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www.ChristianReder.net: Publikationen: Wiener Museumsgespräche: Literaturhinweise
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Literaturhinweise

"Das Museum ist für mich der Ort, wo neue Zusammenhänge ausprobiert und Fragiles, da vom Einzelnen geschaffen, bewahrt und vermittelt werden kann. Die Sammlung ist für mich Teil des kollektiven Gedächtnisses, also immer wieder auf ihren utopischen Gehalt hin zu befragen. Neuankäufe sind Liebesakte und können deshalb kaum Kommissionsentscheiden unterstellt werden. Kommissionen sind notwendig für die Überwachung des Finanzgebarens einer Institution, nicht aber für Auge, Geist und Vision des Direktors. Administratives muß Teil eines Abenteuers bleiben, sonst wird es zur Belastung."

"Wir haben von Zeit zu Zeit immer wieder das Bedürfnis, die Spielregeln zu ändern. Meistens tun wir dies durch eine radikale Änderung des Blickpunktes auf ein gegebenes Tätigkeitsfeld des Menschen. In unserem Falle der Kunst. Viel zu viel wurde in letzter Zeit über die gesellschaftliche Relevanz oder die Unnötigkeit ihres zweckfreien Tuns und die Verdorbenheit des Kunstkontextes geschrieben. Daß Kunst stets noch ein Bild der Welt, in der wir leben und die wir uns vorstellen, sein kann, ist in dieser Flut der Kommentare untergegangen. Daß Kunst konzentriertes Leben sein kann, wurde auch von der Mehrzahl der Künstler vergessen. Kein Wunder, daß die heutige Kunst mehr kommentiert als erlebt wird."

"Länderausstellungen sind prinzipiell den phantasielosen Konservatoren und Kulturattaches zu überlassen."

Harald Szeemann: Museum der Obsessionen. Berlin 1981

 


"Die großen Künstler, die großen Philosophen sind verschwunden ?

Ich weiß nicht, ob sie verschwunden sind, aber sie haben kein Gewicht mehr. Sind sie nun zu leicht geworden, oder weiß man ihr Gewicht nicht mehr zu schätzen ? Unmöglich zu sagen. Ich habe für mich selbst eine kleine private Untersuchung angestellt und jeden, den ich getroffen habe, nach seinem Lieblingsmaler gefragt. Die absolute Mehrheit hat keinen lebendigen Lieblingsmaler, und sehr oft kennt man nicht einmal einen. Vor zwanzig Jahren, als die große Malergeneration von Picasso, sicherlich die letzte, noch am Leben war, wäre eine solche Gleichgültigkeit undenkbar gewesen. Das mag für Sie eher den Wert einer Anekdote haben, aber es ist wirklich ein außerordentlicher Vorgang: Die Malerei verschwindet langsam.

Aber es gibt Hunderte von Ausstellungen!

Ich meine zeitgenössische Malerei als ein allgemein empfundener und geachteter Wert, Malerei, in der sich Europa wie in einem Spiegel betrachtet und mit der es seine Identität definiert ... Das Verschwinden der Malerei ist für Europa ein Ereignis von gleicher Bedeutung wie die Entkolonisierung.

Erleben wir eine kulturelle Verödung Europas ?

Schwer zu sagen, was da vor sich geht. Handelt es sich um die erstickende Umklammerung der Kultur durch die Massenmedien, ohne deren Vermittlung sie sich nicht mehr bemerkbar machen kann ? Ist es die Endphase der europäischen Kunst, Malerei, Musik, Dichtung ? Oder geht die Neuzeit als Epoche, an deren Anfang die kartesianische Auffassung vom Menschen als Herrn der Welt stand, mit der Feststellung zu Ende, daß der Planet dem Menschen heute entglitten ist ? Oder täuschen wir uns ganz einfach, wenn wir glauben, daß der Kreis sich langsam schließt ?"

Milan Kundera im Gespräch mit Daniel Rondeau. Trans- Europ-Express. Literarische Reportagen und Interviews. Freiburg 1985

 


"In alle nach dem Trend geplanten neuen Museen und Großausstellungen gehen also längst nicht mehr 'zu wenige', sondern schlicht 'zu viele' Besucher. Das Museum verwohnlicht sich gegenüber dem alten, auratischen 'Musentempel' nach dem Modell Einfamilienhaus, und soll obendrein nach dem Modell 'Lernort' verschult werden. Das Museum als Ort von 'Erfahrung' und 'Ereignissen' wird sich auf diese Weise nicht herstellen lassen."

"Das 'Museum der Zukunft' ist also - je 'moderner' umso besser - 'Instrument der gesellschaftlichen Modernisierung' insofern, als die 'Modernität von Industrialisierung, Urbanisierung, Professionalisierung, Politisierung und Privatisierung' jetzt durch eine 'progressive Rationalität' auf ein 'neues Niveau' gehoben werden muß, nämlich auf ein 'kulturelles' und 'kommunikatives' (Panoke, Thesen am Deutschen Soziologentag 1984). In der Politik ist die Zeit der Kulturpolitik gekommen."

Rudolf Kohoutek: Das Museum als Agentur zur gesellschaftlichen Modernisierung - und zur Zerstörung von Kultur ? In: H. Ch. Ehalt, G. Fliedl, H. Hildebrand, R. Kohoutek, D. Schrage (Hrsg.): Kaiserforum, Museumsinsel, Kulturpalast. Ein neues Museum als Jahrhundertchance ? Kulturjahrbuch 5, Wien 1986

 


"Ein Museum, mag es auch noch so lebendig, dynamisch, didaktisch, hypermodern und superattraktiv sein, bleibt ein Museum. Der feste Wille, die Räume, in denen Gegenstände aus Kunst, Technik und Wissenschaft ausgestellt werden, zu renovieren, zu transformieren und zu modernisieren, ändert nichts am Vorhaben der kulturellen Erhaltung. Die in den Kellern und Speichern der Museen gelagerten Bestände offenbaren ebensosehr die Willkür der kulturellen Auswahl wie die Obsession des Erhaltens."

Henri Pierr Jeudy: Die Welt als Museum. Berlin 1987

 


"Museen als Weihestätten der falschen Geschichte, als Tempel der simulierten Geschichte, werden daher selbst die eigentlichen neokonservativen Kunstwerke. Denn die Zeitaristokratie hat natürlich Interesse an bauten, die Monumente, Grabmäler der Zeit, der historischen Zeit sind.
Die Konservative Zeitinseln namens Museen rücken in der Chronokratie logischerweise in das Zentrum der Kultur. Diese Museen sind klarerweise auch ausschließlich dem Tafelbild und der Skulptur gewidmet und haben keinen Platz für die bewegten Bilder, die Maschinen-, Wahrnehmungs- und Medienkunst, also für alle Formen fortschrittlicher Zeitkunst.
Die frenetische museale Bauaktivität, mit so vielen Millionen gespeist, daß für den Ankauf von Kunst, welche diese Kathedralen des Kommerzes füllen sollte, selbst kein Geld mehr übrig bleibt, verdeckt nur die Panik des Bewußtseins, daß die Zeit als Double des Kapitals die Zeit selbst verzehrt und daß die Beschleunigung die Hochkultur überholt. Während für die zeitgemäße Ausbildung von Künstlern der Staat kein Geld zur Verfügung stellt, nicht einmal für die notwendigsten Geräte, finanziert er mit Millionenbeträgen die Bewahrung der historischen Kunst.. Die Postmoderne steht vor der Aufgabe, die Kunst (als stabile Ersatzreligion) ebenso anzugreifen wie die Aufklärung einst die Religion. Die Hochkultur, welche die Beschleunigung verleugnet, die erstarrte Kunst wird zum Opium fürs Volk; Kunst als Anti-Aufklärung, als nostalgische Verklärung."

Peter Weibel: Die Beschleunigung der Bilder. In der Chronokratie. Bern 1987

 


"Das Kunstmuseum das ich mir erträume (...) ist der Ort, der vom Werk spricht, vom Werk des Menschen, so wie es heute denkbar ist.."

"Jedes Werk soll dort anwesend sein, als ob der Ort nur für es existiere, und es nur für ihn. Jedes Werk soll dort für sich selbst sein, dem Wahrnehmenden gegenüber."

"Jedes ausgestellte Werk soll jedem, der kommt, es wahrzunehmen, bedeuten, es sei hier für ihn."

"Die Auseinandersetzung mit dem Werk verlangt auch Zeit. Sie nimmt, sie erzwingt sich Zeit. Aber der Ort der Auseinandersetzung muß diese Zeit überhaupt erst gewähren können."

"Der Ort des Werkes und des Menschen ist kein trügerischer Ort. Er ist kein künstliches Paradies. Im Gegenteil, seine Funktion besteht darin, Fuß fassen zu lassen, Gestalt annehmen zu lassen, bewußt werden zu lassen."

"Chronologische Präsentation der Werke und Saalflucht sind das Ergebnis eines Weltverständnisses, das im 19. Jahrhundert die Welt auf die zeitlich linear geregelte Geschichte reduzierte."

"Die Werke werden in der chronologischen Präsentation auf den Rang von historischen, anthropologischen, soziologischen, ethnographischen oder logischen, ideologischen, ökonomischen, ästhetischen oder ethischen Dokumenten oder Illustrationen herabgewürdigt."

"In der chronologischen Saalflucht ist das Werk Gefangener des historischen Blickwinkels, zu dessen Aufbau es benutzt wurde. Die Werke dienen darin nur als gemeine Bestandteile dazu, einen historischen Blickwinkel zu schaffen, der dann umgekehrt jedes Werk aus diesem Blickwinkel zeigt. Jedes Werk hat die Aufgabe, die vor ihm entstandenen weiter in die Zeit zurückzustoßen. Das Werk wird auf Distanz gebracht. Es wird auf Distanz gehalten. Der historische Blickwinkel schlägt die Werke in die Flucht, er läßt sie verschwinden."

"Nicht das Werk wird dem Menschen ausgestellt und dargeboten, sondern der historische Zeitraum, der trennend zwischen Werk und Menschen steht. Die Präsenz des Werkes ist mittelbar. Das Werk wird vermittelt. Seine Vermittlung ist nicht von heute, sondern geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Das vermittelte Werk ist somit nicht von heute, sondern von gestern, und ausschließlich für gestern."

"Die chronologische Saalflucht läßt den Menschen des 20. Jahrhunderts glauben, er bilde die Vorhut der Geschichte, aber einer im 19. Jahrhundert erdachten Geschichte."

Rémy Zaugg: Das Kunstmuseum, das ich mir erträume oder Der Ort
des Werkes und des Menschen. Köln 1987

 


Besuch kultureller Veranstaltungen 1985 (von 100 Personen ab 6 Jahren besuchen folgende Kunstveranstaltungen):

1. Museum, Ausstellung
32%
2. Theater
24%
3. Oper, Operette, Musical      
16%
4. Konzert (Jazz, Pop)
15%
5. Laientheater
12%
6. Klassisches Konzert
5%

Österr. Statistisches Zentralamt (Hrsg.): Kultur und Freizeit. Ergebnisse des Microzensus Dezember 1985. Wien 1988.



"Die Künstler selber haben nicht nur an die Einverleibung ihrer Werke in die Kunstmuseen oder an deren Zerstörung gedacht. Aus ihrem Nachdenken über das Museum sind bekanntlich auch neue Möglichkeiten von Kunstmuseen entstanden. Allen voran sind hier die Schachteln von Marcel Duchamp zu nennen, in denen er seine Werke versammelte und montierte wie in einem kleinen tragbaren Museum. Ist es ein Zufall, daß die Schachtel-Museen Duchamps in den selben jahren ersonnen wurden, in denen Benjamin sein 'Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit' schrieb ? Denn auch Duchamps Schachtelmuseen enthalten - wenn auch in beschränkter Auflage - Reproduktionen seines Werks. Das Schachtelmuseum ermöglicht dem Kunstfreund, sein Museum dort aufzustellen, wo er sich gerade befindet; im Unterschied zum 'Musée imaginaire' in Buchform kann er die Gegenstände nach eigenem Gutdünken anordnen - es sei denn, der Künstler selbst habe die Anordnung bestimmt und das Schachtelmuseum selbst nehme damit die Form eines Kunstwerks an."

Hans Christoph von Tavel: Lebensstoß und Todeshauch. Kunst und Museum. Bern 1988

 


"The museum, then, that feeds and feeds off recycled nostalgia is not just to be criticized for its political and social function, but for impoverishing the culture and, therefore, our sence of human possibilities. If museums are to have a cultural role as distinct from that of the theme park, it lies in helping us orient ourselves and make discoveries in a world in which inherited common-sense conceptions of time and place are increasingly redundant."

Robert Lumley (Ed.): The Museum Time Machine. Putting cultures on display. London - New York, 1988

 

 

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© Christian Reder 1988/2001