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www.ChristianReder.net: Publikationen: Wiener Museumsgespräche: Hermann Czech
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Hermann Czech

Mit dem Architekten, der für die abgelaufene erste Wettbewebsphase für das umfangreichste österreichische Museumsvorhaben in diesem Jahrhundert - den Messepalast - mitverantwortlich ist, sind vielleicht die Erfahrungen mit dem Planungsprozeß als solchem ein Ansatzpunkt, um zu Klarstellungen und weiterführenden Fragen zur heutigen Museumsproblematik zu gelangen. Dazu folgende historische Analogien: Beim damals konzeptmäßig völlig neuen "Museum für Kunst und Industrie" (dem heutigen Museum für angewandte Kunst) hat die gesamte Planungszeit bis zum Baubeginn 6 1/2 Jahre betragen, beim Kunst- und beim Naturhistorischen Museum waren es 5 Jahre.

Diese Beispiele betreffen konkrete Museumsgründungen. Das Vorhaben Messepalast ist von seiner Programmerstellung her naturgemäß viel diffuser. Es geht ja zunächst nicht um ein bestimmtes Museum, sondern um ein Areal, für das schon seit dem vorigen Jahrhundert die Absicht bestand, es einmal für museale Zwecke zu verwenden. Die Linie der Museumsprojekte dafür geht im Grunde schon auf Semper zurück und es hat seither praktisch keine planerisch begründeten anderen Vorstellungen gegeben. Auch die vorläufige Ansiedlung der Wiener Messe ist durch deren Ausstellungstätigkeit begründet worden.
Um auf den laufenden Planungsprozeß, der mit ersten Nutzungserhebungen 1983 eingesetzt hat, zu sprechen zu kommen: Ich sehe es als einen Vorzug jeder Planung an, wenn man das Endprodukt der Planung nicht vorher weiß. Wo man anfängt wird damit sekundär, ob beim Areal, bei den Sammlungen, bei auftretenden Initiativen, bei der Stadtplanung - oder bei allem gleichzeitig. Das ist alles gleich wichtig und muß schließlich zur Deckung kommen.

Auf einer Argumentationsebene ist diese Offenheit auch sehr positiv bewertet worden. Die Gegenauffassungen haben sich daran entzündet, daß der Architektur - den Wettbewerbsteilnehmern also - zuviel an inhaltlich-konzeptionellen Überlegungen aufgebürdet worden ist.

Es ist eben sowohl dem Publikum als auch den Teilnehmern an einem Prozeß nichts schwerer zu vermitteln, als ein flexibles Konzept. Auf Grund der Wettbewerbsergebnisse hat sich ja dann auch keine Diskussion über jeweils favorisierte Nutzungsprioritäten entwickelt. Allseitig ist akzeptiert worden, daß mit den Preisvergaben nicht zugleich auch eine Abstimmung über Nutzungen verbunden war. Und schon jetzt stellt es sich die Offenheit dieses Verfahrens als sehr wichtig heraus. Hätte man zur Zeit der ersten Stufe das Programm festgeschrieben, dann wären jetzt z. B. die Galerie des 19. Jahrhunderts und das Heroon von Gölbasi eingeplant, obwohl dies nicht mehr aktuell ist. Die Offenheit der Planung ist auch nicht auf ein Vakuum zurückzuführen gewesen, denn wir hätten in sehr vielen Punkten leicht Entscheidungen - und zwar durch bloßen Zuruf - herbeiführen können, haben aber die Flexibilität verteidigt.
Es kommt ja in Wahrheit überhaupt nicht darauf an, was in noch so gründlichen Akten alles greifbar ist. Planungs- und Entscheidungssitzungen haben ihre Eigendynamik. Plötzlich läuft etwas in diese oder jene Richtung. Die Irrationalität dabei darf doch nicht unterschätzt werden.

Der Grat wischen Flexibilität und Konzeptlosigkeit ist schmal. De facto dominieren Ho-Ruck-Aktionen. Daß es ziemlich deutliche inhaltliche Wendungen gegeben hat ist a priori nichts Negatives, charakterisiert aber doch, wie labil die politisch-administrative Willensbildung verläuft.

Im Grunde sind zur Zeit alle zentralisierenden, umfangreichen Veränderungen der Sammlungsstrukturen wieder aus den unmittelbaren Überlegungen verschwunden. Geplant waren einmal im Zuge der vom Messepalast ausgelösten Rochaden ein Mittelaltermuseum, ein Ostasienmuseum, eine Zusammenlegung von 19. und 20. Jahrhundert mit der Jahrhundertwende als Krönung in der Mitte, eine Zusammenführung der Antikensammlung. Als Konzept neu hinzugekommen ist stattdessen das "Museum der Kulturen", das noch sehr undeutlich vor einem steht, weil die Sammlungsbestände nicht so klar sichtbar sind. Das ältere Konzept "Der Mensch im Kosmos" könnte ein angrenzender Teil von ihm werden.
Fixpunkt ist das 20. Jahrhundert, das sich im Detail aber auch noch nicht so selbstverständlich darstellt, wie gemeinhin angenommen. Daß die große Ausstellungshalle die erste oder eine der ersten Baustufen sein wird, war immer klar, ebenso wie die jetzt als angeblich neu geforderte schrittweise Verwirklichung.

Wären aber diese verzahnten Prozesse nicht ein Anlaß gewesen, grundsätzlichere Vorfragen für Sammlungsstrukturen, Ausstellungstätigkeit und neue Baulichkeiten zur Debatte zu stellen ? Was soll der Staat in "seinen" Museen sammeln ? Wie wird das vielfach angesprochene Gedächtnis einer Gesellschaft neu strukturiert ? Welche Bedeutung wird Identitätsstiftend-Historischem und Wegweisendem zugeordnet ? Wer kümmert sich um Musikdokumente, um den Film, um neue Kunstrichtungen ? Was für "neue" Museen sind vorstellbar ?

Ich halte es für bezeichnend, daß wir offenbar jetzt von staatlicher Seite ein Museumskonzept erwarten. Der Staat kann hier eine Rolle unter vielen Initiativen spielen. Richtig ist sicher, daß ein Minister in der jetzigen Phase mit einem Konzept oder selbst mit punktuell verfolgten Zielen eine bedeutende Rolle spielen könnte. Aber daß wir sozusagen von oben her die gesamte Museumsstruktur neu dargeboten bekommen wollen, hat fast etwas Sadistisches an sich. Wenn das der Staat nämlich liefern würde, wäre das sofort ein Grund, es in der Luft zu zerreißen und jeder würde sagen, ein Dekretieren von oben ist ganz falsch. Ich würde mich da auf Einzelinitiativen verlassen. Die bestehenden Sammlungen gehen ja genauso auf Einzelinitiativen zurück.
Und über alle Museen eine Struktur zu legen, ist angesichts ihrer Verschiedenartigkeit gar nicht möglich. Als Beispiel möchte ich dafür das Stadtkonzept nennen. Als man in den 60er Jahren auf den Begriff der Urbanität gekommen ist, hat man die "urbanistisch" agierenden Architekten und Soziologen vehement daran erinnern müssen, daß die Stadt etwas ist, das schon besteht und nicht etwas, das neu geschaffen wird und daß es einerseits zwar darauf ankommt, im Bestehenden nichts zu zerstören, andererseits aber auf die Herstellung neuer Beziehungen innerhalb des Bestehenden. Ähnlich ist es bei den Museen. Es gibt sie längst, in sehr vielfältigen Formen und es kann an einzelnen Punkten darauf ankommen, neue Beziehungen und neue Sichtweisen in diese Materie hineinzubringen. Im Verhältnis zu dem was schon besteht, können das immer nur kleine Veränderungen sein, die allerdings auch den Charakter von Umdeutungen haben können. Es kann etwas anders gesehen werden, ohne daß es materiell verändert werden muß. Das Ansinnen ein umfassendes Museumskonzept zu erstellen, halte ich vom philosophischen, geistigen her für verfehlt. Der Anspruch ist verfehlt.

Da würde ich durchaus zustimmen. Meine Argumentationslinie zielt auch primär auf dahinter stehende "Strukturen" ab, auf die Strukturen der Organisation, der Budgets, der Arbeitsbedingungen, der personellen und technischen Ausstattung, der Ausstellungsmöglichkeiten. Auch der Messepalast wird erst "lebendig" durch Personal, Betriebsmittel, Aktionsmöglichkeiten. Solche "Strukturen" schaffen dann "Inhalte" und in die sollte sich niemand unkompetenter einmischen.

Da gibt es sicher Mißverständnisse, denn der Begriff "Museumskonzept" wird von Kulturjournalisten meist als Forderung einer inhaltlichen Bestimmungen interpretiert.

Sicher ist das Bild einer relativ geordneten und transparenten politischen Planung - z. B. für den Museumsbereich - ein Trugbild. Die Realität hat ihre Kräftespiel-Mechanik, Vorschläge gewinnen Kraft, verschwinden wieder, warum sich dann was durchsetzt, ist meist schwer nachvollziehbar. Unlängst ist z. B. plötzlich der Neubaus eines Widerstandmuseums gefordert worden, von einem Architekturmuseum ist nun schon seit 20 Jahren die Rede, das Semper-Depot hat eine andere Nutzung zugewiesen bekommen, als die erhoffte, nämlich durch das Kunsthistorische Museum.

So läuft das eben. Das Semper-Depot wird jetzt ausgerechnet von den Leuten beansprucht, die es jahrzehntelang abbrechen wollten und dort Aktivitäten jener verhindert haben, denen die Rettung zu verdanken ist. Vielleicht wird es doch noch einmal für ein Architekturmuseum frei. Daß dessen Realisierung so langwierig verläuft, ist allerdings kein Zufall, angesichts der komplizierten Zusammenhänge gerade in Wien. Die vielen längst laufenden Aktivitäten, die es vielleicht einmal koordinieren könnte, machen es zu einer der interessantesten Managementherausforderung im österreichischen Museumswesen.

Eine für kulturelle Investments latente Frage ist doch die nach ihrer Strukturierung in Bauten, in Fixkosten und in Budgets für konkrete Aktivitäten. Daß - manchmal zumindest - die Entscheidung über noch so hohe Bausummen eine Frage weniger Wochen ist, während ansonsten selbst bei kleinsten Beträgen jede Menge Hürden eingebaut sind, charakterisiert die ökonomischen Bedingungen. Diesbezüglich sind die österreichischen Museen arm und auch international gibt es Probleme mit der Finanzierung der vielbeschworenen lebendigen Museumsarbeit. In sichtbare Architektur wird sozusagen ganz gern investiert, weil sich etwas herzeigen läßt und die Baubranche dahintersteht, bei der "unsichtbaren Architektur" wird überall gespart. Wäre dem nicht so, könnten sich Museen ja durchaus eine Art Entwicklungslabor für neue Sichtweisen werden, mit einer weit in die Gesellschaft hineinwirkenden Aktivitätsvielfalt.

Solche Konzepte sehe ich im Rahmen einer einzelnen Institution. Soetwas muß ein Museumsleiter oder eben ein Team im eigenen Haus machen, mit den Ressourcen, den Sammlungen, Archiven, Bibliotheken usw., die dort zur Verfügung stehen. Das kann nicht von oben für eine Reihe sehr verschiedener Museen, von denen manche für solche Überlegungen gar nicht geeignet sind, verordnet werden. Ermöglicht gehört eine Konzepterneuerung in jeder einzelnen Institution und selbstverständlich müssen Verhinderungsmechanismen abgebaut werden.

Genau das betrifft den Begriff "Struktur" wie ich ihn verwende. Verkürzt gesagt ist mit ihm die Entwicklung entsprechender Arbeitsbedingungen gemeint und dies erfordert ein Durchdenken der administrativen und budegtären Geflechte, was zugegebenermaßen mühselig und wenig öffentlichkeitswirksam ist.

Ich sehe da dialektische Kräfte am Werk. Die eine heißt "Nichts Zerstören", die andere "Nichts Verhindern". Erstere kann bis zu einem sinnlosen Konservativismus führen, letztere bis zu einer sinnlosen Radikalität. Diese Gefahren muß man in jedem einzelnen Fall gegeneinander abwägen. Soll z. B. ein neues Museum geschaffen werden, wie etwa das diskutierte Ostasienmuseum, wirken Verhinderungskräfte vor allem in jenen Sammlungen, die etwas abgeben sollen, zugleich muß man aber fragen, ob sie nicht recht haben und tatsächlich durch Umgruppierungen wichtiges zerstört würde. Es kommt auch sehr darauf an, wer solche Erneuerungsprojekte vertritt.

Die ganze Messepalast-Diskussion ist von Raumforderungen und Sammlungs-Rochaden dominiert; die Debatte um die Situation in den Museen selbst ist - abgesehen von baulichen Sanierungsmaßnahmen, Aufsehermangel, etc. - erst sehr langsam angelaufen.

Wie man solche Strukturen, die doch sehr viel mit Medienresonanz zu tun haben, ändert, weiß ich nicht.
In bezug auf die Kriminalität etwa gibt es sehr wohl ein Medieninteresse an der Infrastruktur. Ob jeder Bezirk genügend Wachzimmer hat und auch nachts genügend Polizisten unterwegs sind, ist ein Standardthema. Im kulturellen, musealen Bereich gibt es dieses Interesse nicht. Wahrgenommen werden die Großereignisse, nicht die vielen kleinen Museumsausstellungen, und das wirkt natürlich auf die Geldzuteilungen zurück.
Auf jeden Fall soll der Messepalast eine Ausstellungshalle enthalten; das ist immer wieder verlangt worden. Bemerkenswert ist vielleicht, daß John Sailer - der im Anfangsstadium der gesamten Diskussion auf Ministerebene beratend tätig gewesen ist - in seinem Statement zum Museumskonzept (art management, Wien, Heft 1/84) gefordert hat, man möge diese Mittel lieber den einzelnen Museen zur Ermöglichung eigener Ausstellungstätigkeit zur Verfügung stellen. Ich würde nicht sagen, daß Wien keine Ausstellungshalle braucht; aber zumindest für ihre Größe und Ausstattung sollte eine umfassende und vergleichende Bedarfsanalyse erstellt werden. Es besteht die Gefahr, daß ein im Stil einer Messe gemanagtes Ausstellungszentrum zwar selbst wieder einen Bedarf an Veranstaltungen generiert, aber an neuen kulturellen Bedürfnissen vorbeigeht. Man sollte nicht davon ausgehen, daß der Trend zu repräsentativen Großausstellungen typisch für das Ausstellungswesen bleibt.

Das Bundesdenkmalamt beharrt nunmehr - entgegen der Wettbewerbsausschreibung der ersten Phase - auf der Erhaltung der Reithalle. Da sie nun ohnedies klimatisiert werden soll, steht sie doch als Ausstellungshalle zur Verfügung?

Es ist richtig, daß ein Verzicht des Denkmalamtes auf die Reithalle jetzt weniger zu erwarten ist als zu Beginn des Wettbewerbs. Auch die Ausschreibung hat eben keine Linie festgelegt, bis zu der abgebrochen werden dürfte und ab der erhalten werden müsse. Auch das Bundesdenkmalamt geht ja von der Abwägung des öffentlichen Interesses angesichts eines Gesamtprojektes aus und man sollte diesen höheren Standpunkt, der der Architekturentwicklung besser gerecht wird (übrigens genau dem Gesetz entspricht) und sich vorteilhaft von der normativen Proxis früherer Zeiten und anderer Länder unterscheidet, einmal gebührend hervorheben. Meiner Meinung nach sollte einer Entscheidung über die Vorgabe der Reithalle in der zweiten Wettbewerbsphase ein Hearing des Bundesdenkmalamtes mit den Teilnehmern der zweiten Wettbewerbsphase vorangehen.
Die Klimatisierungsmaßnahmen, die ich für eine Festwochen-Ausstellung durchführe, beinhalten keine baulichen Maßnahmen, sind also schon deshalb temporärer Natur. Auch wenn sie noch weiteren Ausstellungen zur Verfügung stehen, sind sie längerfristig unzumutbar. Eine Erhaltung der Halle ist damit nicht präjudiziert. Sie ist als Architektur nicht uninteressant, aber keineswegs das Juwel, als das sie manchmal hingestellt wird. Sie ist in Einzelfällen - wie etwa für die Ausstellung "Experiment Seele" 1989 - gut brauchbar; als universell verwendbare Ausstellungshalle kann man sie nicht bezeichnen. Freilich kann man in fast jedem bestehenden Bau eine Ausstellung einrichten.

Längst sind - wenn auch bei uns noch nicht im anderswo üblichen Ausmaß - die wartenden Menschenschlangen vor Museen und Großausstellungen ein Faktum, das früher nur vom Lenin-Mausoleum her bekannt war. Kulturpolitik wird sich von solchen Erfolgskriterien schwer lösen können.

Im Musée d'Orsay muß man sich immer anstellen, im Petit Palais ist kein Mensch, obwohl dort viele Bilder derselben Maler hängen. Das reguliert sich also in gewissem Sinn von selbst.

Die Dezentralisierungsfrage mit Blick auf die fünf stadtplanerischen Hauptzentren außerhalb des Gürtels - Floridsdorf, Kagran, Simmering, Favoriten, Meidling - hat für Museumsplanungen kein Gewicht erlangen können?

Die Dezentralisierung der Stadtentwicklung löst manchmal Mißverständnisse aus. In der Wiener Stadtplanung Roland Rainers waren mehrere Zentren vorgesehen, die aber eine hierarchische Gliederung hatten. Hochzentrale Funktionen, also etwa überregionale Museen, hatten demnach ihren Platz nicht in den Bezirkszentren, sondern nach wie vor im Hauptzentrum. Die Autoren des derzeitigen Stadtentwicklungsplanes stellten sich unter Dezentralisierung einen Abbau von Hierarchien, also eine Homogeniesierung, vor; mit der Konsequenz, daß auch hochrangige zentrale Einrichtungen nicht ausschließlich im historischen Hauptzentrum situiert werden sollten. Im Grunde ist das gar keine anti-metropolistische Idee, denn echte Großstädte haben kein Hauptzentrum. Niemand kann sagen, wo in Paris, Rom oder London die Mitte liegt. Wien ist ja in dieser Hinsicht Kleinstadt geblieben. Ich meine allerdings, daß der Bruch einer solchen Zentren-Hierarchie in einer Epoche nur an einer Stelle möglich ist, nämlich durch den Ansatz eines zweiten Hauptzentrums. Dieser Gedanke ist seit dem Vorschlag der "Arbeitsgruppe 4" von 1964 nicht mehr konkretisiert worden, und selbstverständlich gehen auch die Überlegungen zur Weltausstellung an solchen Möglichkeiten vorbei.

Was ist, abschließend gefragt, als Haupterfolg der bisherigen Planungsarbeit für den Museums- und Ausstellungsbezirk Messepalast anzusehen ? Die Wahrung der "inhaltlichen" Flexibilität ?

Daß sie verteidigt werden konnte, werte ich sicher als positiv. Vor allem steht das ganze Problem, auch jede strittige Frage, vor einem reicheren Informationshintergrund. Erinnern wir uns doch, daß vorher nur über Listen diskutiert werden konnte. Schon von Flächenausmaßen hatte niemand eine Ahnung. Ferner ist Tatsache, daß unter Ausschluß von Kommerzarchitektur - die ja die unmittelbare Bedrohung war - ein Kreis signifikanter Architekten die endgültig zur Wahl stehenden Projekte ausarbeiten wird.

Als Beitrag zum Unterhaltungsangebot ?

Sollen wir wirklich noch einen moralischen Unterschied zwischen Kultur und Unterhaltung machen ? Auch in der Kunst ist die vernichtendste Kritik die Feststellung, daß etwas langweilig ist. Auch Kunst will etwas darstellen und jemand bewegen. Strittig kann nur die Qualität sein.

 

Hermann Czech, Architekt
geb. 1936 in Wien. Bauten (u. a. Umbau im Palais Schwarzenberg, Wien 1984, Fußgängerbrücke im Wiener Stadtpark, 1987, Wohnbau Wien, Petrusgasse, 1989). Publizistik (u.a. Das Looshaus, mit Wolfgang Mistelbauer, Wien 1976). Ausstellungsgestaltungen und -konzeptionen ("von hier aus", Düsseldorf 1984; "Wien 1938", Wien 1988; "Experiment Seele", Wien 1989). 1986/87 Gastprofessor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, 1988/89 Gastprofessor an der Harvard University.

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© Hermann Czech 1988 & Christian Reder 1988/2001