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Verbindungsnetze und Verstärkerfunktionen
Bemerkungen zum Demonstrieren und Vermitteln

in: Richard Jochum: Dis-positiv. Begleittexte zur gleichnamigen Ausstellungsreihe
Wien 2000

Aufsatz zu künstlerischen Positionen

 

 

 

 

An der neuen Demonstrationskultur findet Marlene Streeruwitz, als Beteiligte, vor allem die Reflexion von Qualitäten bemerkenswert: "Zuerst einmal muß im post histoire jeder und jede seinen/ihren Ausdruck für das eigene Leben finden. Jeder und jede ist gezwungen, eine eigene Sprache zu entwickeln. Jeder und jede muß dabei vorgehen wie ein Künstler oder eine Künstlerin. Oder er/sie delegiert das an vor-moderne Regelsysteme: Kirchen. Sekten. Politische Ideologien. Die Donnerstag-Wandertage sind ein Statement. Gegen Rassismus. Mitgehen bedeutet, dieses Statement zu machen. Und als Ausdruck der Menschen, die das tun, ist dieses Mitgehen Kunst. Das weist zunächst einmal nicht über sich hinaus, gerade darin aber liegt das Politische." Es bilden sich keine Massen. "Die Chancen, daß daraus Alltagshandlungen im Geist dieses Statements resultieren, sind daher sehr hoch. Und genau darum geht es doch: daß Politisches im Alltag wirksam wird." (Der Standard, Wien, 20.3.00).

An dieser Argumentation interessieren mich im hier gegebenen Zusammenhang die Hinweise auf Subtiles: Vorgehen wie ein Künstler oder eine Künstlerin. Ausdruck für das eigene Leben. Präsenz von eigenen Sprachen, von Poetik. Das Wissen darum, daß es sich um nichts Bleibendes handeln kann. Individualisierte Anonymität. Erprobung von Autonomie und von Vernetzung. Die Bereitschaft, etwas zu organisieren. Unvorhersehbare Alltagswirkungen. Unversöhnliche Freundlichkeit. Bildung neuer Formen und Codes. Entstehen eines Raums für Fragen. Das Zeichen bleibt Zeichen. Dennoch trägt es zum Entstehen von Bedeutung bei. Reale Erfahrungen transformieren sich zu Bildern. Die Resonanz darauf ist vielfach Zynismus. Erst aus der Ferne, mit zunehmender Distanz, wird die sich manifestierende Unmittelbarkeit wieder positiv gesehen. The Egyptian Gazette zum Beispiel, hat die e-mail Adressen von gettoattack und undergroundresistance veröffentlicht und die kommunikationstechnischen Phantasien der "Austrian Protesters", die Vernetzung über Internet und Mobiltelefone, respektvoll kommentiert (Kairo, 20.2.00).

Selbstverständlichkeiten dieser Art sind Fragen an sich abzeichnende Varianten von Selbstverständnis. Auf künstlerisch-wissenschaftliches Arbeiten bezogen, erinnern sie an die Wertschätzung von Eigensinn, von Spontaneität, von Haltung und Durchhaltevermögen. Anonymität bekommt plötzlich einen Wert. Parallelen ergeben sich auch, weil institutionell geschützte Räume verlassen werden, weil mit der Kritik an Regeln versucht wird, andere durchzusetzen. Der öffentliche Raum wird neu definiert, als Schauplatz für Feldforschungen. Die Anfänge sind entscheidend, dann laufen Prozesse ab. Welche Nützlichkeit sich einstellen wird, ist höchst unsicher. Werke, die als Produkte gelten können, sind noch keine in Sicht. Was aufgrund welcher Theorieansätze geschieht, läßt sich erst mit Verzögerung Modellen zuordnen. Inwieweit die Methoden und Aktionsformen, die Herstellung von Situationen, das Zusammenspiel von Teilnahme, Beobachtung und Medienwirkung, schließlich bedeutungsbildend und realitätsstiftend werden, bleibt von Transfers in andere Sektoren abhängig.

Für ein schöpferisches Tun, als Verwandeln von Material und Informationen, sind solche Muster bloß Muster unter vielen. Alleingänge behaupten weiterhin ihre Aura. Erwartungshaltungen und eine vorprogrammierte Rollenverteilung zwingen zur Anpassung. Sich zu behaupten ist von der Behauptung, dieses oder jenes zu sein, abhängig. Die biblische Devise, "nur die Werke zählen", drängt die Person in den Hintergrund; mit dem Kult um einige wenige muß das latente Manko an Chancen und an Individualisierung ausgeglichen werden. Wie weit sich jeweils das Netz ausdehnt, in dem sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an gewissen Vorgängen bewegen, kann in der Regel nicht bewußt werden. Zumindest die Ränder verfließen im Diffusen. Wenn sich die Sicht komplex denkender Definitionsmächte Gehör verschaffen kann, erhellen sich manchmal solche Zusammenhänge. Auf institutionelle Einbindungen in diverse "Betriebssysteme" bleiben alle Mitwirkenden an einer Bedeutungsproduktion angwiesen. Welche Unterschiede dabei bestehen, in den Künsten, den Wissenschaften oder anderswo, ist von den jeweils ausgebildeten Strukturen abhängig.

Wird ein forschendes Arbeiten als Denkmodell aus der Masse sich bietender Arbeitsmöglichkeiten herausgegriffen, dann fällt auf, wie unterschiedlich sich die - "zwangsläufig" maskulinen - Heroisierungslinien entwickeln. Einzelleistungen großer Erfinder zum Beispiel sind in Systemzusammenhängen verschwunden. Deshalb ist die Erinnerung an die Brüder Wright, an Edison stärker geblieben als an deren US-Nachfolger Bell, Tesla oder Sperry. Der Starkult um Einstein wird von jenem um Stephen Hawking nicht mehr erreicht. Auch die Begeisterung um Charles Lindbergh war noch eine Reminiszenz an die einsame Tat. Einflußreiche Systemdesigner, wie Frederick Taylor und Henry Ford scheinen im Erfolg von Bill Gates eine Nachfolge gefunden zu haben. Die durch Mitwirkung an der Atomforschung und der Atombombe ausgelösten Irritationen der scientific community sind verblaßt, gerade weil die entscheidenden Forschungen weitgehend geheim, in Konzernen und im Rüstungsbereich stattfinden. Der weltweit größte Arbeitgeber für Mathematiker ist die National Security Agency (NSA). Als Kompensation für diese Anonymität bilden sich in den diversen Fachwelten Ranking-Kulturen heraus; die besten, also höchstbezahlten Manager und Sanierer, die besten, also höchstbezahlten Ärzte, Anwälte, Berater, Popstars, Models, Sportler. Für die Kulturindustrie ist Hollywood das Spiegelbild davon. Es zählen: die teuersten Filme, die höchsten Gagen, die schnellsten Einspielergebnisse. Die dazu nötigen Vermittlungsapparate agieren im Hintergrund; ihre Theorien sind simpel. Aber auch abgekoppelt davon geht es überall um Bestenlisten, unter Architekten, Regisseuren, bei Büchern, bei Kuratoren, Kameraleuten, Trickspezialisten, in der Mode. In einem abgesteckten Gebiet möglichst gut zu sein, scheint das sich weiter zuspitzende kulturelle Grundmuster zu sein. Wird die Zuordnung unübersichtlich, gibt es auch mit der Wertschätzung Schwierigkeiten. Gustave Eiffel hat in der Architekturgeschichte einen eher marginalen Platz, weil er als Ingenieur und Unternehmer gilt. Norman Foster hingegen hat sich von solchen Abqualifizierungen fernhalten können. Bei Renzo Piano wiederum finden sich, als seltene Ausnahme, durchwegs alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seiner Projekte verzeichnet. Das macht die Komplexheit jeder derartigen Leistung sichtbar. Zu einem realistischen Bild würde noch die Vernetzung mit Bauherren, Lieferfirmen, Banken, Medien, mit der Politik, mit Universitäten und Institutionen gehören. Erst die dabei stattfindenden Kräfteverlagerungen und Konflikte geben den Blick auf Tendenzen frei, die hinter der medialen Individualisierung das Geschehen prägen.

Die Mechanismen und Bedingungen, unter denen Architektur entsteht, machen das besonders deutlich. "Wenn sich die Architektur so weiter entwickelt", sagt Wolf D. Prix dazu, "dann wird der Architekt in wenigen Jahren verschwunden sein. Anstatt selbst Entscheidungen zu treffen, wird er die Entscheidungen anderer ausführen. Anstatt seine Vorstellungen im direkten Kontakt mit dem Bauherrn umzusetzen, droht er in die dritte Reihe hinter Facility Manager und Generalunternehmer relegiert zu werden. Entsprechend wird erst gefragt werden, wenn alle wichtigen Rahmendaten schon festgelegt sind. Seine Aufgabe wird nicht mehr in der Gestaltung von Gebäudeformen und Raumsequenzen liegen, sondern in der atmosphärischen Ausgestaltung einer Architektur, die schon tot ist, bevor sie aus ihren Schubladen gezogen wird. Mit einem Wort: Die Zukunft gehört dem Architekten als Stimmungsdesigner." Dies wird eintreten, wenn es keine Gegenoffensiven gibt. Um sie zu entwickeln, ist architektonische Grundlagenforschung notwendig, die eine weiter zu präzisierende Verantwortlichkeit "für dreidimensionale Kultur" im Blick hat. (architektur aktuell, Wien, 237/238/2000)

Im Fernsehen, im Film gibt es analoge Eigengesetzlichkeiten. Trotzdem gelingt punktuell, an der Peripherie solcher Strukturen, immer wieder Erfreuliches. Sich am Rand zu bewegen, verbindet sich mit der Frage "am Rand von was?". Zentrumsnähe kann sich gegenüber ganz anderen als den vordergründig gemeinten Zentren ergeben. Inwieweit die Akzeptanz von Literatur vom "Literarischen Quartett" abhängig ist, läßt sich statistisch messen. Fundierte Berichte im Feuilleton haben oft keinerlei Auswirkungen auf den Absatz. Werturteile bilden sich über spezialisierte Fachmedien. Wertschätzung und Markterfolg sind weiterhin keine deckungsgleichen Ebenen. Das Chaos bei der Marktbeeinflussung hat auch befreiende Aspekte.

Für eine Thematisierung von Kuratoren- und Vermittler-Funktionen können solche Blicke in andere Felder Impulse liefern (obwohl der Begriff "Feld" angesichts der stattfindenden mentalen Agrarisierung Österreichs derzeit eher belastet ist). Im Konzept der Ausstellung "dis-positiv" wird dieses "Zusammenwachsen der Fächer" in bezug auf bildende Kunst betont sowie die zwangsläufig theoretisierende Entwicklung, nach der "Kunst zunehmend in Diskurs übergeht". Ein arbeitsteiliges Zusammenwirken werde von einer "kongenialen" Umfassung durch die Vermittlung abgelöst; "der Künstler ist zu einem Theoretiker geworden". Dagegen kann nur auftreten, wer in einer emotionellen Unmittelbarkeit im Umgang mit Kunst verhaftet bleibt und sich von Nachdenken wenig erwartet. Ergriffenheit braucht deswegen nicht diskriminiert zu werden. Ein Verstehen findet nur Ansatzpunkte, wenn zugleich ein Nicht-Verstehen die Sache offen läßt. Für Erkenntnisebenen die richtigen Worte zu finden, hängt von der Qualität der Argumente und von poetischen Dimensionen ab. Konflikte zwischen Produzenten der Sachverhalte und diskussionswürdiger Denkmodelle könnten durchaus produktiv sein. Der bemerkenswerte Kommentar wird zum Teil des Kommentierten. Völlig neu sind solche Konstellationen jedenfalls nicht. Sie unter akuten Umständen auszuloten müßte sich dennoch lohnen. Wenn eine Differenzierung von Theorien die Sache weiterbringt, dann entsteht etwas anderes als bloße Begleiterscheinungen. Einem Inbesitznehmen entziehen sich künstlerische Statements ohnehin immer wieder. Im Blickfeld sollten aber auch die anderen, qualitätssichernden Teilnehmer und deren sich transformierenden Möglichkeiten bleiben, die Galerien, die Druckereien, die Verlage, die Kunstberichterstattung, die Kulturpolitik, die Auftraggeber, die Finanziers, die Sammler, die Museen, die Veranstalter, die interessierten und desinteressierten gesellschaftlichen Gruppen. Ein Herausstellen Weniger verbirgt deren Abhängigkeit von der Positionierung in solchen Szenerien. Zugleich lähmt eine fortwährende Beschäftigung mit den Umständen die eigene Produktivität.

Nach einem persönlichen Kommentar um Perspektiven gefragt, einige persönliche Antworten: Als Ansätze für konzentriertes eigenes Arbeiten sind mir forschende Aspekte wichtig. Diese weit zu fassen, ergibt Berührungspunkte mit Kunst. Subjektiv ist eine Abwehrhaltung gegen wissenschaftliche, künstlerische, fachliche, akademische Einordnungen des eigenen Tuns ein latentes Moment geblieben. Diese Unbestimmtheit macht immer wieder Schwierigkeiten, die Freude über gelungene Abweichungen kompensiert das manchmal. Aus früheren beruflichen Umständen hat sich ein Hang zu Genauigkeit erhalten. Das äußert sich im Anspruch, bestimmte Sachverhalte möglichst präzise zu analysieren und daraus Konzepte abzuleiten. Weil das Geschehen sich solchen Vorstellungen meistens nicht fügen will, kommt es zu einem Umschlagen von Nervosität in Gelassenheit (oder umgekehrt). Es motiviert auch dazu, Dinge anzugehen, die einem neu sind. Traditionelle Arbeitssysteme diskreditieren solche Zugänge, lagern sie aus. Spezialwissen in der einen oder anderen Sparte ist zweckmäßig, vor allem zum Verständnis von Grenzen. Sie ohne einen solchen Hintergrund zu überschreiten, reduziert die Kommunikationsmöglichkeiten. Ein gewisse Sicherheit bei den anzuwendenden Methoden schützt vor ausuferndem Dilettantismus. Sich von vornherein ein Ausbalancieren dieses Dilemmas zuzutrauen, ist das Kennzeichen professioneller Amateure. Bei mir ist das Arbeiten ohne Auftrag, ohne konkreten Anlaß erst langsam zu einer intensiver verfolgten Möglichkeit geworden. Reflexe, sich unmittelbar nützlich zu machen, sind lange stärker gewesen. Eine solche Verstrickung in Nützlichkeitsdenken hat zu gewissen Erfahrungsgrundlagen beigetragen. Die Gewöhnung an anonymes Arbeiten hat mitgeholfen, nicht ständig von Herzeigbarem abhängig zu werden. Ein Wechsel der Positionen, der Berufsbezeichnungen, der Orte ist auch Schutz vor einer Abstempelung. Sich Gehör zu verschaffen wird dadurch schwieriger. Dafür lassen sich zusätzliche Beobachtungsebenen erschließen. Texte über Kunst sind entstanden, weil Künstler oder Künstlerinnen sie verlangt haben. Basis dafür ist ein Schauen, Zuhören, Lesen, Sprechen. Von einer fragenden Position aus relativiert sich der Zwang zu ständigen Statements. Sich jeweils nicht zulange eine allzu (fremd-)bestimmte Lebensweise aufzwingen zu lassen, kann Blickrichtungen ändern. Ob einen das Springen von Projekt zu Projekt auf die Dauer retten kann, bleibt sowieso offen. Von selbst entstehende Kontinuitäten können Rückhalt bieten. Verallgemeinern läßt sich davon kaum etwas, außer daß tendenziell freischaffende, laufend neu definierte Arbeit und daraus resultierende Perspektivenwechsel für immer mehr Menschen zur Normalität werden.

Für künstlerisch-wissenschaftliches Arbeiten ist längst schon die Bewegung von Projekt zu Projekt ein Grundmuster. Der jeweilige Rahmen dafür ist professionell vorgezeichnet. Dennoch sind die konkreten Formen noch keineswegs ausgeschöpft. Ritualisierte Finanzierungssysteme der Institutionen erfordern abgekoppelte Strategien. Als Durchdringung der institutionalisierten Welt sind "Forschungsprojekte", in einem sehr weit gefaßten, Kunst mit einschließenden Sinn, deren dynamischen Elemente. Die Thematik von Eigensinn und Anpassung, von Aufwand und Wirkung, von Intention und Qualität, von Profit und Non-Profit, von Theorie und Praxis hat damit Chancen, sich aus der Zufälligkeit von Vereinnahmungs- und Ignoranzmechanismen zu lösen. In einem solchen Kontext bekommt die eingangs zitierte Devise: "Vorgehen wie ein Künstler oder eine Künstlerin" vielleicht zusätzliche Dimensionen. Auch gegenüber Festlegungen zur Frage Kunst - Nicht-Kunst, könnte, losgelöst von Spartenritualen, eine solche Vorsicht die Aufmerksamkeit stimulieren.

 

 
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© Christian Reder 2000/2002