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www.ChristianReder.net: Publikationen: Museumsgespräche: P. Noever
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Peter Noever

Nach nunmehr fast drei Jahren als Direktor des Österreichischen Museums für angewandte Kunst in Wien, der - als Novum hierzulande - auf Zeit bestellt wurde und nicht aus einer Museumslaufbahn kommt, müßten sich erstrebenswerte Ziele für dieses Haus bereits vor dem Hintergrund dessen markant veränderter Praxis diskutieren lassen.
Es ist als Museum für Kunst und Industrie gegründet worden; könnte es in einigen Jahren eine Art Entwicklungslabor sein, ein neuer Typ von "Museum", das Fragen stellt, Antworten anbietet ?

Knapp formuliert ist dieses Haus an seiner Gründungsintention, dem Kunsthandwerk und der Industrie eine Vorbildhaftigkeit zu präsentieren schließlich fast erstickt. Heute muß es seinen Standort völlig neu überdenken und bestimmen. Also, eine Neudefinition in einer Zeit, die keine generellen gefestigten Werte mehr kennt, in der - wenn man so will - statt in Form von üppig inszenierten Ausstellungen, denen immer der Anschein von unverrückbaren und gefestigten Antworten eigen ist, Fragen gestellt werden müssen. Wir dürfen nicht müde werden, essentielle und wenn es sein muß provokante Fragen zu stellen.
Das Museum als ängstlicher, unfruchtbarer Ort der Bewahrung von versteinerten Betrachtungs- und Auffassungsweisen hat sich längst überholt. Die Information, auch die Vor- und Gegeninformation, dazu gehört - abgesehen von der Auswahl der Themen der Versuch der Neugestaltung - etwa die Anordnung und Aufteilung des Raumes, der Einsatz von Sprache, Ton und Licht: die Schaffung neuer räumlicher Qualitäten ist Information, muß die Hauptstoßrichtung sein. Solche und andere Überlegungen führen zwangsläufig zu der Notwendigkeit von Eigenproduktionen, die Zeitströmungen aufgreifen und sich abzeichnende Kunstströmungen in geeigneter Weise darstellen.
Solche Zusammenhänge müssen sich in der Museumsarbeit ausdrücken, in einer sehr offenen Weise, mit der Bereitschaft zu ständigen Modifikationen, so wie ich ja meine eigenen Überlegungen für dieses Haus ebenfalls ständig überprüfe und nicht irgendein Konzept durchziehe. Ich muß und will mich in dieser Arbeit persönlich wiederfinden, muß sie vertreten können. Nur das kann einen in der überall herrschenden Konturlosigkeit schützen. Eine Konsequenz daraus ist jedenfalls, daß ich Vorbildhaftigkeit absolut nicht für ein Thema halte. Das hieße bestenfalls, dieses Museum sukzessive auf ein Design-Center zu reduzieren.

Strukturell und aufgabenmäßig gibt es dennoch gewisse Verwandtschaften mit solchen Einrichtungen, auch wenn sie wegen verflochtener Abhängigkeiten oft eher wenig bewirken oder nur kurzfristig Blüten erleben.

Überall wo es um die Gestaltung von Industrieprodukten geht, ist die Industrie schon zur Stelle. Sie hat ein gewichtiges Wort mitzureden und drängt auf kurzfristige Lösungen, um sie unmittelbar verwerten zu können. Obwohl wir keineswegs den Bereich Design ausklammern, ihn im Gegenteil von der Kunst - soferne damit nicht die Dekoration von Kunstwerken gemeint ist - gar nicht trennen wollen, glaube ich, daß es auch ganz anders geht: nämlich über eine Besinnung auf das, was man als sinnvoll erachtet. Das muß nicht immer zu konkret faßbaren Ergebnissen führen, auch Fragen lassen sich als Ergebnis werten. Also, die Tradition einer größeren, nicht auf enge Zwecke ausgerichteten Unabhängigkeit der Museumsarbeit muß verteidigt und weiter ausgebaut werden.

Daß ein Museum ein Ort der Integrität sein müßte, bezweifelt kaum wer, nur spielen die Verhältnisse nicht mit. Es ist ja nichts neues, daß z. B. Krankenhäuser komplexe Mischgebilde sind, mit der integren Funktion, Kranke zu heilen, Schmerzen abzuwenden, den Tod hinauszuzögern, sie zugleich aber völlig verpolitisiert sind, von Marktprozessen und finanziellen Interessen durchdrungen.
Daß staatliche Museen noch eher am Rand einer solchen Institutionsrealität stehen, ist vielleicht nur auf ihren bislang eher marginalen machtpolitischen Stellenwert zurückzuführen. Der Kampf um strukturelle Verbesserungen verzehrt gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung soviele Energien, daß sich kaum wer hartnäckig auf ihn einläßt.

Das ist sicher richtig, überall dort herrschen prinzipiell sehr ähnliche Bedingungen, inklusive der vielen - oft völlig unsinnigen - adminstrativen Fesseln: der Einzelne kann dagegen wenig machen. Er würde seine Energien vergeuden, zu Lasten konkreter Projekte.
Ähnlich verhält es sich dort, wo Kunst mit der Organisation oder - wie in diesem Land - mit einer selbstgefälligen, staatlichen Administration in Berührung kommt; und dennoch ist der Vergleich mit Spitälern oder anderen Einrichtungen nicht zulässig. Der typische österreichische Beamte mit der unverkennbaren, bittersüßen, allzeit präsente Freundlichkeit ausstrahlenden Gesichtsmaske, der oft etwas anderes im Sinn hat als er vorzeigt, ist noch nicht gänzlich ausgestorben - man begegnet ihm noch immer, sei es in einem Ministerium oder in meiner unmittelbaren Umgebung. Dieser, dessen einzige tragfähige Entscheidung in seinem Leben der "lebenslängliche" Vollzug eines vorauseilenden Gehorsams ist, oft unter Geringschätzung seiner eigenen Persönlichkeit, ist der natürliche Feind der Kunst. Wissend, daß er in den seltensetn Fällen seiner Überzeugung entsprechend handeln darf, verbringt er oft einen wesentlichen Teil seines abgesicherten, an Risiko und Abenteuer nicht reichen Lebens mit der Erforschung und Entwicklung von Verhinderungsstrategien auf der Grundlage anonymer Urheberschaft. Politikern, immer in Zeitnot, gegenüber spontanen und neuartigen Regungen einer Gesellschaft oft unvorbereitet, ist ein angeborener Instinkt eigen, dem Bekannten und Bewährten in der Kunst den Vorzug zu geben. So gesehen ist es nicht weiter verwunderlich, daß Museen im vitalen Geist des 19. Jahrhunderts wertvolle Orientierungshilfen geben können und man gerne den Rat eines ahnungslos-kompetenten Beamten einholt. Wie etwa anders ist die Auftragsvergabe für das Mahnmal gegen den Faschismus in Wien an einen Künstler, der sich zum Ende dieses Jahrhunderts mit seiner Arbeit und verbalen Kampfparolen hartnäckig der Moderne widersetzt, zu verstehen ? Kurios am Rande, vielleicht aber wienerischer als wienerisch, ist die Tatsache, daß der Bildhauer Alfred Hrdlicka, immer wieder gegen den Staat und seine politischen Vertreter verbale Kämpfe ausficht, sich von diesem bedroht fühlt, ausschließlich aber von diesen - gegen die Vertreter zeitgemäßer und moderner Kunst, gegen die wachen und geistig aufgeschlossenen Künstler - nachdrücklich unterstützt wird.
Nochmals zurück zur ursprünglichen Frage. Gleichzeitig sehe ich, fast im Gegensatz zu dem eben Besprochenen, ein anderes Phänomen: Vielleicht schafft aber auch Kunst von sich aus andere Voraussetzungen. Beamte, vielmehr aber noch Politiker, die sich sonst so gerne in alles mögliche einmischen, signalisieren hier hin und wieder einen gewissen Respekt, wahrscheinlich in ihrer Unsicherheit der Kunst gegenüber. Ich glaube, daß das auch als entscheidende Lücke im System genutzt werden kann. Durch sie kann ein Museumsleiter mit dezidierten Ansprüchen durchdringen, allen Barrieren zum Trotz.
Das Museum, unser Haus, hat durchaus die Chance, ein Ort der Auseinandersetzung, ein Ort des Widerstandes, des Konfliktes zu werden; gleichzeitig ein Ort der Gefühle, ein Ort der Träume.
Kunst kann in diesem Kontext gewissermaßen auch eine Schutzfunktion ausüben, sie kann eine Verbündete sein im Kampf um Freiräume.

Solche Autonomiebestrebungen sind de facto gleichzusetzen mit einer personellen Privatisierung einer öffentlichen Institution. Das Öffentliche an ihr sind nicht die Entscheidungsprozesse, die Begründungen, die Transparenz des Betriebes, sondern die Wirkung auf Besucher und Medien, vermittelt über die subjektive Linie des Museumsleiters. Im Idealfall kann er wie ein Privatmann handeln, querköpfig, widersetzlich - sich vor sich selbst verantwortend. Angesichts sonstiger Verflechtungen und Verfilzungen hat er damit eine fast exterritoriale Position, wie sie anderswo kaum denkbar ist.

Tendenziell muß das auch so sein. Die Kunst und somit der Künstler ist immer etwas sehr Persönliches. Auch ein Museumsdirektor muß die Chance als Individuum haben. Er darf sich nicht einem System unterordnen, schon gar nicht einem kunsthistorischen.
Das Öffentliche am Museum ist im Kern eine Überzeugungsarbeit - gegenüber den Politikern, gegenüber dem Ministerium, gegenüber den Mitarbeitern, den Medien, dem Publikum und natürlich auch gegenüber dem Künstler. Da verbleibt nicht viel Spielraum. Wenn es wirklich darauf ankommt, bin ich allein auf mich gestellt, darüber mach' ich mir keine Illusionen. Man kann also eigentlich nur das tun, was man unter Einsatz aller seiner Kräfte eben zusammenbringt. Man muß kämpfen und kann im Detail, auch für sich selbst, nicht immer alles begründen und erklären, warum man dieses oder jenes tut. Daß einem das die Bedingungen, die in einem österreichischen Museum schon vom Ministerium und der Organisation her herrschen, noch zusätzlich erschweren, brauche ich nicht extra zu betonen. Man muß wach bleiben, sein Anliegen vertreten und nicht alle möglichen Kompromisse eingehen, die sich dann letztlich gegen alle Beteiligten wenden.
Die Verantwortung habe ich allein zu tragen, die nimmt mir niemand ab, auch dann nicht, wenn sie mir scheinbar abgenommen wird.

Eine Öffentlichkeit, als Kommunikationsebene, existiert ja höchstens fiktiv. Die Frage nach der Verantwortung des Museumsleiters gegenüber der vielzitierten Öffentlichkeit stellt sich also immer sehr systemkonform; bewertet werden schlicht Medienpräsenz, Sympathiewerte, das Talent zum Wirbel. Die Urteile der Expertenwelt sind, wegen heterogener Gruppeninteressen, auch keine verläßliche Stütze.

Sicher. Wir haben es immer nur mit der stellvertretenden Öffentlichkeiten zu tun, mit den Medien, mit Pressure Groups. Auf sie zu bauen, bei der Absegnung einer geleisteten Arbeit, halte ich für gefährlich, genauso, wie ich es für gefährlich halte, ununterbrochen angebliche Erfolge zu produzieren, weil dann die Gefahr besteht, daß die Medien die Definition dessen übernehmen, was man vielleicht in Frage stellen muß. Im Kern geht es doch um sinnlich erfahrbare Vorgänge, denen sich Kritik ebenfalls nur sehr subjektiv und tastend nähern kann, wenn sie sich - was ein Ziel sein könnte - als Teil, als notwendige Ergänzung des Kritisierten versteht. Die Irrtümer von so manchen Kritikern und Experten sind doch allzuoft in die Nähe einer Lächerlichkeit geraten; man braucht sich nur die Rezeption des Wiener Aktionismus ansehen.
Der Weg, den ich in diesem Dilemma für richtig halte, ist der: schneller arbeiten, mit einem Höchstmaß an Komplexität, nicht müde werden, neue Themen, neue Fragen aufzuwerfen, Risiken eingehen beim Aufspüren neuer Tendenzen. Nur dann kann einen niemand in eine Schablone zwingen. Letztlich ist auch für die Kraft eines Kunstwerkes das Schablonisieren bedenklich.

Das Museum als Struktur für Subkulturen also, als Transformator seismographischer Signale ?

Durchaus, solange daraus nicht schon wieder ein Klischee resultiert. Es muß uns doch alle die Frage beschäftigen, wo die kommende Kunst entsteht. Vielleicht passiert sie ganz woanders, als wir es gewohnt sind, in Bereichen die wir gar nicht wahrnehmen, durch Menschen, die von der Gesellschaft nicht als Künstler bezeichnet werden.
In dieser Richtung muß ein Museum wie unseres - völlig im Gegensatz zu musealen Traditionen - so offen wie nur möglich sein. So versuche ich unter anderem auch im Zuge der angelaufenen baulichen Sanierung vom Gebäude her bessere Voraussetzungen dafür zu schaffen. Der Auftrag, den ich definiert habe, mit dem ich angetreten bin und der vom zuständigen Minister akzeptiert wurde, lautet ja schließlich, es mit neuen Inhalten zu füllen.

Bleiben wir beim Zusammen- und Gegeneinanderwirken von Struktur und Inhalt. Wenn ich "Struktur" als die "unsichtbare Architektur" verstehe, also als das Geflecht von Regeln, Vorschriften, Anweisungen, Kontrollen, Informationsflüssen, Personalpolitik, Entscheidungsabläufen, dann stellt sich klarer Weise die Frage, wie sie für ein aktives, nicht bloß bewahrend-verwaltendes Museum ausschauen sollte. Das ließe sich in einer adäquaten Typenvielfalt durchaus konzipieren. Nicht so ohne weiteres konzipieren lassen sich aber die "Inhalte" , es sei denn, wir würden eine geplante Kulturpolitik befürworten, die inhaltlich stark eingreift.
Also: Es spricht doch vieles dafür, vielleicht sogar ziemlich radikal, neue Strukturen - in unserem Fall für Museen - zu entwickeln, im Vertrauen auf die Chance, die neue Strukturen für neue Inhalte bieten. Allein eine stärkere Autonomie, längerfristig planbare Budgets oder eine größere personelle Flexibilität setzen doch Energien frei, die derzeit im administrativen Dschungelkrieg gebunden sind.

Selbst wenn man unterstellt, daß verbesserte strukturelle Voraussetzungen positive Lösungen ermöglichen, ist damit noch keine Garantie gegeben, daß diese interessante inhaltliche Veränderungen nach sich ziehen. Andererseits verhindern unsere gegenwärtigen Strukturen vieles in so offensichtlicher Weise, daß ein solcher Zusammenhang von niemandem geleugnet werden kann.
In den Bundesmuseen ist meiner täglichen Erfahrung nach keinerlei Basis für ein selbständiges Arbeiten gegeben. Das gesamte System ist auf kleinlichste begleitende Kontrollen ausgerichtet, obwohl ohnedies alles penibel belegt werden muß und es rückblickend neuerlich überprüft wird. Der Zeitfaktor des fließenden Agierens, Reagierens, neuerlichen Agierens verlangsamt jede Beweglichkeit dermaßen, daß für alles ein enormer Aufwand betrieben werden muß. So gesehen darf man die Kräfte nicht unterschätzen, die gerade im Kampf gegen noch so kaputte Strukturen fruchtbare Ergebnisse zustandebringen, aus einer Verteidigungsstrategie heraus, mit einer Guerillataktik.
Vielleicht passieren die interessanteren Inhalte eben dort, wo nichts geordnet und glatt ablaufen kann. Das mag vielleicht der einzige Trost sein, den ich habe.

Über die Ideologisierung eines Nichtfunktionierens nachzudenken, würde sich allerdings auch lohnen. Zwischen der Freude am Kaputtgehen, wie sie Alexis Sorbas überkommen ist ("Hast Du je etwas so herrlich zusammenbrechen sehen ?") und dem Anspruch möglichst totaler Perfektion, den gerade Künstler bei ihren Ausstellungen und der Produktion ihrer Kataloge haben, besteht doch eine interessante Polarität. Und der Coop Himmelblau-Slogan "Alles, was gefällt, ist schlecht. Alles, was funktioniert, ist schlecht." beleuchtet das sozusagen in aktualisiertem dekonstruktivistischem Licht..
Vielleicht muß man das aus Sicht einer Museumsrealität einfach so sehen: Möglichkeiten zum Widerstand und zu unverwendbarem Verhalten wird es in einem Haus mit halbwegs normalen Arbeitsbedingungen immer noch genug geben. Andererseits hat eine Ruinenbegeisterung, nach der gerade in desolaten Strukturen und ärmlichen Verhältnissen eine Chance auf kreative Widersetzlichkeit zu sehen ist, etwas für sich - wenigstens als Bild.

Sicher ist es grundsätzlich positiv, daß die Arbeitssituation in den Museen endlich beginnt, ein Thema zu werden. Nur glaube ich zugleich, daß die deklarierte Perfektion genauso tödlich wäre. Würden die in einem Museum Arbeitenden in ein noch so perfektes Organisationsmodell eingebunden, könnte eigentlich nichts mehr entstehen. Strikt dagegen bin auch, daß es zu vereinheitlichenden Konzeptionen kommt. Gerade die Verschiedenartigkeit der einzelnen Häuser ist ein Strukturmerkmal, das verteidigt werden muß. Wenn jetzt auf juristischer Ebene durch die Teilrechtsfähigkeit der Bundesmuseen ihr Bewegungsspielraum etwas erhöht wird, ist das zu begrüßen, nur müßte parallel dazu geklärt sein, daß das nicht zusätzliche bürokratische Ausfächerungen nach sich zieht. Dieses Beispiel bestätigt mich in meiner Position, weiterhin mit Nachdruck dafür zu plädieren, daß die politische Willensbildung nicht ewig aufgeschoben werden kann. Die Diskussion kreist wie ein Endlosband um den Status der Museen, um irgendwelche administrativen Erleichterungen. Das sind alles Äußerlichkeiten, Oberflächlichkeiten. T-Shirts ersetzen weder Inhalte noch ersetzen sie plausible Initiativen zu einer verstärkten privatwirtschaftlichen Nutzung der Museen.
Ich bin da für alles offen, nur muß von gänzlich neu überlegten Aufgaben und Inhalten ausgegangen werden.

Da bieten sich etwa Vergleiche mit gesellschaftlichen Entwicklungen auf dem Universitätssektor an, die Demokratisierungsschritte dort, das Universitäts-Organisationsgesetz. Positive und negative Erfahrungen dabei dürfen doch nicht zur reaktionären Haltung zurückführen, daß es "so nicht weitergehen kann", im Sinne einer erneuten Hinwendung zu einer Kultur unkontrollierbarer Eigenmächtigkeiten.
So dominierend sie weiterhin ist, und so schwierig gegenteilige Ansprüche gerade im Bereich Wissenschaft und Kunst einen Halt finden, desto dezidierter müßte an der Umsetzung demokratiepolitischer Forderungen gearbeitet werden. An den Museen ist, soferne vernünftige Leiter da nicht einiges austarieren, vieles von dem überhaupt vorbeigegangen.

Ich sehe das so: Ein wesentlicher Punkt jener Art von Demokratie, die sich bei uns institutionalisiert hat, ist die Forderung nach Kontrolle. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Dinge meßbar sind und daß auch Dinge, die nicht meßbar sind, dennoch gemessen werden. Das hat, bei aller Behelfsmäßigkeit, in den meisten Fällen sicher seine Berechtigung. Wenn man sich jetzt die Institution Museum hernimmt, muß man die Kontrollforderungen nach verschiedenen Aspekten untergliedern. Daß die Art der Organisation und der Buchführung, die Ordnung der Einnahmen- und Ausgabenrechnung transparent genug ist für permanente Kontrollen, halte ich selbstverständlich für sinnvoll. Ein anderer Punkt ist die inhaltliche Kontrolle. Hier müssen bremsende Eingriffe entschieden abgewehrt werden. Es ist auch ein grober Unfug, die inhaltliche Arbeit eines Museums, seine Leistungen für die Gesellschaft also, lapidar anhand des Presseechos oder der Besucherstatistiken zu kontrollieren.
Museumsarbeit ist nur in mehrjährigen Phasen wirklich beurteilbar. Sie braucht den Mut zur Subjektivität und diese Subjektivität in Person des Museumsleiters muß von der übergeordneten Stelle, vom Minister also, durch einen entsprechenden Vertrauensvorschuß gestützt werden. Genauso plädiere ich für ein Höchstmaß an Freiraum der Kustoden, auch dann, wenn die grobe Linie in eine Richtung laufen muß und der Direktor dafür verantwortlich ist.

Die Diskrepanz zwischen den vielzitierten "Großen Lösungen" und den Unsicherheiten bezüglich wünschenswerter Funktionsweisen der Museen ist für den Diskussionsstand jedenfalls nicht untypisch.

Vielleicht ist das ein EG-Syndrom ? Man starrt in Österreich nach Westen, sehnt sich nach internationalen Erfolgsbeispielen, von denen sich bei näherem Hinsehen rasch zeigt, daß sie selbst in größten Schwierigkeiten stecken, daß sie gar nicht so funktionieren, wie landläufig behauptet wird und vor allem, daß eigentlich oft nichts Neues mehr herauskommt. Die Chance liegt ganz wo anders.
Man muß sich wirklich besinnen auf die Tradition jedes einzelnen unserer Museen und muß diese dann brechen, ohne sie wegzuwerfen. Diesen Traditionen muß etwas anderes gegenübergestellt werden und so werden ganz unterschiedliche Orte entstehen, wenn es gleichzeitig gelingt, die entscheidenden Positionen Schritt für Schritt mit signifikanten Leuten zu besetzen. Deswegen sind auch die kursierenden Vorstellungen, für die Bundesmuseen eine Dachorganisation im Sinne des Bundestheaterverbandes zu installieren, schärfstens abzulehnen. Das wäre eine radikale Zentralisierung bei der der neue "Zentralsekretär" von vorneherein in Kommerzialisierungszwänge hineingetrieben würde, um den Staat wenigstens pro forma von finanziellen Verpflichtungen etwas zu entlasten. Für die eigentliche Museumsarbeit jedenfalls sind bei einer solchen Verbundlösung weit mehr Nachteile als Vorteile absehbar.

Kulturpolitik läßt sich nicht als "Sparte" der Politik definieren, weil sie im Fluß unzähliger, verzweigter Einzelentscheidungen zum Ausdruck kommt. Dennoch ist sie im Grunde zuallererst einmal ein Leiten von Geldströmen. Tatsache ist, daß die Budgets der einzelnen Museen niemanden interessieren und sie höchstens eine Handvoll Leute inklusive aller Verästelungen einer wirklich konsequenten Zurechnung überblicken; dasselbe gilt für die Theater, für die Oper, für Festspiele. Tatsache ist aber auch, daß Kulturpolitik erst dann einer öffentlichen Diskussion zugänglich wird, wenn es als normal gelten würde, Konflikte um Geldmittel und strukturelle Verschiebungen in transparenter Weise auszutragen. So gesehen gefiele es mir ganz gut, wenn solche Institutionen ihre Bilanzen in der Wiener Zeitung veröffentlichen müßten. Oder haben wir uns damit abgefunden, daß dieser Kampf um Budgets in beträchtlichem Umfang in der Grauzone informeller Kontakte ausgefochten werden muß ?

Damit schneiden wir eine Zentralfrage der Kulturpolitikik dieses Landes an und es ist richtig, daß die Diskussion darüber bestenfalls zaghaft ist. Niemand legt Rechenschaft darüber ab, warum die bildende Kunst in Österreich weiterhin absolut diskriminiert wird, so wie es eben "Tradition" ist, obwohl sie in der Gegenwart die hervorstechendsten künstlerischen Regungen in diesem Land erzeugt. Gegenüber Theater, Oper, Konzerten kommen ihr dermaßen vernichtend kleine Budgetgrößen zugute, daß es einfach überfällig ist, auf Regierungsebene über ein Umschichten, ein schrittweises Angleichen oder ein Aufstocken Entscheidungen zu fällen. Es ist doch geradezu fahrlässig, den Transport des Kunstgeschehens den Galerien allein zu überlassen, so positiv sich deren Anstrengungen auch auswirken.
In Wahrheit verstärken sich sogar gegenläufige Intentionen und man sagt, die Museen sollen sich ihr Geld selbst beschaffen. Daß das in gewissem Umfang möglich und notwendig ist, bestreite ich keineswegs, nur kann sich der Staat nicht aus seiner Verantwortung völlig entfernen. Wenn das Österreichische Museum für angewandte Kunst mit seinen 70 Mitarbeitern und einer Gesamtnutzfläche von etwa 14.000 Quadratmeter ein Jahresbudget von nicht einmal 30 Millionen Schilling zugeteilt bekommt, so ist das eine deutliche Aussage, welchen Stellenwert man der modernen Kunst, aber auch dem Bewahren der alten Kunst beimißt.

Dieses Abhängighalten ist ein Kernpunkt jeder Einbindung in die öffentliche Verwaltung. Das einem abgeforderte Geschick für Einzelbewilligungen gehört da dazu. Von den Beteiligten, die sich anderswo längst übliche, freiere betriebliche Strukturen meist gar nicht vorstellen können, wird auch die tendenzielle Prolongierung einer Bittstellersituation, einer Untertanengesinnung übersehen. Wenn nun ein Baumeister Rogner in der Atomruine Zwentendorf sein - anscheinend kommerziell plausibel durchgerechnetes - Historyland-Projekt realisieren will, eigenständig, aber mit beträchtlichen öffentlichen Mitteln, erntet er von fast allen Seiten Applaus.
Auf die Idee hingegen, einem Museumsdirektor für fünf Jahre ein tragfähiges Budget zuzusichern, mit der Bedingung, machen sie eine interessante, wirksame Institution aus diesem Haus, kommt hingegen niemand. Selbst in der Verstaatlichten Industrie hat man sich - damit sie aus ihrer Krise herausfinden kann - längst schon einer solchen Vorgangsweise angenähert.

Damit ist eigentlich alles gesagt, damit sind alle künstlich erzeugten Probleme angesprochen, die öffentliche Institutionen gegenüber eigenständigen Unternehmungen heute so hoffnungslos benachteiligen, selbst wenn letztere für die Entwicklung der Gesellschaft noch so bedeutungslos sind. Kulturpolitisch gibt es zwar immer wieder fast unvermutete Schritte des Mutes, dann aber bekommt so ziemlich jeder vor der eigenen Courage Angst.

Die Situation in Österreich deckt sich diesbezüglich, wenn auch verzögert, total mit internationalen Tendenzen. Der Museumsboom hat sich auch andernorts in Neubauten erschöpft, ohne daß sich eine Bereitschaft durchgesetzt hätte, für Folgekosten und eine offensive Museumsarbeit die Budgets bereitzustellen. Dennoch klammert man sich hier vielfach an Nachahmungseffekte, will etwas nachholen, ohne daß ein Überholen bisher die Diskussion bestimmen konnte.
Die Chance ist doch da, teilweise unter völliger Neuinterpretation des Museumsbegriffes, museumsähnliche öffentliche Institutionen anzustreben, die in den nächsten zwanzig Jahren eine gesellschaftliche Stellung und Kraft behaupten könnten, die tragfähiger und offener ist, als die der schon etwas abgenutzten Prototypen dieser ganzen Entwicklung.

Richtig. Gerade heute bietet sich eine echte Chance.
Wir wissen doch inzwischen zur Genüge, daß Museen, als bloßes Thema der Architektur, zu Medienereignissen hochstilisiert worden sind, ohne daß die in diesen Gebäuden vorhandenen Inhalte noch eine nennenswerte Rolle spielen. Das hat auch Wirkung gezeigt; kaum war ein halbwegs interessanter oder skandalisierter Neubau da, sind die Besucherzahlen in die Höhe geschnellt, selbst wenn es überhaupt nichts Neues zu sehen gegeben hat. Man darf das nicht nur in seinen negativen Aspekten sehen, aber diese Phase der musealen Architekturmonumente gehört überwunden. Eine eklektisch dramatisierte Inhaltsleere bringt auch die Architektur nicht weiter.
Optimistisch gesehen: Österreich hat schon seit längerem die Möglichkeit, diverse Entwicklungen und Fehlentwicklungen zu analysieren. Letztlich auch, um sich von der traditionellen Kopiermanie zu befreien.
Es müßte doch zu denken geben, daß gerade in einer Zeit, wo die Wahrnehmung explodiert, weit über das Sichtbare hinausgeht, wir an einer Vergegenständlichung lebendiger Kulturformen wie nie zuvor festhalten. Obzwar laufend neue Museen gegründet werden, beschränkt sich die Musealisierung längst nicht mehr auf solche Institutionen. In einer Art museophiler Wahnvorstellung hat die Restaurierung immer mehr Bereiche erfaßt, die Wiener Innenstadt zum Beispiel oder die eindrucksvollen Pyramiden- und Tempelruinen der Majas, die sich - vor wenigen Jahrzehnten noch vom dichten tropischen Urwald geschützt - heute als phantastische, sinnentleerte Prachtbauten präsentieren.
Die vorherrschende Politik der systematischen Zurschaustellung des geistigen und kulturellen Erbes, die Degradierung einst lebendiger Ideen, Vorstellungen und Mythen zu Ausstellungsobjekten des Kulturbetriebes ist nicht nur ein zynischer Akt, sondern läßt auch auf Ängste, hervorgerufen durch den Verlust von Identitätsspuren oder auf Ängste einer kulturellen Verarmung schließen.

Daß ausgerechnet von Museen aus gegen Musealisierungstendenzen der Gesellschaft gekämpft werden soll, ergibt doch eine sonderbare - vielleicht gerade wegen ihrer offensichtlichen Unauflöslichkeit interessante - Dialektik, und zwar auf einer ganz anderen Ebene, als die gängigen Forderungen nach Verlebendigung des Museums ?

Natürlich. Das Museum, will es nicht lediglich Mumifizierungsanstalt eines vorgetäuschten Zusammenhanges zwischen erstarrten, tiefgekühlten Objekten und kulturellen Phänomenen sein, muß an den Vorgängen in der Kunst teilhaben - dort die Auseinandersetzung suchen.
Auch eine noch so üppig zur Schau gestellte Retrospektive eines lebenden Künstlers kommt einer Rekonstruktion, einer Wiederherstellung, im gewissen Sinn sogar einer Restaurierung gleich. Etwa an dieser Stelle müssen Überlegungen zu einer Neuorientierung Platz greifen.
Mir geht es eigentlich mehr darum, den Künstler zu gewinnen, mit ihm eine Auseinandersetzung zu suchen, ihn gegebenenfalls zu provozieren.
Ich glaube, gerade heute ist der Prozeß, der Zeitraum und der Ort, wo möglicherweise Neues entsteht, mindestens so wichtig, wie das Endprodukt, das Kunstwerk selbst. Einen Zustand von höchster Komplexität als Grundlage halte ich heute für das Entscheidende, auch dann, wenn das gewünschte Ergebnis eine Einengung des Themas, einen höchsten Verdichtungsgrad zum Ziel hat. In der Architektur z. B. ist dieser Vorgang ziemlich exakt abzulesen. Das spekulative Bauwerk beschränkt sich etwa darauf, Komplexität votzutäuschen. Komplexität, auch das wäre ein Punkt ...
Jedenfalls wäre es die Aufgabe, völlig neu zu beginnen.

Nicht als bloße Idee, sondern als Notwendigkeit.

Ganz sicher, als Notwendigkeit; als weit über die Museumsssituation hinausweisende Notwendigkeit, diesen grauenhaften Provinzialismus zu überwinden, der immer auf das angeblich Internationale hinschielt und sich in Wahrheit - selbst wenn großes Bemühen dahintersteckt - immer in einen Starkult flüchtet, ob das nun die Leitung der Festwochen, eines Museums oder eines Theaters betrifft. Internationale Koryphäen sollen uns retten, statt daß man endlich, und das will ich nicht als Chauvinismus mißverstanden wissen, daran geht, es Leuten, die aus verschiedensten Gründen nie derartiges beweisen konnten, und da zähle ich mich ohne weiteres dazu, zu ermöglichen, von hier aus an diesem Experiment, das nichts Geringeres ist als gesellschaftliche Entwicklungsarbeit, mit entsprechender Kraft mitzuwirken. Der Star jedenfalls ist in den seltensten Fällen ein Experiment. Hier erzeugt er bloß eine Schicht der Zweitklassigen und seinen Einfluß hat er ohnedies woanders zurückgelassen, und auch die Bedingungen, unter denen er groß werden konnte. Ein anderer Punkt ist, daß man zwar jetzt stattliche Summen in die bauliche Adaptierung der Museen steckt, aber wider alle Vernunft nicht bedenkt, daß dies bei Aufrechterhaltung des Status Quo eine katastrophale Fehlinvestition bedeuten würde. Ich höre in den Fachkreisen fast nur Geschwätz über die Vorbildhaftigkeit des Auslandes und jeder der etwas kritisiert, wird angehalten, irgend ein neues entlegenes Beispiel zur Kenntnis zu nehmen.
Die gesamte Diskussion um das Messepalast-Projekt ist von solchen Devisen beherrscht. Ich halte sie für eine Verhöhnung aller Aspekte, von denen wirklich etwas Neues ausgehen könnte. Ich glaube nämlich fest, daß etwas Neues möglich ist, nur sehe ich es im Rahmen der jetzigen Planungen nirgends; nichteinmal als Anspruch. Denn solange man nicht bereit ist, den vorhandenen Einrichtungen gewisse Möglichkeiten zuzugestehen, ist dieses Großprojekt ein bloßes Ablenkungsmanöver, das sehr viel kostet und letzten Endes bestenfalls eine quantitative Expansion des Status Quo mit sich bringen wird.

Damit sind wir noch deutlicher als vorhin bei der schmerzlichen Dialektik zwischen "Reform von oben" und "Reform von unten". Daß irgendeine Gruppierung ein "Museumskonzept" zustandebringen könnte, das dann, nach Diskussion und Adaptierungen, auch akzeptiert und den politischen Maßnahmen zugrundegelegt würde, glaubt anscheinend kaum jemand.

Ich gehe unverdrossen davon aus, daß die Sachlage weit weniger kompliziert ist, als dauernd behauptet wird. Über die grundsätzliche Bereitschaft, in dieser Richtung etwas zu tun, müssen die Politiker entscheiden. Tatsächlich wesentlich wäre die Schaffung autonomer Institutionen mit einer adäquaten Budgetausstattung. Die Reform selbst kann von Politikern de facto nicht verlangt werden, wegen ihrer zeitlichen Drucksituation usw. Wenn, wie etwa in der Verstaatlichten Industrie Sanierungamanager eingesetzt werden und man ihnen die Zeit der glücklosen Phase, vielleicht auch die Zeit des angedeuteten Zusammenbruchs und die Zeit der Regenerationsphase läßt, so kann das durchaus ein Muster sein, wie bei wie bei den Museen oder in anderen kulturellen Bereichen vorzugehen wäre. In einer Legislaturperiode allerdings ist wenig zu machen; und auch das muß einkalkuliert werden.
Auf die Museumssituation bezogen, kann man nämlich einen anderen Vergleich nicht so einfach wegschieben: In Österreich hat es in Zeiten der Monarchie, trotz aller Verengungen und Kurzsichtigkeiten, in gewissen Bereichen weit mehr "liberale" Großzügigkeit gegeben, als wir dies heute vorfinden. Es ist nicht einzusehen, daß wir im Gesellschaftssystem der 2. Republik, dem wir alle zustimmen, und das wir für das weit bessere halten, ein Versagen in solchen sensiblen Bereichen so ohne weiteres hinnehmen.

Nehmen wir zur Initiative "von unten" ein konkretes Beispiel. Warum kann nicht aus der räumlichen Nachbarschaft des Österreichischen Museums für angewandte Kunst und der Hochschule für angewandte Kunst, die noch dazu durch eine eng verflochtene Geschichte miteinander verbunden sind, eine neue, übergreifende Struktur entstehen, im Sinne eines Experimentierfeldes für künftige Möglichkeiten der Gesellschaft, ohne große Planungen und Bewilligungen von oben ?

In der unmittelbaren Vergangenheit hat die Hochschule das Museum dominiert. Seitens des Museums ist darauf mit Abwehreinrichtungen reagiert worden, es wurden Durchgänge zugemauert, Barrieren errichtet, man hat sich verstärkt gegen eine Infiltration verteidigt.
Inzwischen ist wieder begonnen worden, Gemeinsames zu machen - das war eine Initiative von Oswald Oberhuber und mir - und ich halte es auch für notwendig, das mit dem jetzigen Rektor Wilhelm Holzbauer fortzusetzen. Ein Gegeneinander wäre ja völlig unsinnig. Nur glaube ich nicht an eine Zusammenarbeit um jeden Preis. Jetzt ist eine Phase notwendig, in der das Museum zu einer eigenen Identität kommen muß. Das hat für mich Priorität. Kooperationsbereit werde ich in jeder Weise sein, aber nicht als Postulat, sozusagen als politischer Akt, sondern aus der Sache heraus.

Um beim Laborbegriff zu bleiben, der ja auch für das Museum of Modern Art in New York, wie immer es sich inzwischen definieren mag, als Leitmotiv verwendet worden ist, stellt sich die Frage, inwieweit er nicht nur über eine offensive Ausstellungs- und Veranstaltungstätigkeit einlösbar ist, die klassische Museumsfunktionen - die ständige Sammlung, das Restaurieren, Bewahren, Aufarbeiten - in den Schatten drängt. Die in der Ära Noever realiserte Kette von Ausstellungen hätte, um es vielleicht überspitzt zu sagen, auch völlig losgelöst von diesem Museum in einer Kunsthalle stattfinden können.
Vom Grundsätzlichen her betrifft das die Konkurrenz zwischen der Arbeit an der Museumssammlung und der Arbeit an Ausstellungen, die doch für eine Diskussion veränderter Museumsinhalte generell einen wichtigen Stellenwert haben muß.

Die darin verborgene, schon mehrfach geäußerte Kritik kann ich sehr einfach beantworten.
Es war in meinen Augen eindeutig notwendig, möglichst prägnant zu signalisieren, daß ich trotz aller Wertschätzung der Geschichte dieses Hauses jetzt etwas anderes will, nämlich eine Umschichtung seiner Prioritäten.
Mit den Sammlungen wäre das in kurzer Zeit nicht möglich. Sie sind schwerfälliger, in ihren Ausdrucksmöglichkeiten viel gebremster als speziell konzipierte Ausstellungen. Zugleich entwickelt sich daraus die Daueraufgabe einer eigenständigen Themensuche, mit dem Ziel, echte Akzente zu setzen und - trotz der oft schon sehr beliebigen Benutzung dieses Schlagwortes - der Anspruch, die Ausstellungstätigkeit in Wien zu radikalisieren. Ein Hinterhertrotten auf abgegrasten Feldern des Jugendstils, des Art Deco, ist, nur um irgendwelche Lücken zu schließen, sehr problematisch geworden.
Wo lassen sich Gebiete aufspüren, in denen Risiko noch Wirkung zeigen könnte ? So sinnlos die klassische Einteilung unseres Museums in materialbezogene Abteilungen auf den ersten Blick auch scheinen mochte, sie stellt sich bei näherer Diskussion durchaus als echte Möglichkeit heraus. Jedenfalls: Haltbare neue Überlegungen zu den Sammlungen lassen sich nicht von Heute auf Morgen entwickeln. Ein erster deutlicher Einschnitt ist, daß im Herbst 1988 die Abteilung für Gegenwartskunst provisorisch etabliert und vorgestellt wird, von der aktuelle Geschehnisse aus einer ganz bestimmten Perspektive und immer unter Einbeziehung der jeweiligen Künstler dargestellt werden sollen.
Ein wichtiger nächster Schritt wird das Sammeln und zum Teil Produzieren essentieller Informationen über bedeutende Künstler und ihre Projekte sein - jener Künstler, die als wesentliche Kräfte für diese Zeit bestimmend erscheinen und sie vermutlich einmal repräsentieren werden.

Darin äußert sich ein gründlicher, wenn man will wissenschaftlicher Anspruch, der mich zur Frage führt, welche Nachfolgephasen, die für Museen schon angesprochen worden sind, den Ausstellungsmoden entgegengesetzt werden könnte. Kann die Inszenierungsausstellung, der von besorgter Seite immer Oberflächlichkeit vorgeworfen worden ist, durch eine Hinwendung zu wissenschaftlicher Gründlichkeit, durch eine neue Ästhetik der Sorgfalt abgelöst werden ?

Ich glaube in keiner Weise, daß wissenschaftliche Gründlichkeit der Forderung nach neuen Blickpunkten entsprechen könnte. Ich vermute, daß solche, gerade in dieser Stadt immer wieder vehement vertretenen Ansprüche eher Schutzbehauptungen sind, mit denen latente Unsicherheiten kaschiert werden sollen. Sicher muß man sich die ganze Inszenierungsfrage, nach all den Höhepunkten, die uns da geboten worden sind, sehr konsequent überlegen.
Meine Antwort auf sie ist zur Zeit, daß jede Ausstellung bewußt und in jedem Fall ein fragmentarisches Ereignis sein soll. Nicht die Fertigkost, das gesamte Menue, sei es wissenschaftlich noch so fundiert oder ästhetisch noch so kulinarisch aufbereitet, liefert den Zugang zu neuen Fragestellungen, sondern nur die exemplarische offene Frage selbst. Daß man zugleich den Sinn und Unsinn der ausgebrochenen Ausstellungswut reflektieren muß, versteht sich dabei fast von selbst.

Die Realität ist jedenfalls, daß Museen hinter der Ausstellungsflut verblassen, daß sie in diesem Sinn sehr wohl "Kunsthallen" werden oder bloße Objektlieferanten, daß sie also um ihre eigene Identität echt kämpfen müssen. Ausstellungen lassen sich ja als vergängliches Museum definieren.

Zweifellos ist da dem Museum in den letzten Jahren eine Ebene davorgestellt worden mit der es sich auseinandersetzen muß. Holleins "Traum und Wirklichkeit" hat dafür in Wien und weit darüber hinauswirkend markante Maßstäbe gesetzt. Die Ökonomie der Entscheidungen für diesen Weg ist sicher nicht die Zentralfrage. Festzuhalten ist aber doch, daß mit dem Budget einer einzigen dieser Großausstellungen unser Museum, dem jährlich etwa 2,5 Millionen Schilling Budgetmittel für seine Ausstellungen zugeteilt werden, fast zwanzig Jahre auskommen müßte.
Mit einem derart geringen Budget kommt es zu diesem Gegeneffekt, daß man einem Thema nicht mehr gerecht werden kann. Trotz dieser Zwänge gehe ich davon aus, daß Ausstellungen, mit dem Anspruch einer Art von Gesamtkunsterk, inklusiver diverser Aus- und Eingrenzungen und Definitionen, tendenziell eine Gemeinheit gegenüber den einbezogenen Künstlern sind und in der Überstrapazierung solcher Modelle auch überholt.
Ein gewisses Maß an Fragilität, an fragmentarischen Aspekten, wenn man so will auch an Ruinenhaftigkeit, muß da sein, damit der Besucher zwar angeregt wird, aber gewisse Dinge für sich selbst weiterführen kann. Ich halte solche Versuche für wesentlich spannender, als wenn dem Publikum ein abgerundetes, gleichsam fertiges Produkt vorgesetzt wird. Wir sind ja kein Ideologieinstitut.

Die Verweigerung einer Neubewertung ist im Museum aber so oder so nicht möglich. Was immer es tut, ist eine autoritäre Aussage nach dem Motto "Ich zeig dir was - Du denkst dir was". Zwischen Vordenken und Nachdenken eine Spannung zu erzeugen, ohne z. B. verbal im Katalog präzise Standpunkte oder Reflexionen anzubieten, appelliert stark an Gefühle, an eine Vagheit, selbst um den Preis extremer Mißverständlichkeit.

Dieses Risiko gehe ich aus Überzeugung ein, denn die Vorbildhaftigkeit, von der wir eingangs gesprochen haben, und das Angebot übernehmbarer Standpunkte ergeben für mich keinen Sinn.
Ein Museum muß positiv und negativ sein, muß laut und leise auftreten, muß sich dem einen und dem anderen widmen, mit einem gewissen Maß an Widersprüchlichkeit, damit das Ja und das Nein periodisch in ein Gleichgewicht kommen. Ich lehne alle diese klassischen Wertungen von Gut und Böse ab.
Entscheidend ist, daß neue Informationen entstehen können, als offener, kontroversieller Prozeß. Dafür ist der Künstler selbst sehr wichtig.
Deswegen sehe ich unser Museum auch als Wohnstatt für Künstler, als Gästehaus, als Werkstatt. Bernard Rudofsky hat für seine Ausstellung hier ein ganzes Jahr verbracht, Alfons Schilling ist aus New York direkt in unser Haus übersiedelt, Günther Domenig wird hier über sein Steinhaus reflektieren und Walter Pichler wird im Museumsgarten bauen.
Daraus soll kein System werden, immer aber ergeben sich überraschende Gesichtspunkte, weil etwas anderes herauskommt, als beim üblichen Ausstellungsbetrieb.
Ich lege auch den größten Wert darauf, daß ein Künstler keinen Groschen für seine Ausstellung zu zahlen hat. Denn andernfalls würde das Museum sukzessive zur Hure. Selbst das Guggenheim Museum hat keine Hemmungen, mehrere Millionen Schilling für eine 1989 geplante Arnulf Rainer-Ausstellung einzufordern.
So ist das eben: Die meisten Museen tun so, als ob es ohne Museen keine Künstler gäbe.

 

Peter Noever, Designer und Museumsdirektor
geb. 1941 in Innsbruck. Lehrbeauftragter für "Design-Analyse" an der Akademie der bildenden Künste in Wien (seit 1975), Herausgeber der Architekturzeitschrift "Umriss", seit 1986 Direktor des Österreichischen Museums für angewandte Kunst in Wien.

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© Peter Noever 1988 & Christian Reder 1988/2002