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Universität für angewandte Kunst Wien
   

Mach' kein Theater ...

In: Bernhard Kleber. Meisterklasse für Bühnen- & Filmgestaltung
4 Katalogbände
Hochschule für angewandte Kunst Wien, 1998

Aufsatz zur Theaterarbeit

Mit Textbeiträgen von Hermann Beil, Cathrin Pichler, Ferdinand Schmatz (Monolog für Udo Samel, gesprochen von Udo Samel), Daniel Schmid, Barbara Holub, Christian Reder, Hermes Phettberg, Nigar Hasib Karadaki, Oliver May, Frida Parmeggiani u.a.

 

 

Mach' kein Theater ... Vom Deutschen Institut für Häufigkeitsforschung ist erhoben worden, daß diese Forderung die gängigste Art ist, das Wort Theater zu benutzen. Der Tonfall ist in der Regel grob, abschätzig, höhnisch. Die Interpreten sehen darin einen weitverbreiteten Ausdruck von Wirklichkeitssinn, gerade weil sich das Muster solcher Szenen überall wiederholt. Es geht um Beschwichtigung, um Beruhigung, um Vernunft. Die Aufregung sei übetrieben. Alles ließe sich doch viel sachlicher klären. Ein Verstehen, ein Kompromiß, eine Versöhnung sei anders nicht möglich. Jemandem zu starke Emotionalität vorzuwerfen gilt als Ausdruck von Überlegenheit. Demonstrierte Besonnenheit kann jedoch, genauso wie heftige Erregung, ein reines Ablenkungsmanöver sein. Damit wird die Sache kompliziert, zwangsläufig theatralisch. Etwas ist vorgefallen. Irgendwer fühlt sich ertappt. Der Punkt ist getroffen. Die Reaktion setzt ein. Erklärungen werden sinnlos. Impulsivität wird attackiert. Gefühle werden lächerlich gemacht. Sprache zerfällt zu Geschrei. Bilder kommen hoch. Der Verdacht weitet sich aus. Ahnungen werden als Hysterie denunziert. Intensität wird zu Häßlichkeit. Argumente zerbrechen aneinander. Der Anlaß hat jede Bedeutung verloren. Die Zusammenhänge weiten sich aus. Ein Funke genügt, damit Fiktionen entstehen.
'Mach' kein Theater' enthält also - als Negation, als Abwehr - bereits vieles von dem, was Theater sein kann, sei es als Stereotyp oder als Anstoß für anderes. Es schwingt mit, daß Theater überall stattfinden kann. Es schwingt mit, daß es um Künstlichkeit geht, als Gegenbild zu allem, was als echt, als real angesehen wird. Sonderbar ist, daß sich dieser Spruch zur subversiven Behauptung 'Macht hat keiner' verdrehen läßt. Die Buchstaben brauchen bloß anders geordnet zu werden. Bei einer solchen Beschäftigung mit den Einzelteilen zeigt sich auch, daß im Wort Theater das Wort Härte verborgen ist. Damit dürfte primär die Härte des Vergleichs gemeint sein.

Solche Sätze über ein Wort stehen hier, weil ich Bernhard Kleber in Gesprächen kennengelernt habe, die von meiner schon in der Jugend einsetzenden Entfremdung vom Wiener Theater ausgegangen sind und rasch zum Thema geführt haben, wie er sich - nach Erich Wonder, Axel Manthey und zuletzt Marko Japelj - eine Bühnenbildausbildung an der Hochschule vorstelle, ohne Theaterraum, ohne Technik, ohne Schauspieler, ohne Musik. Daraus haben sich Reflexionen über das hochschulinterne Umfeld ergeben, das - mit Architektur, bildender Kunst, Design, Mode, Grafik, Foto, Film, Video, Kunstheorie, Kommunikation, Transfer - ganz andere Impulse ermöglichen müßte, als es an Hochschulen für Musik und darstellende Kunst der Fall wäre, wo es in einem engeren Sinn um Theater geht. Ein Text-, Bild-, Raum-, Licht-, Kostüm- und Bewegungsdenken brauche diese Vielfalt. Die Erfahrung mit Sprache, Musik, Regie ergibt sich dann in der konkreten Theaterpraxis und über experimentelle eigene Projekte. Wichtig sei die Intensität der Zusammenarbeit. Theaterarbeit heißt Arbeit in der Gruppe. Intention ist die Einmaligkeit des Ereignisses.
Jetzt, zwei Jahre später, findet ein solches experimentelles Projekt der Bühnenklasse statt. Der Raum ist kein Theater. Die Vorführung ist kein Bühnenstück. Udo Samel spricht einen Text von Ferdinand Schmatz. Er sitzt, schläft, redet, deklamiert im Stöckelschuh einer Riesin. Für kurze Momente scheint er sich dort zu Hause zu fühlen. Ein roher Holzsteg verwandelt die barocken Räume des Heiligenkreuzerhofes; sie werden zur Ruine, zu einem Bergwerk. Es könnte etwas passieren; überall hin führen Fluchtwege. Bisher Verschlossenes wurde geöffnet. Der Blick hinunter in die Kapelle, die dem Heiligen Bernhard geweiht ist, wird zum Kontakt mit der Unterwelt. Durch ein Fernrohr ist die Hochschule zu sehen, als Planet am Abendhimmel, aber in einer falschen Richtung. Udo Samel verschwindet schließlich ins Nichts und kehrt als Zuschauer wieder; gleichzeitig beginnt die Videoaufzeichnung des eben Gesehenen und Gehörten, in einem anderen Raum, als rekapitulierbare Zeit. Das erlebte Ereignis wird zur Ausstellung. Das Wirkliche verdoppelt sich, so wie das Wandbild zwischen den beiden Haupträumen, dessen Bedeutung durch eine Kopie eine andere geworden ist. Das zusätzliche Licht zu allem stammt aus dem Burgtheater, als Gerätschaft und als Aura. Die eigentlichen Bühnenbilder sind Arbeiten der Studierenden; Videos, die 45 Minuten lang mit multiplizierten Filmsequenzen ihre Bildlösungen und Assoziationen zum Begriff 'Barock' präsent machen. Zugeschriebene Eigenschaften, wie lustvoll, verschwenderisch, kraftvoll, unregelmäßig, schief, irritierend, überladen transformieren sich, andere tauchen auf, Distanz wird erzeugt; es erscheinen grellrot geschminkte Lippen, ein Haus schwimmt im Meer, Gesichter tun nicht das, was von ihnen erwartet wird, Buchstaben zerfließen in heißem Fett. Von seiner eigenen Arbeit zeigt Bernhard Kleber nur zehn Bilder. Sie sind Stationen einer Arbeitsweise, in der die Bedingungen für das Bild und das Schauspiel in offensiver Weise erforscht werden. Fotos aus wissenschaftlichen Prozessen sind dabei wichtig, Körper hat er in der Pathologie gefilmt, eine Ameise stößt auf ein ihr fremdes Objekt, auf einen Computer-Chip, Größenverhältnisse werden neu bestimmt, Farben verändern Oberflächen, der tote Pasolini ist ihm eine Ikone, Bomarzo oder der Dogenpalast in Urbino liefern Bildebenen, die seinen Räumen etwas geben, ein Windkraftwerk kann sogar in einer Wüste etwas erzeugen. Daß unmittelbar vor ihm in diesen Räumen Brigitte Kowanz ausgestellt hat freut ihn.

 

Schmatz aus dem Schuh

Angehende Bühnenbilder der Angewandten und das Thema "Barock"
von Doris Krumpl

Der Standard, Wien, 29.10.1998
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© Christian Reder 1998/2001-2002