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www.ChristianReder.net: Publikationen: Wiener Museumsgespräche: Kurt Kocherscheidt
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Kurt Kocherscheidt

1986 hat das Wiener Museum des 20. Jahrhunderts die erste große - und sehr erfolgreiche - Kocherscheidt-Ausstellung gezeigt. Nehmen wir sie als Ansatzpunkt dafür, die Forderungen eines Kunstproduzenten an ein Museum für Gegenwartskunst zu diskutieren.

Es soll ein strenges Institut sein. Es sollte sich nicht anbiedern. Es muß sich seiner wichtigen Rolle als nichtkommerzielle Instanz bewußt sein. Mit einer Galerie sind bestimmte Künstlergruppierungen verbunden, das bekommt immer eine gewisse Färbung. Im Museum jedoch wird ein Künstler abgehoben davon präsentiert, losgelöst von solchen Beziehungen, allein mit seiner Arbeit vor der Öffentlichkeit stehend. Dabei muß ihm das Museum vollste Unterstützung bieten und dazu gehört, als eine vorrangige Museumsaufgabe, die Finanzierung. In meinem Fall ist während der gesamten Vorbereitungszeit nämlich immer alles in Frage gestanden. Dauernd hat es geheißen, die Ausstellung muß, wie auch die drei oder vier folgenden, abgesagt werden, weil einfach das Geld nicht vorhanden sei. Dann hat man sich um private Finanziers bemüht, wogegen ich im Prinzip gar nichts habe. Nur als dann das zuständige Ministerium die Unterstützung von IBM organisiert hatte, habe ich mich geweigert, als Werbeträger aufzutreten. Plausibler wäre es doch, daß in so einem Fall die Republik selbst sich dafür hergibt, schließlich hilft ihr ein Sponsor, eine übernommene Aufgabe zu erfüllen, in einer dafür vorgesehenen öffentlichen Institution. Ich habe mich letztenendes durchgesetzt, die Firma ist weder am Plakat noch im Katalog, der ohnedies vom Morat-Institut in Freiburg finanziert worden ist, genannt worden. Man hat mich zwar belehrt, daß es künftig überhaupt nur noch Ausstellungen unter Firmen-Patronanz geben wird, so wie das eben auf der ganzen Welt nun üblich sei, von einer staatlichen Verantwortung für Kunst, die doch zu den vornehmsten Aufgaben der Republik zählen müßte, ist während der ganzen Zeit nicht die Rede gewesen.

Das Morat-Institut in Freiburg ist eine Privatsammlung, kein Sponsor. Kann man es als Modellfall dafür sehen, wie von Museen aus mit Kunst umgegangen werden müßte - ob sie nun privat oder staatlich finanziert sind ?

Franz Morat, der seit vielen Jahren meine Bilder sammelt, ist in dem ganzen Geschehen sicher eine Ausnahmeerscheinung. Er wäre sicher gerne Museumsdirektor, nur würde er ständige Einmischungen in seine Arbeit nicht akzeptieren. Daher verwendet er sein Erbe für Kunst und zwar mit einer Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber. Die Idee, das für sich allein zu machen, ist ihm nie gekommen; er versucht Aufgaben wahrzunehmen, für die sich der Staat nicht in einer vergleichbaren Exponiertheit zuständig fühlt. Daher ist die Sammlung jederzeit zugänglich und hat eine vorbildliche Verwaltung, die sofort auf jede Anfrage reagiert, ganz im Gegensatz zur Unverlässlichkeit, an die man uns alle hier gewöhnen will. In Österreich läuft doch alles nach der Devise, seien sie froh, daß sie eine Ausstellung bekommen und der Katalog ist überhaupt eine Gnade. Darüber wird ja auch nie gesprochen, daß Künstler nämlich hierzulande ständig gezwungen werden, ihre Ausstellungen mitzufinanzieren oder zumindest Beziehungen zu Verlagen und Finanzquellen einzusetzen. Das sagt ja über den Umgang mit Kunst einiges aus und verstärkt natürlich die Animositäten unter Künstlern. Wenn bei meiner ersten großen Museumsausstellung in Österreich sich der Staat trotz der Sponsorfirma den Katalog vom Morat-Institut bezahlen lassen muß, sich also zu einem wesentlichen Teil der Informationsarbeit nicht in der Lage sieht, dann deklariert er damit, wie es um seine Auffassung der Kunst gegenüber wirklich steht. Der Staat muß sich an Hand solcher Beispiele eben fragen, warum er seinen Museumsleitern nicht ähnliche Kompetenzen und Möglichkeiten zugesteht, die in privaten Institutionen ein Garant für Qualität sind und er muß sich fragen, wie es mit den staatlichen Häusern weitergehen soll. Ein Zusammenspiel von staatlichen und privaten Sammlungen wäre richtig. Die Unterschiede in der Autonomie würden als Wettbewerb sichtbar, als Ansporn. Es wäre ja auch völlig undemokratisch, wenn jemand, der öffentliche Gelder verwaltet, tatsächlich nur nach seinem persönlichen Gusto agieren würde. Als Schutz dagegen wirken vielleicht Verträge auf Zeit. Ein interessantes Kräftespiel kommt nur durch Vielfalt zustande, wie in der Bundesrepublik, wo zentral auf Bundeseben wenig passiert, aber die Länder und die Städte sehr viel machen und deren Museen und Kunsthallen teils staatlich, teils vereinsmäßig, teils privat organisiert sind. Nicht umsonst ist Deutschland, was Museen und das Sammeln betrifft, in Europa führend geworden. Man braucht sich nur die Intensität des Kunstgeschehens im Raum Köln, Düsseldorf, Essen, Bochum anzuschauen. Über den französischen Zentralismus wurde längst nicht diese ein ganzes Land erfassende Lebendigkeit erreicht. Es geht gar nicht um große Lösungen, sondern um viele aktive Zellen, wie es z. B. das Stedelijk Van Abbe Museum in Eindhoven ist oder das wunderschöne Boymans-van Beuningen Museum in Rotterdam, mit seinen herrlichen Räumen und einem großartigen Licht.

Die föderalistische Struktur in Österreich würde eine gute Ausgangsposition bilden. Gegenargument ist ständig, daß Kräfte konzentriert werden müssen, noch dazu, wo ohnehin kein Geld für eine aktive Museumsarbeit bereitgestellt werden kann, weil offenbar die öffentliche Armut ausgebrochen ist.

Solche Denkweisen sind absurd, weil sie nichteinmal berücksichtigen, wie vergleichsweise winzig die Beträge sind, die durch das Sammeln von Kunst in die Vermehrung des Volksvermögens investiert werden und wie marginal der Aufwand für die Austellungsarbeit ist - für kommunikative Prozesse also. Der Staat wäre einfach gut beraten, wenn er seine Politik der Kunst gegenüber gründlich neu überlegt. Die Gelder laufen doch ständig in ganz falsche Richtungen und niemand legt irgendeine Rechenschaft darüber ab. Die Museumsdiskussion in Österreich konzentriert sich viel zu stark auf das Großprojekt Messepalast und verhindert so Initiativen für kleinere Vorhaben, obwohl ein repräsentatives großes Museum auch kein Schaden wäre.

Damit wären wir bei der Last der Geschichte, bei der Chance, Verhinderungstraditionen aufzubrechen. Dem Staat, der diese Gesellschaft repräsentiert, ist die Moderne erst seit 1962 ein kleines Anliegen, als er das Museum des 20. Jahrhunderts eröffnet hat. Der nächste Schub war von einem Großimport abhängig, von der Sammlung Ludwig.

Die Auswirkungen der Nazizeit, mit ihrer generellen Verachtung jeglicher modernen Kunst, haben sich in den Gehirnen festgefressen. In keinem anderen Land hat sich das dermaßen tief im Volksbewußtsein verankert. Es gibt keine Parallelen. Selbst in Italien unter dem Faschismus ist zeitgenössische Kunst nie wirklich verfolgt worden, ganz im Gegensatz zu den in der 2. Republik prolongierten Traditionen. In der Bundesrepublik sind ganz andere Formen einer Bewältigungsarbeit gefunden worden. Bei uns liegt das alles wie ein grauslicher Haufen in der Ecke. Niemand hat geglaubt, sich noch darum kümmern zu müssen. In der Kunst wird das alles ganz deutlich. Man ist soweit, einen Caspar David Friedrich zu akzeptieren, auch wenn er im Grunde schwierig zu begreifen ist, weil ihm populäre Zugänge gebaut worden sind. In Wirklichkeit will man aber einen Arno Breker haben.

Oder einen Gustinus Ambrosi. Bezeichnend ist ja, daß von den bildenden Künstlern dieses Jahrhunderts nur ihm, sowie Anton Hanak, Siegfried Charoux und Alfred Kubin eigene kleine Museen eingerichtet worden sind; aus internationaler Sicht eine absonderliche Kombination.

Sie wollen aber in Wahrheit auch ihren Hrdlicka, gerade wegen dessen formaler Nähe zur faschistisch-stalinistischen Kunst, die eigentlich seiner Position als Antifaschist wiedersprechen sollte. Sie wollen auch seine rigorose Ablehnung der von ihm - oder war es Hundertwasser - als entartet bezeichneten Gegenwartskunst. Es gibt keine "politische" Kunst. Ernstzunehmende Kunst ist von vorneherein politisch, weil sie einen Menschen mit einem Gewissen voraussetzt, der politisch reflektiert, der nachdenkt, also auch zweifelt. Eine Darstellung des Faschismus in Österreich in Form eines straßenwaschenden Juden ist deshalb so grauenhaft, weil sie so schrecklich unübersetzt ist, genauso wie die Denkmäler mit sterbenden Soldaten, die allerdings vierzig Jahre früher entstanden sind. Beides wirkt in dieselbe Richtung, weil der Politik so unmittelbar geantwortet wird, in einer Weise, die gerade in der Kunst überwunden werden muß. Aber da dieses Denkmal nun schon einmal bestellt ist, sollen sie es ruhig bauen; es wird ein furchtbares Denkmal werden, mich aber eine zeitlang auch daran erinnern, wie unerträglich von seinen Gegnern am Kern der Sache vorbeiargumentiert worden ist. Der Wiener Aktionismus ist eine unvergleichlich tiefergehende politische Kunst gewesen, gerade weil er überhaupt keine "politische" Kunst war und dennoch so radikal politisch gewirkt hat. Er war eben nicht eine bloße Provokation, nicht nur eine Auflehnung gegen diesen Staat, sondern auch gegen herrschende Kunstformen, gegen gesellschaftliche Formen.

Daß alles im Museum endet ist offenbar unausweichlich. Immerhin hilft ein solcher Ort an der Akzeptanz zeitgenössischer Kunst mit, wenn von ihm aus nicht zu beliebig und konturlos agitiert wird.

Deswegen muß ein Museum ein strenges Institut sein. Nur so kann es seine Chancen wahren. Nehmen wir als Beispiel Italien. Dort ist ein ganzes Volk daran gewöhnt, den Inhalt seiner Museen als Kulturgüter zu begreifen, die für jeden da sind. Die Architektur der Uffizien ist streng, alles hat seinen Platz, es wird nicht ständig umgehängt, und im Gegensatz zur Strenge steht die Italienern selbstverständliche Art, sich in einer solchen Umgebung frei zu bewegen, ohne unsinnige Hemmschwellen. In unseren Breiten wird aus ganz anderen gesellschaftspolitischen Hintergründen nun dauernd versucht, Barrieren abzubauen, alles zugänglicher und beweglicher zu machen, bis hin zu irgendwelchen Pfadfinderausstellungen. Damit wird man nichts erreichen. Museen brauchen ein Selbstverständnis, in das man hineinwachsen kann, sie müssen sich auf ihre Stärke besinnen, auf die Stärke kultureller Kräfte, die von sich aus anziehend wirken.

Sich Museen mit einer strengen, fast abweisenden Integrität zu wünschen, ist angesichts der verfilzten Interessenslagen und der Unterhaltungsbedürfnisse eine gegen völlig konträr wirkende Kräfte gerichtete Vorstellung.

Ich bin aber völlig davon überzeugt, daß ein Bedürfnis danach bestünde. Es würden sich ganz andere Wertungen durchsetzen können. Kunst würde - gerade in unserem Land - endlich wenigstens so akzeptiert werden, wie ein ordentliches Handwerk. Wer verlangt schon von einem Tischler, daß er laufend Ausstellungen macht, um zu beweisen, daß er eine Schwalbenschwanzverbindung zusammenbringt ? Ihm wird unterstellt, daß er so etwas kann. Gegenüber Künstlern ist es bei uns mit der Wertschätzung noch lange nicht so weit. Das sieht man am dummen Geschwätz über sein "handwerkliches Können". Wenn der Künstler es brav und jedem verständlich herzeigt, wird er "verstanden". Da ist in den Schulen und in der Erziehung so unglaublich viel versäumt worden, daß sich das über bildungsorientierte Museen in keiner Weise nachholen läßt. Daher sollten sich Museen auf die Werke konzentrieren. Das ist die Voraussetzung dafür, daß Verständnis entsteht und jeder hat heute die Möglichkeit, sich an Informationsprozessen über Kunst zu beteiligen, ohne daß ihn ein Museum belehren müßte. Die gesellschaftliche Wirkung eines Museums ist kein Wachstumsproblem. Es ist völlig unsinnig, darüber zu klagen, daß es da oder dort gerade 1,5 Prozent Besucherrückgang gegeben hat. Das sollte überhaupt niemanden kümmern. Die Republik hat die Verpflichtung, Museen zu haben und deren Arbeitsmöglichkeit sicherzustellen. Wem ist damit gedient, daß man Leute hineinlockt ? Entweder sie kommen oder sie kommen nicht. Museen müßten doch frei sein von den Überlegungen eines Diskonters, der um des Geschäftes willen Leute ins Fliesenland lockt.

Gerade in Wien haben wir allerdings genügend Museen, die sich nie mit auffälligen Besucherströmen brüsten konnten. Jetzt scheint sich ein Unbehagen darüber breit zu machen, angesichts der internationalen Vorgaben.

Ausgangspunkt war natürlich das Centre Pompidou und jetzt glauben alle, sie müßten nach dem gleichen System vorgehen. Nur scheint sich niemand im klaren darüber zu sein, daß in Paris andere Gewohnheiten eingebürgert sind. Man geht dort öfter ins Museum, benutzt häufiger Bibliotheken, ist eingebunden in kulturelle Auseinandersetzungen.

Fast die Hälfte der 7,3 Millionen jährlichen Beaubourg-Besucher kommen wegen der Bibliothek. Statistisch gesehen gehen 800.000 Leute durchschnittlich neun mal pro Jahr hinein, allerdings haben nur 15 Prozent von ihnen keine Mittelschulbildung und bloß 3 Prozent sind manuelle Arbeiter.

Das bestätigt durchaus meine Vermutungen. Nur ist die Schicht des Bildungsbürgertums bei uns nicht gerade ein Promotor zeitgenössischer Interessen. Vorherrschend ist die Verachtung für die Bemühungen gegenwärtiger Kunst. Das bekomme ich beinahe täglich zu spüren. Als Künstler wird man hier gezwungen, ständig seinen Beruf zu verleugnen, weil sich keiner dauernd einer Diskussion stellen kann, warum er nicht Gebirgslandschaften malt. Selbst die Albertina ist über viele Jahre hinweg zu einer Provinzsammlung verkommen und ihr neuer Direktor hat jetzt alle Hände voll zu tun, daß sie wieder das wird, was sie einmal war, und das ist ohne Gegenwartskunst nicht vorstellbar. Auch eine stärkere Zusammenarbeit mit Landesmuseen wäre denkbar. Ein Peter Baum hat in Linz hat viel getan; Otto Breicha ist in Salzburg aktiv, in Graz organisierte er viele Jahre lang außergewöhnliche Ausstellungen, die man sich vorher dort nur erträumen konnte. Es braucht dabei in keiner Weise um die großen Lösungen zu gehen; wie Kleines intelligent funktionieren kann, dafür gibt es doch genügend gute Beispiele.

Die Debatte wird von den Bundesmuseen dominiert, vom Messepalast-Projekt und von Überlegungen zu einer "Reform von oben"; der Stellenwert von Kunst wird dabei bestenfalls verbal leicht gestreift. Thema sind undichte Dächer und fehlende Aufseher.

Das ganze ist ein Problem der Wertung von Kunst im öffentlichen Bewußtsein. Im fünften Jahrzehnt nach dem Krieg haben wir jetzt eine Situation, in der man erstmals das Gefühl hat, daß sich wirklich etwas ändert. Der Bundeskanzler eröffnet z. B. eine Aktionismus-Ausstellung. Der Weg kann doch nur der sein, sich für eine breitere Akzeptanz nicht konformer Darstellungen der Kunst einzusetzen. Das wird bei uns Jahrzehnte dauern. Nur muß endlich einmal damit begonnen werden und die Museen sind dafür ein wichtiger Angelpunkt. Sie dürfen nicht durch irgendeine oberflächliche Modernisierung zur bloßen Station in Stadtrundfahrten abgewertet werden, nur daß man dann sagen kann, schaut her, was wir für die Kunst und für die Moderne alles tun; so wie das Hundertwasser-Haus ja auch ein Produkt dieses verhängnisvollen Argumentationsrasters ist. Viele der neuen Bemühungen sind einfach Mißverständnisse. Ein Museum muß zuallererst eine Informationsstätte sein, für diejenigen, die es wirklich brauchen, die einen Zugang suchen. Dazu muß es eine Haltung vermitteln, ohne die geht es nicht.

Mit idealistischen Positionen lassen sich soziale Gebilde zwar immer noch durchdringen, nur wissen wir doch, daß sie im Spiel der Mächte nur ein Lächeln erzeugen. Und die Machtfaktoren sind: Tourismusindustrie, Kultur als Werbekonzept, ablenkende Inszenierungen für die Freizeitgesellschaft, Budgetkonsolidierung. Daß in Relation zum Vermögensstock der Museen anständig bemessene Betriebskosten und Ankaufsbudgets eine Lappalie darstellen, darf nicht einmal laut gedacht werden. Man sollte den Aufwand der Nationalbank als Vergleich hernehmen.

Wenn Gesellschaften nicht aufhören, wenigstens auf gewissen Ebenen anders zu agieren, als dies machtmäßig gerade aktuell erscheint, dann gebühren ihnen die Konsequenzen. Es geht in der Tat um vergleichsweise kleine Summen. Ich meine, daß Museen als Teil des geistigen Vermächtnisses eines Landes den gleichen Stellenwert besitzen wie etwa Krankenhäuser, nur daß sie einen Bruchteil davon kosten. Geistiges Erbe wurde bei uns einmal freudig verbrannt, weil man es los sein wollte. Unter Stalin war zwar alles Nichtkonforme verboten und nicht zugänglich, es ist aber sehr oft aufgehoben worden, in einer perversen Art von Gewissen den Werten der Kultur gegenüber. Filme etwa wurden nie gezeigt, aber auch nie verbrannt, womit man sie für immer vernichtet hätte.

Die Reserviertheit gegenüber einer staatlichen Sammeltätigkeit ist aber gerade in unserer Generation über lange Zeit ein Thema gewesen; und jetzt werfen wir dem Staat vor, daß er sich um nichts gekümmert hat. In den 50er und 60er Jahren hätten sich viele ein solches Kümmern verbeten.

Der Staat hat sich eben damals in einer Weise dargestellt, mit der man einfach nicht konform gehen wollte. Ich habe nie jemanden getroffen, der mit dem lange Jahre für Kunst zuständigen Unterrichtsminister Drimmel gekonnt hätte. Das war von vorneherein eine beidseitige scharfe Gegnerschaft. Keine Seite wollte mit der anderen auch nur das geringste zu tun haben. Das haben alle offiziellen Ausstellungen bewiesen. In diesen unvorstellbaren Unverstand hinein haben die damaligen Künstler dann ja ihre scharfen Kerben geschlagen. Die Gesellschaft ist zusammengezuckt ...

... und hat sich zu bewegen begonnen; nur nicht gerade in Richtungen, die einen heute befriedigt zurückblicken lassen.

Offenbar gibt es Pendelbewegungen. Einerseits hat sich das Klima deutlich verbessert, andererseits war der Preis dafür eine Beliebigkeitsinflation; im Sinne der Reporterfrage an einen jungen Musiker, die ich gerade in Ö 3 gehört habe: "Glaubst Du, daß Du jetzt im Mainstream bist ?". Was diese saugende Anerkennung und Einverleibung vieler künstlerischer Arbeiten nach sich ziehen wird, muß einen eher besorgt machen. Im Grunde ist es aber positiv. Es sollte alles dargestellt, aufgeführt, gezeigt werden. Dann werden wir schon sehen.

Die bildende Kunst hat sicher davon profitiert, nur steht sie mangels großem Geschäft mit Reproduktionen, mit Urheberrechten, mit Tantiemen immer noch eher außerhalb dominanter gesellschaftlicher, sprich ökonomischer Interessen. Für mich ergeben sich in diesem Zusammenhang immer wieder Fragen nach der Geringschätzung geistiger Arbeit, als ein signifikanter Kontrapunkt zu Anforderungen einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Ein Künstler kann ja als Spezialfall davon gesehen werden; ihm hilft wenigstens die Kunst.

Das stimmt wahrscheinlich, daß einem unabhängiges Denken noch am ehesten als Künstler abgenommen wird. Ein junger Maler in Italien z. B. ist a priori in seinem Beruf akzeptiert; es braucht ihn nicht besonders zu schmerzen, daß der Staat nicht reagiert, der in seinem Land besonders unflexibel, bürokratisch, ja eigentlich impotent ist. Es gibt sehr viel Privatinitiative, Privatsammlungen; moderne Museen haben daher nicht diese existentielle Notwendigkeit, die sie bei uns für den Kampf um Anerkennung haben. So kann man sehr wohl ein lebendiges geistiges Klima schaffen, noch dazu wenn nicht jedes Projektchen vom Großmut einer Kronen Zeitung abhängig ist.

Die klimatische Dialektik hierzulande hat schon etwas Begeisterndes an sich. Hans Dichand, der große Privatsammler und Mäzen vieler Museen, vertieft im Alltag durch seine Zeitung jene Stimmung und jenes Österreich-Image, das er dann durch Kunst-Leihgaben - von Klimt bis Schiele, von Paris bis New York - im Ausland wieder aufpolieren will.

Bei Fiesheiten sind wir eben eine Weltmacht, mit der relativ größten Zeitung, mit unkontrollierter Macht ohnegleichen. In keinem anderen westlichen Land könnte man sich, bei einer Übertragung der Proportionen, solche Strukturen auch nur vorstellen.

Von der Kunst her gesehen ist die Hereinholung der Sammlung Ludwig als Wendepunkt angekündigt worden; konnte dieser Anspruch halbwegs eingelöst werden ?

Das ist sicher aus dem Bedürfnis geschehen, uns wieder auf die Ebene europäischer Kulturnationen hinaufzuhieven. Man dürfte gesehen haben, daß die Salzburger Festspiele langsam nicht mehr genügen und irgendetwas Modernes ganz gut wäre, als Ausdruck von schlechtem Gewissen. Was immer fehlt ist das Durchhaltevermögen, daher bleiben selbst fruchtbare Maßnahmen so wirkungslos. Diese 2. Republik ist doch geboren worden ohne jede moralische Bedenken. Die wurden einfach subtrahiert, weil man keinerlei Erbsünden wollte. Jeder gegenteilige Zeuge ist eine unerwünschte Person gewesen, keiner der Vertriebenen ist zurückgeholt worden. Das wissen wir doch alles. Da läßt sich eben mit einem Museum Moderner Kunst oder einem modernen Musikfestival nichts vertuschen; wo derartiges doch in Wien immer ausgebuht worden ist. Bei uns ist die Entwicklung einer Moderne durch den Austrofaschismus und den Nationalsozialismus in einer Schärfe unterbrochen worden, wie sie eigentlich ohne Beispiel dasteht. Wir haben keine Kontinuität, deswegen sind die Bürger so ratlos. In anderen Ländern ist man nicht so ratlos, weil man von ihr mehr retten konnte.

Den Museen die sonst überall nur fragmentarisch gelingende Arbeit an einer Neuakzentuierung des Selbstverständnisses abzufordern, ist ein Anspruch, der eine radikal geänderte Orientierung voraussetzen würde - im Sinne von Inseln der Integrität, die der Gesellschaft gegen jeden Widerstand divergierende Deutungsmuster anbieten.

Ohne einen Kulturkampf um Integrität geht das auch nicht. Die notwendige Rekonstruktion von Kontinuitäten könnte nur in von Politik und gesellschaftlicher Macht unabhängigen Institutionen erfolgen, die ein Zufluchtsort sind für die hoffentlich wachsende Zahl der Menschen, die etwas anderes brauchen, als Primitivreflexionen über Politik, Gesellschaft, Kunst. Diskussionsplattformen müssen das sein, die Kontinuität nicht harmonisieren, die Brüche markant herausarbeiten. Dies würde endlich dazu beitragen, daß die Akzeptanz von Kunst und anderer geistiger Leistungen, die nicht konformistisch darstellen wollen, was es schon gegeben hat, die nichts wiederholen wollen, steigt, also schlicht Reife, Toleranz, kritische Neugier zunehmen. Wie mühsam der Weg dorthin wäre, zeigt sich an vielen Einzelheiten. Heide Hildebrand z. B., in deren Galerie in Klagenfurt ich 1968 meine erste Ausstellung gehabt habe und die jetzt für den Pädagogischen Dienst der Bundesmuseen arbeitet, macht mit einem Kreis von Interessenten Atelierbesuche; sie waren auch bei mir und ich habe viel Wichtiges gehört, was aus der Sicht einer Museumspädagogik an ein Museum für Anforderungen gestellt werden. Nur: Ich konnte mit dem nicht übereinstimmen. Für meine Ausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts hat eine Teilnehmerin an diesem Arbeitskreis Erklärungsblätter gefordert, aus denen hervorgeht, was ich als Künstler will. Man wollte nicht begreifen, daß ich doch kein Schriftsteller bin und meine Arbeit verbal extra nochmals formuliere. Man traut sich nicht mehr zu, selbst etwas zu sehen; und sei es eben Schritt für Schritt. Wir können uns doch nicht alle aufführen, als ob wir einen Wald nur mehr auf beschilderten Naturlehrpfaden betreten könnten.

Und der Rat des Malers in bezug auf Vermittlungsmöglichkeiten, auf die Informationsarbeit für Ausstellungs- und Museumsbesucher?

Das Wichtigste ist es, ihm einen Respekt vor der Arbeit beizubringen - ich sage bewußt Arbeit, nicht Leistung, nicht gute Leistung, schwache Leistung - damit Kunst nicht als Kuriositätenkabinett gesehen wird. Jeder kann dann sagen, mir gefällt das nicht, ich verstehe das nicht, sollte aber sagen, daß er es als Arbeit akzeptiert. In fünf Jahren wird er vielleicht soweit sein, daß er das Gefühl hat, dem nähergekommen zu sein, dafür wird er mit dem Neuen möglicherweise nichts anfangen können. Verstehen zu müssen jedoch ist der falsche Ansatz. Selbst ich kann meine Arbeit nicht "verstehen". Nur: Bei uns läuft das von vorneherein konsequent ganz anders - immer nach dem Motto "Das brauchen wir nicht". Denn die von Schulen und Medien in der Vergangenheit endlos prolongierte Grundhaltung ist ein Mißtrauen gegenüber der Kunst, das sich als kritische Haltung tarnt, weil ja vielleicht "gewisse Kreise" einem bloß für eine Sache Respekt einflößen wollen, die es in keiner Weise verdient.

Daß die Kennerschaft von Kunst erfreuliche soziale Verhalten fördert, würde ich mir aber nicht zu behaupten getrauen. An eine Sensibilisierung der Wahrnehmungsbereitschaft durch sie glaube ich aber sehr wohl.

Die Kunst ist, wie schon gesagt, kein Naturlehrpfad, sie hat auch nicht die Aufgabe, Bürger zu besseren Menschen zu machen. Sie ist eine Möglichkeit der geistigen Auseinandersetzung auch jenseits von Politik, Gesellschaft etc. Sie setzt ein höchstes Maß von persönlicher Involviertheit und freiem Denken voraus. Bei uns ist die Erziehung in der Nachkriegszeit nicht in diesem Sinn gelaufen. Autoritätsgläubigkeit und Unterordnung war das Thema. Wir wären leicht ein guter Ostblock-Funktionärsstaat geworden, vielleicht der Klassenbeste. Hier in meiner ländlichen Umgebung suchen Bauern und Handwerker verzweifelt nach einer Staatsstellung, so entwürdigend und subaltern sie auch sein mag. Das sind die Bedingungen, die es dem Künstler in diesem Land so schwer machen. Er hat - von einer Prominentengeilheit einmal abgesehen - nie einen Halt im öffentlichen Bewußtsein gefunden. Dort müßte man ansetzen und das wird dann vieles andere bewirken.

 

Kurt Kocherscheidt, Maler
geb. 1943 in Klagenfurt, Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an der Akademie in Zagreb; zahlreiche Ausstellungen in Östereich, der Bundesrepublik Deutschland, in England, Holland und Italien; zuletzt: Museum des 20. Jahrhunderts, Wien (1986), Badischer Kunstverein, Karlsruhe und Stedelijk Van Abbe Museum, Eindhoven (1987).

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© Kurt Kocherscheidt 1988 & Christian Reder 1988/2001