Literaturhinweise
"Das Museum ist für mich der Ort, wo neue Zusammenhänge
ausprobiert und Fragiles, da vom Einzelnen geschaffen, bewahrt
und vermittelt werden kann. Die Sammlung ist für mich
Teil des kollektiven Gedächtnisses, also immer wieder
auf ihren utopischen Gehalt hin zu befragen. Neuankäufe
sind Liebesakte und können deshalb kaum Kommissionsentscheiden
unterstellt werden. Kommissionen sind notwendig für die
Überwachung des Finanzgebarens einer Institution, nicht
aber für Auge, Geist und Vision des Direktors. Administratives
muß Teil eines Abenteuers bleiben, sonst wird es zur
Belastung."
"Wir haben von Zeit zu Zeit immer wieder das Bedürfnis,
die Spielregeln zu ändern. Meistens tun wir dies durch
eine radikale Änderung des Blickpunktes auf ein gegebenes
Tätigkeitsfeld des Menschen. In unserem Falle der Kunst.
Viel zu viel wurde in letzter Zeit über die gesellschaftliche
Relevanz oder die Unnötigkeit ihres zweckfreien Tuns
und die Verdorbenheit des Kunstkontextes geschrieben. Daß
Kunst stets noch ein Bild der Welt, in der wir leben und die
wir uns vorstellen, sein kann, ist in dieser Flut der Kommentare
untergegangen. Daß Kunst konzentriertes Leben sein kann,
wurde auch von der Mehrzahl der Künstler vergessen. Kein
Wunder, daß die heutige Kunst mehr kommentiert als erlebt
wird."
"Länderausstellungen sind prinzipiell den phantasielosen
Konservatoren und Kulturattaches zu überlassen."
Harald Szeemann: Museum der Obsessionen. Berlin 1981
"Die großen Künstler, die großen Philosophen
sind verschwunden ?
Ich weiß nicht, ob sie verschwunden sind, aber sie
haben kein Gewicht mehr. Sind sie nun zu leicht geworden,
oder weiß man ihr Gewicht nicht mehr zu schätzen
? Unmöglich zu sagen. Ich habe für mich selbst eine
kleine private Untersuchung angestellt und jeden, den ich
getroffen habe, nach seinem Lieblingsmaler gefragt. Die absolute
Mehrheit hat keinen lebendigen Lieblingsmaler, und sehr oft
kennt man nicht einmal einen. Vor zwanzig Jahren, als die
große Malergeneration von Picasso, sicherlich die letzte,
noch am Leben war, wäre eine solche Gleichgültigkeit
undenkbar gewesen. Das mag für Sie eher den Wert einer
Anekdote haben, aber es ist wirklich ein außerordentlicher
Vorgang: Die Malerei verschwindet langsam.
Aber es gibt Hunderte von Ausstellungen!
Ich meine zeitgenössische Malerei als ein allgemein
empfundener und geachteter Wert, Malerei, in der sich Europa
wie in einem Spiegel betrachtet und mit der es seine Identität
definiert ... Das Verschwinden der Malerei ist für Europa
ein Ereignis von gleicher Bedeutung wie die Entkolonisierung.
Erleben wir eine kulturelle Verödung Europas ?
Schwer zu sagen, was da vor sich geht. Handelt es sich um
die erstickende Umklammerung der Kultur durch die Massenmedien,
ohne deren Vermittlung sie sich nicht mehr bemerkbar machen
kann ? Ist es die Endphase der europäischen Kunst, Malerei,
Musik, Dichtung ? Oder geht die Neuzeit als Epoche, an deren
Anfang die kartesianische Auffassung vom Menschen als Herrn
der Welt stand, mit der Feststellung zu Ende, daß der
Planet dem Menschen heute entglitten ist ? Oder täuschen
wir uns ganz einfach, wenn wir glauben, daß der Kreis
sich langsam schließt ?"
Milan Kundera im Gespräch mit Daniel Rondeau. Trans-
Europ-Express. Literarische Reportagen und Interviews. Freiburg
1985
"In alle nach dem Trend geplanten neuen Museen und Großausstellungen
gehen also längst nicht mehr 'zu wenige', sondern schlicht
'zu viele' Besucher. Das Museum verwohnlicht sich gegenüber
dem alten, auratischen 'Musentempel' nach dem Modell Einfamilienhaus,
und soll obendrein nach dem Modell 'Lernort' verschult werden.
Das Museum als Ort von 'Erfahrung' und 'Ereignissen' wird
sich auf diese Weise nicht herstellen lassen."
"Das 'Museum der Zukunft' ist also - je 'moderner' umso
besser - 'Instrument der gesellschaftlichen Modernisierung'
insofern, als die 'Modernität von Industrialisierung,
Urbanisierung, Professionalisierung, Politisierung und Privatisierung'
jetzt durch eine 'progressive Rationalität' auf ein 'neues
Niveau' gehoben werden muß, nämlich auf ein 'kulturelles'
und 'kommunikatives' (Panoke, Thesen am Deutschen Soziologentag
1984). In der Politik ist die Zeit der Kulturpolitik gekommen."
Rudolf Kohoutek: Das Museum als Agentur zur gesellschaftlichen
Modernisierung - und zur Zerstörung von Kultur ? In:
H. Ch. Ehalt, G. Fliedl, H. Hildebrand, R. Kohoutek, D.
Schrage (Hrsg.): Kaiserforum, Museumsinsel, Kulturpalast.
Ein neues Museum als Jahrhundertchance ? Kulturjahrbuch
5, Wien 1986
"Ein Museum, mag es auch noch so lebendig, dynamisch,
didaktisch, hypermodern und superattraktiv sein, bleibt ein
Museum. Der feste Wille, die Räume, in denen Gegenstände
aus Kunst, Technik und Wissenschaft ausgestellt werden, zu
renovieren, zu transformieren und zu modernisieren, ändert
nichts am Vorhaben der kulturellen Erhaltung. Die in den Kellern
und Speichern der Museen gelagerten Bestände offenbaren
ebensosehr die Willkür der kulturellen Auswahl wie die
Obsession des Erhaltens."
Henri Pierr Jeudy: Die Welt als Museum. Berlin 1987
"Museen als Weihestätten der falschen Geschichte,
als Tempel der simulierten Geschichte, werden daher selbst
die eigentlichen neokonservativen Kunstwerke. Denn die Zeitaristokratie
hat natürlich Interesse an bauten, die Monumente, Grabmäler
der Zeit, der historischen Zeit sind.
Die Konservative Zeitinseln namens Museen rücken in der
Chronokratie logischerweise in das Zentrum der Kultur. Diese
Museen sind klarerweise auch ausschließlich dem Tafelbild
und der Skulptur gewidmet und haben keinen Platz für
die bewegten Bilder, die Maschinen-, Wahrnehmungs- und Medienkunst,
also für alle Formen fortschrittlicher Zeitkunst.
Die frenetische museale Bauaktivität, mit so vielen Millionen
gespeist, daß für den Ankauf von Kunst, welche
diese Kathedralen des Kommerzes füllen sollte, selbst
kein Geld mehr übrig bleibt, verdeckt nur die Panik des
Bewußtseins, daß die Zeit als Double des Kapitals
die Zeit selbst verzehrt und daß die Beschleunigung
die Hochkultur überholt. Während für die zeitgemäße
Ausbildung von Künstlern der Staat kein Geld zur Verfügung
stellt, nicht einmal für die notwendigsten Geräte,
finanziert er mit Millionenbeträgen die Bewahrung der
historischen Kunst.. Die Postmoderne steht vor der Aufgabe,
die Kunst (als stabile Ersatzreligion) ebenso anzugreifen
wie die Aufklärung einst die Religion. Die Hochkultur,
welche die Beschleunigung verleugnet, die erstarrte Kunst
wird zum Opium fürs Volk; Kunst als Anti-Aufklärung,
als nostalgische Verklärung."
Peter Weibel: Die Beschleunigung der Bilder. In der Chronokratie.
Bern 1987
"Das Kunstmuseum das ich mir erträume (...) ist
der Ort, der vom Werk spricht, vom Werk des Menschen, so wie
es heute denkbar ist.."
"Jedes Werk soll dort anwesend sein, als ob der Ort
nur für es existiere, und es nur für ihn. Jedes
Werk soll dort für sich selbst sein, dem Wahrnehmenden
gegenüber."
"Jedes ausgestellte Werk soll jedem, der kommt, es wahrzunehmen,
bedeuten, es sei hier für ihn."
"Die Auseinandersetzung mit dem Werk verlangt auch Zeit.
Sie nimmt, sie erzwingt sich Zeit. Aber der Ort der Auseinandersetzung
muß diese Zeit überhaupt erst gewähren können."
"Der Ort des Werkes und des Menschen ist kein trügerischer
Ort. Er ist kein künstliches Paradies. Im Gegenteil,
seine Funktion besteht darin, Fuß fassen zu lassen,
Gestalt annehmen zu lassen, bewußt werden zu lassen."
"Chronologische Präsentation der Werke und Saalflucht
sind das Ergebnis eines Weltverständnisses, das im 19.
Jahrhundert die Welt auf die zeitlich linear geregelte Geschichte
reduzierte."
"Die Werke werden in der chronologischen Präsentation
auf den Rang von historischen, anthropologischen, soziologischen,
ethnographischen oder logischen, ideologischen, ökonomischen,
ästhetischen oder ethischen Dokumenten oder Illustrationen
herabgewürdigt."
"In der chronologischen Saalflucht ist das Werk Gefangener
des historischen Blickwinkels, zu dessen Aufbau es benutzt
wurde. Die Werke dienen darin nur als gemeine Bestandteile
dazu, einen historischen Blickwinkel zu schaffen, der dann
umgekehrt jedes Werk aus diesem Blickwinkel zeigt. Jedes Werk
hat die Aufgabe, die vor ihm entstandenen weiter in die Zeit
zurückzustoßen. Das Werk wird auf Distanz gebracht.
Es wird auf Distanz gehalten. Der historische Blickwinkel
schlägt die Werke in die Flucht, er läßt sie
verschwinden."
"Nicht das Werk wird dem Menschen ausgestellt und dargeboten,
sondern der historische Zeitraum, der trennend zwischen Werk
und Menschen steht. Die Präsenz des Werkes ist mittelbar.
Das Werk wird vermittelt. Seine Vermittlung ist nicht von
heute, sondern geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Das
vermittelte Werk ist somit nicht von heute, sondern von gestern,
und ausschließlich für gestern."
"Die chronologische Saalflucht läßt den Menschen
des 20. Jahrhunderts glauben, er bilde die Vorhut der Geschichte,
aber einer im 19. Jahrhundert erdachten Geschichte."
Rémy Zaugg: Das Kunstmuseum, das ich mir erträume
oder Der Ort
des Werkes und des Menschen. Köln 1987
Besuch kultureller Veranstaltungen 1985 (von 100 Personen
ab 6 Jahren besuchen folgende Kunstveranstaltungen):
1. |
Museum, Ausstellung |
32%
|
2. |
Theater |
24%
|
3. |
Oper, Operette, Musical |
16%
|
4. |
Konzert (Jazz, Pop) |
15%
|
5. |
Laientheater |
12%
|
6. |
Klassisches Konzert |
5%
|
Österr. Statistisches Zentralamt (Hrsg.): Kultur und
Freizeit. Ergebnisse des Microzensus Dezember 1985. Wien
1988.
"Die Künstler selber haben nicht nur an die Einverleibung
ihrer Werke in die Kunstmuseen oder an deren Zerstörung
gedacht. Aus ihrem Nachdenken über das Museum sind bekanntlich
auch neue Möglichkeiten von Kunstmuseen entstanden. Allen
voran sind hier die Schachteln von Marcel Duchamp zu nennen,
in denen er seine Werke versammelte und montierte wie in einem
kleinen tragbaren Museum. Ist es ein Zufall, daß die
Schachtel-Museen Duchamps in den selben jahren ersonnen wurden,
in denen Benjamin sein 'Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit'
schrieb ? Denn auch Duchamps Schachtelmuseen enthalten - wenn
auch in beschränkter Auflage - Reproduktionen seines
Werks. Das Schachtelmuseum ermöglicht dem Kunstfreund,
sein Museum dort aufzustellen, wo er sich gerade befindet;
im Unterschied zum 'Musée imaginaire' in Buchform kann
er die Gegenstände nach eigenem Gutdünken anordnen
- es sei denn, der Künstler selbst habe die Anordnung
bestimmt und das Schachtelmuseum selbst nehme damit die Form
eines Kunstwerks an."
Hans Christoph von Tavel: Lebensstoß und Todeshauch.
Kunst und Museum. Bern 1988
"The museum, then, that feeds and feeds off recycled
nostalgia is not just to be criticized for its political and
social function, but for impoverishing the culture and, therefore,
our sence of human possibilities. If museums are to have a
cultural role as distinct from that of the theme park, it
lies in helping us orient ourselves and make discoveries in
a world in which inherited common-sense conceptions of time
and place are increasingly redundant."
Robert Lumley (Ed.): The Museum Time Machine. Putting
cultures on display. London - New York, 1988
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