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www.ChristianReder.net: Publikationen: Wiener Museumsgespräche: Raimund Abraham
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Raimund Abraham

Gehen wir von der Idee des Museums, von Haltungen des Künstlers zum Museum aus, um gegenwärtige Notwendigkeiten besser diskutierbar zu machen.

Das Museum, ein Haus oder eine Kirche sind für mich archaische Metaphern; Metaphern, die eine geschichtliche Erinnerung bestimmen. Neue Konzepte für solche Metaphern lassen sich nur finden, wenn deren Programme von den Wurzeln her in Frage gestellt werden, ihr Text also, etymologisch und im literarischen Sinn. Um originell im Sinne des Originals sein zu können, muß man jedes Wort, jeden Gedanken zurückführen können soweit es geschichtlich möglich ist und von dort aus neu anfangen. Dieser Schnitt durch die Geschichte liefert dann die Impulse zur Neuübersetzung der archaischen Wurzeln, unter Einschluß unserer Erfahrung und Voreingenommenheit. Auf das Museum bezogen zeigt sich, daß dieser Begriff ein relativ neuer ist.

Inhaltlich ausgeprägt hat er sich in Etappen, von der Einrichtung einer Gemäldegalerie in den Uffizien (ab 1580) über die Gründung des British Museum 1753 oder die Öffnung des Louvre für die Bevölkerung im Jahr 1793 bis hin zur Museumseuphorie des 19. Jahrhunderts.

Entscheidend war sicher das 16. Jahrhundert, die Übernahme aus dem Griechischen, das Wort von der Muse, der Göttin des Gesangs, der Künste und der Wissenschaft und seine Verwendung für die Studierstube. Deren Entwicklung zur öffentlichen, dem Volk zugänglichen Institution hat dann bis ins vorige Jahrhundert gedauert; aber selbst aus dieser Phase gibt es nur mehr wenige Museen in ihrer authentischen Form, den Prado vielleicht oder das Kunsthistorische Museum in Wien. Der Louvre ist inzwischen genauso kommerzialisiert wie das Metropolitan Museum in New York oder die National Gallery in Washington. Unmittelbarer Ausgangspunkt sind also Manifestationen des 19. Jahrhunderts und es wäre für Überlegungen zum gegenwärtigen Museum völlig sinnlos, diese Manifestationen, die doch von völlig anderen sozialen und kulturellen Kräften bestimmt waren, weiterhin als Programm zu nehmen und nur durch andere architektonische Aussagen ein sogenanntes neues Museum zu schaffen. Das ist für mich undenkbar. In der Realität jedoch ist "19. Jahrhundert" - von den Pionieren der Moderne als dekadent bekämpft - plötzlich das dominante Programm der Architektur.

Im Inneren alter und neuer Museumsarchitekturen geht es um das Sammeln, Bewahren, Erforschen, Wiederherstellen, um das Ausstellen und Vermitteln - und um den Umgang mit dem "Strukturwandel der Öffentlichkeit".

Hauptelement ist das Ausstellen und Ausstellen ist etwas Obszönes. Besonders deutlich wird das bei zeitgenössischen Künstlern oder bei jenen, über deren Leben uns authentische Aufzeichnungen verfügbar sind. Objekte werden aus dem Prozeß, aus der Aura des Machens herausgerissen. Die Intimsphäre wird gebrochen. Vom Gefühl her hat das eine ganz konkrete Konsequenz.

Besonders paradox wird dieser Umgang mit "originaler" Intimität im Nachbau von Brancusis Atelier neben dem Centre Pompidou, wo Künstleratmosphäre als architektonische Reproduktion geboten wird.

Absolut. Der Adolf Loos-Raum im Historischen Museum der Stadt Wien wirkt auf mich auch wie ein Gruselkabinett. Man kann doch nicht einen schon bewohnt gewesenen Raum mit seinen Gegenständen, die als physische Umwelt in irgendeiner Form Ereignisse aufgenommen haben, einfach in eine Museumskoje verfrachten. Beim Betreten eines Raumes wirkt ja nicht bloß dessen materielle Existenz auf uns, sondern genauso die Möglichkeit, sich der Ereignisse zu erinnern, die sich in ihm abgespielt haben. Ein Museum ist ein Haus und das Haus ist das älteste Programm, das es in der Architektur gibt. Früher wurde man im Haus geboren, wurde im Haus erzogen, man wurde im Haus krank und wurde geheilt oder man ist im Haus gestorben. Und dieser Zyklus eines Lebens könnte metaphorisch auf Objekte übertragen werden, die im Haus leben - was genauso wie das folgende für Museen Geltung hat. Damit das Haus Architektur wird, muß es ein ideelles und universelles Niveau erreichen, das Wohnen ermöglicht, sich ihm aber nicht fügt, also eine zusätzliche Herausforderung für Bewohner und Benutzer darstellt. Die ideelle Qualität der Architektur muß andere Möglichkeiten für die Phantasie des Menschen offen lassen, muß sie sozusagen erzeugen können.

Können wir solchen Forderungen am Beispiel eines konkreten Museumsbaus nachgehen ?

Das universellste Museum ist für mich die Nationalgalerie in Berlin. Mies van der Rohe hat dort eine klare Trennung geschaffen. Der ideale Teil des Museums, der das Stadtbild bestimmt, ist nicht die Ausstellungshalle, sondern ein weiter, völlig transparenter Bereich, in den man eintritt und weiß, ich bin in einem Museum. Man wird zuerst selbst ausgestellt. Erst dann geht man in den zweiten Teil, der unterhalb liegt, der spezifischer in der Nutzung wird, mit den Ausstellungsräumen, dem Skulpturenhof, intimer, versteckter, nicht mehr der Öffentlichkeit preisgegeben.

Das Kristalline der großen Halle ist inzwischen durch eine "Verbürgerlichung" bekämpft worden, Vorhänge sollen Distanz zur Umwelt schaffen ...

Richtig, um sie intim zu machen, sie sollte aber nicht intim sein. Sie ist als leerer Raum, horizontal unbegrenzter Raum konzipiert. Jede Ausstellung, die dort versucht worden ist, war ein kompletter Mißgriff; mit Ausnahme vielleicht der wenigen, subtil placierten Giacometti-Plastiken, die sich ihn mit ihrer Minimalität erobert haben. Das sollte aber nur beispielhaft dafür sein, was ich unter ideell und universell verstehe. Jedes Bauwerk, das errichtet wird, ist ein Eingriff in den Ort. Und wenn etwas Substantielles verlorengegangen ist, so ist es das Bewußtsein vom Ort, und mit ihm ist auch die Architektur verloren gegangen. Der Zusammenhang zwischen beidem ist fälschlich immer als organisch bezeichet worden ist. Das Gegenteil ist wahr. Architektur, als Gedanke oder als Bauwerk, ist Zerstörung. Das zerstörte Equilibrium kann nur durch Qualität, durch Einfühlung, durch Sensibilität, durch Verständnis wiederhergestellt werden. Wir treffen hier auf die gleiche Fatalität, mit der wir Tiere töten, die an sich unsere Freunde sind. Die einzige Rechtfertigung dieses Tötens ist, daß man sie gut kocht. Das Kochen wird dann die Versöhnung, so wie die Qualität der Architektur die Versöhnung für ihr eigenes Eingreifen ist.

Wieweit sich Kunst in ungeeigneten Räumen abtöten läßt und in Museen begraben, wäre eine damit zusammenhängende Frage.

Wichtig ist die Einsicht in die Fragilität des Werkes. Wie schon gesagt, wird es bereits durch den Transfer aus dem Intimraum in den öffentlichen Raum sehr verwundbar, um so mehr, wenn dieser gegen die Kräfte seines Entstehens wirkt.

Ein neuerlicher Transfer in eine bestärkende Umgebung kann es retten ?

Sicher. Seine Kraft bleibt für gewöhnlich schon erhalten, aber stillgelegt. Unsere Erfahrung der Wahrnehmung jedoch ist immer illusionistisch. Es läßt sich also genausogut behaupten, daß jedes geschaffene Objekt seine autonome Struktur behält, wo immer es sich befindet. Um sich mit der Situation in Museen auseinanderzusetzen, müßte man daher noch viel weiter gehen, sich in das Objekt selbst versetzen, in das Leben des Objektes und aus dieser eigenen Transformation, von innen heraus, vom Bild aus, den Raum sehen. Man wird zum Bild, man wird zum Objekt und hat jenseits der Konvention die Chance, Notwendigkeiten plötzlich anders zu sehen.

Als prominentes Museumsbild fühle ich mich heute - erfreut, erstaunt, gestört ? - wie eine Auslage für unkenntliche Passanten, durchaus im Sinn von Walter Benjamins bitterer Bemerkung über das Warenhaus als Museum des kleinen Mannes.

Ich jedenfalls gehe nicht in ein Kaufhaus Kunst betrachten. Auch das Museum of Modern Art in New York ist inzwischen zu einem gemacht worden. Ursprünglich war es eine elitäre Institution, elitär in dem Sinn, daß es sich entschieden einer ideologischen Position der Moderne und deren heroischen Wurzeln verpflichtet gefühlt hat. Da gab es keine Ausnahmen. Durch die radikale Klarheit des Programms und der Auswahl der Objekte ist es gelungen, eine andere Intimsphäre zu schaffen, die genauso radikal war, wie die Intimsphäre der Künstler, der Machenden. Da gab es z. B. eine Stiege mit einem Schlemmer-Bild von der Stiege im Bauhaus und diese fast banale Parallelität hat Wohlbefinden hervorgerufen, man hat sich zu Hause gefühlt. Und zu Hause heißt, wieder in einem Haus. Inzwischen ist vergrößert worden und es gibt plötzlich Rolltreppen ! Eine Rolltreppe ist etwas Wunderbares zur Verbesserung der Nutzung und des Komforts in einem Warenhaus, wo man nicht denkt, wo man sich irgendwelche Annehmlichkeiten leistet, aber doch nicht für den Weg zu einem Bild, der viel mit Schritten der Vorbereitung zu tun hat. Das Museum hätte eben nicht vergrößert werden sollen. Zu überlegen wäre vielmehr gewesen, wie man in einem kleinen Haus eine große Sammlung ausstellt. Es ist doch ohne weiteres denkbar, einen Monet-Raum zu haben, wo immer nur ein Bild hängt, das jede Woche gewechselt wird und jeder, der sich für Monet interessiert weiß, wann ein bestimmtes Bild im Original zu sehen ist. Jonas Mekas, dessen kleines New Yorker Filmmuseum - die Anthology Film Archives - sich noch konsequent auf die radikalen ideellen Programmvorstellungen beruft, von denen das Museum of Modern Art inzwischen deutlich abgewichen ist, zeigt ja auch in durchdachter Weise Zyklen. Es wird also dem, der so einfach hineingeht, sich vielleicht sogar bilden will, nichts einfach offeriert, sondern das Programmangebot ist für den, der dafür arbeitet.

Das Rolltreppen-Beispiel - eine Metapher für das Museum als Fußgängerzone - ist, abgewandelt, doch auch auf das Guggenheim Museum anwendbar: Mit dem Lift hinauf und dann mit dem Besucherstrom entlang der gebauten Spirale bequem hinabflutend.

Nein, in keiner Weise. Das Guggenheim Museum ist für mich vielleicht ein Gegenpol zur Berliner Nationalgalerie, weil es in einer ganz anderen Art diese Idealvorstellung des Universellen erreicht. Die Spirale kommt ja von einer Garage, die Frank Lloyd Wright ursprünglich bauen wollte. Das bestätigt ja, daß sie eine geometrische Idealvorstellung ist, völlig unabhängig von einer möglichen Nutzung durch Autos oder Fußgänger. An diesem Gebäude fasziniert mich vor allem der extreme Versuch, einen Intimraum zu schaffen, in dem der Maßstab des Betrachtens völlig festgelegt ist, weil man vom Bild nur wenige Schritte bis zur Balustrade zurückgehen kann. Von der Distanz her gibt es also keine großen Wahlmöglichkeiten, wie es sie ja auch in einem angeräumten Künstleratelier normalerweise nicht gibt. Ich fahre auch nie mit dem Lift, sondern gehe die Spirale hinauf und das bietet wunderbare Annäherungsmöglichkeiten an das Objekt, zuerst ist es klein, unscharf, noch nicht im Brennpunkt. Vorahnungen und der Wunsch näherzukommen werden erzeugt. Dabei geht man an anderen Objekten seiner eigenen Sehnsucht vorbei. In diesem einen Raum und durch die Grenzen, die in ihm gesetzt wurden, entsteht plötzlich das völlig neue Konzept eines Museums, eine neue Betrachtung des Objektes. Große Skulpturen könnten sogar den ganzen Innenraum beherrschen, nur hat das bisher noch niemand gemacht. Ausstellungen konkret für diese Raumsituation wären also eine wichtige Möglichkeit; ganz im Sinne, wie ja auch Walter Pichler seine kommende Ausstellung im Museum für angewandte Kunst in Wien direkt auf die dortigen Räume bezieht.

Diese Präferenz für von Künstlern selbständig durchkonzipierte Ausstellungen wendet sich offensichtlich gegen eine Vermittlungsarbeit durch Dritte, etwa von Ausstellungsmachern.

Für mich ist eine diesbezügliche Autonomie die Idealvorstellung: Objekte und Bilder, die nicht ausgestellt, in den Raum gestellt werden, sondern die selbst raumbestimmend sind, die aktive Elemente innerhalb des architektonischen Raumes werden.

Die museale Realität weicht nicht nur räumlich davon gravierend ab, sondern auch zeit-räumlich, durch die Chronologie historischer Sammlungen, die einen fast immer zwingt, durch Epochen zu eilen, um an ein gewähltes Ziel zu kommen.

Im Falle des Wiener Kunsthistorischen Museums möchte ich das wohlwollend als Phänomen betrachten. Es ist typisch österreichisch und Österreich hat eine chronologische Kultur. Die Spanier wiederum sind Stierkämpfer, zum Goya kommt man im Prado sprunghafter. Solche Unterschiede gehen ja in der Boutiquisierung der Museen völlig verloren und es wird völlig egal, ob ein Museum in Frankfurt oder in London steht.

Soll das Einfrieren in geschichtliche Kategorien, inklusive der ostentativen Trennung von Klassik und Moderne, also weiterhin akzeptiert werden, oder würden wir uns völlig neu geordnete Sammlungsstrukturen wünschen, mit einer temporären Nachbarschaft von Velázquez und Francis Bacon zum Beispiel oder von Turner und Gerhard Richter?

Die Stabilität dieser Strukturen ist in Wahrheit eine Bestätigung, wie stark sich der Kunstmarkt bereits in den Museen manifestiert. Was einen interessanten Markt hat, wo Gewinne zu erwarten sind, wird abgesondert - hauptsächlich die Moderne...

... und das lange geschmähte 19. Jahrhundert, wie das Musée d' Orsay bestätigt oder die zur Zeit ad acta gelegten Pläne für ein Wiener Jugendstilmuseum. Überlegungen rund um neue Tourismusattraktionen sind die zweite starke Kraft, die da wirkt.

Sicher. Es wird zwar nicht immer zugegeben, ist aber genauso.

Die Vorstellung vom Museum als Ort der Integrität ist also völlig am Zerbröckeln.

Niemand wird das bestreiten können. Und die Architektur ist ein stiller Zeuge davon. Von der Wurzel der Studierstube, die ja Arbeit und intellektuelle Auseinandersetzung bedeutet hat, ist im heutigen Museum der Prestige- und Unterhaltungsorientierung praktisch nichts mehr übrig. In der Anfangsphase der Galerie St. Stephan in Wien, Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, sind wir wegen der Auseinandersetzung mit der gezeigten Arbeit gekommen, die Ansprachen von Monsigniore Mauer haben uns etwas bedeutet, Haltungen konnten sich festigen. Bei einer Ausstellung Arnulf Rainers vor einiger Zeit hingegen, hat sich der Verleger seines Kataloges bei den Austria Tabakwerken bedanken müssen, weil er das Buch mit einer Geschenkpackung Zigarren auf den Weihnachtsmarkt bringen durfte. Das zeigt doch die Veränderung von Haltungen in einer relativ kurzen Zeitspanne; wobei der Künstler die Konstante bleibt, weil so etwas seiner Arbeit ja nicht zwingend etwas wegnimmt.

Ob aber gerade Museen angesichts dieser Entwicklungen Widerstandsinseln sein können, ist angesichts ihrer Abhängigkeiten mehr als fraglich.

Als öffentliche Institutionen müssen sie das. Genauso wie die Schulen für Architektur diesen Widerstand leisten müssen, gegen Moden, gegen professionelle Interessen. Im anderen Fall werden sie nicht nur unwürdig, sondern auch unnütz, unnütz im Sinne ihrer potentiell notwendigen Haltung in einer respektablen Gesellschaft. Vielleicht können solche Einrichtungen wirklich nur durch ein Zusperren wieder an Wert gewinnen. Damit will ich keineswegs eine Spenglersche Position einnehmen und über die Verluste lamentieren. Im Gegenteil, mich interessieren die Verluste und Zerbröckelungsprozesse. Wenn ich z. B. ein Museum machen sollte, könnte ich ohne weiteres zum Schluß kommen, daß es zur Zeit nicht geht oder man eben ein radikal neues Programm erfinden müßte, um wirklich ein neues Museum zu rechtfertigen.

Das Museum selbst ist doch schon von vorneherein als Gefährdung des Kritikpotentials von Kunst zu sehen, umso mehr, als das Museum längst Teil kommerzieller Strukturen ist. Welche Gegenstrategien lassen sich da noch ernsthaft in diesen Zusammenhängen als Chance sehen ?

Die Kunst, der Künstler, das sind ja ihrerseits verschleierte Begriffe geworden, hinter denen man sich verstecken kann. Wird schlicht über Malerei gesprochen, über Bildhauerei, über Architektur macht das die Probleme gleich präziser. Arakawa hat mir erzählt, daß De Chirico, den er noch persönlich kannte, innerhalb einer Farbe mindestens drei verschiedene Pigmente unterscheiden konnte. Damit sind wir wiederum beim Begriff der Studierstube. Wieviele Maler gibt es schon, die versucht haben, diese analytische Präzision zu erlangen ? Welche Museumsbesucher haben vergleichbare Intentionen ? Aus Erhebungen darüber ließen sich doch Forderungen ableiten, Forderungen, die der Obsession entgegenkommen.

Aber jeder von uns setzt sich doch genauso den bewegten Bildern eiliger Museumsbesuche aus, ohne solche Intensitätsforderungen zu erfüllen. Das Forschende, Gründliche wäre doch hauptsächlich über neue Kooperationen zwischen Museen und Universitäten, Hochschulen, Bildungseinrichtungen zu erreichen.

Damit zum Beispiel die Hochschule und das Museum für angewandte Kunst in Wien ihre ursprünglich ja existierende Zusammenarbeit neu aktivieren, ist gar kein Programm notwendig. Das muß "von selbst" kommen, durch ein Interesse an der Museumsbibliothek, an den Archiven, durch studentische Offensiven.

Und die Kunsthistoriker ? Vor welchem Rollenwandel stehen sie ?

Sie haben Integrität zu verteidigen. Wer sich obsessiv mit seiner Disziplin beschäftigt ist ja eine wichtige Gegenkraft gegen Kommerzialisierung und gesteuerte Kunsttrends, wenn er zugleich mit Entscheidungsnotwendigkeiten umgehen kann. Nur ist auch hier die Tendenz umgekehrt, auf wichtige Leiterposten gelangen zunehmend verwendbare Personen. Die Zerstörung der Integrität von Kunst und Künstlern durch die Erfindung von Kunst und Künstlern wäre wiederum nicht möglich, wenn nicht sogenannte Kunsthistoriker, die sich auf die andere Seite geschlagen haben, an dem mitwirken. Dem Künstler, der sich verwenden läßt, kann man diese Schwäche vielleicht nachsehen. Jene aber, die als wissenschaftliche Bestätiger des Kunstmarketings auftreten, diese vielen Zwischenfiguren, sind - gemeinsam mit diesem gewissen neuen Direktorentyp - die eigentlichen Rädchen einer zu bekämpfenden Maschinerie.

Strukturell läuft da einiges durcheinander: Einserseits sollten Museen für interessante, autonome Persönlichkeiten Arbeitsfelder bieten, das heißt zugleich, ihnen eine starke Subjektivität ermöglichen, andererseits wird damit die öffentliche Institution Museum durch die Person gleichsam privatisiert. Die offizielle Privatisierungsdebatte hingegen richtet sich auf den Nebenschauplatz Sponsoren, Mäzene, Mittelbeschaffung und läßt die erste Fragestellung einer strukturellen, personellen, budgetären Autonomie weitgehend außer acht.

Völlig richtig. Es gibt da keine präziseren Antworten, als die Zeichen selber, die sich die Zeit setzt. Vor einigen Wochen bin ich an der Secession vorbeigegangen und da ist unter dem Namen Sol LeWitt, ganz minimal so wie dessen Arbeit, Coca Cola gestanden. Mit dem ist die Secession, die sich ursprünglich gegen den Gang der Dinge gestellt hat, als Institution gestorben. So etwas ist für mich ein Ereignis, ein Ereignis, das in voller Klarheit zeigt, daß diese Kunst nicht autonom ist und auch die Institution nicht, die sie ausstellt. Dabei rede ich nicht von einer fiktiven gesellschaftlichen Autonomie. Abhängigkeiten waren immer da. Nur ist die symbolische Bedeutung, wer wen stützt, signifikant; früher ein Papst und jetzt der Getränke-Magnat. Wenn man aber die Romantik solcher Bedeutungsunterschiede aufgibt, dann wird alles möglich - und alles egal.

Sehen wir vielleicht nicht immer Zerstörung, sondern die sich aus Zerfallendem neu konstituierenden Gesellschaften: In ihnen gehört Kunst plötzlich wieder zum "Lebensstil" und beträchtliches Staats- und Privatkapital fließt in museale Repräsentation und Identitätsstiftung. Auf Österreich bezogen war ein erster solcher Schritt die Neueinrichtung der Schatzkammer, eines kulturellen "Heiligtums", das doch, sagen wir es so, in äußerst aussagefähiger Weise neu gestaltet worden ist. Da war jetzt nicht Coca Cola dabei, sondern das hat das Politik- und Museumssystem selbst hervorgebracht.

Diese neuaufgestellte Schatzkammer steht so außerhalb jeder gefühlsmäßigen und intellektuellen Kritik, daß man sie gar nicht diskutieren soll. Sonst müßten wir wirklich den ganzen Abfall unserer Gesellschaft besprechen. Wichtig dabei ist sicher die Rolle des Staates, nur ist Coca Cola auch ein Staat, nicht mehr bloß eine Firma. Jeder dieser Staaten muß sich der Kunst widersetzen und jeder Künstler muß sich dem Staat widersetzen. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob dieser Staat eine Diktatur oder ob er demokratisch ist. Der Staat muß immer darauf aus sein, daß er funktioniert. Der Künstler muß sich jeder Organisation widersetzen. Das ist der Konflikt. Erschreckenderweise ist er in der Diktatur ein klarerer Konflikt, weil die Unterdrückung offensichtlich ist, weil Bücher verbrannt werden, weil Kunst als entartete Kunst deklariert wird, weil es die ganz konkrete Verfolgung gibt. In unseren Systemen ist das lange nicht so deutlich. Dabei haben der Staat und diverse staatsähnliche Mächte die Kunst in einem Ausmaß besiegt, wie es früher nie denkbar war - einfach durch den anonymen, subtiler gewordenen Einsatz von Geld. Es sind ja nicht mehr Personen, die miteinander zu tun haben. Das drückt sich auch in den Museen aus, die nichts anderes mehr sind, als Ventile einer Machtpolitik. Daß der österreichische Bundeskanzler kürzlich die Aktionistenausstellung in Kassel eröffnet hat, finde ich, nach so vielen Jahren der Unterdrückung, völlig in Ordnung; auch daß sie einem Museumsdirektor wie Peter Noever inzwischen so wichtig ist, daß er sie in seinem Haus zeigen wird. Trotzdem stimmt irgendetwas nicht, denn speziell der Aktionismus war eine klar konfrontative Kunst gegen die Macht des Staates. Als Romantiker hätte ich mir also ein Nein dieser Künstler zu dieser musealen Ausstellung gewünscht. Aber es ist eben so gelaufen. Beide Seiten sind zu einer Zusammenarbeit bereit und das ist natürlich das Ende des gegenseitigen Widerstandes.

Nur ist es ja tatsächlich eine Romantik, unmittelbar an aktionistische Widerstandshaltungen anknüpfen zu wollen. Die Verführungen sind subtiler geworden, also mußte auch der Umgang mit ihnen subtiler, mehrdeutiger, versteckter werden. Das bedrohte Subjekt kann sich nicht mehr durch Kraftakte, sondern eher durch wechselnde Koalitionen abschirmen.

Dennoch bin ich überzeugt, daß ein Verlieren dieses Widerstandes auch den in der Arbeit notwendigen Widerstand reduziert. Dieter Roth zum Beispiel, hat auf die Lawine seines Erfolges mit dem Kunsthandel ganz bewußt so reagiert, daß er sein Geld hinausgeworfen und mit dem Rest Bücher gedruckt hat und das bewundere ich selbstverständlich.

Nur, welcher Künstler ist nicht geil auf Museen ? Damit ist er leicht zu fangen.

Natürlich, Ausstellungen sind ein Statussymbol für ihn. Gleichzeitig sind sie ein Aushängeschild des Staates, der sich manchmal darin gefällt, bestimmte Kunst dem Volk zugänglich zu machen. Ich selbst wiederum habe meine erste Kunst in der Kirche gesehen und die erste Musik dort gehört, also nicht an Orten, wo in bloß musealem Sinn etwas ausgestellt oder aufgeführt wird.

Daß es naiv ist, das Museum als paradiesischen Ort zu sehen, wo diese oder jene Kräfte nicht wirken, ist schon mehrfach angesprochen worden. Überdies liegt vieles außerhalb seiner Kompetenz. Architektur etwa stellt sich ja selber aus, wie das Königsportal von Chartres, ein gotisches Glasfenster, die Pyramiden von Gizeh oder der Eiffelturm. So gesehen ist jedes Museum bloß Aufbewahrungsort transportabler Objekte, die es zu schützen und zeitweilig herzuzeigen gilt. Vielleicht könnte allerdings die grassierende Manie, mit Millionenaufwand ständig Historisches auszustellen, als ostentative Beruhigungsstrategie gesehen werden, als Harmonisierungssystem, das dazu beiträgt, vom Unzugänglicherwerden so vieler anderer polit-ökonomischer Zusammenhänge abzulenken.

Unbedingt; denn jeder Mechaniker weiß, wenn eine Maschine nicht richtig funktioniert, dann leistet etwas Widerstand. Man nimmt etwas heraus, wechselt etwas aus, reinigt verschmutzte Teile, dann läuft alles wieder wie geschmiert. Ich habe mir vor kurzem in New York einen Wecker gekauft und die Verkäuferin hat mir seine Funktionsfähigkeit so angepriesen: "Don't worry. It works like a dream." Da habe ich ihr geantwortet, das beruhigt, aber gleichzeitig wird er meine Träume zerstören.

Nur kennt doch auch jeder Künstler seinen Ärger über nichtfunktionierende Museen, wenn die Werkstätten, Handwerker, Aufseher, Manager nicht am Projekt kompetent mitarbeiten oder er als Besucher auf Ignoranz trifft. Andererseits ist sie ja tatsächlich da, die Gefahr der zu geölten Maschine, die wiederum Mögliches verunmöglicht.

Dazu ein Gedanke: Schluß mit dem künstlichen Licht im Museum. Gesperrt wird mit Einbruch der Dämmerung. Öffnungszeiten werden abhängig von der Jahreszeit. Das Auge muß an sich verändernden Verhältnissen mitarbeiten. Das Eingebundensein in Zeit wird spürbar. Die Indoktrination durch statisch-gleiche Komfortzustände wird gebrochen. Neue Programme für Museen müßten in diesem Sinn also Konflikte einbeziehen, auch auf solchen Ebenen. Es wäre mir ja selbst das Guggenheim Museum viel sympathischer, wenn es keinen Aufzug hätte. Dann müßte jeder den Berg besteigen.

Das führt uns zur häufig anzutreffenden Wertschätzung für ärmliche, verstaubte, altmodische Museen, wie das Wiener Völkerkundemuseum oder das Musée de l'Homme in Paris. Unter Liebhabern ist die Sorge verbreitet, daß sie durch den angesagten Modernisierungsschub viel von ihrer Qualität verlieren. Nur schaffen es unsere Gesellschaften ja nicht, mit dem Altern und mit Ruinen behutsam umzugehen.

Sicher. Da ist schon wieder ein Konflikt. Alles muß up to date gebracht werden und verliert damit Patina, Geschichte, Identität.

Im internationalen Museums-Bauboom manifestiert sich andererseits extrem, daß Geld in Hülle und Fülle für Hüllen und Selbstbestätigung da ist. Daß auch in reicheren "Kulturstaaten" die Betriebsbudgets oft nur noch Scheinaktivitäten erlauben, ist die Kehrseite der Medaille.

Die neuen Museen sind letztlich nur Statussymbole. Frankfurt braucht doch nicht plötzlich so zirka zehn neue Museen. Das wird alles so, als wenn in einer atheistischen Gesellschaft Kirchen gebaut werden, die niemand wirklich für einen Glauben verwendet.

Solche Museen sind gleichsam Triumphbögen, Freiheitsstatuen; Attraktionen für den auswärtigen und eigenen Tourismus, dekoriert mit Insignien einer Etikettenkultur.

Nur waren solche Zeichen früher authentisch. Man kann es auch auf diesen Punkt bringen: Offensichtlich hat es noch nie eine Zeit mit so wenig Kunst und so viel Ausstellungsmöglichkeiten für Kunst gegeben.

Zugleich ist die Entschluß- und Profillosigkeit so vieler neuerer Museen, die sich mit einem Erwerb von Markenartikeln zufrieden geben, doch ein Anzeichen für eine sonderbar verfremdete Rückentwicklung zu einem der Ursprünge - zum Kuriositätenkabinett. Nur sind die Einhörner und Reliquien jetzt ident von Kansas City bis ins Wiener Palais Liechtenstein zu sehen.

Dieser Lieferzwang setzt Kunst, die Museumsweihen erreicht hat, logischer Weise unter einen enormen Druck. Und parallel dazu haben die Großausstellungen, wie sie insbesonders Pontus Hulten im Centre Pompidou mit "Paris-Moskau" usw. angefangen hat, soviele bedeutende Werke herangeschafft, daß außer einem Gesamteindruck kaum etwas hängen bleibt. Als Gegensatz dazu waren etwa in der Ausstellung der Sammlung von Gertrude Stein in zwei Räumen Werke zu sehen, die von einer Person, einem Intellekt zusammengetragen worden sind. Hervorragende Arbeiten und der Einblick in den Intimbereich der Sammlerin waren dabei das Ergreifende. Zum Kuriositätenkabinett kommt es ja nur durch Auswahl auf Grund bloßen Prestiges.

Ganz nach den Gesetzen der Markenartikelgesellschaft.

Sicher, und damit wird das Werk zum Objekt degradiert, dem ein abstrakter Wert zugemessen wird. 3 Millionen Dollar oder 40 Millionen Dollar, das ist doch unwichtig.

Auf Museumsebene ist ein vorausschauendes Gegensteuern aber von den Aufstiegsmechanismen, Anstellungsmodalitäten, Kompetenzen, Entscheidungsspielräumen, Budgets, Autonomiegraden abhängig.

Mir widerspricht, derartiges schon wieder als Notwendigkeit zu akzeptieren. Wenn man ein neues Museum schafft, braucht man vielleicht überhaupt kein Personal. Wenn man allein den Begriff Museumswärter bedenkt, könnte ich mir sofort einen Raum vorstellen, wo keiner drinnen steht, der aufpaßt.

Die offizielle Bezeichnung Aufseher ist nur um wenig milder.

Das erinnert an Gefängnisse, an Irrenhäuser, an Tiergärten. Wenn man neue Programme für Museen schaffen will, muß man anfangen, das ganze Programm als Text, als Wörter, als Metaphern in Frage zu stellen. Und dann wird man fast automatisch neue Lösungen finden.

Hat sich nicht als eine Struktur dieses Gespräches ergeben, daß die Archivierung in großen, teilweise neuen Depots und eine sorgsamere, gezieltere Auswahl, was temporär ausgestellt werden soll, ein wichtiger Ansatz ist, um aus dieser beliebig-touristischen Museumssituation einen Ausweg zu finden ?

Natürlich, auch wenn das jetzt sehr subjektiv diskutiert worden ist. Als da in Wien voriges Jahr große Aufregung geherrscht hat, weil Museen aus Aufsehermangel kaum noch offen halten konnten, habe ich das als wunderbar empfunden. Durch ein Schließen könnte zwischen jenen, die Objekte wirklich studieren wollen und den Umständen ein Dialog entstehen. Im Sommer sind ja auch viele der Gasthäuser, die wir sonst frequentieren, geschlossen. Das ist eben eine Zeit, in der man sich anders zur Stadt verhält. Sie ist weniger zugänglich, also könnten die Museen vielleicht auch nur konzentrierte, kleinere Ausstellungen anbieten. Jedenfalls: Die Widerstände, denen der Künstler, also der, der die Objekte macht, ausgesetzt ist, sollten auch in dem Haus, in dem seine Arbeiten ausgestellt werden, zum Ausdruck gebracht werden. Das ist der Ansatz einer idealen Umsetzung von einer Intimsphäre in eine andere. Man könnte z. B. die Sammlung der Nationalgalerie Berlin zeitweilig zusperren und nur den oberen Raum offen lassen, als leeres Museum. Man könnte andere Museen leer öffnen, und sei es nur wegen der Hoffnung, daß an dieser weißen Wand in einem Monat wieder ein bestimmtes Bild hängen wird.

Zum Abschluß: Gibt es nach Raimund Abrahams Meinung seit der mehrfach genannten Berliner Nationalgalerie von Mies van der Rohe, die 1968, vor 20 Jahren also, eröffnet worden ist, einen Museumsbau, der als Architektur Möglichkeiten für ein neues Museum offen läßt ?

Nein.

 

Raimund Abraham, Architekt
geb. 1933 in Lienz. Architekturstudium an der Technischen Universität Graz. Entstehen der ersten "visionären Projekte" (in engem Kontakt mit Walter Pichler, Hans Hollein, Friedrich St. Florian). 1964 Übersiedlung in die USA. Zahlreiche Ausstellungen, z. B. im Museum of Modern Art oder auf den Architektur-Triennalen in Venedig. Professor an der Cooper Union in New York, z.Zt. Gastprofessor an der Harvard University und an der Technischen Universität Graz.

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© Raimund Abraham 1988 & Christian Reder 1988/2001