Gespräch mit Christian Ludwig Attersee
Welche Assoziationen löst das spontan aus, wenn ich,
ohne sonstigen Kommentar, vorschlage, vom Stichwort "Museum"
auszugehen ?
Die erste Frage, die da auftaucht ist die, welchen Sinn Kunst
- und damit meine ich in diesem Zusammenhang hauptsächlich
die bildende Kunst - in einem Museum haben kann. Das ist bereits
ein sehr einschneidender Punkt, denn er führt zur Entscheidung,
ob man ein historisches Museum macht, in dem Aufklärungsarbeit
geleistet wird, oder ein Wettkampfmuseum, ein Wettkampfmuseum
im positiven Sinn, wo Kunst in ihren besten Beispielen für
den Wettkampf zwischen verschiedensten Lebensdarstellungen,
Entwicklungen, Philosophien steht, für den Wettkampf
zwischen den unterschiedlichsten Möglichkeiten einer
Sicht nach vorne.
In diesem Sinn muß man sich, wenn man ein Museum plant
oder überdenken will, fragen, in welchem Zustand die
Kunst in zehn jahren sein kann. Optimistisch bin ich da nicht.
Die Krise der Kunst wird sich eher noch verschärfen,
weil sie noch nie derart von Systemen abhängig gewesen
ist. Es war noch nie so teuer Kunst zu erzeugen, auszustellen,
zu versichern, zu kaufen, wie das jetzt der Fall ist und das
wird aller Voraussicht nach so weiter gehen. Das bedeutet
natürlich auch eine enorme Gefährdung von Kunst.
Reagieren kann man nur durch möglichst viele, verschiedene
Ausstellungsmöglichkeiten und unterschiedlichste Typen
von Museen. In Österreich müßte immer wieder
ein hervorragender Querschnitt der Kunst der Welt und insbesonders
dieses Jahrhunderts zu sehen sein, als Chance für eine
Aufklärungsarbeit gegenüber dem Bürger, um
ihn einzuführen in die Kunst und zwar im Maßstab
1 : 1 an der Wand, nicht bloß über Bücher.
Nur so wird er vermehrt mitbekommen, was man im Leben mit
Kunst für sich tun kann.
Kraft bekommt das nur durch einen Wettbewerb, durch möglichst
viele Beispiele, durch unterschiedlichst konzipierte Ausstellungen.
Von der kleinsten Galerie, die sich wenn möglich selbst
finanziert und wo die jungen Künstler starten, bis zur
Arbeit der großen, mit ihnen würdigen Budgets ausgestatteten
Museen, wo die Weltmeister der Kunst präsentiert werden,
braucht man alles. Wahrscheinlich gibt es nur durch eine solche
Vielfalt Auswege aus dem Dilemma, daß Kunst heute eigentlich
nur noch dann stattfindet, wenn das Geld für sie schon
aufgetrieben ist. Es muß also Häuser geben für
eine von diesen finanziellen Manipulationen befreite Kunst.
Ich brauche kein Coca Cola-Museum, ich brauche kein Mobil
Oil-Museum. Ich will Museumsdirektoren, die nicht dauernd
auf der Jagd nach Geld sein müssen. Das alles spürt
doch der Konsument und der Künstler. Es muß geldunabhängige
Institutionen geben und als zweites die Vielfalt. Es ist ja
sehr schwer zu behaupten, das ist gute Kunst, das ist schlechte
Kunst. Monopole sind daher äußerst schädlich.
Drei Kunsthallen sind weit besser als eine und sie müssen
in einem scharfen Wettbewerb untereinander stehen. Daß
das in Wien jetzt langsam passiert, durch eine durchaus positive
Konkurrenz zwischen Ronte und Noever, zwischen dem modernen
und dem angewandten Museum, finde ich schon wunderbar, und
es ist egal, ja sogar wichtig, daß dadurch die ursprünglichen
thematischen Abgrenzungen gesprengt werden. Man sollte aber
noch ein drittes, davon unabhängiges modernes Museum
bauen, für die aktuellste Kunst, ob es nun Kunsthalle
heißt oder irgendwie anders. Die Funktion des 20er Hauses
ist zu vielfältig. Es ist eben ein Museum für die
gesamte Kunst dieses Jahrhunderts. Ihm gehört ein Haus
für aktuelle Kunst zur Seite gestellt.
Man muß doch sehen, wie Kunst heute funktioniert. Es
gibt die Maler, die mit 25 Weltstars sind und mit 30 gibt
es sie vielleicht nichtmehr; aber sie machen eine Kunst, die
zwar handelsmäßig extrem manipuliert ist, aber
dafür die gesellschaftlichen Moden reflektiert und das
ist interessant, gleichgültig ob sie nun gut oder schlecht
ist, es ist die Kunst unserer Zeit. Und diese Kunst gehört
schnell ausgestellt. Man muß Museen auch solchen Abläufen
entsprechend funktionieren lassen, was in Österreich
in keiner Weise der Fall ist. Die Vielfalt der modischen Kunst
kommt überhaupt nie zu uns. Man kann natürlich sagen,
das brauchen wir nicht und man wartet, bis sich das erledigt
hat oder sich doch hält. Ich aber glaube, daß das
so nicht geht. Wir müssen uns dem aussetzen, wir müssen
das zur Kenntnis nehmen. Es ist doch offensichtlich, daß
derzeit fast nur Kunst gemacht wird, die man verkaufen kann.
Es gibt gar keine andere mehr. Kaum eine Galerie hat mehr
die Zeit und die Kraft, eine Kunst aufzubauen, die man vielleicht
in fünf Jahren verkaufen kann. Das ist die Tatsache unserer
Zeit, ob man das nun ablehnt oder akzeptiert. 90 Prozent der
Kunst läuft so. Und da sich nahezu alle in die Öffentlichkeit
tretenden Künstler diesem System angeschlossen haben
und nicht mehr warten, nicht mehr daran glauben, zehn Jahre
abseits zu stehen um schließlich doch noch ein großer
Künstler zu werden, muß man das als gegeben hinnehmen.
Das heißt ja noch nicht, daß man sich vor zu schneller
und vor zu stark finanzierter Kunst hüten muß.
Aber sie gibt es derzeit und es wir müssen in dieser
Form mit ihr leben. Kunst ist immer mehr zu einem Gebrauchsartikel
geworden, zu einem Dekorationsobjekt, wie irgendeine Handelsware;
ihre Benützung ist eben inzwischen ganz anders, erweiterter,
als das in meiner Jugend, in den 60er Jahren gewesen ist.
Ich spreche der Kunst damit natürlich nicht die ideellen
Werte ab. Ich liebe die Kunst und gerade deswegen halte ich
es für so wichtig, gegenüber allen ihren Erscheinungsformen
möglichst offen zu bleiben.
Moderne Museen hätten demzufolge keinen anderen Stellenwert
als Galerien, sie sind vielleicht größer, angesehener,
verkaufen nichts direkt, die Systemzusammenhänge sind
aber völlig fließend, nur mehr sehr vage differenziert.
Im Kern ist das alles ein Problem der Finanzierung. Eine
Galerie kann in einem Land wie Österreich nach wie vor
kaum leben. Wir haben nicht die Finanzkraft von dreißig
Städten, wie in der Bundesrepublik. Die großen
Galerien haben Kosten von zweihundert-, vierhunderttausend
Schilling pro Monat und können das meist nicht verdienen.
Ich kenne kaum mehr eine Galerie, die die Kraft dazu hat,
an einen Künstler über längere Zeit hinweg
zu glauben, ihn auch zehnmal hintereinander auszustellen,
bis sich herausstellt, ob das tatsächlich funktioniert
oder eben eine Fehlinvestition gewesen ist. Früher war
das international durchaus normal, inzwischen hat sich das
völlig aufgehört, kaum wer kann sich das noch leisten.
Der ernste, Kraft zeigende Sammler wird immer wichtiger, er
füllt die Lücke zwischen Galerie und benutzbarem
Museum. Oskar Schmidt mit seiner wichtigen Sammlung ist dafür
das beste Beispiel. Er stellt dem Staat seine Sammeltätigkeit
gegenüber, als eine Art Lebenswerk, als eine Art zu überleben,
und ich hoffe sehr, daß sein Projekt eines eigenen Museums
im Palais Harrach in Wien zustandekommt. Vielleicht hat er
auch vor, das einmal dem Staat zu stiften. Da hätte er
aber schon etwas hingestellt, das der Staat nicht mehr verbessern
kann, weil er eben vom Kern der Aktionisten die beste Sammlung
hat, inklusive des wichtigen Umfeldes dieser Zeit bis hin
zu Frohner und Oberhuber. Daß er die Hauptwerke von
Dieter Roth, der mindestens so bedeutend ist wie Beuys, nach
Österreich gebracht hat, wird man wahrscheinlich erst
in zwanzig oder dreißig Jahren zu würdigen wissen.
Andere Sammlungen zeitgenössischer Kunst in dieser Qualität
- und speziell der 60er Jahre - gibt es in diesem Land keine;
die Sammlung Essl hat sehr gute Bilder, ist aber mehr ein
Querschnitt durch die Vielfalt. Auch das ist wichtig, weil
der Staat und seine Museen auf diesem Gebiet völlig ausfällt.
Denkbar müßte es allerdings bleiben, daß
staatliche Museen hier nachziehen, mithalten könnten,
wenn sie dazu in die Lage versetzt werden.
Das soetwas erreichbar ist, glaube ich nicht. Der Museumsmann
ist einer Öffentlichkeit aus Presse, ihn bedrängenden
Künstlern, manipulierenden Händlern derart ausgeliefert,
daß er die dazu notwendige Unabhängigkeit kaum
schafft. Wir wissen doch, wie leicht es für einen Händler
ist, in dieses oder jenes Museum Leihgaben zu hängen.
Dem Sammler soll auf diese Art glaubhaft gemacht werden, daß
es sich um museumsreife, sammlungswürdige Kunst handelt.
Sie ist es aber bestimmt nicht immer. Beispiele dafür
finden sich etwa in Museen in Deutschland oder Italien. Auch
viele Künstler tun da fest mit, indem sie leihen und
schenken und die Armut der öffentlichen Museen für
sich ausnutzen.
Trotzdem, bei hinreichend abgesicherter Autonomie braucht
das öffentliche zeitgenössische Museum nicht so
kategorisch zu unterliegen, sonst würden wir es doch
nur noch in seiner Funktion als imageträchtiger Ausstellungsraum
und als Depot benötigen.
Dem Museumsmann wird meist vorgeworfen werden, daß
er falsch gesammelt hat. Der Privatsammler kann viel freier
agieren. Er hat dabei keinerlei Verantwortung gegenüber
der Öffentlichkeit. Er hat jede Art von Freiheit. Vielleicht
ist auch seine Sammlung einmal nichts mehr wert, dann müssen
aber nur er und seine Erben damit fertigwerden. Da gute Sammlungen
meistens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,
bleiben sie auf Dauer dem Betrachter nicht vorenthalten. Ein
Unsinn ist, daß Museen nichts verkaufen dürfen.
Ein Museum muß handeln. Im Museum of Modern Art in New
York ist das etwas Normales. Was spricht dagegen, daß
von einer Schenkung mit z. B. fünf Magritte nur die drei
besten behalten und zwei verkauft werden, um so Geld für
andere Kunst zu haben ? Ein Museum hat doch nur mit den besten
Bildern einen Sinn. Natürlich gibt es die Gefahr der
Fehlentscheidung. Da lassen sich mit Kommissionen Sicherheitsfaktoren
einbauen. Es war doch etwas Schönes, wie die Stadt Basel
damals ihren Picasso gekauft hat, mit der Zustimmung vieler
Bürger.
Aufgrund der berühmten Volksabstimmung.
Ja; bei uns hingegen gibt es immer nur "Volksabstimmungen"
gegen die Kunst, damit meine ich die allgemeine negative Grundhaltung
zur Kunst. In manchen anderen Ländern dagegen ist man
sozusagen fast grundsätzlich für die Kunst. Jedenfalls:
Vielfalt und Unbestechlichkeit sind wichtig und das ist bei
dem Rattenschwanz an Mitverdienern bis hin zu den Inseraten
in Kunstzeitschriften natürlich ein riesiges Problem.
Es ist eben so, daß Kunst weltweit die höchsten
Steigerungswerte zu verzeichnen hat, wegen des enorm gewachsenen
Interesses und ihrer vielfältigen Benützbarkeit,
bis hin zur Geldanlage. Natürlich hat das ganz wesentlich
mit dem Original zu tun, daß es ein gutes Kunstwerk
nur einmal gibt, ohne Kopie. Wir stehen in dieser Entwicklung
erst ganz am Anfang. Wenn das so weitergeht, wird Kunst das
Teuerste werden, das es auf der Welt gibt. Man sieht das,
seit Länder wie Japan massiv ins Kunstgeschäft eingestiegen
sind. Da sie von "unserer" Kunst im eigenen Land
fast nichts haben, zahlen sie jeden Preis von den Impressionisten
bis zur Gegenwart. Sie benützen diese Kunst anders -einfach
als Statuswert - und umso mehr wird das anheizend wirken.
Wirtschaftlich ist längst schon von der Kräfteverschiebung
hin zum Pazifischen Raum die Rede, kulturelle Folgeerscheinungen
davon irritieren bisher wenig.
Es ist eben die Frage, wieweit es noch machbar und sinnvoll
sein wird, daß sich Länder gegen einen Ausverkauf
schützen. Der Druck wird sicher immer stärker. Schon
die EG wird ihn verschärfen. Die Kunst- und Antiquitätenhändler
freuen sich wahrscheinlich schon auf diesen gemeinsamen Markt.
Frankreich hat da meines Wissens ein gutes System. Jedes wichtige
Bild, das ins Ausland gehen soll, kann zum gebotenen Preis
vom Louvre angekauft werden. Nur muß der Staat dann
die Bilder auch kaufen, zu dem Preis den ein Händler
bereit ist zu zahlen. Auch in diesem Sinn wäre eine stärkere
Konkurrenz unter staatlichen Museen richtig. Daß wir
in Österreich viel zuwenig Kunstmuseen haben und viel
zuwenig internationale zeitgenössische Kunst ist ohnedies
klar. Wenn wir die Sammlung Ludwig nicht hätten, wie
gut oder schlecht sie nun auch ist, hätten wir überhaupt
kein nenenswertes modernes Museum. Was wir von Österreich
an Kunst nach 1945 haben ist einfach zu wenig. Es hat ja hier
in den öffentlichen Instituten niemand wirklich sinnvoll
gesammelt.
Das läßt sich nicht mehr nachholen und daher muß
man Aufgaben stellen, die erfüllbar sind. Für mich
ist das zweifellos ein Museum der österreichischen bildenden
Kunst nach 1945, so wie sie eben in Österreich stattgefunden
hat, mit den Hauptkünstlern in größeren Räumen
und den Nebenkünstlern in kleineren Räumen, als
echtes Informationsmuseum, als Pflicht gegenüber der
Öffentlichkeit. Das würde auch dem Kunsttourismus,
den Händlern und den Künstlern helfen. Man kann
doch jetzt österreichische Kunst nur bruchstückhaft
sehen. Wenn der Staat dazu nicht in der Lage ist, müssen
das eben Leute wie Oskar Schmidt machen.
Mit einer nationalen Selbstdarstellung werden sich staatliche
Stellen immer schwer tun, weil die ganze Maschinerie der Ausgewogenheit
klare, wenn auch revidierbare, Wertungen verhindert. Das zeigen
doch die Beispiele obskurer Länderausstellungen zur Genüge.
Es wird eben nicht präzis genug definiert, was Kunst
ist. Politische Kunst z. B. gibt es keine, das ist für
mich nur Grafik für Politik. Ich muß auch gegenüber
den so beliebten Kulturprogrammen klare Abgrenzungen finden,
diesem Einerlei aus Postkutsche bis Hundertwasser. Sonst müßte
man eben Kunst auch offen als bloßes Symbol für
Unterhaltung und für Ablenkung von Arbeit, Streß,
Geldverdienen definieren. In der Unzahl kultureller Klischees,
die sich halten konnten und in der Vielfalt neuer Verwendungszwecke
von Kunst findet der Bildbetrachter meist nicht mehr zum eigentlichen
Sinn der Kunst. André Heller hat ja die besten Beispiele
dafür gegeben, wie man Kunst als Nichtkunst verkaufen
kann und natürlich Nichtkunst als Kunst. Das sind alles
Trends, mit denen wir leben müssen. Der Künstler
aber hat die Aufgabe, Trennungen zu ziehen und zu zeigen,
wie er sich zu all dem verhält.
Wie läßt sich in diesem Zusammenhang die Grenze
zwischen der Haltung zum Sammler und der Haltung zum Sponsor
klären ? Dem Sammler gegenüber werden ja viele der
sonst akuten Vorbehalte außer Kraft gesetzt.
Für mich ist das ganz einfach. Gegen den Sammler, der
nicht für seine Produkte, der nicht für seine Firma
wirbt, habe ich keinerlei Vorbehalte. Einen IBM-, Mobil Oil-
oder Coca Cola-Katalog würde ich aber nie akzeptieren.
Die Unternehmen sind ja auch besser beraten, wenn sie Geld
stiften, was durchaus erwähnt werden kann, dieser Akt
aber sonst nicht spürbar wird. Nur so gewinnen sie in
Wahrheit an Image, indirekt, langsamer, aber überzeugender.
Wem nützt das, daß die Secession sich Coca Cola
verschreibt, für ihre Sol LeWitt-Ausstellung, wo dann
irgendwelche Industriebosse dinieren und der Künstler
dort natürlich nichteinmal hingegangen ist ? Soetwas
kann durchaus stattfinden, nur darf der Sinn der Sache nicht
auf der Strecke bleiben. Man soll das bitte nicht als Kritik
an der Ausstellungstätigkeit der Secession sehen, hier
wurde in der letzten Zeit sogar großartiges geleistet.
Ich bitte nur um Zurückhaltung auf dem Gebiet Produktwerbung
mit Kunst.
Inwieweit ist die Verführung aber nicht sehr groß,
auf der 60er Jahre-Haltung "Das und das geht nicht"
zu beharren, als Schutzmantel bloßer Imagepflege ? Wie
lassen sich die fließenden Grenzen zwischen Verbalradikalität,
Wirklichkeit und einer Revidierung eigener Positionen beschreiben
?
Für uns hat die Kunst damals eine unglaubliche Funktion
gehabt - eine lebenserhaltende. Das ist der entscheidende
Unterschied zu heute. Die Kunst verschiebt sich völlig
in ihren Wertigkeiten, in ihren Sinnen, in ihren Funktionen,
im Kunstalltag, in dem sie stattfindet. In der Zeit, in der
ich zur Kunst gekommen bin, war sie eine Haltungssache, für
die man gelebt hat und für die man gestorben wäre.
Die Kunst war etwas für den engsten Kreis, für den
Kreis, der informiert war und der selbst Kunst gemacht hat.
Mit denen, die schlechtere Kunst gemacht haben, hat sich keiner
abgegeben. Es war ein interner Wettkampf und dennoch haben
die schärfsten Konkurrenten zusammengehalten und sich
letztlich anerkannt, wegen der Sinnhaftigkeit der Unterschiede.
Sonst wäre es gar nicht möglich gewesen, daß
ich mit meinem ganz anderen Werk neben einem Brus, einem Nitsch,
neben Pichler gesessen wäre. Aber all das war sehr zeitabhängig,
da die Künstler in diesem Land keine Chance in der Öffentlichkeit
hatten. Wir haben lange gekämpft und heute sind wir mit
die entscheidenden Künstler im Land.
Als Gegenpol dazu oder als Fortschritt haben wir heute die
professionellen Kunstfabriken eines Palladino, eines Chia,
eines Enzo Gucci, die gerade auf der Biennale in Venedig aufgetreten
sind. Warhol mit seiner Factory hat ja zeitgleich mit der
beschriebenen Wiener Situation viel für diese Entwicklung
getan.
Das ist sicher etwas sonderbares, daß wir hier, ob
das Rainer ist, Nitsch, Pichler oder ich, alle unsere Bilder
noch selbst machen. Die Rationalisierung kommt aus Amerika,
daß Künstler dort ihre Angestellten haben ist völlig
normal. Es schießen ja auch die Museen wie Schwammerl
in die Höhe und überall braucht man riesige Bilder.
Das schafft ein Künstler allein doch gar nicht mehr.
Auch Anselm Kiefer hat einige Mitarbeiter. Das liegt im Zug
der Zeit. Die unheimliche Nachfrage nach Kunst, nach bestimmten
Namen erfordert neue Systeme. Die meisten haben auch Angst,
daß sie nach ein paar Jahren aus dem Rennen sind und
wollen bis dahin in die Machtspitze der Kunst und eben soviel
Geld wie möglich verdienen. Mehr Geld bekommt der Künstler
nur für große Bilder und deswegen malen fast alle
jetzt große Bilder, man braucht sie in den Museen, man
braucht sie in den großen Büros. So schaut der
Markt aus und die Künstler und die Galerien reagieren
darauf. Die Kreisläufe sind oft sehr einfach. Jede Kleinstadt
in den USA oder in der Bundesrepublik baut heute Museen und
die müssen gefüllt werden, und zwar fast immer mit
denselben zwanzig, dreißig Namen. Es sei denn, du triffst
auf einen Museumsdirektor, der sich das anders vorstellt.
Er wird es schwer haben, aber hie und da gibt es ihn. Nur
ist Österreich da sowieso aus dem Spiel. Wir haben noch
soviele Grundpflichten zu erledigen, daß wir längst
noch nicht soweit sind.
Die Etappen sind für Wien schnell nachvollziehbar: 1962
ist das Museum des 20. Jahrhunderts eröffnet worden,
1979 das Museum Moderner Kunst. Gegen das Jahr 2000 zu wird
es vielleicht mehr geben, im Rahmen des Messepalastes.
Man kann auch sagen, soweit hinten sind wir auch wieder nicht.
Lausanne oder Genf haben bis heute keine Museen für moderne
Kunst, dort wird immer noch gestritten und abgestimmt, wie
man das bauen will. Auch in ganz Italien gibt es kaum ein
ordentliches Museum für die Moderne. Die Zellen dafür
sind überall privat. Ich glaube es hat in Amerika begonnen;
Mitte der 60er Jahre ist der Museumsboom ausgebrochen, nach
Europa ist er in den 70ern übergeschwappt und in den
80ern voll dagewesen. Natürlich haben die Franzosen sehr
früh geschaltet und auch das meiste Geld hineingesteckt
und sind jetzt eben weit voran. Sie haben auch die Leute,
die am meisten ins Museum gehen und die Tradition, daß
sehr viele Franzosen sich mit Kunst beschäftigen. Der
Amerikaner, er gilt als der ungebildetste Mensch in unserer
westlichen Kultur, ist am schnellsten voranmarschiert - einfach
aus Pflichterfüllung, einfach aus Logik einer gesellschaftlichen
Funktion gegenüber.
Offenbar ist es diese Logik, die alle zum Markenartikel hinzwingt.
Jedes Museum zeigt die Bilder am liebsten, die der Betrachter
am einfachsten erkennt, ob das nun ein Warhol ist oder ein
Lichtenstein. Die Künstler können diesen Zeigsystemen
entsprechend nicht viel weiterentwickeln. Sie müssen
erfundene Marken und Etiketten immer wieder malen. Das ist
ein Handelsproblem und ein Problem der Öffentlichkeit
in den Museen. Immer muß es das typische Bild eines
Künstlers sein. Auch ein Hundertwasser ist an dem zugrunde
gegangen und wenn man sich jetzt Jasper Johns - einen meiner
Lieblingsmaler - auf der Biennale anschaut und sieht, daß
er alle seine fünf Stilarten nocheinmal gemalt hat, ist
das ein Schock. So geht das wirklich nicht.
Weil wir schon beim Thema Kunst und Markt, Kunst und Wirtschaft
sind, interessiert mich die Argumentation gegenüber der
Tatsache, daß ein Unternehmen, das zu statisch und eng
auf seine Produkte und Markenartikel fixiert ist, irgendwann
zugrundegeht, es also zum Überleben ständig Veränderungen
und Neuigkeiten erfinden muß, während man Künstler
offenbar immer brutaler dazu zwingt, gleich zu bleiben, also
das Gegenteil davon zu machen.
So gesehen ist der Künstler noch immer nicht einem Unternehmer
gleichzusetzen. Er geht ja nicht lapidar zugrunde, er wird
einfach schlechter und kann sich mit der Kopie seines Werkes
schützen. Man wird seine beste Zeit erkennen und die
ist eben dann die teuerste. Der Zusammenhang mit der Wirtschaft
ist in Wahrheit ein anderer. Kunst ist nach wie vor nur für
den Bürger. Über ihn hinaus kann sie nicht wachsen.
Der Hirte braucht die Kunst nicht und es gibt unheimlich viele
Arten, das Leben ohne Kunst zu verbringen. Der Bürger
aber hat sie immer gebraucht, schon aus der Renaissance heraus,
wo sie soviel ihrer Bedeutung gewonnen hat. Die Kunst war
das Geheimnis des Bürgers. Jetzt hat es einen Sprung
gegeben und sie ist Teil des Bürgertums geworden. So
wie das Auto und das Haus zum Bürger gehört, gehört
jetzt auch vermehrt die Kunst zu ihm. Das ist ein neuer Aspekt,
ein wichtiger. Der Bürger benützt die Kunst jetzt
wie einen Luxusgegenstand und das ist das Traurige daran.
Das ist die Krise der Kunst. Heute ist alles Beliebige Kunst,
ein Sessel, irgendein Schmuck, eine Bauerntruhe. In Wahrheit
muß natürlich jeder für sich definieren, was
Kunst für ihn ist. Für mich ist sie der Wettkampf,
das Vorwärtskommen und das Weitermachen der wirklichen
Künstler.
Dieses Weitermachen kann als eine Art aufklärerische
Modernisierungsarbeit verstanden werden, die der Gesellschaft
Wege aufzeigt oder ihr wenigstens insistente Fragen stellt.
Nur ist doch klar, daß eine solche Benutzung von Kunst
als Instrument zugleich ihre Kraft zur schlichten Sensibilisierung
untergräbt. Es ist eben wiederum komplizierter, als es
einfache Benutzungsvorschriften für Kunst nahelegen.
Modernisierungsarbeit leistet in meinen Augen die Kunst keine.
Sie ist eher Träger einer Aktualisierung der Gesellschaft.
Ein Problem ist nur, daß in Österreich die Medien
diese Funktion nicht forcieren. Sie schätzen die Wichtigkeit
der bildenden Kunst nicht richtig ab, obwohl sie - was ich
als großes Plus für dieses Land bezeichne - der
Berichterstattung über Kunst vergleichsweise sehr viel
Platz einräumen. Aber: Wer hat denn schon gefordert,
ein Museum zeitgenössischer österreichischer Kunst
einzurichten, das für unsere internationale Reputation
und auch kommerziell so wichtig sein könnte ? Es muß
doch endlich schärfer gefragt werden, warum die Musik
hierzulande immer die mit Abstand höchst finanzierte
Aussage von Kunst bleiben muß. Ich scheue mich dabei
gar nicht vom Geschäft zu reden. Die Oper macht täglich
stattliche Verluste, jede gut gemachte Ausstellung aber ist,
wenn richtig gerechnet wird, ein Gewinn, das haben doch die
Wiener Festwochen bewiesen. Selbst wenn man rein vom Geld
ausgeht, laufen enorm viele Dinge einfach noch falsch. Ein
Arnulf Rainer ist doch genauso wichtig, um auf dieses Land
aufmerksam zu machen, wie ein Mozart. Heute zählen zu
den bedeutendsten Künstler, die Österreich vertreten
können, die bildenden Künstler. Das hat man viel
zu spät erkannt und will es, genau besehen, noch immer
nicht erkennen.
Der Geschichte, die dazu geführt hat, kommen wir anscheinend
nicht aus. Es hat Systematik, daß immer an den verkehrten
Enden mit ihrer Aufarbeitung begonnen wird; siehe Jahrhundertwende.
Nichteinmal die Jugendstileuphorie war eine österreichische
Intention. Sie ist von New Yorker Händlern geschürt
worden, die ein Auge auf diese Mengen von Dekorationsware
geworfen haben. Inzwischen ist dieser Boom total vorbei und
das hier diskutierte Jugendstilmuseum wäre eine verlorene
Investition gewesen. In ein paar Jahren hätte sich überhaupt
niemand mehr für es interessiert. Natürlich muß
immer etwas erfunden werden, um Leute ins Land zu holen, auch
gegen ein Jugenstilmuseum habe ich nichts, aber dann müßte
es Museen für all die anderen Dinge auch geben. Man muß
es doch klar sehen. Österreich hat in diesem Jahrhundert
kaum einen bedeutenden Maler oder Bildhauer gehabt. Bei allen
Entwicklungen der internationalen modernen Kunst der ersten
Phase waren wir nicht dabei. Weder Klimt oder Schiele waren
annähernd so bedeutend, wie die russischen Künstler
nach der Jahrhundertwende oder wie die Futuristen in Italien.
Unser entscheidendes Jahrzehnt sind die 60er Jahre. Da sind
in Österreich künstlerische Haltungen formuliert
worden, die international Wirkung gezeigt haben. Wir haben
auf die damalige Umwelt reagiert und uns von epigonalen Einflüssen
befreit. Man vergißt immer, daß damals zwar in
den USA eine neue Kunst entstanden ist, die Pop Art, zeitgleich
aber in Österreich eine neue europäische Kunst,
die gleichwichtig ist, wie diese so massiv unterstützte
Großmachtkunst. Kaum wer hat diese Gleichgewichtigkeit
verstanden und daher ist dieses Land mit seiner neuen wichtigen
Kunst auf der Strecke geblieben, die historische Chance ist
verpaßt worden. Niemand wollte das erkennen, man hat
es verschlampen lassen. Im Grunde genommen ist es doch schwachsinnig,
daß wir jetzt, 1988, an einer ersten großen Aktionismusausstellung
in Kassel herumgebastelt haben.
Die Neuplanungsideen im Messepalast kreisen aber viel eher
um ein "Museum der Kulturen", um den "Mensch
im Kosmos", als um eine Offensive auf Gebieten moderner
Kunst, von den Möglichkeiten einer neuen Ausstellungshalle
und der Übersiedlung des Museums Moderner Kunst einmal
abgesehen.
Ich habe nichts gegen ein Informationsmuseum, nur kann es
in den existierenden Systemen nicht stattfinden. Es müßte
viel freier sein, offener, aggressiver. Wichtiger ist mir
also ein Museum mit der modernen Kunst Österreichs und
zusätzlich müßte es es eines geben über
die Moderne in Europa und Amerika. Erst das führt die
Leute dazu, Unterschiede zu erkennen. Auch den Umgang mit
bildender Kunst kann man ja leichter erlernen, wenn es so
früh als möglich passiert, wie beim Klavierspielen.
Er ist doch so wichtig für das Erkennen des eigenen Landes
und dieses Österreich sollte sich darauf konzentrieren,
sich als der Nachkriegsstaat, als die 2. Republik zu sehen.
Kulturell ist doch genügend vorhanden und neben bildender
Kunst noch zu entdecken, in der Musik, in der Literatur und
Dichtung. Das Bild hat dabei insofern einen besonderen Stellenwert,
weil alle Sprachbarrieren wegfallen, weil es nicht erklärt
werden muß.
Das Bild repräsentiert die größte Freiheit,
weil es ganz unmittelbar benützt werden kann. Auch das
wird, im Sinne seiner internationalen Wirkungsmöglichkeiten,
bei uns ständig übersehen. Der Mensch kommt doch
von Natur aus vom Schauen und erfaßt in einer Sekunde
unglaublich viel. Alle anderen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten
sind im Vergleich zum statischen Bild viel langsamer, komplizierter,
man muß Sprachen lernen, sich ganze Filme ansehen, muß
schwierige Bücher lesen, muß stundenlang in die
Oper, usw.
Ist es aber wirklich so simpel, die Schuld an Versäumnissen
der "Situation" zuzuschreiben. Immerhin waren konkrete
Personen am Werk, die durchaus Möglichkeiten gehabt haben.
Nehmen wir als Beispiel die Albertina. Wo ist sie denn, die
Sammlung von nach dem Krieg entstandenen graphischen Arbeiten
? Es gibt sie nicht, obwohl alles so unglaublich billig gewesen
ist. Die Albertina hätte längst die Aufgabe, in
einigen Räumen Hauptwerke der österreichischen Graphik
der Nachkriegszeit auszustellen. Das sind Dinge, die in der
Luft liegen und gemacht gehören. Die Standardausrede
war immer, daß zuwenig Geld dagewesen ist, nur hat eben
der ehemalige Direktor Koschatzky mit zu wenig Geld 25 Jahre
lang meist Graphik der unbedeutendsten österreichischen
Künstler gekauft. Der neue Direktor Konrad Oberhuber
wird es nicht leicht haben, all das Versäumte nachzuholen.
Die Grundsammlung von Oskar Schmidt z. B. hat vielleicht 10
oder 15 Millionen Schilling gekostet, das wäre jederzeit
vom Staat auch dagewesen. Otto Mühl hat bis vor kurzem
noch seine exzellente Aktionismus-Sammlung um 10 oder 15 Millionen
Schilling an eine öffentliche Stelle verkaufen wollen;
niemand hat ernsthaft reagiert, auch keiner der österreichischen
Museumsdirektoren, offenbar weil sie seit Jahrzehnten gegen
alle Versprechungen so behandelt worden sind, daß sie
gar nicht mehr auf die Idee kommt, vom Staat oder von der
Wirtschaft das Geld zum Ankauf einer so wichtigen Sammlung
zu fordern. Dabei wäre damit ein mittelgroßes Museum
zu füllen. Jetzt verlangt Mühl mit Recht mehr. Trotzdem
wäre es richtig, da noch einzusteigen um der österreichischen
Öffentlichkeit - und auch den Fremden - zu zeigen, was
wir für eine starke Kunst haben, durchaus als Gegenpol
zum Museum of Modern Art in New York, wo die Pop Art hängt.
Sollte sich so ein Museum für die Kunst nach 1945 im
konventionellen Bereich, also im Sinn guter Architektur und
komfortabler Benützbarkeit bewegen oder wäre es
strukturell mit kühneren Überlegungen zu verbinden
?
Wichtiger als der Bau ist mir ein neuer Apparat. Ich würde
permanent internationale Künstler einladen und Leute,
die zur aktuellen Kunst Stellung beziehen. Die Informationsarbeit
gehört radikal professionalisiert; es sollte über
alle wichtigen Künstler, über die zeitlichen Phasen
und über internationale Vergleiche umfangreiches Material
bis hin zu Videos geben. Das muß erarbeitet werden,
dann würde es einerseits ein Museum mit wirklichen Höhepunkten
geben, andererseits ein Museum für jeden, der sich informieren
will. Es sollte nicht um Showbusiness gehen, sehr wohl aber
um lebendige Möglichkeiten, viele Menschen am Museum
zu interessieren. Deswegen müssen Museen auch am Abend
offen haben, sie brauchen Restaurants und Cafés, es
soll Tage mit freiem Eintritt geben.
Für große Projekte wie den Messepalast wäre
es wichtig, sie mit einem lebendigen Galeriesystem zu verbinden.
Entscheidend erscheint mir, sie nicht in eine Hand zu geben,
sondern mehrere einander konkurrierende Institutionen gegeneinander
antreten zu lassen; z. B. eine für diverse vom Staat
eingeladene internationale Ausstellungsmacher offene Kunsthalle,
eine Kunsthalle betreut von den besten österreichischen
und gelegentlich auch von maßgeblichen internationalen
Galerien, eine Kunsthalle der Privatwirtschaft, meinetwegen
eine der SPÖ und eine der ÖVP, eine der Republik,
eine der Stadt Wien. Der Kunst bringt es nur etwas, wenn es
Herausforderungen gibt. Man könnte auch ein Haus bauen,
oder ein Palais einrichten, wo immer ein Jahr lang oder auch
zwei eine der guten internationalen Sammlungen hängt,
von denen ja viele auf der Suche nach guten Ausstellungsmöglichkeiten
sind. So könnte man Ankaufskosten sparen und es gäbe
immer Spitzenkunst zu sehen. Da gibt es viele Möglichkeiten.
Man muß sich nur etwas einfallen lassen. Man sieht doch
auch, wie die Konkurrenz durch die Landeshauptstädte
belebend wirkt. Im Prinzip haben wir die diversesten Systeme
und Beispiele vor uns liegen, weltweit, und könnten das
für uns richtige aussuchen, ja es besser machen. Daß
wir immer etwas hinten nach sind muß man doch in Vorteile
ummünzen.
Dieses Plädoyer für ein offensives Mitziehen im
Kunst- und Museumsboom negiert jegliche Möglichkeit von
Konjunktureinbrüchen, von Nachfrageänderungen.
Ich bin einfach überzeugt, daß der Boom erst wirklich
beginnt. Das Bild wird als Kunstwerk und als Aktie benutzt
und da immer mehr Leute da einsteigen, sehe ich keinerlei
Anzeichen für gegenläufige Trends. Ein Stück
bemalter Leinwand kann heute 5.000 Schilling wert sein und
in zwei Jahren 10 Millionen; Kunst ist das abstrakteste Geschäft
das es gibt und das großartigste. Das wird immer mehr
Leute faszinieren. Kunst wird in Wahrheit noch wenig verwendet.
Noch immer ist es nur ein kleiner Teil des Bürgertums,
der sich mit Kunst darstellt, sie kauft. Das wird sich ändern.
Selbst bei uns fangen die Unternehmen jetzt an, sich über
Kunst zu definieren. Ob man das nun will oder nicht, man muß
sich auf zwei Ebenen der Kunst einstellen, auf Kunst als Teil
eines Wirtschaftssystems und auf Kunst zum Gernhaben, als
Bereicherung des Lebens. Und jetzt ist der Zeitpunkt, an dem
der Staat entscheiden muß, wie er es haben will. Denn
die Systeme für das nächste Jahrzehnt, für
das kommende Jahrhundert werden jetzt geschaltet. Es braucht
nur von Japan aus österreichische Kunst entdeckt werden,
dann müssen wir in ein paar Jahren alle nach Osaka fahren,
um sie anschauen zu können. Vom Zeitgenössischen
ist ja nichts geschützt. Der Staat und die Öffentlichkeit
müssen also wissen was geschützt und geliebt werden
soll, welche Kunst im Land bleiben muß. Es darf ja nicht
so werden, daß wichtige Kunst, die gerade nicht in die
Handelssysteme paßt und die gerade nicht auf den Museumswunschlisten
steht, verloren geht. Wir wissen doch, daß Kunst oft
ruht und nach 50 Jahren wieder aufersteht, in einer vollkommen
anderen Erklärungsweise.
Daß das gemalte Bild, als Original, solche Arten von
Kunstbegeisterung überstehen wird, daran gibt es keine
Zweifel ?
Nein. Der Mensch denkt seit der ersten selbstgefertigten
Hacke, die ein Einzelstück gewesen ist, in Kategorien
des Originals: Schöpfung und Erfindung. Es ist wie bei
einer Mann-Frau-Beziehung. Es gibt ein Einzelstück und
das hat seinen Wert. Alle Versuche mit Vervielfältigungen
konnten den Alltagswert und auch den Symbolwert des Einzelstückes
nicht verdrängen; der Mensch selbst ist ja ein Einzelstück
mit Alltagswert. Auch Warhols Multiplikationen sind zuletzt
im Sammlerherz und im Sammlerhirn wieder zu Einzelwerken geworden.
Natürlich gibt es immer neue Versuche - Video z. B. -
und ich habe auch gar nichts dagegen. Das Leinwandbild aber
macht einen vollkommen unabhängig von jeder technischen
Entwicklung, es hat so einfache Benützungsformen und
kann einem doch soviel mitteilen, es reicht noch immer aus
sich darzustellen oder die ganze Welt zu verändern. Vielleicht
wird einmal etwas erfunden, das bedeutender ist als Kunst.
Derzeit jedoch ist Kunst für mich die beste Möglichkeit
der Menschen sich zu verstehen und sich gegenseitig zu verstehen
- und das muß man doch bei einer Beschäftigung
mit Museumsfragen zuallererst bedenken.
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Christian Ludwig
Attersee, Maler
geb. 1940 in Preßburg. Studium an der Hochschule
für angewandte Kunst in Wien. Zahlreiche Ausstellungen
in Österreich, der
Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, Holland,
Italien, der Schweiz und in den USA. Zuletzt u.a.: Biennale
Venedig (1984), Nationalgalerie Berlin (1986)
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