Gespräch mit Kurt Kocherscheidt
1986 hat das Wiener Museum des 20. Jahrhunderts die erste
große - und sehr erfolgreiche - Kocherscheidt-Ausstellung
gezeigt. Nehmen wir sie als Ansatzpunkt dafür, die Forderungen
eines Kunstproduzenten an ein Museum für Gegenwartskunst
zu diskutieren.
Es soll ein strenges Institut sein. Es sollte sich nicht
anbiedern. Es muß sich seiner wichtigen Rolle als nichtkommerzielle
Instanz bewußt sein. Mit einer Galerie sind bestimmte
Künstlergruppierungen verbunden, das bekommt immer eine
gewisse Färbung. Im Museum jedoch wird ein Künstler
abgehoben davon präsentiert, losgelöst von solchen
Beziehungen, allein mit seiner Arbeit vor der Öffentlichkeit
stehend. Dabei muß ihm das Museum vollste Unterstützung
bieten und dazu gehört, als eine vorrangige Museumsaufgabe,
die Finanzierung. In meinem Fall ist während der gesamten
Vorbereitungszeit nämlich immer alles in Frage gestanden.
Dauernd hat es geheißen, die Ausstellung muß,
wie auch die drei oder vier folgenden, abgesagt werden, weil
einfach das Geld nicht vorhanden sei. Dann hat man sich um
private Finanziers bemüht, wogegen ich im Prinzip gar
nichts habe. Nur als dann das zuständige Ministerium
die Unterstützung von IBM organisiert hatte, habe ich
mich geweigert, als Werbeträger aufzutreten. Plausibler
wäre es doch, daß in so einem Fall die Republik
selbst sich dafür hergibt, schließlich hilft ihr
ein Sponsor, eine übernommene Aufgabe zu erfüllen,
in einer dafür vorgesehenen öffentlichen Institution.
Ich habe mich letztenendes durchgesetzt, die Firma ist weder
am Plakat noch im Katalog, der ohnedies vom Morat-Institut
in Freiburg finanziert worden ist, genannt worden. Man hat
mich zwar belehrt, daß es künftig überhaupt
nur noch Ausstellungen unter Firmen-Patronanz geben wird,
so wie das eben auf der ganzen Welt nun üblich sei, von
einer staatlichen Verantwortung für Kunst, die doch zu
den vornehmsten Aufgaben der Republik zählen müßte,
ist während der ganzen Zeit nicht die Rede gewesen.
Das Morat-Institut in Freiburg ist eine Privatsammlung, kein
Sponsor. Kann man es als Modellfall dafür sehen, wie
von Museen aus mit Kunst umgegangen werden müßte
- ob sie nun privat oder staatlich finanziert sind ?
Franz Morat, der seit vielen Jahren meine Bilder sammelt,
ist in dem ganzen Geschehen sicher eine Ausnahmeerscheinung.
Er wäre sicher gerne Museumsdirektor, nur würde
er ständige Einmischungen in seine Arbeit nicht akzeptieren.
Daher verwendet er sein Erbe für Kunst und zwar mit einer
Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber. Die
Idee, das für sich allein zu machen, ist ihm nie gekommen;
er versucht Aufgaben wahrzunehmen, für die sich der Staat
nicht in einer vergleichbaren Exponiertheit zuständig
fühlt. Daher ist die Sammlung jederzeit zugänglich
und hat eine vorbildliche Verwaltung, die sofort auf jede
Anfrage reagiert, ganz im Gegensatz zur Unverlässlichkeit,
an die man uns alle hier gewöhnen will. In Österreich
läuft doch alles nach der Devise, seien sie froh, daß
sie eine Ausstellung bekommen und der Katalog ist überhaupt
eine Gnade. Darüber wird ja auch nie gesprochen, daß
Künstler nämlich hierzulande ständig gezwungen
werden, ihre Ausstellungen mitzufinanzieren oder zumindest
Beziehungen zu Verlagen und Finanzquellen einzusetzen. Das
sagt ja über den Umgang mit Kunst einiges aus und verstärkt
natürlich die Animositäten unter Künstlern.
Wenn bei meiner ersten großen Museumsausstellung in
Österreich sich der Staat trotz der Sponsorfirma den
Katalog vom Morat-Institut bezahlen lassen muß, sich
also zu einem wesentlichen Teil der Informationsarbeit nicht
in der Lage sieht, dann deklariert er damit, wie es um seine
Auffassung der Kunst gegenüber wirklich steht. Der Staat
muß sich an Hand solcher Beispiele eben fragen, warum
er seinen Museumsleitern nicht ähnliche Kompetenzen und
Möglichkeiten zugesteht, die in privaten Institutionen
ein Garant für Qualität sind und er muß sich
fragen, wie es mit den staatlichen Häusern weitergehen
soll. Ein Zusammenspiel von staatlichen und privaten Sammlungen
wäre richtig. Die Unterschiede in der Autonomie würden
als Wettbewerb sichtbar, als Ansporn. Es wäre ja auch
völlig undemokratisch, wenn jemand, der öffentliche
Gelder verwaltet, tatsächlich nur nach seinem persönlichen
Gusto agieren würde. Als Schutz dagegen wirken vielleicht
Verträge auf Zeit. Ein interessantes Kräftespiel
kommt nur durch Vielfalt zustande, wie in der Bundesrepublik,
wo zentral auf Bundeseben wenig passiert, aber die Länder
und die Städte sehr viel machen und deren Museen und
Kunsthallen teils staatlich, teils vereinsmäßig,
teils privat organisiert sind. Nicht umsonst ist Deutschland,
was Museen und das Sammeln betrifft, in Europa führend
geworden. Man braucht sich nur die Intensität des Kunstgeschehens
im Raum Köln, Düsseldorf, Essen, Bochum anzuschauen.
Über den französischen Zentralismus wurde längst
nicht diese ein ganzes Land erfassende Lebendigkeit erreicht.
Es geht gar nicht um große Lösungen, sondern um
viele aktive Zellen, wie es z. B. das Stedelijk Van Abbe Museum
in Eindhoven ist oder das wunderschöne Boymans-van Beuningen
Museum in Rotterdam, mit seinen herrlichen Räumen und
einem großartigen Licht.
Die föderalistische Struktur in Österreich würde
eine gute Ausgangsposition bilden. Gegenargument ist ständig,
daß Kräfte konzentriert werden müssen, noch
dazu, wo ohnehin kein Geld für eine aktive Museumsarbeit
bereitgestellt werden kann, weil offenbar die öffentliche
Armut ausgebrochen ist.
Solche Denkweisen sind absurd, weil sie nichteinmal berücksichtigen,
wie vergleichsweise winzig die Beträge sind, die durch
das Sammeln von Kunst in die Vermehrung des Volksvermögens
investiert werden und wie marginal der Aufwand für die
Austellungsarbeit ist - für kommunikative Prozesse also.
Der Staat wäre einfach gut beraten, wenn er seine Politik
der Kunst gegenüber gründlich neu überlegt.
Die Gelder laufen doch ständig in ganz falsche Richtungen
und niemand legt irgendeine Rechenschaft darüber ab.
Die Museumsdiskussion in Österreich konzentriert sich
viel zu stark auf das Großprojekt Messepalast und verhindert
so Initiativen für kleinere Vorhaben, obwohl ein repräsentatives
großes Museum auch kein Schaden wäre.
Damit wären wir bei der Last der Geschichte, bei der
Chance, Verhinderungstraditionen aufzubrechen. Dem Staat,
der diese Gesellschaft repräsentiert, ist die Moderne
erst seit 1962 ein kleines Anliegen, als er das Museum des
20. Jahrhunderts eröffnet hat. Der nächste Schub
war von einem Großimport abhängig, von der Sammlung
Ludwig.
Die Auswirkungen der Nazizeit, mit ihrer generellen Verachtung
jeglicher modernen Kunst, haben sich in den Gehirnen festgefressen.
In keinem anderen Land hat sich das dermaßen tief im
Volksbewußtsein verankert. Es gibt keine Parallelen.
Selbst in Italien unter dem Faschismus ist zeitgenössische
Kunst nie wirklich verfolgt worden, ganz im Gegensatz zu den
in der 2. Republik prolongierten Traditionen. In der Bundesrepublik
sind ganz andere Formen einer Bewältigungsarbeit gefunden
worden. Bei uns liegt das alles wie ein grauslicher Haufen
in der Ecke. Niemand hat geglaubt, sich noch darum kümmern
zu müssen. In der Kunst wird das alles ganz deutlich.
Man ist soweit, einen Caspar David Friedrich zu akzeptieren,
auch wenn er im Grunde schwierig zu begreifen ist, weil ihm
populäre Zugänge gebaut worden sind. In Wirklichkeit
will man aber einen Arno Breker haben.
Oder einen Gustinus Ambrosi. Bezeichnend ist ja, daß
von den bildenden Künstlern dieses Jahrhunderts nur ihm,
sowie Anton Hanak, Siegfried Charoux und Alfred Kubin eigene
kleine Museen eingerichtet worden sind; aus internationaler
Sicht eine absonderliche Kombination.
Sie wollen aber in Wahrheit auch ihren Hrdlicka, gerade wegen
dessen formaler Nähe zur faschistisch-stalinistischen
Kunst, die eigentlich seiner Position als Antifaschist wiedersprechen
sollte. Sie wollen auch seine rigorose Ablehnung der von ihm
- oder war es Hundertwasser - als entartet bezeichneten Gegenwartskunst.
Es gibt keine "politische" Kunst. Ernstzunehmende
Kunst ist von vorneherein politisch, weil sie einen Menschen
mit einem Gewissen voraussetzt, der politisch reflektiert,
der nachdenkt, also auch zweifelt. Eine Darstellung des Faschismus
in Österreich in Form eines straßenwaschenden Juden
ist deshalb so grauenhaft, weil sie so schrecklich unübersetzt
ist, genauso wie die Denkmäler mit sterbenden Soldaten,
die allerdings vierzig Jahre früher entstanden sind.
Beides wirkt in dieselbe Richtung, weil der Politik so unmittelbar
geantwortet wird, in einer Weise, die gerade in der Kunst
überwunden werden muß. Aber da dieses Denkmal nun
schon einmal bestellt ist, sollen sie es ruhig bauen; es wird
ein furchtbares Denkmal werden, mich aber eine zeitlang auch
daran erinnern, wie unerträglich von seinen Gegnern am
Kern der Sache vorbeiargumentiert worden ist. Der Wiener Aktionismus
ist eine unvergleichlich tiefergehende politische Kunst gewesen,
gerade weil er überhaupt keine "politische"
Kunst war und dennoch so radikal politisch gewirkt hat. Er
war eben nicht eine bloße Provokation, nicht nur eine
Auflehnung gegen diesen Staat, sondern auch gegen herrschende
Kunstformen, gegen gesellschaftliche Formen.
Daß alles im Museum endet ist offenbar unausweichlich.
Immerhin hilft ein solcher Ort an der Akzeptanz zeitgenössischer
Kunst mit, wenn von ihm aus nicht zu beliebig und konturlos
agitiert wird.
Deswegen muß ein Museum ein strenges Institut sein.
Nur so kann es seine Chancen wahren. Nehmen wir als Beispiel
Italien. Dort ist ein ganzes Volk daran gewöhnt, den
Inhalt seiner Museen als Kulturgüter zu begreifen, die
für jeden da sind. Die Architektur der Uffizien ist streng,
alles hat seinen Platz, es wird nicht ständig umgehängt,
und im Gegensatz zur Strenge steht die Italienern selbstverständliche
Art, sich in einer solchen Umgebung frei zu bewegen, ohne
unsinnige Hemmschwellen. In unseren Breiten wird aus ganz
anderen gesellschaftspolitischen Hintergründen nun dauernd
versucht, Barrieren abzubauen, alles zugänglicher und
beweglicher zu machen, bis hin zu irgendwelchen Pfadfinderausstellungen.
Damit wird man nichts erreichen. Museen brauchen ein Selbstverständnis,
in das man hineinwachsen kann, sie müssen sich auf ihre
Stärke besinnen, auf die Stärke kultureller Kräfte,
die von sich aus anziehend wirken.
Sich Museen mit einer strengen, fast abweisenden Integrität
zu wünschen, ist angesichts der verfilzten Interessenslagen
und der Unterhaltungsbedürfnisse eine gegen völlig
konträr wirkende Kräfte gerichtete Vorstellung.
Ich bin aber völlig davon überzeugt, daß
ein Bedürfnis danach bestünde. Es würden sich
ganz andere Wertungen durchsetzen können. Kunst würde
- gerade in unserem Land - endlich wenigstens so akzeptiert
werden, wie ein ordentliches Handwerk. Wer verlangt schon
von einem Tischler, daß er laufend Ausstellungen macht,
um zu beweisen, daß er eine Schwalbenschwanzverbindung
zusammenbringt ? Ihm wird unterstellt, daß er so etwas
kann. Gegenüber Künstlern ist es bei uns mit der
Wertschätzung noch lange nicht so weit. Das sieht man
am dummen Geschwätz über sein "handwerkliches
Können". Wenn der Künstler es brav und jedem
verständlich herzeigt, wird er "verstanden".
Da ist in den Schulen und in der Erziehung so unglaublich
viel versäumt worden, daß sich das über bildungsorientierte
Museen in keiner Weise nachholen läßt. Daher sollten
sich Museen auf die Werke konzentrieren. Das ist die Voraussetzung
dafür, daß Verständnis entsteht und jeder
hat heute die Möglichkeit, sich an Informationsprozessen
über Kunst zu beteiligen, ohne daß ihn ein Museum
belehren müßte. Die gesellschaftliche Wirkung eines
Museums ist kein Wachstumsproblem. Es ist völlig unsinnig,
darüber zu klagen, daß es da oder dort gerade 1,5
Prozent Besucherrückgang gegeben hat. Das sollte überhaupt
niemanden kümmern. Die Republik hat die Verpflichtung,
Museen zu haben und deren Arbeitsmöglichkeit sicherzustellen.
Wem ist damit gedient, daß man Leute hineinlockt ? Entweder
sie kommen oder sie kommen nicht. Museen müßten
doch frei sein von den Überlegungen eines Diskonters,
der um des Geschäftes willen Leute ins Fliesenland lockt.
Gerade in Wien haben wir allerdings genügend Museen,
die sich nie mit auffälligen Besucherströmen brüsten
konnten. Jetzt scheint sich ein Unbehagen darüber breit
zu machen, angesichts der internationalen Vorgaben.
Ausgangspunkt war natürlich das Centre Pompidou und
jetzt glauben alle, sie müßten nach dem gleichen
System vorgehen. Nur scheint sich niemand im klaren darüber
zu sein, daß in Paris andere Gewohnheiten eingebürgert
sind. Man geht dort öfter ins Museum, benutzt häufiger
Bibliotheken, ist eingebunden in kulturelle Auseinandersetzungen.
Fast die Hälfte der 7,3 Millionen jährlichen Beaubourg-Besucher
kommen wegen der Bibliothek. Statistisch gesehen gehen 800.000
Leute durchschnittlich neun mal pro Jahr hinein, allerdings
haben nur 15 Prozent von ihnen keine Mittelschulbildung und
bloß 3 Prozent sind manuelle Arbeiter.
Das bestätigt durchaus meine Vermutungen. Nur ist die
Schicht des Bildungsbürgertums bei uns nicht gerade ein
Promotor zeitgenössischer Interessen. Vorherrschend ist
die Verachtung für die Bemühungen gegenwärtiger
Kunst. Das bekomme ich beinahe täglich zu spüren.
Als Künstler wird man hier gezwungen, ständig seinen
Beruf zu verleugnen, weil sich keiner dauernd einer Diskussion
stellen kann, warum er nicht Gebirgslandschaften malt. Selbst
die Albertina ist über viele Jahre hinweg zu einer Provinzsammlung
verkommen und ihr neuer Direktor hat jetzt alle Hände
voll zu tun, daß sie wieder das wird, was sie einmal
war, und das ist ohne Gegenwartskunst nicht vorstellbar. Auch
eine stärkere Zusammenarbeit mit Landesmuseen wäre
denkbar. Ein Peter Baum hat in Linz hat viel getan; Otto Breicha
ist in Salzburg aktiv, in Graz organisierte er viele Jahre
lang außergewöhnliche Ausstellungen, die man sich
vorher dort nur erträumen konnte. Es braucht dabei in
keiner Weise um die großen Lösungen zu gehen; wie
Kleines intelligent funktionieren kann, dafür gibt es
doch genügend gute Beispiele.
Die Debatte wird von den Bundesmuseen dominiert, vom Messepalast-Projekt
und von Überlegungen zu einer "Reform von oben";
der Stellenwert von Kunst wird dabei bestenfalls verbal leicht
gestreift. Thema sind undichte Dächer und fehlende Aufseher.
Das ganze ist ein Problem der Wertung von Kunst im öffentlichen
Bewußtsein. Im fünften Jahrzehnt nach dem Krieg
haben wir jetzt eine Situation, in der man erstmals das Gefühl
hat, daß sich wirklich etwas ändert. Der Bundeskanzler
eröffnet z. B. eine Aktionismus-Ausstellung. Der Weg
kann doch nur der sein, sich für eine breitere Akzeptanz
nicht konformer Darstellungen der Kunst einzusetzen. Das wird
bei uns Jahrzehnte dauern. Nur muß endlich einmal damit
begonnen werden und die Museen sind dafür ein wichtiger
Angelpunkt. Sie dürfen nicht durch irgendeine oberflächliche
Modernisierung zur bloßen Station in Stadtrundfahrten
abgewertet werden, nur daß man dann sagen kann, schaut
her, was wir für die Kunst und für die Moderne alles
tun; so wie das Hundertwasser-Haus ja auch ein Produkt dieses
verhängnisvollen Argumentationsrasters ist. Viele der
neuen Bemühungen sind einfach Mißverständnisse.
Ein Museum muß zuallererst eine Informationsstätte
sein, für diejenigen, die es wirklich brauchen, die einen
Zugang suchen. Dazu muß es eine Haltung vermitteln,
ohne die geht es nicht.
Mit idealistischen Positionen lassen sich soziale Gebilde
zwar immer noch durchdringen, nur wissen wir doch, daß
sie im Spiel der Mächte nur ein Lächeln erzeugen.
Und die Machtfaktoren sind: Tourismusindustrie, Kultur als
Werbekonzept, ablenkende Inszenierungen für die Freizeitgesellschaft,
Budgetkonsolidierung. Daß in Relation zum Vermögensstock
der Museen anständig bemessene Betriebskosten und Ankaufsbudgets
eine Lappalie darstellen, darf nicht einmal laut gedacht werden.
Man sollte den Aufwand der Nationalbank als Vergleich hernehmen.
Wenn Gesellschaften nicht aufhören, wenigstens auf gewissen
Ebenen anders zu agieren, als dies machtmäßig gerade
aktuell erscheint, dann gebühren ihnen die Konsequenzen.
Es geht in der Tat um vergleichsweise kleine Summen. Ich meine,
daß Museen als Teil des geistigen Vermächtnisses
eines Landes den gleichen Stellenwert besitzen wie etwa Krankenhäuser,
nur daß sie einen Bruchteil davon kosten. Geistiges
Erbe wurde bei uns einmal freudig verbrannt, weil man es los
sein wollte. Unter Stalin war zwar alles Nichtkonforme verboten
und nicht zugänglich, es ist aber sehr oft aufgehoben
worden, in einer perversen Art von Gewissen den Werten der
Kultur gegenüber. Filme etwa wurden nie gezeigt, aber
auch nie verbrannt, womit man sie für immer vernichtet
hätte.
Die Reserviertheit gegenüber einer staatlichen Sammeltätigkeit
ist aber gerade in unserer Generation über lange Zeit
ein Thema gewesen; und jetzt werfen wir dem Staat vor, daß
er sich um nichts gekümmert hat. In den 50er und 60er
Jahren hätten sich viele ein solches Kümmern verbeten.
Der Staat hat sich eben damals in einer Weise dargestellt,
mit der man einfach nicht konform gehen wollte. Ich habe nie
jemanden getroffen, der mit dem lange Jahre für Kunst
zuständigen Unterrichtsminister Drimmel gekonnt hätte.
Das war von vorneherein eine beidseitige scharfe Gegnerschaft.
Keine Seite wollte mit der anderen auch nur das geringste
zu tun haben. Das haben alle offiziellen Ausstellungen bewiesen.
In diesen unvorstellbaren Unverstand hinein haben die damaligen
Künstler dann ja ihre scharfen Kerben geschlagen. Die
Gesellschaft ist zusammengezuckt ...
... und hat sich zu bewegen begonnen; nur nicht gerade in
Richtungen, die einen heute befriedigt zurückblicken
lassen.
Offenbar gibt es Pendelbewegungen. Einerseits hat sich das
Klima deutlich verbessert, andererseits war der Preis dafür
eine Beliebigkeitsinflation; im Sinne der Reporterfrage an
einen jungen Musiker, die ich gerade in Ö 3 gehört
habe: "Glaubst Du, daß Du jetzt im Mainstream bist
?". Was diese saugende Anerkennung und Einverleibung
vieler künstlerischer Arbeiten nach sich ziehen wird,
muß einen eher besorgt machen. Im Grunde ist es aber
positiv. Es sollte alles dargestellt, aufgeführt, gezeigt
werden. Dann werden wir schon sehen.
Die bildende Kunst hat sicher davon profitiert, nur steht
sie mangels großem Geschäft mit Reproduktionen,
mit Urheberrechten, mit Tantiemen immer noch eher außerhalb
dominanter gesellschaftlicher, sprich ökonomischer Interessen.
Für mich ergeben sich in diesem Zusammenhang immer wieder
Fragen nach der Geringschätzung geistiger Arbeit, als
ein signifikanter Kontrapunkt zu Anforderungen einer Dienstleistungs-
und Informationsgesellschaft. Ein Künstler kann ja als
Spezialfall davon gesehen werden; ihm hilft wenigstens die
Kunst.
Das stimmt wahrscheinlich, daß einem unabhängiges
Denken noch am ehesten als Künstler abgenommen wird.
Ein junger Maler in Italien z. B. ist a priori in seinem Beruf
akzeptiert; es braucht ihn nicht besonders zu schmerzen, daß
der Staat nicht reagiert, der in seinem Land besonders unflexibel,
bürokratisch, ja eigentlich impotent ist. Es gibt sehr
viel Privatinitiative, Privatsammlungen; moderne Museen haben
daher nicht diese existentielle Notwendigkeit, die sie bei
uns für den Kampf um Anerkennung haben. So kann man sehr
wohl ein lebendiges geistiges Klima schaffen, noch dazu wenn
nicht jedes Projektchen vom Großmut einer Kronen Zeitung
abhängig ist.
Die klimatische Dialektik hierzulande hat schon etwas Begeisterndes
an sich. Hans Dichand, der große Privatsammler und Mäzen
vieler Museen, vertieft im Alltag durch seine Zeitung jene
Stimmung und jenes Österreich-Image, das er dann durch
Kunst-Leihgaben - von Klimt bis Schiele, von Paris bis New
York - im Ausland wieder aufpolieren will.
Bei Fiesheiten sind wir eben eine Weltmacht, mit der relativ
größten Zeitung, mit unkontrollierter Macht ohnegleichen.
In keinem anderen westlichen Land könnte man sich, bei
einer Übertragung der Proportionen, solche Strukturen
auch nur vorstellen.
Von der Kunst her gesehen ist die Hereinholung der Sammlung
Ludwig als Wendepunkt angekündigt worden; konnte dieser
Anspruch halbwegs eingelöst werden ?
Das ist sicher aus dem Bedürfnis geschehen, uns wieder
auf die Ebene europäischer Kulturnationen hinaufzuhieven.
Man dürfte gesehen haben, daß die Salzburger Festspiele
langsam nicht mehr genügen und irgendetwas Modernes ganz
gut wäre, als Ausdruck von schlechtem Gewissen. Was immer
fehlt ist das Durchhaltevermögen, daher bleiben selbst
fruchtbare Maßnahmen so wirkungslos. Diese 2. Republik
ist doch geboren worden ohne jede moralische Bedenken. Die
wurden einfach subtrahiert, weil man keinerlei Erbsünden
wollte. Jeder gegenteilige Zeuge ist eine unerwünschte
Person gewesen, keiner der Vertriebenen ist zurückgeholt
worden. Das wissen wir doch alles. Da läßt sich
eben mit einem Museum Moderner Kunst oder einem modernen Musikfestival
nichts vertuschen; wo derartiges doch in Wien immer ausgebuht
worden ist. Bei uns ist die Entwicklung einer Moderne durch
den Austrofaschismus und den Nationalsozialismus in einer
Schärfe unterbrochen worden, wie sie eigentlich ohne
Beispiel dasteht. Wir haben keine Kontinuität, deswegen
sind die Bürger so ratlos. In anderen Ländern ist
man nicht so ratlos, weil man von ihr mehr retten konnte.
Den Museen die sonst überall nur fragmentarisch gelingende
Arbeit an einer Neuakzentuierung des Selbstverständnisses
abzufordern, ist ein Anspruch, der eine radikal geänderte
Orientierung voraussetzen würde - im Sinne von Inseln
der Integrität, die der Gesellschaft gegen jeden Widerstand
divergierende Deutungsmuster anbieten.
Ohne einen Kulturkampf um Integrität geht das auch nicht.
Die notwendige Rekonstruktion von Kontinuitäten könnte
nur in von Politik und gesellschaftlicher Macht unabhängigen
Institutionen erfolgen, die ein Zufluchtsort sind für
die hoffentlich wachsende Zahl der Menschen, die etwas anderes
brauchen, als Primitivreflexionen über Politik, Gesellschaft,
Kunst. Diskussionsplattformen müssen das sein, die Kontinuität
nicht harmonisieren, die Brüche markant herausarbeiten.
Dies würde endlich dazu beitragen, daß die Akzeptanz
von Kunst und anderer geistiger Leistungen, die nicht konformistisch
darstellen wollen, was es schon gegeben hat, die nichts wiederholen
wollen, steigt, also schlicht Reife, Toleranz, kritische Neugier
zunehmen. Wie mühsam der Weg dorthin wäre, zeigt
sich an vielen Einzelheiten. Heide Hildebrand z. B., in deren
Galerie in Klagenfurt ich 1968 meine erste Ausstellung gehabt
habe und die jetzt für den Pädagogischen Dienst
der Bundesmuseen arbeitet, macht mit einem Kreis von Interessenten
Atelierbesuche; sie waren auch bei mir und ich habe viel Wichtiges
gehört, was aus der Sicht einer Museumspädagogik
an ein Museum für Anforderungen gestellt werden. Nur:
Ich konnte mit dem nicht übereinstimmen. Für meine
Ausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts hat eine Teilnehmerin
an diesem Arbeitskreis Erklärungsblätter gefordert,
aus denen hervorgeht, was ich als Künstler will. Man
wollte nicht begreifen, daß ich doch kein Schriftsteller
bin und meine Arbeit verbal extra nochmals formuliere. Man
traut sich nicht mehr zu, selbst etwas zu sehen; und sei es
eben Schritt für Schritt. Wir können uns doch nicht
alle aufführen, als ob wir einen Wald nur mehr auf beschilderten
Naturlehrpfaden betreten könnten.
Und der Rat des Malers in bezug auf Vermittlungsmöglichkeiten,
auf die Informationsarbeit für Ausstellungs- und Museumsbesucher?
Das Wichtigste ist es, ihm einen Respekt vor der Arbeit beizubringen
- ich sage bewußt Arbeit, nicht Leistung, nicht gute
Leistung, schwache Leistung - damit Kunst nicht als Kuriositätenkabinett
gesehen wird. Jeder kann dann sagen, mir gefällt das
nicht, ich verstehe das nicht, sollte aber sagen, daß
er es als Arbeit akzeptiert. In fünf Jahren wird er vielleicht
soweit sein, daß er das Gefühl hat, dem nähergekommen
zu sein, dafür wird er mit dem Neuen möglicherweise
nichts anfangen können. Verstehen zu müssen jedoch
ist der falsche Ansatz. Selbst ich kann meine Arbeit nicht
"verstehen". Nur: Bei uns läuft das von vorneherein
konsequent ganz anders - immer nach dem Motto "Das brauchen
wir nicht". Denn die von Schulen und Medien in der Vergangenheit
endlos prolongierte Grundhaltung ist ein Mißtrauen gegenüber
der Kunst, das sich als kritische Haltung tarnt, weil ja vielleicht
"gewisse Kreise" einem bloß für eine
Sache Respekt einflößen wollen, die es in keiner
Weise verdient.
Daß die Kennerschaft von Kunst erfreuliche soziale
Verhalten fördert, würde ich mir aber nicht zu behaupten
getrauen. An eine Sensibilisierung der Wahrnehmungsbereitschaft
durch sie glaube ich aber sehr wohl.
Die Kunst ist, wie schon gesagt, kein Naturlehrpfad, sie
hat auch nicht die Aufgabe, Bürger zu besseren Menschen
zu machen. Sie ist eine Möglichkeit der geistigen Auseinandersetzung
auch jenseits von Politik, Gesellschaft etc. Sie setzt ein
höchstes Maß von persönlicher Involviertheit
und freiem Denken voraus. Bei uns ist die Erziehung in der
Nachkriegszeit nicht in diesem Sinn gelaufen. Autoritätsgläubigkeit
und Unterordnung war das Thema. Wir wären leicht ein
guter Ostblock-Funktionärsstaat geworden, vielleicht
der Klassenbeste. Hier in meiner ländlichen Umgebung
suchen Bauern und Handwerker verzweifelt nach einer Staatsstellung,
so entwürdigend und subaltern sie auch sein mag. Das
sind die Bedingungen, die es dem Künstler in diesem Land
so schwer machen. Er hat - von einer Prominentengeilheit einmal
abgesehen - nie einen Halt im öffentlichen Bewußtsein
gefunden. Dort müßte man ansetzen und das wird
dann vieles andere bewirken.
|
Kurt Kocherscheidt,
Maler
geb. 1943 in Klagenfurt, Studium an der Akademie der
bildenden Künste in Wien und an der Akademie in
Zagreb; zahlreiche Ausstellungen in Östereich,
der Bundesrepublik Deutschland, in England, Holland
und Italien; zuletzt: Museum des 20. Jahrhunderts, Wien
(1986), Badischer Kunstverein, Karlsruhe und Stedelijk
Van Abbe Museum, Eindhoven (1987).
|
|