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www.ChristianReder.net: Publikationen: Manfred Fassler: Erdachte Welten
Edition Transfer bei Springer Wien NewYork
   
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Springer Wien New York
 

Manfred Fassler
Erdachte Welten

Die mediale Evolution globaler Kulturen

Edition Transfer bei Springer Wien New York 2005, herausgegeben und mit einem Nachwort von Christian Reder

Medien sind aus unserer Welt nicht wegzudenken. Ohne Medien wäre Kultur im „klassischen“ und gegenwärtigen Sinne nicht machbar, nicht beschreibbar. Um den Dauertransfer zwischen Denken, Medien, Wissen, Kultur geht es in diesem Buch. Grundthese ist, dass der Mensch (homo sapiens sapiens) sich medial selbst befähigte. Einmal begonnen, mit lautmalerischer Sprache vor vielleicht 100.000 Jahren, lassen sich diese ko-evolutionären Prozesse nicht mehr stoppen. Ausgehend von Fragen an die weltweit dokumentierten Höhlenmalereien wird die Argumentation weiter geführt über Sprachsinn, Bildsinn, Zahlensinn, die Schriften, über die Entstehung der Konzepte Geschichte, Philosophie, Schriftreligion, der griechischen Klassik, bis zur Digitalisierung und den fiberoptischen Medien. Focus ist: die Entstehung und Stabilisierung des evolutionär sehr jungen Mediensinns, durch den abstrakte Weltordnungen erst schlüssig darstellbar werden.


Nachwort
Christian Reder

„Die mediale Evolution globaler Kulturen“ analysiert Manfred Faßler als in der Frühzeit des Menschen beginnende, sich allmählich oder abrupt verändernde Prozesse, die immer wieder „Erdachte Welten“, also Weltsicht und Weltkonstruktion entstehen lassen, ohne tatsächlich auf Vorstellbares oder gar Abschließendes zuzusteuern. Unter Ausblendung der „Suche nach dem Möglichen“ ließen sich diese offen bleibenden oder sich wieder öffnenden, Fortschrittsglauben, Totalitäres, Katastrophisches mittragenden Vorgänge nicht begreifen, weil „der Mensch seine eigene nicht endende Utopie“ sei. Dessen mediale Selbstbefähigung steht für ihn im Zentrum – denn „das Künstliche (der Informationen, der Muster, der Modelle, des selbstbezogenen Denkens, des Entwurfes, der Techniken des Denkens und Gestaltens) ist die Kerndimension des biologisch-sensitiven Lebens.“ Nachvollziehbar und verständlich werde das erst unter Beachtung hochkomplexer dynamischer Wechselseitigkeiten, die als medial vermittelter „Dauertransfer zwischen Denken, Medien, Wissen, Kultur“ wirksam werden.

Auf Transfers – uneingrenzbare, sich über Projekte konkretisierende Themen der „Edition Transfer“ – wird auch methodisch durch Vernetzung medien- und kulturwissenschaftlicher, soziologischer, anthropologischer, ethnologischer, neurophysiologischer, bild-, zahlen- und schriftwissenschaftlicher Forschungen gesetzt. Denn unübersehbar sei längst, „dass die disziplinären Grenzen zu unproduktiven oder unterproduktiven Regeln zwischen den Logiken der Wissens- und Handlungsbereiche geworden sind“, es also angesichts „ständiger Unvollkommenheit“ gelte, „dem Rassismus des Perfekten den wissenschaftlichen und politisch-kulturellen Kampf“ anzusagen, aus der Einsicht heraus: „Alle Formen, Strukturen, Symbole, Zeichen, Sprachen sind geworden. Sie werden nie perfekt sein, sondern ein ständiger Transfer ohne Ziel, – das biologische Leben des Menschen. Evolution.“ Manfred Faßlers Grundthese dazu ist, wie gesagt, „dass der Mensch sich medial selbst befähigte. Einmal begonnen, mit lautmalerischer Sprache vor vielleicht 100.000 Jahren, lassen sich diese ko-evolutionären Prozesse nicht mehr stoppen. Ausgehend von Fragen an die weltweit dokumentierten Höhlenmalereien (die ältesten von vor 40.000 Jahren), wird die Argumentation weitergeführt über Sprachsinn, Bildsinn, Zahlensinn, die Schriften (5000 Jahre v. H.), über die Entstehung der Konzepte Geschichte, Philosophie, Schriftreligion, der griechischen Klassik, bis zur Digitalisierung und den fiberoptischen Medien. Fokus ist: die Entstehung und Stabilisierung eines Mediensinns, durch den abstrakte Weltordnungen erst schlüssig darstellbar werden.“

In der „Edition Transfer“ wird solchen Fragen etwa durch die kollektive Beschäftigung mit Syrien, dem phönizischen Herkunftsland von Schrift (Transferprojekt Damaskus, 2003) oder mit Vorstellungen von Wüste – Konservierungszone großartiger Felsbilder – nachgegangen, gerade weil deren Mythologien in Europa, dem einzigen Kontinent ohne solche archaische Leerflächen, anhaltend fortwirken (Sahara. Text- und Bildessays, 2004). Sonst marginalisierte Stimmen aus der arabischen Welt wie der Philosoph Sadik J. Al-Azm oder der Schriftsteller Amin Maalouf kommen zu Wort. Mittels essayistischer Formen und bildlich visualisierter Beiträge wird versucht, Multidimensionales und Zwischentöne präsent zu machen, also dezidiert medial zu agieren. Wenn Manfred Faßler in diesem Band konstatiert, „mich interessiert hier Sprache als Teil menschlicher Bild-, Zahlen-, Text-Kommunikation, nicht als ‚reine’ Syntax“ oder er zum Alphabet feststellt, man könne „an ihm nicht erkennen, ob daraus Gedichte, Befehle, kuriose Gebrauchsanweisungen und noch kuriosere Gesetzestexte werden“, so ergeben sich vielfältige Überlagerungen mit unter dem Titel „Transfer“ bearbeiteten Fragestellungen. Meine provokant-systemanalytische Studie zu Schriftkulturen (Wörter und Zahlen. Das Alphabet als Code, 2000), die kabbalistische Denkwelten aufgreift und zahllose rechnerische, anscheinend Sinn ergebende Wortbeziehungen herstellt, lässt sich dazu gegenlesen. Zu Vorstellungskraft, Bedeutungsbildung, Kunst wiederum sagt der Filmmacher und Theoretiker Peter Kubelka im Sahara-Buch kategorisch: Der Akt, „aus irgendwelchen Erwägungen heraus einen Stein aufzuheben, der einem interessant vorkommt, der einen zu Gedanken anregt und den man sich vielleicht sogar aneignet, gehört zu den ganz archaischen Handlungsweisen der frühen Menschheit und fördert jene Objekte zu Tage, die am Ursprung der Kunst stehen. Am Ursprung der Kunst steht noch nicht etwas Bearbeitetes, sondern ein der Lebensweise der Jäger und Sammler entsprechendes Objekt, das gefunden wurde und für die Frühmenschen ähnliche Arbeit geleistet hat wie in der Moderne eine Plastik von Brancusi.“ Analog dazu betont etwa Sadik J. Al-Azm von Damaskus aus, wie unerlässlich weiträumiges Denken für eine globale Beschäftigung mit der „Condition humaine“ sei: „Die Araber nur als Transferierer zu sehen ist nicht richtig. Auch sehr viel Eigenständiges ist dazugekommen. Es waren höchst komplexe, vielfältig angereicherte Vermittlungsvorgänge, die schließlich den Aufstieg des modernen Europa begünstigt haben.“ Burghart Schmidt wiederum ist in Damaskus zu Gedanken über „fließen, vermischen, austauschen“, zu Urbanität und „Überschneidungszonen“ angeregt worden; selbst Wüsten seien keineswegs Niemandsland, abschottende Barrieren, so seine Argumentation, sondern „auf allen Ebenen Transfer wie Übersetzung, ob ästhetisch, sozial, wirtschaftlich, verkehrstechnisch und mehr. Kein Wunder also, dass gleich neben den Wüsten die Buchreligionen entstanden. Denn auch Buch ist ein dauernd währendes Übersetzen wie die Wüste.“

Manfred Faßler – mit dem mich über genannte und andere Vorhaben hinaus eine jahrelange Kooperationsbereitschaft verbindet – systematisiert solche latente Gedanken durch Betonung der Vermittlungsfunktion von Medien: „Die weltweit entwickelten Kulturen des Homo sapiens sapiens sind aus den sehr unterschiedlichen Erfindungen, interaktiven Nutzungen und den ständigen Erweiterungen des Künstlichen, der Zeichen, der Sprachen und letztlich der Medien entstanden – und entstehen weiter in diesen Konstellationen.“ Langfristige Betrachtungen machen also präsenter, wie unvorhersehbar Perspektiven tatsächlich sind. Sich nach dem Paradies (das auch im Damaskus-Buch ein Thema ist) zurück zu sehnen, konditioniere, so Manfred Faßler, ein höchst problematisches Ideal, denn es „war der geschlossene Raum der Wissensverfügung. Hermetisch, feindlich. Warum es immer noch gefeiert wird, vermag ich nicht zu beantworten. Über annähernd 2000 Jahre wurde diese Idee des closed shop à la Paradies weltlich nachinszeniert.“ Die Vertreibung aus ihm „schließt mythologisch die Erste Informationelle Revolution ab, die im Zeitraum von vor 100.000 (vermutete erste hinweisende Lautsprache) bis vor 5000 Jahren stattgefunden hat.“ Inzwischen aber, nach der Zweiten (Renaissance/beginnende Moderne), der Dritten (Industrialisierung) und der Vierten (Computer), zeichne sich eine Fünfte Informationelle Revolution ab: „Wissen war Macht, bevor es Markt geworden ist. Dies ist eine der wichtigen historischen Nachrichten. Und Wissen ist Macht, gerade weil es Markt ist. Aber diese Macht ist anders, als alles was vorher war.“ Und wenn es stimmt, „dass das 21. Jahrhundert das der Gentechnik, der Gehirnforschung, der Nanotechnologie und der Wissenstechnologien sein wird, so steht bereits als Fragezeile über jedem Projekt: Was ist Leben und wie soll es beeinflusst werden?“ Statt in Strukturen verfangener „Institutionen-Politik“ müsste es um massiv intensivierte „Projekte-Politik“ gehen, denn „wir sind aus den Welten der normativen Konflikte um erhaltens- oder erreichenswürdige Wissens- und Lebensweisen keineswegs entlassen, selbst dann nicht, wenn wir uns nicht wirklich vorstellen können, was virtuelles oder künstliches Leben im Netz bedeutet.“

Die – bewusst nicht „einheitlich“ konzipierte und gestaltete – „Edition Transfer“ will solche fachübergreifende Projektorientierungen bestärken, im Sinn von Manfred Faßlers Aussage: „In der Verbindung von Evolution und Kulturellem stelle ich das Konzept dynamischer Entwicklungen in den Zusammenhang zeitlicher, im Künstlichen angesiedelter, projekthafter oder zufälliger, spontaner Interaktivitäten. Ich beziehe mit diesem Schritt Evolution und das Kulturelle auf Zeichen/Sprachen/Medien als Interface des Menschen. Ihre Lebendigkeit ergibt sich allerdings erst in Nutzungsgewohnheiten, Gebrauchskulturen, in Praxen.“ Projekte sind im Idealfall kleine Welten für sich, analytisch-perspektivisch abgegrenzte, jedoch Austauschbeziehungen aktivierende Räume. Jene der „Edition Transfer“ konzentrieren sich auf regionale Schwerpunkte (zuletzt Syrien, Afghanistan, Libyen, derzeit Donauländer, Ukraine), auf Essays und Untersuchungen zu künstlerischem Arbeiten, zu Literaturkritik, Kulturkritik, zur Medienevolution, zu freier, künstlerisch-wissenschaftlicher Projektarbeit – als Angebote zum Querlesen und Weiterdenken…


 

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© Manfred Fassler, Christian Reder 2005