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www.ChristianReder.net: Publikationen: Wiener Museumsgespräche: Christian Ludwig Attersee
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Christian Ludwig Attersee

Welche Assoziationen löst das spontan aus, wenn ich, ohne sonstigen Kommentar, vorschlage, vom Stichwort "Museum" auszugehen ?

Die erste Frage, die da auftaucht ist die, welchen Sinn Kunst - und damit meine ich in diesem Zusammenhang hauptsächlich die bildende Kunst - in einem Museum haben kann. Das ist bereits ein sehr einschneidender Punkt, denn er führt zur Entscheidung, ob man ein historisches Museum macht, in dem Aufklärungsarbeit geleistet wird, oder ein Wettkampfmuseum, ein Wettkampfmuseum im positiven Sinn, wo Kunst in ihren besten Beispielen für den Wettkampf zwischen verschiedensten Lebensdarstellungen, Entwicklungen, Philosophien steht, für den Wettkampf zwischen den unterschiedlichsten Möglichkeiten einer Sicht nach vorne.

In diesem Sinn muß man sich, wenn man ein Museum plant oder überdenken will, fragen, in welchem Zustand die Kunst in zehn jahren sein kann. Optimistisch bin ich da nicht. Die Krise der Kunst wird sich eher noch verschärfen, weil sie noch nie derart von Systemen abhängig gewesen ist. Es war noch nie so teuer Kunst zu erzeugen, auszustellen, zu versichern, zu kaufen, wie das jetzt der Fall ist und das wird aller Voraussicht nach so weiter gehen. Das bedeutet natürlich auch eine enorme Gefährdung von Kunst. Reagieren kann man nur durch möglichst viele, verschiedene Ausstellungsmöglichkeiten und unterschiedlichste Typen von Museen. In Österreich müßte immer wieder ein hervorragender Querschnitt der Kunst der Welt und insbesonders dieses Jahrhunderts zu sehen sein, als Chance für eine Aufklärungsarbeit gegenüber dem Bürger, um ihn einzuführen in die Kunst und zwar im Maßstab 1 : 1 an der Wand, nicht bloß über Bücher. Nur so wird er vermehrt mitbekommen, was man im Leben mit Kunst für sich tun kann.

Kraft bekommt das nur durch einen Wettbewerb, durch möglichst viele Beispiele, durch unterschiedlichst konzipierte Ausstellungen. Von der kleinsten Galerie, die sich wenn möglich selbst finanziert und wo die jungen Künstler starten, bis zur Arbeit der großen, mit ihnen würdigen Budgets ausgestatteten Museen, wo die Weltmeister der Kunst präsentiert werden, braucht man alles. Wahrscheinlich gibt es nur durch eine solche Vielfalt Auswege aus dem Dilemma, daß Kunst heute eigentlich nur noch dann stattfindet, wenn das Geld für sie schon aufgetrieben ist. Es muß also Häuser geben für eine von diesen finanziellen Manipulationen befreite Kunst. Ich brauche kein Coca Cola-Museum, ich brauche kein Mobil Oil-Museum. Ich will Museumsdirektoren, die nicht dauernd auf der Jagd nach Geld sein müssen. Das alles spürt doch der Konsument und der Künstler. Es muß geldunabhängige Institutionen geben und als zweites die Vielfalt. Es ist ja sehr schwer zu behaupten, das ist gute Kunst, das ist schlechte Kunst. Monopole sind daher äußerst schädlich. Drei Kunsthallen sind weit besser als eine und sie müssen in einem scharfen Wettbewerb untereinander stehen. Daß das in Wien jetzt langsam passiert, durch eine durchaus positive Konkurrenz zwischen Ronte und Noever, zwischen dem modernen und dem angewandten Museum, finde ich schon wunderbar, und es ist egal, ja sogar wichtig, daß dadurch die ursprünglichen thematischen Abgrenzungen gesprengt werden. Man sollte aber noch ein drittes, davon unabhängiges modernes Museum bauen, für die aktuellste Kunst, ob es nun Kunsthalle heißt oder irgendwie anders. Die Funktion des 20er Hauses ist zu vielfältig. Es ist eben ein Museum für die gesamte Kunst dieses Jahrhunderts. Ihm gehört ein Haus für aktuelle Kunst zur Seite gestellt.

Man muß doch sehen, wie Kunst heute funktioniert. Es gibt die Maler, die mit 25 Weltstars sind und mit 30 gibt es sie vielleicht nichtmehr; aber sie machen eine Kunst, die zwar handelsmäßig extrem manipuliert ist, aber dafür die gesellschaftlichen Moden reflektiert und das ist interessant, gleichgültig ob sie nun gut oder schlecht ist, es ist die Kunst unserer Zeit. Und diese Kunst gehört schnell ausgestellt. Man muß Museen auch solchen Abläufen entsprechend funktionieren lassen, was in Österreich in keiner Weise der Fall ist. Die Vielfalt der modischen Kunst kommt überhaupt nie zu uns. Man kann natürlich sagen, das brauchen wir nicht und man wartet, bis sich das erledigt hat oder sich doch hält. Ich aber glaube, daß das so nicht geht. Wir müssen uns dem aussetzen, wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Es ist doch offensichtlich, daß derzeit fast nur Kunst gemacht wird, die man verkaufen kann. Es gibt gar keine andere mehr. Kaum eine Galerie hat mehr die Zeit und die Kraft, eine Kunst aufzubauen, die man vielleicht in fünf Jahren verkaufen kann. Das ist die Tatsache unserer Zeit, ob man das nun ablehnt oder akzeptiert. 90 Prozent der Kunst läuft so. Und da sich nahezu alle in die Öffentlichkeit tretenden Künstler diesem System angeschlossen haben und nicht mehr warten, nicht mehr daran glauben, zehn Jahre abseits zu stehen um schließlich doch noch ein großer Künstler zu werden, muß man das als gegeben hinnehmen. Das heißt ja noch nicht, daß man sich vor zu schneller und vor zu stark finanzierter Kunst hüten muß. Aber sie gibt es derzeit und es wir müssen in dieser Form mit ihr leben. Kunst ist immer mehr zu einem Gebrauchsartikel geworden, zu einem Dekorationsobjekt, wie irgendeine Handelsware; ihre Benützung ist eben inzwischen ganz anders, erweiterter, als das in meiner Jugend, in den 60er Jahren gewesen ist. Ich spreche der Kunst damit natürlich nicht die ideellen Werte ab. Ich liebe die Kunst und gerade deswegen halte ich es für so wichtig, gegenüber allen ihren Erscheinungsformen möglichst offen zu bleiben.

Moderne Museen hätten demzufolge keinen anderen Stellenwert als Galerien, sie sind vielleicht größer, angesehener, verkaufen nichts direkt, die Systemzusammenhänge sind aber völlig fließend, nur mehr sehr vage differenziert.

Im Kern ist das alles ein Problem der Finanzierung. Eine Galerie kann in einem Land wie Österreich nach wie vor kaum leben. Wir haben nicht die Finanzkraft von dreißig Städten, wie in der Bundesrepublik. Die großen Galerien haben Kosten von zweihundert-, vierhunderttausend Schilling pro Monat und können das meist nicht verdienen. Ich kenne kaum mehr eine Galerie, die die Kraft dazu hat, an einen Künstler über längere Zeit hinweg zu glauben, ihn auch zehnmal hintereinander auszustellen, bis sich herausstellt, ob das tatsächlich funktioniert oder eben eine Fehlinvestition gewesen ist. Früher war das international durchaus normal, inzwischen hat sich das völlig aufgehört, kaum wer kann sich das noch leisten. Der ernste, Kraft zeigende Sammler wird immer wichtiger, er füllt die Lücke zwischen Galerie und benutzbarem Museum. Oskar Schmidt mit seiner wichtigen Sammlung ist dafür das beste Beispiel. Er stellt dem Staat seine Sammeltätigkeit gegenüber, als eine Art Lebenswerk, als eine Art zu überleben, und ich hoffe sehr, daß sein Projekt eines eigenen Museums im Palais Harrach in Wien zustandekommt. Vielleicht hat er auch vor, das einmal dem Staat zu stiften. Da hätte er aber schon etwas hingestellt, das der Staat nicht mehr verbessern kann, weil er eben vom Kern der Aktionisten die beste Sammlung hat, inklusive des wichtigen Umfeldes dieser Zeit bis hin zu Frohner und Oberhuber. Daß er die Hauptwerke von Dieter Roth, der mindestens so bedeutend ist wie Beuys, nach Österreich gebracht hat, wird man wahrscheinlich erst in zwanzig oder dreißig Jahren zu würdigen wissen. Andere Sammlungen zeitgenössischer Kunst in dieser Qualität - und speziell der 60er Jahre - gibt es in diesem Land keine; die Sammlung Essl hat sehr gute Bilder, ist aber mehr ein Querschnitt durch die Vielfalt. Auch das ist wichtig, weil der Staat und seine Museen auf diesem Gebiet völlig ausfällt.

Denkbar müßte es allerdings bleiben, daß staatliche Museen hier nachziehen, mithalten könnten, wenn sie dazu in die Lage versetzt werden.

Das soetwas erreichbar ist, glaube ich nicht. Der Museumsmann ist einer Öffentlichkeit aus Presse, ihn bedrängenden Künstlern, manipulierenden Händlern derart ausgeliefert, daß er die dazu notwendige Unabhängigkeit kaum schafft. Wir wissen doch, wie leicht es für einen Händler ist, in dieses oder jenes Museum Leihgaben zu hängen. Dem Sammler soll auf diese Art glaubhaft gemacht werden, daß es sich um museumsreife, sammlungswürdige Kunst handelt. Sie ist es aber bestimmt nicht immer. Beispiele dafür finden sich etwa in Museen in Deutschland oder Italien. Auch viele Künstler tun da fest mit, indem sie leihen und schenken und die Armut der öffentlichen Museen für sich ausnutzen.

Trotzdem, bei hinreichend abgesicherter Autonomie braucht das öffentliche zeitgenössische Museum nicht so kategorisch zu unterliegen, sonst würden wir es doch nur noch in seiner Funktion als imageträchtiger Ausstellungsraum und als Depot benötigen.

Dem Museumsmann wird meist vorgeworfen werden, daß er falsch gesammelt hat. Der Privatsammler kann viel freier agieren. Er hat dabei keinerlei Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Er hat jede Art von Freiheit. Vielleicht ist auch seine Sammlung einmal nichts mehr wert, dann müssen aber nur er und seine Erben damit fertigwerden. Da gute Sammlungen meistens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, bleiben sie auf Dauer dem Betrachter nicht vorenthalten. Ein Unsinn ist, daß Museen nichts verkaufen dürfen. Ein Museum muß handeln. Im Museum of Modern Art in New York ist das etwas Normales. Was spricht dagegen, daß von einer Schenkung mit z. B. fünf Magritte nur die drei besten behalten und zwei verkauft werden, um so Geld für andere Kunst zu haben ? Ein Museum hat doch nur mit den besten Bildern einen Sinn. Natürlich gibt es die Gefahr der Fehlentscheidung. Da lassen sich mit Kommissionen Sicherheitsfaktoren einbauen. Es war doch etwas Schönes, wie die Stadt Basel damals ihren Picasso gekauft hat, mit der Zustimmung vieler Bürger.

Aufgrund der berühmten Volksabstimmung.

Ja; bei uns hingegen gibt es immer nur "Volksabstimmungen" gegen die Kunst, damit meine ich die allgemeine negative Grundhaltung zur Kunst. In manchen anderen Ländern dagegen ist man sozusagen fast grundsätzlich für die Kunst. Jedenfalls: Vielfalt und Unbestechlichkeit sind wichtig und das ist bei dem Rattenschwanz an Mitverdienern bis hin zu den Inseraten in Kunstzeitschriften natürlich ein riesiges Problem. Es ist eben so, daß Kunst weltweit die höchsten Steigerungswerte zu verzeichnen hat, wegen des enorm gewachsenen Interesses und ihrer vielfältigen Benützbarkeit, bis hin zur Geldanlage. Natürlich hat das ganz wesentlich mit dem Original zu tun, daß es ein gutes Kunstwerk nur einmal gibt, ohne Kopie. Wir stehen in dieser Entwicklung erst ganz am Anfang. Wenn das so weitergeht, wird Kunst das Teuerste werden, das es auf der Welt gibt. Man sieht das, seit Länder wie Japan massiv ins Kunstgeschäft eingestiegen sind. Da sie von "unserer" Kunst im eigenen Land fast nichts haben, zahlen sie jeden Preis von den Impressionisten bis zur Gegenwart. Sie benützen diese Kunst anders -einfach als Statuswert - und umso mehr wird das anheizend wirken.

Wirtschaftlich ist längst schon von der Kräfteverschiebung hin zum Pazifischen Raum die Rede, kulturelle Folgeerscheinungen davon irritieren bisher wenig.

Es ist eben die Frage, wieweit es noch machbar und sinnvoll sein wird, daß sich Länder gegen einen Ausverkauf schützen. Der Druck wird sicher immer stärker. Schon die EG wird ihn verschärfen. Die Kunst- und Antiquitätenhändler freuen sich wahrscheinlich schon auf diesen gemeinsamen Markt. Frankreich hat da meines Wissens ein gutes System. Jedes wichtige Bild, das ins Ausland gehen soll, kann zum gebotenen Preis vom Louvre angekauft werden. Nur muß der Staat dann die Bilder auch kaufen, zu dem Preis den ein Händler bereit ist zu zahlen. Auch in diesem Sinn wäre eine stärkere Konkurrenz unter staatlichen Museen richtig. Daß wir in Österreich viel zuwenig Kunstmuseen haben und viel zuwenig internationale zeitgenössische Kunst ist ohnedies klar. Wenn wir die Sammlung Ludwig nicht hätten, wie gut oder schlecht sie nun auch ist, hätten wir überhaupt kein nenenswertes modernes Museum. Was wir von Österreich an Kunst nach 1945 haben ist einfach zu wenig. Es hat ja hier in den öffentlichen Instituten niemand wirklich sinnvoll gesammelt.

Das läßt sich nicht mehr nachholen und daher muß man Aufgaben stellen, die erfüllbar sind. Für mich ist das zweifellos ein Museum der österreichischen bildenden Kunst nach 1945, so wie sie eben in Österreich stattgefunden hat, mit den Hauptkünstlern in größeren Räumen und den Nebenkünstlern in kleineren Räumen, als echtes Informationsmuseum, als Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Das würde auch dem Kunsttourismus, den Händlern und den Künstlern helfen. Man kann doch jetzt österreichische Kunst nur bruchstückhaft sehen. Wenn der Staat dazu nicht in der Lage ist, müssen das eben Leute wie Oskar Schmidt machen.

Mit einer nationalen Selbstdarstellung werden sich staatliche Stellen immer schwer tun, weil die ganze Maschinerie der Ausgewogenheit klare, wenn auch revidierbare, Wertungen verhindert. Das zeigen doch die Beispiele obskurer Länderausstellungen zur Genüge.

Es wird eben nicht präzis genug definiert, was Kunst ist. Politische Kunst z. B. gibt es keine, das ist für mich nur Grafik für Politik. Ich muß auch gegenüber den so beliebten Kulturprogrammen klare Abgrenzungen finden, diesem Einerlei aus Postkutsche bis Hundertwasser. Sonst müßte man eben Kunst auch offen als bloßes Symbol für Unterhaltung und für Ablenkung von Arbeit, Streß, Geldverdienen definieren. In der Unzahl kultureller Klischees, die sich halten konnten und in der Vielfalt neuer Verwendungszwecke von Kunst findet der Bildbetrachter meist nicht mehr zum eigentlichen Sinn der Kunst. André Heller hat ja die besten Beispiele dafür gegeben, wie man Kunst als Nichtkunst verkaufen kann und natürlich Nichtkunst als Kunst. Das sind alles Trends, mit denen wir leben müssen. Der Künstler aber hat die Aufgabe, Trennungen zu ziehen und zu zeigen, wie er sich zu all dem verhält.

Wie läßt sich in diesem Zusammenhang die Grenze zwischen der Haltung zum Sammler und der Haltung zum Sponsor klären ? Dem Sammler gegenüber werden ja viele der sonst akuten Vorbehalte außer Kraft gesetzt.

Für mich ist das ganz einfach. Gegen den Sammler, der nicht für seine Produkte, der nicht für seine Firma wirbt, habe ich keinerlei Vorbehalte. Einen IBM-, Mobil Oil- oder Coca Cola-Katalog würde ich aber nie akzeptieren. Die Unternehmen sind ja auch besser beraten, wenn sie Geld stiften, was durchaus erwähnt werden kann, dieser Akt aber sonst nicht spürbar wird. Nur so gewinnen sie in Wahrheit an Image, indirekt, langsamer, aber überzeugender. Wem nützt das, daß die Secession sich Coca Cola verschreibt, für ihre Sol LeWitt-Ausstellung, wo dann irgendwelche Industriebosse dinieren und der Künstler dort natürlich nichteinmal hingegangen ist ? Soetwas kann durchaus stattfinden, nur darf der Sinn der Sache nicht auf der Strecke bleiben. Man soll das bitte nicht als Kritik an der Ausstellungstätigkeit der Secession sehen, hier wurde in der letzten Zeit sogar großartiges geleistet. Ich bitte nur um Zurückhaltung auf dem Gebiet Produktwerbung mit Kunst.

Inwieweit ist die Verführung aber nicht sehr groß, auf der 60er Jahre-Haltung "Das und das geht nicht" zu beharren, als Schutzmantel bloßer Imagepflege ? Wie lassen sich die fließenden Grenzen zwischen Verbalradikalität, Wirklichkeit und einer Revidierung eigener Positionen beschreiben ?

Für uns hat die Kunst damals eine unglaubliche Funktion gehabt - eine lebenserhaltende. Das ist der entscheidende Unterschied zu heute. Die Kunst verschiebt sich völlig in ihren Wertigkeiten, in ihren Sinnen, in ihren Funktionen, im Kunstalltag, in dem sie stattfindet. In der Zeit, in der ich zur Kunst gekommen bin, war sie eine Haltungssache, für die man gelebt hat und für die man gestorben wäre. Die Kunst war etwas für den engsten Kreis, für den Kreis, der informiert war und der selbst Kunst gemacht hat. Mit denen, die schlechtere Kunst gemacht haben, hat sich keiner abgegeben. Es war ein interner Wettkampf und dennoch haben die schärfsten Konkurrenten zusammengehalten und sich letztlich anerkannt, wegen der Sinnhaftigkeit der Unterschiede. Sonst wäre es gar nicht möglich gewesen, daß ich mit meinem ganz anderen Werk neben einem Brus, einem Nitsch, neben Pichler gesessen wäre. Aber all das war sehr zeitabhängig, da die Künstler in diesem Land keine Chance in der Öffentlichkeit hatten. Wir haben lange gekämpft und heute sind wir mit die entscheidenden Künstler im Land.

Als Gegenpol dazu oder als Fortschritt haben wir heute die professionellen Kunstfabriken eines Palladino, eines Chia, eines Enzo Gucci, die gerade auf der Biennale in Venedig aufgetreten sind. Warhol mit seiner Factory hat ja zeitgleich mit der beschriebenen Wiener Situation viel für diese Entwicklung getan.

Das ist sicher etwas sonderbares, daß wir hier, ob das Rainer ist, Nitsch, Pichler oder ich, alle unsere Bilder noch selbst machen. Die Rationalisierung kommt aus Amerika, daß Künstler dort ihre Angestellten haben ist völlig normal. Es schießen ja auch die Museen wie Schwammerl in die Höhe und überall braucht man riesige Bilder. Das schafft ein Künstler allein doch gar nicht mehr. Auch Anselm Kiefer hat einige Mitarbeiter. Das liegt im Zug der Zeit. Die unheimliche Nachfrage nach Kunst, nach bestimmten Namen erfordert neue Systeme. Die meisten haben auch Angst, daß sie nach ein paar Jahren aus dem Rennen sind und wollen bis dahin in die Machtspitze der Kunst und eben soviel Geld wie möglich verdienen. Mehr Geld bekommt der Künstler nur für große Bilder und deswegen malen fast alle jetzt große Bilder, man braucht sie in den Museen, man braucht sie in den großen Büros. So schaut der Markt aus und die Künstler und die Galerien reagieren darauf. Die Kreisläufe sind oft sehr einfach. Jede Kleinstadt in den USA oder in der Bundesrepublik baut heute Museen und die müssen gefüllt werden, und zwar fast immer mit denselben zwanzig, dreißig Namen. Es sei denn, du triffst auf einen Museumsdirektor, der sich das anders vorstellt. Er wird es schwer haben, aber hie und da gibt es ihn. Nur ist Österreich da sowieso aus dem Spiel. Wir haben noch soviele Grundpflichten zu erledigen, daß wir längst noch nicht soweit sind.

Die Etappen sind für Wien schnell nachvollziehbar: 1962 ist das Museum des 20. Jahrhunderts eröffnet worden, 1979 das Museum Moderner Kunst. Gegen das Jahr 2000 zu wird es vielleicht mehr geben, im Rahmen des Messepalastes.

Man kann auch sagen, soweit hinten sind wir auch wieder nicht. Lausanne oder Genf haben bis heute keine Museen für moderne Kunst, dort wird immer noch gestritten und abgestimmt, wie man das bauen will. Auch in ganz Italien gibt es kaum ein ordentliches Museum für die Moderne. Die Zellen dafür sind überall privat. Ich glaube es hat in Amerika begonnen; Mitte der 60er Jahre ist der Museumsboom ausgebrochen, nach Europa ist er in den 70ern übergeschwappt und in den 80ern voll dagewesen. Natürlich haben die Franzosen sehr früh geschaltet und auch das meiste Geld hineingesteckt und sind jetzt eben weit voran. Sie haben auch die Leute, die am meisten ins Museum gehen und die Tradition, daß sehr viele Franzosen sich mit Kunst beschäftigen. Der Amerikaner, er gilt als der ungebildetste Mensch in unserer westlichen Kultur, ist am schnellsten voranmarschiert - einfach aus Pflichterfüllung, einfach aus Logik einer gesellschaftlichen Funktion gegenüber.

Offenbar ist es diese Logik, die alle zum Markenartikel hinzwingt. Jedes Museum zeigt die Bilder am liebsten, die der Betrachter am einfachsten erkennt, ob das nun ein Warhol ist oder ein Lichtenstein. Die Künstler können diesen Zeigsystemen entsprechend nicht viel weiterentwickeln. Sie müssen erfundene Marken und Etiketten immer wieder malen. Das ist ein Handelsproblem und ein Problem der Öffentlichkeit in den Museen. Immer muß es das typische Bild eines Künstlers sein. Auch ein Hundertwasser ist an dem zugrunde gegangen und wenn man sich jetzt Jasper Johns - einen meiner Lieblingsmaler - auf der Biennale anschaut und sieht, daß er alle seine fünf Stilarten nocheinmal gemalt hat, ist das ein Schock. So geht das wirklich nicht.

Weil wir schon beim Thema Kunst und Markt, Kunst und Wirtschaft sind, interessiert mich die Argumentation gegenüber der Tatsache, daß ein Unternehmen, das zu statisch und eng auf seine Produkte und Markenartikel fixiert ist, irgendwann zugrundegeht, es also zum Überleben ständig Veränderungen und Neuigkeiten erfinden muß, während man Künstler offenbar immer brutaler dazu zwingt, gleich zu bleiben, also das Gegenteil davon zu machen.

So gesehen ist der Künstler noch immer nicht einem Unternehmer gleichzusetzen. Er geht ja nicht lapidar zugrunde, er wird einfach schlechter und kann sich mit der Kopie seines Werkes schützen. Man wird seine beste Zeit erkennen und die ist eben dann die teuerste. Der Zusammenhang mit der Wirtschaft ist in Wahrheit ein anderer. Kunst ist nach wie vor nur für den Bürger. Über ihn hinaus kann sie nicht wachsen. Der Hirte braucht die Kunst nicht und es gibt unheimlich viele Arten, das Leben ohne Kunst zu verbringen. Der Bürger aber hat sie immer gebraucht, schon aus der Renaissance heraus, wo sie soviel ihrer Bedeutung gewonnen hat. Die Kunst war das Geheimnis des Bürgers. Jetzt hat es einen Sprung gegeben und sie ist Teil des Bürgertums geworden. So wie das Auto und das Haus zum Bürger gehört, gehört jetzt auch vermehrt die Kunst zu ihm. Das ist ein neuer Aspekt, ein wichtiger. Der Bürger benützt die Kunst jetzt wie einen Luxusgegenstand und das ist das Traurige daran. Das ist die Krise der Kunst. Heute ist alles Beliebige Kunst, ein Sessel, irgendein Schmuck, eine Bauerntruhe. In Wahrheit muß natürlich jeder für sich definieren, was Kunst für ihn ist. Für mich ist sie der Wettkampf, das Vorwärtskommen und das Weitermachen der wirklichen Künstler.

Dieses Weitermachen kann als eine Art aufklärerische Modernisierungsarbeit verstanden werden, die der Gesellschaft Wege aufzeigt oder ihr wenigstens insistente Fragen stellt. Nur ist doch klar, daß eine solche Benutzung von Kunst als Instrument zugleich ihre Kraft zur schlichten Sensibilisierung untergräbt. Es ist eben wiederum komplizierter, als es einfache Benutzungsvorschriften für Kunst nahelegen.

Modernisierungsarbeit leistet in meinen Augen die Kunst keine. Sie ist eher Träger einer Aktualisierung der Gesellschaft. Ein Problem ist nur, daß in Österreich die Medien diese Funktion nicht forcieren. Sie schätzen die Wichtigkeit der bildenden Kunst nicht richtig ab, obwohl sie - was ich als großes Plus für dieses Land bezeichne - der Berichterstattung über Kunst vergleichsweise sehr viel Platz einräumen. Aber: Wer hat denn schon gefordert, ein Museum zeitgenössischer österreichischer Kunst einzurichten, das für unsere internationale Reputation und auch kommerziell so wichtig sein könnte ? Es muß doch endlich schärfer gefragt werden, warum die Musik hierzulande immer die mit Abstand höchst finanzierte Aussage von Kunst bleiben muß. Ich scheue mich dabei gar nicht vom Geschäft zu reden. Die Oper macht täglich stattliche Verluste, jede gut gemachte Ausstellung aber ist, wenn richtig gerechnet wird, ein Gewinn, das haben doch die Wiener Festwochen bewiesen. Selbst wenn man rein vom Geld ausgeht, laufen enorm viele Dinge einfach noch falsch. Ein Arnulf Rainer ist doch genauso wichtig, um auf dieses Land aufmerksam zu machen, wie ein Mozart. Heute zählen zu den bedeutendsten Künstler, die Österreich vertreten können, die bildenden Künstler. Das hat man viel zu spät erkannt und will es, genau besehen, noch immer nicht erkennen.

Der Geschichte, die dazu geführt hat, kommen wir anscheinend nicht aus. Es hat Systematik, daß immer an den verkehrten Enden mit ihrer Aufarbeitung begonnen wird; siehe Jahrhundertwende.

Nichteinmal die Jugendstileuphorie war eine österreichische Intention. Sie ist von New Yorker Händlern geschürt worden, die ein Auge auf diese Mengen von Dekorationsware geworfen haben. Inzwischen ist dieser Boom total vorbei und das hier diskutierte Jugendstilmuseum wäre eine verlorene Investition gewesen. In ein paar Jahren hätte sich überhaupt niemand mehr für es interessiert. Natürlich muß immer etwas erfunden werden, um Leute ins Land zu holen, auch gegen ein Jugenstilmuseum habe ich nichts, aber dann müßte es Museen für all die anderen Dinge auch geben. Man muß es doch klar sehen. Österreich hat in diesem Jahrhundert kaum einen bedeutenden Maler oder Bildhauer gehabt. Bei allen Entwicklungen der internationalen modernen Kunst der ersten Phase waren wir nicht dabei. Weder Klimt oder Schiele waren annähernd so bedeutend, wie die russischen Künstler nach der Jahrhundertwende oder wie die Futuristen in Italien.

Unser entscheidendes Jahrzehnt sind die 60er Jahre. Da sind in Österreich künstlerische Haltungen formuliert worden, die international Wirkung gezeigt haben. Wir haben auf die damalige Umwelt reagiert und uns von epigonalen Einflüssen befreit. Man vergißt immer, daß damals zwar in den USA eine neue Kunst entstanden ist, die Pop Art, zeitgleich aber in Österreich eine neue europäische Kunst, die gleichwichtig ist, wie diese so massiv unterstützte Großmachtkunst. Kaum wer hat diese Gleichgewichtigkeit verstanden und daher ist dieses Land mit seiner neuen wichtigen Kunst auf der Strecke geblieben, die historische Chance ist verpaßt worden. Niemand wollte das erkennen, man hat es verschlampen lassen. Im Grunde genommen ist es doch schwachsinnig, daß wir jetzt, 1988, an einer ersten großen Aktionismusausstellung in Kassel herumgebastelt haben.

Die Neuplanungsideen im Messepalast kreisen aber viel eher um ein "Museum der Kulturen", um den "Mensch im Kosmos", als um eine Offensive auf Gebieten moderner Kunst, von den Möglichkeiten einer neuen Ausstellungshalle und der Übersiedlung des Museums Moderner Kunst einmal abgesehen.

Ich habe nichts gegen ein Informationsmuseum, nur kann es in den existierenden Systemen nicht stattfinden. Es müßte viel freier sein, offener, aggressiver. Wichtiger ist mir also ein Museum mit der modernen Kunst Österreichs und zusätzlich müßte es es eines geben über die Moderne in Europa und Amerika. Erst das führt die Leute dazu, Unterschiede zu erkennen. Auch den Umgang mit bildender Kunst kann man ja leichter erlernen, wenn es so früh als möglich passiert, wie beim Klavierspielen. Er ist doch so wichtig für das Erkennen des eigenen Landes und dieses Österreich sollte sich darauf konzentrieren, sich als der Nachkriegsstaat, als die 2. Republik zu sehen. Kulturell ist doch genügend vorhanden und neben bildender Kunst noch zu entdecken, in der Musik, in der Literatur und Dichtung. Das Bild hat dabei insofern einen besonderen Stellenwert, weil alle Sprachbarrieren wegfallen, weil es nicht erklärt werden muß.

Das Bild repräsentiert die größte Freiheit, weil es ganz unmittelbar benützt werden kann. Auch das wird, im Sinne seiner internationalen Wirkungsmöglichkeiten, bei uns ständig übersehen. Der Mensch kommt doch von Natur aus vom Schauen und erfaßt in einer Sekunde unglaublich viel. Alle anderen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten sind im Vergleich zum statischen Bild viel langsamer, komplizierter, man muß Sprachen lernen, sich ganze Filme ansehen, muß schwierige Bücher lesen, muß stundenlang in die Oper, usw.

Ist es aber wirklich so simpel, die Schuld an Versäumnissen der "Situation" zuzuschreiben. Immerhin waren konkrete Personen am Werk, die durchaus Möglichkeiten gehabt haben.

Nehmen wir als Beispiel die Albertina. Wo ist sie denn, die Sammlung von nach dem Krieg entstandenen graphischen Arbeiten ? Es gibt sie nicht, obwohl alles so unglaublich billig gewesen ist. Die Albertina hätte längst die Aufgabe, in einigen Räumen Hauptwerke der österreichischen Graphik der Nachkriegszeit auszustellen. Das sind Dinge, die in der Luft liegen und gemacht gehören. Die Standardausrede war immer, daß zuwenig Geld dagewesen ist, nur hat eben der ehemalige Direktor Koschatzky mit zu wenig Geld 25 Jahre lang meist Graphik der unbedeutendsten österreichischen Künstler gekauft. Der neue Direktor Konrad Oberhuber wird es nicht leicht haben, all das Versäumte nachzuholen. Die Grundsammlung von Oskar Schmidt z. B. hat vielleicht 10 oder 15 Millionen Schilling gekostet, das wäre jederzeit vom Staat auch dagewesen. Otto Mühl hat bis vor kurzem noch seine exzellente Aktionismus-Sammlung um 10 oder 15 Millionen Schilling an eine öffentliche Stelle verkaufen wollen; niemand hat ernsthaft reagiert, auch keiner der österreichischen Museumsdirektoren, offenbar weil sie seit Jahrzehnten gegen alle Versprechungen so behandelt worden sind, daß sie gar nicht mehr auf die Idee kommt, vom Staat oder von der Wirtschaft das Geld zum Ankauf einer so wichtigen Sammlung zu fordern. Dabei wäre damit ein mittelgroßes Museum zu füllen. Jetzt verlangt Mühl mit Recht mehr. Trotzdem wäre es richtig, da noch einzusteigen um der österreichischen Öffentlichkeit - und auch den Fremden - zu zeigen, was wir für eine starke Kunst haben, durchaus als Gegenpol zum Museum of Modern Art in New York, wo die Pop Art hängt.

Sollte sich so ein Museum für die Kunst nach 1945 im konventionellen Bereich, also im Sinn guter Architektur und komfortabler Benützbarkeit bewegen oder wäre es strukturell mit kühneren Überlegungen zu verbinden ?

Wichtiger als der Bau ist mir ein neuer Apparat. Ich würde permanent internationale Künstler einladen und Leute, die zur aktuellen Kunst Stellung beziehen. Die Informationsarbeit gehört radikal professionalisiert; es sollte über alle wichtigen Künstler, über die zeitlichen Phasen und über internationale Vergleiche umfangreiches Material bis hin zu Videos geben. Das muß erarbeitet werden, dann würde es einerseits ein Museum mit wirklichen Höhepunkten geben, andererseits ein Museum für jeden, der sich informieren will. Es sollte nicht um Showbusiness gehen, sehr wohl aber um lebendige Möglichkeiten, viele Menschen am Museum zu interessieren. Deswegen müssen Museen auch am Abend offen haben, sie brauchen Restaurants und Cafés, es soll Tage mit freiem Eintritt geben.

Für große Projekte wie den Messepalast wäre es wichtig, sie mit einem lebendigen Galeriesystem zu verbinden. Entscheidend erscheint mir, sie nicht in eine Hand zu geben, sondern mehrere einander konkurrierende Institutionen gegeneinander antreten zu lassen; z. B. eine für diverse vom Staat eingeladene internationale Ausstellungsmacher offene Kunsthalle, eine Kunsthalle betreut von den besten österreichischen und gelegentlich auch von maßgeblichen internationalen Galerien, eine Kunsthalle der Privatwirtschaft, meinetwegen eine der SPÖ und eine der ÖVP, eine der Republik, eine der Stadt Wien. Der Kunst bringt es nur etwas, wenn es Herausforderungen gibt. Man könnte auch ein Haus bauen, oder ein Palais einrichten, wo immer ein Jahr lang oder auch zwei eine der guten internationalen Sammlungen hängt, von denen ja viele auf der Suche nach guten Ausstellungsmöglichkeiten sind. So könnte man Ankaufskosten sparen und es gäbe immer Spitzenkunst zu sehen. Da gibt es viele Möglichkeiten. Man muß sich nur etwas einfallen lassen. Man sieht doch auch, wie die Konkurrenz durch die Landeshauptstädte belebend wirkt. Im Prinzip haben wir die diversesten Systeme und Beispiele vor uns liegen, weltweit, und könnten das für uns richtige aussuchen, ja es besser machen. Daß wir immer etwas hinten nach sind muß man doch in Vorteile ummünzen.

Dieses Plädoyer für ein offensives Mitziehen im Kunst- und Museumsboom negiert jegliche Möglichkeit von Konjunktureinbrüchen, von Nachfrageänderungen.

Ich bin einfach überzeugt, daß der Boom erst wirklich beginnt. Das Bild wird als Kunstwerk und als Aktie benutzt und da immer mehr Leute da einsteigen, sehe ich keinerlei Anzeichen für gegenläufige Trends. Ein Stück bemalter Leinwand kann heute 5.000 Schilling wert sein und in zwei Jahren 10 Millionen; Kunst ist das abstrakteste Geschäft das es gibt und das großartigste. Das wird immer mehr Leute faszinieren. Kunst wird in Wahrheit noch wenig verwendet. Noch immer ist es nur ein kleiner Teil des Bürgertums, der sich mit Kunst darstellt, sie kauft. Das wird sich ändern. Selbst bei uns fangen die Unternehmen jetzt an, sich über Kunst zu definieren. Ob man das nun will oder nicht, man muß sich auf zwei Ebenen der Kunst einstellen, auf Kunst als Teil eines Wirtschaftssystems und auf Kunst zum Gernhaben, als Bereicherung des Lebens. Und jetzt ist der Zeitpunkt, an dem der Staat entscheiden muß, wie er es haben will. Denn die Systeme für das nächste Jahrzehnt, für das kommende Jahrhundert werden jetzt geschaltet. Es braucht nur von Japan aus österreichische Kunst entdeckt werden, dann müssen wir in ein paar Jahren alle nach Osaka fahren, um sie anschauen zu können. Vom Zeitgenössischen ist ja nichts geschützt. Der Staat und die Öffentlichkeit müssen also wissen was geschützt und geliebt werden soll, welche Kunst im Land bleiben muß. Es darf ja nicht so werden, daß wichtige Kunst, die gerade nicht in die Handelssysteme paßt und die gerade nicht auf den Museumswunschlisten steht, verloren geht. Wir wissen doch, daß Kunst oft ruht und nach 50 Jahren wieder aufersteht, in einer vollkommen anderen Erklärungsweise.

Daß das gemalte Bild, als Original, solche Arten von Kunstbegeisterung überstehen wird, daran gibt es keine Zweifel ?

Nein. Der Mensch denkt seit der ersten selbstgefertigten Hacke, die ein Einzelstück gewesen ist, in Kategorien des Originals: Schöpfung und Erfindung. Es ist wie bei einer Mann-Frau-Beziehung. Es gibt ein Einzelstück und das hat seinen Wert. Alle Versuche mit Vervielfältigungen konnten den Alltagswert und auch den Symbolwert des Einzelstückes nicht verdrängen; der Mensch selbst ist ja ein Einzelstück mit Alltagswert. Auch Warhols Multiplikationen sind zuletzt im Sammlerherz und im Sammlerhirn wieder zu Einzelwerken geworden. Natürlich gibt es immer neue Versuche - Video z. B. - und ich habe auch gar nichts dagegen. Das Leinwandbild aber macht einen vollkommen unabhängig von jeder technischen Entwicklung, es hat so einfache Benützungsformen und kann einem doch soviel mitteilen, es reicht noch immer aus sich darzustellen oder die ganze Welt zu verändern. Vielleicht wird einmal etwas erfunden, das bedeutender ist als Kunst. Derzeit jedoch ist Kunst für mich die beste Möglichkeit der Menschen sich zu verstehen und sich gegenseitig zu verstehen - und das muß man doch bei einer Beschäftigung mit Museumsfragen zuallererst bedenken.

 

Christian Ludwig Attersee, Maler
geb. 1940 in Preßburg. Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Zahlreiche Ausstellungen in Österreich, der
Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, Holland, Italien, der Schweiz und in den USA. Zuletzt u.a.: Biennale Venedig (1984), Nationalgalerie Berlin (1986)

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© Christian Ludwig Attersee 1988 & Christian Reder 1988/2001