Gespräch mit Raimund Abraham
Gehen wir von der Idee des Museums, von Haltungen des Künstlers
zum Museum aus, um gegenwärtige Notwendigkeiten besser
diskutierbar zu machen.
Das Museum, ein Haus oder eine Kirche sind für mich
archaische Metaphern; Metaphern, die eine geschichtliche Erinnerung
bestimmen. Neue Konzepte für solche Metaphern lassen
sich nur finden, wenn deren Programme von den Wurzeln her
in Frage gestellt werden, ihr Text also, etymologisch und
im literarischen Sinn. Um originell im Sinne des Originals
sein zu können, muß man jedes Wort, jeden Gedanken
zurückführen können soweit es geschichtlich
möglich ist und von dort aus neu anfangen. Dieser Schnitt
durch die Geschichte liefert dann die Impulse zur Neuübersetzung
der archaischen Wurzeln, unter Einschluß unserer Erfahrung
und Voreingenommenheit. Auf das Museum bezogen zeigt sich,
daß dieser Begriff ein relativ neuer ist.
Inhaltlich ausgeprägt hat er sich in Etappen, von der
Einrichtung einer Gemäldegalerie in den Uffizien (ab
1580) über die Gründung des British Museum 1753
oder die Öffnung des Louvre für die Bevölkerung
im Jahr 1793 bis hin zur Museumseuphorie des 19. Jahrhunderts.
Entscheidend war sicher das 16. Jahrhundert, die Übernahme
aus dem Griechischen, das Wort von der Muse, der Göttin
des Gesangs, der Künste und der Wissenschaft und seine
Verwendung für die Studierstube. Deren Entwicklung zur
öffentlichen, dem Volk zugänglichen Institution
hat dann bis ins vorige Jahrhundert gedauert; aber selbst
aus dieser Phase gibt es nur mehr wenige Museen in ihrer authentischen
Form, den Prado vielleicht oder das Kunsthistorische Museum
in Wien. Der Louvre ist inzwischen genauso kommerzialisiert
wie das Metropolitan Museum in New York oder die National
Gallery in Washington. Unmittelbarer Ausgangspunkt sind also
Manifestationen des 19. Jahrhunderts und es wäre für
Überlegungen zum gegenwärtigen Museum völlig
sinnlos, diese Manifestationen, die doch von völlig anderen
sozialen und kulturellen Kräften bestimmt waren, weiterhin
als Programm zu nehmen und nur durch andere architektonische
Aussagen ein sogenanntes neues Museum zu schaffen. Das ist
für mich undenkbar. In der Realität jedoch ist "19.
Jahrhundert" - von den Pionieren der Moderne als dekadent
bekämpft - plötzlich das dominante Programm der
Architektur.
Im Inneren alter und neuer Museumsarchitekturen geht es um
das Sammeln, Bewahren, Erforschen, Wiederherstellen, um das
Ausstellen und Vermitteln - und um den Umgang mit dem "Strukturwandel
der Öffentlichkeit".
Hauptelement ist das Ausstellen und Ausstellen ist etwas
Obszönes. Besonders deutlich wird das bei zeitgenössischen
Künstlern oder bei jenen, über deren Leben uns authentische
Aufzeichnungen verfügbar sind. Objekte werden aus dem
Prozeß, aus der Aura des Machens herausgerissen. Die
Intimsphäre wird gebrochen. Vom Gefühl her hat das
eine ganz konkrete Konsequenz.
Besonders paradox wird dieser Umgang mit "originaler"
Intimität im Nachbau von Brancusis Atelier neben dem
Centre Pompidou, wo Künstleratmosphäre als architektonische
Reproduktion geboten wird.
Absolut. Der Adolf Loos-Raum im Historischen Museum der Stadt
Wien wirkt auf mich auch wie ein Gruselkabinett. Man kann
doch nicht einen schon bewohnt gewesenen Raum mit seinen Gegenständen,
die als physische Umwelt in irgendeiner Form Ereignisse aufgenommen
haben, einfach in eine Museumskoje verfrachten. Beim Betreten
eines Raumes wirkt ja nicht bloß dessen materielle Existenz
auf uns, sondern genauso die Möglichkeit, sich der Ereignisse
zu erinnern, die sich in ihm abgespielt haben. Ein Museum
ist ein Haus und das Haus ist das älteste Programm, das
es in der Architektur gibt. Früher wurde man im Haus
geboren, wurde im Haus erzogen, man wurde im Haus krank und
wurde geheilt oder man ist im Haus gestorben. Und dieser Zyklus
eines Lebens könnte metaphorisch auf Objekte übertragen
werden, die im Haus leben - was genauso wie das folgende für
Museen Geltung hat. Damit das Haus Architektur wird, muß
es ein ideelles und universelles Niveau erreichen, das Wohnen
ermöglicht, sich ihm aber nicht fügt, also eine
zusätzliche Herausforderung für Bewohner und Benutzer
darstellt. Die ideelle Qualität der Architektur muß
andere Möglichkeiten für die Phantasie des Menschen
offen lassen, muß sie sozusagen erzeugen können.
Können wir solchen Forderungen am Beispiel eines konkreten
Museumsbaus nachgehen ?
Das universellste Museum ist für mich die Nationalgalerie
in Berlin. Mies van der Rohe hat dort eine klare Trennung
geschaffen. Der ideale Teil des Museums, der das Stadtbild
bestimmt, ist nicht die Ausstellungshalle, sondern ein weiter,
völlig transparenter Bereich, in den man eintritt und
weiß, ich bin in einem Museum. Man wird zuerst selbst
ausgestellt. Erst dann geht man in den zweiten Teil, der unterhalb
liegt, der spezifischer in der Nutzung wird, mit den Ausstellungsräumen,
dem Skulpturenhof, intimer, versteckter, nicht mehr der Öffentlichkeit
preisgegeben.
Das Kristalline der großen Halle ist inzwischen durch
eine "Verbürgerlichung" bekämpft worden,
Vorhänge sollen Distanz zur Umwelt schaffen ...
Richtig, um sie intim zu machen, sie sollte aber nicht intim
sein. Sie ist als leerer Raum, horizontal unbegrenzter Raum
konzipiert. Jede Ausstellung, die dort versucht worden ist,
war ein kompletter Mißgriff; mit Ausnahme vielleicht
der wenigen, subtil placierten Giacometti-Plastiken, die sich
ihn mit ihrer Minimalität erobert haben. Das sollte aber
nur beispielhaft dafür sein, was ich unter ideell und
universell verstehe. Jedes Bauwerk, das errichtet wird, ist
ein Eingriff in den Ort. Und wenn etwas Substantielles verlorengegangen
ist, so ist es das Bewußtsein vom Ort, und mit ihm ist
auch die Architektur verloren gegangen. Der Zusammenhang zwischen
beidem ist fälschlich immer als organisch bezeichet worden
ist. Das Gegenteil ist wahr. Architektur, als Gedanke oder
als Bauwerk, ist Zerstörung. Das zerstörte Equilibrium
kann nur durch Qualität, durch Einfühlung, durch
Sensibilität, durch Verständnis wiederhergestellt
werden. Wir treffen hier auf die gleiche Fatalität, mit
der wir Tiere töten, die an sich unsere Freunde sind.
Die einzige Rechtfertigung dieses Tötens ist, daß
man sie gut kocht. Das Kochen wird dann die Versöhnung,
so wie die Qualität der Architektur die Versöhnung
für ihr eigenes Eingreifen ist.
Wieweit sich Kunst in ungeeigneten Räumen abtöten
läßt und in Museen begraben, wäre eine damit
zusammenhängende Frage.
Wichtig ist die Einsicht in die Fragilität des Werkes.
Wie schon gesagt, wird es bereits durch den Transfer aus dem
Intimraum in den öffentlichen Raum sehr verwundbar, um
so mehr, wenn dieser gegen die Kräfte seines Entstehens
wirkt.
Ein neuerlicher Transfer in eine bestärkende Umgebung
kann es retten ?
Sicher. Seine Kraft bleibt für gewöhnlich schon
erhalten, aber stillgelegt. Unsere Erfahrung der Wahrnehmung
jedoch ist immer illusionistisch. Es läßt sich
also genausogut behaupten, daß jedes geschaffene Objekt
seine autonome Struktur behält, wo immer es sich befindet.
Um sich mit der Situation in Museen auseinanderzusetzen, müßte
man daher noch viel weiter gehen, sich in das Objekt selbst
versetzen, in das Leben des Objektes und aus dieser eigenen
Transformation, von innen heraus, vom Bild aus, den Raum sehen.
Man wird zum Bild, man wird zum Objekt und hat jenseits der
Konvention die Chance, Notwendigkeiten plötzlich anders
zu sehen.
Als prominentes Museumsbild fühle ich mich heute - erfreut,
erstaunt, gestört ? - wie eine Auslage für unkenntliche
Passanten, durchaus im Sinn von Walter Benjamins bitterer
Bemerkung über das Warenhaus als Museum des kleinen Mannes.
Ich jedenfalls gehe nicht in ein Kaufhaus Kunst betrachten.
Auch das Museum of Modern Art in New York ist inzwischen zu
einem gemacht worden. Ursprünglich war es eine elitäre
Institution, elitär in dem Sinn, daß es sich entschieden
einer ideologischen Position der Moderne und deren heroischen
Wurzeln verpflichtet gefühlt hat. Da gab es keine Ausnahmen.
Durch die radikale Klarheit des Programms und der Auswahl
der Objekte ist es gelungen, eine andere Intimsphäre
zu schaffen, die genauso radikal war, wie die Intimsphäre
der Künstler, der Machenden. Da gab es z. B. eine Stiege
mit einem Schlemmer-Bild von der Stiege im Bauhaus und diese
fast banale Parallelität hat Wohlbefinden hervorgerufen,
man hat sich zu Hause gefühlt. Und zu Hause heißt,
wieder in einem Haus. Inzwischen ist vergrößert
worden und es gibt plötzlich Rolltreppen ! Eine Rolltreppe
ist etwas Wunderbares zur Verbesserung der Nutzung und des
Komforts in einem Warenhaus, wo man nicht denkt, wo man sich
irgendwelche Annehmlichkeiten leistet, aber doch nicht für
den Weg zu einem Bild, der viel mit Schritten der Vorbereitung
zu tun hat. Das Museum hätte eben nicht vergrößert
werden sollen. Zu überlegen wäre vielmehr gewesen,
wie man in einem kleinen Haus eine große Sammlung ausstellt.
Es ist doch ohne weiteres denkbar, einen Monet-Raum zu haben,
wo immer nur ein Bild hängt, das jede Woche gewechselt
wird und jeder, der sich für Monet interessiert weiß,
wann ein bestimmtes Bild im Original zu sehen ist. Jonas Mekas,
dessen kleines New Yorker Filmmuseum - die Anthology Film
Archives - sich noch konsequent auf die radikalen ideellen
Programmvorstellungen beruft, von denen das Museum of Modern
Art inzwischen deutlich abgewichen ist, zeigt ja auch in durchdachter
Weise Zyklen. Es wird also dem, der so einfach hineingeht,
sich vielleicht sogar bilden will, nichts einfach offeriert,
sondern das Programmangebot ist für den, der dafür
arbeitet.
Das Rolltreppen-Beispiel - eine Metapher für das Museum
als Fußgängerzone - ist, abgewandelt, doch auch
auf das Guggenheim Museum anwendbar: Mit dem Lift hinauf und
dann mit dem Besucherstrom entlang der gebauten Spirale bequem
hinabflutend.
Nein, in keiner Weise. Das Guggenheim Museum ist für
mich vielleicht ein Gegenpol zur Berliner Nationalgalerie,
weil es in einer ganz anderen Art diese Idealvorstellung des
Universellen erreicht. Die Spirale kommt ja von einer Garage,
die Frank Lloyd Wright ursprünglich bauen wollte. Das
bestätigt ja, daß sie eine geometrische Idealvorstellung
ist, völlig unabhängig von einer möglichen
Nutzung durch Autos oder Fußgänger. An diesem Gebäude
fasziniert mich vor allem der extreme Versuch, einen Intimraum
zu schaffen, in dem der Maßstab des Betrachtens völlig
festgelegt ist, weil man vom Bild nur wenige Schritte bis
zur Balustrade zurückgehen kann. Von der Distanz her
gibt es also keine großen Wahlmöglichkeiten, wie
es sie ja auch in einem angeräumten Künstleratelier
normalerweise nicht gibt. Ich fahre auch nie mit dem Lift,
sondern gehe die Spirale hinauf und das bietet wunderbare
Annäherungsmöglichkeiten an das Objekt, zuerst ist
es klein, unscharf, noch nicht im Brennpunkt. Vorahnungen
und der Wunsch näherzukommen werden erzeugt. Dabei geht
man an anderen Objekten seiner eigenen Sehnsucht vorbei. In
diesem einen Raum und durch die Grenzen, die in ihm gesetzt
wurden, entsteht plötzlich das völlig neue Konzept
eines Museums, eine neue Betrachtung des Objektes. Große
Skulpturen könnten sogar den ganzen Innenraum beherrschen,
nur hat das bisher noch niemand gemacht. Ausstellungen konkret
für diese Raumsituation wären also eine wichtige
Möglichkeit; ganz im Sinne, wie ja auch Walter Pichler
seine kommende Ausstellung im Museum für angewandte Kunst
in Wien direkt auf die dortigen Räume bezieht.
Diese Präferenz für von Künstlern selbständig
durchkonzipierte Ausstellungen wendet sich offensichtlich
gegen eine Vermittlungsarbeit durch Dritte, etwa von Ausstellungsmachern.
Für mich ist eine diesbezügliche Autonomie die
Idealvorstellung: Objekte und Bilder, die nicht ausgestellt,
in den Raum gestellt werden, sondern die selbst raumbestimmend
sind, die aktive Elemente innerhalb des architektonischen
Raumes werden.
Die museale Realität weicht nicht nur räumlich
davon gravierend ab, sondern auch zeit-räumlich, durch
die Chronologie historischer Sammlungen, die einen fast immer
zwingt, durch Epochen zu eilen, um an ein gewähltes Ziel
zu kommen.
Im Falle des Wiener Kunsthistorischen Museums möchte
ich das wohlwollend als Phänomen betrachten. Es ist typisch
österreichisch und Österreich hat eine chronologische
Kultur. Die Spanier wiederum sind Stierkämpfer, zum Goya
kommt man im Prado sprunghafter. Solche Unterschiede gehen
ja in der Boutiquisierung der Museen völlig verloren
und es wird völlig egal, ob ein Museum in Frankfurt oder
in London steht.
Soll das Einfrieren in geschichtliche Kategorien, inklusive
der ostentativen Trennung von Klassik und Moderne, also weiterhin
akzeptiert werden, oder würden wir uns völlig neu
geordnete Sammlungsstrukturen wünschen, mit einer temporären
Nachbarschaft von Velázquez und Francis Bacon zum Beispiel
oder von Turner und Gerhard Richter?
Die Stabilität dieser Strukturen ist in Wahrheit eine
Bestätigung, wie stark sich der Kunstmarkt bereits in
den Museen manifestiert. Was einen interessanten Markt hat,
wo Gewinne zu erwarten sind, wird abgesondert - hauptsächlich
die Moderne...
... und das lange geschmähte 19. Jahrhundert, wie das
Musée d' Orsay bestätigt oder die zur Zeit ad
acta gelegten Pläne für ein Wiener Jugendstilmuseum.
Überlegungen rund um neue Tourismusattraktionen sind
die zweite starke Kraft, die da wirkt.
Sicher. Es wird zwar nicht immer zugegeben, ist aber genauso.
Die Vorstellung vom Museum als Ort der Integrität ist
also völlig am Zerbröckeln.
Niemand wird das bestreiten können. Und die Architektur
ist ein stiller Zeuge davon. Von der Wurzel der Studierstube,
die ja Arbeit und intellektuelle Auseinandersetzung bedeutet
hat, ist im heutigen Museum der Prestige- und Unterhaltungsorientierung
praktisch nichts mehr übrig. In der Anfangsphase der
Galerie St. Stephan in Wien, Ende der 50er, Anfang der 60er
Jahre, sind wir wegen der Auseinandersetzung mit der gezeigten
Arbeit gekommen, die Ansprachen von Monsigniore Mauer haben
uns etwas bedeutet, Haltungen konnten sich festigen. Bei einer
Ausstellung Arnulf Rainers vor einiger Zeit hingegen, hat
sich der Verleger seines Kataloges bei den Austria Tabakwerken
bedanken müssen, weil er das Buch mit einer Geschenkpackung
Zigarren auf den Weihnachtsmarkt bringen durfte. Das zeigt
doch die Veränderung von Haltungen in einer relativ kurzen
Zeitspanne; wobei der Künstler die Konstante bleibt,
weil so etwas seiner Arbeit ja nicht zwingend etwas wegnimmt.
Ob aber gerade Museen angesichts dieser Entwicklungen Widerstandsinseln
sein können, ist angesichts ihrer Abhängigkeiten
mehr als fraglich.
Als öffentliche Institutionen müssen sie das. Genauso
wie die Schulen für Architektur diesen Widerstand leisten
müssen, gegen Moden, gegen professionelle Interessen.
Im anderen Fall werden sie nicht nur unwürdig, sondern
auch unnütz, unnütz im Sinne ihrer potentiell notwendigen
Haltung in einer respektablen Gesellschaft. Vielleicht können
solche Einrichtungen wirklich nur durch ein Zusperren wieder
an Wert gewinnen. Damit will ich keineswegs eine Spenglersche
Position einnehmen und über die Verluste lamentieren.
Im Gegenteil, mich interessieren die Verluste und Zerbröckelungsprozesse.
Wenn ich z. B. ein Museum machen sollte, könnte ich ohne
weiteres zum Schluß kommen, daß es zur Zeit nicht
geht oder man eben ein radikal neues Programm erfinden müßte,
um wirklich ein neues Museum zu rechtfertigen.
Das Museum selbst ist doch schon von vorneherein als Gefährdung
des Kritikpotentials von Kunst zu sehen, umso mehr, als das
Museum längst Teil kommerzieller Strukturen ist. Welche
Gegenstrategien lassen sich da noch ernsthaft in diesen Zusammenhängen
als Chance sehen ?
Die Kunst, der Künstler, das sind ja ihrerseits verschleierte
Begriffe geworden, hinter denen man sich verstecken kann.
Wird schlicht über Malerei gesprochen, über Bildhauerei,
über Architektur macht das die Probleme gleich präziser.
Arakawa hat mir erzählt, daß De Chirico, den er
noch persönlich kannte, innerhalb einer Farbe mindestens
drei verschiedene Pigmente unterscheiden konnte. Damit sind
wir wiederum beim Begriff der Studierstube. Wieviele Maler
gibt es schon, die versucht haben, diese analytische Präzision
zu erlangen ? Welche Museumsbesucher haben vergleichbare Intentionen
? Aus Erhebungen darüber ließen sich doch Forderungen
ableiten, Forderungen, die der Obsession entgegenkommen.
Aber jeder von uns setzt sich doch genauso den bewegten Bildern
eiliger Museumsbesuche aus, ohne solche Intensitätsforderungen
zu erfüllen. Das Forschende, Gründliche wäre
doch hauptsächlich über neue Kooperationen zwischen
Museen und Universitäten, Hochschulen, Bildungseinrichtungen
zu erreichen.
Damit zum Beispiel die Hochschule und das Museum für
angewandte Kunst in Wien ihre ursprünglich ja existierende
Zusammenarbeit neu aktivieren, ist gar kein Programm notwendig.
Das muß "von selbst" kommen, durch ein Interesse
an der Museumsbibliothek, an den Archiven, durch studentische
Offensiven.
Und die Kunsthistoriker ? Vor welchem Rollenwandel stehen
sie ?
Sie haben Integrität zu verteidigen. Wer sich obsessiv
mit seiner Disziplin beschäftigt ist ja eine wichtige
Gegenkraft gegen Kommerzialisierung und gesteuerte Kunsttrends,
wenn er zugleich mit Entscheidungsnotwendigkeiten umgehen
kann. Nur ist auch hier die Tendenz umgekehrt, auf wichtige
Leiterposten gelangen zunehmend verwendbare Personen. Die
Zerstörung der Integrität von Kunst und Künstlern
durch die Erfindung von Kunst und Künstlern wäre
wiederum nicht möglich, wenn nicht sogenannte Kunsthistoriker,
die sich auf die andere Seite geschlagen haben, an dem mitwirken.
Dem Künstler, der sich verwenden läßt, kann
man diese Schwäche vielleicht nachsehen. Jene aber, die
als wissenschaftliche Bestätiger des Kunstmarketings
auftreten, diese vielen Zwischenfiguren, sind - gemeinsam
mit diesem gewissen neuen Direktorentyp - die eigentlichen
Rädchen einer zu bekämpfenden Maschinerie.
Strukturell läuft da einiges durcheinander: Einserseits
sollten Museen für interessante, autonome Persönlichkeiten
Arbeitsfelder bieten, das heißt zugleich, ihnen eine
starke Subjektivität ermöglichen, andererseits wird
damit die öffentliche Institution Museum durch die Person
gleichsam privatisiert. Die offizielle Privatisierungsdebatte
hingegen richtet sich auf den Nebenschauplatz Sponsoren, Mäzene,
Mittelbeschaffung und läßt die erste Fragestellung
einer strukturellen, personellen, budgetären Autonomie
weitgehend außer acht.
Völlig richtig. Es gibt da keine präziseren Antworten,
als die Zeichen selber, die sich die Zeit setzt. Vor einigen
Wochen bin ich an der Secession vorbeigegangen und da ist
unter dem Namen Sol LeWitt, ganz minimal so wie dessen Arbeit,
Coca Cola gestanden. Mit dem ist die Secession, die sich ursprünglich
gegen den Gang der Dinge gestellt hat, als Institution gestorben.
So etwas ist für mich ein Ereignis, ein Ereignis, das
in voller Klarheit zeigt, daß diese Kunst nicht autonom
ist und auch die Institution nicht, die sie ausstellt. Dabei
rede ich nicht von einer fiktiven gesellschaftlichen Autonomie.
Abhängigkeiten waren immer da. Nur ist die symbolische
Bedeutung, wer wen stützt, signifikant; früher ein
Papst und jetzt der Getränke-Magnat. Wenn man aber die
Romantik solcher Bedeutungsunterschiede aufgibt, dann wird
alles möglich - und alles egal.
Sehen wir vielleicht nicht immer Zerstörung, sondern
die sich aus Zerfallendem neu konstituierenden Gesellschaften:
In ihnen gehört Kunst plötzlich wieder zum "Lebensstil"
und beträchtliches Staats- und Privatkapital fließt
in museale Repräsentation und Identitätsstiftung.
Auf Österreich bezogen war ein erster solcher Schritt
die Neueinrichtung der Schatzkammer, eines kulturellen "Heiligtums",
das doch, sagen wir es so, in äußerst aussagefähiger
Weise neu gestaltet worden ist. Da war jetzt nicht Coca Cola
dabei, sondern das hat das Politik- und Museumssystem selbst
hervorgebracht.
Diese neuaufgestellte Schatzkammer steht so außerhalb
jeder gefühlsmäßigen und intellektuellen Kritik,
daß man sie gar nicht diskutieren soll. Sonst müßten
wir wirklich den ganzen Abfall unserer Gesellschaft besprechen.
Wichtig dabei ist sicher die Rolle des Staates, nur ist Coca
Cola auch ein Staat, nicht mehr bloß eine Firma. Jeder
dieser Staaten muß sich der Kunst widersetzen und jeder
Künstler muß sich dem Staat widersetzen. Dabei
ist es völlig gleichgültig, ob dieser Staat eine
Diktatur oder ob er demokratisch ist. Der Staat muß
immer darauf aus sein, daß er funktioniert. Der Künstler
muß sich jeder Organisation widersetzen. Das ist der
Konflikt. Erschreckenderweise ist er in der Diktatur ein klarerer
Konflikt, weil die Unterdrückung offensichtlich ist,
weil Bücher verbrannt werden, weil Kunst als entartete
Kunst deklariert wird, weil es die ganz konkrete Verfolgung
gibt. In unseren Systemen ist das lange nicht so deutlich.
Dabei haben der Staat und diverse staatsähnliche Mächte
die Kunst in einem Ausmaß besiegt, wie es früher
nie denkbar war - einfach durch den anonymen, subtiler gewordenen
Einsatz von Geld. Es sind ja nicht mehr Personen, die miteinander
zu tun haben. Das drückt sich auch in den Museen aus,
die nichts anderes mehr sind, als Ventile einer Machtpolitik.
Daß der österreichische Bundeskanzler kürzlich
die Aktionistenausstellung in Kassel eröffnet hat, finde
ich, nach so vielen Jahren der Unterdrückung, völlig
in Ordnung; auch daß sie einem Museumsdirektor wie Peter
Noever inzwischen so wichtig ist, daß er sie in seinem
Haus zeigen wird. Trotzdem stimmt irgendetwas nicht, denn
speziell der Aktionismus war eine klar konfrontative Kunst
gegen die Macht des Staates. Als Romantiker hätte ich
mir also ein Nein dieser Künstler zu dieser musealen
Ausstellung gewünscht. Aber es ist eben so gelaufen.
Beide Seiten sind zu einer Zusammenarbeit bereit und das ist
natürlich das Ende des gegenseitigen Widerstandes.
Nur ist es ja tatsächlich eine Romantik, unmittelbar
an aktionistische Widerstandshaltungen anknüpfen zu wollen.
Die Verführungen sind subtiler geworden, also mußte
auch der Umgang mit ihnen subtiler, mehrdeutiger, versteckter
werden. Das bedrohte Subjekt kann sich nicht mehr durch Kraftakte,
sondern eher durch wechselnde Koalitionen abschirmen.
Dennoch bin ich überzeugt, daß ein Verlieren dieses
Widerstandes auch den in der Arbeit notwendigen Widerstand
reduziert. Dieter Roth zum Beispiel, hat auf die Lawine seines
Erfolges mit dem Kunsthandel ganz bewußt so reagiert,
daß er sein Geld hinausgeworfen und mit dem Rest Bücher
gedruckt hat und das bewundere ich selbstverständlich.
Nur, welcher Künstler ist nicht geil auf Museen ? Damit
ist er leicht zu fangen.
Natürlich, Ausstellungen sind ein Statussymbol für
ihn. Gleichzeitig sind sie ein Aushängeschild des Staates,
der sich manchmal darin gefällt, bestimmte Kunst dem
Volk zugänglich zu machen. Ich selbst wiederum habe meine
erste Kunst in der Kirche gesehen und die erste Musik dort
gehört, also nicht an Orten, wo in bloß musealem
Sinn etwas ausgestellt oder aufgeführt wird.
Daß es naiv ist, das Museum als paradiesischen Ort
zu sehen, wo diese oder jene Kräfte nicht wirken, ist
schon mehrfach angesprochen worden. Überdies liegt vieles
außerhalb seiner Kompetenz. Architektur etwa stellt
sich ja selber aus, wie das Königsportal von Chartres,
ein gotisches Glasfenster, die Pyramiden von Gizeh oder der
Eiffelturm. So gesehen ist jedes Museum bloß Aufbewahrungsort
transportabler Objekte, die es zu schützen und zeitweilig
herzuzeigen gilt. Vielleicht könnte allerdings die grassierende
Manie, mit Millionenaufwand ständig Historisches auszustellen,
als ostentative Beruhigungsstrategie gesehen werden, als Harmonisierungssystem,
das dazu beiträgt, vom Unzugänglicherwerden so vieler
anderer polit-ökonomischer Zusammenhänge abzulenken.
Unbedingt; denn jeder Mechaniker weiß, wenn eine Maschine
nicht richtig funktioniert, dann leistet etwas Widerstand.
Man nimmt etwas heraus, wechselt etwas aus, reinigt verschmutzte
Teile, dann läuft alles wieder wie geschmiert. Ich habe
mir vor kurzem in New York einen Wecker gekauft und die Verkäuferin
hat mir seine Funktionsfähigkeit so angepriesen: "Don't
worry. It works like a dream." Da habe ich ihr geantwortet,
das beruhigt, aber gleichzeitig wird er meine Träume
zerstören.
Nur kennt doch auch jeder Künstler seinen Ärger
über nichtfunktionierende Museen, wenn die Werkstätten,
Handwerker, Aufseher, Manager nicht am Projekt kompetent mitarbeiten
oder er als Besucher auf Ignoranz trifft. Andererseits ist
sie ja tatsächlich da, die Gefahr der zu geölten
Maschine, die wiederum Mögliches verunmöglicht.
Dazu ein Gedanke: Schluß mit dem künstlichen Licht
im Museum. Gesperrt wird mit Einbruch der Dämmerung.
Öffnungszeiten werden abhängig von der Jahreszeit.
Das Auge muß an sich verändernden Verhältnissen
mitarbeiten. Das Eingebundensein in Zeit wird spürbar.
Die Indoktrination durch statisch-gleiche Komfortzustände
wird gebrochen. Neue Programme für Museen müßten
in diesem Sinn also Konflikte einbeziehen, auch auf solchen
Ebenen. Es wäre mir ja selbst das Guggenheim Museum viel
sympathischer, wenn es keinen Aufzug hätte. Dann müßte
jeder den Berg besteigen.
Das führt uns zur häufig anzutreffenden Wertschätzung
für ärmliche, verstaubte, altmodische Museen, wie
das Wiener Völkerkundemuseum oder das Musée de
l'Homme in Paris. Unter Liebhabern ist die Sorge verbreitet,
daß sie durch den angesagten Modernisierungsschub viel
von ihrer Qualität verlieren. Nur schaffen es unsere
Gesellschaften ja nicht, mit dem Altern und mit Ruinen behutsam
umzugehen.
Sicher. Da ist schon wieder ein Konflikt. Alles muß
up to date gebracht werden und verliert damit Patina, Geschichte,
Identität.
Im internationalen Museums-Bauboom manifestiert sich andererseits
extrem, daß Geld in Hülle und Fülle für
Hüllen und Selbstbestätigung da ist. Daß auch
in reicheren "Kulturstaaten" die Betriebsbudgets
oft nur noch Scheinaktivitäten erlauben, ist die Kehrseite
der Medaille.
Die neuen Museen sind letztlich nur Statussymbole. Frankfurt
braucht doch nicht plötzlich so zirka zehn neue Museen.
Das wird alles so, als wenn in einer atheistischen Gesellschaft
Kirchen gebaut werden, die niemand wirklich für einen
Glauben verwendet.
Solche Museen sind gleichsam Triumphbögen, Freiheitsstatuen;
Attraktionen für den auswärtigen und eigenen Tourismus,
dekoriert mit Insignien einer Etikettenkultur.
Nur waren solche Zeichen früher authentisch. Man kann
es auch auf diesen Punkt bringen: Offensichtlich hat es noch
nie eine Zeit mit so wenig Kunst und so viel Ausstellungsmöglichkeiten
für Kunst gegeben.
Zugleich ist die Entschluß- und Profillosigkeit so
vieler neuerer Museen, die sich mit einem Erwerb von Markenartikeln
zufrieden geben, doch ein Anzeichen für eine sonderbar
verfremdete Rückentwicklung zu einem der Ursprünge
- zum Kuriositätenkabinett. Nur sind die Einhörner
und Reliquien jetzt ident von Kansas City bis ins Wiener Palais
Liechtenstein zu sehen.
Dieser Lieferzwang setzt Kunst, die Museumsweihen erreicht
hat, logischer Weise unter einen enormen Druck. Und parallel
dazu haben die Großausstellungen, wie sie insbesonders
Pontus Hulten im Centre Pompidou mit "Paris-Moskau"
usw. angefangen hat, soviele bedeutende Werke herangeschafft,
daß außer einem Gesamteindruck kaum etwas hängen
bleibt. Als Gegensatz dazu waren etwa in der Ausstellung der
Sammlung von Gertrude Stein in zwei Räumen Werke zu sehen,
die von einer Person, einem Intellekt zusammengetragen worden
sind. Hervorragende Arbeiten und der Einblick in den Intimbereich
der Sammlerin waren dabei das Ergreifende. Zum Kuriositätenkabinett
kommt es ja nur durch Auswahl auf Grund bloßen Prestiges.
Ganz nach den Gesetzen der Markenartikelgesellschaft.
Sicher, und damit wird das Werk zum Objekt degradiert, dem
ein abstrakter Wert zugemessen wird. 3 Millionen Dollar oder
40 Millionen Dollar, das ist doch unwichtig.
Auf Museumsebene ist ein vorausschauendes Gegensteuern aber
von den Aufstiegsmechanismen, Anstellungsmodalitäten,
Kompetenzen, Entscheidungsspielräumen, Budgets, Autonomiegraden
abhängig.
Mir widerspricht, derartiges schon wieder als Notwendigkeit
zu akzeptieren. Wenn man ein neues Museum schafft, braucht
man vielleicht überhaupt kein Personal. Wenn man allein
den Begriff Museumswärter bedenkt, könnte ich mir
sofort einen Raum vorstellen, wo keiner drinnen steht, der
aufpaßt.
Die offizielle Bezeichnung Aufseher ist nur um wenig milder.
Das erinnert an Gefängnisse, an Irrenhäuser, an
Tiergärten. Wenn man neue Programme für Museen schaffen
will, muß man anfangen, das ganze Programm als Text,
als Wörter, als Metaphern in Frage zu stellen. Und dann
wird man fast automatisch neue Lösungen finden.
Hat sich nicht als eine Struktur dieses Gespräches ergeben,
daß die Archivierung in großen, teilweise neuen
Depots und eine sorgsamere, gezieltere Auswahl, was temporär
ausgestellt werden soll, ein wichtiger Ansatz ist, um aus
dieser beliebig-touristischen Museumssituation einen Ausweg
zu finden ?
Natürlich, auch wenn das jetzt sehr subjektiv diskutiert
worden ist. Als da in Wien voriges Jahr große Aufregung
geherrscht hat, weil Museen aus Aufsehermangel kaum noch offen
halten konnten, habe ich das als wunderbar empfunden. Durch
ein Schließen könnte zwischen jenen, die Objekte
wirklich studieren wollen und den Umständen ein Dialog
entstehen. Im Sommer sind ja auch viele der Gasthäuser,
die wir sonst frequentieren, geschlossen. Das ist eben eine
Zeit, in der man sich anders zur Stadt verhält. Sie ist
weniger zugänglich, also könnten die Museen vielleicht
auch nur konzentrierte, kleinere Ausstellungen anbieten. Jedenfalls:
Die Widerstände, denen der Künstler, also der, der
die Objekte macht, ausgesetzt ist, sollten auch in dem Haus,
in dem seine Arbeiten ausgestellt werden, zum Ausdruck gebracht
werden. Das ist der Ansatz einer idealen Umsetzung von einer
Intimsphäre in eine andere. Man könnte z. B. die
Sammlung der Nationalgalerie Berlin zeitweilig zusperren und
nur den oberen Raum offen lassen, als leeres Museum. Man könnte
andere Museen leer öffnen, und sei es nur wegen der Hoffnung,
daß an dieser weißen Wand in einem Monat wieder
ein bestimmtes Bild hängen wird.
Zum Abschluß: Gibt es nach Raimund Abrahams Meinung
seit der mehrfach genannten Berliner Nationalgalerie von Mies
van der Rohe, die 1968, vor 20 Jahren also, eröffnet
worden ist, einen Museumsbau, der als Architektur Möglichkeiten
für ein neues Museum offen läßt ?
Nein.
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Raimund Abraham,
Architekt
geb. 1933 in Lienz. Architekturstudium an der Technischen
Universität Graz. Entstehen der ersten "visionären
Projekte" (in engem Kontakt mit Walter Pichler,
Hans Hollein, Friedrich St. Florian). 1964 Übersiedlung
in die USA. Zahlreiche Ausstellungen, z. B. im Museum
of Modern Art oder auf den Architektur-Triennalen in
Venedig. Professor an der Cooper Union in New York,
z.Zt. Gastprofessor an der Harvard University und an
der Technischen Universität Graz.
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