Was er denn bei seiner Berufung zum Direktor der berühmten
Kunsthochschule eigentlich vorgefunden habe, hat sich einer
gefragt, nachdem er wegen Unvereinbarkeit der Standpunkte
fristlos entlassen worden war: Ein durch > beispiellose Reklame<
geprägtes Haus, >dessen Leistungsfähigkeit von seinem Ruf
um das Mehrfache übertroffen wurde< und das inzwischen für
eine verdeckt wirkende Kamarilla zum >Objekt politischen Machtkollers,
professoraler Eitelkeiten und ein ästhetisches Animierlokal<
geworden sei. Solche harten Worte wählte ein Schweizer, Hannes
Meyer. Gegenstand seiner Kritik war das Bauhaus, nichts Österreichisches
also, was für die Zitierfähigkeit in diesem Zusammenhang eher
günstig ist. Parallelen zur anspornendlatenten Problematik
von Kunsthochschulen ergeben sich trotzdem. Denn auch dieser
marxistische, soziale Effizienz und rationelle Sachlichkeit
fordernde Bauhaus-Reformer (der den dort herrschenden >Formalismus<
verhöhnte und dann lange, meist kollektiv und anonym, in der
Sowjetunion und in Mexiko gearbeitet hat, ohne als Architekt
noch besonders zur Kenntnis genommen zu werden), war der >tiefsten
Überzeugung<, daß Kunst nicht lehrbar sei. Einzig möglicher
Ansatzpunkt wäre die Arbeit in Werkstätten, um die sich der
theoretische Unterricht in Form von Kursen und Gastvorträgen
zu entwickeln habe. Nur sei dieser Weg eben nicht fortgesetzt
worden, im Gegenteil. Unter Mies van der Rohe hätte es sofort
wieder eine Einschränkung der Möglichkeiten gegeben. Mit der
Rückkehr zur Lernschule, der Liquidierung des Einflusses der
Studenten, mit der Aufgabe aller soziologischen Lehrfächer
und Anschauungen in der Werkstattarbeit >erschienen wieder
Nachkommen der exklusiven Gesellschaftsschichten und in den
Werkstätten exklusive Möbel aus exklusivem Material; es tauchten
die ersten organisierten Nazi (...) auf.<1
Dreißig Jahre davor hat Adolf Loos, der nie in einer Institution
gelehrt hat, in bezug auf die Wiener Kunstgewerbeschule, die
für ihn (und nicht nur ihn allein) >so eine art akademie zweiter
güte< gewesen ist, aber der traditionsreichen Akademie der
bildenden Künste wenigstens Konkurrenz machte und sie provozierte
>aus dem stillstand aufzuwachen< Analoges gefordert: >Das
dogma, an dem diese schule zugrunde gehen muß, ist die ansicht,
daß unser kunsthandwerk von oben herab, von den ateliers aus
reformiert werden soll. Revolutionen aber kommen immer von
unten. Und dieses 'unten' ist die werkstatt.< 2 Akademismus,
Historismus und Lebensferne sollten, darin treffen sich praktisch
alle damaligen Erneuerungsbestrebungen, durch eine neue Wertschätzung
für manuelles Tun, für eine vom Material ausgehende Professionalität,
durch ein tätiges Lernen, durch eine breite Erziehungsarbeit
überwunden werden, wenn auch der Tenor vorerst meistens antiindustriell,
kunstgewerblich, esoterisch gewesen ist. Mit Reminiszenzen
an einen Zunftgeist und Betonung individueller >Meisterschaft<
sind handwerkliche Lehr- und Arbeitsmuster wiederbelebt worden.
Auch wo schließlich weitergehende Vorstellungen über eine
enge, gleichrangige Kooperation von Kunst, Technik, Wirtschaft
prägend wurden, ist, durch Meister der Form und Meister des
Handwerks, sprachlich an solche Traditionen angeknüpft worden,
ohne daß - als Normalität - je die erhofften haltbaren Symbiosen
und ein emanzipiertes, gegenseitiges Akzeptieren bestimmend
geworden wären. Loos hat seinen Respekt vor Werkstätten, die
so arbeiten sollten, als hätte ihnen noch nie ein Architekt
>hineingepfuscht<, bekanntlich anders, auf seine zusehens
polemischer werdende Unterscheidung von Kunst und Handwerk
gegründet und auf eine kosmopolitische, von nüchternen Geschäftsleuten
getragene Kultur, wie es sie in Amerika geben würde. Weder
ein Kunsthandwerk noch eine angewandte Kunst ließ er gelten
(>Im widerspruch zu allen meinen zeitgenossen<): >Erst wenn
das große mißverständnis, daß die kunst etwas ist, was einem
zwecke angepaßt werden kann, überwunden sein wird, erst wenn
das lügnerische schlagwort 'angewandte Kunst' aus dem sprachschatz
der völker verschwunden sein wird, erst dann ...< 2
Verschwunden und entstanden ist anderes. Trennungen (zwischen
den Künsten, zur >angewandten< Kunst hin, zur >Nicht-Kunst<,
zur Pop-Kultur, und überhaupt) haben sich keineswegs verfestigt,
im Gegenteil. Zuordnungen bilden kaum noch Konfliktstoffe;
sie werden ungefragt akzeptiert oder passieren irgendwie.
Auf ihr Innenleben konzentrierte >Fachwelten< funktionieren
- bestenfalls - als Zulieferbetriebe für Medien; Bedeutungen
entstehen durch Kolportage. Alles läuft darauf hinaus, daß
>keine Fronten mehr, sondern nur noch konkurrierende Angebote<
existieren.3 Wertschätzungen für Vergangenes und Gegenwärtiges
sind davon gleichermaßen ergriffen. Eine dicke, sich umfassend-populär
gebende, aus den Blickwinkeln von Parisern verfaßte >Chronik
der Kunst des 20. Jahrhunderts< (1990)4 zum Beispiel würdigt
Klimt, Schiele, Kokoschka, Wotruba, Hundertwasser; weitere,
Österreich betreffende Fakten zur bildenden Kunst liefern,
auch wenn dieser Zusammenhang nicht immer deutlich wird, Erwähnungen
von Otto Wagner, Richard Gerstl, Adolf Loos, Josef Hoffmann,
Kolo Moser, Alfred Kubin, Raoul Hausmann, Herbert Bayer, Richard
Neutra, Günter Brus, Otto Mühl, Oswald Wiener, Arnulf Rainer,
Hans Hollein, Coop Himmelblau (Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky),
Peter Weibel. In einer >Secret History of the 20th Century<
(1989)5 wiederum, die von Kalifornien aus einer Gegenversion
zum Offiziellen nachzuspüren sucht, finden sich auf Wien bezogen
Sigmund Freud (>he's still a hit<), Karl Kraus (>the great
Vienna critic<), Raoul Hausmann (the >Berlin dadaist<) und
Adolf Hitler. Wegen solcher Zusammenstellungen, je nach Betroffenheit,
verärgert oder beleidigt zu sein, wäre lächerlich; eher ist
Heiterkeit angebracht, vielleicht sogar Genugtuung, denn daß
vieles im Kontext mit diesem Land oder im Exil Entstandenes
nicht mit ihm identifiziert wird, es anderswo, später, internationalisiert
wieder auftaucht, schafft auch gewisse Freiheiten. Sorgen
deswegen müßten sich primär staatliche Stellen. Deren Kulturpolitik
aber ist diesbezüglich immer eigene Wege gegangen, ohne an
der Stärkung öffentlicher und privater Strukturen (Zeitschriften,
Verlage, elektronische Medien, Galerien, Institutionen, Auslandsprojekte,
Copyright-Industrie, Kartellrecht), über die Kontinuität,
Nachfrage, Wirkung entstehen, ein auffallenderes Interesse
zu zeigen.
Die Kontinuität Österreichs, als Republik, liegt anderswo,
im Weiterverwalten aus der Monarchie übernommener Institutionen,
und damit sind angesichts der Katastrophen dieses Jahrhunderts
be-ruhigende, gewisse Kräfte konzentrierende Funktionen erfüllt
worden. Solche Einrichtungen haben sich als stabiler erwiesen,
als der Staat selbst es über Jahrzehnte gewesen ist. Alles
was manchmal >ehrwürdig< genannt wird, stammt aus jener früheren
Epoche, die Oper, die Konzertsäle, die großen Theater, die
Orchester, die Mu-seen, die Universitäten. Ad acta gelegt
wurde kaum etwas, vor al-lem nichts, was mit einer Verwaltung
der Künste zusammenhängt; neue, eigenständige Einrichtungen
sind bloß sporadisch hinzuge-kommen. Erst in den letzten Jahren
haben sich, weil ihre Verwendbarkeit zum Thema wurde, für
visuelle, gestalterische Äußerungen weitläufigere Resonanzräume
entwickeln können. Kunst traf also stets auf festgefügte,
tendenziell abweisende, konservierende Strukturen, auf ein
bürokratietrainiertes Umfeld. Oft genug sind Institutionen
zu Rückzugsgebieten geworden. Interessantes ist fast durchwegs
irgendwo, im Niemandsland dazwischen entstanden. Kraftfelder
haben sich aus einem Eindringen her ergeben und wieder verflüchtigt.
Die vage, daraus resultierende Konstellation ist oft als Stärke
ausgegeben worden, vielleicht, weil es für ein Bremsen und
Umleiten sensibel-seismographischer oder auch kraftvoller
Entwicklungen sonst keine Argumente gäbe. Inzwischen geht
zwar scheinbar alles, und noch dazu viel animierter; die generelle
Zähigkeit, Klebrigkeit der Zustände hat aber bloß den Tonfall
geändert; er ist unbekümmerter geworden, beliebig, freundlich,
unverfroren. Der Konsens darüber, daß die Klassengesellschaft
ihre Unterteilungen nicht mehr ernst zu nehmen braucht, wirkt
erleichternd. Alles unmittelbar Anstehende ist entscheidungs-
und perspektivelos präsent - die Zweidrittelgesellschaft,
der Treibhauseffekt, die Nord-Süd-Polarisierung. Vom 19. Jahrhundert
blieb und wurde vieles Realität, inklusive der mit ihm beginnenden
>Verhäßlichung der Welt< (Rudolf Burger).6 Nicht experimentelle
Ungebundenheit, nicht die Arbeit an Gegenbildern, sondern
>die tragische Ambivalenz des Leidens unter günstigen Verhältnissen
ist die ästhetische Grundfigur der politischen Unschlüssigkeit,
die sie illuminiert< - so ein markantes Resümee zur Situation,
in der jede politische Alternative zur westlich ausgeformten
Demokratie unvorstellbar geworden ist. >Daß sich Probleme
nicht lösen lassen, sondern nur ausgedrückt, erörtert und
ertragen werden können, ist die ständig wiederholte Botschaft<,
sie prägt >die Kultur einer Gesellschaft, die auf entscheidungsloses
Fortschreiben ihrer Krisenzustände angewiesen ist<, auf jene
Konflikte, >die sie unterhalb ihres Lebensniveaus und jenseits
ihrer Grenzen in Gang hält, um fortzubestehen< (Otto Karl
Werckmeister, 1989).7
Auf eine institutionelle Ebene bezogen sind es dennoch bloß
mit Ereignissen verknüpfte Zufälle, daß im Gründungsjahr der
jetzigen Hochschule für angewandte Kunst (1867) der erste
Band des >Kapital< erschienen ist und der vorliegende zweite
Teil ihrer Geschichte 1990/91 endet, mit einer Zäsur also,
in der global vorgeführt wird, wie erfolgreich die Marktwirtschaft
sich ihrer Mitbewerber entledigt. Parallelen zwischen Gründungsintentionen
und jetzigen Erfordernissen brauchen deswegen nicht überstrapaziert
zu werden, als Überfrachtung mit nicht leistbaren Aufgaben.
Im Zeitraffer wird aber doch deutlich, wie eine offensivere
Arbeit am Thema >Strukturen und Inhalte< (inkl. Personen,
Konzepte, Arbeitsbedingungen, Budgets, Gebäude, Organisation)
phasenweise Neuorientierungen bestärken konnte und sollte.
Daß in den letzten Jahren neue Medien, Ökonomie, Philosophie
und viele interdisziplinäre Ansätze verankert werden konnten,
sind Zeichen dafür. Begonnen hatte es wesentlich enger. Nur
hat die Wiener Kunstgewerbeschule, als eine der von der Republik
übernommenen Institutionen, das Glück gehabt, bereits einen
ziemlich prägenden - und daher Konservierungstendenzen einschließenden
- Modernisierungsschub hinter sich zu haben. Ihre Tradition
ist 1918 gerade fünfzig Jahre alt gewesen, inklusive einer
Phase, in der sie weithin ausstrahlendes Zentrum einer als
jugendlich verstandenen Ästhetik gewesen ist. Aufgearbeitet
wurde das alles im ersten Band der nunmehr komplettierten,
bis zur Gegenwart geführten Geschichtsdarstellung (Gottfried
Fliedl: Kunst und Lehre am Beginn der Moderne. Die Wiener
Kunstgewerbeschule 1867 - 1918, Residenz Verlag, 1986). Daß
Defizite der Industrialisierung, eine Aufwertung künstlerischer
und (kunst-) gewerblicher Intentionen und Sorgen um die Konkurrenzfähigkeit
der Wirtschaft zur Gründung der Schule motiviert hatten, ist
als latenter - später immer wieder neu gewichteter, abgelehnter,
untergrabener - Anspruch aktuell geblieben. Kontext dafür
war einerseits das Bildungswesen, ist doch dem >alten< Österreich
im internationalen Vergleich stets >ein hervorragendes Schul-
und Universitätssystem< konstatiert worden (etwa von William
M. Johnston),8 andererseits ein, verzögert und vorübergehend
auch in Österreich an Einfluß gewinnender Liberalismus.
Die Grundideen waren pädagogische, das Sammeln und Verbreiten
von Zitier- und Kopierfähigem. Ein Bürgertum ohne selbstverständliche
Traditionen brauchte historischen Anleihen, um im respektvollen
Umgang mit allseits akzeptierten Vorbildern an Sicherheit
zu gewinnen, um sich in seinem, als Krönung der Geschichte
verstandenen Anspruch zu bestätigen. Ein eigenes Museum -
für Kunst und Industrie - dafür zu gründen und bald darauf
eine diesem angeschlossene Kunstgewerbeschule, ist die folgerichtige
Konsequenz daraus gewesen. Auszuwählen, nachzuahmen, verfügbar
zu haben, wurde zum kommerzialisierbaren Ausdruck mehr oder
minder eingestandener Forderungen nach Sicherheit, nach einem
Ende der Geschichte, nach Zeitgewinn, nach einer Pause, nach
Musealisierung. Veränderung hieß Gefährdung des neu gewonnenen
Status'. Damit verwoben hat sich Weiterführendes angekündigt,
formiert, durch Erforschung des Überlieferten, durch Aggression
ihm gegenüber, durch die Ironie des Zitats, in mehr oder minder
fortwirkenden Formen des ästhetischen Exils. Daß die Kräfte
der Mechanisierung (einschließlich der Ingenieurkonstruktionen)
nur defensiv begriffen worden sind, das Handwerk seinen Ruf
noch längere Zeit behaupten konnte, obwohl es, >künstlerisch<
bevormundetet, weiter unterminiert wurde, daß Leichtlebigkeit
als Charaktereigenschaft herhalten mußte, ließ Wien zu einem,
allem >Amerikanischen< fernstehenden, von fern gesehen rührenden
Sinnbild werden, das mit der Warenwelt wenig zu tun hat. Als
innere Harmonisierungsstrategie hat vieles davon durchaus
Wirkung gezeigt, >reaktionär<, im Sinn der Blockade von Möglichkeiten;
>soziologisch< vor allem durch die Erzeugung des Kleinbürgers
und seiner Attribute. Er, der Kleinbürger, ist - im politischen,
wirtschaftlichen, kulturellen Sinn - das große Geschäft des
20. Jahrhunderts geworden. Der österreichische Beitrag dazu
hat Gewicht behalten; analytisch, durch Spitzenleistungen
therapeutischer und nihilistischer Forschung, stabilisierend,
durch ein borniertes, exportfähiges Klima, in dem alles an
Komplizenschaft und einen Gleichklang der Meinungen gebunden
ist. Seit Generationen wird es melancholisch oder aggressiv
beschrieben; Genügsamkeit schimmert durch, angeblich Musisch-Spielerisches;
>mehr Liberalität< und eine >andere<, urbane Bürgerlichkeit,
der intelligente Investitionen nichts Fremdes sind, das wäre
schon etwas - als regionale Utopie (passend zum Europa der
Regionen). Apropos Liberalismus: Seinen diesbezüglichen Lexikon-Aufsatz
leitet Ralf Dahrendorf mit den schlichten Worten ein: >Anarchie
ist schön, aber unpraktisch.<9 In diversen Umkehrungen hat
er mit Kunsthochschulen einiges zu tun.
Begonnen hat es mit einem neuen Blick auf die Welt, auf die
Welt als Markt, kamen doch die Impulse ausdrücklich von den
ersten Weltausstellungen (London 1851 und vor allem 1862,
Paris 1855). Zur Industrie- und Kolonialpolitik der anderen
Mächte mußten Kompensationsmöglichkeiten gesucht werden. Dennoch
verlief die Industrialisierung um vieles langsamer als anderswo
in Mittel- und Westeuropa, blieben agrarisch-gewerbliche Strukturen
dominant (Binnenlage, geringere Städtebildung, hoher Selbstversorgungs-grad,
niedrige Kaufkraft, kleinteilige Handelsstruktur, beschränk-ter
Kapitalmarkt etc.). Das wirtschaftliche Kräfteverhältnis,
ge-messen an der Belieferung des Weltmarktes mit Industrieerzeug-nissen,
zeigt noch um die Jahrhundertwende deutlich, welche >Hierarchie<
tatsächlich geherrscht hat (Großbritannien 30 %, Deutsches
Reich 18 %, Frankreich 13 %, Österreich-Ungarn 5 %).10 Vom
ersten sind begehrlich Impulse aufgenommen worden, bis der
Nationalismus den zweiten in dieser Rangreihe zum Haupt-partner
gemacht hat. Aber auch in London hat es eine Gegenseitig-keit
solcher Konkurrenzängste gegeben. Das Royal College of Art
(1837 als der Handelskammer unterstellte School of Design
ge-gründet) sollte von Anfang an Wettbewerbsnachteilen vorbeugen,
denn einer Kommission war klar geworden, >that Britain's more
successful economic competitors in Prussia, Bavaria and France
had invested deliberately in the education and training of
designers.<11 Schon um die Jahrhundertmitte fand sich diese
Schule mit kontroversen, später überall wieder auflebenden
Vorwürfen konfrontiert: >From some quarters it was said not
to be following the true principles of fine art, and from
others it was claimed that its work had little relevance for
industry and commerce.<11 Einen Boom an Gründungen hat es
dennoch gegeben. Um die Jahrhundertwende wurden - mit Wien
als interessantem, durchaus zentralem Punkt - die Resultate
sichtbar und die Konjunktur für Kunsthochschulen und Künstlervereinigungn
setzte sich fort, als Begleiterscheinung der zerbrechenden
politischen Situation, des Krieges und der trostlos gewordenen
Wirtschaftslage (Berlin, Breslau, Dresden, Darmstadt, Weimar,
Dessau; Moskau, Witebsk etc.). Daß im wiederbelebten, nun
verblassenden Jugendstiltaumel der Blick kaum darauf gerichtet
wurde, was damals sonst noch alles in der Kunst und punkto
Gestaltung passiert ist, (Frankreich, Italien, Rußland, Deutschland,
Schweiz, Holland, Belgien ...), bekräftigt nur, wie selbstgenügsam
weiterhin mit Geschichte umgegangen wird.
Inwieweit eine organisierte künstlerische Ausbildung Wirkung
gezeigt hat und zeigt, ist - vielleicht wegen der Hektik des
Geschehens - kaum zum Gegenstand angewandter Forschungen geworden.
Vergleichende Analysen, eine dezidierte, internationale Bezüge
be-rücksichtigende Selbsterforschung und eine aktualisierte
Modellentwicklung haben keinen greifbaren Stellenwert erhalten.
Nur sporadisch bilden sich Geflechte aus hinreichend überzeugenden
Fragmenten. Auch die bislang geschriebene Kunstgeschichte
der Moderne hat auf edukativer Ebene wenig beigetragen, außer
einer durchgehenden Überbetonung des Bauhauses, für das >die
Idee< und die dort versammelten Berühmtheiten zum Synonym
wurden. Andere Kunstschulen läßt das als anonym-mysteriöse
Organisationen erscheinen, die - wenn überhaupt - von ihrer
Geschichte, ihrem Status, von einzelnen Personen, vom akuten
Image (und manchmal von Sponsoren) leben. Das liegt selbstverständlich
auch an ihnen, am abzuwehrenden Andrang und an der Skepsis,
an der Bürokratie, die üblicherweise intern herrschen. Dabei
könnte die plausible Distanz, die praktisch alle Beteiligten
der Kunstausbildung gegenüber einnehmen, als die eigentliche
Chance begriffen werden, und sie wird es auch, punktuell,
sehr personenorientiert, im Sinn filigraner Prozesse, in denen
sich Ursache und Wirkung, Lehren und Lernen, Theorie und Praxis,
Aufwand und Ergebnis, Pro und Kontra einer Effizienzbetrachtung
eher entziehen, weil der individuelle Werdegang in künstlerischen
Bereichen eben ein Experiment schlechthin ist, mit höchst
ungewissem Ausgang.
Daß diese Ungewißheit die Investitionsneigung von Staat und
Wirtschaft, die >Strukturen< betreffend, weiterhin in Grenzen
hält, ist die Kehrseite davon. Spürbar wird, für wie teuer
eine künstlerische Ausbildung, gerade in ihren noch nicht
industrialisierten Formen, angesehen wird, wo sie doch im
Zweifel bloß Startchancen verbessern kann und sich vage als
Infiltration der Gesellschaft mit künstlerischen Gesichtspunkten
auswirkt. Mit in gewissem Sinn bestechender Konsequenz gilt
das Interesse immer mehr dem Ende des gesamten Verfahrens
- den Museen. Diesen Weg andersherum zu beginnen, also in
vorgelagerten Phasen für ein anregendes, veränderungsbereites
Klima Impulse zu setzen - auf die Produktion von Kunst und
Wissenschaft, von Gestaltungsleistungen, von Forschung selbst
bezogen - paßt nicht so ohne weiteres ins System des allgemeinen
Börsenspiels. Ein, zwei Milliarden für ein Museum sind zuletzt
politisch ohne weiteres (und fast überall) diskutabel gewesen,
für eine modellhafte Kunsthochschule zum Beispiel, mit großzügigen
Werkstatt- und Laborbereichen oder für die Evaluierung künstlerischer
Arbeits- und Nachfragesituationen bleiben solche Einsätze
jenseits des Denkbaren. Das damit zusammenhängende Do-it-yourself-Konzept,
als Ausdruck der allgemeinen Linie (Sich-Durchsetzen, Tüchtigkeit,
Deregulierung, Entstaatlichung, Wettbewerb), tendiert wieder
deutlich zur Heroisierung und Verklärung des >großen<, jedenfalls
aber bekannten Individuums. Im Idealfall, vor allem aber als
Künstler, hat es Autodidakt zu sein, weil es so niemandem
etwas schuldet, weil es - insgesamt - so preiswert ist. Nervöse
Energien werden gebunden, auf Nebenschauplätze abgelenkt.
Wie wenig einer andere braucht, soll vorführbar sein. Bei
Markenzeichen ist der Werdegang uninteressant, es sei denn
als >Karriere<. Künstlerische Autorität, und um die geht es
schließlich, wirkt, weil sie auf Alleingänge angewiesen ist,
auch bei störrischem Verhalten als Stabilisierung solcher
Vorgänge. Der Kunstbetrieb für sich ist dabei gar nicht der
Punkt; daß Dekoration und handhabbare Transzendenz zum Thema
wurden, hat sich sozusagen insgesamt ergeben. >Ich habe dort
und dort, bei dem und dem studiert< paßt daher längst nicht
mehr in selbstbewußte Künstlerbiographien, es sei denn, ein
Name-Droping erweist sich eine zeitlang als nützlich. Wie
- trotz allem - künstlerische Haltungen, selbst wenn sie letztlich
nicht greifen, nichts >bewirken<, für sich stehen, sie in
anderen schließlich ausgeübten Berufen mitschwingen, durch
Ausbildungsangebote bestärkt werden, ist angesichts der sich
angeblich formierenden >Kulturgesellschaft< eine sonderbar
marginalisierte Frage. Interessant an ihr ist, daß es um den
permanenten Versuch geht, um Unbestimmbares, um Sehweisen,
um Einzelkontakte, um Gruppensituationen, um >freie<, bereichernde
Arbeitssituationen, um ein Klima. Die Rolle von Kunsthochschulen
ist also - selbst wenn sie sehr fruchtbar agieren - eine undankbare.
Aber gerade weil sie, auch wegen des Universalismus ihrer
Themenfelder, noch uferloser als andere hohe Schulen in diverse
Unmöglichkeiten verstrickt sind, müßten sich daraus immer
wieder Stärken ergeben - naiv formuliert sogar unschlagbare,
weil inhaltlich unbegrenzte Stärken. Wenn nämlich in einer
Institution thematisch sonst kaum vorhandene Freiheiten bestehen,
aber streng genommen nichteinmal ihre Notwendigkeit außer
Streit steht, wenn der Beweisnotstand ein permanenter ist,
aber ständig Überzeugendes vorgewiesen werden kann, wenn reglementierte
Berufsausbildung und spartenübergreifende, völlig offene Tätigkeitsfelder
nebeneinander zum Zug kommen, wenn sich Selbstmitleid und
Narzißmus erotisierend verbünden, ziemlich dauerhaft sogar,
wenn Marktferne und Marktnähe über gemeinsame Erprobungszonen
verfügen, wenn Boheme-Reste, Formen gebremster Professionalität
und Verwaltungsärger zu Handlungsmustern verschmelzen ...,
dann sind realistische Grundbedingungen einer Laborsituation
durchaus gegeben. Alles andere müßte sich aus personell attraktiven,
hinreichend organisierten und ausgestatteten Arbeitskonstellationen
entwickeln. Offenbar liegt es am ziemlich passiven Umfeld,
aber auch an einem motivierenden Maximalismus, wenn sich die
Klagen über die Kunstausbildung so stereotyp wiederholen.
Letzterer ist immerhin zugute zu halten, daß sie sich weit
radikaler verändert und erweitert hat, als die Kritik an ihr.
Rund um 1990 stellt sich die Hochschule für angewandte Kunst
über ihre künstlerisch wirkenden Professoren nämlich durchaus
eindrucksvoll dar: Oswald Oberhuber und Peter Weibel, Adolf
Frohner, Attersee (in der Nachfolge Maria Lassnigs), Wolfgang
Hutter, Wander Bertoni, Alfred Hrdlicka, Herbert Tasquil,
Bernhard Leitner, Ernst W. Beranek (nach Wilhelm Cermak),
Roy Ascott, Hubert Dietrich; für Architektur Wilhelm Holzbauer,
Hans Hollein, Wolf D. Prix (COOP Himmelblau, in der Nachfolge
von Johannes Spalt); im Designbereich Paolo Piva (nach Boris
Podrecca, Hermann Czech und Alessandro Mendini), Carl Auböck,
Matteo Thun; Axel Manthey für Bühnengestaltung, im textilen
Bereich Sepp Moosmann und Beverly Piersol-Spurey, für Mode
Vivienne Westwood (nach Karl Lagerfeld, Jil Sander, Jean-Charles
de Castelbajac), für Grafik Tino Erben, Walter Lürzer und
Mario Terzic (nach Ernst Caramelle). Theoretische bzw. technische
Bereiche werden von Friedrich Achleitner, Peter Gorsen, Manfred
Wagner, Rudolf Burger, Christian Reder sowie von Alfred Vendl,
Günter Zeman, Ernst Mateovics, Erich Frisch und Robert Krapfenbauer
abgedeckt. Die Auffächerung des Ausbildungsspektrums wird
durch die zehn angebotenenen Studienrichtungen deutlich: Architektur,
Malerei und Grafik, Bildhauerei, Industrial Design, Produktgestaltung,
Mode (die in Österreich einzige Möglichkeit auf Hochschulebene),
Bühnengestaltung, visuelle Mediengestaltung, Restaurierung
und Konservierung, Kunsterziehung, (sowie in Vorbereitung:
Fotografie). Abschluß ist der Magister artis; auch ein Doktoratsstudium
ist möglich. Zur kompakteren internen Willensbildung ist die
Hochschule in fünf Abteilungen gegliedert (Architektur, Plastische
Gestaltung und Design, Visuelle Kommunikation, Bildende Kunst,
Kunstpädagogik); als abteilungsunabhängige Einrichtungen verfügt
sie über das Institut für Museologie und Zentralwerkstätten
für Grafik, Holz, Metall, Fotografie und Textil. Organisationsprinzip
ist die Gliederung in Meisterklassen, die jedem Studenten
die Verankerung in einer Gruppensituation bieten, sowie die
Existenz übergreifender Lehrkanzeln, Institute und Zentralwerkstätten.12
Das 1877 bezogene Hauptgebäude Heinrich von Ferstels am Stubenring
liegt mitten in der Stadt; 1960-65 ist es um einen, von Eugen
Wörle und Karl Schwanzer entworfenen >ostentativen Nutzbau<
erweitert worden.13 Exposituren am Salzgries und im Prater,
sowie das Fehlen adäquater Veranstaltungsräume sind Ausdruck
einer weiterhin gegebenen Raumnot, die Werkstatt/Atelier/Labor-Konzepten
enge Grenzen setzt.
Zur Zeit, 125 Jahre nach ihrer Gründung, ist die Hochschule
für angewandte Kunst Teil eines Universitätssystems, das nach
dem Reformschub der 1970er Jahre vor weiteren gravierenden
Strukturveränderungen steht, die generell auf eine Ausgestaltung
als leistungsfähige >Großbetriebe für Lehre, Forschung und
wissenschaftliche Dienstleistungen<14 abzielen. Zwölf Universitäten
und sechs Hochschulen künstlerischer Richtung liefern in Österreich
ein universitäres Angebot für derzeit knapp 200.000 Studenten,
eine Zahl, die nach starken Wachstumsphasen laut offizieller
Prognosen nun eher stagnieren wird, womit sich für Konsolidierung
und Intensivierung Chancen eröffnen. Unter den künstlerischen
Hochschulen hat >traditionsgemäß< die Musik ein dominantes
Gewicht; an den drei Hochschulen für Musik und darstellende
Kunst (in Wien, Salzburg und Graz) studieren derzeit rund
5.000 ordentliche Hörer. An der Akademie der bildenden Künste
in Wien können 500 Studenten studieren, an der Hochschule
für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz ebenfalls
500 und an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien etwas
über 1.000. Rund die Hälfte der jährlich insgesamt 800 Kunsthochschulabsolventen
sind Frauen, ein Drittel kommt aus dem Ausland. Als gesellschaftliche
Kennziffer ist es von einer gewissen Signifikanz, daß sich
also etwa ein Prozent der in Österreich Studierenden den bildenden
Künsten im weiteren Sinn widmt (inkl. der Kunsterzieher und
abgesehen vom Kunstgeschichtestudium oder dem der Architektur
an Technischen Universitäten).14 Daß weit mehr Interesse an
den bildenden Künsten besteht, es aber an der Akademie und
den beiden Hochschulen durch Aufnahmsprüfungen in Grenzen
gehalten werden muß - die auch, und oft dramatisch, von Personalstand
und Raumsituation diktiert sind - wirft ständig die Frage
auf, wie die Bedingungen für erkennbare Talente sind und wieviel
künstlerisch Ausgebildete/Motivierte sich eine Gesellschaft
leistet und zumutet. >Verkraften< (auch ökonomisch) müßte
sie an künstlerischer Einstellung, Bildung, Aktivität um einiges
mehr. Auch ohne zu quantitative Betrachtungsweise ist nämlich
offensichtlich, daß gemessen an den in zwanzig Jahren steil
angestiegenen Gesamtstudentenzahlen der Anteil an künstlerischer
Ausbildung eher an Terrain verloren hat. Wegen des einen Prozents
darüber eine Elitediskussion zu führen, wäre angesichts der
Arbeits- und Anerkennungsaussichten genauso verfehlt, wie
es die Furcht vor einem destabilisierenden Einfluß angeblich
>funktionsloser Bildungseliten< ist. Sind doch die Studienmotive
längst so komplex, daß Einkommens- und Karriereerwartungen
nur bei einem Teil der Studierenden im Vordergrund stehen.
Bemerkbar, im Kunstgeschehen, in der Produktivität, im Interesse,
in der Rezeption, wurde dennoch sehr wohl, daß sich allein
an der Hochschule für angewandte Kunst die bis 1970 kontinuierlich
zwischen 300 und 500 pendelnden Studentenzahlen seither fast
verdreifachen konnten. Mitte der 80er Jahre ist die 1000er
Grenze überschritten worden, interessanter Weise zum selben
Zeitpunkt, als in Österreich insgesamt erstmals mehr Frauen
ein Studium aufgenommen haben als Männer, also auf mehreren
Ebenen eine >Modernisierung< wirksam wurde.
1918/19 hatte die Hochschule 300 Studenten (davon 55 % Frauen)
und 30 Absolventen. Der Übergang von Monarchie zur Republik
ist inhaltlich und personell bruchlos vollzogen worden. Seit
1900 waren Museum und Schule getrennt. Alfred Roller (Mitglied
und 1901 Präsident der Secession, längere Zeit Leiter des
Ausstattungswesens der Wiener Oper, Mitbegründer der Salzburger
Festspiele und des Österreichischen Werkbundes) ist von 1909
bis 1934 Direktor gewesen. 18 Professoren (heute etwa doppelt
soviel) prägten den Unterricht, die Haltung der Schule und
ihre Außenwirkung, darunter markante Namen wie Josef Hoffmann
(von 1899 - 1937 an der Schule tätig), Heinrich Tessenow (1913
- 1919) und Oskar Strnad (1909 - 1935) für Architektur, Kolo
Moser (1899 bis zu seinem Tod im Oktober 1918) und Bertold
Löffler (1905 - 1935) für Malerei, Anton Hanak (1913 - 1932),
Arthur Strasser (1899 - 1919) für Bildhauerei, Michael Powolny
(1909 - 1936) für Keramik, Franz Cizek (1904 - 1939) mit seinem
Sonderkurs für Jugendkunst, Eduard Wimmer-Wisgrill (1912/13,
1918/21 und 1925 - 1955) für Mode und Textilarbeiten oder
Rudolf von Larisch (1901 - 1933) für Schrift und Heraldik.
Die seit 1918 zu verzeichnenden Entwicklungen sind in den
einzelnen Fachbeiträgen der vorliegenden Geschichtsdarstellung
aufgearbeitet worden (strukturelle Veränderungen insbesonders
von Manfred Wagner); diese Übersicht konzentriert sich daher
auf knappe, die Schule insgesamt und ihre Situation betreffende
Charakterisierungen, inklusive in Andeutungen zwangsläufig
mitschwingender Klischees, die Fragen nach Gewißheit andersherum
stellen.
Josef Hoffmann z. B. ist über Jahrzehnte hinweg eine prototypische,
ein bestimmtes Wien-Bild und die Schule prägende Figur gewesen.
Mit >Alles ist Kunstgewerbe< umreißen die Autoren des Architekturkapitels
pointiert sein gesamtes Schaffen; >nur wo ein 'Übergreifen'
herrsche, sei Leben<. In den 20er Jahren, zugleich der Höhepunkt
seiner internationalen Reputation, hat er zur Geltung der
Schule, etwa durch ihre - einschließlich radikaler Ablehnung
- vielbeachtete Beteiligung an der Pariser Kunstgewerbeschau
(1925) maßgeblich beigetragen. Die Wiener Werkstätte (1903
- 1932) ist als künstlerische, von ihm mitbegründete Arbeitsgemeinschaft
der Versuch einer modellhaften Brücke zwischen Lehrtätigkeit,
Ausbildung und konkreten Gestaltungsaufgaben gewesen. 3/4
ihrer Mitarbeiter waren Studenten und Professoren der Schule.
Ähnlich prägende personelle Kontinuitäten gab es durch Alfred
Roller, Oskar Strnad, Anton Hanak, Eduard Wimmer-Wisgrill
(bis in die 50er Jahre), Rudolf von Larisch, Franz Cizek.
Letzterer ist in Wien.eher ein Geheimtyp geblieben, trotz
der beträchtlichen internationalen Akzeptanz seiner Methoden
für den Elementarunterricht, die >als ganz neue Prinzipien<
über Johannes Itten - der während seiner Wiener Jahre offenbar
nicht für die Schule gewonnen werden konnte - auch zu einer
Grundlage des Bauhauses geworden waren.15 Daß Anton Hanak
wiederum, Lehrer Fritz Wotrubas wie auch (später an der Akademie)
des NS-Staatskünstlers Josef Thorak, in Wien ganz allgemein
und für die Sozialdemokratie im besonderen >als moderner Künstler<
gegolten hat (Gabriele Koller), ist ein durchaus bezeichnender
Aspekt für die Reserviertheit und Trägheit des Klimas geblieben.
Nicht attraktiv genug ist es, auf ihrem Weg von Ungarn nach
Weimar, offenbar auch für Moholy-Nagy und Marcel Breuer gewesen;
den aus Oberösterreich stammenden Herbert Bayer hat es übrigens
ebenfalls dorthin gezogen. Daß Heinrich Tessenow, der 1919
nach Deutschland zurückging, nicht zum Bleiben motivierbar
war, als >missing link<, >das vom elitären, dekadenten Glanz
der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt zu den elementaren
Fragen der Siedlungs- und Wohnungspolitik im republikanischen,
'roten' Wien überleiten konnte< (Kapfinger/Boeckl), bekräftigt
das Bild von einer politisch aufbrechenden, künstlerisch-kulturell
aber weiterhin höchst spezifischen, verbalradikalen und spießigen,
mit Identitätskrisen beschäftigten Situation. Budapest, München,
in etwas anderer Weise Berlin, erlebten über ihre Räterepublik-Phasen
diesbezüglich viel stärkere Gefährdungen konventioneller Muster;
im >neuen< Wien hat die Rechts-Links-Polarisierung rascher
etwas >geordnetere< Bahnen gefunden. Von der Potenz als anziehende
ehemalige Metropole, in der exemplarische Konflikte um eine
>auf die Welt der Sachen angewandte Ethik< (Alfred Polgar)
vorangetrieben wurden und wo bei kaum einem der Protagonisten
klar war, ob er der Kunst oder der Wissenschaft näher stand,
ob er eher als >Physiker oder Philosoph, Analytiker der Seele
oder Literat, Historiker oder Gesellschaftstheoretiker< agierte,16
konnte die Stadt noch bis in die 30er Jahre zehren, über herausragende
wissenschaftliche Leistungen, >Grenzüberschreitungen< verschiedenster
Art, über neue Aktivitätsfelder, wie die basisdemokratische
Wiener Siedlerbewegung, die Gemeindebauten, das beispielhafte
Sozialwesen, die Arbeiterkultur. Durch einzelne personelle
Querverbindungen ist die Kunstgewerbeschule dafür durchaus
ein prägender Boden gewesen. Diesbezüglich zu nennen sind
vor allem Oskar Strnad (gest. 1935) und Josef Frank (der,
gerade als er >zur wichtigsten Figur der progressiven heimischen
Architekturszene< aufgestiegen war, 1934 nach Schweden emigrierte),
der erst später stärker eingebundene Franz Schuster oder Studentinnen
wie Margarete Lihotzky. Gründe, zu internationalen Tendenzen
auf Distanz zu bleiben - Bauhaus, Corbusier, De Stijl - hat
es auch dabei genug gegeben. Daß von den 26 österreichischen
Architekten der Werkbundsiedlung 7 als Hochschullehrer und
8 als Absolventen unmittelbar aus dem Dunstkreis der Kunstgewerbeschule
hervorgegangen sind, >belegt den hohen Wirkungsgrad der Institution<
(Manfred Wagner). Anderes, in solchem Kontext Entstandenes,
wie die Wiener Methode der Bildstatistik und Bildpädagogik
Otto Neuraths, mit ihrem später im Exil über Holland und England
verlaufendem weltweitem Einfluß, ist ohne Zusammenhang mit
ihr vor sich gegangen. Nichts mit ihr zu tun hatte auch Karl
Ehn, Erbauer des Karl-Marx-Hofes und Beamter der Stadt Wien.
Daß er zuerst Sozialist, dann Vaterländisch, dann Nazi gewesen
ist, und auch nach deren Niederlage weiter das Baugeschehen
beeinflußte, nach der Niederlage, die paradoxer Weise erst
>die Entfaltung der nationalsozialistischen Architektur< ermöglichte,17
faßt für die Zeit - nicht einer >Tragik<, sondern der Kettenreaktionen
des Versagens wegens - vieles zusammen. Solche Abfolgen sind
in Wien allerdings auch auf andere Weise systemkonform gedeutet
worden: Die vielzitierte >verpaßte Chance< nach dem >Zusammenbruch<
hätte es nie gegeben, denn >der Wiederaufbau nach dem Krieg
auf der Basis freier Marktwirtschaft hatte durchaus keine
anderen gesetzlichen Möglichkeiten.<18 Josef Frank ist, in
seinen Reaktionen darauf, nicht nur des >Scandinavian Styles<
wegen, später >wiederentdeckt< worden, sondern vor allem durch
seine Forderung, daß >wir unsere Umgebung so gestalten sollen,
als wäre sie durch Zufall entstanden.< 19
Daß in der Zwischenkriegszeit Lehrer wie Eugen Steinhof,
>kosmopolitisch und reformpolitisch engagiert<, der 1931 in
die USA ging, auf eine zurückhaltende Weise als wichtige Kristallisationspunkte
gewirkt haben, ähnlich wie in der 2. Republik Eduard Bäumer,
Franz Herberth, Fritz Weber oder Herbert Tasquil, ist nicht
bloß eine Vervollständigung des Bildes, sondern tragendes
Element. Für eine >liberale Moderne< ist die Schule jedenfalls
bis in die 30er Jahre trotz der zunehmend intensiver verordnenden
politischen Einengungen eine vieles abwehrende Plattform gewesen.
An Konsequenzen hat es nicht gefehlt: >Die Nazifizierung der
Kunstgewerbeschule in Wien verlief viel gründlicher als jene
der Akademie. Die Schule galt als anfällig für 'internationale
Verfallstendenzen', ihre Kunstauffassung und Berufungspolitik
waren ungleich offener als die der Akademie< (Jan Tabor).
20 Ein beträchtlicher Teil der Studenten mußte 1938 die Schule
verlassen. Der Direktor, Max Fellerer, der >in der Literatur
und von Zeitzeugen als weltoffener, liberaler, kultivierter,
konfessionell ungebundener Mann< beschrieben wird (und die
Schule wieder von 1945 - 1955 leitete) wurde abgesetzt. Eine
Reihe anderer Mitglieder des Lehrkörpers verloren, zumindest
bis Kriegsende, ihre Stellung (Ceno Kosak, der diesem als
Präsident schließlich 1955 - 1971 nachfolgte und Theodor Georgii,
beide exponierte Vertreter der >Vaterländischen Front<; Albert
Paris Gütersloh, Wilhelm Müller-Hofmann, Hilde Schmid-Jesser,
Hans Vetter wegen verschieden begründeter >politischer Unzuverlässigkeit<,
Marianne Zels als Jüdin; 1939 wurden Franz Herberth, Erna
Kopriva und Otto Prutscher aus politischen Gründen pensioniert).
Daß etwa Josef Wimmer - Wisgrill trotz >schärfstem Gegensatz<
zur >NS-Lebensauffassung< weiter im Bereich Mode tätig sein
konnte, deutet Möglichkeiten gerade noch akzeptierter >Oppositionsformen<
an. Die anderen namhaften, den Ruf der Schule prägenden Professoren
- Oswald Haerdtl, Franz Schuster, Otto Niedermoser - waren,
mehr oder minder zwangsläufig, in die, nunmehr noch radikaler
und eindimensionaler politisierten Positions- und Auftragssicherungsmechanismen
verstrickt. 21 Josef Hoffmann, als Professor im Ruhestand,
hat sich sogar ziemlich intensiv auf sie eingelassen (etwa
als >Sonderbeauftragter für das deutsche Kunsthandwerk<).22
Daß für die Schulleitung allerdings nur der bis 1961 am Hause
tätige Keramiker Robert Obsieger in Frage kam, könnte als
Mangel an politisch bereitwilligen, profilierteren Kandidaten
gewertet werden.. Einzig in der Schulgeschichte nachwirkendes
Ereignis ist - neben personellen Kontinuitäten und der Passivität
im Exil gebliebenen Künstlern und einer >Wiedergutmachung<
gegenüber - die >Erhebung< zur Reichshochschule für angewandte
Kunst (1941) geblieben.
>Österreichisches< jedenfalls, wie es im Ständestaat kulturpolitisch
gefordert worden war - künstlerisch unterstützt von Clemens
Holzmeister (als Akademierektor und Staatsrat für Kunst) oder
von Gütersloh - hat in seinen groteskengen Ausformulierungen
auch nach dem Krieg wieder als Identitätsprogramm herhalten
müssen. Man glaubte es >einerseits im katholisch-habsburgischen,
deutsch-abendländischen Geist, andererseits in der Fähigkeit
des Österreichers zur Nivellierung von Rationalität und Irrationalität,
von Aktivität und Passivität und weiters im vermeintlichen
'organischen Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft,
das Extreme vermeidet', erkennen zu können. In der künstlerischen
Erziehung werde jedoch - auf den Grundlagen der christlichen
Werte - durch die Ablehnung 'aller Ismen, alles Kosmopolitischen
und Internationalen', aller Polemik und Negativität, ein harmonisches
Kunstschaffen entstehen, woraus sich eine 'wahrhaft soziale
Gesinnung' entwickeln sollte.<23 Vermengt mit den Nachwirkungen
großdeutscher Bewußtseinsbildung ist daraus nach 1945 ein
desperater, langwieriger, von Geschichtsfälschungen lebender
Neuformierungsprozeß geworden, ein nationalstaatliches, alle
multikulturellen Traditionen negierendes Nachholverfahren;
erst seit den 70er Jahren ist, Hand in Hand mit wirtschaftlicher
Prosperität, der Anteil der sich nicht als eigene Nation verstehenden
Österreicher deutlich gesunken (1956 47 Prozent, 1990 offenbar
nur noch 5 Prozent). 24
Auf die nunmehrige >Hochschule für angewandte Kunst< bezogen
(die 1948 - 1970 als >Akademie< firmierte), ist für die ersten
zwanzig Jahre der 2. Republik ein zähes, von Blockierungen
geprägtes Nachholen von Versäumnissen charakteristisch. Daß
eine Reihe heute prägender Künstler damals an der >Angewandten<
studiert hat, weist sie - in einem generell drückenden, kunstfeindlichen
Klima, das >Entartete Kunst< als Dauerthema hatte - erneut
als lebendigen Anziehungspunkt aus. Tragfähige Kontinuitäten
haben sich besonders im Bereich >Architektur und Raumgestaltung<
(Oswald Haertl, Otto Niedermoser, Franz Schuster) entwickelt,
bei Malerei und Graphik durch Carl Unger (seit1949), im Design
durch Franz Hoffmann oder Franz Hagenauer, in der Mode durch
Wiener Couturiers, wie Gertrud Höchsmann und später Fred Adlmüller,
um nur einige Beispiele zu nennen. Unter dem neuen Titel >Akademie<
setzte sich der allgemein-inhaltliche Annäherungsprozeß zwischen
Kunst- und Kunstgewerbeschulen fort, der seit Ende des 19.
Jahrhunderts, nach Spezialisierungsphasen, in unterschiedlicher
Intensität wieder aufeinander zulief, getragen von den drei
Kernbereichen Architektur, Malerei, Plastik und von Werkstatt-Konzepten.
Manchmal hatten sich sogar Zusammenlegungen ergeben (Bauhaus
Weimar,1919; Städelschule, Frankfurt, 1922). Ein Standardwerk
zum Thema >Kunstschulreform< (Berlin, 1977) kann daher - unter
solchen großräumigeren Blickwinkeln - durchaus von der Betonung
einer seit jeher gegebenen generell-künstlerischen, bloß nach
Produktions- und Anwendungsbesonderheiten differenzierenden
Aufgabe ausgehen: >Die älteste und größte Kunstgewerbeschule,
die in Wien, hatte schon 1772 mehrere Spezialhandwerkerschulen
der Akademie angegliedert, woraus fast hundert Jahre später
mit einem speziell künstlerischen, zugleich praktischen Programm
eine höhere Kunstgewerbeschule in Verbindung mit dem Österreichischen
Museum für Kunst und Industrie hervorging.< 25 In Wien wird
das von vielen Beteiligten anders gesehen und es sind, trotz
aller inhaltlicher Überschneidungen, auch tatsächlich zwei
Institutionen mit prägnant unterscheidbaren Identitäten entstanden.
Daß selbst Josef Hoffmann unterbliebene Integrationsversuche
im Sinne des Bauhauses bedauert hat, und ansonsten das Wiener
Geschehen vom Kampf um Einflußsphären zwischen Akademie (mit
>Politikern< wie Otto Wagner, Peter Behrens, Clemens Holzmeister,
Herbert Boeckl, Fritz Wotruba, Roland Rainer, Gustav Peichl),
>Angewandter< (siehe Fachbeiträge) und >Technik< (Architekturfakultät
seit 1866) geprägt gewesen ist, mit hinundherwogenden Gewichtsverschiebungen,
inklusive zugehöriger Querelen um den Status und die Architekten-
oder Kunsterzieherausbildung, hat eben eine lokale Eigendynamik
entwickelt. Personelle Verschränkungen hat es, durch eine
parallele oder aufeinanderfolgende Tätigkeit an beiden Institutionen,
immer gegeben (etwa durch Anton Hanak, Rudolf Larisch, Max
Fellerer, Ceno Kosak, Josef Hoffmann - als Lehrbeauftragter
für Festgestaltung an der Akademie, 1946/47 - Albert Paris
Gütersloh, Alfred Soulek bis hin zu Heinz Leinfellner, Oswald
Oberhuber, Friedrich Achleitner, Erich Wonder, Peter Noever).
26 Daß die Lehrtätigkeit schließlich häufig von Künstlern
geprägt worden ist, die anfangs in deutlicher Opposition zu
>Akademischem< gestanden sind und früh in lose-selbständigen
Gruppierungen zusammenfanden, läßt sich am Wiener Art Club
(gegr. 1947) nachvollziehen, von dessen 60 künstlerisch tätigen
Mitgliedern später gerade die profiliertesten fast durchwegs
Professuren übernommen haben (7 an der >Angewandten< , 6 an
der Akademie, einzelne in Stuttgart, Linz, Graz). 27 Die Galerie
nächst St. Stephan (gegr. 1954) ist, mit teilweise identen
Personen, eine ähnliche Plattform für die >Moderne< und entsprechende
kunstpolitische Einflußnahmen geworden. 28 Daß erst 1962 das
Museum des 20. Jahrhunderts gegründet worden ist, beleuchtet
in anderer Weise, wie ausgesetzt und isoliert solche, von
einem >übersichtlichen< Personenkreis getragenen Entwicklungen
vor sich gegangen sind. Mit dessen künstlerischer Zugangsweise
dürfte auch zusammenhängen, daß in Wien die Empörungen der
60er Jahre - neben der in Bewegung geratenden politischen
Anklageroutine - im Aktionismus und in relativ breiten Protesten
gegen städtebauliche Devastierung (Abbruch der Florianikirche,
einzelner Stadtbahnstationen Otto Wagners) Ausgangspunkte
gehabt haben.
Eine personelle >Internationalisierung< der Lehre ist erst
in den 80er Jahren zu einem Faktor geworden, wobei die Hochschule
für angewandte Kunst (so ihre Bezeichnung seit der Reform
durch das Kunsthochschul-Organisationsgesetz 1970) österreichweit
Pionierarbeit geleistet hat. Hausberufungen kommen nun kaum
noch vor. Im Designbereich kam Matteo Thun aus Mailand (1982),
als Gastprofessoren wurden etwa Ettore Sottsass, Mario Bellini,
Alessandro Mendini oder Francois Burkhardt gewonnen, Mode
wird seit 1980 von international prägenden Persönlichkeiten
repräsentiert (Karl Lagerfeld, Jil Sander, Jean-Charles de
Castelbajac, Vivienne Westwood), Axel Manthey übernahm die
Bühnen- und Filmgestaltung, Roy Ascott die Kommunikationstheorie,
zuletzt Paolo Piva die Designklasse; außerdem waren laufend
>Gäste< präsent, etwa Joseph Beuys, Bazon Brock, Daniel Spoerri,
Rudy Molacek oder Alfons Schilling. Daran wird deutlich, daß
es zu einem greifbaren Erneuerungsprozeß gekommen ist. Mit
Rahmenbestimmungen für die Ausweitung der Aufgaben (>Die Hochschulen
dienen der Pflege und der Erschließung der Künste, der Kunstlehre
sowie in diesem Zusammenhang auch der Forschung und der wissenschaftlichen
Lehre<), der Neuordnung der Studienwege, der Gliederung in
Abteilungen und Regelungen für die interne Mitbestimmung ist
- als Konsequenz der in den Jahren davor aggressiver gewordenen
Kritik an den Hochschulen schlechthin und als Folge der künstlerischen
Aufbruchsstimmung im besonderen - eine Dynamik in Gang gesetzt
worden. Sie hat sich in der Bestärkung, Neuformulierung, Erweiterung
künstlerischer Klassen und in wichtigen Neugründungen niedergeschlagen
(Lehrkanzel für Kultur- und Geistesgeschichte / Manfred Wagner,
Kunstgeschichte / Peter Gorsen, Geschichte und Theorie der
Architektur / Friedrich Achleitner, Kommunikationstheorie
/ Roy Ascott, Kunst- und Wissenstransfer / Christian Reder,
Philosophie / Rudolf Burger) und führte zu einer offensiveren
Berufungspolitik. Der erste >Reformrektor<, Carl Unger, steht
für die Startphase dieser Neuorientierung; damals wurden Adolf
Frohner, Oswald Oberhuber, Manfred Wagner an die Schule geholt,
Johannes Spalt, der ihm als Rektor nachfolgte, übernahm die
Meisterklasse für Innenarchitektur. Schrittweise transformierte
und erweiterte sich das Kollegium durch prägende Persönlichkeiten;
1976 kam Hans Hollein, im Jahr darauf Wilhelm Holzbauer. Architektur
erfuhr also >in einer Zeit des schematisierten und schmalspurig
verödeten Funktionalismus< (Kapfinger/Boeckl) durch signifikante,
damals im Ausland bereits weit höher als daheim geschätzte
Kräfte eine entscheidende Bestärkung.
Oswald Oberhuber - Rektor von 1979 - 1987 und wieder ab 1991
- hat sein Prinzip der >permanenten Veränderung< auch auf
den Schulalltag übertragen, durch permanente Anwesenheit,
respektable Durchsetzungskünste, Medienpräsenz, politische
Einflußnahmen, Ausstellungen, Sammeltätigkeit, durch eine
mobile Personalpolitik und enge Studentenkontakte. Auch ironiefreie,
der sonst angewandten Relativitätstheorie entgegenstehende
Superlative haben Platz in diesem Konzept: Was er als Rektor
geleistet hat, so Bazon Brock als Laudator, >darf rundheraus
als einmalig in der euopäischen Kulturszene bewertet werden.
Daß die Wiener Hochschule für angewandte Kunst heute als eines
der führenden Institute seiner Art in der Welt gilt, ist nicht
zuletzt Oberhuber zu verdanken< 29 Wenn sich daran - keineswegs
weniger konfliktreich als vorher - eine bedächtigere Phase
angeschlossen hat, in der, unter der Gesamtverantwortung Wilhelm
Holzbauers, vor allem eine personelle Konsolidierung und technisch-bauliche
Aufrüstung (Computer Labor, Werkstättentrakt) Priorität hatten,
so ist darin eine gewisse entwicklungsgeschichtliche Logik
enthalten. Im übrigen wird mit der Fixierung auf Rektoratsperioden
die Realität der kollegialen, letztlich bürokratisch-ministeriell
dominierten Entscheidungsfindung unterschätzt; inklusive der
mit wachsender Routine drohenden Verwahrlosung der Strukturen
(in der Lehre sind immerhin annähernd 300, in der dem Rektoratsdirektor
Heinz Adamek unterstellten Verwaltung etwa 80 Mitarbeiter
tätig). Als aktuelle, herausfordernde Problematik ergeben
sich daraus Fragen nach der tatsächlichen Ausgestaltung der
Hochschulautonomie (Leitungsorgane, Personal- und Budgetkompetenzen,
Planungs- und Kontrollinstrumente), nach der betrieblichen
und technischen Infrastruktur, nach der Zukunft des Personalsystems
als solches und der Attraktivität für Kandidaten, nach Aufgabenverlagerungen
(etwa im Post-graduate-Bereich), nach dem politisch-gesellschaftlichen-ökonomischen
Stellenwert der künstlerischen Ausbildung. Im Streit >Meisterklasse
- ja oder nein< ist nicht der Leiter, die Leiterin alleiniger
Ausgangspunkt, sondern genauso die dadurch bis dato gesicherte
Gruppensituation, der >Mittelbau<, der Werkstatt- und >Labor<-Charakter
- woraus sich neue, übergreifende, intensivere Formen von
Projektarbeiten und Projektstudien entwickeln könnten. Sie
durch Organisationsformen zu unterstützen, die für stabile
und flexible Arbeitskonzepte gleichermaßen Informations- und
Beratungsleistungen verankern, wäre eine plausible Entwicklungsrichtung.30
Je deutlicher dabei Stärken und Schwächen thematisiert würden,
desto präziser könnten Fragen nach Selbsterneuerungskräften
und geeigneten Rahmenbedingungen gestellt werden. Im Konflikt
>Marktnähe - Marktferne< (bzw. Berufsausbildung - offene,
künstlerische Bereicherungsphase) ist der künstlerisch-gesamthafte
Ansatz in der Schule - zu Recht - praktisch unbestritten;
daß Herausforderungen und Lehrangebote, eine Professionalisierung
(in Grafik und Werbung etwa durch Tino Erben und Walter Lürzer)
und den Einsatz modernster Technologien (repräsentiert durch
Peter Weibel) betreffend, verstärkt hinzugetreten sind, ist
dazu keine Antithese, eher eine plausible Durchdringung konventioneller
Muster.
Denn zum Thema >Konformismus - Opposition< ist Michel Foucault
weiterhin eine überzeugende Stimme. Machtverhältnisse können,
so heißt es bei ihm, >nur kraft einer Vielfalt von Widerstandspunkten
existieren, die in den Machtbeziehungen die Rolle von Gegnern,
Zielscheiben, Stützpunkten, Einfallstoren spielen. Diese Widerstandspunkte
sind überall im Machtnetz präsent. Darum gibt es im Verhältnis
zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung - die Seele
der Revolte, den Brennpunkt aller Rebellionen, das reine Gesetz
des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche,
notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte,
kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromißbereite,
interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen
Feld der Machtbeziehungen existieren können.(...) Große radikale
Brüche, massive Zweiteilungen? Sowas kommt vor.<31 Im Kleinen
wird damit auch ein Bild von Kunsthochschulen geliefert. Verständlich
bleibt, daß, abgesehen vielleicht von letzterem, vom großen
radikalen Bruch, eine solche multiplizierbare Vereinzelung
theoretisch möglicher, obstinater, irgendwie beruhigender
Positionen, andere Vorstellungen provoziert. Sich davon lösende
Ansätze - um schlußendlich einen >unabgegriffenen< Theoretiker
der 80er Jahre zu Wort kommen zu lassen - gehen, gerade wenn
sie nicht bloß den ehemaligen Mehrwert durch einen >additional
value< (wie im Design) ersetzen, erneut von grundsätzlichen
Haltungen aus: >Der Regelfall seit gut 200 Jahren ist der
Künstler als Oppositioneller, so will es die Tradition der
Aufklärung. Es spielt keine Rolle, in welchem System er lebt,
er ist dagegen.<, es gelte also >eine andere Haltung zu finden.<
Eines sei nämlich klar, >heutzutage gibt es nichts Peinlicheres
als unpeinliche Kunst,< wer glaube, als >freier Sinnstifter
und Erbauungsproduzent< davonkommen zu können, lügt (Diedrich
Diederichsen). 32
Solche >peinliche Kunst< ist - mit vielen Ausnahmen - immer
wieder Streitpunkt hochschulinterner Beurteilungsprozesse.
Sie, mit allem anderen, was als Produkt, als Konzept, als
Äußerung greifbar wird, in den Kontext völlig offener, dennoch
auf gedankliche, emotionale Prozesse rückführbarer Künstlichkeit
zu stellen, umreißt im weitesten Sinn die an der Hochschule
zu bearbeitenden Felder. Wie die Künstlichkeit ausschauen
wird, sofern >das Andere< als Möglichkeit wirklich nicht wiederkehrt,
dürfte - wenn die Anzeichen nicht trügen - zum Beschäftigungsmuster
schlechthin werden: >Der Mensch wird sich<, so Franz Schuh
in seinem Text >Zukunft als Neurose<, >vollkommen und vernünftigerweise
in die Künstlichkeit seiner zukünftigen Welt hineinpassen,
und er wird sich selbst als ein Element dieser Künstlichkeit
begreifen. Künstlich, das heißt, die Welt wird ein Artefakt
sein, das keine Grenzen kennt. Alles, was dem Menschen begegnet,
wird von ihm selbst gemacht sein.< 33
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Super-Design, Galerie nächst
St. Stephan 1968
v.l.n.r. Oswald Oberhuber (Prof. an der HSAK), Bruno
Gironcoli (Absolvent der HSAK, Prof. an der Akademie),
Hans Hollein (Prof. an der HSAK), Roland Goeschl (Prof.
an der TU Wien), Walter Pichler (Absolvent der HSAK)
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Pressereaktionen:
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Loos wollte einst
"Werkstattcharakter"
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Buchbesprechung
von Kristian Sotriffer
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Die Presse, Wien, 28.3.1992
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