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www.ChristianReder.net: Publikationen: Museumsgespräche: O. Oberhuber
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Oswald Oberhuber

Ich möchte die Sache einmal umgekehrt beginnen und den Künstler Oberhuber, der immer auch als Kulturpolitiker agiert hat, fragen, ob beim Blick auf Kunst, beim Blick auf Museen nicht doch auch besonders erfreuliche Entwicklungen zu beobachten sind.

Das Erfreuliche in der Kunst liegt im Grunde genommen stets beim Künstler. Kulturpolitisch gibt es eigentlich nichts zu bemerken, weil Kulturpolitiker ja keine Konzepte haben und immer aus Zufällen heraus operieren. Wichtig ist ihnen nur das Spektakuläre. Darin liegen auch die Probleme, in die alle diese Fragen, die sich mit Kunst beschäftigen, geraten sind.

Ist aber eine Kulturpolitik überhaupt wünschenswert, die sich in Inhalte einmischt oder könnten wir uns bei der Überlegung treffen, daß es primär um eine Strukturpolitik gehen müßte, die natürlich wiederum auf Inhalte zurückwirkt, wenn Geldmittel zugeteilt oder umgeleitet werden, wenn Festspiele oder Museen einen weiten oder engen Handlungsspielraum bekommen. Was wären, selbst wenn einem die Unabgrenzbarkeit kulturpolitischer Entscheidungen vor Augen steht, grundsätzliche Forderungen in dieser Richtung ?

Im Grunde gibt es keine Kulturpolitik. Da aber der Staat als Hauptträger vieler Aktivitäten künstlerischer Art einmal da ist, muß er in irgendeiner Weise reagieren, es sei denn, der Künstler bleibt bei sich selbst und verzichtet auf alles, was ihm da geboten werden könnte. Notwendig wäre es vor allem, sich die sozialen Verhältnisse der Künstler zu überlegen. Wie geht es den Dichtern ? Wie geht es den bildenden Künstlern ? Muß der Staat für sie etwas unternehmen ? Das wäre eine der wichtigsten Fragen. Eine zweite Frage ist, inwieweit es überhaupt noch statthaft und richtig sein kann, über längere Zeit solche Institutionen wie eben Staatstheater, Staatsoper, Festspiele aufrechtzuerhalten. Sie werden ja vor allem vom Staat finanziert und getragen. Die eigentlichen schöpferischen Kräfte hingegen werden ausgelassen. Was mich besonders stört, ist, daß alles nur retrospektiv geschieht. Für mich existiert eine retrospektive Haltung überhaupt nicht, es gibt also für mich die Vergangenheit in bezug auf die Gegenwart nicht. Und da der Staat hauptsächlich einen Vergangenheitskult betreibt - von der Musik bis zum Bundesdenkmalamt - bin ich vom Prinzip her dafür, daß man zerstört und sich auf die Zeit besinnt. Alles andere ist uninteressant. Beethoven mag ein großer Komponist gewesen sein, er hat aber eine Gefühlslage, die uns doch überhaupt nicht mehr liegt oder wirklich interessieren könnte. Solange der Staat diese rückblickenden Dinge alle bezahlt, frage ich mich, wo die viel größeren Rechte der lebenden Künstler bleiben. In dieser Kontroverse liegt die Hauptproblematik. Das sind die grundsätzlichen Fragen, die nie andiskutiert werden. Sie müssen aber diskutiert werden. Es ist doch höchst bedrohlich, daß alle Staaten der Welt - was die Kultur betrifft - nur noch an einer Art Vergangenheitsbewältigung interessiert sind.

An der Ablenkung vom eigentlichen Lauf der Dinge durch eine Musealisierung der Gesellschaft.

Ja, und das halte ich für äußerst negativ.

In Österreich da herauszufinden, würde massivste Anstrengungen erfordern, weil doch nicht allein das Rückwärtsgewandte so dominant ist, sondern zusätzlich noch der Vorrang des Darstellenden, des Inszenierten vor Authentischem, Originärem, gleichgültig in welcher Sparte. In internationale Trends paßt das allerdings zur Zeit bestens hinein.

Man muß am Massenandrang in der Unterhaltungbranche, ob das jetzt der Schlagerbereich oder die Popszene ist, sehen, wie lebendig das alles ist und daß es sich von selbst erhält. Hier haben wir also eine Situation mit hohen Qualitäten, die noch dazu jede soziale Schicht miteinbezieht, den Intellektuellen genauso wie den wenig informierten Lehrling. Die Breite und Stärke dieses Vorgangs ist doch weitaus interessanter, als der enge Bezug zum Theater, wo eben ein wenig Lessing und manchmal Goethe gespielt wird und uns das in Wahrheit nichts mehr sagt. Man muß sich also wiedereinmal entschieden der Dinge erinnern, die in die Zukunft weisen.

Hans Werner Henze z. B. hat Analoges in Rrichtung Musikmuseum geäußert (DIE ZEIT, Hamburg, Nr. 24/88); er fordert einen radikal auf das Heute bezogenen Spielplan, wie er in einem Monat des Jahres 1795 in Prag stattgefunden haben könnte, in Venedig oder in Wien, als das Musiktheater im Einklang mit der Zeit war und die Musik ihr klangsprachlicher Ausdruck. Er greift auch völlig zu Recht die Maschinerie der großen Häuser an, die gegenüber den eigentlichen Kunstkosten ein solches Übergewicht bekommen hat und er fragt nach dem Sinn der darin liegen soll, daß zwei junge Komponisten ihre neuen Opern schreiben könnten, das Geld dafür aber lieber in eine Pavarotti-Abendgage investiert wird.

In der Masse und bei denen, die sich mit Kunst beschäftigen, ist eben selbst die Ahnung, daß so etwas möglich ist, verloren gegangen und die dafür nötigen Kenntnisse sind auch weg. Noch die negativsten Fürstenfiguren haben meistens ein kulturelles Bewußtsein gehabt und daher Aufträge vergeben. Die Komponisten konnten insgesamt unglaublich viel produzieren, sonst wäre diese zeitgenössische Massenproduktion nicht zustandegekommen. Neben Mozart hat es doch laufend mindestens so bedeutende Leute gegeben, die einmal durchaus erfolgreich gewesen sind. Die Breite vergißt man immer beim Kult um hochstilisierte Einzelfiguren. Heute wird ein lebender Komponist ja nicht einmal gefragt. Wenn irgendwann einmal ein Auftrag daherkommt und man ihm sogar die Aufführung ermöglicht, wird er behandelt wie das Letzte, weil man ja nur daran interessiert ist, erneut den Vergleich mit Beethoven, Mozart, Schubert herzustellen.

Geschichte, zumindest so angewendet, erschlägt das Neue, erstickt es.

Deswegen lehne ich diese einseitige Konkurrenz mit ihr auch entschieden ab. Ich halte auch Mozart und Beethoven für gar nicht so gute Komponisten. Nur ist eben im 19. Jahrhundert damit begonnen worden, sie zu Heroen zu stempeln, zu riesigen Figuren, neben denen dann plötzlich niemand mehr Platz findet. Das hat sich in unser Jahrhundert herein erhalten, auch wenn in ihm von vorneherein von den Künstlern weitaus selbstbewußter operiert worden ist. Man braucht sich nur die Opernproduktion der Zwischenkriegszeit herzunehmen; es existiert ja keineswegs nur der Wozzeck von Alban Berg. Wenn von den vielen anderen wichtigen Kompositionen einmal etwas aufgeführt wird, dann ist noch immer von außergewöhnlichen Besonderheiten die Rede. Daß uns gerade Aufführungen, die medienmäßig weit über die konventionellen Eingrenzungen hinausreichen, weiterhin vorenthalten werden, braucht im Vergleich mit den Unsummen, die in Klassik fließen, fast gar nicht mehr betont zu werden. Jedenfalls, es ist furchtbar.

Der Weg in eine solche, radikaler der Zeit zugewandte Richtung, wäre von massiven Budgetumschichtungen abhängig; der freie Markt hat ja auch nichts dergleichen zustandebringen können. Diesbezüglich traue ich mich zu behaupten, daß niemand einen hinreichenden Überblick hat, wie öffentliche Gelder kulturell eingesetzt werden, wenn Bund, Land, Städte, Gemeinden, Festspiele, Oper, Theater, Literaturförderung, Projektfinanzierungen usw. in all ihren Verästelungen zugrunde gelegt werden. Warum fordern wir nicht massiver die ökonomische Transparenz, um das alles debattierbarer zu machen ? Ein idealistisches Argumentieren müßte doch durch budgetäre Fakten enorm an Kraft gewinnen. Oder ist es nur die Angst, daß ein Erhellen von Grauzonen den Gegnern einer solchen Offensive zusätzliche Munition liefern würde ? Wie aber sonst kommt man aus dieser Verteidigungshaltung heraus ?

Das Negative an der ganzen Sache ist, daß immer mit dem Argument der Unwichtigkeit operiert wird, sobald im Kulturbereich Zahlen zur Diskussion stehen. Es ist damit ein Leichtes, der Bevölkerung zu erklären, daß man das und das gar nicht braucht. Man streicht dann natürlich nicht im Straßenbau, was viel gescheiter wäre, sondern kürzt solche Budgets. Positionen allerdings, die ich eliminieren würde, wie den Aufwand für den Vergangenheitskult, fallen da wiederum nicht darunter. Es wäre ja durchaus lehrreich, Mozartopern mit Sparbudgets aufzuführen, dann bestünde mit anderen Bereichen Chancengleichheit und man könnte sehen, wie leicht jene dann durchfallen. Einen Grundstock würde ich für solche Aufgaben natürlich dennoch vorsehen, nicht aber diese extreme Ungleichgewichtigkeit. So gesehen bin ich natürlich für eine totale Offenlegung und die Kulturbudgets des Bundes, der Länder usw. sind ja durchaus einsehbar.

Nur zum Diskussionsstoff werden sie nie wirklich und eine Transparenz herrscht trotz aller Kulturberichte nicht.

Eine Diskussion kommt deswegen nicht zustande, weil solche Fragen die Öffentlichkeit kaum berühren. Und sie würde natürlich viele zusätzliche Probleme erzeugen, weil eben dann ein Druck entsteht, am falschen Platz zu sparen.

Unübersehbar ist aber, daß gerade dort, wo sehr starke ökonomische Kräfte wirken, wie die Schallplattenindustrie, die Musik-Videos, ein Karajan-Konzern, auch die meisten staatlichen Gelder eingesetzt werden, obwohl sich vermutlich vieles selbst erhalten könnte. Diese Art der anderen Umwegrentabilität ist weitgehend tabuisiert.

Der Meinung bin ich auch. An der Karajan-Euphorie läßt sich das Lächerliche dieser Systeme bestens ablesen. Was zeichnet denn einen Karajan aus ? Überhaupt nichts. Er ist einer von vielen Dirigenten, der noch dazu nie etwas in Richtung einer neuen Interpretation geleistet hat. Er hat ein paar Schönberg- und Webern-Aufführungen beigesteuert, als Alibi und weil heute doch schon einiges der klassischen Moderne im Repertoire gefordert wird. Ich bin entschieden dagegen, daß das alles so hinauflizitiert wird inklusive dem ganzen Geschehen während der Salzburger Festspiele, hinter denen bekanntlich nur Karajan-Interessen stecken. Jetzt zeichnen sich zwar doch langsam Änderungen ab, nur kann ich mir nicht vorstellen, daß das ausgerechnet durch einen Gerd Bacher besser werden soll, weil der ja wiederum von Kunst nichts versteht. Ein Intendant sollte natürlich von Kunst etwas verstehen und nicht nur auf Erfolge verweisen können, die über die laufende Erhöhung von Rundfunk- und Fernsehgebühren finanziert worden sind. Wenn das Geld fließt, kann ich alles machen, das ist doch dann kein Problem. Daß man das Karajan-System allerdings abstellen könnte, ist weiterhin schwer vorstellbar. Das sind eben diese Negativverträge, die der Staat so leichtfertig abschließt, weil er - über seine Beamten - gegenüber privaten Vorgängen eine gewisse Unfähigkeit nicht verleugnen kann. Die Kunst hat in solchen Fällen eben einen sehr starken privatwirtschaftlichen Hintergrund und es ist viel beteiligt, das sich gar nicht überwachen läßt. Ich bin auch dagegen, daß man da streng kontrolliert. Man müßte aber wissen, daß Initiativen im Interesse von Schallplattenfirmen usw. in einer anderen Weise zu behandeln sind. Der Staat könnte ja mit solchen Firmen sehr gute Geschäftsabschlüsse machen; nur dürften gewisse Stars dabei nicht die Schüsselrolle haben, weil es ja in ihrem Interesse ist, die zu beträchtlichen Teilen aus öffentlichen Mitteln getragenen Orchester, Sänger, Bühnen, Inszenierungen eigennützig zu verwenden.

Als erster Schritt erscheint eine Änderung des Festspielgesetzes notwendig, das seit jeher eine automatische Abgangsdeckung durch die öffentliche Hand - also Bund, Land und Stadt Salzburg, Fremdenverkehrsfonds - vorsieht und eine sehr sonderbar verschachtelte Entscheidungsstruktur. Eine Traumsituation für jene, die das Spiel beherrschen.

Das ist eben alles Teil derselben Problematik, die schwer zu durchschauen ist. Im Verlagswesen ist es doch genauso. Jedes Buch, das sich mit Kunst beschäftigt, muß total gestützt sein, wobei die Verlage nichteinmal irgendwie großartig daran verdienen. Trotz dieser Trägerfunktion des Staates kommen sie finanziell nur gerade so durch. Wenn man das angehen will, müßte das sehr genau untersucht werden. So etwas können Beamte oder der Rechnungshof nicht. Dafür eignen sich eher Privatleute, die sich mit Geschäften auskennen.

Auf den Staat zu hoffen, gerade jetzt, wo er gegenteilige Strategien forciert und eine Privatisierung ausschöpfen will, ist allerdings eine eher hoffnungslos antizyklische Forderung. Als Linie müßte dennoch gelten, daß sein strukturelles Eingreifen gerade dort angebracht ist, wo kommerzielle Kräfte auslassen oder eben für Entwicklungen Zeit brauchen.

Genau in diesem Sinn habe ich auch jahrelang gefordert, man solle die Kunstgalerien finanziell unterstützen. Das ist immer als negativ bezeichnet worden, weil sie sich selbst erhalten müßten. Da kann man nur sagen, gut, wenn ihr das so wollt. Denn sie können sich natürlich nur selbst erhalten, wenn sie eine Kunst anbieten, die international verkauft werden kann. In Österreich gibt es nur einige wenige Künstler, bei denen das möglich ist. Und jetzt kommt die grundsätzliche Frage. Will ich dem Künstler helfen, dann kann ich das nur, wenn ich Private dazu bringe, sich auf Dauer für ihn einzusetzen. Das betrifft den Musiker genauso wie den Schriftsteller und den bildenden Künstler. Der Staat kann von sich aus für den Einzelnen überhaupt nichts Nennenswertes machen. Er muß dabei mitwirken, entsprechende private Strukturen aufzubauen, Galerien, Verlage, Agenturen. Von allein entsteht das nur in den seltensten Fällen, weil eben bei uns im Privatbereich die Unfähigkeit so gewaltig ist oder, anders ausgedrückt, einfach nicht die entsprechende Produktivität da ist. Für den Kunstbereich wird das immer negativ problematisiert. Daß eine Berufsgruppe wie die Bauern für ihre Milch und für die Kartoffeln Milliardenbeträge an Stützungsgeldern erhalten, finden alle selbstverständlich. Da könnte man genauso sagen, der Produzent soll sich gefälligst selbst erhalten. Will ich kulturpolitisch, also konstruktiv, eingreifen, dann muß ich die privaten Träger stützen. Das hilft dem Künstler am meisten. Potente Galerien, die dann auch mehr Durchhaltevermögen haben, können ihn betreuen, was in diesem Fall die wirkungsvollste Überleitung öffentlicher Mittel an den Einzelnen darstellt. Das sind wesentliche Momente, bei denen jeder Kulturpolitiker ansetzen kann.

Strukturell müßte ich mir sagen, eine hinreichend lebendige Verlagsszenerie, Galerien, Kulturzeitschriften, zeitgenössische Musik sind gesellschaftlich und ökonomisch wichtig, also wirke ich als Staat am Aufbau solcher Strukturen gezielt mit, ohne mich inhaltlich einmischen zu müssen. Die Presseförderung etwa weg vom Boulevard und den Parteizeitungen in Richtung sinnvoller Unternehmungen umzupolen, ist ja a priori kein zynischer Gedanke.

Sicher, inhaltlich muß sich der Staat da überhaupt nicht einmischen. Er muß die Strukturen anders legen. Er soll sich dabei ruhig fragen, wie kann ich die Produktion eines Künstlers wertvoll machen, damit ich über Steuern schließlich mehr einnehme. Von einem Bild, das 3.000.- Schilling kostet, habe ich doch nichts, bei 300.000.- Schilling wird es schon interessant. Dafür muß ich aber einen Markt schaffen und das gelingt wieder nur unter Einschaltung privater Initiative. Ein Thomas Bernhard, der statt 1.000 jetzt 100.000 Bücher verkauft, setzt doch eine ganz andere ökonomische Dynamik in Gang. Von allein funktioniert das nur in den seltensten Fällen, es muß schon die Partner geben, die da in aufbauender Weise mitziehen. Es sind also Strategien der Werthebung notwendig durch Erleichterungen für jene Unternehmen, seien es nun Galerien, Verlage oder Agenturen, die die Künstler erst zu dem machen, was sie eigentlich sind. Man soll da ruhig in Kategorien des Volksvermögens denken.

Der Stellung der Künstler nach gelten sie aber keineswegs als Vermehrer des Volksvermögens, eher als Aufputz für Modernisierungsstrategien.

Das ist ja wiederum das entsetzlich Negative, daß Künstler ständig wie Bettler behandelt werden. Ein Künstler, der auf Unabhängigkeit aus ist, kann sich natürlich sagen, ich arbeite in irgendeinem Job und mache daneben Kunst, dann braucht er vielleicht niemand. Musil hat ja auch als Bibliothekar gearbeitet und eine Gesellschaft gegründet, über die er Geld bezogen hat, damit er seine Bücher schreiben konnte. Diesbezüglich gibt es von Seiten der Künstler viele Erfindungen. Ohne solche Umwege und Einschränkungen wird die Produktivität aber höher sein und professionelle Partner werden sie weiter steigern.

Solche Überlegungen zur Kulturpolitik würden aber schon im Kompetenzwirrwarr unserer Behörden so stark abgeschwächt werden, daß sich vieles totläuft. Ansätze zu strukturellen Maßnahmen sind ja immer wieder dagewesen.

Daher bin ich auch für eine Zentralisierung. Ich halte es für ganz falsch, daß sich Österreich diese riesige Aufteilung leistet. Das führt alles zur Inkompetenz. Keiner fühlt sich mehr zuständig. Der eine erklärt, das gehört ins Außenamt, der andere verweist einen aufs Unterrichtsministerium. Die Museen wieder gehören dem Wissenschaftsministerium. Wenn die Museen den Universitäten angeschlossen wären, könnte ich mir das vorstellen. So aber nicht. Daß da sovieles unabhängig voneinander läuft, ist jedenfalls völlig falsch.

Nach dieser Einkreisung der Problematik sind wir damit beim engeren Thema, bei den Museen angelangt. "Der österreichische Museumsführer" (von Dawid/Egg, 1985) weist annähernd 1.000 Museen aus; und zwar etwa 60 museale Einrichtungen des Bundes, rund 90 der Länder, 300 von Städten und Gemeinden, 60 kirchliche Institutionen und über 400, getragen von Vereinen, Verbänden, Gesellschaften, Firmen, Stiftungen, Privaten. Inklusive der uferlosen Zahl an museal zu schützenden Kirchen, Schlössern, Burgen, historischen Bauten, Denkmälern, Ruinen oder qualitätsvoller neuerer Architektur und der unzähligen kleinen Heimatmuseen ergäben sich abertausende Punkte in einer scheinbar musealisierten Landschaft, die ansonsten jedweder Zerstörung ausgesetzt ist. Die Museumsdebatte allerdings konzentriert sich auf die großen Bundesmuseen und einige Initiativen in den Landeshauptstädten. Ein fundamentaleres Nachdenken über landesweite Museumsentwicklungen hat - vielleicht auch wegen dieser Quantitäten - bisher keine Kraft gewinnen können. Wo gäbe es dafür Ansatzpunkte ?

Wie man weiß, entstehen weltweit täglich ungefähr vier Museen. Nichts zeigt die Schizophrenie der Situation besser. Ich persönlich bin ja inzwischen fast ein Gegner von Museen. Mir leuchtet es zwar ein, daß jede Ortschaft für den Fremdenverkehr etwas leisten will, indem sie ein Kloster vorweist oder Heimatkunst in irgendeinem erhaltenen Bauernhaus. Vom Prinzip her sind das aber alles negative Hinweise auf eine retrospektive Situation. Eine wirkliche neue Dorfkultur wäre mir natürlich viel sympathischer. Es ist doch grotesk, daß das Dorfmuseum heute viel interessanter ist, als der Rest, als das bestehende Dorf selbst. Was bringt es denn, irgendwelche Reste zusammenzuklauben, Figuren von Krippenschnitzern, Marterln, Heiligenstatuen, um sie irgendwo mit schlechtem Gewissen auszustellen, noch dazu meistens ganz dilettantisch, verstaubt, endgültig absterbend ? Die Besucherzahlen sind gering, denn im Grunde wollen die Leute wenigstens noch gesamte Ensembles sehen, eine Kirche also, fünf schöne Bauernhäuser, das Dorfwirtshaus, das also, was sich jeder noch unter Resten eines intakten Dorfes vorstellt. Oder man braucht nichts mehr von all dem und will sich lieber in Schwimmbädern, beim Schifahren und in Diskotheken unterhalten. Das ist die eigentliche Landschaft, die Erholungslandschaft. Sie bräuchte, wenn es radikal nach den Gesetzen des Fremdenverkehrs gehen soll, auch keine Bildstöcke mehr und keine Heustadel. Solche Relikte bleiben eher zufällig über, weil sie noch keinem Projekt im Wege stehen.

Dieser Blick "von unten", von der musealen Anti-Realität der sich am Lande erholenden Tourismusgesellschaft, "nach oben", hin zu den Museen der Metropolen könnte schon einiges erhellen, das in den offiziellen Überlegungen wenig Rolle spielt. Die kleine Weltausstellung "Minimundus" am Wörthersee, in der Modelle von Gebäuden zu sehen sind, die als Fremdenverkehrsattraktionen gelten, zieht jährlich etwa so viele Besucher an, wie sämtliche dem 20. Jahrhundert gewidmeten Wiener Kunstsammlungen. Zu vermuten ist daher, und davon ist ja längst die Rede, daß das Falsche eine viel stärkere Anziehungskraft ausübt, als das Echte, Authentische.

Sicher, wenn man sich die traditionellen Museen ansieht, vor allem die des Bundes und die der Länder, dann stammen sie praktisch durchwegs aus dem 19. Jahrhundert und kommen von einer Humboldt'schen Lehrmethode her, die aus der Besichtigung von Objekten für die damalige Bildungsgesellschaft Bedeutungen abgeleitet hat. So gesehen ist das Museum im Grunde ein Anachronismus und stirbt wahrscheinlich durch sich selbst ab.

Auch als moralische Anstalt ?

Ja, auch als moralische Anstalt. Denn je mehr Museen entstehen, desto schneller gibt es keine Museen mehr. Museen zerstören sich durch die Masse der Museen selbst. Mit der Zeit haben sie ja keine Ware mehr. Das ist genauso, wie vermutlich bald viele wieder zu Hause Ferien machen werden, weil all jene Orte, die vor kurzem noch ein Ziel waren, überfüllt sind. Wenn das Wirkung zeigt, kann man wieder wegfahren, da weniger Leute das Gleiche machen. Grundsätzlich bin ich also dafür, daß man die traditionellen Museen eher eliminiert, wenn man es nicht schafft, ihnen jene Lebendigkeit zu geben, die wir in der Zeit brauchen. Wäre, was die Kunst betrifft, die Kauf-und Verkaufssituation besser, würde man die Museen vielleicht überhaupt nicht brauchen. Man muß doch sehen, daß die Museen heute so eine Art Alibi für die moderne Kunst sind, nachdem sich zuerst einmal die modernen Künstler ganz scharf gegen die Museen gewandt hatten. Heute sind sie wie wahnsinnig dafür. Nur weil sie sich dort darstellen können und die Museumspolitik ja auch so betrieben wird, daß jedes Haus die gleichen oder sehr ähnliche Objekte braucht. Ohne Mondrian, ohne Picasso glaubt kein modernes Museum auskommen zu können. Daher sind mir Museen lieber, die regionale Gesichtspunkte berücksichtigen. Wenn ich in München den Blauen Reiter sehe, so halte ich das für gut, genauso, wie wenn ich in Nürnberg den expressionistischen Maler Christian Rohlfs vorfinde oder anderswo bestimmte Arbeiten, die ich hauptsächlich an einem bestimmten Ort sehen kann, wie etwa in Den Haag die De Stijl-Gruppe. Das ist doch weit interessanter, als die, was die Moderne betrifft, um die ganze Welt laufende gleichförmige Museumspolitik mit denselben hinaufstilisierten Künstlern. Da bin ich fast auch der Auffassung von Hrdlicka, nach der Museumsdirektoren so etwas wie Blockwarte haben, und sie sich nur gegenseitig den Geschmack abschauen und ihn einander angleichen, ohne irgendwelche eigenen Konzepte zu entwickeln. Wieso muß ich denn überall den Warhol sehen ? Wenn schon, dann möchte ich die Zusammenhänge mit Warhol in einer wirklichen Breite geboten bekommen. Es könnte sich ja ein Museum damit in spezialisierter Weise beschäftigen. Etwas ist nämlich besonders unsinnig oder sogar wahnsinnig, diese Internationalisierung der Moderne. Ich begreife diese Tendenz einfach nicht. Dabei verliert sich alles Charakteristische und jeder Zusammenhang.

Wenn ich diese Argumentation auf Wien beziehe, dann ist doch festzustellen, daß in den Museen jeweils höchstens 50, 60 Arbeiten zeitgenössischer österreichischer Kunst zu sehen sind. Die Erklärung dafür ist immer, daß noch zu wenig Platz da ist.

Gut, nehmen wir das Beispiel Dieter Ronte und das Museum Moderner Kunst. Einer seiner Kerne ist die Sammlung Hahn. Ich hielte es für äußerst interessant, wenn sie komplett gezeigt würde, weil das eine bestimmte Szene sehr gut wiedergeben könnte. Es gibt sicher kein Museum, das über die gesamte Fluxus-Kunst so ein breites Angebot bieten kann. Das sollte hergezeigt werden und man könnte es auf sich beruhen lassen. Die Expressionisten dort finde ich ja so langweilig, uninteressant und öd, daß ich sie überhaupt nicht sehen will. Wenn, dann müßten zehn Säle voll davon sein, dann will ich eben viel mehr davon sehen. Es gibt auch diese Sammlung sogenannter Fetzenkunst, die sich laufend ergänzen ließe. Warum darf das - trotz Beuys - eigentlich nicht gezeigt werden ? Es wird immer nur in kleinen Beispielen gezeigt. Wenn ich solche Sammlungen habe, dann baue ich doch von diesen Bereichen aus weiter auf und arbeite nicht wieder so, wie alle anderen Museen der Welt, also mit den großen Stücken der Klassiker. Wer kann sich heute schon zehn Picassos oder hundert Kubisten leisten ? Das ist ja alles unmöglich. Warum soll ich also diese Klassische Moderne weiter strapazieren, wo die Nähe zu den sogenannten brüchigen Künstlern so viel mehr bringen könnte. Noch dazu, wo das in uns drinnen steckt, diese amorphe Seite der Interpretation. Außerdem gäbe es genug Möglichkeiten zu einer Erweiterung mit jüngeren Leuten. Man könnte also für diese Millionen, die ein Nachkaufen von Klassikern erfordert, völlig andere Objekte beschaffen und sie können - eventuell - ebenfalls einmal Millionen wert sein. Das meine ich alles jetzt nur als Beispiele für eine andere Interpretation eines modernen Museums.

Das klingt alles so, als ob der so oft beklagte Trend vorbei sei, daß der österreichische Staat für ein Sammeln zeitgenössischer Kunst nichts übrig hätte.

Es hat sich auch viel geändert. Die moderne Sammlung die wir inzwischen haben ist nicht schlecht. Es ist in den letzten Jahren wirklich viel gekauft worden und auch die Ludwig-Stiftung war dafür ein Vorteil.

Wenn es also stimmt, daß ein passabler Grundstock da ist, dann ergibt sich - nun doch mit Blickrichtung auf eine neu strukturierte Moderne im Messepalast - umso mehr die Frage nach einer Sammlungskonzeption. Die Ablehnung eines internationalen Konzeptes läßt doch die Frage nach plausiblen Schwerpunkten in den Vordergrund treten, den Wiener Aktionismus etwa oder überhaupt die regionale Kunst nach 1945 ?

Das Aktionismusthema halte ich ganz allgemein für überbewertet. Es gibt parallel genug Strömungen, die mindestens ebenso wichtig sind. Internationalität wiederum ist sicher nicht das Allheilmittel. Und für regionale oder nationale Kunstmuseen bin ich eigentlich nicht, auch wenn sich daraus jetzt ein Widerspruch zum vorhin Gesagten ergibt. Zwischen Hahn-Sammlung und Aktionismus oder einem Arnulf Rainer und meinen frühen Skulpturen ließen sich durchaus komplizierte Zusammenhänge herstellen. In Wahrheit geht es aber meiner Auffassung nach viel mehr um die grundsätzliche Frage, ob man überhaupt noch ein Museum braucht. Wer sagt denn, daß wir an einer Erfindung des 19. Jahrhunderts festhalten müssen ?

Es sagt auch niemand, daß am Begriff des Museums festgehalten werden muß. Es könnten sich aus solchen Institutionen heraus ja völlig offene Formen entwickeln, vom Depot über die Kunsthalle bis hin zum Veranstaltungsort, und zwar - warum nicht ? - ohne Nachahmung der vielzitierten und vielkritisierten internationalen Beispiele.

Der Kern des Ganzen ist aber dennoch das Sammeln. Zuerst waren es irgendwelche verrückten Herrscher. Die Bestände Wiener Museen sind zum Teil doch in den Niederlanden gekauft oder gestohlen worden; jedenfalls, irgendwie ist das durch Gier und Leidenschaft zusammengekommen, von den persönlichen Motiven her ganz ähnlich wie ein Hoffmann-La Roche viel später die Kubisten als wichtigsten Akt seiner Zeit gesehen und - letztlich für Basel - gesammelt hat. Mit der Säkularisierung haben die Könige und Fürsten vor ihren Reichtümern plötzlich Angst bekommen und vieles den Museen, dem Volk also, übertragen. Inzwischen wissen wir, daß Museumsdirektoren keine Sammler sind. Jedenfalls kenne ich nur wenige, die wirklich gut gesammelt haben, weil sie eben nicht fanatisch genug sind und das alles viel zuwenig auf sich beziehen. Schon daher also ist unser Mueumsbegriff falsch. Ein Archäologe oder ein Ethnologe sammelt vielleicht noch in diesem obsessiven Sinn; in der Kunst ist das sehr selten geworden. Vielleicht gehören die Bilder also wirklich ins Depot, so wie man in der Nationalbank die Goldbarren aufbewahrt. Stattdessen könnte man ein völlig freies Spiel mit optischen, beweglichen oder sonstigen Elementen zulassen, damit - weiß ich was alles - geschehen kann.

Der autonome Museumsdirektor, der zu solchem fähig sein soll, muß ja wie ein Privatmann, fast wie ein phantasiegeplagter Fürst handeln können. Dem Staat werden solche Figuren auf Dauer nicht angenehm sein.

Ein Grundfehler liegt bereits darin, wie Museumsdirektoren ausgesucht werden. Er muß ja keineswegs ein Kunsthistoriker sein. Manchmal wird sich ein bestimmter Manager eignen, manchmal irgendein kunstverständiger Mensch. Er braucht vor allem Sammelwut, Kunstverständnis, Zeitbezogenheit; alles das also, was ein Kunsthistoriker nicht mitbringt. Aber selbst diese Beschreibung ist zu eng. Ich kann mir einen Künstler genauso vorstellen, wie einen Juristen, der eben eine andere Richtung anpeilt. Ich kann mir jedenfalls sehr viele Leute in solchen Positionen vorstellen, nur nicht die, die meistens dort sitzen. Also: Die Ausschreibungen sind alle falsch. Man müßte Vertrauen zu ungewöhnlichen Leuten finden. Aber: Man will sie nicht finden und hätte auch dem Ungewöhnlichen gegenüber keinen Respekt.

Wir haben bisher die Problematik moderner Sammlungen betont; auf klassische Museen lassen sich solche Argumentationen nicht so ohne weiteres anwenden - oder doch ?

Für das Kunsthistorische Museum in Wien etwa kann ich mir eine Sammeltätigkeit überhaupt nicht mehr vorstellen. Ob es jetzt um enorme Summen noch ein Bild dazukauft, oder um eine kleinere Summe irgendeine Silberdose, ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Die Qualität, die es hat, ist unbestritten. Aus dieser Qualität heraus kann ich Umgruppierungen machen, sensationellere Interpretationen. Von Aha-Effekten kann es noch lange zehren, weil man immer wieder von einem Cranach oder einem Dürer begeistert sein wird. Dagegen ist nichts zu sagen. Nur gegen eine weitere Sammeltätigkeit bin ich ganz entschieden. Es gibt eben den gewachsenen Bestand und der hat keinen Murillio und keinen El Greco, dafür aber den Velázquez einer bestimmten Richtung, die der Prado wieder nicht hat. Das ergänzt sich doch ohnedies. Der Breughel-Schwerpunkt ist allein schon sensationell. Das soll man also als gegeben annehmen. Ich bin dafür, daß umgehängt und umgestellt wird, damit andere Vergleiche und Vorgänge sichtbar werden und sich die Kunstgeschichte daran erprobt, weil sie ja nie wahrheitsgemäß ist und sich daher ständig verändern sollte.

Die Sammelwut aber ist doch keineswegs nur eine Frage der Museen. Wir haben diesen exzessiven privaten Antiquitätenkult, wir haben diese Angst, daß etwas spurlos verschwindet, wie sicher noch nie eine Gesellschaft. All das schaut so aus, als ob es bloß die Kehrseite der grassierenden Zerstörungslust ist. Vorgeschützt allerdings wird eine konservative, konservierende Haltung.

Die Leute begreifen eben nicht, daß es keine Zwangssituationen mehr gibt. Alle kämpfen noch damit, daß seit der demokratischen Form keine Geistigkeit mehr zwanghaft von außen kommt. Die Moderne wird ja nicht mehr diktiert, sondern sie entsteht. Dazu bekennt man sich aber nicht. Man bekennt sich immer nur im Zuge eines Machtvorganges. Im Barock sind die gotischen Altäre zerschlagen worden, aus einem absolutistischen Anspruch heraus. Gerettet wurde, was auf irgendwelchen Dachböden überlebt hat. Ich halte so etwas für einen wirklich großartigen Vorgang. Man schmeißt die alten Altäre hinaus, ob sie nun gut oder schlecht sind und stellt neue hin. Man reißt die Kirchen nieder und baut neue auf. Wie wäre das jetzt, wenn wir in Wien - sofern sie noch stehen würde - die Stadtmauer schleifen wollten ? Das ergäbe einen Wirbel, den keiner, der solche Absichten hegt, durchhalten könnte. Vor hundertzwanzig Jahren hat man das aber gemacht und dann die Ringstraße gebaut. Das waren großartige Eingriffe. Wer traut sich heute noch, sie wieder radikal zu verändern, vielleicht weil sich eine ganz andere verkehrstechnische Lösung abzeichnet ? Niemand. Man kann auch die rumänische Aktion der Dörferzerstörung ganz anders sehen, als das im scheinheilig mitfühlenden Westen - wo "ganz unbewußt" soviel zerstört worden ist - derzeit gesehen wird. Ich bin zwar eindeutig dagegen, daß eine Diktatur Menschen terrorisiert, man muß aber sehen, daß das keineswegs eine ungewöhnliche Vorgangsweise ist. Die Machtträger haben ständig alles niedergerissen, was sie aus wirtschaftlichen oder symbolischen Gründen nicht mehr wollten. Daß da jetzt der Untergang einer folkloristischen Vision beweint wird, muß doch auch einmal von einer anderen Seite her betrachtet werden, nicht von der historischen also, sondern von der Chance auf radikal zukunftsorientierte Einschnitte. Auch wenn das Regime selbst das noch so unsinig anfängt. Der Schah im Iran hat durch die ältesten Stadtviertel seine Prachtstraßen gelegt und keinen hat das gestört, weil er eben ein Verbündeter gewesen ist. Das sind die eigentlichen Zusamenhänge und an ihnen wird erkennbar, wie merkwürdig blockiert das Bewußtsein gegenüber echten Neuerungen ist.

Der Bewahrungszwang ließe sich so als zerbrochenes Vertrauen in die Moderne, in die Neugestaltung definieren.

Genau das meine ich damit. Von innen her kommen solche Kräfte nicht. So etwas ist immer aufgezwungen worden, wie im Italien Mussolinis, wo das ganze Land mit neuen Kulturhäusern überzogen worden ist, mit herrlicher konstruktivistischer Architektur, zu der dann bloß ein gewisser faschistischer Touch hinzugekommen ist. Das heißt, dort ist durch die Machtträger eine Kultur erzwungen und auch angenommen worden. Diese Bauten sind auch nach dem Krieg nicht niedergerissen worden, weil das von den Italienern als hohe Qualität angesehen worden ist. Sie haben die politische Frage von der qualitativen Frage trennen können und die Qualität war ja auch weit besser, als im Nazi-Deutschland. In der Sowjetunion hat es auch solche Phasen gegeben. Wir haben also durchaus solche Situationen, wo die Moderne sich durchsetzt, durch staatliche Gewalt. In einer Demokratie gibt es das eben nicht und deswegen muß in ihr auf das Selbstbewußtsein des Einzelnen gebaut werden. Er muß dazu kommen, zu sagen, großartig, was dieser oder jener hier baut. Wir kritisieren es, aber es ist gut, daß es gemacht wird.

In unseren Gesellschaften muß sich die Autorität vervielfachen; das blockiert dann eher, bleibt aber immerhin konform mit demokratischen Ansprüchen. Zivilcourage allein bewegt ja nicht allzu viel. Sind es Strömungen, Gegenströmungen, Strudel, die eine Konzentration von Kräften erzeugen können ?

Ich sehe das so. Plötzlich gibt es hervorragende österreichische Tennisspieler; früher gab es nur Schifahrer. Das kann man auf die Kunst übertragen. Würden alle in einem Selbstbewußtsein existieren, daß wir großartige Maler, großartige Architekten und Musiker haben, so würde sehr rasch aus der Zeit heraus eine ungeheure Kultur entstehen. Sie würde nämlich dann gemacht werden. Man nimmt - wie im Sport - die Besten und läßt sie eben machen. Man sieht das in jedem Bereich, wenn eine Figur da ist, die etwas aufbaut, die andere mitzieht. Dann ziehen bald viele mit und es entsteht ein viel höheres Qualitätsniveau. Der Fehler ist ja nur, daß die Leute kein Selbstbewußtsein haben und sich einreden, wir sind halt ein kleines Land, bei uns geht das nicht, wir können das nicht. Das ist doch ein kompletter Unsinn. Das gegenüber Österreich viel kleinere Holland ist auch eine künstlerische Weltmacht, von Mondrian über die De Stijl-Gruppe bis hin zum kleinsten Design. Um die Jahrhundertwende ist das unser Land auch gewesen. Die Kräfte sind ja da, warum sollten sie plötzlich schlechter geworden sein ? Selbst die vielzitierte Blutzufuhr aus dem Osten gibt es weiter.

Ein kollektiveres Selbstbewußtsein dürfte davon abhängig sein, ob etwas weitergeht, dem man zustimmen, dem man sich anschließen kann. Vergangenem geht diese Schubkraft ab.

Es sind auch Form und Inhalt, mit denen Politiker und Medien an unser Selbstbewußtsein appellieren meistens untauglich. Man sollte z. B. nicht mehr von Kokoschka reden, dann würde vielleicht eher gesehen, was jetzt existiert und jetzt gemacht wird. Kulturell war der "Steirische Herbst" ursprünglich ein guter Ansatz in solche Richtungen, übergreifend, offen, mit dem Zusammenspiel von Verschiedenheit und Einheit. Selbst der Aufschwung der österreichischen Architekturszene hängt damit zusammen, daß die Architekten so gerne über sich selbst reden. Es geht in Wahrheit aber gar nicht mehr um das Selbstbewußtsein einer Nation; wir brauchen die Verankerung in einer bestimmten Region gar nicht. Die Landflächen sind weltweit unter den Staaten aufgeteilt, als Ziel hat das Territorium völlig an Bedeutung verloren. Es ist ein statischer Faktor. Als Touristen haben wir alles in anderer Weise in Besitz genommen. Wir sprechen fast schon eine Einheitssprache. Alles gehört uns. Alles gehört allen. Ich kann morgen Amerikaner und übermorgen Spanier sein und mich kulturell rasch anpassen, abgetrennt von irgendeiner Verwurzelung. Nicht die Eingrenzung sollte uns daher beschäftigen, sondern die Entgrenzung, die Wirkung unserer Fähigkeiten.

Eine solche Entgrenzung habe ich mir nach Tschernobyl gewünscht. Wenn Österreich schon eine Pionierrolle beim Ausstieg aus der Atomwirtschaft zugefallen ist, dann hätte ich nach dem endgültigen Nein als Wissenschaftsminister am nächsten Montag eine Institution für langfristige Energieforschungen ins Leben gerufen, die weltweit für die engagiertesten Experten einen Anziehungspunkt hätte bilden können, weil sie daheim doch fast alle unter schwerem Druck diverser Lobbies stehen.

Es liegt tatsächlich meistens an den Ministern selber. Sie haben ja keine Einfälle. Wenn wir international schon in einem so schwierigen Tief sind wie jetzt, dann müssen dem Verteidigungsminister ausgerechnet Raketen und Abfangjäger als Staatsaktion einfallen. Mir hingegen würde einfallen, ein Land ohne Armee anzustreben, das wäre doch eine große Tat. Auf dem Sektor der Energieforschung die phantasievollsten Leute herzuholen, wäre im gleichen Sinn, ebenso die konzentrierte Arbeit an einer anderen Art von Ökonomie, mit Autos ohne Benzin, mit neuen Verkehrssystemen. Warum konzentrieren wir uns nicht auf eine solche Humanebene - als echte Schweiz, nicht als heuchlerische Schweiz - mit einer Neutralität, die sich durch solche Anstrengungen besonders intensiv unter Beweis stellt ?

Was läßt sich da noch als Schlußwort hinzufügen ?

Am besten eine Rückkehr zum Anfang, zum einzelnen Künstler. Im Endeffekt ist er die entscheidende Figur, ob er jetzt anerkannt ist oder nicht. Er ist auf alle Fälle der, der etwas macht, das in der Zeit existiert. Er hat natürlich auch in die öffentliche Diskussion einzugreifen, weil er die vielleicht sauberste Art der Aussage hat, die offenste Art der Aussage. Wenn er gut ist, ist er eine universelle Figur, die eine Zeit und ihre Empfindungen in ihren ganzen Facetten am intensivsten aufnimmt und sie weitaus richtiger interpretieren kann, als alle anderen. Deswegen ist der Künstler notwendig und wird notwendig bleiben. Ob er eine politische Kraft wird, ist eine andere Frage.

 

Oswald Oberhuber, Künstler
geb. 1931 in Meran. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien und der Staatlichen Akademie in Stuttgart. Begründer der permanenten Veränderung in der Kunst. Ausstellungen u. a. Biennale Venedig (1972), Documenta Kassel (1977, 1982), Europalia 1987. Jüngste Publikation: Oswald Oberhuber. Eine Sammlung. Wien 1988. Professor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien (Vorstand des Instituts für Museologie), von 1979-1987 Rektor.

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© Oswald Oberhuber 1988 & Christian Reder 1988/2001