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Bundesdenkmalamt Österreich
   

Corporate Identity: Bauten und Botschaften

Industriedenkmäler
Denkmalpflege in Niederösterreich, Bd. 4
Wien 1988

Aufsatz zur Bewertung von Industriegeschichte und Architektur

 

 

Geprägt vom Klima, in dem die Theorie vom Wohlstand der Nationen entstanden ist, hat der zu solchem Wohlstand gelangte Fabrikant James Templeton einmal den Architekten William Leiper unverblümt gefragt, welches Bauwerk er für das schönste der Welt halte. Dessen Antwort: Der Dogenpalast. Die Reaktion: Der Auftrag, ihm einen solchen Palast zu bauen - als Teppichfabrik. Das ist hundert Jahre her und das Resultat solchen industriellen Stolzes ist, am Rand des Stadtparks von Glasgow, immer noch zu sehen.

Ein heimisches Beispiel derartiger Darstellungslust habe ich seit zwanzig Jahren in meinem Stammlokal vor Augen. Dort hängt ein wunderbares Bild der Gösser Brauerei, das entrückt-utopisch wirkende Gebäude in einer paradiesischen Gartenlandschaft zeigt. Die Patriarchen jener Zeit, die für ihre industriellen Zwecke Schlösser und Burgen gebaut haben, mit Prunkräumen, Comptoirs, Verliesen, gefallen sich offensichtlich in der Rolle des Bauherren. Als Person neigen sie bereits zur Anonymität; aber auch die Société Anonyme hat sich oft durch sehr selbstbewußte Architektur ausgedrückt. "Die Fabrik" wird ein Inbegriff, als Bau, als Erwerbsquelle, als regionales Zentrum. Phasen des Hasses auf sie wurden immer wieder von Gefühlen des Stolzes überlagert. "Ihre" Fabriken haben auch dem Proletariat lange Zeit viel bedeutet. Wo sich Gebäude dieser heroischen Phase erhalten haben, wird das spürbar. Daß ihnen für gewöhnlich keine Bedeutung mehr beigemessen wird, hat mit Verdrängungsprozessen zu tun. Antiquitäten begeistern, nicht aber Geschichte. Die Erinnerung an die sozialen Kämpfe im Zuge der Industrialisierung paßt nicht zu Harmonisierungsinteressen. In aufgelassene Fabriken jener Zeit ziehen urbane Kulturmenschen, weil nur noch in Lofts ein großzügiges Wohnen und Arbeiten möglich ist. Und Unternehmen errichten sich laufend neue Gebäude, die ihnen - wenn sie damit werben würden - nicht das geringste Profil verleihen könnten.

Was ist sie, die Identität, die als Corporate Identity Unternehmen neuen Halt geben soll? Vom Wortsinn her bezeichnet sie einerseits die vollkommene Übereinstimmung zweier Dinge oder Personen, andererseits die Echtheit. Da es in der Realität nicht so streng zugeht wie bei Definitionen, sind darunter Annäherungsprozesse zu verstehen, die, als Schutz vor Starrheit und Totalität, offen und veränderlich bleiben müssen, vernetzt mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Ein grundlegender Schritt zu bewußter "Identität" wäre für einen Betrieb bereits die Einsicht, daß auch er - so oder so - Kultur erzeugt. Nach der begrifflichen Bestimmung der Frankfurter "Initiative für Industrie-Kultur" z. B. sind unter Industrie-Kultur alle Äußerungen und Erscheinungsformen zu verstehen, die von der im Laufe des 19. Jahrhunderts beginnenden technisch-industriellen Entwicklung hervorgebracht werden, einschließlich aller Formen der industriellen Massenproduktion und deren Erzeugnisse in der Güter- und Dienstleistungsproduktion, der Verkehrstechnik, der Erkenntnisse der Betriebswirtschaft und Arbeitswissenschaft, der durch Einfluß der Sozialpolitik entstehenden neuen Organisationsformen.

"Maschinen, Verkehrseinrichtungen, industrielle Großanlagen (Raffinerien, Bergwerke, Kraftwerke), industriell gefertigte Gegenstände des täglichen Gebrauchs zählen daher ebenso zur Industriekultur wie Warenhäuser, Selbstbedienungseinrichtungen, Banken, Versicherungen, die Fremdenverkehrsindustrie sowie soziale Einrichtungen (Arbeiterschutz, Krankenhäuser)", in einem weiteren Sinn auch alle Veränderungen, "di die industrielle Entwicklung im Zusammenleben der Menschen ausgelöst hat."

"Unternehmenskultur" wiederum drückt sich, so Hans Wichmann (in: Expertengespräch Corporate Identiy, 1986) darin aus, "wie eine Firma - das heißt, mit welchen Aktionen und Methoden, ob auf gute oder schlechte Art und Weise - ihre Aufgaben löst, Produkte oder Dienstleistungen zur menschlichen Bedarfsdeckung bereitzustellen. Beispielsweise wie sie es versteht, akzeptable Produkte unter Schonung der regionalen Umwelt herzustellen. Oder: wie sie es versteht, Produkte zu fertigen, die einmal in einer Sammlung für Industrie-Design zu finden sind, oder: wie sie Mitarbeiter zufrieden stellend führt und im betrieblichen Leistungsprozeß einsetzt, sodaß diese sich mit ihr identifizieren können. Das bedeutet: Es gibt über einen quantitativen Umsatzerfolg hinaus eine qualitative Dimension in Form einer Erzeugung menschlichen Nutzens, eines Nutzens individueller oder gesellschaftlicher Art. Es gibt gute und schlechte Unternehmenskultur, und dafür müssen Bewertungsmaßstäbe entwickelt werden."

Idenität kann im damit skizzierten Kontext nicht Echtheit, nicht Übereinstimmung sein, sondern nur Differenz und Bild, ein sich abhebendes Erscheinungsbild also. Der Ort des Betriebes hat seine ursprüngliche Bedeutung dafür eingebüßt. Produktion kann irgendwo stattfinden. Fabriksgebäude können irgendwo stehen. Mit der Landschaft wollen sie nichts mehr zu tun haben. Die Mühle braucht den Fluß genausowenig wie die Spinnerei. Der austauschbare "Zweckbau" ist die Standardantwort auf angebliche betriebliche Notwendigkeiten, die schnelle Shed-Halle, das formlose Funktionieren. Für "Firlefanz" will sich niemand Zeit nehmen - so als ob die Zeit selbst oder ein Mangel an Zeit an den baulichen Verwüstungen schuld wären. Dabei ist eine der Ursachen die: Das "Bild" der Fabrik spielt in den Köpfen keine Rolle mehr, weil ganz andere Bilder dominieren.

Durch die zwischen Produzent und Konsument geschobene Ebene des Bildes lassen sich diese Zustände vertuschen. Wo und wie etwas hergestellt wird, braucht so kein Thema zu sein. In den Medien, auf den Anzeigenseiten und in TV-Werbespots läßt sich Neues erschaffen. Dort erst und nicht in den Betrieben entstehen in der Mediengesellschaft die Markenartikel und Firmenimages.

Bemühungen um eine Corporate Identity, die für gewöhnlich auf vertrauensbildende Maßnahmen durch ein übereinstimmendes Handeln und ein einheitliches Auftreten abzielen, müssen sich dieser Aufspaltung in Realität und Bild bewußt sein. Erst danach bekommen andere Zusammenhänge Gewicht, wie die der Innen- und Außenwirkungen oder der Korrelationen zwischen innerbetrieblicher Kultur, den konkreten Lebensbedingungen der Beschäftigten, ihrem Informationsstand, den Auswirkungen eines Betriebes auf die Umwelt, der Designkultur oder der Qualität der Architektur. Die Schwierigkeiten der Unternehmen, ihre Leistungen insgesamt positiv darzustellen, kommen ja angesichts der zerstörerischen Kräfte ringsum nicht von ungefähr. SIogans, beglückende Billigangebote, Bilder toller Markenartikel und begeisterter Konsumenten allein setzen keine konstruktiven Kräfte frei. Sehen muß man aber auch, wie leicht jede Corporate Identity zum Gefängnis werden kann.

Eine Wirtschaftsgesellschaft jedenfalls, die zwar Kunstdenkmäler nicht mehr so unbedenklich wie noch vor einigen Jahren dem Verfall preisgibt, ihre Industriedenkmäler aber verkommen läßt, ohne Ideen für deren zeitgemäße Nutzung, Adaptierung, Erweiterung zu entwickeln, dokumentiert keinerlei Identitätsinteressen. Noch 1969 ist die ehemalige Linzer Wollzeugfabrik gesprengt worden, und der ältesten, um 1750 errichteten Arbeitersiedlung Österreichs, der sogenannten NadeIburg in Lichtenwörth bei Wiener Neustadt, hat bis heute niemand einen entsprechenden Stellenwert im öffentichen Bewußtsein verschafft. Die Gründung des Museums Industrielle Arbeitswelt in Steyr und die Nutzung der stillgelegten Sax-Werke in Langenlois oder eines der Wiener Gastürme in Simmering für Ausstellungszwecke sind deshalb wichtige Schritte. Mit der Unterstützung solcher Initiativen könnte die Wirtschaft zur Identitätsprägung und Liberalisierung deutlich beitragen. Nicht Historisches als solches ist dabei der weiterführende Ansatzpunkt, sondern das Einüben zeitgenössischer Sehweisen.

Corporate Identity, als Loyalitätsanstalt und Verkaufstrick mißverstanden, kann zwar durchaus zu wirtschaftlichen Erfolgen beitragen, eine vertretbare und ausstrahlende wirtschaftliche Dynamik aber wird erst ausgelöst, wenn sie als Beitrag zum Klima wirksam wird, als soziale Sensibilisierung den anstehenden Problemen gegenüber. Projekte des Denkmalschutzes, der Nutzung von Industriedenkmälern, einer signifikanten Architektur oder die Auseinandersetzung mit Kunst sind, auch wegen der darin steckenden Kommunikationskraft, dafür sehr geeignet - das sollte in Niederösterreich doch das Donau-Festival zur Genüge bewiesen haben.

 

 
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© Christian Reder 1988/2001