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www.ChristianReder.net: Publikationen: Wiener Museumsgespräche: Wilhelm Holzbauer
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Wilhelm Holzbauer
Universität für angewandte Kunst Wien
   

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Wilhelm Holzbauer

Mit Blick auf die mitteleuropäische Situation fällt einem auf, daß z. B. das Projekt eines Deutschen Historischen Museums in Berlin wenigstens eine heftige bundesweite Debatte über das geschichtliche Selbstverständnis und deren Ausdrucksmöglichkeiten hervorgerufen hat, während der einzige "museale" Neubau der Republik Österreich während vieler Jahre, das Staatsarchiv beim Donaukanal hauptsächlich wegen eines neuerlichen Bauskandals in die Schlagzeilen gekommen ist. Die vielen warnenden Stimmen haben wie gewohnt nichts genützt und Architektur bleibt so und so ein Nebenthema für Spezialisten.

Daß derart bedeutungsvolle Schätze der österreichischen Geschichte in einem Bau untergebracht worden sind, dessen unglaubliche Banalität und Austauschbarkeit praktisch nicht mehr übertroffen werden können, ist klarerweise der eigentliche Skandal und viel bemerkenswerter, als die anscheinend unvermeidlichen Korruptionshinweise. Dieses Gebilde kann ein bombastisches Appartementhaus sein, das aufgrund irgendwelcher Pannen in einem Wiener Industrieviertel errichtet worden ist. Daß es die wichtigsten Dokumente des Landes beherbergt, wird bei seinem Anblick jedenfalls niemandem bewußt. Zeichen ist es nur für die geistige Situation in diesem Land, für den üblich gewordenen bedenkenlosen Umgang mit Kulturgütern.

Es sind eingespielte und angeblich effiziente Strukturen, die unbeirrbar solche Ergebnisse produzieren, als ein Freilichtmuseum gesellschaftlicher Zustände.

Alle anderen Bauten der Republik passen da sehr gut dazu. Es ist einfach überhaupt kein Bewußtsein vorhanden, in welcher Form und in welcher Bedeutung der Staat sich selbst repräsentiert. Es ist bei allen diesen Gebäuden das gleiche, sie stehen aufgesetzt auf Tiefgaragen, man findet keinen Eingang, betritt sie durch irgendwelche Löcher, ohne jede Hierarchie und symbolhafte Baukomposition, die gerade in Wien eine sehr facettenreiche Tradition gehabt hat. Die UNO-City, das Konferenzzentrum, das Allgemeine Krankenhaus, der Rechnungshof, das Bundesamtsgebäude nebenan, das Staatsarchiv - eine Kette gleichartiger Beweise für den völligen Verlust jeder Identifikation mit physischen und geistigen Inhalten, für den Verlust jeder ernstzunehmenden Interpretationsmöglichkeit. Es beginnt bei der Grundstücksauswahl, bei der Wahl des Bauunternehmers, der Wahl des Architekten. Es ist ja inzwischen bekannt geworden, wie es in diesem Fall gewesen ist. Der Bautenminister kommt zur Eröffnung des ebenfalls völlig unbedeutenden Zollamtshochhauses, der Baumeister zeigt ihm ein danebenliegendes Grundstück, das er sich gesichert hat, ad hoc wird entschieden, daß man dort das Staatsarchiv hinbauen könnte, und wer der Architekt wird ist ebenfalls gleich klar, der Freund des Baumeisters und des Bautenministers.

Eine Frage jetzt an den Rektor der Hochschule für angewandte Kunst, nicht so sehr an den Architekten: Gibt es überhaupt noch Vorstellungen, wie sich da - über permanente verbale Anklagen hinaus - eingreifen ließe, wie andere Überlegungen noch in diese Automatik des Geschehens eindringen könnten ?

Ein wichtiger Punkt wäre bereits, wenn endlich ein Minister für Bauten zuständig wäre, der ein leidenschaftlicher Mensch ist und sich wirklich für das Bauen interessiert; wie etwa Johannes Voggenhuber, der ehemalige Salzburger Bürgerlisten-Stadtrat. Es hat auch immer wieder gute Architekten als Bautenminister gegeben, z. B. in Mexiko Pedro Ramirez Vásquez, von dem das berühmte Anthroplogische Museum stammt. Bei uns hingegen hat man diese Funktion immer partei- und machtpolitisch besetzt und sie jetzt überhaupt abgeschafft, durch die Eingliederung ins Wirtschaftsministerium. Niemand nimmt mehr zur Kenntnis, daß Joseph II. als Vorbereitung auf sein Monarchenamt durch Fischer von Erlach Architekturunterricht erhalten hat. Unter den Ministern der 2. Republik war jedenfalls nicht einer, dem Architektur ein Anliegen gewesen wäre. Damit beginnt es und das setzt sich in der Bürokratie fort. Sektionschef Schmelz, lange Jahre für Hochbau zuständig, ausbildungsmäßig aber ein Bauingenieur, vom Tiefbau kommend, hat von sich selbst immer wieder gesagt, er sei kein Architekt, verstünde von Architektur nichts; auf meine Frage, ob er sich dann nicht überfordert fühle hat er selbstgenügsam mit einem lapidaren Nein geantwortet. Es ist also keinem der im Staatsapparatet Zuständigen die Architektur ein Anliegen, es ist auch der Staat in seiner Selbstdarstellung keinem ein Anliegen und daher hat er dieses gemeine, identitätslose Gesicht bekommen. Nur Straßen bauen sie gerne, jetzt wieder hunderte Kilometer, obwohl sie keiner mehr braucht.

Es war in letzter Zeit oft die Rede davon, daß - zumindest vorübergehend - neue Museen die letzten repräsentativen Bauaufgaben der Architektur sind. Der Bauboom auf diesem Gebiet bestätigt das. Diese schiefe Ebene hin zum Musealen ist doch angesichts der überall kursierenden Forderungen nach Modernisierung und Strukturwandel auffällig kontraproduktiv.

Das sehe ich auch so. Nachdem überall in der Gesellschaft und vor allem für den Staat Architektur keine Rolle mehr spielt, weil man sogar vor der Repräsentation Angst hat, wird die Aufgabe der Architektur zu den Museen hin verschoben. Dort paßt es, denn in sie kommt Kunst hinein und deswegen werden auch die Gehäuse zu Kunst erklärt. Was drinnen ist, spielt - wie auch für die anderen bereits genannten Beispiele - sowieso keine Rolle mehr.

Streng genommen löst Architektur allein keine Probleme. Sie ist auch gar nicht dazu da "Probleme" zu lösen, Probleme zu beseitigen, in einem funktionalistischen Sinn. Sehr viele der neuen Museumsbauten sind daher bloß Ghettos einer repräsentativen Staatskultur, ohne daß sie zugleich zu einer Neuinterpretation der Aufgabe beigetragen haben, wie Kunst und Öffentlichkeit miteinander umgehen. Für Frankfurt etwa hat jemand elf neue Museen errechnet.

Das trifft genau das, was ich meine, daß nämlich das Museum, auch der neue Typus des Museums, als letzter Freiraum gekennzeichnet wird. Daher darf auch sein Bau etwas mit Kunst zu tun haben, er soll es sogar. Im übrigen ist nur der Zweckbau erlaubt, was schon vom Wort her die Situation grausam beleuchtet. Insofern ist auch das Museum zum Selbstzweck geworden. Es werden heute Museen gebaut, für die nichteinmal eine Sammlung da ist; beim schon erwähnten Deutschen Historischen Museum in Berlin gibt es den Streit, wie man es füllen könnte, in anderen Fällen hofft man auf Schenkungen, auf Erbschaften, auf Sponsoren. Irgendwer wird schon etwas hinterlassen oder abgeben, damit diese "Ideen" Inhalte bekommen. Insofern ist die ganze Museumsbauerei ein Feigenblatt für die Kultursituation, weil sie als letzte Möglichkeit gesehen wird, Geschichte und Gegenwart miteinander zu verflechten. Überall sonst sind diese Zusammenhänge zerbrochen und kaputt. In Museen hingegen - so glaubt es die Mediengesellschaft, so glauben die Politiker - kann nichts schief gehen. Da gibt es dann schöne alte Sachen drinnen und einige progressive und man hat für die Kunst wiedereinmal etwas getan.

Auf politischer Ebene tritt für ein Kunst-Denken niemand wirklich ein. Mitbeteiligt daran sind auch die - fast absichtsvoll - verflochtenen Kompetenzen.

Es müßte einen dafür primär zuständigen Kulturminister geben, für Kunstangelegenheiten, für die Museen, für die Umwelt, für Architektur.

Stark zentralisiert, ohne Schulen, ohne Universitäten ?

Es wäre noch zu überlegen, inwieweit Erziehung das nicht aufgabenmäßig überfrachtet. Jedenfalls ist aber Architektur vom Straßenbau zu trennen. Es ist grotesk, daß Hochbauten, also Schulen oder Universitäten, mit Autobahnkilometern in einem Ministerium integriert sind, nur weil dieselben Firmen und ähnliche Maschinen zum Zug kommen. Auf der anderen Seite gibt es ein Verkehrsministerium, bei dem der riesige Bereich des Individualverkehrs ausgespart ist..

Die Struktur des Staatsapparates als statisches Spiegelbild reiner Wirtschaftsinteressen.

Selbstverständlich. Die Bauwirtschaft hat ihr Ministerium; seiner Rolle nach hätte es längst schon - wie es jetzt geschehen - als Wirtschaftsministerium deklariert werden können. Die Frage nach dem Wozu des Bauens, nach seiner Wirkung für den "Endverbraucher", für das alltägliche Leben, ist nirgends vertreten. Die gesamte Strukturierung der Ministerien müßte eine andere sein. Verkehr umfaßt doch nicht nur die Bahn; es gehört der Straßenverkehr dazu ...

... vielleicht im Sinne eines Kommunikationsministeriums, inklusive staatlicher Agenden für den Flugverkehrs, die Post, die Telekommunikation, für Bewegung, Fortbewegung, Informationsaustausch; also als Chance für weitgefaßte politisch-planerische Arbeit.

Es ist überfällig, daß solche grundsätzlichen Überlegungen angestellt werden. Architektur jedenfalls sehe ich im unmittelbaren Bereich der Kultur und dafür muß es Zuständigkeiten geben, Kompetenz also.

Auf einen neu geordneten Zentralismus abzielende Hoffnungen sind aber auch Ausdruck von Hilflosigkeit, Hilflosigkeit, die vom beliebig herumschiebbaren Stellenwert der Kunst kommt und von der dadurch ausgelösten schematischen Solidarisierung. Diverse Kulturkämpfe zwingen Leute in das berühmte eine Boot, die sonst sonst nichts miteinander zu tun haben wollen. Auch das setzt Kritikpotentiale außer Kraft.

Gerade die Debatte um das Hrdlicka-Denkmal war dafür äußerst lehrreich. Kaum ein Politiker hat da vorbeigehen können, offenbar weil es - so makaber und mies auch argumentiert worden ist - verborgene Reste eines Gespürs für Kunst, für Kultur gibt, ihr Stellenwert also geahnt wird und Stellungnahmen aufzwingt. Im Umlenken solcher Empfindungen sehe ich gewisse Chancen. Gerade vom Staat könnten diesbezüglich unglaublich wichtige Impulse ausgehen. Aber selbst Politiker, die zu den aufgeschlossenen gezählt werden, wie Vranitzky, Zilk oder Busek, verwenden in Wahrheit höchsten ein Prozent ihres Interesses für kulturelle Ansprüche. In früheren Zeiten sind es sicher oft 30 oder 5o Prozent gewesen, manchmal waren Kunst und Architektur überhaupt ein Hauptanliegen.

Das führt uns zu sozialen Mechanismen dieser 2. Republik, von denen weder eine Präsidentenfigur mit prägender Kraft produziert worden ist, noch bei anderen Ämtern Intellektualität und Sensibilität gewürdigt worden wäre. Immerhin ist anderswo ein Gustav Heinemann zu einer hörbaren Politikerstimme geworden, ein Malraux, ein Alessandro Pertini, oder jetzt in Spanien Jorge Semprùn als Kulturminister. Die Trennung dieser Sphären bei uns ist vielleicht sogar eine spezifische Art von Qualität ?

Nein. Wir sind eben eine Krämerrepublik. Mit gegenteiligen Beispielen braucht man gar nicht sehr weit zurückzugehen. Daß Otto Wagner das wenige, das er in Wien hat bauen können, realisieren konnte, ist zu einem großen Teil ein Verdienst von Bürgermeister Lueger. Nur beim Museumsprojekt für den Karlsplatz hat dieser sich politisch dann soweit unterdrücken lassen, daß es gescheitert ist. Man muß doch sehen, was in der Gründerzeit von der vielgeschmähten Obrigkeit alles ermöglicht worden ist. Es sind die besten Architekten Europas nach Wien geholt worden, Semper, Hansen, Van der Nüll. Zu Kreiskys Zeiten ist oft und sehr kühn von einer zweiten Gründerzeit die Rede gewesen; deren bauliche Resultate haben wir ja schon gesprochen. Der Hochmut der Macht nimmt eben andere Formen an, als dies bei einem Interesse an selbstbewußter Repräsentation, die von Inhalten ausgeht, der Fall wäre.

Um das zu bekräftigen, stürzt sich der Rechnungshof immer akribischer auf Repräsentationsspesen.

Weil eben die Begriffe überall völlig durcheinanderkommen.

Man kann aber doch nicht behaupten, daß die Architektur da nicht mittäte. Nehmen wir nur die repräsentativen Großausstellungen der letzten Jahre her. Wien hat zu ihnen ja das seine beigetragen, zu dieser Aufwertung der Inszenierung, im Sinne von vergänglichen Museen.

Diese Inszenierungen waren in meinen Augen keine Repräsentation des gegenwärtigen geistigen Lebens. Sie waren immer Retrospektiven. Wo gibt es denn die große, im Wortsinn repräsentative Ausstellung, die zeigt was jetzt gemacht, was jetzt gedacht wird ? Das ist doch alles nur ein schön verzierter Aufguß von Vergangenem gewesen, als Ausdruck einer Haltung, die vom Hervorkramen lebt, von Nachfragetrends und vom Vermarkten. Den Jugendstil hält inzwischen keiner mehr aus, also widmet man sich dem Biedermeier. Und als nächstes ? Im Vergleich dazu ist der Makart-Jubiläumsfestzug eine zeitgenössische Gewalttat gewesen.

Was hindert aber wen daran, kulturelle Gegenkräfte zu aktivieren, z. B. von Kunsthochschulen aus, von Museen aus, durch Ausstellungen, durch Entwicklungsarbeiten, unter Aufbrechen von Strukturen, im Sinn von Experimentierfeldern für die Mitgestaltung des visuell Wahrnehmbaren ? Schon in solchen Fragen steckt eine Naivität, die hemmend wirkt.

Das ist es ja; im Grunde würde uns überhaupt nichts daran hindern. Nur geht es dabei sehr wohl um einen konzentrierten Energieeinsatz. Jemand muß die richtigen Leute und Dinge versammenln, muß ein Projekt realisieren, als Initialzündung, mit entsprechender Resonanz. Sonst funktioniert das heutzutage nicht. Wenn uns das in der für 1992 geplanten großen Hochschulausstellung gelingt, könnte wirklich eine Motorik heutiger Kräfte in Gang gesetzt werden. Es muß doch viel mehr bewußt werden, was wir eigentlich jetzt tun, was heute möglich ist. Retrospektiven kommen immer zu spät. Wir leben doch nicht ausschließlich von Rückblicken. Das führt mich nun unmittelbarer zu Museumsfragen. Man kann doch fast sagen, ein Museum, das nicht irgendeine didaktische Wirkung hat, ist sinnlos. Es verliert seine Berechtigung, wenn es nicht etwas weitergibt, wenn es sein Potential nicht für die Gegenwart arbeiten läßt, wenn es nicht für heutige Aufgabenstellungen anregend wirkt. Alles andere ist reines Disneyland oder bloßes Aufbewahren. Die Museen sind doch auch deswegen zu reinen Fremdenverkehrsattraktionen degeneriert, weil sie viel zuwenig didaktisch arbeiten.

Wenn das so ist erklärt es noch nicht, wie sich Museen, als machtpolitisch vergleichsweise schwache Institutionen, einer immer weitergehenden Kommerzialisierung erwehren können. Die Dialektik zwischen konstruktivem Mittun und notwendigem Widerstand bleibt bei ihnen ja nicht ausgespart.

Im Kampf gegen ein Herunterlizitieren von Kunst auf einen bloßen Markt- und Schauwert gehören sie natürlich unterstützt. Eigene Stärke werden sie dabei nur beweisen, wenn sie andere wichtige Funktionen erfüllen können, als die Tourismusindustrie ihnen aufzwingen will.

Die Dualität von Werk und Betrachter ist eine der offensichtlichen Unmöglichkeiten im jetzigen Museumsboom, die andere ist der konträr wirkende Zwang zu immer höheren Besucherzahlen.

Das Ideal eines Museumsdirektors ist sicher ein Haus ohne Fremde, das Freunden, Gästen, Experten vorbehalten bleibt. Darüber läßt sich doch auch in neuer Weise argumentieren, ohne daß deswegen die Demokratie wankt. Ihr ist mit weiter ausuferndem Massenansturm auf Sehenswürdigkeiten ja ebensowenig gedient. In Japan z. B. kommt man in den Katsura-Palast nur nach schriftlicher Anmeldung beim Imperial Household, der pro Tag dann etwa 150 ausgewählte Besucher zuläßt. Es ist ja auch ein Unsinn, daß die Akropolis für jedermann zugänglich ist. Diese Massen kann sie ohne an ihnen zugrunde zu gehen nicht aushalten. Die Karyatiden sind inzwischen durch Kopien ersetzt worden, die Originale im Museum aber sind fast genauso umlagert. Es bleibt offenbar nichts anderes übrig, als die kulturellen Weihestätten der Welt zuzusperren und den Zugang zu ihnen zu erschweren, durch Bestellsysteme zu kontingentieren.

Stehplatzbesucher in der Oper, die sich nächtelang um Karten anstellen, sind mit solchen Realitäten schon lange konfrontiert.

Daß soetwas in manchen Kunstsparten immer schon hingenommen wurde, ist auch ein Hinweis auf den geringen Stellenwert visueller Künste in unseren Gesellschaften.

Ein Museumsdirektor jedoch, der Zuwachsraten ablehnt, dem eine Informationsintensität wichtiger ist, bekäme das über Budgetkürzungen rasch zu spüren. Der Magie hoher Besucherzahlen kann sich bisher doch kein noch so bemühter Kulturpolitiker entziehen.

Deswegen machen sie alle plötzlich eine Ausstellung nach der anderen, die eigentlichen Museumsschätze werden kaum noch zur Kenntnis genommen. Das wesentliche am Museum für angewandte Kunst z. B. sind nur nur noch dessen Ausstellungen, nicht mehr das Museum selbst. Das Kunsthistorische Museum wiederum will mit Rudolf II. brillieren, mit einer Zusammenstellung von Dingen, die jeder wirklich Interessierte sich in den Herkunftsmuseen ansehen kann. Den medienbewußten Direktoren dieser beiden Häuser, Hermann Fillitz und Peter Noever, liefern eben nur mehr Ausstellungen die ihnen notwendige Attraktivität. Ihre Sammlungen sind vielleicht ein Trumpf für den Tausch von Leihgaben, das Museum als solches wird immer unwichtiger.

Das klingt danach, daß gerade die klassischen Häuser eingefroren gehören, daß sie gewisse anerkannte Werte hüten dürfen, aber keine Fragen einer permanenten Neubewertung mehr gestellt zu werden brauchen.

Das meine ich nicht. Ich fordere aber Behutsamkeit und gründliche Überlegungen. Natürlich braucht ein Museum entsprechende Besucherzahlen, damit es seine Existenz legitimiert. Man muß aber Auswege aus der Misere einer Quantitätsinflation suchen. Im Prado z. B. wird in einem eigenen Raum immer ein Gemälde des Monats ausgestellt, meistens eines, das gerade neu restauriert worden ist. Da gibt es Informationsblätter dazu und man kann sich wirklich konzentrieren. Mehr wie drei oder vier Bilder kann sich ohnehin niemand während eines Besuches wirklich anschauen. Erfreulich ist, daß sich alle zu solchen hervorgehobenen Exponaten drängen, was bei ausreichendem Platz niemanden stört, und dadurch die anderen Sammlungen nicht so überlaufen sind. Der Louvre würde doch auch längst einen eigenen Mona-Lisa-Saal brauchen, für den es eben täglich nur 500 Karten gibt. So würden genug Leute wieder intensiv sehen können.

Das Kunsthistorische Museum in Wien will - so eine der letzten Ankündigungen von Hermann Fillitz - von prominenten Architekten seine Sammlungen neu aufstellen lassen. Hans Hollein ist für die Agyptische, Wilhelm Holzbauer für die Antiken-Sammlung vorgesehen. Auf grund welcher Prinzipien und Überlegungen sollte an solche Aufgaben herangegangen werden ?

Mir ist dieses Projekt neu; ich habe nur einmal für einige Objekte einen Vorschlag gemacht. Wenn es tatsächlich zu einem Auftrag kommen sollte, würde ich mir sicher ein sehr sparsames Präsentationskonzept überlegen, ohne jede architektonische Szenerie rundherum.

Angesichts der in den Wiener Bundesmuseen anlaufenden Renovierungsphase, wo es im Zuge von baulichen Sanierungen um den Einbau von Liften, Klimaanlagen, neuen Fenstern, Café-Restaurants, etc. geht, müßte sich doch eine Besorgnis breitmachen, daß gerade solche Detailänderungen Raumsituationen und Ensembles enorm gefährden können, wenn nicht mit einer extremen Sorgfalt vorgegangen wird.

Das unterschreibe ich, nur muß man z. B. im Kunsthistorischen Museum sehen, daß es kaum noch pure ursprüngliche Gestaltungen gibt. Es existieren noch alte Vitrinen von Semper und Hasenauer, in den 30er Jahren hat Clemens Holzmeister einiges neu gestaltet, das ist dann wieder entfernt worden, es war ein ständiges Hin und Her, das immer grotesker geworden ist. Eine subtile Neugestaltung bei gleichzeitigem Einbau zeitgemäßer Beleuchtungs- und Klimatechnik ist also nicht an ein zu sklavisches Restaurieren gebunden.

Klar ist aber doch, daß für die dazu notwendige Subtilität in den üblichen Planungs- und Bauvorgängen kein Platz ist. Wer hat selbst von den auf sensitive Umbauten ausgerichteten Architekten Zeit und Nerven vielleicht über Jahre hinweg im Kunsthistorischen MUseum, im Völkerkundemuseum oder in der Österreichischen Galerie im Belvedere Schritt für Schritt kompetente Lösungen zu entwickeln - und zwar mit einer gebührenden Autonomie, die sowohl vom Museum selbst, als auch von der Ingenieurmaschinerie, die da in Gang kommt, bedroht wird ? Vielleicht ist deswegen die bejubelte Sanierungsmilliarde (1,6 Mrd. S. sind es insgesamt) nicht von einer Diskussion um die geeignete, Architekturfragen stellende Vorgangsweise begleitet worden ?

Solche Befürchtungen sind sicher richtig. Ich teile sie völlig und rechne mit dem Schlimmsten. Gerade für das Kunsthistorische Museum; dort soll Carl Auböck die Halle machen und x andere Leute fuhrwerken ebenfalls herum. Es gibt schon neue entworfene Sessel, irgendwer wird das Kaffehaus installieren. So kann das nicht gutgehen. Selbstverständlich müßte das jemand übernehmen, der sich mit aller Sorgfalt der Substanz widmet und nicht auf tolle Architektur aus ist. Carlo Scarpa hat uns doch allen vorgeführt, wieviel Feingefühl und Durchhaltevermögen auf der Gratwanderung zwischen Substanzerhaltung und neuen Lösungen notwendig ist. Die Museumsadaptierungen müßten in seinem Sinn eine Herausforderung darstellen - oder hätten es sollen. Es läuft offenbar auch diesmal so, wie eingangs besprochen.

Bei der "großen" anstehenden musealen Bauaufgabe, dem Messepalast-Projekt, lassen sich, so die - in dieser Publikation enthaltene - Argumentation von Hermann Czech, der für die erste Wettbewerbsphase mitverantwortlich gewesen ist, bisher drei eindeutige Erfolge verzeichenen: Die Verteidigung der notwendigen inhaltlichen Flexibilität, die Fernhaltung jedweder Kommerzarchitektur und die Sicherung einer offenen, stufenweisen Realisierung mit Priorität für die neue Ausstellungshalle. Wie sieht das, mit aller Subjektivität, ein Teilnehmer an diesem Wettbewerb, der diesmal nicht zum Zug gekommen ist ?

Ohne eine Stellungnahme dazu würden meine Argumente zu Museumsfragen auch eher praxisfern bleiben. In meinen Augen hat sich die Jury in leichtfertigster Weise über die vorhandene Bausubstanz hinweggesetzt. Wenn von zwölf möglichen Preisen nur sieben vergeben werden und von denen sechs die sogenannte Reithalle wegreißen wollen, offenbar weil sie "nur" ein spätklassizistischer Bau ist und der siebente den halben Bau Fischer von Erlachs zerstören will, dann ist das für mich kein ernstzunehmendes Wettbewerbsergebnis. Inzwischen ist die Stimmung plötzlich so, daß die Reithalle eher bestehen bleiben sollte, und jetzt müssen ausgerechnet diese Sieben für die zweite Wettbewerbsstufe in diesem Sinne ihre Projekte umplanen. Alle, die schon früher für die Reithalle eingetreten sind und die mit größtmöglicher Erhaltung der vorhandenen Substanz ein funktionierendes Museum machen wollten, und da beziehe ich mein Projekt mit ein, sind einfach abgetan worden. In meinem Projekt bliebe diese Halle stehen, der dahinterliegende Hof würde mit einem Glasdach überdeckt, in dem U-förmigen Gebäude würden höhlenartige Räume gewonnen; mit 120 Millionen Schilling hätte man eine phantastisch funktionierende Ausstellungshalle für große und intimere Ereignisse und sonst würde ich fast alles in adaptierter Weise stehen lassen. Unter derartigen Prämissen halte ich daher den Wettbewerb keineswegs für einen Erfolg, sondern für ein totales Fiasko.

Auf das "Grundsätzliche" politischer Planungen wirft das alles jedoch auch ein bezeichnendes Licht. Dezentral, unter Berücksichtigung diverser Raumwünsche der Museen, entsteht ja nicht so ohne weiteres ein überzeugendes Konzept.

Sicher, es war da sammlungsmäßig immer alles völlig in Fluß. Die wahren Gründe des Fiaskos sind aber, daß man von Vorstellungen der 70er und 80er Jahre ausgegangen ist, vom repräsentativen Museumsbau, vom Museumsbau, der an sich ein Kunstwerk ist, wie es Hans Hollein formuliert hat. Inzwischen aber gibt es völlig andere Entwicklungen, die sich z. B. im zauberhaften Museum der Reina Sophia (?) in Madrid manifestieren, wo in ein altes Dominikanerinnenkloster ein wunderschönes Museum eingebaut worden ist. Auch das neue Picasso-Museum in Paris befindet sich in einem umgebauten alten Palais. In Wien aber will man beachtliche Volumina einer alten Bausubstanz wegräumen, um ungefähr die gleichen Volumina wieder hineinbauen zu können. Dabei wäre es leicht, mit der Zeit zu einem vernünftigen additiven System zu kommen, Abschnitt für Abschnitt, das flexibel genug ist, um auf die noch gar nicht absehbaren Bedürfnisse und Notwendigkeiten einzugehen, für die sich dieses Museumsareal anbietet.

Die Vorstellung von einer permanenten Baustelle wäre, wenn sie mit neuen Arbeitsstrukturen für die Museums- und Ausstellungstätigkeit einherginge, eine interessante Konzeption, vielleicht weil sie die Angst vor dem Endresultat reduziert. Von der kaputten, improvisierten gegenwärtigen Szenerie fällt einem der Abschied ohnehin schon wieder schwer, wahrscheinlich wegen der Reminiszenzen an Arena-Zeiten im Schlachthof St. Marx und wegen der erfreulich normalen Atmosphäre bei diversen Festwochen-Veranstaltungen.

Ein spontaner Weg wäre sicher der beste; nicht ein Fertigplanen bis zum letzten Eck, mit genauer Berücksichtigung, wo dieses oder jenes Bild hängt: Fast nach dem Prinzip, wer zuerst kommt, malt zuerst. Wenn das Kunsthistorische Museum dort sein Heroon von Gölbasi aufstellen will, brauche ich nur einen dieser kleinen Höfe überdachen, gebe also morgen einer Stahlbaufirma den Auftrag für ein Glasdach, grabe im Hof, der nicht unterkellert ist, ein Loch und kann dann das ganze so hineinbauen, daß es phantastisch dasteht. Wenn die Idee von einem Skulpturenhof konkret geworden ist, könnte mit einem der anderen Höfe ähnlich verfahren werden. Man kann Höhlen in den Berg hinein ausbauen, wird die Ausstellungshalle adaptieren und die einzelnen Gebäudetrakte Schritt für Schritt für spezielle Sammlungen einrichten. In diesem Sinn könnte also ein fast zufällig entstehendes Konglomerat realisiert werden, es würde endlich einmal das Museum als Wachstumsprozeß zum Programm gemacht. Das kann ruhig dreißig Jahre dauern, fast als Garantie dafür, daß dann diverse Zufälligkeiten, Absonderlichkeiten, die kein geplantes Museum hat, mit dem Spezifischen des Ortes verschmelzen. Soetwas könnte dann nirgendwo anders sein und es wäre ein Ausdruck für eine ungeplante, unplanbare Kulturpolitik, die darauf ausgerichtet ist, daß immer wieder Neues entstehen kann.

Ist das nicht eine überraschende Abwendung von der eingangs besprochenen Notwendigkeit zu selbstbewußter Repräsentation, vom repräsentativen, zeichensetzenden Bauen schlechthin ?

Es ist die viel schwierigere Fortsetzung solcher Gedanken. Ich glaube, daß es noch ein, zwei Museumsbauten im Sinne der 70er und 80er Jahre geben wird, dann ist es aus. Zukunftsweisender als sie - sei es nun Holleins Mönchengladbach, Richard Meiers Kunstgewerbemuseum in Frankfurt oder Sterlings Architekturmuseum in Stuttgart - ist ein Eindringen in historische Bausubstanzen, mit denen wir doch in so vielen Fällen nichts mehr anzufangen wissen. Damit wird sich diese übertriebene Selbstdarstellung der Architektur aufhören. Im Verhältnis zur Sammlung, zum Inhalt also, hat sie ja immer groteskere Formen angenommen. Das Wiener Messepalast-Projekt hätte mit der von mir vertretenen Philosophie wirklich die Chance ein Markstein zu werden - als ein wachsendes Museum. Eine Besinnung auf Piranesi wäre dabei heilsam: Die Ruinenlandschaft des Messepalastes könnte sich meanderhaft mit Leben füllen, die einzelnen Fragmente würden langsam zusammenwachsen oder das Ganze bleibt eben eine offene Struktur.

 

Wilhelm Holzbauer, Architekt
geb. 1930 in Salzburg. Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Jüngste Bauten: Vorarlberger Landhaus, Bregenz (Fertigstellung 1981), Rathaus und Musiktheater, Amsterdam (1986), Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg (1986). Professor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, seit 1987 Rektor.

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© Wilhelm Holzbauer 1988 & Christian Reder 1988/2001