Gespräch mit Wilhelm Holzbauer
Mit Blick auf die mitteleuropäische Situation fällt
einem auf, daß z. B. das Projekt eines Deutschen Historischen
Museums in Berlin wenigstens eine heftige bundesweite Debatte
über das geschichtliche Selbstverständnis und deren
Ausdrucksmöglichkeiten hervorgerufen hat, während
der einzige "museale" Neubau der Republik Österreich
während vieler Jahre, das Staatsarchiv beim Donaukanal
hauptsächlich wegen eines neuerlichen Bauskandals in
die Schlagzeilen gekommen ist. Die vielen warnenden Stimmen
haben wie gewohnt nichts genützt und Architektur bleibt
so und so ein Nebenthema für Spezialisten.
Daß derart bedeutungsvolle Schätze der österreichischen
Geschichte in einem Bau untergebracht worden sind, dessen
unglaubliche Banalität und Austauschbarkeit praktisch
nicht mehr übertroffen werden können, ist klarerweise
der eigentliche Skandal und viel bemerkenswerter, als die
anscheinend unvermeidlichen Korruptionshinweise. Dieses Gebilde
kann ein bombastisches Appartementhaus sein, das aufgrund
irgendwelcher Pannen in einem Wiener Industrieviertel errichtet
worden ist. Daß es die wichtigsten Dokumente des Landes
beherbergt, wird bei seinem Anblick jedenfalls niemandem bewußt.
Zeichen ist es nur für die geistige Situation in diesem
Land, für den üblich gewordenen bedenkenlosen Umgang
mit Kulturgütern.
Es sind eingespielte und angeblich effiziente Strukturen,
die unbeirrbar solche Ergebnisse produzieren, als ein Freilichtmuseum
gesellschaftlicher Zustände.
Alle anderen Bauten der Republik passen da sehr gut dazu.
Es ist einfach überhaupt kein Bewußtsein vorhanden,
in welcher Form und in welcher Bedeutung der Staat sich selbst
repräsentiert. Es ist bei allen diesen Gebäuden
das gleiche, sie stehen aufgesetzt auf Tiefgaragen, man findet
keinen Eingang, betritt sie durch irgendwelche Löcher,
ohne jede Hierarchie und symbolhafte Baukomposition, die gerade
in Wien eine sehr facettenreiche Tradition gehabt hat. Die
UNO-City, das Konferenzzentrum, das Allgemeine Krankenhaus,
der Rechnungshof, das Bundesamtsgebäude nebenan, das
Staatsarchiv - eine Kette gleichartiger Beweise für den
völligen Verlust jeder Identifikation mit physischen
und geistigen Inhalten, für den Verlust jeder ernstzunehmenden
Interpretationsmöglichkeit. Es beginnt bei der Grundstücksauswahl,
bei der Wahl des Bauunternehmers, der Wahl des Architekten.
Es ist ja inzwischen bekannt geworden, wie es in diesem Fall
gewesen ist. Der Bautenminister kommt zur Eröffnung des
ebenfalls völlig unbedeutenden Zollamtshochhauses, der
Baumeister zeigt ihm ein danebenliegendes Grundstück,
das er sich gesichert hat, ad hoc wird entschieden, daß
man dort das Staatsarchiv hinbauen könnte, und wer der
Architekt wird ist ebenfalls gleich klar, der Freund des Baumeisters
und des Bautenministers.
Eine Frage jetzt an den Rektor der Hochschule für angewandte
Kunst, nicht so sehr an den Architekten: Gibt es überhaupt
noch Vorstellungen, wie sich da - über permanente verbale
Anklagen hinaus - eingreifen ließe, wie andere Überlegungen
noch in diese Automatik des Geschehens eindringen könnten
?
Ein wichtiger Punkt wäre bereits, wenn endlich ein Minister
für Bauten zuständig wäre, der ein leidenschaftlicher
Mensch ist und sich wirklich für das Bauen interessiert;
wie etwa Johannes Voggenhuber, der ehemalige Salzburger Bürgerlisten-Stadtrat.
Es hat auch immer wieder gute Architekten als Bautenminister
gegeben, z. B. in Mexiko Pedro Ramirez Vásquez, von
dem das berühmte Anthroplogische Museum stammt. Bei uns
hingegen hat man diese Funktion immer partei- und machtpolitisch
besetzt und sie jetzt überhaupt abgeschafft, durch die
Eingliederung ins Wirtschaftsministerium. Niemand nimmt mehr
zur Kenntnis, daß Joseph II. als Vorbereitung auf sein
Monarchenamt durch Fischer von Erlach Architekturunterricht
erhalten hat. Unter den Ministern der 2. Republik war jedenfalls
nicht einer, dem Architektur ein Anliegen gewesen wäre.
Damit beginnt es und das setzt sich in der Bürokratie
fort. Sektionschef Schmelz, lange Jahre für Hochbau zuständig,
ausbildungsmäßig aber ein Bauingenieur, vom Tiefbau
kommend, hat von sich selbst immer wieder gesagt, er sei kein
Architekt, verstünde von Architektur nichts; auf meine
Frage, ob er sich dann nicht überfordert fühle hat
er selbstgenügsam mit einem lapidaren Nein geantwortet.
Es ist also keinem der im Staatsapparatet Zuständigen
die Architektur ein Anliegen, es ist auch der Staat in seiner
Selbstdarstellung keinem ein Anliegen und daher hat er dieses
gemeine, identitätslose Gesicht bekommen. Nur Straßen
bauen sie gerne, jetzt wieder hunderte Kilometer, obwohl sie
keiner mehr braucht.
Es war in letzter Zeit oft die Rede davon, daß - zumindest
vorübergehend - neue Museen die letzten repräsentativen
Bauaufgaben der Architektur sind. Der Bauboom auf diesem Gebiet
bestätigt das. Diese schiefe Ebene hin zum Musealen ist
doch angesichts der überall kursierenden Forderungen
nach Modernisierung und Strukturwandel auffällig kontraproduktiv.
Das sehe ich auch so. Nachdem überall in der Gesellschaft
und vor allem für den Staat Architektur keine Rolle mehr
spielt, weil man sogar vor der Repräsentation Angst hat,
wird die Aufgabe der Architektur zu den Museen hin verschoben.
Dort paßt es, denn in sie kommt Kunst hinein und deswegen
werden auch die Gehäuse zu Kunst erklärt. Was drinnen
ist, spielt - wie auch für die anderen bereits genannten
Beispiele - sowieso keine Rolle mehr.
Streng genommen löst Architektur allein keine Probleme.
Sie ist auch gar nicht dazu da "Probleme" zu lösen,
Probleme zu beseitigen, in einem funktionalistischen Sinn.
Sehr viele der neuen Museumsbauten sind daher bloß Ghettos
einer repräsentativen Staatskultur, ohne daß sie
zugleich zu einer Neuinterpretation der Aufgabe beigetragen
haben, wie Kunst und Öffentlichkeit miteinander umgehen.
Für Frankfurt etwa hat jemand elf neue Museen errechnet.
Das trifft genau das, was ich meine, daß nämlich
das Museum, auch der neue Typus des Museums, als letzter Freiraum
gekennzeichnet wird. Daher darf auch sein Bau etwas mit Kunst
zu tun haben, er soll es sogar. Im übrigen ist nur der
Zweckbau erlaubt, was schon vom Wort her die Situation grausam
beleuchtet. Insofern ist auch das Museum zum Selbstzweck geworden.
Es werden heute Museen gebaut, für die nichteinmal eine
Sammlung da ist; beim schon erwähnten Deutschen Historischen
Museum in Berlin gibt es den Streit, wie man es füllen
könnte, in anderen Fällen hofft man auf Schenkungen,
auf Erbschaften, auf Sponsoren. Irgendwer wird schon etwas
hinterlassen oder abgeben, damit diese "Ideen" Inhalte
bekommen. Insofern ist die ganze Museumsbauerei ein Feigenblatt
für die Kultursituation, weil sie als letzte Möglichkeit
gesehen wird, Geschichte und Gegenwart miteinander zu verflechten.
Überall sonst sind diese Zusammenhänge zerbrochen
und kaputt. In Museen hingegen - so glaubt es die Mediengesellschaft,
so glauben die Politiker - kann nichts schief gehen. Da gibt
es dann schöne alte Sachen drinnen und einige progressive
und man hat für die Kunst wiedereinmal etwas getan.
Auf politischer Ebene tritt für ein Kunst-Denken niemand
wirklich ein. Mitbeteiligt daran sind auch die - fast absichtsvoll
- verflochtenen Kompetenzen.
Es müßte einen dafür primär zuständigen
Kulturminister geben, für Kunstangelegenheiten, für
die Museen, für die Umwelt, für Architektur.
Stark zentralisiert, ohne Schulen, ohne Universitäten
?
Es wäre noch zu überlegen, inwieweit Erziehung
das nicht aufgabenmäßig überfrachtet. Jedenfalls
ist aber Architektur vom Straßenbau zu trennen. Es ist
grotesk, daß Hochbauten, also Schulen oder Universitäten,
mit Autobahnkilometern in einem Ministerium integriert sind,
nur weil dieselben Firmen und ähnliche Maschinen zum
Zug kommen. Auf der anderen Seite gibt es ein Verkehrsministerium,
bei dem der riesige Bereich des Individualverkehrs ausgespart
ist..
Die Struktur des Staatsapparates als statisches Spiegelbild
reiner Wirtschaftsinteressen.
Selbstverständlich. Die Bauwirtschaft hat ihr Ministerium;
seiner Rolle nach hätte es längst schon - wie es
jetzt geschehen - als Wirtschaftsministerium deklariert werden
können. Die Frage nach dem Wozu des Bauens, nach seiner
Wirkung für den "Endverbraucher", für
das alltägliche Leben, ist nirgends vertreten. Die gesamte
Strukturierung der Ministerien müßte eine andere
sein. Verkehr umfaßt doch nicht nur die Bahn; es gehört
der Straßenverkehr dazu ...
... vielleicht im Sinne eines Kommunikationsministeriums,
inklusive staatlicher Agenden für den Flugverkehrs, die
Post, die Telekommunikation, für Bewegung, Fortbewegung,
Informationsaustausch; also als Chance für weitgefaßte
politisch-planerische Arbeit.
Es ist überfällig, daß solche grundsätzlichen
Überlegungen angestellt werden. Architektur jedenfalls
sehe ich im unmittelbaren Bereich der Kultur und dafür
muß es Zuständigkeiten geben, Kompetenz also.
Auf einen neu geordneten Zentralismus abzielende Hoffnungen
sind aber auch Ausdruck von Hilflosigkeit, Hilflosigkeit,
die vom beliebig herumschiebbaren Stellenwert der Kunst kommt
und von der dadurch ausgelösten schematischen Solidarisierung.
Diverse Kulturkämpfe zwingen Leute in das berühmte
eine Boot, die sonst sonst nichts miteinander zu tun haben
wollen. Auch das setzt Kritikpotentiale außer Kraft.
Gerade die Debatte um das Hrdlicka-Denkmal war dafür
äußerst lehrreich. Kaum ein Politiker hat da vorbeigehen
können, offenbar weil es - so makaber und mies auch argumentiert
worden ist - verborgene Reste eines Gespürs für
Kunst, für Kultur gibt, ihr Stellenwert also geahnt wird
und Stellungnahmen aufzwingt. Im Umlenken solcher Empfindungen
sehe ich gewisse Chancen. Gerade vom Staat könnten diesbezüglich
unglaublich wichtige Impulse ausgehen. Aber selbst Politiker,
die zu den aufgeschlossenen gezählt werden, wie Vranitzky,
Zilk oder Busek, verwenden in Wahrheit höchsten ein Prozent
ihres Interesses für kulturelle Ansprüche. In früheren
Zeiten sind es sicher oft 30 oder 5o Prozent gewesen, manchmal
waren Kunst und Architektur überhaupt ein Hauptanliegen.
Das führt uns zu sozialen Mechanismen dieser 2. Republik,
von denen weder eine Präsidentenfigur mit prägender
Kraft produziert worden ist, noch bei anderen Ämtern
Intellektualität und Sensibilität gewürdigt
worden wäre. Immerhin ist anderswo ein Gustav Heinemann
zu einer hörbaren Politikerstimme geworden, ein Malraux,
ein Alessandro Pertini, oder jetzt in Spanien Jorge Semprùn
als Kulturminister. Die Trennung dieser Sphären bei uns
ist vielleicht sogar eine spezifische Art von Qualität
?
Nein. Wir sind eben eine Krämerrepublik. Mit gegenteiligen
Beispielen braucht man gar nicht sehr weit zurückzugehen.
Daß Otto Wagner das wenige, das er in Wien hat bauen
können, realisieren konnte, ist zu einem großen
Teil ein Verdienst von Bürgermeister Lueger. Nur beim
Museumsprojekt für den Karlsplatz hat dieser sich politisch
dann soweit unterdrücken lassen, daß es gescheitert
ist. Man muß doch sehen, was in der Gründerzeit
von der vielgeschmähten Obrigkeit alles ermöglicht
worden ist. Es sind die besten Architekten Europas nach Wien
geholt worden, Semper, Hansen, Van der Nüll. Zu Kreiskys
Zeiten ist oft und sehr kühn von einer zweiten Gründerzeit
die Rede gewesen; deren bauliche Resultate haben wir ja schon
gesprochen. Der Hochmut der Macht nimmt eben andere Formen
an, als dies bei einem Interesse an selbstbewußter Repräsentation,
die von Inhalten ausgeht, der Fall wäre.
Um das zu bekräftigen, stürzt sich der Rechnungshof
immer akribischer auf Repräsentationsspesen.
Weil eben die Begriffe überall völlig durcheinanderkommen.
Man kann aber doch nicht behaupten, daß die Architektur
da nicht mittäte. Nehmen wir nur die repräsentativen
Großausstellungen der letzten Jahre her. Wien hat zu
ihnen ja das seine beigetragen, zu dieser Aufwertung der Inszenierung,
im Sinne von vergänglichen Museen.
Diese Inszenierungen waren in meinen Augen keine Repräsentation
des gegenwärtigen geistigen Lebens. Sie waren immer Retrospektiven.
Wo gibt es denn die große, im Wortsinn repräsentative
Ausstellung, die zeigt was jetzt gemacht, was jetzt gedacht
wird ? Das ist doch alles nur ein schön verzierter Aufguß
von Vergangenem gewesen, als Ausdruck einer Haltung, die vom
Hervorkramen lebt, von Nachfragetrends und vom Vermarkten.
Den Jugendstil hält inzwischen keiner mehr aus, also
widmet man sich dem Biedermeier. Und als nächstes ? Im
Vergleich dazu ist der Makart-Jubiläumsfestzug eine zeitgenössische
Gewalttat gewesen.
Was hindert aber wen daran, kulturelle Gegenkräfte zu
aktivieren, z. B. von Kunsthochschulen aus, von Museen aus,
durch Ausstellungen, durch Entwicklungsarbeiten, unter Aufbrechen
von Strukturen, im Sinn von Experimentierfeldern für
die Mitgestaltung des visuell Wahrnehmbaren ? Schon in solchen
Fragen steckt eine Naivität, die hemmend wirkt.
Das ist es ja; im Grunde würde uns überhaupt nichts
daran hindern. Nur geht es dabei sehr wohl um einen konzentrierten
Energieeinsatz. Jemand muß die richtigen Leute und Dinge
versammenln, muß ein Projekt realisieren, als Initialzündung,
mit entsprechender Resonanz. Sonst funktioniert das heutzutage
nicht. Wenn uns das in der für 1992 geplanten großen
Hochschulausstellung gelingt, könnte wirklich eine Motorik
heutiger Kräfte in Gang gesetzt werden. Es muß
doch viel mehr bewußt werden, was wir eigentlich jetzt
tun, was heute möglich ist. Retrospektiven kommen immer
zu spät. Wir leben doch nicht ausschließlich von
Rückblicken. Das führt mich nun unmittelbarer zu
Museumsfragen. Man kann doch fast sagen, ein Museum, das nicht
irgendeine didaktische Wirkung hat, ist sinnlos. Es verliert
seine Berechtigung, wenn es nicht etwas weitergibt, wenn es
sein Potential nicht für die Gegenwart arbeiten läßt,
wenn es nicht für heutige Aufgabenstellungen anregend
wirkt. Alles andere ist reines Disneyland oder bloßes
Aufbewahren. Die Museen sind doch auch deswegen zu reinen
Fremdenverkehrsattraktionen degeneriert, weil sie viel zuwenig
didaktisch arbeiten.
Wenn das so ist erklärt es noch nicht, wie sich Museen,
als machtpolitisch vergleichsweise schwache Institutionen,
einer immer weitergehenden Kommerzialisierung erwehren können.
Die Dialektik zwischen konstruktivem Mittun und notwendigem
Widerstand bleibt bei ihnen ja nicht ausgespart.
Im Kampf gegen ein Herunterlizitieren von Kunst auf einen
bloßen Markt- und Schauwert gehören sie natürlich
unterstützt. Eigene Stärke werden sie dabei nur
beweisen, wenn sie andere wichtige Funktionen erfüllen
können, als die Tourismusindustrie ihnen aufzwingen will.
Die Dualität von Werk und Betrachter ist eine der offensichtlichen
Unmöglichkeiten im jetzigen Museumsboom, die andere ist
der konträr wirkende Zwang zu immer höheren Besucherzahlen.
Das Ideal eines Museumsdirektors ist sicher ein Haus ohne
Fremde, das Freunden, Gästen, Experten vorbehalten bleibt.
Darüber läßt sich doch auch in neuer Weise
argumentieren, ohne daß deswegen die Demokratie wankt.
Ihr ist mit weiter ausuferndem Massenansturm auf Sehenswürdigkeiten
ja ebensowenig gedient. In Japan z. B. kommt man in den Katsura-Palast
nur nach schriftlicher Anmeldung beim Imperial Household,
der pro Tag dann etwa 150 ausgewählte Besucher zuläßt.
Es ist ja auch ein Unsinn, daß die Akropolis für
jedermann zugänglich ist. Diese Massen kann sie ohne
an ihnen zugrunde zu gehen nicht aushalten. Die Karyatiden
sind inzwischen durch Kopien ersetzt worden, die Originale
im Museum aber sind fast genauso umlagert. Es bleibt offenbar
nichts anderes übrig, als die kulturellen Weihestätten
der Welt zuzusperren und den Zugang zu ihnen zu erschweren,
durch Bestellsysteme zu kontingentieren.
Stehplatzbesucher in der Oper, die sich nächtelang um
Karten anstellen, sind mit solchen Realitäten schon lange
konfrontiert.
Daß soetwas in manchen Kunstsparten immer schon hingenommen
wurde, ist auch ein Hinweis auf den geringen Stellenwert visueller
Künste in unseren Gesellschaften.
Ein Museumsdirektor jedoch, der Zuwachsraten ablehnt, dem
eine Informationsintensität wichtiger ist, bekäme
das über Budgetkürzungen rasch zu spüren. Der
Magie hoher Besucherzahlen kann sich bisher doch kein noch
so bemühter Kulturpolitiker entziehen.
Deswegen machen sie alle plötzlich eine Ausstellung
nach der anderen, die eigentlichen Museumsschätze werden
kaum noch zur Kenntnis genommen. Das wesentliche am Museum
für angewandte Kunst z. B. sind nur nur noch dessen Ausstellungen,
nicht mehr das Museum selbst. Das Kunsthistorische Museum
wiederum will mit Rudolf II. brillieren, mit einer Zusammenstellung
von Dingen, die jeder wirklich Interessierte sich in den Herkunftsmuseen
ansehen kann. Den medienbewußten Direktoren dieser beiden
Häuser, Hermann Fillitz und Peter Noever, liefern eben
nur mehr Ausstellungen die ihnen notwendige Attraktivität.
Ihre Sammlungen sind vielleicht ein Trumpf für den Tausch
von Leihgaben, das Museum als solches wird immer unwichtiger.
Das klingt danach, daß gerade die klassischen Häuser
eingefroren gehören, daß sie gewisse anerkannte
Werte hüten dürfen, aber keine Fragen einer permanenten
Neubewertung mehr gestellt zu werden brauchen.
Das meine ich nicht. Ich fordere aber Behutsamkeit und gründliche
Überlegungen. Natürlich braucht ein Museum entsprechende
Besucherzahlen, damit es seine Existenz legitimiert. Man muß
aber Auswege aus der Misere einer Quantitätsinflation
suchen. Im Prado z. B. wird in einem eigenen Raum immer ein
Gemälde des Monats ausgestellt, meistens eines, das gerade
neu restauriert worden ist. Da gibt es Informationsblätter
dazu und man kann sich wirklich konzentrieren. Mehr wie drei
oder vier Bilder kann sich ohnehin niemand während eines
Besuches wirklich anschauen. Erfreulich ist, daß sich
alle zu solchen hervorgehobenen Exponaten drängen, was
bei ausreichendem Platz niemanden stört, und dadurch
die anderen Sammlungen nicht so überlaufen sind. Der
Louvre würde doch auch längst einen eigenen Mona-Lisa-Saal
brauchen, für den es eben täglich nur 500 Karten
gibt. So würden genug Leute wieder intensiv sehen können.
Das Kunsthistorische Museum in Wien will - so eine der letzten
Ankündigungen von Hermann Fillitz - von prominenten Architekten
seine Sammlungen neu aufstellen lassen. Hans Hollein ist für
die Agyptische, Wilhelm Holzbauer für die Antiken-Sammlung
vorgesehen. Auf grund welcher Prinzipien und Überlegungen
sollte an solche Aufgaben herangegangen werden ?
Mir ist dieses Projekt neu; ich habe nur einmal für
einige Objekte einen Vorschlag gemacht. Wenn es tatsächlich
zu einem Auftrag kommen sollte, würde ich mir sicher
ein sehr sparsames Präsentationskonzept überlegen,
ohne jede architektonische Szenerie rundherum.
Angesichts der in den Wiener Bundesmuseen anlaufenden Renovierungsphase,
wo es im Zuge von baulichen Sanierungen um den Einbau von
Liften, Klimaanlagen, neuen Fenstern, Café-Restaurants,
etc. geht, müßte sich doch eine Besorgnis breitmachen,
daß gerade solche Detailänderungen Raumsituationen
und Ensembles enorm gefährden können, wenn nicht
mit einer extremen Sorgfalt vorgegangen wird.
Das unterschreibe ich, nur muß man z. B. im Kunsthistorischen
Museum sehen, daß es kaum noch pure ursprüngliche
Gestaltungen gibt. Es existieren noch alte Vitrinen von Semper
und Hasenauer, in den 30er Jahren hat Clemens Holzmeister
einiges neu gestaltet, das ist dann wieder entfernt worden,
es war ein ständiges Hin und Her, das immer grotesker
geworden ist. Eine subtile Neugestaltung bei gleichzeitigem
Einbau zeitgemäßer Beleuchtungs- und Klimatechnik
ist also nicht an ein zu sklavisches Restaurieren gebunden.
Klar ist aber doch, daß für die dazu notwendige
Subtilität in den üblichen Planungs- und Bauvorgängen
kein Platz ist. Wer hat selbst von den auf sensitive Umbauten
ausgerichteten Architekten Zeit und Nerven vielleicht über
Jahre hinweg im Kunsthistorischen MUseum, im Völkerkundemuseum
oder in der Österreichischen Galerie im Belvedere Schritt
für Schritt kompetente Lösungen zu entwickeln -
und zwar mit einer gebührenden Autonomie, die sowohl
vom Museum selbst, als auch von der Ingenieurmaschinerie,
die da in Gang kommt, bedroht wird ? Vielleicht ist deswegen
die bejubelte Sanierungsmilliarde (1,6 Mrd. S. sind es insgesamt)
nicht von einer Diskussion um die geeignete, Architekturfragen
stellende Vorgangsweise begleitet worden ?
Solche Befürchtungen sind sicher richtig. Ich teile
sie völlig und rechne mit dem Schlimmsten. Gerade für
das Kunsthistorische Museum; dort soll Carl Auböck die
Halle machen und x andere Leute fuhrwerken ebenfalls herum.
Es gibt schon neue entworfene Sessel, irgendwer wird das Kaffehaus
installieren. So kann das nicht gutgehen. Selbstverständlich
müßte das jemand übernehmen, der sich mit
aller Sorgfalt der Substanz widmet und nicht auf tolle Architektur
aus ist. Carlo Scarpa hat uns doch allen vorgeführt,
wieviel Feingefühl und Durchhaltevermögen auf der
Gratwanderung zwischen Substanzerhaltung und neuen Lösungen
notwendig ist. Die Museumsadaptierungen müßten
in seinem Sinn eine Herausforderung darstellen - oder hätten
es sollen. Es läuft offenbar auch diesmal so, wie eingangs
besprochen.
Bei der "großen" anstehenden musealen Bauaufgabe,
dem Messepalast-Projekt, lassen sich, so die - in dieser Publikation
enthaltene - Argumentation von Hermann Czech, der für
die erste Wettbewerbsphase mitverantwortlich gewesen ist,
bisher drei eindeutige Erfolge verzeichenen: Die Verteidigung
der notwendigen inhaltlichen Flexibilität, die Fernhaltung
jedweder Kommerzarchitektur und die Sicherung einer offenen,
stufenweisen Realisierung mit Priorität für die
neue Ausstellungshalle. Wie sieht das, mit aller Subjektivität,
ein Teilnehmer an diesem Wettbewerb, der diesmal nicht zum
Zug gekommen ist ?
Ohne eine Stellungnahme dazu würden meine Argumente
zu Museumsfragen auch eher praxisfern bleiben. In meinen Augen
hat sich die Jury in leichtfertigster Weise über die
vorhandene Bausubstanz hinweggesetzt. Wenn von zwölf
möglichen Preisen nur sieben vergeben werden und von
denen sechs die sogenannte Reithalle wegreißen wollen,
offenbar weil sie "nur" ein spätklassizistischer
Bau ist und der siebente den halben Bau Fischer von Erlachs
zerstören will, dann ist das für mich kein ernstzunehmendes
Wettbewerbsergebnis. Inzwischen ist die Stimmung plötzlich
so, daß die Reithalle eher bestehen bleiben sollte,
und jetzt müssen ausgerechnet diese Sieben für die
zweite Wettbewerbsstufe in diesem Sinne ihre Projekte umplanen.
Alle, die schon früher für die Reithalle eingetreten
sind und die mit größtmöglicher Erhaltung
der vorhandenen Substanz ein funktionierendes Museum machen
wollten, und da beziehe ich mein Projekt mit ein, sind einfach
abgetan worden. In meinem Projekt bliebe diese Halle stehen,
der dahinterliegende Hof würde mit einem Glasdach überdeckt,
in dem U-förmigen Gebäude würden höhlenartige
Räume gewonnen; mit 120 Millionen Schilling hätte
man eine phantastisch funktionierende Ausstellungshalle für
große und intimere Ereignisse und sonst würde ich
fast alles in adaptierter Weise stehen lassen. Unter derartigen
Prämissen halte ich daher den Wettbewerb keineswegs für
einen Erfolg, sondern für ein totales Fiasko.
Auf das "Grundsätzliche" politischer Planungen
wirft das alles jedoch auch ein bezeichnendes Licht. Dezentral,
unter Berücksichtigung diverser Raumwünsche der
Museen, entsteht ja nicht so ohne weiteres ein überzeugendes
Konzept.
Sicher, es war da sammlungsmäßig immer alles völlig
in Fluß. Die wahren Gründe des Fiaskos sind aber,
daß man von Vorstellungen der 70er und 80er Jahre ausgegangen
ist, vom repräsentativen Museumsbau, vom Museumsbau,
der an sich ein Kunstwerk ist, wie es Hans Hollein formuliert
hat. Inzwischen aber gibt es völlig andere Entwicklungen,
die sich z. B. im zauberhaften Museum der Reina Sophia (?)
in Madrid manifestieren, wo in ein altes Dominikanerinnenkloster
ein wunderschönes Museum eingebaut worden ist. Auch das
neue Picasso-Museum in Paris befindet sich in einem umgebauten
alten Palais. In Wien aber will man beachtliche Volumina einer
alten Bausubstanz wegräumen, um ungefähr die gleichen
Volumina wieder hineinbauen zu können. Dabei wäre
es leicht, mit der Zeit zu einem vernünftigen additiven
System zu kommen, Abschnitt für Abschnitt, das flexibel
genug ist, um auf die noch gar nicht absehbaren Bedürfnisse
und Notwendigkeiten einzugehen, für die sich dieses Museumsareal
anbietet.
Die Vorstellung von einer permanenten Baustelle wäre,
wenn sie mit neuen Arbeitsstrukturen für die Museums-
und Ausstellungstätigkeit einherginge, eine interessante
Konzeption, vielleicht weil sie die Angst vor dem Endresultat
reduziert. Von der kaputten, improvisierten gegenwärtigen
Szenerie fällt einem der Abschied ohnehin schon wieder
schwer, wahrscheinlich wegen der Reminiszenzen an Arena-Zeiten
im Schlachthof St. Marx und wegen der erfreulich normalen
Atmosphäre bei diversen Festwochen-Veranstaltungen.
Ein spontaner Weg wäre sicher der beste; nicht ein Fertigplanen
bis zum letzten Eck, mit genauer Berücksichtigung, wo
dieses oder jenes Bild hängt: Fast nach dem Prinzip,
wer zuerst kommt, malt zuerst. Wenn das Kunsthistorische Museum
dort sein Heroon von Gölbasi aufstellen will, brauche
ich nur einen dieser kleinen Höfe überdachen, gebe
also morgen einer Stahlbaufirma den Auftrag für ein Glasdach,
grabe im Hof, der nicht unterkellert ist, ein Loch und kann
dann das ganze so hineinbauen, daß es phantastisch dasteht.
Wenn die Idee von einem Skulpturenhof konkret geworden ist,
könnte mit einem der anderen Höfe ähnlich verfahren
werden. Man kann Höhlen in den Berg hinein ausbauen,
wird die Ausstellungshalle adaptieren und die einzelnen Gebäudetrakte
Schritt für Schritt für spezielle Sammlungen einrichten.
In diesem Sinn könnte also ein fast zufällig entstehendes
Konglomerat realisiert werden, es würde endlich einmal
das Museum als Wachstumsprozeß zum Programm gemacht.
Das kann ruhig dreißig Jahre dauern, fast als Garantie
dafür, daß dann diverse Zufälligkeiten, Absonderlichkeiten,
die kein geplantes Museum hat, mit dem Spezifischen des Ortes
verschmelzen. Soetwas könnte dann nirgendwo anders sein
und es wäre ein Ausdruck für eine ungeplante, unplanbare
Kulturpolitik, die darauf ausgerichtet ist, daß immer
wieder Neues entstehen kann.
Ist das nicht eine überraschende Abwendung von der eingangs
besprochenen Notwendigkeit zu selbstbewußter Repräsentation,
vom repräsentativen, zeichensetzenden Bauen schlechthin
?
Es ist die viel schwierigere Fortsetzung solcher Gedanken.
Ich glaube, daß es noch ein, zwei Museumsbauten im Sinne
der 70er und 80er Jahre geben wird, dann ist es aus. Zukunftsweisender
als sie - sei es nun Holleins Mönchengladbach, Richard
Meiers Kunstgewerbemuseum in Frankfurt oder Sterlings Architekturmuseum
in Stuttgart - ist ein Eindringen in historische Bausubstanzen,
mit denen wir doch in so vielen Fällen nichts mehr anzufangen
wissen. Damit wird sich diese übertriebene Selbstdarstellung
der Architektur aufhören. Im Verhältnis zur Sammlung,
zum Inhalt also, hat sie ja immer groteskere Formen angenommen.
Das Wiener Messepalast-Projekt hätte mit der von mir
vertretenen Philosophie wirklich die Chance ein Markstein
zu werden - als ein wachsendes Museum. Eine Besinnung auf
Piranesi wäre dabei heilsam: Die Ruinenlandschaft des
Messepalastes könnte sich meanderhaft mit Leben füllen,
die einzelnen Fragmente würden langsam zusammenwachsen
oder das Ganze bleibt eben eine offene Struktur.
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Wilhelm Holzbauer,
Architekt
geb. 1930 in Salzburg. Studium an der Akademie der
bildenden Künste in Wien. Jüngste Bauten:
Vorarlberger Landhaus, Bregenz (Fertigstellung 1981),
Rathaus und Musiktheater, Amsterdam (1986), Naturwissenschaftliche
Fakultät der Universität Salzburg (1986).
Professor an der Hochschule für angewandte Kunst
in Wien, seit 1987 Rektor.
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