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Romantischer Realismus
Das "Österreichische Hilfskomitee für Afghanistan" (1980-1994) und seine weiterhin aktiven Nachfolgeorganisationen

in: Axel Steinmann: Afghanistan
Ausstellungskatalog
Museum für Völkerkunde, Wien 2003

Mit Beiträgen von Wilfried Seipel, Gabriele Weiß, Axel Steinmann, Max Klimburg, Michael Alram, Zerka Malyar, Sonja Fürnkranz, Herbert Habersack, Christian Reder, Karl Wutt.

 

Ethnografie: Zum Verständnis kultureller Parallelerscheinungen könnte beitragen, sich ein Meinungsklima vorzustellen, in dem kritische Geister reflexhaft als "linke Brüder", als "Gesindel", als "Vaterlandsverräter" abgestempelt werden, Böses in aller Regel von außen, von Fremden kommt und nach Bedarf manche der unverletzbar grinsenden Akteure plötzlich als "liberal" und "moderat" gelten, im Vergleich sozusagen. Die Suche nach Zonen, in denen ein solches Vokabular toleriert wird, dürfte einen weit weg von eigenen Erfahrungen führen, zum Beispiel nach Afghanistan, das seit Jahrzehnten unter den Folgen einer Zuspitzung derartiger Denkmuster leidet. Sie wirken auch nach Verschwinden des gemeinsamen Feindes nach. Denn im Umfeld der herrschenden Parteien und diverser Warlords ist es üblich geblieben, störende Kräfte "als links, liberal, maoistisch und atheistisch" zu denunzieren, obwohl anfangs eindeutig "linke und bürgerliche Intellektuelle sowie die Stammesgesellschaften" treibende Kraft des Widerstandes und der damit verbundenen Selbstfindungsansätze gewesen sind (Michael Pohly, 1991, S. 208, 4). Für die mit sowjetischer Hilfe herrschende Demokratische Volkspartei Afghanistans war es schließlich nur noch um Machterhalt durch Terror gegangen; darin Alternativen zu sehen, hat sich auch international bald erübrigt. Unter den mit massiver Unterstützung der Geheimdienstwelt zwischen Washington, Islamabad und Riad hochgekommenen politischen Gruppierungen wiederum galten immer jene als halbwegs "moderat", deren Fundamentalismus gerade nützlich und halbwegs manipulierbar erschien. Verdrängt ist, auf welchem normalen Weg sich Afghanistan, Jahrhunderte lang ein vergleichsweise offenes, tolerantes Land mit weitläufigen Handelsbeziehungen, seit den 1960er Jahren befunden hat, mit unruhigen Studenten und frechen Jeans-Mädchen in den Straßen Kabuls. Die medial verbreitete Folklore grimmiger Turbanträger mit Kalaschnikows verfestigt in den Köpfen andere Bilder.

Diskrete Direkthilfe

Wer ist vor gut zwanzig Jahren von Wien aus aktiv geworden, um aus Anlaß der Afghanistankrise an einem Transfer zum armen Süden und an solidarisch-demokratischen Zuständen mitzuwirken oder sich sogar selbständige Arbeitsfelder in der Fremde zu suchen? Es sind Ethnologen, Ärzte und Ärztinnen, Angehörige des afghanischen Exils, Leute aus dem Umfeld der Caritas, der Volkshilfe oder von Amnesty gewesen, ohne die Hoffnung, allzuviel erreichen zu können und ohne irgendwelche Absichten, "die Russen" bekämpfen zu wollen. Gerade in als links, liberal, maoistisch oder atheistisch verfolgten Kreisen, in zwischen diverse Fronten geratenen Flüchtlingen also, haben sie oft am ehesten integre Kooperationspartner gefunden. Ostentativ religiös oder afghanisch ist von diesen kaum wer aufgetreten. Die kursierenden politischen Standpunkte waren keineswegs konfuser als gewohnt, lehrreich auch für Ankommende, deren eingelernte Zuordnungen dabei waren, brüchig zu werden. "Rechte" Allianzen sind trotz aller Tarnungen dennoch überall bemerkbar geworden, durch klimatische Unterschiede, als Gegenkräfte. Mit ihnen wollten gerade jene nicht unbedingt zu tun haben, die ursprünglich mit den angestrengten Modernisierungsversuchen sympathisierten, den Inhaftierungs- und Foltermethoden der Einheitspartei aber entkommen waren. An demokratisch-emanzipatorischen Strukturen, abgeleitet aus den traditionellen Ratsversammlungen, gab es durchaus ein starkes Interesse. Viele der im Gesundheitswesen, für Schulen, für Sozialprojekte so dringend gebrauchten halbwegs Ausgebildeten signalisierten, daran mitwirken zu wollen, trotz der trostlosen Gesamtlage. Aus ihren Reihen stammte der lokale Kern des "Österreichischen Hilfskomitees für Afghanistan" (ARC Austrian Relief Committee for Afghan Regugees), das 1980 seine Arbeit in den riesigen Flüchtlingslagern in Pakistan aufgenommen hat. Einige Jahre später war daraus eine der großen unabhängigen Hilfsaktionen für die notleidende afghanische Bevölkerung geworden, mit phasenweise über 300 lokalen Mitarbeitern und einem international aufgebrachten Gesamtbudget von rd. 450 Mio. Schilling, etwa 33 Mio. € (1980-1994). Die Mittel stammten anfangs aus Österreich, als Spenden und staatliche Mittel, im weiteren sind über drei Viertel der Budgets von karitativen Institutionen aus Dänemark, Norwegen, den Niederlanden, der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz, aus Großbritannien, den USA oder von UN-Organisationen abgedeckt worden.

Aus den Gesundheitsprojekten hat sich schließlich - nach Übergabe der Programme im Jahr 1994 - die pakistanische Organisation Frontier Primary Health Care (FPHC) entwickelt, die für afghanische Flüchtlinge und die lokale pakistanische Bevölkerung arbeitet. Ihre drei Training Center und sechs Primary Health Care Center im Distrikt Mardan haben zur Zeit über 100 Beschäftigte und fast 300 Trainees. Aus unseren Direktinitiativen in Afghanistan wiederum ist das neue ARC, das Afghan Relief Committeee entstanden, bewußt mit den gleichen Initialen wie früher. Es unterhält Büros in Peshawar; Kabul und Nangarhar, betreibt ein kleines Spital in Peshawar, Basic Health Stationen in Jalalabad und Kunar und wirkt an der Lebensmittelverteilung von UN-Organisationen, an der Errichtung von Grundschulen, Kindergärten, Waisenhäusern und an der Renovierung von Bewässerungssystemen mit. Die Intentionen, anderswo nicht dazu passenden Flüchtlingen Schutz und Arbeit unter wenigstens intern demokratisch orientierten Bedingungen zu bieten, um mit gemeinsamem Engagement sozial effektive Arbeit zu leisten, haben also durchaus Langzeitwirkungen entfaltet. Nur in solchen Gruppen konnten versprengte Aktivisten vor dem planmäßig aufgebauten islamistischen Druck halbwegs geschützt werden. Zur Herausbildung politischer Kräfte war das zu wenig. "Offiziell" wurde bekanntlich auf Fundamentalisten gesetzt, die schließlich zum neuen zentralen Problem werden sollten.

Vertreibungsmanöver

Am 30. Oktober 1991 ist Dr. Abdul Rahman Zamani, unser langjähriger ärztlicher Leiter, mit seinem Bruder Mir Zamani und dem Fahrer Sahib Rehman in einem der weissen, als ARC-Fahrzeug gekennzeichneten Transporter des österreichischen Hilfskomitees vom 60 Kilometer entfernten Mardan her nach Peshawar unterwegs gewesen, als sie ein Toyota Land Cruiser mit getönten Scheiben überholte, ein Wagentyp, "den afghanische Flüchtlinge bevorzugen", wie die Regionalzeitung "The Frontier Post" in ihrem Bericht darüber betont hat. Die aus ihm heraus mit Kalaschnikows abgegeben Feuerstöße verletzten die Insassen erheblich, sie haben aber glücklicher Weise alle überlebt. Die Hintergründe dieses Attentats wurden nie geklärt, paßten aber zur Zunahme von Gewalttaten gegen mißliebige Personen.

Unsere Programme in Pakistan und Afghanistan liefen damals immerhin schon über zehn Jahre, Zehntausende Flüchtlinge und insgesamt viele Hundert wechselnde lokale Mitarbeiter profitierten davon. Die unmittelbaren Konflikte hatten sich bis dahin in Grenzen gehalten, obwohl auf die akuten Notlagen trotz ständig größer werdender Organisation nie wirklich befriedigend reagiert werden konnte. Erst in den 90er Jahren, im Chaos des Bürgerkriegs, der beginnenden Talibanisierung, wurde die Fortführung zunehmend schwieriger. Für unabhängige Initiativen machte das den Handlungsraum immer enger. Unsere Mädchenschulen mußten geschlossen werden. Die Beschäftigung von Frauen stieß auf zunehmende Widerstände; ihr Anteil sank von anfangs 50 schließlich auf 20 und 10 Prozent. Inzwischen sind bei der Nachfolgeorganisation in Pakistan wieder 40 Prozent erreicht. Afghanische Mitarbeiter in Schlüsselstellungen fühlten sich jedenfalls zunehmend bedroht, so wie Angehörige der sogenannten kritischen Intelligenz generell, die in einem Vierteljahrhundert Krieg, mit einer Million Toten und dem bis dahin größten Flüchtlingsstrom seit dem 2. Weltkrieg, zu den vorrangig verfolgten Opfern gehörten.

Dr. Zamani ist wie alle anderen lokalen Mitarbeiter selbst Flüchtling gewesen und hat dann mit seinen Teams in den Lagern Pakistans ein weithin als vorbildlich angesehenes medizinisches Betreuungssystem aufgebaut, mit Mutter-Kind-Programmen, niedriger Säuglingssterblichkeit, Vorbeugungsmaßnahmen, extensiver Schulung, Publikationen, Sanitärinitiativen. Wegen der von den Schüssen zerfetzten Nervenstränge seiner Schulter hätte er kaum mehr als Arzt arbeiten können; im Wiener Lorenz Böhler Krankenhaus ist ihm diese Möglichkeit durch Primarius Johannes Poigenfürst und Werner Vogt gerettet worden. Heute lebt er, nach Einsätzen in Bangladesh, als Arzt und Direktor der Nursing School der Universität von Kalifornien in San Diego. Nassim Jawad wiederum, ursprünglich afghanischer Student in Wien, ist für zehn Jahre in Pakistan Leiter unserer Programme gewesen; durch seine Exponiertheit gefährdet kehrte er schließlich nach Europa zurück und hat dann für NOVIB (NL) und die Agha Khan Foundation in Zentralasien Entwicklungsprojekte betreut. Derzeit ist er Berater des Ministeriums für Wiederaufbau in Kabul. Nur Mohammed Safa absolvierte die Hotelfachschule in Wien, war Assistant Manager im Hilton-Hotel und dann ARC-Administrator in Peshawar; heute ist er Diplomat am österreichischen Generalkonsulat in New York. Seine Frau Fahima und ihre Schwester Djamila haben zuerst als Flüchtlinge in unseren Lagerprojekten gearbeitet; um ihnen Lebensaussichten zu bieten, holten wir sie nach Wien. Fahima diplomierte an der medizinisch-technischen Akademie und hat als Laborantin am Allgemeinen Krankenhaus gearbeitet. Djamila studierte in den USA Informatik und wurde Softwarespezialistin, zuerst bei der NASA, Abteilung Klimaveränderung, jetzt im CSC-International Science and Computer Center. Ihr schließlich nachgekommener Vater Ali Mohamed Zahma, früher Professor für Literatur und afghanische Geschichte in Kabul und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, als Regimekritiker inhaftiert und gefoltert, lebt weiterhin in Wien und wir bereiten seine - zumindest partielle - Rückkehr nach Kabul vor, wo er an der Wiedererrichtung von Universitätsinstituten mitwirken möchte. Ghulam Hassan, ein anderer unserer langjährig mitarbeitenden Freunde, der Intention nach Dichter, betreibt in Australien eine Orangenfarm. Mit landläufigen Bildern von Wirtschaftsflüchtlingen haben solche Lebenswege nichts gemein, sie repräsentieren viel eher, welche Energien freigesetzt werden, wenn halbwegs solidarische Umstände etwas ermöglichen. Dass im Umfeld von Bundeskanzler Bruno Kreisky, der sich selbst mehrfach persönlich berichten ließ, Beamte, von Georg Lennkh bis Wolfgang Petritsch, oder in Botschaften Paul Hartig, Hans Walser oder Eugen Ruff tätig waren, auf deren informelle Hilfe in solchen Fällen gezählt werden konnte, läßt spätere, von fast allen "tragenden Kräften" forcierte Xenophobietendenzen mit ihrem verächtlichen Gerede über Asylanten und Gutmenschen um so widersinniger erscheinen. Zur Konstruktion negativer Flüchtlingsbilder, mit Diskriminierungen und Schikanen, ist es, wie einem bewußter sein sollte, vor allem seit den 90er Jahren gekommen, als der frühere Slogan "die Freiheit wählen" ziemlich rasch seine Kraft verlor, trotz allem Bedarf an Zuwanderern.

Ausgangspunkt: Das Wiener Völkerkundemuseum

Schlüsselfigur unserer "unethnologischen" Praxis ist der Ethnologe "Teddy" Janata (1933-1993) gewesen, Kustos am Museum für Völkerkunde in Wien, der sich seit den 50er Jahren intensiv mit Afghanistan befaßt hatte. Für ihn war es naheliegend, angesichts der 1980 einsetzenden Flüchtlingskatastrophe eine Solidaritätsaktion ins Leben zu rufen und in Wien lebende Afghanen sowie an solchen Kooperationen Interessierte im "Österreichischen Hilfskomitee für Afghanistan" zu versammeln. Wir kannten uns aus Wiener Künstlerkreisen; gerade von Projektplanungen aus Nicaragua zurück, habe ich ihn nach einem seiner Radiointerviews angerufen und meine Mitarbeit angeboten. Es ist ein Sprung aus damals noch revolutionär-optimistischen Perspektiven Lateinamerikas in die Tristesse einer Dauerkrise geworden. Wir dachten an eine Soforthilfe über einige Monate hinweg, dass fünfzehn Jahre und mehr daraus werden würden, hat sich niemand vorstellen können. Nassim Jawad, die Ärztin Uta Pichl und ich recherchierten in den Hunderten eilig errichteten Lagern entlang der Grenze. Die zuständigen Behörden in Pakistan sind freundlich auf Geldüberweisungen aus gewesen, mit dem üblichen NGO-Drive (als Nicht-Regierungs-Organisation) wollten wir aber selbst für einen überprüfbar zweckmäßigen Einsatz in Aussicht stehender Mittel sorgen. Der "Kurier", die "Kronen Zeitung", der ORF haben ausführlich berichtet, bald war die erste Million auf dem Konto, die Bundesregierung verdoppelte diesen Betrag und plötzlich schien einiges möglich zu werden.

Bereits Wochen später, nach dem Nassim Jawad und ich die Grundstrukturen, einschließlich Budgetierung, Berichtswesen, Controlling konzipiert hatten, begann im Lager Gandaf ein Basic Health Team zu arbeiten, bald darauf eines im Lager Baghicha, schließlich noch zwei in den Lagern Kagan und Khushi. Aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen entwickelte sich alles weitere. Nach der Aufbauphase sind vom österreichischen Komitee in Pakistan neben dem Gesundheitsdienst mit vorrangigen Frauen- und Mutter-Kindprogrammen noch Lagerschulen, Kinderspielplätze, Nähprojekte, Lehrwerkstätten, Arbeitsvermittlungen finanziert und organisiert worden. In Afghanistan selbst mußte erst ein Netz von Vertrauensleuten aufgebaut werden, bevor Schritt für Schritt Beiträge zum Wiederaufbau, Agrarvorhaben oder ärztliche Stationen realisiert werden konnten. Über die beratende Mitarbeit von Dr. Gebhard Breuss, Dr. Reinhard Dörflinger, Mandana Kerschbaumer, Inger Boesen, Susanne Burgstaller, Paula Smith oder Madeline Patterson wurde versucht, für die Gesundheitsvorsorge, eine traditionsnahe Medizin ohne Spritzen- und Pillenpropaganda oder für die Frauensituation sensibilisierte Positionen zu bestärken. Hebammen und Betreuerinnen sind entsprechend geschult, Schlüsselleute zur Fortbildung nach Europa entsandt worden. Mit unserer Unterstützung bildeten sich Lagerkomitees. Studenten von Günter Domenig an der Technischen Universität Graz planten ein dem feucht-heissen, für Afghanen ungewohnten Klima angepaßtes Ambulanzgebäude aus Lehm, um der Tendenz zu Wellblech-Slums zu begegnen. Eine Reihe weiterer Gebäude folgten. In Kooperation mit UNHCR sind Tausende Latrinen errichtet worden. Für individuelle Soforthilfe in prekären Fällen wurden Sonderbudgets bereitgehalten, für Warenlieferungen diversester Organisationen die Verteilung organisiert.

Von den Wiener Aktivisten haben viele insgesamt monatelang nebenberuflich für das Komitee gearbeitet, alle ehrenamtlich; nur für Beratungs- und Arbeitseinsätze in Pakistan sind Reisespesen bzw. Grundbudgets übernommen worden. Bei afghanischen Mitarbeitern war uns die Stammeszugehörigkeit, gegen alles Gerede von ihrer Bedeutung, nie besonders wichtig, es sei denn, Verwandtschaftsbeziehungen ließen sich vertrauensbildend nutzten. Ethnologische Hintergrundberatung sorgte für ein Grundverständnis, in ihrer rückwärtsgewandten Tendenz konnte sie aber auch hinderlich sein. "Normal" ist die Zusammenarbeit geworden, als Konflikte in so "universeller" Art ausgetragen wurden, dass beidseitig keinem der Verdacht gekommen ist, es könne irgendwelche rassistischen Motive geben. Nur mit interkultureller Höflichkeit allein ließ sich manches nicht bewältigen, noch dazu unter dem Druck, stets zu wenig zu tun - und zu wenig links, zu wenig radikal, zu wenig feministisch zu sein. Indem die Zuständigen dann und wann auch schmerzliche Initiativen ergreifen mußten, ließ sich Pragmatik üben - und Durchhaltevermögen.

Internationalisierung

Dass eine NGO dieser Art demokratieprägende, zivilgesellschaftliche Funktionen habe, wie das inzwischen auf breiter Ebene beansprucht wird, ist zwar durchaus die Absicht, aber nicht primärer Punkt des Selbstbewußtseins gewesen. Es war zu präsent, wie eruptiv, eifersüchtig und wichtigtuerisch die Verhaltens- und Abstimmungsweisen in solchen Vereinen gelegentlich sein können. Tatsächlich "regierungsunabhängig" waren wir wegen unserer vielen Kooperationspartner. Auf jährlichen Konferenzen in Wien sind die Planungen abgestimmt worden, die Geldgeber kontrollierten oft auch direkt vor Ort. Die von Beginn an bewiesene Transparenz mit umfangreichen Jahresberichten, präzisen Abrechnungen, niedrigen Administrationskosten dürfte für die anhaltend guten Kontakte grundlegend gewesen sein; denn viele solcher Institutionen suchen überzeugende Projekte. Diese interne Öffentlichkeit war wichtiger als jede offensive Medienarbeit, die uns nur in die angeberisch-martialischen Töne der üblichen Berichterstattung hineingezogen hätte. Selbst Analytiker, denen die dubiosen Hintergründe vieler Hilfsmaßnahmen nicht verborgen blieben, haben bestimmte Programme als besonders sozial und effektiv hervorgehoben, so vor allem internationale Rot-Kreuz-Organisationen und die "des österreichischen, französischen und schwedischen Hilfskomitees" (Pohly 1991, S. 388). Die positive Einschätzung des damaligen UN-Hochkommissars für Flüchtlinge, Roman C. Kohaut ("your teams have been operating most successfully and their energetic egfforts have contributed greatly in the improvement of the state of health of the refugees"), hatte eine langjährige Kooperation mit UN-Stellen eingeleitet. Das UNHCR Refugees Magazine brachte ausführliche Berichte (z. B. Nr. 2/1983). In London wurde das ARC "as the most suitable vehicle for any British funds" bezeichnet (ARIN-Afghan Refugee Information Network, London, Nr.7/1982). Pogrom, die Zeitschrift für bedrohte Völker, konstatierte schon früh, es sei "dem Österreichischen Hilfskomitee am besten gelungen, kontinuierlich und wirksam für die afghanischen Flüchtlinge in Pakistan zu arbeiten" (pogrom, Göttingen, Nr. 87/1982). Legitimiert waren wir von niemandem außer von der Zustimmung unserer Partner und den immer weniger werdenden Vereinsmitgliedern. Spürbar blieb lange, daß wir in der politisch aufgeteilten österreichischen Entwicklungshilfeszene als verdächtige Außenseiter galten, nicht deutlich links, nicht deutlich katholisch; aber wer ist so was schon "wirklich". Erst die internationale Anerkennung - und Finanzierung - brachte eine Wende. Österreichische Stellen zogen so lange mit, bis sie andere, damals risikolosere Schwerpunktländer, in der Region vor allem Bhutan und Nepal, festlegten. Schließlich gab es sogar Übergangsfinanzierungen für unsere Nachfolger, weil sich Gerd Kellermann, Leiter von adc, Austrian Development Corporation, der seine entwicklungspolitische Karriere bei ARC begonnen hatte, dafür einsetzte.

Die von Wolf Zacherl und mir im Jahr 1994 konzipierte und betreute Weiterführung in lokalen Organisationen sollte neue Formen von Kontinuität ermöglichen. Nach 15 Jahren waren wir schlicht ziemlich ermattet, ohne die frühere Kraft zum ständigen Problemlösen aus der Ferne und zu akuten Beratereinsätzen. Der zunehmende politische Druck machte uns zu schaffen, das Attentat auf Dr. Zamani, der Weggang von Nassim Jawad, interne Konflikte um Nachfolgeregelungen und Programmgestaltung, die zunehmende Talibanisierung, schließlich der Tod des ARC-Gründers Alfred Janata und von Ilona Seilern, die uns jahrelang seitens der Caritas begleitet hatte. Dass unter solchen Umständen Auflösungserscheinungen vermieden werden konnten und es zur Fortführung der Arbeit unter anderen Namen gekommen ist, hat das "Österreichische Hilfskomitee für Afghanistan" letztlich zu einer vergleichsweise besonders langlebigen, anhaltend wirkungsvollen Aktion gemacht.

Gewinnen wird keiner ...

Ganz am Anfang, im Sommer 1980, sind Nassim Jawad und ich illegal und verkleidet über die Grenze nach Nuristan marschiert, um Hilfsmöglichkeiten in Afghanistan selbst zu erkunden. Wir kamen bis Kamdesh, Mandagal und Ormol, beschützt von den Leuten eines unabhängigen Kommandanten. Auf 4000 Meter hohen Pässe ist einem bewußt geworden, was ein urbaner Körper gerade noch durchhält. Eingeprägt hat sich, dass Anarchie ohne jede Staatsgewalt keineswegs zu lebensgefährlichem Chaos führen muß. Meist sind wir freundlich, manchmal reserviert empfangen worden. Jedes Dorf war eine Welt für sich. Dass Hilfe von außen kommen könnte, wir dachten an Schafherden, an Saatgut, ist ziemlich ungläubig aufgenommen worden. Es hat auch wegen der Transportschwierigkeiten damals noch nicht funktioniert. Ausgebrannte Panzerwagen, abgeschossene Helikopter bezeugten heftige Kämpfe, selbst in diesem entlegenen Gebiet im Nordosten. Winzige Bergdörfer waren massiv bombardiert worden, im Jahr davor, noch von der eigenen Armee. Was die Revolutionsregierung wollte, Soldaten, Steuern, Schulen - auch für Mädchen - wurde offensichtlich nicht akzeptiert. Vereinzelt sind wir auf Frauen gestoßen, die bei der Feldarbeit mit Kalaschnikows bewaffnet waren; Anzeichen eines vorher kaum denkbaren, aber rasch wieder blockierten sozialen Wandels. Viele Routen waren aus der Luft vermint, mit den berüchtigten kleinen Schmetterlingsminen, die "nur" schwere Verletzungen zufügen und vorrangig die Zivilbevölkerung terrorisieren. Von den Mujahedingruppen unterwegs hatten damals alle nur altertümliche Waffen; sie wechselten sich an diversen Fronten ab, um ihre Gebiete zu schützen. Jeder Regierung in Kabul standen sie traditionsgemäß skeptisch bis feindselig gegenüber; eine Einstellung, die auch anderswo vorkommen dürfte. "Gewinnen wird keiner" hat mein damaliger Bericht darüber geheißen (Neues Forum, Wien, 323/1980 / pogrom, Göttingen, 78/1981). Aus Sicht der Gegenseite hat es erst lange danach glaubwürdige Darstellungen gegeben, etwa jene von Swetlana Alexijewitsch, die mit den anderen "Afghanen" gesprochen hat, mit wegen ihres Kriegseinsatzes daheim so genannten Angehörigen der sowjetischen Armee. Zu deren die ganze Gesellschaft erfassenden Trauma bemerkte ein einfacher Soldat, zuerst gab es "dieses Hochgefühl! Wir hatten unsere internationalistische Pflicht erfüllt"; das aber änderte sich bald: "Afghanistan hat mir die Illusion genommen, dass alles bei uns stimmt, dass die Zeitungen die Wahrheit schreiben, dass im Fernsehen die Wahrheit gesagt wird." Ein Major dachte ähnlich: "Dann wurden Gefangene gebracht: abgemagerte, erschöpfte Männer mit großen Bauernhänden ... Das sollten Banditen sein? Das war das einfache Volk! / Dort haben wir begriffen: Sie brauchen das alles nicht. Und wenn sie es nicht brauchen, was sollen wir dann hier?" (Swetlana Alexijewitsch, 1992, S. 29f., 104).

1994, als sich im Süden die Taliban zu formieren begannen, sind Wolf Zacherl und ich über die Grenze nach Jalalabad und in die fruchtbare Bergregion in Richtung Kabul gefahren, um über die Zukunft der dortigen Projekte zu sprechen; diesmal mit offiziellem Visum, wiederum beschützt von lokalen Gruppen. Wegen der vom Komitee betriebenen ärztlichen Station haben uns die Autoritäten der Zivilverwaltung durchaus interessiert empfangen; aber Mißtrauen, auch untereinander, war überall spürbar. Verwüstungen rundum erinnerten an die schweren Kämpfe um die Stadt. Bewaffnete Trupps bewachten neuralgische Punkte; an sie Gebühren zu entrichten gehörte zur Kriegsökonomie, sie zu versorgen zu den Pflichten jener, von denen es erwartet wurde. Die nervösen, noch an Perspektiven glaubenden Blicke früherer Jahre hatten sich verändert. Alle Jüngeren waren in Kriegszeiten aufgewachsen, Möglichkeiten stellten sich ihnen inzwischen völlig anders dar. Nächtelange Diskussionen mit dem eloquenten Kommandanten und seinem Clan drehten sich um Vorstellungen vom neuen Afghanistan - mit ökologischer Landwirtschaft, selbstversorgend, orientiert auf autonome Regionen. Unbrauchbar gewordene Panzer waren zu einem Monument gruppiert.

 

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Quellen / Informationen

  • Jahresberichte des "Österreichischen Hilfskomitees für Afghanistan". Wien-Peshawar 1980-1994
  • ARC Afghan Relief Committee. e-mail: arcpsh@psh.paknet.com.pk
  • FPHC Frontier Primary Health Care. http://www.net-ngo.com/detailpage.cfm?ngoid=39. e-mail: fphc@brain.net.pk
  • Margaret Patterson: A History of FPHC Frontier Primary Health Care. Studie, London 2003
  • Swetlana Alexijewitsch: Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen. Frankfurt / M. 1992
  • Felix Ermacora: Bericht über die Lage der Menschenrechte in Afghanistan. An die Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 5.11.1985. 1986
  • François Jean / Jean-Christophe Rufin (Hg.): Ökonomie der Bürgerkriege. Hamburg 1999
  • Jean-Christophe Rufin: Das Reich und die Neuen Barbaren. Berlin 1993
  • Michael Pohly: Krieg und Widerstand in Afghanistan. Ursachen, Verlauf und Folgen seit 1978. Berlin 1991
  • Saskia Sassen: Migranten, Siedler Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europa. Frankfurt / M. 1996

 

 
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© Christian Reder 2003