Mach' kein Theater ... Vom Deutschen Institut für Häufigkeitsforschung
ist erhoben worden, daß diese Forderung die gängigste Art
ist, das Wort Theater zu benutzen. Der Tonfall ist in der
Regel grob, abschätzig, höhnisch. Die Interpreten sehen darin
einen weitverbreiteten Ausdruck von Wirklichkeitssinn, gerade
weil sich das Muster solcher Szenen überall wiederholt. Es
geht um Beschwichtigung, um Beruhigung, um Vernunft. Die Aufregung
sei übetrieben. Alles ließe sich doch viel sachlicher klären.
Ein Verstehen, ein Kompromiß, eine Versöhnung sei anders nicht
möglich. Jemandem zu starke Emotionalität vorzuwerfen gilt
als Ausdruck von Überlegenheit. Demonstrierte Besonnenheit
kann jedoch, genauso wie heftige Erregung, ein reines Ablenkungsmanöver
sein. Damit wird die Sache kompliziert, zwangsläufig theatralisch.
Etwas ist vorgefallen. Irgendwer fühlt sich ertappt. Der Punkt
ist getroffen. Die Reaktion setzt ein. Erklärungen werden
sinnlos. Impulsivität wird attackiert. Gefühle werden lächerlich
gemacht. Sprache zerfällt zu Geschrei. Bilder kommen hoch.
Der Verdacht weitet sich aus. Ahnungen werden als Hysterie
denunziert. Intensität wird zu Häßlichkeit. Argumente zerbrechen
aneinander. Der Anlaß hat jede Bedeutung verloren. Die Zusammenhänge
weiten sich aus. Ein Funke genügt, damit Fiktionen entstehen.
'Mach' kein Theater' enthält also - als Negation, als Abwehr
- bereits vieles von dem, was Theater sein kann, sei es als
Stereotyp oder als Anstoß für anderes. Es schwingt mit, daß
Theater überall stattfinden kann. Es schwingt mit, daß es
um Künstlichkeit geht, als Gegenbild zu allem, was als echt,
als real angesehen wird. Sonderbar ist, daß sich dieser Spruch
zur subversiven Behauptung 'Macht hat keiner' verdrehen läßt.
Die Buchstaben brauchen bloß anders geordnet zu werden. Bei
einer solchen Beschäftigung mit den Einzelteilen zeigt sich
auch, daß im Wort Theater das Wort Härte verborgen ist. Damit
dürfte primär die Härte des Vergleichs gemeint sein.
Solche Sätze über ein Wort stehen hier, weil ich Bernhard
Kleber in Gesprächen kennengelernt habe, die von meiner schon
in der Jugend einsetzenden Entfremdung vom Wiener Theater
ausgegangen sind und rasch zum Thema geführt haben, wie er
sich - nach Erich Wonder, Axel Manthey und zuletzt Marko Japelj
- eine Bühnenbildausbildung an der Hochschule vorstelle, ohne
Theaterraum, ohne Technik, ohne Schauspieler, ohne Musik.
Daraus haben sich Reflexionen über das hochschulinterne Umfeld
ergeben, das - mit Architektur, bildender Kunst, Design, Mode,
Grafik, Foto, Film, Video, Kunstheorie, Kommunikation, Transfer
- ganz andere Impulse ermöglichen müßte, als es an Hochschulen
für Musik und darstellende Kunst der Fall wäre, wo es in einem
engeren Sinn um Theater geht. Ein Text-, Bild-, Raum-, Licht-,
Kostüm- und Bewegungsdenken brauche diese Vielfalt. Die Erfahrung
mit Sprache, Musik, Regie ergibt sich dann in der konkreten
Theaterpraxis und über experimentelle eigene Projekte. Wichtig
sei die Intensität der Zusammenarbeit. Theaterarbeit heißt
Arbeit in der Gruppe. Intention ist die Einmaligkeit des Ereignisses.
Jetzt, zwei Jahre später, findet ein solches experimentelles
Projekt der Bühnenklasse statt. Der Raum ist kein Theater.
Die Vorführung ist kein Bühnenstück. Udo Samel spricht einen
Text von Ferdinand Schmatz. Er sitzt, schläft, redet, deklamiert
im Stöckelschuh einer Riesin. Für kurze Momente scheint er
sich dort zu Hause zu fühlen. Ein roher Holzsteg verwandelt
die barocken Räume des Heiligenkreuzerhofes; sie werden zur
Ruine, zu einem Bergwerk. Es könnte etwas passieren; überall
hin führen Fluchtwege. Bisher Verschlossenes wurde geöffnet.
Der Blick hinunter in die Kapelle, die dem Heiligen Bernhard
geweiht ist, wird zum Kontakt mit der Unterwelt. Durch ein
Fernrohr ist die Hochschule zu sehen, als Planet am Abendhimmel,
aber in einer falschen Richtung. Udo Samel verschwindet schließlich
ins Nichts und kehrt als Zuschauer wieder; gleichzeitig beginnt
die Videoaufzeichnung des eben Gesehenen und Gehörten, in
einem anderen Raum, als rekapitulierbare Zeit. Das erlebte
Ereignis wird zur Ausstellung. Das Wirkliche verdoppelt sich,
so wie das Wandbild zwischen den beiden Haupträumen, dessen
Bedeutung durch eine Kopie eine andere geworden ist. Das zusätzliche
Licht zu allem stammt aus dem Burgtheater, als Gerätschaft
und als Aura. Die eigentlichen Bühnenbilder sind Arbeiten
der Studierenden; Videos, die 45 Minuten lang mit multiplizierten
Filmsequenzen ihre Bildlösungen und Assoziationen zum Begriff
'Barock' präsent machen. Zugeschriebene Eigenschaften, wie
lustvoll, verschwenderisch, kraftvoll, unregelmäßig, schief,
irritierend, überladen transformieren sich, andere tauchen
auf, Distanz wird erzeugt; es erscheinen grellrot geschminkte
Lippen, ein Haus schwimmt im Meer, Gesichter tun nicht das,
was von ihnen erwartet wird, Buchstaben zerfließen in heißem
Fett. Von seiner eigenen Arbeit zeigt Bernhard Kleber nur
zehn Bilder. Sie sind Stationen einer Arbeitsweise, in der
die Bedingungen für das Bild und das Schauspiel in offensiver
Weise erforscht werden. Fotos aus wissenschaftlichen Prozessen
sind dabei wichtig, Körper hat er in der Pathologie gefilmt,
eine Ameise stößt auf ein ihr fremdes Objekt, auf einen Computer-Chip,
Größenverhältnisse werden neu bestimmt, Farben verändern Oberflächen,
der tote Pasolini ist ihm eine Ikone, Bomarzo oder der Dogenpalast
in Urbino liefern Bildebenen, die seinen Räumen etwas geben,
ein Windkraftwerk kann sogar in einer Wüste etwas erzeugen.
Daß unmittelbar vor ihm in diesen Räumen Brigitte Kowanz ausgestellt
hat freut ihn.
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Schmatz aus dem
Schuh
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Angehende Bühnenbilder
der Angewandten und das Thema "Barock"
von Doris Krumpl
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Der Standard, Wien, 29.10.1998
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