Information Aktuelle Projekte Biografie Publikationen Zentrum Transfer Transferprojekte-RD.org





www.ChristianReder.net: Publikationen: Erinnerungspunkte
 

Erinnerungspunkte
Der Volksgarten in Wien: Recherchen über einen Ort mit utopischem Namen

in: Katalog zur Ausstellung "Querfeld I" im Volksgarten Wien
Idee & Konzept: Martin Fritz, Martin Kaltner
Wien 1988

Aufsatz zu zeitgeschichtlichen Schichten eines Ortes

Weitere Textbeiträge von Erich Klein, Maria Auböck, Otto Kapfinger, Georg Schöllhammer, Wolfgang Drechsler
Teilnehmende Künstler: James Clay, Fridolin Welte, Michael Kienzer, Andrea van der Straten, Ingeborg Strobl, Ilse Haider, Michael Baumgarten, Franz Pichler, Christine Pellikan, Jochen Traar, Martin Kaltner, Rini Tandon, Mano H. Lindner, Rosa Hausleithner, Blanca Blarer, Ines Lombardi, Spallo Kolb, Renate Kordon, Klaus Stattmann

 

 

Griechenland I:
Alexandros Ypsilanti, der Held des in Europa mit romantischer Anteilnahme verfolgten griechischen Freiheitskampfes, hat nach vorerst vergeblichen Aktionen fliehen müssen und ist - 1821, der Theseustempel und der Volksgarten waren gerade in Bau - gleich nach seinem Grenzübertritt von den österreichischen Behörden vorsorglich für sechs Jahre inhaftiert worden. Kurz nach seiner Entlassung ist er, 35jährig, in Wien gestorben. Begraben hat man ihn auf dem Friedhof in St. Marx - so wie später den in anderer Weise Griechischem verpflichteten Architekten des Burgtores und des Theseustempels Pietro Nobile.

Griechenland II:
Im neuen Volksgarten-Café Corti, dessen Besitzer sich durch Spitzeldienste die Privilegien eingehandelt hatte, in unmittelbarer Nähe der Hofburg für jenes Volk, das ebenfalls diese Nähe suchte, gastronomisch tätig sein zu können, ist während dieser Jahre sicher viel über die griechische Sache und den Fall Ypsilanti gesprochen worden. Durch Lord Byron, dessen Exzentrik und passenden Tod, hatte sich ja weithin eine poetische Sicht auf diesen exzessiv-grausamen Krieg verbreitet, der groteskerweise mit der Einsetzung eines Königs aus Bayern geendet hat. Auch der Kaiser (Franz I.), ist phasenweise in Griechenlandeuphorie verfallen. Schon Jahre zuvor hatte ihn in Rom Canovas riesiger Theseus, der den Zentauren erschlägt, so fasziniert, daß er ihn gekauft, den komplizierten Transport selbst beaufsichtigt und schließlich den Auftrag gegeben hat, einen passenden Athener Tempel zu kopieren, um in Sichtweite der Hofburg für dieses kolossale Kunstwerk einen würdevollen Aufstellungsraum zu haben.

Ein Kommentar:
Paul Virilio: "In der ersten hellenischen Demokratie findet sich bereits ein Großteil der Probleme des Abendlandes, außer dem wichtigsten: Mobilität."

Freiräume:
Französische Truppen haben durch die Zerstörung der Bastei vor der Wiener Hofburg die Neugestaltung dieses Areals erzwungen. Was entstanden ist, hat Gewohnheiten berücksichtigt, denn Parkanlagen hat es in diesem Gebiet schon früher gegeben und auch das Cortische Kaffeehaus hat auf der Bastei seine Vorläufer gehabt, das Kaffeehaus von Johann Milano (später in Cortis Besitz) und insbesonders die glorietteartige "Ochsenmühle", die schon seit längerem - so ein Wien-Chronist - "Lieblingsaufenthalt und Vereinigungspunkt der eleganten Welt" gewesen ist an dem sich "die Celebritäten der Kunst, der Wissenschaft und des Adels fast täglich vollzählig" versammelt hatten. Nach jahrelanger Improvisationszeit wurde diesem Publikum schließlich durch Cortis neues Etablissement, das von Nobile erbaute elegante Arkadencafé im Volksgarten, ein für den Rest des Jahrhunderts wichtiges gesellschaftlich Zentrum geboten. Hohe Fenster haben bei jeder Witterung eine Naturbetrachtung erlaubt. Dem freien Blick hinaus hat der freie Blick ins Innere entsprochen, ganz im Sinne polizeistaatlicher Traditionen, nach denen seit Maria Theresias Zeiten alle Kaffeehäuser ebenerdig gelegen und von der Straße her einsehbar sein mußten. Die Fenster durften nachts weder verhängt noch durch verriegelbare Läden verschlossen werden, denn gegen "hohe und unerlaubte Spiele" und alle "einschichtigen Zusammenkünfte" sollte jederzeit eingeschritten werden können. Gleichzeitig mit der Errichtung dieses großen öffentlichen Wiener Parks hat auch die Hofgesellschaft den ihren - den späteren Burggarten - bekommen und daß "dem Volk" anscheinend gleichrangig eine entsprechende Vergnügungsstätte präsentiert worden ist, braucht nicht als Symbol einer Öffnung gesehen zu werden. Keiner hat bisher Verschlossenes für sich in Anspruch nehmen dürfen. Auf den Trümmern kriegstechnisch überholter Verteidigungsanlagen konnte schlicht Platz für etwas mehr urbane Übersichtlichkeit geschaffen werden, direkt unter den Augen der Obrigkeit.

Rußland:
Für Dostojewski ist Utopisches untrennbar mit Natur verbunden gewesen; "die Menschheit" müsse sich "im Garten erneuern", schrieb er in sein Tagebuch, das sei "die Formel".

Absonderung:
Die weiterhin von Stadtmauern und Gräben (sie verschwanden in Wien erst nach 1857) begrenzten neuen Freiräume sind leicht kontrollierbar geblieben. Anzunehmen ist allerdings, daß sie gerade wegen der Allgegenwart staatlicher Macht bei manchem die Freude bestärkt haben, ausgerechnet dort in aller Öffentlichkeit subversive Gedanken zu hegen oder sogar auszutauschen. Im allgemeinen allerdings wurde "an öffentlichen Orten oder mit nicht sehr intimen Bekannten jedes Gespräch über Politik vermieden; das Wirtshausgespräch artete daher meist in in Zweideutigkeiten und Lascivitäten aus". Vom Café Corti, unter den 70 Kaffeehäusern jener Zeit eines der eleganteren, ist eine solche, das Spitzelsystem verhöhnende Geste überliefert. Auf seinem Portalschild war - wie in der polizeilich motivierten Untersuchu8ng "Die Prostitution in Wien" vermerkt ist - eine der bekanntesten Wiener "Heträren", die schöne "Colombe" abgebildet, die sich "dem leichtferigen Leben hingab". Besonders in den Vormittagsstunden sei, derselben Quelle zufolge, gerade dieses wegen der herrlichen Aussicht, des guten Kaffees, der vielen Zeitschriften und es auch bei "bösem Wetter leidlichen Aufenthalts" beliebte Lokal "von der Wiener Demimonde stark frequentiert" worden. Die nahe liegende "Seufzerallee" im Volksgarten wiederum sei als Rendezvousplatz "für Liebesbedürftige" und unter den 20.000 Prostituierten der Stadt allgemein geschätzt gewesen.

China:
Wegen der Revolutionsfurcht der Obrigkeit war in Wien Ende des 18. Jahrhunderts eine geheime Polizei gebildet worden, die bald über ein Heer von Agenten (die sogenannten "Naderer") - vor allem "Freudenmädchen, Lohnbediente und Mönche" - verfügt hat. Das in der von 1821 bis 1848 dauernden Ära Metternich ("Meine Rolle war am 13. März ausgespielt") noch ausgebaute Zensur- und Polizeisystem hat bei Freund und Feind durch die weitere Kultivierung von Verschwörungstheorien zur Emanzipation des Konspirativen beigetragen. Ein Entkommen allerdings ist erst in späteren großstädtischen Situationen leichter geworden. Dem ungarischen Franz-Joseph-Attentäter János Libényi zum Beispiel ist es zwar nicht schwer gefallen, an sein flanierendes Opfer heranzukommen, dafür ist er unmittelbar am Tatort, der engen Bastei oberhalb des Kärntnertores, gefaßt und schließlich auf der Simmeringer Haide hingerichtet worden.

Aufklärung:
Marx und Engels haben im reaktionären, rückständigen Österreich "das europäische China" gesehen. Wien selbst jedoch ist über Jahrzehnte hinweg eine aufsässige Stadt gewesen, durchsetzt von echten, wankelmütigen und falschen "Jakobinern". Aus Geschichtsbewußtsein und Heldenverehrung sind fast alle von ihnen verdrängt worden, sehr im Unterschied zu Überlieferungstraditionen in anderen Ländern. Daß etwa 1795 Franz von Hebenstreit, ein Offizier, als angeblich revolutionärer Rädelsführer vor der Stadtmauer gehängt worden ist, ein halbes Jahr nach der Enthauptung Robespierres und offenbar eher aus symbolischen Gründen, hat keine historische Bedeutung gewinnen können. Von den hingerichteten Anführern der Revolution von 1848 wiederum sind gerade noch Wenzel Messenhauser (standrechtlich erschossen vor dem Neutor am heutigen Schottenring) oder Robert Blum (erschossen in der Brigittenau) namentlich bekannt geblieben. Die anderen exekutierten Revolutionäre sind völlig in Vergessenheit geraten : Eduard Jelowicki, Eduard Preßlern, Johann Horváth I, Josef Dangl, Anton Riklinski, Anton Brogini, Alfred Becher, Herrmann Jelinek, Johann Horváth II, Josef Krziwan, Jakob Marzatto, Franz Stockhammer, Daniel Christian Dreßler, Stefan Aringer, Andreas Kerschdorfer, Heinrich Monoschek, Alois Hüffner, Isidor Mazko, Martin Pausar.

Individuen:
Selbst die Namen der Mörder des Kriegsminsters Latour, Franz Wangler (ein Schneidergeselle), Thomas Jurkowich (ein Schneider) und Carl Brambosch (ein Zimmermaler), die vor der Stadtmauer, zwischen Schotten- und Neutor, gehängt wurden, verblaßten sehr bald hinter ihrer Tat. Auch im nach Märtyrern süchtigen Ungarn, wo zur gleichen Zeit eine andere Symbolfigur, der Stellvertreter des Kaisers und Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen Graf Lamberg ermordet worden war, wurden Tat, nicht die Täter, bejubelt. Dennoch: Für politische Attentate, die Radikalform persönlichen Eingreifens "von unten", haben sich ab dem 19. Jahrhundert veränderte Perspektiven herausgebildet; Medienwirkung, Beispiel statt Nützlichkeit, Terrorwellen, Mordlust, Todessehnsucht. Das Denkmal Kaiserin Elisabeths im Volksgarten ist dafür ein Zeichen; indirekt erinnert es auch an ihren Mörder und an die Beiläufigkeit ihres Todes. Luigi Lucheni (1873-1910) hatte ja bloß vor, "jemand von Bedeutung" zu erstechen. Um an König Umberto heranzukommen - dem kaum zwei Jahre später Gaetano Bresci mit Erfolg aufgelauert hat - fehlte ihm das Reisegeld. Der französische Thronfolger, der in Genf erwartet wurde, kam nicht. Stattdessen erschien die österreichische Kaiserin für eine Übernachtung. Sie reiste zwar incognito, das Hotel "Beau Rivage" aber dürfte aus Reklamegründen ihre Identität der Presse bekannt gegeben und so dem wartenden Attentäter sein Opfer präsentiert haben. Als mit keiner organisierten Gruppe in Verbindung stehender "überzeugter Anarchist" und "gewissenhafter Kommunist" hätte er ein Beispiel "für die wahren Freunde der Menschheit" geben wollen, gestand er freimütig ein, und auch, daß er in seinem Leben noch nie so zufrieden gewesen wäre, wie nach dem geglückten Anschlag. Zu lebenslanger Haft verurteilt hat er sich schließlich erhängt.

Ausgangspositionen:
Anfang 1848, zwei Monate vor Beginn der Aufstandsbewegung in Wien, hat ein Augenzeuge notiert, daß merkwürdigerweise "nur die hiesigen Frauen" - deren aktive Beteiligung an den folgenden Kämpfen aus den Verletzten- und Todeslisten ersichtlich ist - "eine Ahnung von dem nahen Gewitter zu haben scheinen". Während des 4. Aufstandes vom 21. bis 23. August sind wütende Arbeiterinnen erstmals, und zwar wegen Lohnkürzungen, zu eigenen spontanen Demonstrationen zusammengekommen (mit "massenhaftem Zuströmen von Weibern und halbwüchsigen Jungen" wurde das brutale Einschreiten des Militärs gerechtfertigt) und am 28. August ist es auf der ersten organisierten Wiener Frauenversammlung "im Salon des Volksgartens" zur Bildung des "Demokratischen Frauenvereines" gekommen. Ein erhaltenes Flugblatt, in dem zwar von aggressiven männlichen Störversuchen berichtet, von den Aktivistinnen jedoch nur eine "Madame Strunz" namentlich genannt wird, trägt den höhnisch gemeinten Titel: "Frauenaufruhr im Volksgarten". Am Vortag war Karl Marx in Wien eingetroffen. Von der wegweisenden Zusammenkunft im Café Corti hat er keine Notiz genommen.

Staatlichkeit:
Über den weiten Exerzierplatz vor der Stadtmauer, auf dem später das Reichstagsgebäude (das zum Parlament geworden ist), das Rathaus und die Universität errichtet worden sind, ist damals vom Volksgarten aus noch der Blick auf einen anderen staatsnotwendigen Neubau jener Zeit, das 1839 fertiggestellte "Criminalgerichtsgebäude" (heute Landesgericht) frei gewesen. In der NS-Zeit ist es zur Vollzugsanstalt faschistischen Terrors geworden; 1.184 Menschen starben dort durch das Fallbeil.

Harmonisierungsversuche:
In der entgegengesetzten Richtung wird im "Österreichischen Heldendenkmal" der Toten sehr verschiedenartiger Kämpfe gedacht. Den "Opfern im Kampfe um Österreichs Freiheit" ist erst 1965, anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedererrichtung der 2. Republik, eine eigene Gedenkstätte im linken Seitentrakt des äußeren Burgtores errichtet worden. Damit hat der Raum mit dem marmornen "Toten Krieger", der offiziellem Erinnern an die Gefallenen beider Weltkriege dient, ein Gegenüber erhalten. Verfließende Schichten einer sich auf ein staatliches Selbstverständnis berufenden Geschichte der Gewalt haben dem gesamten Gebäude eine den Tod und das Töten sinnlos harmonisierende Symbolik aufgedrängt: Unter einem Dach zwar, aber mit deutlicher Separierung, wird Unbekannten die Ehre erwiesen - Österreichern nur, nicht Fremden. Ursprünglich war es bei diesem von Soldaten errichteten Bau darum gegangen. den Sieg "der Völker" (also der alten Dynastien) über Napoleon bei Leipzig zu feiern. Wegen der Siege über Franzosen und Türken, die vom Prinz-Eugen- und vom Erzherzog-Carl-Denkmal repräsentiert werden, ist es auch zur Bezeichnung "Heldenplatz" gekommen. Der Republik ist das Burgtor nur erhalten geblieben, weil die Pläne der Monarchie für das Kaiserforum nur fragmentarisch realisiert worden sind. Charakteristischerweise ist gerade in den Zäsur- und Krisenjahren 1933/34 dem undemokratisch gewordenen Staat eine Umgestaltung notwendig erschienen. Den Auftrag dazu hat Rudolf Wondracek (1886 - 1942) erhalten, ein Wagner-Schüler und Peter-Behrens-Assistent, der zu jener Zeit Hochbaureferent von St. Pölten gewesen ist. Ein "Ehrenmal für Altösterreichs Heldensöhne von 1618 bis 1918" sollte geschaffen werden; im Gedenkraum werden seither die "ersten und letzten Toten des Weltkrieges" (der ermordete Thronfolger Franz Ferdinand und Kaiser Karl) besonders hervorgehoben. Für die Opfer des darauffolgenden Krieges ist eine weniger dominante Inschrift angebracht worden. Unter der von Wilhelm Frass (1886-1968) stammenden überlebensgroßen Figur des toten Soldaten soll der Bildhauer, der 1936 den Großen Österreichischen Staatspreis und nach dem Anschluß sehr ehrenvolle Aufträge, wie diverse Hitlerbüsten oder die Großplastik "Die Ostmark" erhalten hat, einen das Großdeutsche Reich erhoffenden Text versteckt haben. Noch sein 1950 entstandener "Weiblicher Torso (Der Kristall)" war ihm Anlaß, sein Entsetzen über eine bemerkbar werdende Moderne zu beklagen: "Aus dem grauenhaften Mist der Jahre nach 1945 wuchs er mir in Gedanken an Reinheit und Schönheit zu ‚Kristall', dieser Blüte des reinsten und geheimnisvollsten Wuchses der Schöpfung: des Steines". Auch die Plattform oberhalb der Gedenkräume ist durch Soldatenköpfe von Wilhelm Frass und Herbert Dimmel (Österr. Staatspreis 1930 und 1936, im Krieg Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien, nach 1947 Professor in Linz) dafür eingerichtet worden, dem Militärischen in der österreichischen Geschichte die Referenz zu erweisen. Vor den Stiegenaufgängen wurden Gitter angebracht, die derzeit meist versperrt sind. Zur Zeit großdeutscher Selbstbesinnung hat man damit nicht das Auslangen gefunden; es gab verschiedene Neugestaltungspläne für dieses Areal, darunter jenen, den Theseustempel zu einer Wiener Walhalla umzubauen - nach einem Entwurf des "Sonderbeauftragten für das deutsche Kunsthandwerk" Josef Hoffmann. Realisiert wurde ein SA-Ehrenmal in der mittleren Durchfahrt des Burgtores und ein "Gaugefechtsstand" in den Kellern der Hofburg, von dem aus die Stadt bis zum letzten Mann hätte verteidigt werden sollen. Daß dem Heldenplatz (den manche in "Platz der Opfer" umbenennen wollen) offenbar selbst auf ganz banaler Ebene etwas Irreales zugeordnet worden ist, zeigt sich daran, dass er niemandem als Anschrift dient, denn die Postanschriften angrenzender Gebäude lauten auf Hofburg, Neue Burg, Burgring oder Ballhausplatz. Atmosphärisch wird noch lange nachwirken, dass er Symbol für den Anschlussjubel geblieben ist und Adolf Hitler dort am 15. März 1938 "der deutschen Geschichte" (nicht der allgemeinen, der internationalen also) die Heimkehr Österreichs in das Reich gemeldet hat. Darin liegt etwas Warnendes, denn wer könnte sich eine neue Kraft wünschen, die jenes Ereignis und seine Folgen verdrängt, übertrumpft ? Zum Schüren analoger Strömungen braucht es bloß das Zusammenspiel einiger weniger Kräfte: In einer bedenkenlosen Heldenplatz-Inszenierung sind ein korrupter Schirennläufer hysterisch als nationales Idol gefeiert worden und den Kräften des polnischen Papstes ist es auch nicht gelungen, diesem Platz das Odium eines Versammlungsortes gewisser Geisteshaltungen zu nehmen.

Abendland:
Gegen Abend kann man durch den Volksgarten ins Burgtheater eilen, nur kommen die meisten Leute aus anderen Richtungen. An seiner Fassade erinnert eine Marmortafel an etwas Heroisches, das sich tatsächlich an diesem Ort zugetragen hat: "vom 8ten bis 11ten Sept. 1683 wiesen von hier aus die tapferen Verteidiger Wiens die heftigsten und letzten Angriffe der Türken zurück." Wenn sich hingegen Dichter mit dieser Gegend beschäftigt haben, hinterlassen sie manchmal so leichtfertige Sätze wie H. C. Artmann: "Ein lauer Wind trägt aus dem Volksgarten die Düfte verblühter Rosen herüber; aber Rauch und Benzindampf vernebeln Pallas Athenen. Landluft! Jawohl, Landluft ist es, was wir zu unserer Regeneration bräuchten." Für Elfriede Gerstl liegen die Dinge rund um die Göttin der Weisheit und die Schutzherrin von Volks- und Ratsversammlungen anders: "Die Revolution der Wünsche / ist das Wunschkind / nüchtern gebliebener Intellektueller / wie Pallas Athene / einem Philosophenkopf entsprungen: / süsser Marcuse wir legen Blumen / in deine Nische / Adorno wir adorieren dich.".

Statik:
Am Volksgarten fällt auf, daß er baulich seine Eigenständigkeit demonstriert, durch eine klare Abgrenzung, durch Mauern und Gitter. Für Demonstrationen hat er schon lange keine Bedeutung mehr; als ob er zwischen Helden-, Ballhaus- und Rathausplatz eine nach innen gekehrte Schutzzone wäre. Am 1. Mai sind es die KPÖ-Funktionäre, die von ihrer Tribüne vor dem Parlament auf ihn hinübersehen, ansonsten dient er Politikern als Passage. Jener Teil des Rings, der den Volksgarten vom Haus der Volksvertreter trennt, war übrigens in republikanischen Zeiten zuerst nach dem 12. November (Republikgründung 1918), dann nach Bundeskanzler Seipel, in der NS-Zeit, als das Parlament zuerst Sitz der Gauleitung und anschließend das "Haus der NSDAP" gewesen ist, nach Gauleiter Bürckel, dann wieder nach Seipel benannt, bevor er zum Dr. Karl Renner-Ring geworden ist. In das Gitter des Volksgartens, vis-a-vis vom Parlament, wurde 1967 für Julius Raab ein Denkmal eingefügt, als verstecktes Gegenstück zu den Plastiken von Seiz (1962), Körner (1963) und Renner (1967) im Rathauspark. Das erste in dieser Reihe war das Republikdenkmal neben dem Gebäude des Stadtschulrates (in dem sich während der Besatzungszeit die sowjetische Stadtkommandatur befunden hat). Es ist 1934 abmontiert worden und erst nach 1945 sind die Büsten von Viktor Adler, Jakob Reumann und Ferdinand Hanusch - die diese Jahre unbeschadet in einem Depot überstanden hatten - wieder an ihren angestammten Platz zurückgekehrt. Im Volksgarten selbst sind seit dem "Jugendlichen Athlet" (1921) von Josef Müllner (1878-1968), der ansonsten noch das Lueger-Denkmal oder das Heldendenkmal für die gefallenen Studenten in der Aula der Universität geschaffen hat und der bis 1948 durchgehend Professor an der Akademie der bildenden Künste gewesen ist (Staatspreis 1928 und 1930, Preis der Stadt Wien 1941), keine zeitgenössischen Zeichen mehr gesetzt worden. Hundert Jahre nach dem Bau des Theseustempels und des polizeilichen Interesses österreichischer Behörden an Alexandros Ypsilanti, ist wiederum Griechenland, als Utopie der Utopielosen, das Thema gewesen. Eher römisch-imperatorisch waren die Motive, die in der Folgezeit zur Abtrennung eines Gartenstückes geführt haben. Zum Ballhausplatz - also zum Regierungszentrum hin - hätte nämlich auf der Achse zum zwischen Bundeskanzleramt und Präsidentschaftskanzlei geplanten "Haus der Vaterländischen Front" von Clemens Holzmeister (das im Krieg durch das ebenfalls unrealisierte Projekt für ein "Haus des Reichsnährstandes der Landesbauernschaft Donauland" ersetzt wurde) ein Dollfuß-Denkmal errichtet werden sollen. Das dafür vorgesehene Areal, heute ein Beamten-Parkplatz, ist an der rechteckig zurückspringenden Parkeinfassung noch deutlich zu erkennen.

Möglichkeiten:
"Vom Schrecken reden, könnte heißen, sich einer zerfetzten Welt von Bildern stellen, ohne sie zum Bild einer schrecklichen Welt zusammenzufalten." (Hans-Dieter Bahr, 1986).

 

 

 

 


Rini Tandon: ohne Titel, 1988

 


Ingeborg Strobl: WOZU, 1988

 

 

oben
 

Quellen:

Hubert Adolph: Wilhelm Frass. Ein Beitrag zum Verständnis seines künstlerischen Schaffens. In: Mitteilungen der Österreichischen Galerie, Wien Nr. 59/1971

H. C. Artmann: Frau Pischinger und die Landluft. Gesammelte Prosa Band 1, Residenz Verlag, Salzburg - Wien 1979

Hans-Dieter Bahr: Sätze ins Nichts. Ein Versuch über den Schrecken. Konkursbuchverlag, Tübingen 1986

Fjodor M. Dostojewski: Briefe. 2 Bände. Insel Verlag, Leipzig 1984

W. G. Dunder: Denkschrift über die Wiener October-Revolution. Eigenverlag, Wien 1849

Josef Dvorak: Von Krucken-, Haken- und anderen Kreuzen. Forum, Wien, Nr. 411/412 1988

Gedenkschrift anlässlich der Weihe des österreichischen Heldendenkmales am 9. September 1934. Wien 1934

Elfriede Gerstl: Wiener Mischung. Texte aus vielen Jahren. Edition neue Texte . Linz 1982 (Zitat aus: Zustandsbilder, 1981)

Historisches Museum der Stadt Wien: Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien 1815-1848. Ausstellungskatalog. Eigenverlag der Museen der Stadt Wien, Wien 1987

Hans Jessen (Hrsg.): Die Deutsche Revolution 1848/49 in Augenzeugenberichten. dtv-Band 927, München 1973

Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze Wiens und ihre historisch interessanten Häuser. 3 Bände.

Gottlieb´s Verlagsbuchhandlung, Wien 1883 (Reprint, Cosenza 1967)

Christian Reder: Verbindungen zwischen Tat und Sache. Besuche an Orten vergangener Ereignisse. Stadtbuch Wien, Falter Verlag, Wien 1983

Josef Schrank: Die Prostitution in Wien in historischer, administrativer und hygienischer Beziehung. 1. Band: Die Geschichte der Prostitution in Wien. Wien, Eigenverlag 1886

Leopold Spira (Hrsg.): Attentate, die Österreich erschütterten. Löcker Verlag, Wien 1981

Herbert Steiner: Karl Marx in Wien. Die Arbeiterbewegung zwischen Revolution und Restauration 1848. Europaverlag, Wien-München-Zürich 1978

Jan Tabor: ... und sie folgten mir. Österreichische Künstler und Architekten nach dem "Anschluß" 1938. Eine Reportage. In: Wien 1938. Ausstellungskatalog Historisches Museum der Stadtv Wien (Rathaus Volkshalle). Wien 1988

Paul Virilio: Geschwindigkeit und Politik. Ein Essay zur Dromologie. Merve Verlag, Berlin 1980.

 

 
oben
 
© Christian Reder 1988/2001