Gespräch mit Peter Gorsen
In den bisherigen Gesprächen hat sich als fast durchgehende
Argumentationslinie ergeben, daß es zuallererst um den
Kampf für eine Autonomie des Künstlers, um seine
Selbständigkeit, um ein Akzeptieren künstlerischer
Arbeit gehen muß und sich daher in Museen und Kunstinstitutionen
genauso primär die Autonomiefrage stellt - trotz aller
Einsichten in administrativ-kommerzielle, kapitalistische
Gegenkräfte. Was ist noch real, was bloß fiktiv
an solchen Forderungen?
Das Museum steht in der Tat im Schnittpunkt zwischen zwei
Fragestellungen: Wie steht ihr zur Gegenwart und wie zur Verwaltung
des Erbes ? Wenn die Autonomie des Museums heißt, daß
es der Ort ist, an dem Kunst und Kultur konserviert werden,
ein Ort der abgeschlossenen Geschichte also, dann ist diese
Autonomie recht fragwürdig, denn er muß ja auch
den Bezug zur Gegenwart herstellen. Anderseits sind die Menschen
der Gegenwart geschichtsfeindlich. Woran liegt das ? Die Menschen
der Gegenwart sind, global gesagt, durch die kulturellen Massenmedien
geprägt. Sie sind gegenwartsbezogen, konsum- und sinnlichkeitsorientiert,
zerstreuungsorientiert. Der heutige kulturell interessierte
Mensch kommt also mit einer großen Erwartung ans Erlebnis,
an Unmittelbarkeit, an Sinnlichkeit, mit einem an Alltagswahrnehmung
gewonnenen Flanierbedürfnis an das Museum heran. Wenn
das Museum dieser Erwartung nicht nachgibt, wird ein neuer
ergänzender Museumstyp entstehen, der diesen Ansprüchen
Rechnung trägt.
Man müßte daher zunächst einmal die gesellschaftlichen
Veränderungen ins Auge fassen. Was ist heute Kultur ?
Kultur und Gesellschaft waren ja einst voneinander abgrenzbar.
Kultur und Kunst standen als autonome Blöcke der Gesellschaft
gegenüber. In diesen autonomen Blöcken waren die
klassischen Werte bewahrt; das Verum, Bonum, Pulcherum, das
Wahre, Gute, Schöne, die idealistischen Werte. Man ging
ins Museum, um ein Bildungswissen weiter zu fundieren. Man
ging dorthin auch unter der Voraussetzung, daß mithilfe
der Kunst Geschichte reflektiert wird, daß man seine
eigene Position innerhalb dieser Geschichte reflektiert. Es
ging also um weitgehend alles, was wir mit bürgerlichem
Bildungsanspruch in Zusammenhang bringen. Das hat sich natürlich
heute verschoben. Das Wahre ist kaum noch vom Falschen, das
autonome Subjekt kaum noch vom verdinglichten Totalen, das
Schöne kaum noch vom Häßlichen unterscheidbar.
Konnte Kultur früher noch als autonomer Bereich der Gesellschaft
gegenübergestellt werden, so durchdringt heute die inszenierte
Kultur alle Lebensbereiche und Tätigkeiten. Bei der Finanzierung
von Kultur allerdings gilt sie weiterhin als Luxus, anstatt
als wohlfeile Vergesellschaftungsform. Immerhin wird aber
doch sichtbar, daß Kultur und Kunst heute für Politik
und Wirtschaft attraktiv werden, weil sie der Selbsterhaltung
und den Kommunikationsdefiziten dieser Bereiche nützlich
gemacht werden können. Die Massenkultur ist im Alltag
fest etabliert. Kultur ist heute industrialisiert. Kunst,
Kultur und Leben werden eins oder sind weitgehend eins geworden,
freilich in einem ganz anderen Sinn als es der marxistischen
Utopie der 60er Jahre vorschwebte. Die Kulturgesellschaft,
wenn man das als eine Definition nimmt, zeigt, daß Gesellschaft
heute als Kultur angeeignet wird, daß also Kultur heute
eine Form der Vergesellschaftung ist, eine neue Form der Synthetisierung
oder der Integrierung des Menschen. Kultur ist ein Medium
zur Herstellung von Massenloyalität geworden. Was passiert
denn heute ? Überall Feste, überall Inszenierungen,
überall Kunst im öffentlichen Raum.
Wir haben also eine eigenartige Vermischung von Kultur, Kunst
auf der einen und von Alltag, Masse auf der anderen Seite.
Über Kultur läßt sich heute sehr einfach und
am besten diskutieren. Ich würde sagen, der Schlüsselbezug
dabei ist die Reduktion von Komplexität. Die Welt ist
sehr komplex. Wirtschaftsprozesse sind komplex, technologische
Prozesse sind komplex. Keiner kann sie durchschauen. Demgegenüber
übernimmt die Kultur eine entlastende Funktion. Über
Kultur kann man heute die Massen noch zusammenbringen. In
der Masse erzeugt Kultur eine stimmungshafte Kollektivität,
die nicht so anspruchsvoll und schwierig ist, wie etwa der
Diskurs mit modernen Techniken, mit modernen (natur)wissenschaftlichen
Erkenntnissen und Wirtschaftsprozessen. Die versteht niemand,
die hält niemand mehr aus. Man braucht Kultur auch als
Politikersatz und als Religionsersatz. Denn Politik und Religion
sind fragwürdig geworden. Die sinnstiftenden universalistischen
Weltbilder, die angeboten werden, sind im Veralten, im Aussterben.
Und an die Stelle dieser verlorenen Universalia tritt die
Kultur als synthetisierendes, integrales Moment rettend auf
den Plan. Sie lenkt natürlich auch ab. Zur Funktion der
Reduktion von Komplexität kommt also, vereinfacht gesagt,
noch die Ablenkungsfunktion hinzu, die Ablenkung von Politik
etwa oder von schwierigen Problemen, den gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Spielraum sinnvoll zu organisieren.
Innerhalb dessen, was man Kulturgesellschaft nennt, kann nicht
mehr so absolut und selbstbewußt von der Autonomie des
Museums oder von der Autonomie der Kunst, der Künstler
gesprochen werden. Ihre traditionellen Selbstständigkeiten
werden von der industriellen Massenkulutur immer mehr relativiert.
So vermessen auf Autonomie pochend ist auch kaum jemand,
der darüber nachgedacht hat. Im Alltag kulturpolitischer
und bürokratischer Vorgänge jedoch wird ständig
vorgespiegelt, daß es eine Selbstbestimmung gäbe,
daß sich ohnedies niemand in Inhalte einmische, daß
autonome Museen etwa längst Realität seien. Vielleicht
könnten wir deshalb den geschichtlichen Prozeß,
der zu den heutigen Zuständen geführt hat, noch
etwas präziser beleuchten.
Jürgen Habermas beschreibt sehr exakt den Mitte des
19. Jahrhunderts beginnenden Entfremdungsprozeß des
Publikums zwischen "connaisseurs" und Kunstspezialisten
auf der einen und der großen Masse der Kunstkonsumenten
auf der anderen Seite. Die öffentliche Sphäre des
sachkundig räsonierenden Kunstpublikums ist seitdem gespalten
in das Fachwissen professioneller Kenner und eine fachlich
entmündigte, nur zur Akklamation aufgerufene Mehrheit,
die ihre Interessen von Vereinen, Verbänden und Parteien
kollektiv vertreten läßt.
Was einst im öffentlichen allgemeinen (bürgerlichen)
Interesse geschah, wird jetzt fingiert, wird durch Werbung,
Public Relations oder die Selbstdarstellung einer Ware ersetzt,
die den Schein eines öffentlichen Interesses angenommen
hat. Das Publikum verliert bzw. überträgt seine
Kontrolle über die Kunstrezeption und den Markt an den
Professionalismus der Museen und der Kunstpublizistik, die
sich ihrerseits häufig isoliert und unverstanden fühlen.
Das Publikum gerät durch seine institutionellen Interessensvertretungen
in die Abhängigkeit ökonomischer und politischer
Interessen. Es ist bekannt, daß der Bestand und der
Ankaufsetat der Museen von beruflichen Kennern besorgt wird,
die einerseits weisungsgebundene Vertreter der staatlichen
Bürokratie sind, andererseits den "freien Markt"
beobachten und sich mehr oder weniger angepaßt seiner
bedienen.
Insbesondere die Museen moderner Kunst sind eine Konstruktion,
die - wie die Kunstvereine, Galerien und in eigener Initiative
ausstellende Großsammler - der privaten Kunstproduktion
für den Markt, den dort konkurrierenden Kunstunternehmern,
eine öffentliche Anerkennung und ideologische Rechtfertigung
zuteil werden läßt. Als Spiegel des Kunstmarktgeschehens
befindet sich das Museum in einem prinzipiellen Widerspruch
mit seinem Öffentlichkeitsauftrag für die Kunstinteressen
aller Staatsbürger, was Kritiker und Historiker der museal
"geadelten" Kunst mitreflektieren und in ihre axiologische
Perspektive einbeziehen müssen.
Das Museum plädiert einerseits für eine unparteiische
Öffentlichkeitsarbeit, beansprucht, auf der Seite der
antimanipulativen kritischen Intentionen des Kunstwerks zu
stehen und einen öffentlichen Meinungsaustausch auch
für ungeliebte Kunstformen stiften zu wollen. Andererseits
fehlt dem Museum der freie, distanzierte Blick, da die von
ihm zu pflegende innovative Gegenwartskunst sich zwangsläufig
in der Abhängigkeit vom Markt und seiner Tauschwertproduktion
gerade erst durchsetzt. Dieser Interessenskonflikt wird ohne
Mitbestimmung des Publikums kompromißhaft in den Museen
selbst ausgetragen. Sie sind diejenigen Institutionen, die
wesentlich mitentscheiden, was schließlich als anerkannte,
durchgesetzte, qualitätvolle Kunst in der Sphäre
des Konsums publik wird.
Der gegen Autonomieansprüche und einen neu zu festigenden
Status der Museen - als öffentlichen und nicht kommerziellen
Interessen zugewandte Institutionen - wirkende Druck der Verhältnisse
muß aber doch weiterhin nicht dazu verführen, ihm
blindlings nachzugeben.
Das Museum steht schlicht vor der Frage, wie es diesem hier
skizzierten Entwicklungsprozeß Rechnung trägt.
Paßt es sich nun total an und erzeugt einen zeitgemäßen
Museumstyp, in dem der Unterhaltungswert, der Sinnlichkeitswert,
der Unmittelbarkeitswert stark ausgebildet sind oder versagt
es sich kritisch und konservativ dieser neuen Entwicklung,
sich vor ihr zurückziehend, sich darauf konzentrierend,
ein Ort der Gelehrsamkeit, eine Oase der noch an Kunst historisch
und reflektorisch Interessierten zu sein. Wenn das der Fall
ist, dann veraltet das Museum.
Wir hätten künftig also zwei Museumstypen. Das klassische
Museum veraltet in dem Sinn, daß es immer mehr die Konservierung
von Geschichte übernimmt und daneben entsteht ein neuer
Museumstyp, der dem Unterhaltungswert, der Frage der Unmittelbarkeit,
der Ereignishaftigkeit der allgemeinen Kultur Rechnung trägt.
Die Beispiele dafür existieren ja längst; das Musée
d'Orsay und natürlich das Centre Pompidou, das schon
auf seinem Vorplatz spezifische Merkmale des neuen Museums
zeigt. Das Volksfest, überhaupt das Fest, den festlich
gehobenen Alltag, vom Feuerschlucker bis zum Trivialporträtisten.
Alles gehört in diesen Bereich und interessiert die Massen,
weshalb der Museumstyp des 21. Jahrhunderts dieses Moment
integrieren wird. Dazu gehört auch die Tatsache, daß
die Ausstellungsinszenierung immer gefragter, immer häufiger
wird und sie das Museum als Ausstellungsprinzip verdrängt.
Der Kulturtourismus und die Kulturgesellschaft sind auf Orte
der inszenierten Kultur fixiert, auf Ereignisse. Große
historische Ausstellungen trösten uns darüber hinweg,
daß wir die Welt nicht mehr begreifen. Sie trösten
uns durch Erleben und den Genuß der Inszenierung. Die
Gegenwart verschlingt und beschleunigt das Vergessen der Geschichte.
Man rückt mit dem Erlebnis den Augenblick, die Zeitvergessenheit,
vielleicht sogar die Ekstase in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Nicht die Geschichte des Objektes ist noch wichtig, sondern
wie sie durch Inszenierung erlebt werden kann.
Jeder Ort kann also zum Museum designiert und inszeniert werden.
Die gewohnten Museen werden wahrscheinlich im 21. Jahrhundert
zu Archiven des Vergessenen, zu Denkmälern, zu Oasen
der Bücherweisheit werden. Man kann in diesem Zusammenhang
auch vergröbernd von E- und U-Kultur oder von Doppeldeckerkultur
sprechen, mit einem Begriff, den Herbert Read vor vielen Jahrzehnten
vorausschauend geprägt hat. Er besagt einfach, daß
wir uns auf zwei Ebenen bewegen, der der E- und der der U-Kunst
und ich bin überzeugt, daß diese Entwicklung sich
in dem Maße verschärfen wird, wie der Erkenntniswert
der historischen Kunst zurücktritt und der Genuß-
und Konsumwert wichtiger werden. Mit dem Isolierungs- und
Schrumpfungsprozeß der E-Kunst geht das Veralten des
historisch gewachsenen, vorhandenen klassischen Museums einher.
Wir werden in Zukunft diese beiden Museumstypen gleichzeitig
haben, den Ort, an dem das Erbe und die Geschichte bewahrt
werden und jenen Ort, den man aufsucht, um zu flanieren, um
sich zu unterhalten, um zu spielen, um Spaß zu haben
an dieser Sache. Dort werden überschwengliche Bilder-
und Galeriestraßen entstehen, man wird stets neue Attraktionen
erwarten und den unkomplizierten, direkten Einstieg in die
Kunst haben wollen, es werden kulturell unspezialisierte Freizeit-Menschen
hineinströmen.
Niemand wird ernsthaft wegen der Rezeption kunstgeschichtlicher
Werke hingehen. Wichtig wird nur sein, am Prozeß eines
kollektiven ästhetischen Erlebens beteiligt zu sein,
das das früher von der Kunst ermöglichte auratische
Erlebnis des Einmaligen durchaus einschließen kann.
Diese Art von oberflächlich-sinnlicher Kollektivität,
die nicht gerade mitreißt, aber träge und daher
umso unausweichlicher alles in die beschriebene Richtung treibt,
ist es ja, die konträr gerichteten Forderungen Kraft
verleiht, im Sinne einer Notwendigkeit, in dieser im Fluß
befindlichen Gesellschaft abhängigkeitsfreie Inseln für
ein persönliches, subjektives Agieren zu schaffen, sie
zu verteidigen - selbst wenn die Ableitung einer Museumsautonomie
von der Künstlerautonomie her und eine Bestärkung
der Autonomie des Museumsbesuchers anachronistisch erscheinen
muß. Zugleich gerät man damit in die Nähe
von Privatheit, von Privatisierung öffentlicher Funktionen,
was wiederum Möglichkeiten und Gefährdungen mit
sich bringt.
Sicher. Autonomieforderungen sind eine Reaktion auf diesen
Auflösungsprozeß. Die geforderte Unabhängigkeit
und Selbständigkeit des Museums ist eine Antwort auf
die Krise und Auflösung des Verständnisses von (Kunst)geschichte.
Sie ist eine Reaktion auf das - jetzt negativ und anti-postmodern
betrachtet - bloße Konsumieren von Kunst, die zum Selbstbedienungsladen
einer neuen eklektizistischen und historistischen Mode wird.
Man erinnert sich, daß Kunst letztlich inkommensurabel,
nicht vergleichbar, also nicht unbedingt auf Kommunikation
aufgebaut ist und sie in erster Linie einen Erkenntniswert
oder auch nur einen Selbstausdruck darstellt, der quer zur
Gesellschaft und ihren Entwicklungen stehen kann.
Mit der Autonomie des Künstlers, des Museums, wird also
auch dieser Erkenntniswert oder Selbstausdruck der Kunst verteidigt
und vielleicht auch der sozialkritische Ort der künstlerischen
Arbeit schlechthin. Da aber ist der Widerspruch.
Moderne Gesellschaften entwickeln sich offensichtlich nicht
weiter über eine autonome Kunst und über den Erkenntniswert
von Kunst, sondern über die Auflösungserscheinungen
der Kunst. Das beste Beispiel ist, wie Kunst heute inszeniert
wird, und daß die Inszenierung von Kunstobjekten wichtiger
wird als die Objekte selbst. Von Harald Szeemann etwa und
gerade in Österreich von Holleins "Traum und Wirklichkeit"
bis hin zu Veranstaltungen von Paul Kruntorad oder André
Heller sind markante Beispiele dafür geliefert worden,
daß nicht die schlichte Autonomie der Kunst den Erfolg
macht, sondern gerade die Einbettung einzelner sich ausschließender
Artefakte in einen allgemeinen, sinnlichen, hochgradig inszenierten
Rezeptionszusammenhang. Die Auflösung von künstlerischer
Inkommensurabilität und Disfunktionalität und eine
Verschiebung hin zu neuen Arten des Funktionierens, bei denen
Kunst für Wirtschaft und Politik als Schmuck dienen kann,
als Medium für Public Relations, findet mittelbar auch
in den neuen Ausstellungsinszenierungen einen Ausdruck. Natürlich
kann ich widersprechen und sagen, das Argument von der Autonomie
der Kunst ist richtig und die Gesellschaft hat dafür
zu sorgen, daß der Erkenntniswert der Kunst ein öffentliches
Forum bekommt und daß unsere Museen nicht zur Spielwiese
der neuen Entwicklungen werden dürfen.
Zugleich kann ich aber diese neuen Entwicklungen nicht einfach
ignorieren. Ich muß mich nur entscheiden, was ich will.
Will ich den Massen entgegenkommen oder will ich das Erbe
und einen Reflexionsanspruch gegenüber der Kunst und
ihrer Geschichte bewahren. Will ich also geschichtliche Erfahrung
oder will ich unmittelbares Erleben und Erlebnishaftigkeit.
Dieser Antagonismus läßt sich offensichtlich auch
nicht einfach durch den Bau eines modernen Museums beseitigen.
Sie haben selbst den Benjaminschen Begriff des Flanierens
verwendet, der in meinen Augen sehr gut für das generell
- also Fremde und Einheimische betreffende - touristisch gewordene
Verhalten paßt. Eine "bürgerliche Öffentlichkeit"
im Sinn ursprünglicher Museumsintentionen hat da keinen
Platz mehr, selbst die Museumsvereine, in denen sie sich intensiver
personifiziert hat, ändern ihre Funktion, weg vom Bildungsanspruch,
hin zur Finanzierungsinstanz. Als "Öffentlichkeit"
bleibt die Medienresonanz übrig und vielleicht noch die
Besucherstatistik.
Das liegt alles auf der gleichen Linie. Natürlich sind
diese Entwicklungen dem ernsthaft an Kunst interessierten
Menschen, dem Künstler, dem Nachdenklichen unerträglich.
Der Intellektuelle wünscht ja nicht ein totales Aufgehen
in Konsumation, sondern er nimmt die Kunst ernst als Erkenntnismöglichkeit
und er nimmt sie auch als Differenz zur Gesellschaft ernst,
als eine andere Qualität. Aber er kann nichts ändern
an einer tendenziellen Entwicklung, die gegen ihn und trotz
seiner stattfindet. Unsere Gesellschaft ist antagonistisch
strukturiert und diese Antagonismen prägen ihr kulturelles
Verständnis. Wir stehen in Wahrheit nicht vor der Entscheidung
für das eine oder das andere, sondern müssen den
Antagonismus so nehmen wie er ist, als vorgegebene Entwicklung.
Ich sehe nicht, wo diese intellektuelle, nicht zuletzt ethische
und sozialkritische Position, um die es uns hier geht, vom
gesellschaftlichen Wandel und vermeintlichen Fortschritt ihre
Nahrung bekäme. Wir sprechen, wahrscheinlich mit dem
Rücken zur Wand, von Protesthaltungen und Bürgerinitiativen
und müssen selbst deren Veränderungen im Auge behalten.
In den 60er Jahren hatten wir medienkritische, inzwischen
seltsam veraltet anmutende Konzepte. Wir hatten allenfalls
noch die Hoffnung, daß Kunst und Leben, Kultur und Leben
sich versöhnen, die Hoffnung einer marxistischen Utopie
also, wo jeder nach seinen Fähigkeiten und seinen Möglichkeiten
Kunst machen kann oder Kunst erfahren kann.
Was aber ist eingetreten ? Kunst ist zwar total geworden,
aber in einem ganz anderen Sinn. Sie ist tendenziell ein Erlebnismedium
geworden, ein Unterhaltungsmedium und nicht ein Medium der
kritischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Wir werden
über Kultur vergesellschaftet, wir werden über Kultur
versinnlicht und kollektiviert. Und das ist eine Ablenkung
von den wirklichen Problemen. Nur funktioniert das alles so
gut, weil wir nicht tagtäglich die ganze Last der Komplexität
dieser Welt ertragen können. Wir verstehen sie nicht
mehr. Dennoch müssen wir aber irgendeine Form der kulturellen
Identität, der Aneignung gegenüber der Welt finden.
Da die Weltbilder der Religion und andere sinnstiftende Weltanschauungsbilder
obsolet geworden sind, sie nicht mehr universell in Geltung
sind, sondern durch szientifisches Einzelwissen, durch spezialistische
Forschungsergebnisse, die sich unserer Einsicht entziehen,
ersetzt wurden, muß eben das eigene Subjekt für
sich allein und auf häufig abenteuerliche Weise (wie
im Prinzip auch der Künstler) diese Aneignung leisten.
Das schafft es nur über die inszenierte Kultur, also
über weniger komplexe, einfachere Erlebnisformen.
Das diesem Erlebnisdefizit dienende, fast schon permanente
Fest mit seinen Inszenierungen, die zunehmend weite Stadträume
erfassen, hat doch etwas von 3-D Fernsehen, von räumlichem
Fernsehen an sich, im Sinne vorbeiflutender Bilder. Haben
museumsähnliche Einrichtungen also tatsächlich kaum
Chancen, dem Einzelnen mehr zu bieten, Intensiveres zu bieten
als das Medium "Fern"-Sehen ?
Von der Tendenz her nicht. Sicherlich könnten sie mehr
bieten. Ob es angenommen wird oder "rüberkommt",
ist die entscheidende Frage. Das Museum kann nur auf Bedürfnisse
antworten und die primär von den Massenmedien erzeugten
und befriedigten Bedürfnisse der Subjekte sind tendenziell
antimuseal, antihistorisch, kunstfeindlich. Die Medien, in
denen wir täglich waten und leben, vernichten Geschichte
und alle Instanzen, die heute noch für ein Gedächtnis
in bezug auf Geschichte plädieren.
Viele Künstler arbeiten gegen die Massenkultur, auch
wenn sie sich ihrer fortschrittlichen technologischen Mittel
bedienen. Um einen positiven Bezug zum Museum zu bekommen,
kann ich nur die Position des Einzelnen, des Intellektuellen,
des Künstlers, des Kunsthistorikers, letztlich eines
Saboteurs einnehmen, der sich der Egalisierung durch die Medienkultur
entzieht, also eine jener Positionen, die langsam verkümmern
und ausfallen. Was für das klassische Museum zynischerweise
übrig bleibt, ist die Verwaltung des Erbes. Man geht
in ein Archiv, in eine Oase, um irgendwelche Dinge zu erforschen,
zu erfahren. Ein solches Museum aber kann weder einen Anziehungspunkt,
noch einen kritischen Anknüpfungspunkt für den kulturellen
Massenmenschen von heute darstellen.
Das ist das Problem. Sonst gäbe es ja nicht den neuen
Museumstyp, der sich schrittweise neben den traditionellen
Bildungsanstalten bürgerlicher Herkunft etabliert.
In den für diese Publikation geführten Gesprächen
sind Vorstellungen konkretisiert worden, die auf ein Museum
mit völlig offenen Strukturen abzielen, mit einer Trennung
von - gegebenenfalls begehbaren - Depots und großzügigen
Ausstellungsmöglichkeiten. Walter Pichler spricht vom
Museum als Baustelle, für den Messepalast werden Überlegungen
angestellt, an ihm jahrzehntelang weiterzubauen, im Sinne
einer schrittweise neu zu besiedelnden Piranesi-Ruinenlandschaft.
Peter Weibel fordert technologisch bestens ausgestattete Aufführungsorte
und ein Museum des Immateriellen. Raimund Abraham will ein
etymologisches Neuüberdenken mit der Studierkammer als
Wurzel. So unterschiedlich die Ansätze auch sein mögen,
sie zielen auf das Wiedererlangen einer verlorenen Intensität
ab.
Es sind dies Gegenpositionen, soferne sie auf die Bedeutung
des Museums als Ort der Reflexion, als Ort der Erfahrung und
des Wissens, aber auch der experimentellen Arbeit der zeitgenössischen
Kunst mit der Vergangenheit abzielen. Inwieweit nicht auch
dabei einer postmodern inszenierten Kultur Vorschub geleistet
wird, wäre zu prüfen. Peter Weibel z. B. ist ein
radikaler Anhänger der antimimetischen Techno-Transformation
der Welt. Vielleicht finden sich auch Wege, den Auftrag des
Museums von der Rekonstruktion der Geschichte auf die Konstruktion
der Zukunft zu erweitern. Gegen die klassischen Aufgaben und
Definitionen des Museums zu arbeiten, wird jedenfalls sehr
schwer sein. Wir haben ja nur wenig wirkliche Neuplanungsmöglichkeiten.
Im wesentlichen geht es um die alten Museen.und ihre Veränderung.
Das Kunsthistorische Museum steht völlig im Gegensatz
zum Erlebnismuseums des 21. Jahrhunderts. Aber man kann sicher
beides nebeneinander entwickeln. Eine klassische Moderne aus
19. und 20. Jahrhundert etwa ließe sich so organisieren,
daß man zu diesem offenen Prinzip kommt, zu diesem Bauplatz.
Es ist nur die Frage, wie man diesen Bauplatz interpretiert,
entweder ganz im Sinne einer inszenierten Bühne mit Gesamtkunstwerkcharakter
oder ganz nüchtern, wissenschaftlich. Die verschiedenen
Formen der Geschichte können ja zu ihrer Aneignung entweder
rein sachlich und sozial erfahrbar inventarisiert, oder in
opernhaft erlebbarer Intensität inszeniert werden.
In diesem Spannungsverhältnis steht Museums- und Ausstellungsarbeit
aber doch in Permanenz. Selbst gegen die extreme Nichtinszenierung
läßt sich der Vorwurf der "puren" Show
erheben; die Herausforderung ist vielleicht, wie jeweils Authentizität
gegen oder für Berührung, Ergriffenheit, wirksam
wird.
Otto Wagner z. B. hat sich in seinem Projekt für das
Stadtmuseum am Karlsplatz deswegen zum Zeitgeist quergestellt,
weil er ein ganz sachliches Museum, einen Ausstellungspeicher
haben wollte. Ähnlich ist es ihm mit seinem Projekt für
das Technische Museum ergangen, das er dokumentarisch, nur
auf Geschichtsdaten ausgerichtet, konzipiert hat, mit Räumen,
die sich dem Gezeigten und der zugehörigen Zeit in keiner
Weise anpassen sollten. Die Zeit war aber dagegen, beide Vorhaben
sind bekanntlich nicht realisiert worden und zwar deswegen,
weil sie nicht der damaligen Tendenz, Räume so zu inszenieren,
daß sie zu den Exponaten stilistisch paßten, Rechnung
trugen. In den kunsthistorischen Instituten ist man auf diese
Denkweise eingeschworen gewesen, auch das Kunsthistorische
Museum. In der ägyptischen Abteilung sind originale ägyptische
Säulen in die Räume eingebaut worden, sodaß
Architektur und Exponate zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen,
zu einem Stimmungsraum, in dem ein nachempfundenes ägyptisches
"Environment" hergestellt wird.
Das weist bereits in Richtung unserer Gegenwart mit ihrem
merkwürdigen Anspruch, ein Kunstwerk nicht schlicht auszustellen,
sondern es in einen inszenierten ästhetischen Raum zu
betten, der zu ihm paßt. Eine positivistische, aufklärerische
Position, die sich den Ablenkungsformen der inszenierten Kultur
verweigert, ist heute fast nicht mehr die aktuelle. Sie hat
es sehr schwer, sich gegen eine Einstellung zu verteidigen,
die davon ausgeht, daß der Besucher eigentlich nichts
weiß, daß er im Grunde ein ästhetischer Analphabet
ist und man ihm daher eine gewisse Einstimmung vermitteln
muß, um ihn wenigstens gefühlsmäßig
anzusprechen.
Warum ist denn seit sechs, sieben Jahren die Museumspädagogik
out ? Sie hat doch den klassischen Museumsbegriff verteidigt,
sie ist davon ausgegangen, daß Kunst Erkenntniswert
hat, man also historisch kommentieren, vermitteln, zur Reflexion
führen muß. Museumspädagogik ist schlicht
deswegen nicht mehr so gefragt, weil der Erlebniswert heute
weit höher geschätzt wird, als der "biedere"
Erkenntniswert und Bildungswert der Kunst. Verschiedene Kräfte
wehren sich dagegen, die meisten aber, die Simulations-Fanatiker
der Postmoderne propagieren die neue Entwicklung. Es gibt
viele, die den "kulturellen Fortschritt" begrüßen
und nun alles diesem kulturellen Wandel anpassen wollen, sei
es mit einer Kunst, die über modernste Technologien verfügen
muß, sei es mit "Museen", die natürlich
ebenfalls modernste Technologien und Zerstreuungsqualitäten
haben müssen. Das alles läßt sich durchaus
an der momentanen gesellschaftlichen Entwicklung zum Kulturboom
ablesen.
Ich würde vom Prinzip her auch sagen, daß wir an
beidem festhalten müssen: an der Reflexionsbasis, am
Erbeund an der fortschrittlichen Weiterarbeit für die
Zukunft, am Bauplatz. Ob man das in einem einzigen Museum
zusammenbringt, halte ich für fraglich. Man müßte
es erst einmal bauen. In Wirklichkeit haben wir ja zwei Sphären.
Die alte Kunst kommt in die alten Museen, die neue Kunst kommt
in die postmodernen Museen. Ein neues Museum aber müßte
man doch grundsätzlich für Jahrhunderte bauen. Die
Vorstellung von der Baustelle ergäbe nur einen Sinn,
wenn sie für alte und neue Kunst installiert wird. Ein
Abkoppeln würde erneut den Irrtum bekräftigen, daß
Geschichte nicht zu einem Erkenntniswert für die Gestaltung
der Zukunft beitragen muß. Auf so einem permanenten
Bauplatz müßte daher vehement gegen die enthistorisierenden
und antihistorischen Tendenzen in der modernen Erlebniskultur
gearbeitet werden. Nicht die Geschichte, die moderne Erlebniskultur
ist das Problem. Das Museum muß sich ihm stellen, dürfte
sich dieser Art von Kultur aber nicht andienern. Es muß
immer noch dem Subjekt eine Chance lassen, zu dieser Erlebniskultur
kritisch zu stehen.
Die Frage ist nur, wie macht man das ? Denn hinter der Erlebniskultur
steht natürlich eine totalitäre industrialisierte
Kultur, der ganze Komplex, den man Kultur- und Bewußtseinsindustrie
nennt. Ihrer Gewalt steht das Museum gegenüber. Es soll
nicht resignieren, aber es kann immer nur in der Position
des kritisch Reagierenden sein.
Aus dieser Art von Aufklärungsarbeit werden Museen sozusagen
systematisch herausgehalten. Das neue Museum für industrielle
Arbeitswelt in Steyr ist ein Ansatz in dieser Richtung. Kräftige
öffentliche Institutionen aber, die sich offensiv, analysierend,
fragend, aufzeigend mit der Computergesellschaft, mit der
Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, mit Energiefragen,
mit der Umweltzerstörung oder mit Fragen der Dritten
Welt befassen, konnten trotz aller Liberalität nicht
entstehen. Immerhin hat es in Wien einmal Otto Neuraths berühmtes
Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum gegeben.
Für eine Weltausstellung, wie sie möglicherweise
1995 in Wien und Budapest stattfinden wird, lassen sich klarerweise
viel unbekümmerter die Mittel aufbringen. Das nur als
Hintergrund zum - durchaus erklärlichen - Faktum, daß
offensichtlich heute Konservative das moderne, lebenslustige
Museum wollen, während Progressive, so schwammig diese
Bezeichnungen auch sein mögen, vielfach zu Verteidigern
des Konservativen geworden sind.
Die Dialektik von Begriffen wie progressiv und konservativ
ist eben eine komplizierte. Natürlich muß das Progressive
oft zum Konservativen werden. Nehmen wir uns aber, um dabei
zu bleiben, das Stichwort "Weltausstellung" her.
Es ist paradox und selbstmörderisch, daß sich gerade
Wien beworben hat, eine für ein solches Vorhaben ungeeignete,
von ihrer gesamten Kulturpräsentation her so (kunst)geschichtsbewußte
Stadt, die eigentlich selbst ein Museum, auf die Bewahrung
des Erbes ausgerichtet ist. Wenn ich den nicht unproblematischen
Begriff "Weltausstellung" richtig verstehe, soll
es dabei doch um die Präsentation von ganz modernen Errungenschaften
gehen, um den neuesten Stand des Fortschritts; in Wahrheit
also um Fragen, wo die Gesellschaft heute steht, um Unterschiede
zwischen Gesellschaften, um den bedenklichen Fortschritt der
Zivilisation heute. Idealerweise sollten die neuesten (Fehl)entwicklungen
auf allen Gebieten gezeigt werden, inklusive der postmodernen
wie technologiegläubigen Gegenwartskunst.
Der Kontrast, den das historische Wien dazu zu bieten hat,
ist natürlich interessant. Ich frage mich nur, inwieweit
diese Stadt dafür gerüstet ist und ob sie sich damit
nicht einer problematischen Anpassung und Entwicklung aussetzt,
die sie eigentlich nicht wollen sollte. Sicher sind es wirtschaftliche
Motive, die dahinter stehen, nicht eine weitsichtige Kulturpolitik.
Man glaubt, die Stadt für eine Anbindung an die EG attraktiv
zu machen, für die Welt des Fortschrittes und der Prosperität
überhaupt. Der Minderwertigkeitskomplex durch die neutralitätsbedingte
Randsituation hat ja immer wieder zu einer Politik unrealistischer
Großprojekte geführt. Das ist alles irgendwie verständlich,
nur frage ich mich, ob nicht eine andere, ganz künstliche,
synthetische Stadt mit wenig Tradition und ohne (kunst)geschichtlichen
Hintergrund dem Fortschrittdogmatismus einer solchen Weltausstellung
viel besser entsprechen könnte, eine Art Brasilia in
Europa. Man muß doch auch das zerstörerische Moment
sehen, die Eingriffe in die musealen Qualitäten der Stadt
Wien, für die das Ruinieren des Heldenplatzes durch bunkerartige
Autobuszufahrten in die neue Tiefgarage bloß der Anfang
eines hybriden "Kulturshopping" sein dürfte.
Das führt mich zum Thema "Reform von oben",
"Reform von unten". Im Zusammenhang damit sind Hoffnungen
in eine Zentralisierung der Kompetenzen gesetzt worden, in
einen Umbau der Ministerienstruktur. Zugleich kursieren Ideen
über einen Museumsverbund. Die in dieser Publikation
versammelten Stimmen setzen viel eher auf Dezentralisierung,
auf eine Vielfalt möglichst autonomer Kultureinrichtungen,
von den Galerien bis hin zu den Museen und zu neuen Institutionen
und auf strukturelle Impulse in dieser Richtung. Wie ist Ihre
Argumentation zu solchen grundsätzlichen Fragestellungen
?
Wir können nicht warten, bis Reformen von oben irgendwann
eintreffen. Solange von unten keine Impulse geliefert werden,
passiert auch oben nichts. Aber natürlich müßte
beides Hand in Hand gehen. Man kann über Reformen, über
eine Modernisierung, über eine Rationalisierung nicht
per Plebiszit entscheiden. Dazu braucht es die wissenschaftliche
und technische Intelligenz, das organisatorische Instrumentarium.
Die Forderung von Reformen muß von unten kommen und
dann muß oben prompt reagiert werden - oder man wählt
die Oberen ab. Wir leben in einer politischen Demokratie und
ihre Regeln müssen die Richtung des Weges bestimmen.
Anders geht es gar nicht. Alles, was heute in einer veränderten
Museumslandschaft an Positivem passiert, ist weniger oder
gar nicht ein Verdienst bestimmter Museumsdirektoren, sondern
das Verdienst einer gewissen Öffentlichkeit, die dazu
animiert worden ist. Die Intentionen sind publizistisch angetragen
worden und nur auf diesem Weg lassen sich bestimmte Veränderungen
provozieren.
Auf politischer Ebene muß sich gleichzeitig die Einsicht
entwickeln, daß bestimmte Willenskundgebungen darüber,
wie ein Museum und die Museumslandschaft aussehen sollen,
eine Tatsache sind. Dazu muß man in ein Gespräch
über die Zukunft des Kunstmuseums eintreten, das ja nicht
irgendwelchen Spezialisten und Gelehrten gehört, sondern
für alle Menschen da sein muß. Da aber hinter diesen
Menschen überall die einflußreiche Medienkultur
steht, die das Museum zum Unterhaltungshaus machen will, muß
mit diesem Faktum kulturpolitisch gerechnet werden. Das geht
nur über kritische Eingrenzungen des Zeitgeistes.
Es muß ein grundsätzlicher, ein dialektischer Prozeß
zwischen der Geschichtsbewahrung und der Aneignung von Gegenwarts-
und Zukunftsaspekten eingeleitet werden. Vor allem für
den Museumsbesucher und erst in zweiter Linie für den
pro domo orientierten Künstler. Der Besucher muß
die Reibungsfläche haben zwischen Geschichtsbetrachtung
und Unterhaltungswert. Er darf also nicht grundsätzlich
glauben, daß es richtig sei, beim guten Alten anzufangen,
statt beim schlechten Neuen, um ein Brecht-Zitat aufzunehmen.
Beides soll ihm gleich zugänglich sein. Er muß
ja die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleichen können.
Die Vergangenheit dient ihm ja zur Bewältigung der Gegenwart.
Das Museum steht, wie ich schon betont habe, genau im Schnittpunkt
beider Interessen, im Schnittpunkt von Fortschritt und Bewahrung
des Erbes, im Schnittpunkt von Erfahrung und unmittelbarer
Gegenwart.
Peter Noever hat meiner Einschätzung nach für das
Österreichische Museum für angewandte Kunst die
Zeichen der Zeit verstanden; seine publikumswirksamen (über
Kritik nicht erhabenen) Ausstellungsinszenierungen, die auf
dem Ring signalsierenden Maste und Fahnen demonstrieren, daß
hier ein Festhaus der neuen Kulturgesellschaft im Entstehen
ist. Warum sollte es nicht auch solche Festhäuser im
ganzen Land geben, mit aktiven musealen Einrichtungen in den
ungenutzten Schlössern zum Beispiel ?
Ein gewisses Maß an Zentralisierung in der Museumsstruktur,
im Messepalast vor allem, halte ich allerdings für einen
nicht nur dem Kulturtourismus, sondern einem rationalen (auch
Zeit und Geld sparenden) Kulturverständnis entgegenkommenden
Schritt. Plausibel wäre auch, in diesem Sinn Sammlungen
umzusortieren, um prägnantere, sachlich zusammengehörige
Schwerpunkte zu bekommen, und natürlich ist eine Rationalisierung
bei den Werkstätten, bei der Restaurierung, bei den Betriebsabläufen
ein wichtiger Punkt.
Wesentlich wäre auch eine Diskussion über zu verändernde
Rollenbilder des Kunsthistorikers in Richtung Interdisziplinarität,
Kooperation mit anderen Sparten, Akzeptierung von kunstwissenschaftlich
Fachfremden im Museum. Daß die sich ständisch verstehende
Kunsthistorikerzunft Managementaufgaben und Ausstellungsinszenierungen
nicht aus der Hand geben will und hier bereits erste negative
Erfahrungen gemacht hat, ist schlicht ein Hinweis auf unreflektierte
Herrschaftsansprüche, die ohnedies bald von der Entwicklung
zu mehr interdisziplinären Formen in der Kultur- und
Kunstarbeit überrollt sein werden.
Der entscheidende Punkt wird aber sein, inwieweit die Wiener
Fixierung auf Oper und Schauspiel durch einen neuen Schwerpunkt
"Bildende Kunst" austariert werden kann, um nicht
gegenüber der internationalen Entwicklung zur pluralistisch
inszenierten Kunstmetropole ins Hintertreffen zu geraten.
Ein solcher diskussionsorientierter Reformprozeß ist
ja in einigen Ansätzen durchaus in Gang. Interessant
ist aber, daß sich - vielleicht wegen der bisherigen
Aussparung wichtiger inhaltlicher Grundsatzfragen - der Glaube
an ein "Museumskonzept" in Grenzen hält, ob
es nun eher zentral oder dezentral entwickelt würde.
Es ist ja auch nie eine kühle, gemeinnützige Rationalität
allein die treibende Kraft bei solchen Vorhaben.
Wie also könnte in einer Gesellschaft wie dieser ein
nicht unsignifikanter, aber keineswegs zentrale Machtfragen
berührender Bereich wie die Museen sinnvoll reformiert
werden ? Umgekehrt formuliert, wenn eine überschaubare
Gesellschaft wie die österreichische nicht einmal ihre
Museen reformieren kann, worauf könnte sich ein reformatorischer
Glaube dann noch stützen ?
Die Situation in Österreich hat viel mit ihrem Cultural
Lag zu tun, mit dem Zurückbleiben hinter den Entwicklungen
in anderen Ländern. Hier braucht man für alles etwas
länger, es wird abgelegt, wieder besprochen, erneut zurückgelegt,
usw. Darin liegt allerdings auch eine Chance, man kann die
anderswo während eines rascheren Wandels gemachten Fehler
vermeiden. Allerdings bin ich überzeugt, daß die
postmoderne Kulturgesellschaft leider keine bloße Mode,
sondern ein so universales, weil an Massenmedien und eine
neue kollektive Bedürfnisstruktur gebundenes Phänomen
ist, daß Österreich gar nicht draußen bleiben
kann. Den modernen, überregionalen Technologien des ausgehenden
20. und beginnenden 21. Jahrhunderts kann sich Österreich
nicht verschließen. Es wird eine Verzögerung geben
durch die gewichtigen konservativen Kräfte, sie werden
aber nichts aufhalten können. Sie haben ja auch ein sehr
problematisches Geschichtsverständnis, kein lebendiges
Geschichtsverständnis, das unmittelbar als Lernstoff
für die Gegenwart genommen wird, sondern Geschichte wird
um der Geschichte willen ästhetisch betrachtet.
Das drückt sich dann eben in dem hier grassierenden Schwelgen
in traditionellen Kunstformen aus, das völlig von der
Gegenwart abgeschnitten ist. Die österreichische Situation
ist weitgehend davon geprägt; die sie tragenden Generationen
werden allerdings bald aussterben und das dürfte überall
raschere Veränderungen nach sich ziehen. Der Sog entsteht
allein schon aus der angelaufenen Anpassung an die EG, in
der Technologie, in den Publizistik- und Wirtschaftsstrukturen,
in der Landesverteidigung, obwohl das soviele Nachteile bringt.und
die Doppelschlächtigkeit jeder Anpassung und Modernisierung
an internationale Standards zeigt.
Kulturpolitische Konsequenzen solcher Entwicklungen sind,
abgesehen von der ohnedies weit fortgeschrittenen Einbindung
in den internationalen musikindustriellen Komplex und in die
globalen Fernseh-Mechanismen, bisher nicht gerade ein heiß
diskutiertes Thema. Es dürfte fast so etwas wie einen
politischen Konsens darüber geben, daß Kulturpolitik
- zumindest scheinbar vieles sich selbst überlassend
- inhaltlich sehr zurückhaltend sein muß, andererseits
kann sie in Wechselwirkung damit kaum die Kraft entwickeln,
wirklich Strukturen zu ändern. Zugleich brechen, meist
in Form grotesker Stellvertreterkriege, periodische Kulturkämpfe
aus, deren Niveaulosigkeit die interessanteren Stimmen sprachlos
macht. Wie grenzen Sie Kulturpolitik, als Instrumentarium,
eigentlich ein ?
Kulturpolitik, wie ich sie verstehe, ist etwas, das im Bereich
der Ideologie, des Überbaus stattfindet, das auch von
jedem Kunstarbeiter transportiert wird, selbstverständlich
auch von jedem Publizisten, jedem Kunstkritiker. Kulturpolitik
zeigt sich nicht nur eingeschränkt auf professionelle
Versprechungen und Strategien zuständiger Politiker,
sondern in jeder einzelnen Entscheidung für und gegen
ein Kunstwerk, in jeder Entscheidung, dies zu bauen und nicht
jenes, in jeder Entscheidung für diesen oder jenen Bauplatz.
Kulturpolitik ist als ein Begleitmoment der Ideologie aus
der Kunst- und Kulturentwicklung überhaupt nicht wegzudenken.
Wesentlich ist natürlich, welche Kräfte diesen Begriff
von Kulturpolitik füllen: linke, rechte, schwarze, rote,
wie immer man sie pauschal bezeichnen will.
Daraus entstehen labile Kraftfelder, in denen sich Entwicklungen
und Meinungen in sehr kurzer Zeit ändern können,
wobei klar ist, daß Politikern nur etwas imponieren
kann, wo massiver Druck dahinter steht. Wie sollte denn eine
von manchen Künstlern gewünschte "Selbstentwicklung"
der Kultur unter Verleugnung, unter Ausblendung von Kulturpolitik
vor sich gehen ? So etwas wäre ein Konstrukt, das bloß
verschleiert, wiederum kulturpolitischen Verbergungsinteressen
dient. Nichts ist ideologiefrei. Kultur und Politik bilden
einen Kontext, häufig genug einen Verschwörungszusammenhang
und neuerdings werden die in politischer Hinsicht sich entziehenden,
enttäuschten Massen bevorzugt über kulturelle Inhalte
bearbeitet und integriert. Ich kann nur analysieren, welche
Kräfte, welche politischen Trends in der jeweiligen Kulturszene
da sind und dafür kämpfen, daß die richtigen
sich durchsetzen.
Dies könnte die Arbeit eines Kulturministers sein, wie
er, zumindest als starke, verteidigende Stimme in der Regierung
manchen als wünschenswert erscheint.
Führerschaft ist immer schlecht, wenn die betreffende
oberste Entscheidungsinstanz nur persönlich suggestiv
wirkt, aber sachlich nicht kompetent ist. Ist letzteres aber
gegeben, kann das für Entwicklungen sehr entscheidend
sein. Wenn ein Bürgermeister Lueger sich stärker
für Otto Wagner eingesetzt hätte, dann wäre
Wagners Stadtmuseum vielleicht verwirklicht worden. Und wenn
sich der jetzige Bürgermeister, Helmut Zilk, nicht für
Hrdlickas Denkmal exponiert hätte, wäre es auch
anders gekommen. Politisch suggestive, einsam entscheidende
Führerpersönlichkeiten jedenfalls halte ich für
entbehrlich. Es muß vielmehr darum gehen, die Politik
in sachliche Gremien hineinzutragen, ernsthaft zu diskutieren
und weiter am Feedback zwischen Produzenten und Rezipienten
der Kulturpolitik zu arbeiten.
Sie haben eingangs von einer Doppeldecker-Kultur gesprochen.
Wien hat eine solche auch bezüglich der zwei politischen
Ebenen, die der Stadt, kulturell vertreten durch Ursula Pasterk,
und die der Republik, vertreten durch mehrere, mit kulturellen
Kompetenzen ausgestatteten Ministerien. Mit Ausstellungen
bemerkbarer als alle Bundesmuseen macht sich zweifellos die
Stadt, die selbst nur ein großes Museum, das Historische
Museum der Stadt Wien unterhält. Ansonsten gibt es eine
Reihe von Mischfinanzierungen; welche Gemeinsamkeiten beim
Messepalast-Projekt möglich sein könnten, dürfte
noch nicht geklärt sein.
Natürlich gibt es da Unverträglichkeiten und Dissonanzen.
Das halte ich für gut. Was mir an der Politik der Stadt
Wien gefällt, ist, daß sie sich doch hin und wieder
der Projekte annimmt, die, wenn auch nicht ultra-avantgardistisch,
aber gesellschaftlich wichtig, von öffentlichem Interesse
sind, und um die sich der freie Kunstmarkt wenig kümmert
oder nicht kümmern kann. Ich sehe da durchaus ein Interesse,
angesichts der Einseitigkeit der Kultur- und Medienindustrie
zu intervenieren, die aus der bürgerlichen Gesellschaft
geerbte Öffentlichkeitsfunktion der Kunst ernst zu nehmen,
zum Teil noch im alten, erkenntnisorientierten Sinn, zum Teil
schon verwachsen mit den postmodernen Vorstellungen von einer
inszenierten Kultur, mit E-Kunst und starken U-Kunst-Elementen,
im Sinne einer durchaus signifikanten "Wiener Mischung",
die Falco, Heller und Walzerseligkeit einschließt. Für
mich ist gerade noch eine erfreuliche Orientierung an einer
plebejischen Öffentlichkeit erkennbar, stark vermischt
natürlich mit künstlerlisch rückwärtsorientiertem
Kleinbürgerbewußtsein, aber trotzdem werden noch
Reste einer Solidargemeinschaft mit weltanschaulich-humanistischen
Vorzeichen erkennbar und Reste eines gesellschaftlichen Gewissens
für die in jedem Menschen schlummernde Kreativität.
Die österreichischen Parteien, nicht nur die SPÖ,
haben inzwischen wie alle modernen Parteien allerdings schnell
erkannt, daß sich ihre Politik am besten über Kultur
verkaufen läßt, weil sie - angesichts der nicht
bewältigbaren Komplexität ringsum - der beste Kommunikationsträger
ist. Sie setzen alle, wie schon besprochen, auf die Reduktion
von Komplexität, auf den Unterhaltungswert, auf das Erlebnis.
Dieser Umstand macht es schwer, Kulturpolitik überhaupt
noch vom Opportunismus zu trennen.
Daß Sie der Kunst anscheinend fast generell ein Mittun
an dieser Reduktion von Komplexität unterstellen, verwundert
mich allerdings. Ich sehe da durchaus entschiedene Gegenbewegungen.
Einverstanden, künstlerische Entwicklungen sind nicht
auf "die" Kunst generalisierbar. Viele Kunstarbeiter
verteidigen natürlich auch Komplexität gegen solche
Egalisierungstendenzen; nur sind das keineswegs alle. Selbst
schwierige Kunst und schwierige Themen werden inzwischen nicht
weniger gern inszeniert und genußfähig aufbereitet,
ob das nun von einem Harald Szeemann oder durch neue Ausstellungsmacher
wie Markus Brüderlin bei seiner "In Situ"-Ausstellung
in der Secession oder durch Paul Kruntorad und Hans Hoffer
beim extreme Einfühlung fordernden Thema des "größeren",
hauptsächlich von Exilanten geprägten Österreich
in der A. E. I. O. U.-Ausstellung so intendiert worden ist.
Die typischste Ausstellung in dieser Richtung ist sicher "Traum
und Wirklichkeit" von Hans Hollein gewesen. Was habe
ich denn von dieser ganzen Kulturwende verstanden, wenn ich
mich schon von den großen, außen angebrachten
Attrappen so "anmachen" lasse ? Ich gehe über
die festliche Schwelle des Museums und bin in einer anderen
Welt, in einem multimedialen Raum- oder Gesamtkunstwerk. Das
wird als Ersatz angeboten für den Nachvollzug der mühevollen
Erfahrung mit schwierigen Kunstwerken, und als weiteren Ersatz
für Geschichtsaneignung kann ich mich vom aufgebahrten
Gewand des ermordeten Thronfolgers beeindrucken lassen. Man
kommt herein, glaubt zu verstehen und versteht natürlich
überhaupt nichts. Nur, wer wagt heute schon, dem punktuellen
Ausstellungsbesucher zu verstehen zu geben, daß er überhaupt
nichts versteht und zuerst einmal wenigstens den zwei Kilo
schweren Katalog lesen müßte ? In den üblichen
zwei Stunden will der genießende Betrachter einfach
den auratischen Wert der Ausstellung haben, er will verzaubert
werden und deswegen werden diese musealen Inszenierungen produziert.
Sie haben natürlich vollkommen recht, wenn Sie betonen,
daß viele Künstler dennoch auf Komplexität
pochen und sich diesen Mechanismen der effektiven Kultur-
und Kunstpräsentation entziehen, nur ist in der Regel
der Preis dafür, daß sie nicht wirklich konsumierbar
werden, daß ihre Werke hermetische "Kammermusikkunst"
bleiben, die ganz kleinen Zielgruppen zumutbar ist. Es gibt
immer beides, den Künstler, der auf Komplexität
besteht und zugleich den Trend der kulturellen Gesamtentwicklung
mit der Reduktion von künstlerischer und historischer
Komplexität. Es gibt Künstler und Intellektuelle,
die sich gegen diese Zwänge wehren und an "veralteten"
erkenntniskritischen Motiven festhalten, die gesamtkulturell
gesehen nicht mehr zählen, und es gibt Künstler,
die bedenkenlos in den allgemeinen Trend einsteigen. Sie sagen
dann, wie ein gutmeinender André Heller, nur weil er
nicht ausreichend nachgedacht hat, ich will das noch als Utopie
von Kunst und Leben verkaufen, als Versöhnung von beidem.
Da ist aber realiter weit und breit keine Versöhnung.
Die rigid vergesellschaftende Kultur subsumiert ja alles unter
die verdinglichte Form des Erlebens.
Wir kommen aber auch mit den Argumenten der 60er Jahre nicht
weiter, die im Sinne von Horkheimer, Adorno, Enzensberger,
Marcuse Kritik an der Bewußtseinsindustrie übten.
Diese Kritik trägt heute nicht mehr. Sie ist auch unter
Up to date-Intellektuellen längst überlappt worden
durch die französische Modephilosophie, die im Homo ludens
die Verkörperung des Zeitgeistes sieht, also im spielerischen
Menschen, der zwischen Realität und Fiktivem nicht mehr
unterscheidet. Dieser Spielcharakter wird ja zunehmend zur
Grundlage kultureller wie künstlerischer Inszenierungen
und damit die Verwischung der Grenzen von Objekt und Subjekt,
von Kunstwerk und seinem Benutzer. Als weitere Entgrenzung
kommt das szenisch hervorragend geeignete Musikelement hinzu.
Musik entgegenständlicht, nimmt Konturen weg, kann ein
diffuses Klima schaffen, in dem plötzlich alles eins
ist. In der massenspezifischen Videokultur, in der Jugendkultur
läßt sich das alles genauso ablesen. Viele ehrgeizige
Künstler sind da voll eingestiegen, sie arbeiten mit
dem Lustcharakter von "flippernden" Computern und
bringen sich subjektiv ein. Denn in einer Welt, die so komplex
ist, kann ich darauf verzichten, die Wahrheit und nichts als
die Wahrheit zu erkennen.
Ich kann mich allenfalls retten über ästhetisches
Verhalten. Ich kann mich nur retten über meine Subjektivität.
Damit begünstigt die Entlastungsfunktion der Kultur natürlich
die Oberfläche, das Ästhetische, den rein sinnlichen
Eindruck. Ich gehe weg von der Sinnsuche, von der Wahrheitsfrage
hin zur Sinnentlastung, zu ästhetischem Verhalten, zur
faszinierenden Oberfläche. Das ist heute unsere Situation.
Was ist denn Neo-Geo -Kunst? Sie ist raffiniert, indem sie
unsere Netzhautseeligkeit steigert, wie die Arbeiten von Rockenschaub,
Caramelle und Obholzer nahelegen. Da ist nichts Tiefes, da
ist kein "Sinn" dahinter. Diesen Ballast will man
auch nicht. Man will davon entlastet sein und gerät in
die Nachbarschaft der postmodernen Decorator-Kunst.
Um aber beim Begriff Durchleuchten einzuhaken; ich traue
mich zu behaupten, daß niemand in diesem Land einen
hinreichend strukturierten Überblick über die Staatsausgaben
für Kunst und Kultur verfügbar hat, trotz der vielen
Einzelberichte und der ausgewiesenen Budgetposten. Es hält
sich auch das öffentliche Interesse daran in Grenzen;
wer versucht schon, Chancen auf strukturell mögliche
Veränderungen bewußt zu machen, sich darüber
einer Diskussion zu stellen ? Offenbar ist das Spiel mit kleinen
Skandalen und den großen Grauzonen allen Beteiligten
- uns eingeschlossen - plausibler.
Zwischen Experten und Öffentlichkeit besteht ein gestörtes
Verhältnis. Erschwerend kommt das Problem der Kulturgesellschaft
hinzu, daß sie das Niveau der Experten nicht erreicht,
weder machtpolitisch noch in der Sache.
Daraus resultiert dann die Standardforderung an die Experten,
vereinfacht eure Konzepte soweit, daß wir sie verstehen
können, denn dann ließe sich darüber öffentlich
diskutieren. Das funktioniert aber nicht, daher herrschen
die Fachleute, und die wichtigen Informationen erreichen nie
jene, die am Kulturprozeß maßgeblich an der Basis
beteiligt sind. Das System, daß Kritik immer hinterherhinkt,
gehört dazu. Es gehört auch die Behauptung dazu,
daß die Nichtinformierten an den Organisationsprozessen
nicht teilnehmen könnten, weil sie nichts von ihnen verstehen.
Daß einer einmal das umdrehen würde und präzise
die Linien und Weichenstellungen vorneweg einer allgemeinen
Diskussion stellt, wäre ein seltener Ausnahmefall. Ich
kann zwar nicht als Dilettant in einen Planungsprozeß
eingreifen, ich kann aber meine Willensbekundung über
das, was herauskommen soll - genauso wie ein Minister das
kann oder können sollte - festlegen. Und danach muß
die diskursive Auseinandersetzung kommen. Mittel-Zweck-Relationen
von kulturellen Projekten und angewandter künstlerischer
wie wissenschaftlicher Arbeit müßten durchaus in
diesem allgemeinen Sinn diskutierbarer werden. Das im Vorhinein
wäre wichtig, denn wie anders sonst könnte diese
Expertenherrschaft in demokratische und bewußtseinsbildende
Prozesse einbezogen werden ?
In Wien herrscht davor eine furchtbare Angst, weil man weiß,
je früher etwas in der Öffentlichkeit bekannt wird,
desto geringer sind die Chancen, daß man damit öffentlich
durchkommt. Das kann aber doch nicht auf ewige Zeiten hinaus
heißen: Geheimaktionen, Kamingespräche, möglichst
schnell etwas durchziehen. Es müßten andere, offene
Formen gefunden werden. Man müßte entschieden damit
beginnen, ein Klima herzustellen, in dem anstelle über
Personen und Autoritäten über das Werk, über
die Sache diskutiert werden kann. Man müßte doch
entschieden versuchen, mehr diskursive Öffentlichkeit
herzustellen. Wie man das angeht, könnte eine der hervorragendsten
Aufgaben für die Kulturpolitik sein. Auch das allerdings
ginge paradoxerweise nicht ohne Widerstand bei den Massen
ab.
Es ist eben nicht möglich, dieser Gesellschaft mit ihren
massenmedialen Deformationen und ihren Unmittelbarkeitsansprüchen
noch etwas rein rationalistisch auseinanderzusetzten, wie
das Karl Popper propagiert, der schlicht von der offenen Gesellschaft
träumt, die letztlich über die rationale Kommunikation
aller Menschen funktionieren muß. Auf diese Weise wird
nichts erreicht, weil Irrationalität und Unterhaltung
und Sinnlichkeit, alle diese unmittelbaren Momente, die in
der heutigen Kulturgesellschaft eine so große Rolle
spielen, nicht angesprochen werden. Mit einem solchen rationalen
Modell, das z. B. alle diese Ich-Mythologien und den Selbstausdruck
der heutigen Kunst total ablehnen muß, bliebe jede Kulturpolitik
in ihrer Wirkung hoffnungslos zurück.
In der Politik wird viel gerissener erkannt, daß gerade
über Kultur und Kunst, über irrationale Muster also,
Wirkung und Partizipation erzielt werden kann. Das ist natürlich
dann wirklich korrupt. In die Probleme moderner Kunst wird
auf diese Weise niemand eingeweiht.
Wenn Rationalität mit einer - allerdings weiterhin massenmedial
vermittelten - Emotionalität Bündnisse eingehen
muß, dann bleiben alle vorhin skizzierten diskursiven
Einmischungsmöglichkeiten ein höchst vages Fernziel.
Unmittelbare Wirkung kann nur haben, was einen auffallenden
medialen Wert gewinnt: der Skandal, der Starkult, der Sensationserfolg.,
die publikumswirksame Inszenierung. Eine unter Erfolgszwang
stehende und planende Kulturpolitik muß also auf solche
Projekte aus sein, nur in deren Schatten läßt sich
anderes protegieren ?
Ja - dies ist früher oder später zu erwarten. Die
Unterhaltungskultur finanziert die Problemkultur. Auf publikumswirksame
Ausstellungen bezogen sehe ich die Zwangsläufigkeit so:
Das Thema muß in synästhetischen Panoramen ausgedrückt
werden, in denen Dokumentation und Kunst, Künstler und
Publikum, alte und neue Medien, Heiteres und Ernstes gemischt
werden. Alles kommt zusammen und aus dieser Synthese des Disparaten
entsteht Erfolg und solche Erfolge ziehen Geld an und sie
ziehen den Kulturtourismus an und der zieht wieder Investoren
an und so fort.
Die Auflehnung vieler bildender Künstler gegen solche
Automatismen ist aber auch im Zusammenhang mit ihren vergleichsweise
marginalen Verwertungschancen zu sehen, wie hoch auch immer
Preise für aktuelle Kunst sein mögen. An die Tantiemen
im Musiksektor reichen sie, den "Erfolg" vorausgesetzt,
kaum heran.
Sehr viele Künstler klagen, weil sie in Wahrheit in
den Genuß dieser profitablen Massenkultur und ihrer
Inszenierung kommen wollen. Die Klage des Künstlers gegen
den allgemeinen kulturellen Trend als solchen ist heute selten
anzutreffen. Sie gilt eher seiner Ausgrenzung zum Außenseiter,
nicht aber der Kommerzialisierung des Kunst- und Kulturbooms
überhaupt. Sehr viele Künstler sind doch voll in
diese Kommerzialisierung eingebunden; sie haben den richtigen
Distributionsapparat, die richtigen Galerien also, sie haben
publizistisch ihr Hinterland. Der "Erfolg" des Künstlers
ist damit auf eine Ebene der Trivialität transferiert
worden, wo sich alles darum dreht, wie sich jemand verkauft,
egal ob dabei elitäre Standards oder Standards der Massenkultur
angewendet werden. Wichtig ist die Machbarkeit der Sache.
Wichtig bleibt für den Kritiker daher aber umso mehr,
daß man sich die Struktur einer künstlerischen
Arbeit sorgfältig ansieht, damit einem klar wird, ob
tatsächlich eine eigensinnige kritizistische, in sich
verschlossene Form eine Abwehr signalisiert oder ob eben auch
formal offen gespielt wird. Den Unterschied gibt es ja immer
noch, den Unterschied nämlich zwischen Systembenutzung
und tatsächlicher Aussage der Arbeit.
Für künstlerische und intellektuelle Arbeit, die
sich einer Integration in Markt- und Nachfragesysteme versperrt,
könnten - ohne daß das jetzt zynisch gemeint ist
- museumsähnliche Institutionen neuer Art doch eine wichtige
öffentliche Funktion erfüllen, ob das nun bildende
Künstler, Komponisten oder Dichter betrifft ?
Solche Institutionen gibt es nicht. Wer sollte Interesse
daran haben - außer die betroffenen Künstler und
Intellektuellen selber? Im neuen Museumstyp der inszenierten
Kultur funktioniert Öffentlichkeit nur, wenn man sie
sich anpaßt oder anpassen lassen.kann. Man muß
etwas von seiner Substanz hergeben. Nehmen wir den Komponisten
"schwieriger" Musik als Beispiel. Er kann wegen
der Sprache und der Codes, die er verwendet, nur begrenzt
in die Massenkultur eindringen. Die Entscheidung ist, ob er,
um Adorno zu zitieren, für den emotionalen Hörer
arbeitet, der keine Noten und Partituren lesen kann, der vom
Komponieren nichts versteht oder für den rationalen Hörer,
der sehr viel mehr als Zuhören mitbringen muß,
um das künstlerische Formgesetz eines Musikstückes
zu beurteilen. Die Komposition im intellektuellen, streng
künstlerischen Sinn wird daher immer eine elitäre
Sache bleiben.
Nur wissen wir doch, daß selbst ein in kleinster Auflage
existierendes Buch auch weiterhin eine geistige Kraft entwickeln
kann, unabhängig von diesen ausführlich beschriebenen
Inszenierungsmustern.
Natürlich; ich spreche ja auch ausdrücklich von
Antagonismen. Neben der inszenatorischen Gestaltung der Massenkultur
gibt es weiterhin eine Verweigerungs- und Protestkultur, eine
residuale Intellektuellenkultur, mit vielen Vermischungen
zwischen E-Kultur und U-Kultur, in der "Schwieriges"
sein kleines Publikum hat und auch die Massenmedien nehmen
sich in bescheidenem Umfang und als Alibi für ihren öffentlich-rechtlichen
Auftrag dieser Materie an.
Mit Blick auf die gesamte Kulturgesellschaft sind das aber
völlig marginale Sektoren. Grundsätzlich sehe ich
eher massive Nivellierungstendenzen. Es sei denn, unsere Medienkultur
würde sich doch noch zu einem emanzipativen Instrument
entwickeln mit einem echten Feedback zwischen Produzenten
und Rezipienten. Ansätze dazu entdecke ich nirgends,
als theoretische Perspektive ist das aber durchaus möglich.(und
historisch bekannt). Die Technologie könnte theoretisch
unserer Freiheit dienen; es müßte nicht zwingend
so sein, daß sie in Richtung Krieg, Vernichtung und
Ressourcenverbrauch wirkt. Andererseits sehen wir doch überall,
wie schwer kulturelle Notwehrmaßnahmen greifen, wie
wirkungslos Gegenkräfte bleiben. Das hängt natürlich
auch damit zusammen, daß sich Kultur zur totalen Vergesellschaftungsform
entwickelt hat, daß Kultur und Kunst nicht mehr ein
autonomes Medium sind, das kritisch und kontroversiell gegen
die Gesellschaft gerichtet ist. Ich selbst hänge natürlich
auch dieser Tradition an und versuche Reibungsflächen
zwischen Kultur bzw. Kunst und Gesellschaft zu erhalten, das
Nivellement der Kulturgesellschaft zu relativieren. Es nützt
mir aber nicht viel. Von aufklärerischen Positionen aus
sind angesichts der Wirkungen der Massenmedien, der Kulturindustrie,
der Bewußtseinsindustrie eben nur unvergleichlich geringere
Einflüsse zu erzielen.
Damit wären wir - nach den Schwerpunkten Kunst und Museum
- bei meiner abschließenden Frage nach Ihrer Argumentation
zum Thema "Öffentlichkeit". Alles starrt, auch
wenn es um Museumsfragen geht, gebannt auf die Resonanz der
Öffentlichkeit, der massenmedialen Öffentlichkeit
natürlich, und Gehör finden Forderungen praktisch
nur dann, wenn mit Medienunterstützung ein erpresserisches
Spiel oder wenigstens eine Skandalisierung gelingt. "Erfolge"
sind Inszenierungserfolge. Müssen Reformen als Schauspiel
funktionieren, mit Regisseuren, mit Stars, mit Souffleuren,
mit Abonnenten, mit Rezensenten usw. ? Inhalte einer gründlichen
Diskussion zuzuführen ist in den herrschenden Mechanismen
ja nicht vorgesehen.
Das hängt alles damit zusammen, daß heute der
Öffentlichkeitsbegriff selbst vollkommen diffus und falsch,
ja selbst propagandistisch angewendet wird. Wenn ein Markt
da ist, ist das noch keine Öffentlichkeit. Öffentlichkeit
ist etwas, das man heute erst herstellen muß. Öffentlichkeit
ist ein Wert, der aus der bürgerlichen Aufklärung
kommt und er meint, daß sich Bürger über einen
Diskurs, etwa über Kunst, untereinander verständigen.
Heute hingegen haben wir Formen einer refeudalisierten Öffentlichkeit.
Die Massenmedien nehmen stellvertretend unsere kulturellen
Interessen wahr oder glauben es zu tun. Die einzelnen Menschen
können nur in ihren Parteien, den Gewerkschaften, kurzum
ihren verschiedenen Interessensvertretungen Beifall klatschen
oder ihr Mißfallen äußern. Das ist kein Diskurs.
Das ist keine Auseinandersetzung im Sinne einer funktionierenden
Öffentlichkeit.
Diese refeudalisierte Öffentlichkeit prägt eigentlich
unser heutiges Leben, und es ist klarerweise eine Forderung
von äußerster Wichtigkeit, daß andere Formen
der Öffentlichkeit gefunden werden, in denen das bloße
Akklamieren bereits getroffener Entscheidungen aufhört
und eine rechtzeitige Teilnahme an den Entscheidungsprozessen
selbst möglich wird. In fortgeschrittenen, durchorganisierten,
industrialisierten Gesellschaften ist dieser Anspruch auf
Partizipation sehr schwer einzulösen, denn er würde
eine basisdemokratische Kritik der Massenmedien, der Parteien,
der Gewerkschaften, der Interessenvertretungen erfordern,
eine Kritik der weit aufgefächerten, manipulativen Prozesse
der Entscheidungsfindung. Für eine wirklich öffentliche
Kultur- und Kunstpolitik ist unverzichtbar, daß ein
direkter Kontakt zwischen Produzenten und Konsumenten hergestellt
wird.
Das Öffentlichkeitsdefizit in der Kunstszene läßt
sich ja nicht durch weitere Anhäufung und Stapelung von
Kunstwerken in funkelnagelneuen Museen kompensieren. Bei all
dem hektischen Nachholbedarf an Museumsarchitektur, die den
Berg der objektiven Kultur weiter auftürmen hilft, wird
vergessen, die eigentlich Betroffenen und rechtlichen Nutznießer,
die Kunstrezipienten, für das Neue argumentationsfähig
und sensibel zu machen, also jenen Prozeß der Entmündigung
des Publikums mit zu korrigieren, der seit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts zum Verlust der ästhetischen Urteilsfähigkeit,
einer sachlich kompetenten, sich begründet erklärenden
öffentlichen Meinung geführt hat.
Wenn man mit Werner Hofmann Kunst als einen von Epoche zu
Epoche wechselnden "Vereinbarungsbegriff" versteht,
der vom "museal konditionierten", mündigen
Betrachter der Kunst getroffen wird, stellt sich bei so viel
Zweckoptimismus zwangsläufig die Frage, ob es diese räsonable
Diskussionsöffentlichkeit eines kunstverständigen
Publikums überhaupt noch gibt oder vielmehr, wie sie
heute wiederherzustellen wäre. Man muß doch erkennen,
daß wir heute generell diese Öffentlichkeitsform
nicht haben. Ich halte es für einen groben Mißbrauch
des Begriffs, wenn dem Staat, oder auch einem Museum, einfach
eine angebliche Öffentlichkeit - die durch den freien
Markt garantiert sein soll - gegenübergestellt wird.
Wir wissen doch inzwischen von den manipulativen Mechanismen
genug, als das so akzeptieren zu können.
Auch im Museum spiegeln sich der Markt und die Warengesellschaft
und das steht in Widerspruch zu seiner eigentlichen Öffentlichkeitsaufgabe,
in Widerspruch zur antimanipulativen Position, die es haben
müßte. Das Museum der zeitgenössischen Kunst
sollte doch kritisch zu dem stehen, was auf dem Kunstmarkt
passiert, es sollte ein Ort der Reflexion sein, an dem über
den Vereinbarungsbegriff "Kunst", der Kunst zu Kunst
macht, rational diskutiert und argumentiert wird. Dem kommen
die Museen des 20. Jahrhunderts aufs Ganze gesehen nicht nach,
sie sind in diverse Mechanismen eingespannt, sie geben oft
unglaublich schnell und unkritisch Tendenzen nach. Sie sind
nicht mehr die kritischen Richter, die in öffentlicher
Auseinandersetzung mit dem Publikum für oder gegen etwas
argumentieren, sondern lassen sich mehr oder weniger vom Markt
für die "Nobilitierung" der Kunstwaren zu wertsteigender
oder wertschaffender Museumsreife einspannen. Für die
Kunst der Vergangenheit gilt das nicht so sehr, weil von ihr
nur mehr wenig Relevantes auf dem Markt ist; nur müssen
auch hier Sachdiskussionen geführt werden, alle Bereiche
der Kunst betreffend.
Eine kritische, bürgerliche Öffentlichkeit haben
wir nicht mehr. Eine vergleichbar sachkompetente Öffentlichkeit
zu gewinnen - auch unter Mitwirkung selbstkritischer "antimanipulativer"
Museen - wäre eine permanente Aufgabe und ein Versprechen
einer alternativen Kulturpolitik. Die Forderung nach Öffentlichkeit
bedeutet, kulturpolitische Herrschaft in rationale, sachkundige
Beherrschung der Kunstmaterie zu überführen und
nicht, wie die Kritiker des Öffentlichkeitsgedanken unterstellen,
in plebiszitären Analphabetismus oder eine kompetenzlose
Abstimmungsmaschine der parteipolitischen Bonzokratie.
Der "Kunstmaterie", so sehe ich das, werden aber
auch weiterhin die Irritation durch Geheimnisse der Kunst,
durch Prinzipien, die wo anders nicht Geltung erlangen können
oder die Faszination eines Nichtverstehenkönnens gegenüberstehen
- trotz oder gerade wegen aller Manipulierbarkeit - als eine
wesentliche Möglichkeit, gerade aus solchen Spannungsverhältnissen
heraus einen Zugang zur Kunst zu finden, die Wahrnehmungsfähigkeit
zu sensibilisieren.
Daß die "Krise" der modernen Kunst zu einem
nicht geringen Teil auf einen Mangel oder sogar Verlust an
Öffentlichkeit zurückzuführen ist, wurde in
den letzten Jahren von vielen Seiten kritisch bemerkt und
hat die Forderung nach mehr Partizipation in der Architektur
und Stadtgestaltung, nach mehr "Kunst im öffentlichen
Raum" dringend gemacht. Wenn an die Stelle des öffentlichen
Auftrages Markt und Sponsorship treten und - wie heute - die
meisten öffentlichen Aufträge an bewährte,
anerkannte Künstler mit hohem Marktwert vergeben werden,
muß für viele aufstrebende Künstler die Wunschvorstellung
von Staat, Stadt und Kommune als marktunabhängigen autonomen
Auftraggebern besonders attraktiv werden. Leider gehört
der kreative Interessenskonflikt zwischen Kunstmarkt und Kunstöffentlichkeit
immer mehr zu den Ausnahmen innerhalb einer eintönigen
geschlossenen Meinungsindustrie, die den einzelnen Menschen
die Entscheidungsfreiheit darüber, was Kunst und ausstellungswürdig
sei, abgenommen hat.
Majoritäten herrschen über Minoritäten - auch
in Kunst- und Geschmacksfragen. Selbst die den sozio-kulturellen
Geltungsbereich vertretenden Institutionen haben sich weitgehend
den Kunstmarkt, personifiziert durch seine etablierten Experten,
zum Partner gemacht, anstatt selbst ein sachkundiges, kunsterfahrenes
Richteramt zu beanspruchen. Neben den Experten sind, wie bemerkt,
die Kunstmuseen in den Marktmechanismus mehr verstrickt, als
sich mit ihrem allgemeinen (meist liberal bürgerlich
deklarierten) Bildungsauftrag gegenüber der Gesamtbevölkerung
verträgt. Niemand kann sich mehr darauf verlassen, daß
das Museum noch die Öffentlichkeit eines breiten, nicht
nur marktkonformen Liebhaberpublikums vertritt, eines sachkundigen
Laienurteils über Kunst, das während des 18. Jahrhunderts
in Ausstellungen und Salons in direkter Begegnung mit den
Kunstwerken zustande kam und sich noch nicht von spezialistischer
Fachkritik vertreten lassen mußte.
Als vorläufiger Schluß dieser fortzusetzenden
Debatte erscheint mir Ihr vorhin genanntes Statement sehr
geeignet: Eine kritische, bürgerliche Öffentlichkeit
haben wir nicht mehr. Eine vergleichbar sachkompetente Öffentlichkeit
zu gewinnen - auch unter Mitwirkung selbstkritischer "antimanipulativer"
Museen - wäre eine permanente Aufgabe und ein Versprechen
einer alternativen Kulturpolitik.
|
Peter Gorsen, Kunsthistoriker
geb. 193 in Danzig. Studium der Philosophie, Psychologie,
Kunst- und Literaturwissenschaft in Frankfurt/M (Dr.
phil.). Arbeiten auf Gebieten der Kultur- und Kunstwissenschaft,
ferner im Grenzbereich von Psychologie und Sexualforschung.
Jüngste Publikationen: Kunst und Krankheit. Metamorphosen
der Ästhetischen Einbildungskraft, Frankfurt/M
1980; Transformierte Alltäglichkeit oder Transzendenz
der Kunst. Reflexionen zur Entästhetisierung, Frankfurt/M
1981; Sexualästhetik. Grenzformen der Sinnlichkeit
im 20. Jahrhundert, Reinbek bei Hamburg 1987. Professor
an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien
(Vorstand der Lehrkanzel für Kunstgeschichte).
|
|