunmehrige >Hochschule für angewandte Kunst< bezogen (die 1948 - 1970 als >Akademie< firmierte), ist für die ersten zwanzig Jahre der 2. Republik ein zähes, von Blockierungen geprägtes Nachholen von Versäumnissen charakteristisch. Daß eine Reihe heute prägender Künstler damals an der >Angewandten< studiert hat, weist sie - in einem generell drückenden, kunstfeindlichen Klima, das >Entartete Kunst< als Dauerthema hatte - erneut als lebendigen Anziehungspunkt aus. Tragfähige Kontinuitäten haben sich besonders im Bereich >Architektur und Raumgestaltung< (Oswald Haertl, Otto Niedermoser, Franz Schuster) entwickelt, bei Malerei und Graphik durch Carl Unger (seit1949), im Design durch Franz Hoffmann oder Franz Hagenauer, in der Mode durch Wiener Couturiers, wie Gertrud Höchsmann und später Fred Adlmüller, um nur einige Beispiele zu nennen. Unter dem neuen Titel >Akademie< setzte sich der allgemein-inhaltliche Annäherungsprozeß zwischen Kunst- und Kunstgewerbeschulen fort, der seit Ende des 19. Jahrhunderts, nach Spezialisierungsphasen, in unterschiedlicher Intensität wieder aufeinander zulief, getragen von den drei Kernbereichen Architektur, Malerei, Plastik und von Werkstatt-Konzepten. Manchmal hatten sich sogar Zusammenlegungen ergeben (Bauhaus Weimar,1919; Städelschule, Frankfurt, 1922). Ein Standardwerk zum Thema >Kunstschulreform< (Berlin, 1977) kann daher - unter solchen großräumigeren Blickwinkeln - durchaus von der Betonung einer seit jeher gegebenen generell-künstlerischen, bloß nach Produktions- und Anwendungsbesonderheiten differenzierenden Aufgabe ausgehen: >Die älteste und größte Kunstgewerbeschule, die in Wien, hatte schon 1772 mehrere Spezialhandwerkerschulen der Akademie angegliedert, woraus fast hundert Jahre später mit einem speziell künstlerischen, zugleich praktischen Programm eine höhere Kunstgewerbeschule in Verbindung mit dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie hervorging.< 25 In Wien wird das von vielen Beteiligten anders gesehen und es sind, trotz aller inhaltlicher Überschneidungen, auch tatsächlich zwei Institutionen mit prägnant unterscheidbaren Identitäten entstanden. Daß selbst Josef Hoffmann unterbliebene Integrationsversuche im Sinne des Bauhauses bedauert hat, und ansonsten das Wiener Geschehen vom Kampf um Einflußsphären zwischen Akademie (mit >Politikern< wie Otto Wagner, Peter Behrens, Clemens Holzmeister, Herbert Boeckl, Fritz Wotruba, Roland Rainer, Gustav Peichl), >Angewandter< (siehe Fachbeiträge) und >Technik< (Architekturfakultät seit 1866) geprägt gewesen ist, mit hinundherwogenden Gewichtsverschiebungen, inklusive zugehöriger Querelen um den Status und die Architekten- oder Kunsterzieherausbildung, hat eben eine lokale Eigendynamik entwickelt. Personelle Verschränkungen hat es, durch eine parallele oder aufeinanderfolgende Tätigkeit an beiden Institutionen, immer gegeben (etwa durch Anton Hanak, Rudolf Larisch, Max Fellerer, Ceno Kosak, Josef Hoffmann - als Lehrbeauftragter für Festgestaltung an der Akademie, 1946/47 - Albert Paris Gütersloh, Alfred Soulek bis hin zu Heinz Leinfellner, Oswald Oberhuber, Friedrich Achleitner, Erich Wonder, Peter Noever). 26 Daß die Lehrtätigkeit schließlich häufig von Künstlern geprägt worden ist, die anfangs in deutlicher Opposition zu >Akademischem< gestanden sind und früh in lose-selbständigen Gruppierungen zusammenfanden, läßt sich am Wiener Art Club (gegr. 1947) nachvollziehen, von dessen 60 künstlerisch tätigen Mitgliedern später gerade die profiliertesten fast durchwegs Professuren übernommen haben (7 an der >Angewandten< , 6 an der Akademie, einzelne in Stuttgart, Linz, Graz). 27 Die Galerie nächst St. Stephan (gegr. 1954) ist, mit teilweise identen Personen, eine ähnliche Plattform für die >Moderne< und entsprechende kunstpolitische Einflußnahmen geworden. 28 Daß erst 1962 das Museum des 20. Jahrhunderts gegründet worden ist, beleuchtet in anderer Weise, wie ausgesetzt und isoliert solche, von einem >übersichtlichen< Personenkreis getragenen Entwicklungen vor sich gegangen sind. Mit dessen künstlerischer Zugangsweise dürfte auch zusammenhängen, daß in Wien die Empörungen der 60er Jahre - neben der in Bewegung geratenden politischen Anklageroutine - im Aktionismus und in relativ breiten Protesten gegen städtebauliche Devastierung (Abbruch der Florianikirche, einzelner Stadtbahnstationen Otto Wagners) Ausgangspunkte gehabt haben.

Eine personelle >Internationalisierung< der Lehre ist erst in den 80er Jahren zu einem Faktor geworden, wobei die Hochschule für angewandte Kunst (so ihre Bezeichnung seit der Reform durch das Kunsthochschul-Organisationsgesetz 1970) österreichweit Pionierarbeit geleistet hat. Hausberufungen kommen nun kaum noch vor. Im Designbereich kam Matteo Thun aus Mailand (1982), als Gastprofessoren wurden etwa Ettore Sottsass, Mario Bellini, Alessandro Mendini oder Francois Burkhardt gewonnen, Mode wird seit 1980 von international prägenden Persönlichkeiten repräsentiert (Karl Lagerfeld, Jil Sander, Jean-Charles de Castelbajac, Vivienne Westwood), Axel Manthey übernahm die Bühnen- und Filmgestaltung, Roy Ascott die Kommunikationstheorie, zuletzt Paolo Piva die Designklasse; außerdem waren laufend >Gäste< präsent, etwa Joseph Beuys, Bazon Brock, Daniel Spoerri, Rudy Molacek oder Alfons Schilling. Daran wird deutlich, daß es zu einem greifbaren Erneuerungsprozeß gekommen ist. Mit Rahmenbestimmungen für die Ausweitung der Aufgaben (>Die Hochschulen dienen der Pflege und der Erschließung der Künste, der Kunstlehre sowie in diesem Zusammenhang auch der Forschung und der wissenschaftlichen Lehre<), der Neuordnung der Studienwege, der Gliederung in Abteilungen und Regelungen für die interne Mitbestimmung ist - als Konsequenz der in den Jahren davor aggressiver gewordenen Kritik an den Hochschulen schlechthin und als Folge der künstlerischen Aufbruchsstimmung im besonderen - eine Dynamik in Gang gesetzt worden. Sie hat sich in der Bestärkung, Neuformulierung, Erweiterung künstlerischer Klassen und in wichtigen Neugründungen niedergeschlagen (Lehrkanzel für Kultur- und Geistesgeschichte / Manfred Wagner, Kunstgeschichte / Peter Gorsen, Geschichte und Theorie der Architektur / Friedrich Achleitner, Kommunikationstheorie / Roy Ascott, Kunst- und Wissenstransfer / Christian Reder, Philosophie / Rudolf Burger) und führte zu einer offensiveren Berufungspolitik. Der erste >Reformrektor<, Carl Unger, steht für die Startphase dieser Neuorientierung; damals wurden Adolf Frohner, Oswald Oberhuber, Manfred Wagner an die Schule geholt, Johannes Spalt, der ihm als Rektor nachfolgte, übernahm die Meisterklasse für Innenarchitektur. Schrittweise transformierte und erweiterte sich das Kollegium durch prägende Persönlichkeiten; 1976 kam Hans Hollein, im Jahr darauf Wilhelm Holzbauer. Architektur erfuhr also >in einer Zeit des schematisierten und schmalspurig verödeten Funktionalismus< (Kapfinger/Boeckl) durch signifikante, damals im Ausland bereits weit höher als daheim geschätzte Kräfte eine entscheidende Bestärkung.

Oswald Oberhuber - Rektor von 1979 - 1987 und wieder ab 1991 - hat sein Prinzip der >permanenten Veränderung< auch auf den Schulalltag übertragen, durch permanente Anwesenheit, respektable Durchsetzungskünste, Medienpräsenz, politische Einflußnahmen, Ausstellungen, Sammeltätigkeit, durch eine mobile Personalpolitik und enge Studentenkontakte. Auch ironiefreie, der sonst angewandten Relativitätstheorie entgegenstehende Superlative haben Platz in diesem Konzept: Was er als Rektor geleistet hat, so Bazon Brock als Laudator, >darf rundheraus als einmalig in der euopäischen Kulturszene bewertet werden. Daß die Wiener Hochschule für angewandte Kunst heute als eines der führenden Institute seiner Art in der Welt gilt, ist nicht zuletzt Oberhuber zu verdanken< 29 Wenn sich daran - keineswegs weniger konfliktreich als vorher - eine bedächtigere Phase angeschlossen hat, in der, unter der Gesamtverantwortung Wilhelm Holzbauers, vor allem eine personelle Konsolidierung und technisch-bauliche Aufrüstung (Computer Labor, Werkstättentrakt) Priorität hatten, so ist darin eine gewisse entwicklungsgeschichtliche Logik enthalten. Im übrigen wird mit der Fixierung auf Rektoratsperioden die Realität der kollegialen, letztlich bürokratisch-ministeriell dominierten Entscheidungsfindung unterschätzt; inklusive der mit wachsender Routine drohenden Verwahrlosung der Strukturen (in der Lehre sind immerhin annähernd 300, in der dem Rektoratsdirektor Heinz Adamek unterstellten Verwaltung etwa 80 Mitarbeiter tätig). Als aktuelle, herausfordernde Problematik ergeben sich daraus Fragen nach der tatsächlichen Ausgestaltung der Hochschulautonomie (Leitungsorgane, Personal- und Budgetkompetenzen, Planungs- und Kontrollinstrumente), nach der betrieblichen und technischen Infrastruktur, nach der Zukunft des Personalsystems als solches und der Attraktivität für Kandidaten, nach Aufgabenverlagerungen (etwa im Post-graduate-Bereich), nach dem politisch-gesellschaftlichen-ökonomischen Stellenwert der künstlerischen Ausbildung. Im Streit >Meisterklasse - ja oder nein< ist nicht der Leiter, die Leiterin alleiniger Ausgangspunkt, sondern genauso die dadurch bis dato gesicherte Gruppensituation, der >Mittelbau<, der Werkstatt- und >Labor<-Charakter - woraus sich neue, übergreifende, intensivere Formen von Projektarbeiten und Projektstudien entwickeln könnten. Sie durch Organisationsformen zu unterstützen, die für stabile und flexible Arbeitskonzepte gleichermaßen Informations- und Beratungsleistungen verankern, wäre eine plausible Entwicklungsrichtung.30 Je deutlicher dabei Stärken und Schwächen thematisiert würden, desto präziser könnten Fragen nach Selbsterneuerungskräften und geeigneten Rahmenbedingungen gestellt werden. Im Konflikt >Marktnähe - Marktferne< (bzw. Berufsausbildung - offene, künstlerische Bereicherungsphase) ist der künstlerisch-gesamthafte Ansatz in der Schule - zu Recht - praktisch unbestritten; daß Herausforderungen und Lehrangebote, eine Professionalisierung (in Grafik und Werbung etwa durch Tino Erben und Walter Lürzer) und den Einsatz modernster Technologien (repräsentiert durch Peter Weibel) betreffend, verstärkt hinzugetreten sind, ist dazu keine Antithese, eher eine plausible Durchdringung konventioneller Muster.

Denn zum Thema >Konformismus - Opposition< ist Michel Foucault weiterhin eine überzeugende Stimme. Machtverhältnisse können, so heißt es bei ihm, >nur kraft einer Vielfalt von Widerstandspunkten existieren, die in den Machtbeziehungen die Rolle von Gegnern, Zielscheiben, Stützpunkten, Einfallstoren spielen. Diese Widerstandspunkte sind überall im Machtnetz präsent. Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung - die Seele der Revolte, den Brennpunkt aller Rebellionen, das reine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromißbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können.(...) Große radikale Brüche, massive Zweiteilungen? Sowas kommt vor.<31 Im Kleinen wird damit auch ein Bild von Kunsthochschulen geliefert. Verständlich bleibt, daß, abgesehen vielleicht von letzterem, vom großen radikalen Bruch, eine solche multiplizierbare Vereinzelung theoretisch möglicher, obstinater, irgendwie beruhigender Positionen, andere Vorstellungen provoziert. Sich davon lösende Ansätze - um schlußendlich einen >unabgegriffenen< Theoretiker der 80er Jahre zu Wort kommen zu lassen - gehen, gerade wenn sie nicht bloß den ehemaligen Mehrwert durch einen >additional value< (wie im Design) ersetzen, erneut von grundsätzlichen Haltungen aus: >Der Regelfall seit gut 200 Jahren ist der Künstler als Oppositioneller, so will es die Tradition der Aufklärung. Es spielt keine Rolle, in welchem System er lebt, er ist dagegen.<, es gelte also >eine andere Haltung zu finden.< Eines sei nämlich klar, >heutzutage gibt es nichts Peinlicheres als unpeinliche Kunst,< wer glaube, als >freier Sinnstifter und Erbauungsproduzent< davonkommen zu können, lügt (Diedrich Diederichsen). 32

Solche >peinliche Kunst< ist - mit vielen Ausnahmen - immer wieder Streitpunkt hochschulinterner Beurteilungsprozesse. Sie, mit allem anderen, was als Produkt, als Konzept, als Äußerung greifbar wird, in den Kontext völlig offener, dennoch auf gedankliche, emotionale Prozesse rückführbarer Künstlichkeit zu stellen, umreißt im weitesten Sinn die an der Hochschule zu bearbeitenden Felder. Wie die Künstlichkeit ausschauen wird, sofern >das Andere< als Möglichkeit wirklich nicht wiederkehrt, dürfte - wenn die Anzeichen nicht trügen - zum Beschäftigungsmuster schlechthin werden: >Der Mensch wird sich<, so Franz Schuh in seinem Text >Zukunft als Neurose<, >vollkommen und vernünftigerweise in die Künstlichkeit seiner zukünftigen Welt hineinpassen, und er wird sich selbst als ein Element dieser Künstlichkeit begreifen. Künstlich, das heißt, die Welt wird ein Artefakt sein, das keine Grenzen kennt. Alles, was dem Menschen begegnet, wird von ihm selbst gemacht sein.< 33

 


Super-Design, Galerie nächst St. Stephan 1968
v.l.n.r. Oswald Oberhuber (Prof. an der HSAK), Bruno Gironcoli (Absolvent der HSAK, Prof. an der Akademie), Hans Hollein (Prof. an der HSAK), Roland Goeschl (Prof. an der TU Wien), Walter Pichler (Absolvent der HSAK)

 

Pressereaktionen:

Loos wollte einst "Werkstattcharakter"

Buchbesprechung
von Kristian Sotriffer

Die Presse, Wien, 28.3.1992

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1 Hannes Meyer: Bauen und Gesellschaft. Schriften, Briefe, Projekte. VEB Verlag der Kunst Dresden 1980 / Mein Hinauswurf aus dem Bauhaus. Offener Brief an Herrn Oberbürgermeister Hesse, Dessau, 1930. Bauhaus Dessau. Erfahrungen einer polytechnischen Erziehung, Mexico City 1940 (Seite 67 ff., S. 78 ff.)

2 Adolf Loos: Sämtliche Schriften. Band I. Verlag Herold, Wien-München 1962 / Schulausstellung der Kunstgewerbeschule, 1897; Architektur, 1910; Hands off!, 1917; Antworten auf Fragen aus dem Publikum, 1919 (Seite 139 ff., S. 315, S. 344, S. 371)

3 Otto Karl Werckmeister: Zitadellenkultur. Die Schöne Kunst des Untergangs in der Kultur der achtziger Jahre. Carl Hanser Verlag, München - Wien 1989 (Seite 21)

4 Dumont's Chronik der Kunst im 20. Jahrhundert. Stile, Akteure und Meisterwerke der Moderne. Hrsg.: Jean-Louis Ferrier, Vorwort Pontus Hulten. Erwei-terte deutsche Fassung der französischen Originalausgabe. DuMont Buchverlag Köln 1990. / Enthaltene Skurrlilitäten: Unter der Rubrik Deutschland Ingeborg Bachmann, Peter Handke, Ernst Jandl, Elfriede Jellinek, Herbert von Karajan; Gae Aulenti wird als Mann vorgestellt etc.

5 Greil Marcus: Lipstick Traces. A Secret History of the 20th Century. Harvard University Press, Cambridge/Massachusetts 1989

6 Rudolf Burger: Abstriche. Vom Guten. Und Schönen. Im Grünen. Sonderzahl Verlag, Wien 1991 (Seite 13)

7 Otto Karl Werckmeister: Zitadellenkultur. a.a.O. (Seite 21f, 25)

8 William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesell-schaft und Ideen im Donauraum 1848 - 1938. Böhlau Verlag Wien 1974 (Seite 81)

9 Ralf Dahrendorf: Liberalismus. Sonderbeitrag in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim - Wien - Zürich 1975

10 Zit. nach: Hans Mayer (Hrsg.): Hundert Jahre österreichischer Wirtschafts-entwicklung 1848 - 1948, Springer Verlag Wien 1949 (Seite 441)

11 Royal College of Art: Prospectus 1986/87. London 1986 (Seite 13)

12 Die Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Zu Beginn der 90er Jahre, Wien 1989

13 vgl. Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Band III/1, Resident Verlag Salzburg - Wien 1990 (Seite 36)

14 Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung: Hochschulbericht 1990. 2 Bände, Wien 1990

15 Hans M. Wingler: Das Bauhaus 1919 - 1933. Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937. Verlag Gebr. Rasch & Co., Bramsche, 2. erw. Auflage 1968 (Seite 12, 14)

16 Alfred Pfabigan: Geistesgegenwart., Essays zu Joseph Roth, Karl Kraus, Adolf Loos, Jura Soyfer. Edition Falter im ÖBV Wien 1991 (Seite 54)

17 Jan Tabor: ...und sie folgten ihm. Österreichische Künstler und Architekten nach dem >Anschluß< 1938. Eine Reportage. In: Ausstellungskatalog >Wien 1938<, Wien 1988 (Seite 428)

18 Hermann Czech: Zur Abwechslung. Ausgewählte Schriften zur Architektur Wien. Verlag Löcker & Wögenstein Wien 1978 / Aufrüttelndes, 1964 (Seite 12)

19 Josef Frank: form; Stockholm, Heft 6/1958 (Seite 160ff.). Erste deutsche Publikation: baukunst und werkform; Heft 4/1961. Auszugsweise in: Die Furche. Wien, Heft 3/1966 (zit. nach Hermann Czech, Anmerkung 18)

20 Jan Tabor: ... und sie folgten ihm. a.a.O. (Seite 408)

21 Gabriele Koller: Die verlorene Moderne. Von der Kunstgewerbeschule zur (Reichs-)Hochschule für angewandte Kunst, Wien. In: Hans Seiger / Michael Lunardi / Peter Josef Populorum (Hrsg.): Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1990 (Seite183 ff., 199 ff.)

22 Weitere Aktivitäten siehe: Eduard F. Sekler: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Residenz Verlag, Salzburg - Wien, 1982 (Daß etwa das dann nicht realisierte Projekt Hoffmanns von 1954/55 für ein Rathaus in Addis Abeba von Äthiopien aus >durch Vermittlung seines alten Freundes Hermann Neubacher< entriert wurde, wie es bei Sekler auf Seite 448 f. heißt, läßt unerwähnt, wer dieser Freund einmal war: Der erste NS-Bürgermeister Wiens.)

23 Gabriele Koller: Die verlorene Moderne. a.a.O., Seite 193 (Komprimiertes >Referat zur vaterländischen Erziehung<, mit dem 1936 der ministeriellen Weisung entsprochen werden mußte >durch Pflege und Darstellung heimischer Eigenart sowie durch Ausdruck vaterländischer Ideen< an der Hochschule zu wirken; Verfasser: Müller-Hofmann, Mitarbeit: Gütersloh, Weissenhofer)

24 Profil, Wien; Nr. 31/1991

25 Ekkehard Mai: Kunstakademien im Wandel. Zur Reform der Künstlerausbildung im 19. Jahrhundert. In: Bauhaus-Archiv Berlin: Kunstschulreform 1900 - 1933. Hrsg.: Hans M. Wingler. Gebr. Mann Verlag, Berlin 1977 (Seite 39)

26 vgl. Manfred Wagner: Die Geschichte der Akademie der bildenden Künste in Wien. Verlag Brüder Rosenbaum, Wien 1967 (Seite 400 ff.)

27 Der Art Club in Österreich. Ausstellungskatalog. Museum des 20. Jahrhunderts, Wien 1981 (Seite 175 ff.)

28 Robert Fleck: Avantgarde in Wien. Die Geschichte der Galerie nächst St. Stephan Wien 1954 - 1982. Band 1, Die Chronik, Löcker Verlag, Wien 1982

29 Bazon Brock: Subtile Ironie und ostentative Depression. In: Oswald Oberhuber. Arbeiten auf Papier 1947 - 1986. Ausstellungskatalog, Frankfurter Kunstverein 1986 (Seite 269)

30 Christian Reder: Interne Strukturanalyse und Enrwurf einer projektorientierten Organisation. In: Oberhuber/Wagner/Figlhuber/Kadrnoska/Reder: Neuorientierung von Kunsthochschulen. Falter Verlag, Wien 1985

31 Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Band 1. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1977 (Seite 117)

32 Diedrich Diederichsen: Elektra. Schriften zur Kunst. Meterverlag Hamburg 1986 (Seite 29, 110 f.)

33 Franz Schuh: Zukunft als Neurose (1983). In: Das phantasierte Exil. Essays. Ritter Verlag, Klagenfurt 1991 (Seite 148)

 

 
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© Christian Reder 1991/2001