Für technisch hochentwickelte Gesellschaften werden
ausufernde Codierungs- und Decodierungsvorgänge charakteristisch
sein, schon weil mit entsprechenden Rechnerleistungen die
exzessive Verwendung von Codes oder das Erkennen von Mustern
auch bei astronomischen Datenmengen möglich wird. Zahlen-
und Buchstabenkombinationen öffnen oder verschließen
den Zugang zu diesem und jenem. Über statistische Zugänge
lassen sich in völlig ungeordnet erscheinenden Konstellationen
plötzlich Ordnungen erkennen. Was nach gewohnten Kriterien
geordnet oder chaotisch wirkt, transformiert sich zu komplexen
Bildern von Schichten verschiedener Regelmäßigkeiten.
Hochrechnungen entwerten den Einzelfall. Uneinordenbare Abweichungen
und Ausnahmen werden nebensächlich oder bekommen plötzlich
überproportionales Gewicht. Eine solche numerische Systematik
und Logik zu entgrenzen, sie auf die Welt der Zeichen anzuwenden,
macht Felder zugänglich, auf denen die Aufschlüsselung
von Differenzen, von Nuancen, von Subtexten, von sonst unbeachteten
Beziehungen zum Thema werden kann.
Die weiter vorangetriebene, für jede Anwendung irreale
Präzisierung der Zahl 'Pi' verdeutlicht das. Derzeit
sind von ihr über 50 Milliarden Kommastellen berechnet,
ohne daß die Gesetzmäßigkeit für die
Abfolge dieser Zahlen entdeckt worden wäre. Ihr aber
gilt das Interesse von Forschern, etwa der Brüder Chudnovsky
und Borwein, von Yoshiaki Tamura oder Yasumasa Kanada. Mit
zunehmender Menge hat sich bisher jede sichtbar werdende Struktur
als nicht repräsentativ herausgestellt. Deswegen wird
weiter gerechnet.
Denkmuster für einen solchen Umgang mit Daten liefern
eine als "Wissenschaft der Muster" aufgefaßte Mathematik
und die statistische Physik. Der Zusammenhang von Verstehen
und statistischer Wahrscheinlichkeit wird provoziert. In vermeintlich
Bekanntem taucht Unbekanntes auf. Minimale Differenzen erhalten
eine Bedeutung oder werden in der Menge egalisiert. Paradoxes
dient als Test dafür, wieweit die Bereitschaft geht,
in Ungeordnetem Regelmäßigkeit wahrzunehmen oder
Sachverhalte auf eine Konstruiertheit zurückzuführen.
Über Symmetrien und Proportionen bekommen formale Aspekte
einen markanten Stellenwert. Viele für die Moderne konstituierende
Momente, wie die Gleichbehandlung von Elementen, das Interesse
für die Positionierung in einander überlagernden
Strukturen, wie die Funktion des Beobachters, der Beobachterin,
spiegeln sich in solchen Verfahrensweisen. Erfaßbare
Zeichen als statistisches Material zu behandeln, macht die
Zeichenhaftigkeit von Gebilden und Benennungen evident; es
erschließen sich Überraschungsebenen, auf denen
Konventionelles außer Kraft gesetzt ist. Manchmal wird
mehr ausgelöst, als ein bloßes Akzeptieren von
Paradoxem.
Ein naheliegendes Beispiel, bezogen auf die Codierung von
Schrift: Die Kunsthochschule für Medien Köln als
kulturelles Experimentierfeld zu sehen, wo multimediale Gesetzmäßigkeiten
erforscht, ein technisch-konzeptiver Weitblick sensibilisiert
und multimediale Entwicklungsschübe eingeleitet werden,
dürfte deren reale Funktionen und sich abzeichnende Möglichkeiten
plausibel charakterisieren. Anzunehmen ist, daß
solche Feststellungen mit Vorstellungsbildern weitgehend übereinstimmen.
Sie klingen durchdacht, sind aber das Ergebnis bloßer
Berechnung. Ansatzpunkt ist der Code für die beschriebene
Institution, um den sich numerisch dazupassende Begriffe gruppieren.
Denn sobald das Alphabet als Code aufgefaßt und jedem
Buchstaben sein Stellenwert in diesem System als Zahl zugeordnet
wird (a = 1, b = 2, c = 3 usw.), erzeugt es automatisch derartige
Wortkonstellationen. Aus den sich ergebenden Summen entstehen
unbeeinflußbare Ordnungen. Was Konstruktion ist, wird
als Konstruktion sichtbar, sobald die angewendeten Regeln
bekannt sind. Nur in der Auswahl existieren gewisse Freiheitsgrade.
Wie ein solches Rechenprogramm arbeitet, ist leicht nachvollziehbar;
was es bewirkt bleibt unvorhersehbar. Um Zufälle handelt
es sich nicht, da die Ursachen bekannt sind. Indem Schrift
statistisch betrachtet wird, sind die Trefferquoten das Signifikante.
Wenn sich rund um den Code 344 für die Kunsthochschule
für Medien Köln codierte Begriffsbilder anordnen,
die als inhaltliche Präzisierung verstanden werden können,
dann entsteht der Eindruck, als ob sich Ähnlichkeiten
und Nunancierungen auf diesem Weg deklarieren würden.
Mit Codewerten als Subtext wird die Konstruktionsweise von
Wörtern und Wortbeziehungen transparent. Statistische
Wahrscheinlichkeiten materialisieren sich zu Aussagen. Mit
von unsichtbaren Codes erzeugten Mustern läßt sich
testen, inwieweit die Elemente einer zwangsläufig formelhaften
Sprache plausibel erscheinende Begriffsfelder bilden, selbst
wenn alles automatisch vor sich geht.
Aus rechnerisch beweisbaren Kombinationsmöglichkeiten
lassen sich weitere Zusammenhänge (re-)konstruieren.
Mit einer Neigung zu Symmetrien können Begriffspaare
gebildet werden, die als sinnbildende Montagen gleichsam als
Devisen der Kunsthochschule für Medien Köln brauchbar
sind: Einbildungskraft + Wechselbeziehung, Kindheitstraum
+ Sprachlosigkeit, Quantentheorie + Gehirnforschung, Jahrtausendwende
+ Gastfreundschaft. In der Summe ergibt sich immer ihr Code
344. Das so entstehende Netz gibt Richtungen an; die Aussagen
bleiben offen, eingesperrt in Sätze würden solche
Wörter zu Pathetik verführen.
Die paradoxe Zuspitzung einer — in diesen Fällen logischerweise
völlig fiktiven — Beweiskraft von Zahlen provoziert die
Beschäftigung damit, was für eine Bedeutungsproduktion
als passend akzeptiert oder als unpassend ausgesondert wird.
Wie etwas gemacht ist und was es bewirkt, wird auf die Zeichen
selbst zurückgeführt. Für sich genommen ist
jeder Wortcode belanglos, erst in Beziehung zu anderen ist
er in der Lage, Überraschungen zu erzeugen.
Merkwürdigerweise scheint "das System" das zu wissen.
Denn auf jeden mit ihren Mitteln darstellbaren Gesamtzusammenhang
bezogen liefern die Elemente der Schrift mathematisch abgesicherte
Hinweise, daß von der Kombinationsfähigkeit einer
Theorie der Berechenbarkeit und einer Theorie der Beziehungen
ausgegangen werden kann. Diese These klingt provokant, bestätigt
sich aber über die Codes 207 und 223, an denen sich diese
Aussage orientiert.
Marshall McLuhan wird voll bestätigt: The medium is
the massage. Über den Code 98 wird diese Feststellung
zur Gleichung. Die inhaltliche Symmetrie entspricht auch der
rechnerischen. In Übersetzungen fächern sich solche
Bezüge auf; das Medium verbindet sich weiterhin mit dem
Alphabet, die Botschaft mit dem Fernsehen. Daß sich
nach einem gescheiterten Humanismus bloß noch in der
Gentechnologie Perspektiven eröffnen, wie das Peter Sloterdijk
polemisch-mißverständlich thematisiert hat, läßt
sich — zynisch und wertfrei — bereits aus den aufeinanderfolgenden
Codes dieser Wörter herauslesen. Die zynische Vernunft
sieht in allem ein mehr oder minder kalkulierbares Optimierungsproblem.
Die sich beim Übergang von einer Sprache in andere verändernden
Muster können als unendliches Netz von Wortbeziehungen
gelesen werden, in denen sich Globalisierung und hochdifferenzierte
Unterscheidungsnuancen abbilden. Übersetzbar sind Wortcodierungen
nicht, sie müssen in jeder Sprache neu berechnet und
gruppiert werden. In der vom Code 151 bestimmten Gleichung
Kapitalismus — Globalisierung — Komplexität drückt
sich das aus, fortgesetzt (oder konterkariert) durch Civil
Society. Dabei an eine Vorherbestimmtheit solcher Bezüge
zu denken fiele leicht. Die Verführung, derartige Muster
mit gespeicherten Modellen in Einklang zu bringen, ist groß,
da laufend überzeugende Entsprechungen auftauchen. Es
wird aber auch der Blick für Differenzen geschärft.
Marktwirtschaft und Kulturgeschichte haben denselben Code
(190), das gesellschaftliche Grundprinzip von Angebot und
Nachfrage verweist auf Kommunikation, Weltherrschaft und auf
das Ende der Geschichte (Code 166). Die formelhafte Verkürzung
repräsentiert Entwicklungen zu formelhafter Sprache,
zu formelhaftem Denken, deren Perspektiven anscheinend bereits
im Programm des Alphabets festgeschrieben sind.
Selbst Ursprungsmythen bilden sich in markanter Weise ab.
Für die Schöpfungsgeschichte sind der Baum der Erkenntnis
und die Sprachverwirrung entscheidende Bezugspunkte (Code
220). Für die Lesbarkeit der Welt wiederum, als Blick
auf einen Gesamtzusammenhang und auf Möglichkeitsformen,
gelten — so sagt es der alphanumerische Code — die Elemente
der Schrift und eine möglichst vollkommene Sprache als
Voraussetzung. Daß der diese Abfolge erzeugende Code
207 auch noch Wörtern wie Wirtschaftsmodell, Wachstumstheorie,
Kausalzusammenhang oder Erfolgsmechanismus entspricht, ließe
sich ideologisch für letztlich unkritisierbare Begründungen
nutzen. Unkritisierbar sind sie allein deswegen, weil sie
auf exakten Berechnungen beruhen und Berechnungen als kulturelles
Grundmuster für Genauigkeit gelten.
Solche, hier ergänzte Beispiele sind Auszüge
aus meiner umfangreichen Studie zu diesem Thema (Wörter
und Zahlen. Das Alphabet als Code. Springer Wien New
York 2000), in der anhand eines mathematisierten Wörterbuchs
Konventionen des Wahrnehmens erforscht werden, Grundlagen
für ein Verstehen und Nicht-Verstehen, mit weitgefächerten
Bezügen zum Thema Zeichen, zum Thema Schrift, zu
Code-Systemen, Geheimschriften, Künstlicher Intelligenz,
Quantenphysik, hebräischen, griechischen, arabischen,
lateinischen Codierungstraditionen, zu Kabbala und Alchemie,
zu Strukturalismus, Literatur, Musik, Poetik. Dargestellt
wird, was vor sich geht, wenn die Übereinkunft,
daß Dinge — vielfach auch Menschen — ihren berechenbaren
Wert haben, auf Wörter übertragen wird. Daß
Zahlen bloß Mengen angeben, verschwindet hinter
ausgelösten Bildern.
Das System ruft in Erinnerung, daß es ein Mechanismus
ist (Code 125). Jeder codierte Buchstabe demonstriert, daß
er Teil dieses Systems ist. Die erzeugten Ordnungen hängen
nicht bloß vom Anfangsbuchstaben ab. Die Schrift selbst
verweist darauf, daß es zu Mathematik, Programm, System,
Transfer, Diskurs unmittelbare, rechnerisch belegbare Beziehungen
gibt (Code 101). Wird vom Codewert des einzelnen Zeichens
ausgegangen, bilden sich, anders als in der gewohnten alphabetischen
Ordnung eines Wörterbuchs, eines Lexikons, Gruppen, in
denen ausschließlich die Zeichenhaftigkeit der Wörter
eine Rolle spielt, ihre Ableitung aus der Ordnung des Alphabets.
Deren Herkunft ist, vorerst zumindest, völlig nebensächlich.
Beziehungen bilden sich ausschließlich aufgrund der
bewerteten Elemente jedes Wortes. Der Code 70 zum Beispiel
vereint Sprache, Zeichen, Technik, Kapital, Methode, Ironie.
Das Medium dafür ist das Alphabet mit seinen autopoietischen
Möglichkeiten. Für die Erkundung von in Schriften
aufspürbaren Strukturen eröffnen sich, völlig
unabhängig von den Absichten ihrer Autoren und Autorinnen,
Zugänge für eigene Lesarten. Wenn sie wie Bestätigungen
für das Gemeinte wirken, verstärken sie die Aussage;
es tauchen aber auch dauernd Ansätze für ein Denken
der Frage auf. So deckt sich der codierte Titel des berühmten
Aufsatzes von Edgar Allan Poe "The Philosophy of Composition"
mit der inhaltlichen Aussage: The elimination of occasional
accidents. Der für diese Koinzidenz zuständige Code
345 bildet übrigens mit jenem für die Kunsthochschule
für Medien Köln (Code 344) ein Paar. Sich an dieser
Institution mit verschiedensten Formen einer philosophy of
composition zu beschäftigen, wird also vom Medium Schrift
als naheliegend bezeichnet. Daß "Die Methode der Komposition"
auch in der Übersetzung mit Ausschaltung des Zufalls
korreliert, ist eine nicht wegzudiskutierende Bestärkung
dafür.
Die Aufklärung über solche Zusammenhänge verbindet
sich mit nüchternen Begriffen wie Sachverhalt, Buchhaltung,
Gesellschaft, aber auch mit Möglichkeit und Widerstand
(Code 117). Die Art der Zivilisation, die damit angesprochen
wird, geht von einem Weltzustand aus, der auf Traumdeutung
und Triebverzicht basiert (Code 165).
Nach der gleichen Methode etwas verstehen zu wollen, führt
zur Frage nach Form und Inhalt. Auch dieses Nahverhältnis
läßt sich rechnerisch belegen. Form + Inhalt hat
den gleichen Code wie verstehen (Code 116). Understanding
wiederum setzt sich aus sign + context zusammen (Code 150).
Die "Grammatik" der Codes beweist damit ihre Leistungsfähigkeit,
ohne auf Gebrauchskonventionen zurückgreifen zu müssen.
Was stattfindet, basiert auf einer Transformation der Regeln.
Selbst paradoxe Bezüge liefern Impulse. Das Wort Verbindungslinie
leitet einen hin zu Bedeutungsfeldern, die mit individualisieren
und kosmopolitisch umschrieben sind (Code 184). Das Wort Grenze
steht mit Wort, Analyse und Zufall in einer Reihe.
Jede entstehende Richtungsangabe für Wissenstransfer
verbindet sich mit einer fragenden Form von Erkenntnistheorie;
dazu werden Wörter und Zahlen gebraucht (Code 209). Das
Alphabet als Code (Code 148) verbindet sich, buchstäblich
und numerisch betrachtet, mit Struktur und Metamorphose; die
große Zahl bildet den Hintergrund dafür, als Sinnbild
für Möglichkeiten.
|
Kunsthochschule für
Medien Köln
|
344
|
kulturelles Experimentierfeld |
344
|
multimediale Gesetzmäßigkeiten
|
343
|
technisch-konzeptiver Weitblick |
344
|
multimediale Entwicklungsschübe |
345
|
Kunsthochschule für
Medien Köln
|
344
|
= Einbildungskraft |
+ Wechselbeziehung |
|
|
= Kindheitstraum |
+ Sprachlosigkeit |
|
|
= Quantentheorie |
+ Gehirnforschung |
|
|
= Jahrtausendwende |
+ Gastfreundschaft |
|
|
wie etwas gemacht ist
|
210
|
Verschlüsselung |
210 |
Konfliktpotential |
210 |
was etwas bewirkt
|
172
|
Sinnproduktion |
172 |
Sinnestäuschung |
172 |
Gesamtzusammenhang
|
207
|
die Elemente der Schrift |
207
|
Kombinationsfähigkeit
|
223
|
Theorie der Berechenbarkeit |
223
|
Theorie der Beziehungen |
223
|
the medium
|
98
|
the massage |
98
|
Botschaft
|
94
|
Fernsehen |
94
|
Humanismus
|
138
|
Gentechnologie |
139
|
die zynische Vernunft
|
247
|
Optimierungsproblem |
247
|
Kapitalismus
|
151
|
Globalisierung |
151
|
Komplexität |
151 |
Civil Society |
151 |
Marktwirtschaft
|
190
|
Kulturgeschichte |
190
|
Angebot und Nachfrage
|
166
|
Kommunikation |
166
|
Weltherrschaft |
166 |
das Ende der Geschichte |
166 |
Schöpfungsgeschichte
|
220
|
der Baum der Erkenntnis |
220
|
Sprachverwirrung |
220 |
die Lesbarkeit der Welt
|
207
|
Gesamtzusammenhang |
207
|
Möglichkeitsformen |
207 |
der alphanumerische Code |
207 |
die Elemente der Schrift
|
207
|
vollkommene Sprache |
207
|
das System
|
125
|
Erinnerung |
125
|
Mechanismus |
125
|
die Schrift
|
101
|
Mathematik |
101
|
Programm |
101
|
System |
101
|
Transfer |
101
|
Diskurs |
101
|
Sprache
|
70
|
Zeichen |
70
|
Technik |
70
|
Kapital |
70
|
Methode |
70
|
Ironie |
70
|
ein Denken der Frage
|
145
|
Laboratorium |
145
|
the Philosophy of Composition
|
345
|
the elimination of occasional
accidents |
345
|
die Methode der Komposition
|
271
|
Ausschaltung des Zufalls |
271
|
Aufklärung
|
117
|
Sachverhalt |
117
|
Buchhaltung |
117
|
Gesellschaft |
117
|
Möglichkeit |
117
|
Widerstand |
117
|
Traumdeutung
|
165
|
Triebverzicht |
165
|
Zivilisation |
165
|
Weltzustand |
165
|
Verbindungslinie
|
184
|
individualisieren |
184
|
kosmopolitisch |
184
|
Grenze
|
75
|
Wort |
76
|
Analyse |
77
|
Zufall |
78
|
Wissenstransfer
|
209
|
Erkenntnistheorie |
209
|
Wörter und Zahlen |
209
|
Das Alphabet als Code
|
148
|
Struktur |
148
|
Metamorphose |
148
|
die große Zahl |
148
|
|