Geprägt vom Klima, in dem die Theorie vom Wohlstand der Nationen
entstanden ist, hat der zu solchem Wohlstand gelangte Fabrikant
James Templeton einmal den Architekten William Leiper unverblümt
gefragt, welches Bauwerk er für das schönste der Welt halte.
Dessen Antwort: Der Dogenpalast. Die Reaktion: Der Auftrag,
ihm einen solchen Palast zu bauen - als Teppichfabrik. Das
ist hundert Jahre her und das Resultat solchen industriellen
Stolzes ist, am Rand des Stadtparks von Glasgow, immer noch
zu sehen.
Ein heimisches Beispiel derartiger Darstellungslust habe
ich seit zwanzig Jahren in meinem Stammlokal vor Augen. Dort
hängt ein wunderbares Bild der Gösser Brauerei, das entrückt-utopisch
wirkende Gebäude in einer paradiesischen Gartenlandschaft
zeigt. Die Patriarchen jener Zeit, die für ihre industriellen
Zwecke Schlösser und Burgen gebaut haben, mit Prunkräumen,
Comptoirs, Verliesen, gefallen sich offensichtlich in der
Rolle des Bauherren. Als Person neigen sie bereits zur Anonymität;
aber auch die Société Anonyme hat sich oft durch sehr selbstbewußte
Architektur ausgedrückt. "Die Fabrik" wird ein Inbegriff,
als Bau, als Erwerbsquelle, als regionales Zentrum. Phasen
des Hasses auf sie wurden immer wieder von Gefühlen des Stolzes
überlagert. "Ihre" Fabriken haben auch dem Proletariat lange
Zeit viel bedeutet. Wo sich Gebäude dieser heroischen Phase
erhalten haben, wird das spürbar. Daß ihnen für gewöhnlich
keine Bedeutung mehr beigemessen wird, hat mit Verdrängungsprozessen
zu tun. Antiquitäten begeistern, nicht aber Geschichte. Die
Erinnerung an die sozialen Kämpfe im Zuge der Industrialisierung
paßt nicht zu Harmonisierungsinteressen. In aufgelassene Fabriken
jener Zeit ziehen urbane Kulturmenschen, weil nur noch in
Lofts ein großzügiges Wohnen und Arbeiten möglich ist. Und
Unternehmen errichten sich laufend neue Gebäude, die ihnen
- wenn sie damit werben würden - nicht das geringste Profil
verleihen könnten.
Was ist sie, die Identität, die als Corporate Identity Unternehmen
neuen Halt geben soll? Vom Wortsinn her bezeichnet sie einerseits
die vollkommene Übereinstimmung zweier Dinge oder Personen,
andererseits die Echtheit. Da es in der Realität nicht so
streng zugeht wie bei Definitionen, sind darunter Annäherungsprozesse
zu verstehen, die, als Schutz vor Starrheit und Totalität,
offen und veränderlich bleiben müssen, vernetzt mit gesellschaftlichen
Entwicklungen. Ein grundlegender Schritt zu bewußter "Identität"
wäre für einen Betrieb bereits die Einsicht, daß auch er -
so oder so - Kultur erzeugt. Nach der begrifflichen Bestimmung
der Frankfurter "Initiative für Industrie-Kultur" z. B. sind
unter Industrie-Kultur alle Äußerungen und Erscheinungsformen
zu verstehen, die von der im Laufe des 19. Jahrhunderts beginnenden
technisch-industriellen Entwicklung hervorgebracht werden,
einschließlich aller Formen der industriellen Massenproduktion
und deren Erzeugnisse in der Güter- und Dienstleistungsproduktion,
der Verkehrstechnik, der Erkenntnisse der Betriebswirtschaft
und Arbeitswissenschaft, der durch Einfluß der Sozialpolitik
entstehenden neuen Organisationsformen.
"Maschinen, Verkehrseinrichtungen, industrielle Großanlagen
(Raffinerien, Bergwerke, Kraftwerke), industriell gefertigte
Gegenstände des täglichen Gebrauchs zählen daher ebenso zur
Industriekultur wie Warenhäuser, Selbstbedienungseinrichtungen,
Banken, Versicherungen, die Fremdenverkehrsindustrie sowie
soziale Einrichtungen (Arbeiterschutz, Krankenhäuser)", in
einem weiteren Sinn auch alle Veränderungen, "di die industrielle
Entwicklung im Zusammenleben der Menschen ausgelöst hat."
"Unternehmenskultur" wiederum drückt sich, so Hans Wichmann
(in: Expertengespräch Corporate Identiy, 1986) darin aus,
"wie eine Firma - das heißt, mit welchen Aktionen und Methoden,
ob auf gute oder schlechte Art und Weise - ihre Aufgaben löst,
Produkte oder Dienstleistungen zur menschlichen Bedarfsdeckung
bereitzustellen. Beispielsweise wie sie es versteht, akzeptable
Produkte unter Schonung der regionalen Umwelt herzustellen.
Oder: wie sie es versteht, Produkte zu fertigen, die einmal
in einer Sammlung für Industrie-Design zu finden sind, oder:
wie sie Mitarbeiter zufrieden stellend führt und im betrieblichen
Leistungsprozeß einsetzt, sodaß diese sich mit ihr identifizieren
können. Das bedeutet: Es gibt über einen quantitativen Umsatzerfolg
hinaus eine qualitative Dimension in Form einer Erzeugung
menschlichen Nutzens, eines Nutzens individueller oder gesellschaftlicher
Art. Es gibt gute und schlechte Unternehmenskultur, und dafür
müssen Bewertungsmaßstäbe entwickelt werden."
Idenität kann im damit skizzierten Kontext nicht Echtheit,
nicht Übereinstimmung sein, sondern nur Differenz und Bild,
ein sich abhebendes Erscheinungsbild also. Der Ort des Betriebes
hat seine ursprüngliche Bedeutung dafür eingebüßt. Produktion
kann irgendwo stattfinden. Fabriksgebäude können irgendwo
stehen. Mit der Landschaft wollen sie nichts mehr zu tun haben.
Die Mühle braucht den Fluß genausowenig wie die Spinnerei.
Der austauschbare "Zweckbau" ist die Standardantwort auf angebliche
betriebliche Notwendigkeiten, die schnelle Shed-Halle, das
formlose Funktionieren. Für "Firlefanz" will sich niemand
Zeit nehmen - so als ob die Zeit selbst oder ein Mangel an
Zeit an den baulichen Verwüstungen schuld wären. Dabei ist
eine der Ursachen die: Das "Bild" der Fabrik spielt in den
Köpfen keine Rolle mehr, weil ganz andere Bilder dominieren.
Durch die zwischen Produzent und Konsument geschobene Ebene
des Bildes lassen sich diese Zustände vertuschen. Wo und wie
etwas hergestellt wird, braucht so kein Thema zu sein. In
den Medien, auf den Anzeigenseiten und in TV-Werbespots läßt
sich Neues erschaffen. Dort erst und nicht in den Betrieben
entstehen in der Mediengesellschaft die Markenartikel und
Firmenimages.
Bemühungen um eine Corporate Identity, die für gewöhnlich
auf vertrauensbildende Maßnahmen durch ein übereinstimmendes
Handeln und ein einheitliches Auftreten abzielen, müssen sich
dieser Aufspaltung in Realität und Bild bewußt sein. Erst
danach bekommen andere Zusammenhänge Gewicht, wie die der
Innen- und Außenwirkungen oder der Korrelationen zwischen
innerbetrieblicher Kultur, den konkreten Lebensbedingungen
der Beschäftigten, ihrem Informationsstand, den Auswirkungen
eines Betriebes auf die Umwelt, der Designkultur oder der
Qualität der Architektur. Die Schwierigkeiten der Unternehmen,
ihre Leistungen insgesamt positiv darzustellen, kommen ja
angesichts der zerstörerischen Kräfte ringsum nicht von ungefähr.
SIogans, beglückende Billigangebote, Bilder toller Markenartikel
und begeisterter Konsumenten allein setzen keine konstruktiven
Kräfte frei. Sehen muß man aber auch, wie leicht jede Corporate
Identity zum Gefängnis werden kann.
Eine Wirtschaftsgesellschaft jedenfalls, die zwar Kunstdenkmäler
nicht mehr so unbedenklich wie noch vor einigen Jahren dem
Verfall preisgibt, ihre Industriedenkmäler aber verkommen
läßt, ohne Ideen für deren zeitgemäße Nutzung, Adaptierung,
Erweiterung zu entwickeln, dokumentiert keinerlei Identitätsinteressen.
Noch 1969 ist die ehemalige Linzer Wollzeugfabrik gesprengt
worden, und der ältesten, um 1750 errichteten Arbeitersiedlung
Österreichs, der sogenannten NadeIburg in Lichtenwörth bei
Wiener Neustadt, hat bis heute niemand einen entsprechenden
Stellenwert im öffentichen Bewußtsein verschafft. Die Gründung
des Museums Industrielle Arbeitswelt in Steyr und die Nutzung
der stillgelegten Sax-Werke in Langenlois oder eines der Wiener
Gastürme in Simmering für Ausstellungszwecke sind deshalb
wichtige Schritte. Mit der Unterstützung solcher Initiativen
könnte die Wirtschaft zur Identitätsprägung und Liberalisierung
deutlich beitragen. Nicht Historisches als solches ist dabei
der weiterführende Ansatzpunkt, sondern das Einüben zeitgenössischer
Sehweisen.
Corporate Identity, als Loyalitätsanstalt und Verkaufstrick
mißverstanden, kann zwar durchaus zu wirtschaftlichen Erfolgen
beitragen, eine vertretbare und ausstrahlende wirtschaftliche
Dynamik aber wird erst ausgelöst, wenn sie als Beitrag zum
Klima wirksam wird, als soziale Sensibilisierung den anstehenden
Problemen gegenüber. Projekte des Denkmalschutzes, der Nutzung
von Industriedenkmälern, einer signifikanten Architektur oder
die Auseinandersetzung mit Kunst sind, auch wegen der darin
steckenden Kommunikationskraft, dafür sehr geeignet - das
sollte in Niederösterreich doch das Donau-Festival zur Genüge
bewiesen haben.
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