Berechnendes
Denken, verkehrte Abläufe, verstreute Ergebnisse
Die Frage nach Schreibritualen erzeugt ein Problem,
das sonst nur gelegentlich akut wird, weil es
einem nicht bewußt zu sein braucht. Um darauf
in forschender Weise einzugehen, bietet sich an,
vorerst einmal direkt im Alphabet, unter den Zeichen
selbst, mit denen etwas ausgedrückt werden
soll, nach Hinweisen zu suchen. Wird es nämlich
als System auf einander bezogener Einzelteile
betrachtet, ergibt sich für jede Folge von
Buchstaben nach deren Stellenwert ein Code (a=1,
b=2, c=3 usw.). Die sechs Buchstaben des Wortes
Ritual haben somit den Code 81: Ritual
[81] – also den gleichen alphanumerischen
Wert wie Problem [81],
Verdacht [81], Handlung
[81], Standard
[81], wie Wollen [81],
wie Warten [81] und wie
der Buchstabe [81] als
solcher. Schreiben [83]
wiederum, das über weite Strecken mechanisch
[83] erfolgt, verweist direkt auf Schrift
[83], auf Bedingung [83],
auf Ambition [83]. Dichtung
[86] ist offensichtlich explizit auf Rituale
[86] angewiesen, auf das
Symbol [86] und die Metapher
[86], also ein Verbinden
verschiedener Dinge.
Ein Schreibritual [145]
hat – wenn es um die einzelnen Zeichen,
also „elementare“ Genauigkeit geht
– viel mit Selbstzweck [145],
Ordnungsliebe [145], Montagetechnik
[145] zu tun, wie in einem Laboratorium
[145], unabhängig
davon, ob nun dramatisierende
[145], humanisierende [145]
oder persiflierende [145]
Standpunkte [145] eingenommen
werden oder einen sonst etwas zum Verzweifeln
[145] bringt. Inwieweit
daraus ein Lügenritual [145]
wird, hängt von anderen Faktoren ab.
Jedenfalls: Wird ein Ritual [81]
auf solche Weise berechenbar [81]
gemacht, müßte es – so oder so
– eigentlich perfekt [81]
funktionieren. Sagt doch das Alphabet
[65] selbst, daß es als Medium
[65], als Brücke [65],
als Netz [65] zu behandeln
[65] sei, damit der Gebrauch
[65] von Papier
[65] zum Öffnen [65]
von diesem und jenem dienen kann. Auffallend ist
auch, daß dem direkten Bezug von Frauen
[65] zum Alphabet [65],
zu Medium [65], Wärme
[65], Beischlaf [65]
für Männer [70]
jener zu Sprache [70],
Zeichen [70], Ziffer
[70], Methode [70],
Ironie [70] und Kapital
[70] entspricht.
Da eine solche Selbstreferenz [174]
praktisch jede auf diese Weise gefundene Problemlösung
[174] als unkritisierbar
[174] hinstellt, könnten
Schriftsteller [174] damit
auf einem stringenten Mathematik [101]
-Programm [101] aufbauende
sonderbare [101] Geschichten
[101] erzeugen [101].
Als Impulsgeberin [150]
für Schreibrituale [150]
und ein Argumentieren [150]
verstanden, dient die Methode einem Verständnis
[150] für Sublimierung
[150]; gerade weil alles
so geheimnisvoll [150]
erscheint, es letztlich aber keineswegs ist. Das
Verfahren beweist [83]
bloß, wie mechanisch [83]
Schreiben [83] angegangen
wird und es daher sehr oft um berechnende
[83] Formeln [83]
geht. Denn ohne Ritual [81]
kann jeder Buchstabe [81]
zum Problem [81] werden.
[ ]
So viel Berechnendes zu Schreibritualen, vom
eigentlich Materiellen her betrachtet. Parallel
zu Materie ist für mich Zeit wichtig, erfahren
als Lebensspanne mit gewissen Wahrscheinlichkeiten.
Da ist bei mir einiges, wegen freiwilliger Richtungsänderungen
hin zu kultureller Produktivität, atypisch
(also unter Ritualänderungen) gelaufen, gemessen
am bereits alphabetisch vorgesehenen Zusammenhang
von Markt [63], Nachfrage
[63], Erfolg [63].
Kulturökonomie ließ sich dadurch als
höchst unausgewogene, völlig ritualisierte,
vieles negierende, vieles überspitzende Zone
begreifen. Meine ersten publizierten Texte, ich
war Ende Zwanzig, sind in Kleinstauflagen von
einigen wenigen Exemplaren erschienen; so viel
verdient habe ich pro Wort, pro Zeile, pro Seite
seither auch nur annähernd nie wieder. Angefangen
hat es finanziell also paradox: so als ob Schriften
aus dem Nachlaß einer Berühmtheit auf
den Markt gekommen wären. Die Umstände
(und Rituale), die das ermöglicht haben,
sind präzis definierbar. Es ging um Beratungsprojekte,
um Systemanalyse, Gutachten, Konzepte –
um ein Visualisieren [163]
von Zahlenmystik [163]
und Nützlichkeit [163].
Der elegante Rahmen einer internationalen Consultingfirma
machte jedes dieser Bücher zu Millionenunternehmen.
Verkauft waren sie schon im voraus. Die Stückzahl
blieb eng limitiert, da der Inhalt in aller Regel
nur wenigen zugänglich sein durfte. Weil
vorgeschlagen wurde, was getan werden sollte,
um sich aus Traditionen zu lösen und Entwicklungen
nicht zu verpassen, spielte Geld dabei keine vordergründige
Rolle. Eine gegenseitige Wertschätzung war
von vornherein gegeben. Wegen der Konzentration
auf den öffentlichen Dienst, vom Gesundheitswesen
über Kommunalverwaltungen bis zu Museen und
Universitäten, sind bei mir auch längere
Zeit kaum essentielle Motivationsblockaden aufgetaucht;
dies auch deswegen, weil Reformansätze damals
etwas zum Besseren wenden sollten und noch nicht
völlig von den inzwischen geläufigen
alternativelosen Destruktionstendenzen dominiert
waren.
Dreißig Jahre später, längst
„abgedriftet“ in Essayistisches, dezidiert
Freiwilliges, bewußt Heterogenes, wofür
das parallele Bemühen um differenzierende
Sachlichkeit nicht das schlechteste Training war,
konzentrieren sich meine Rituale auf das Aufbringen
von Investitionen in potentielle Leser und Leserinnen
(damit Bücher zu Preisen weit unter den eigentlichen
Gesamtkosten erscheinen können), beratende
Kontakte zu Verlagen, die Herausgabe der Edition
Transfer, die Konzeption von Projekten als Basis
neuer Publikationen und Analoges, das zur Behauptung
einer gewissen Art von Öffentlichkeit, in
der Transdisziplinäres und Transkulturelles
halbwegs Akzeptanz findet, notwendig ist.
Technisch gesehen schreibe ich seit Studienzeiten
mechanisch, mit der Maschine also, angewiesen
auf die Zeigefinger. Handschriftlich gibt es von
mir nur Unterschriften, Korrekturen, Notizen,
Beileidsbriefe. Selbst Postkartengrüße,
oft auch Eigenes, kann ich kaum noch entziffern,
so entwöhnt bin ich diesen Aufschreibformen
(aber Latein habe ich auch wieder verlernt). Früher
gab es mindestens drei Fassungen bis zur Reinschrift,
jetzt wird mit perfektionistischem Interesse,
Varianten ausprobierend, am Bildschirm und auf
Ausdrucken korrigiert. Daß der Computer
dabei ständig berechnete Bilder erzeugt,
macht ihn zum höchst brauchbaren Gerät.
Optisches ist mir wichtig. Überholtes verschwindet
ungesichert, und das stört mich fast nie.
Die Vorstellung, von Hotel zu Hotel zu ziehen,
gedanklich begleitet vom aktuellen Thema, verflüchtigt
sich immer wieder. Manchmal funktioniert es irgendwo
anders, intensiv wird die Sache erst in der gewohnten
Umgebung, mit jahrelang angesammeltem Material,
Tausenden Büchern in greifbarer Nähe
und dem sofort zugänglichen Internet als
Archiv. Am Schreibtisch herrscht ständiges
Chaos, weil vieles unmittelbar greifbar sein muß
und ein Zurückordnen vom Wesentlichen abhält.
Ich arbeite schnell oder langsam, Zwischenstadien
lähmen mich eher. Termine einzuhalten spornt
mich an. Es muß aber ausreichend Zeit sein.
Am besten läuft es in voller Konzentration,
ohne Unterbrechungen; dann fallen mir sogar im
Schlaf und irgendwann als Nachhall plötzlich
Verbesserungen ein. Sobald ein Text auf mich wirkt,
als würde er von jemand anderem stammen,
scheint er sich endlich verselbständigt zu
haben. Daß sich Gedrucktes von mir entfernt,
irgendwo und irgendwann anonym Verwendung findet,
ist mir sympathisch; Vorlesen, Vortragen, Vorbeten
ist es in der Regel nicht. Beim Lesen und Schreiben
ist mir Stille wichtig, am Buch schätze ich
dessen Verwendbarkeit, Haltbarkeit und Mobilität.
Wann und wo, mit wie viel Kaffee, Tee, Zigaretten,
Unterstützung ich schreibe, wie ich anfange,
aufhöre, dürfte, abgesehen von materiellen
Sicherheiten, nichts allzu Spezielles, geschweige
denn Geheimnisvolles an sich haben. Zuerst ist
nichts da oder ein Durcheinander von Vorstellungen,
dann ergeben sich Zugänge, irgendwann wird
ein Ausgang erkennbar. Sich drinnen in diesem
Raum zu bewegen fordert einen; Gedanken, die es
vorher nie gegeben hat, nehmen Form an. Der Ton
ist zu finden und zu variieren. Rhythmen machen
sich bemerkbar. Vieles gelingt überraschend,
taucht von irgendwo her auf. Unausgesprochenes
als Subtext mitzudenken, wird oft zum eigentlich
Prägenden. Biographisch merkwürdig ist,
daß es bei mir zunehmend nur mehr um ein
Schreiben über mehr oder minder frei gewählte
Themen geht. Akzeptable Verführungen, gelegentlich
auch sonst noch etwas Herausforderndes zu tun,
sind deutlich zurückgegangen. Kompliziertes
und Vereinfachendes haben anscheinend immer weniger
mit einander im Sinn. Auch die Rituale tendieren
zum Do it yourself. Tendenzen, in Selbstbezügen
verloren zu gehen, versuche ich durch temporäre
Kooperationen in Balance zu halten, in dem ich
mich und andere zu brauchbaren Texten und Visualisierungen
anrege. Daß so was dann existiert, ist schon
„etwas“.
[ ]
Codes [46] sagen
[46] etwas zum Chaos [46];
der Ursprung [134] (von
diesem und jenem) ist das Tohuwabohu [134].
Nur was wahrscheinlich [140]
ist, gilt als verständlich [140].
Unwahrscheinliches [199]
wird generell mit Sinnestäuschung
[199] gleichgesetzt. Handlungsfreiheiten
[199] von vornherein in diesem Sinn zu
strukturieren [199], stellt
sogar das in diesen Breiten übliche Aufschreibsystem
[193] als notwendige Automatisierung
[193] dar. Soviel noch zum Thema
[47]: der Gedanke [47]
als Ware [47]. Letztlich
dreht es sich dabei immer irgendeine Zahl
[47].
Ritual [81] und Ideologie
[81] sollen Risiko [81]
berechenbar [81] machen.
Geht es um Unberechenbarkeit [161],
hat sie als Inszenierung [161],
als Unterhaltung [161]
zu funktionieren [161].
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