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Universität für angewandte Kunst Wien
   

Studium irregulare
Den Umgang mit Problemen trainieren

In: Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.) sichten 96. diplomarbeiten sommer '96
Hochschule für angewandte Kunst Wien 1996

Kommentar zu offeneren Studienformen

 

 

Regulär studieren ist zwangsläufig etwas Spezialisiertes. Warum paßt da das Wort zwangsläufig so selbstverständlich dazu? Wegen der Ordnung, in der sowas abzulaufen hat. Wenn deren Regeln den Erfordernissen nicht mehr entsprechen, gehören sie geändert. Das geschieht durchwegs später als es möglich wäre. Sich über derartige Notwendigkeiten zu verständigen ist eine Phase solcher Prozesse, sie zu präzisieren und umzusetzen der zweite, noch viel aufreibendere Teil. Was richtig wäre, hängt von disparaten Interessenslagen ab. Ohne die deswegen gegebenen Spannungen entstünde nie ein Reformdruck. Aber: Wo es noch handelnde Personen gibt, ob lehrend, studierend oder in anderer Weise arbeitend, setzen sie sich über unbefriedigenden Umstände hinweg. Bewußt sein sollte einem, daß Regeln nur ein provisorischer Raster sind, jedoch Voraussetzung jeder Rechtssicherheit.

Was ist das Ziel einer plausiblen beruflichen Spezialisierung? Kompetenz, Kompetenz, einerseits im Lösen - also Erledigen - von Aufgaben andererseits im Umgang mit Problemen, mit nicht vorhersehbaren Konstellationen, in denen etwas gedacht und getan werden könnte ... sollte ... müßte. Reguläres und Irreguläres sollte daher auch in Studien einen entsprechenden Stellenwert haben. Kompetenz, als Fachwissen, als Zuständigkeit, als Einsicht, dem anderen abzusprechen, verbindet die Generationen mehr als daß sie das trennt. Solche Differenzen schaffen Egogefühle. Den anderen für blöd zu halten, erzeugt sonderbare Sicherheiten. Spezialwissen in weiterführender Weise auszutauschen ist eben eine schwierige Sache, weil freiwilliges oder unfreiwilliges Fachidiotentum ständig neue Barrieren bildet. Mit dem Ruf nach Generalisten (Managern, Moderatoren, Journalisten, Politikern), die immer weniger wissen als ihre von ihnen zu koordinierende Umgebung, wird dieses Dilemma eingestanden. Transfers zwischen verschiedensten Fachgebieten finden trotzdem dauernd statt, nur wird das kaum - auch in der Ausbildung nicht - methodisch thematisiert, trotz allem Gerede von Vernetzung. Dem Spezialisierungsdruck können sich auch jene, die es besser wissen müßten, nicht entziehen. Heideggers Urteil über Sartre: "ein Journalist", bringt diese Ambivalenz auf den Punkt.

Den Spezialisten oder die Spezialistin will jeder, wenn er etwas wirklich Fachkundiges braucht, ob in einer Druckerei oder in einem Spital. Wer für sich auf derartige Spezialgebiete verzichtet, bringt sich um solche Formen von Intensität. Beim Denken wiederum sind die Angebote und Möglichkeiten erfreulicher Weise nicht so übersichtlich. Es fordert zum Umgang mit Diskontinuitäten heraus, zur Kombination unterschiedlich interpretierbarer Module, zum Skizzieren provisorischer Zusammenhänge.

Also wäre gerade an Kunsthochschulen, dieser Meisterklassengesellschaft, ein ständiges Kombinieren von Kompetenzgewinn und Offenheit das zentrale Thema, wenn es nicht um bloße Fachausbildung gehen soll. Differenzierte Konzepte für künstlerische Vorhaben lassen sich innerhalb der "regulären" Ordnung viele realisieren. Es ist da auch jetzt schon mehr möglich als wahrgenommen wird. Im Sinn der angesprochenen Diskontinuitäten, transdisziplinären Verflechtungen, unabsehbaren künftigen Arbeitsfeldern und ökonomischen Entwicklungen muß aber das "Irreguläre" erleichtert werden, ohne zugleich zu Unverbindlichkeit zu verführen. Wer es in hinreichend überzeugender Weise angeht, sollte nicht zuviel Energien mit bürokratischen Hemmnissen verbrauchen müssen.

Daß Studierende sich zuerst für eine der "Künste" entscheiden müssen und es dann doch viel umfassender um "Kunst" geht - und um berufliche Perspektiven und die Praxis dabei - macht zumindest die Beteiligung an fachübergreifenden Projekten und die Erleichterung jedes konsequenten Studium irregulare zweckmäßig ... um auf möglichst hohem Niveau den Umgang mit Problemen zu trainieren, als denkendes und handelndes Gestalten, in engem Kontakt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ...

 

 
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© Christian Reder 1996/2001