Gespräch mit Oswald Oberhuber
Ich möchte die Sache einmal umgekehrt beginnen und den
Künstler Oberhuber, der immer auch als Kulturpolitiker
agiert hat, fragen, ob beim Blick auf Kunst, beim Blick auf
Museen nicht doch auch besonders erfreuliche Entwicklungen
zu beobachten sind.
Das Erfreuliche in der Kunst liegt im Grunde genommen stets
beim Künstler. Kulturpolitisch gibt es eigentlich nichts
zu bemerken, weil Kulturpolitiker ja keine Konzepte haben
und immer aus Zufällen heraus operieren. Wichtig ist
ihnen nur das Spektakuläre. Darin liegen auch die Probleme,
in die alle diese Fragen, die sich mit Kunst beschäftigen,
geraten sind.
Ist aber eine Kulturpolitik überhaupt wünschenswert,
die sich in Inhalte einmischt oder könnten wir uns bei
der Überlegung treffen, daß es primär um eine
Strukturpolitik gehen müßte, die natürlich
wiederum auf Inhalte zurückwirkt, wenn Geldmittel zugeteilt
oder umgeleitet werden, wenn Festspiele oder Museen einen
weiten oder engen Handlungsspielraum bekommen. Was wären,
selbst wenn einem die Unabgrenzbarkeit kulturpolitischer Entscheidungen
vor Augen steht, grundsätzliche Forderungen in dieser
Richtung ?
Im Grunde gibt es keine Kulturpolitik. Da aber der Staat
als Hauptträger vieler Aktivitäten künstlerischer
Art einmal da ist, muß er in irgendeiner Weise reagieren,
es sei denn, der Künstler bleibt bei sich selbst und
verzichtet auf alles, was ihm da geboten werden könnte.
Notwendig wäre es vor allem, sich die sozialen Verhältnisse
der Künstler zu überlegen. Wie geht es den Dichtern
? Wie geht es den bildenden Künstlern ? Muß der
Staat für sie etwas unternehmen ? Das wäre eine
der wichtigsten Fragen. Eine zweite Frage ist, inwieweit es
überhaupt noch statthaft und richtig sein kann, über
längere Zeit solche Institutionen wie eben Staatstheater,
Staatsoper, Festspiele aufrechtzuerhalten. Sie werden ja vor
allem vom Staat finanziert und getragen. Die eigentlichen
schöpferischen Kräfte hingegen werden ausgelassen.
Was mich besonders stört, ist, daß alles nur retrospektiv
geschieht. Für mich existiert eine retrospektive Haltung
überhaupt nicht, es gibt also für mich die Vergangenheit
in bezug auf die Gegenwart nicht. Und da der Staat hauptsächlich
einen Vergangenheitskult betreibt - von der Musik bis zum
Bundesdenkmalamt - bin ich vom Prinzip her dafür, daß
man zerstört und sich auf die Zeit besinnt. Alles andere
ist uninteressant. Beethoven mag ein großer Komponist
gewesen sein, er hat aber eine Gefühlslage, die uns doch
überhaupt nicht mehr liegt oder wirklich interessieren
könnte. Solange der Staat diese rückblickenden Dinge
alle bezahlt, frage ich mich, wo die viel größeren
Rechte der lebenden Künstler bleiben. In dieser Kontroverse
liegt die Hauptproblematik. Das sind die grundsätzlichen
Fragen, die nie andiskutiert werden. Sie müssen aber
diskutiert werden. Es ist doch höchst bedrohlich, daß
alle Staaten der Welt - was die Kultur betrifft - nur noch
an einer Art Vergangenheitsbewältigung interessiert sind.
An der Ablenkung vom eigentlichen Lauf der Dinge durch eine
Musealisierung der Gesellschaft.
Ja, und das halte ich für äußerst negativ.
In Österreich da herauszufinden, würde massivste
Anstrengungen erfordern, weil doch nicht allein das Rückwärtsgewandte
so dominant ist, sondern zusätzlich noch der Vorrang
des Darstellenden, des Inszenierten vor Authentischem, Originärem,
gleichgültig in welcher Sparte. In internationale Trends
paßt das allerdings zur Zeit bestens hinein.
Man muß am Massenandrang in der Unterhaltungbranche,
ob das jetzt der Schlagerbereich oder die Popszene ist, sehen,
wie lebendig das alles ist und daß es sich von selbst
erhält. Hier haben wir also eine Situation mit hohen
Qualitäten, die noch dazu jede soziale Schicht miteinbezieht,
den Intellektuellen genauso wie den wenig informierten Lehrling.
Die Breite und Stärke dieses Vorgangs ist doch weitaus
interessanter, als der enge Bezug zum Theater, wo eben ein
wenig Lessing und manchmal Goethe gespielt wird und uns das
in Wahrheit nichts mehr sagt. Man muß sich also wiedereinmal
entschieden der Dinge erinnern, die in die Zukunft weisen.
Hans Werner Henze z. B. hat Analoges in Rrichtung Musikmuseum
geäußert (DIE ZEIT, Hamburg, Nr. 24/88); er fordert
einen radikal auf das Heute bezogenen Spielplan, wie er in
einem Monat des Jahres 1795 in Prag stattgefunden haben könnte,
in Venedig oder in Wien, als das Musiktheater im Einklang
mit der Zeit war und die Musik ihr klangsprachlicher Ausdruck.
Er greift auch völlig zu Recht die Maschinerie der großen
Häuser an, die gegenüber den eigentlichen Kunstkosten
ein solches Übergewicht bekommen hat und er fragt nach
dem Sinn der darin liegen soll, daß zwei junge Komponisten
ihre neuen Opern schreiben könnten, das Geld dafür
aber lieber in eine Pavarotti-Abendgage investiert wird.
In der Masse und bei denen, die sich mit Kunst beschäftigen,
ist eben selbst die Ahnung, daß so etwas möglich
ist, verloren gegangen und die dafür nötigen Kenntnisse
sind auch weg. Noch die negativsten Fürstenfiguren haben
meistens ein kulturelles Bewußtsein gehabt und daher
Aufträge vergeben. Die Komponisten konnten insgesamt
unglaublich viel produzieren, sonst wäre diese zeitgenössische
Massenproduktion nicht zustandegekommen. Neben Mozart hat
es doch laufend mindestens so bedeutende Leute gegeben, die
einmal durchaus erfolgreich gewesen sind. Die Breite vergißt
man immer beim Kult um hochstilisierte Einzelfiguren. Heute
wird ein lebender Komponist ja nicht einmal gefragt. Wenn
irgendwann einmal ein Auftrag daherkommt und man ihm sogar
die Aufführung ermöglicht, wird er behandelt wie
das Letzte, weil man ja nur daran interessiert ist, erneut
den Vergleich mit Beethoven, Mozart, Schubert herzustellen.
Geschichte, zumindest so angewendet, erschlägt das Neue,
erstickt es.
Deswegen lehne ich diese einseitige Konkurrenz mit ihr auch
entschieden ab. Ich halte auch Mozart und Beethoven für
gar nicht so gute Komponisten. Nur ist eben im 19. Jahrhundert
damit begonnen worden, sie zu Heroen zu stempeln, zu riesigen
Figuren, neben denen dann plötzlich niemand mehr Platz
findet. Das hat sich in unser Jahrhundert herein erhalten,
auch wenn in ihm von vorneherein von den Künstlern weitaus
selbstbewußter operiert worden ist. Man braucht sich
nur die Opernproduktion der Zwischenkriegszeit herzunehmen;
es existiert ja keineswegs nur der Wozzeck von Alban Berg.
Wenn von den vielen anderen wichtigen Kompositionen einmal
etwas aufgeführt wird, dann ist noch immer von außergewöhnlichen
Besonderheiten die Rede. Daß uns gerade Aufführungen,
die medienmäßig weit über die konventionellen
Eingrenzungen hinausreichen, weiterhin vorenthalten werden,
braucht im Vergleich mit den Unsummen, die in Klassik fließen,
fast gar nicht mehr betont zu werden. Jedenfalls, es ist furchtbar.
Der Weg in eine solche, radikaler der Zeit zugewandte Richtung,
wäre von massiven Budgetumschichtungen abhängig;
der freie Markt hat ja auch nichts dergleichen zustandebringen
können. Diesbezüglich traue ich mich zu behaupten,
daß niemand einen hinreichenden Überblick hat,
wie öffentliche Gelder kulturell eingesetzt werden, wenn
Bund, Land, Städte, Gemeinden, Festspiele, Oper, Theater,
Literaturförderung, Projektfinanzierungen usw. in all
ihren Verästelungen zugrunde gelegt werden. Warum fordern
wir nicht massiver die ökonomische Transparenz, um das
alles debattierbarer zu machen ? Ein idealistisches Argumentieren
müßte doch durch budgetäre Fakten enorm an
Kraft gewinnen. Oder ist es nur die Angst, daß ein Erhellen
von Grauzonen den Gegnern einer solchen Offensive zusätzliche
Munition liefern würde ? Wie aber sonst kommt man aus
dieser Verteidigungshaltung heraus ?
Das Negative an der ganzen Sache ist, daß immer mit
dem Argument der Unwichtigkeit operiert wird, sobald im Kulturbereich
Zahlen zur Diskussion stehen. Es ist damit ein Leichtes, der
Bevölkerung zu erklären, daß man das und das
gar nicht braucht. Man streicht dann natürlich nicht
im Straßenbau, was viel gescheiter wäre, sondern
kürzt solche Budgets. Positionen allerdings, die ich
eliminieren würde, wie den Aufwand für den Vergangenheitskult,
fallen da wiederum nicht darunter. Es wäre ja durchaus
lehrreich, Mozartopern mit Sparbudgets aufzuführen, dann
bestünde mit anderen Bereichen Chancengleichheit und
man könnte sehen, wie leicht jene dann durchfallen. Einen
Grundstock würde ich für solche Aufgaben natürlich
dennoch vorsehen, nicht aber diese extreme Ungleichgewichtigkeit.
So gesehen bin ich natürlich für eine totale Offenlegung
und die Kulturbudgets des Bundes, der Länder usw. sind
ja durchaus einsehbar.
Nur zum Diskussionsstoff werden sie nie wirklich und eine
Transparenz herrscht trotz aller Kulturberichte nicht.
Eine Diskussion kommt deswegen nicht zustande, weil solche
Fragen die Öffentlichkeit kaum berühren. Und sie
würde natürlich viele zusätzliche Probleme
erzeugen, weil eben dann ein Druck entsteht, am falschen Platz
zu sparen.
Unübersehbar ist aber, daß gerade dort, wo sehr
starke ökonomische Kräfte wirken, wie die Schallplattenindustrie,
die Musik-Videos, ein Karajan-Konzern, auch die meisten staatlichen
Gelder eingesetzt werden, obwohl sich vermutlich vieles selbst
erhalten könnte. Diese Art der anderen Umwegrentabilität
ist weitgehend tabuisiert.
Der Meinung bin ich auch. An der Karajan-Euphorie läßt
sich das Lächerliche dieser Systeme bestens ablesen.
Was zeichnet denn einen Karajan aus ? Überhaupt nichts.
Er ist einer von vielen Dirigenten, der noch dazu nie etwas
in Richtung einer neuen Interpretation geleistet hat. Er hat
ein paar Schönberg- und Webern-Aufführungen beigesteuert,
als Alibi und weil heute doch schon einiges der klassischen
Moderne im Repertoire gefordert wird. Ich bin entschieden
dagegen, daß das alles so hinauflizitiert wird inklusive
dem ganzen Geschehen während der Salzburger Festspiele,
hinter denen bekanntlich nur Karajan-Interessen stecken. Jetzt
zeichnen sich zwar doch langsam Änderungen ab, nur kann
ich mir nicht vorstellen, daß das ausgerechnet durch
einen Gerd Bacher besser werden soll, weil der ja wiederum
von Kunst nichts versteht. Ein Intendant sollte natürlich
von Kunst etwas verstehen und nicht nur auf Erfolge verweisen
können, die über die laufende Erhöhung von
Rundfunk- und Fernsehgebühren finanziert worden sind.
Wenn das Geld fließt, kann ich alles machen, das ist
doch dann kein Problem. Daß man das Karajan-System allerdings
abstellen könnte, ist weiterhin schwer vorstellbar. Das
sind eben diese Negativverträge, die der Staat so leichtfertig
abschließt, weil er - über seine Beamten - gegenüber
privaten Vorgängen eine gewisse Unfähigkeit nicht
verleugnen kann. Die Kunst hat in solchen Fällen eben
einen sehr starken privatwirtschaftlichen Hintergrund und
es ist viel beteiligt, das sich gar nicht überwachen
läßt. Ich bin auch dagegen, daß man da streng
kontrolliert. Man müßte aber wissen, daß
Initiativen im Interesse von Schallplattenfirmen usw. in einer
anderen Weise zu behandeln sind. Der Staat könnte ja
mit solchen Firmen sehr gute Geschäftsabschlüsse
machen; nur dürften gewisse Stars dabei nicht die Schüsselrolle
haben, weil es ja in ihrem Interesse ist, die zu beträchtlichen
Teilen aus öffentlichen Mitteln getragenen Orchester,
Sänger, Bühnen, Inszenierungen eigennützig
zu verwenden.
Als erster Schritt erscheint eine Änderung des Festspielgesetzes
notwendig, das seit jeher eine automatische Abgangsdeckung
durch die öffentliche Hand - also Bund, Land und Stadt
Salzburg, Fremdenverkehrsfonds - vorsieht und eine sehr sonderbar
verschachtelte Entscheidungsstruktur. Eine Traumsituation
für jene, die das Spiel beherrschen.
Das ist eben alles Teil derselben Problematik, die schwer
zu durchschauen ist. Im Verlagswesen ist es doch genauso.
Jedes Buch, das sich mit Kunst beschäftigt, muß
total gestützt sein, wobei die Verlage nichteinmal irgendwie
großartig daran verdienen. Trotz dieser Trägerfunktion
des Staates kommen sie finanziell nur gerade so durch. Wenn
man das angehen will, müßte das sehr genau untersucht
werden. So etwas können Beamte oder der Rechnungshof
nicht. Dafür eignen sich eher Privatleute, die sich mit
Geschäften auskennen.
Auf den Staat zu hoffen, gerade jetzt, wo er gegenteilige
Strategien forciert und eine Privatisierung ausschöpfen
will, ist allerdings eine eher hoffnungslos antizyklische
Forderung. Als Linie müßte dennoch gelten, daß
sein strukturelles Eingreifen gerade dort angebracht ist,
wo kommerzielle Kräfte auslassen oder eben für Entwicklungen
Zeit brauchen.
Genau in diesem Sinn habe ich auch jahrelang gefordert, man
solle die Kunstgalerien finanziell unterstützen. Das
ist immer als negativ bezeichnet worden, weil sie sich selbst
erhalten müßten. Da kann man nur sagen, gut, wenn
ihr das so wollt. Denn sie können sich natürlich
nur selbst erhalten, wenn sie eine Kunst anbieten, die international
verkauft werden kann. In Österreich gibt es nur einige
wenige Künstler, bei denen das möglich ist. Und
jetzt kommt die grundsätzliche Frage. Will ich dem Künstler
helfen, dann kann ich das nur, wenn ich Private dazu bringe,
sich auf Dauer für ihn einzusetzen. Das betrifft den
Musiker genauso wie den Schriftsteller und den bildenden Künstler.
Der Staat kann von sich aus für den Einzelnen überhaupt
nichts Nennenswertes machen. Er muß dabei mitwirken,
entsprechende private Strukturen aufzubauen, Galerien, Verlage,
Agenturen. Von allein entsteht das nur in den seltensten Fällen,
weil eben bei uns im Privatbereich die Unfähigkeit so
gewaltig ist oder, anders ausgedrückt, einfach nicht
die entsprechende Produktivität da ist. Für den
Kunstbereich wird das immer negativ problematisiert. Daß
eine Berufsgruppe wie die Bauern für ihre Milch und für
die Kartoffeln Milliardenbeträge an Stützungsgeldern
erhalten, finden alle selbstverständlich. Da könnte
man genauso sagen, der Produzent soll sich gefälligst
selbst erhalten. Will ich kulturpolitisch, also konstruktiv,
eingreifen, dann muß ich die privaten Träger stützen.
Das hilft dem Künstler am meisten. Potente Galerien,
die dann auch mehr Durchhaltevermögen haben, können
ihn betreuen, was in diesem Fall die wirkungsvollste Überleitung
öffentlicher Mittel an den Einzelnen darstellt. Das sind
wesentliche Momente, bei denen jeder Kulturpolitiker ansetzen
kann.
Strukturell müßte ich mir sagen, eine hinreichend
lebendige Verlagsszenerie, Galerien, Kulturzeitschriften,
zeitgenössische Musik sind gesellschaftlich und ökonomisch
wichtig, also wirke ich als Staat am Aufbau solcher Strukturen
gezielt mit, ohne mich inhaltlich einmischen zu müssen.
Die Presseförderung etwa weg vom Boulevard und den Parteizeitungen
in Richtung sinnvoller Unternehmungen umzupolen, ist ja a
priori kein zynischer Gedanke.
Sicher, inhaltlich muß sich der Staat da überhaupt
nicht einmischen. Er muß die Strukturen anders legen.
Er soll sich dabei ruhig fragen, wie kann ich die Produktion
eines Künstlers wertvoll machen, damit ich über
Steuern schließlich mehr einnehme. Von einem Bild, das
3.000.- Schilling kostet, habe ich doch nichts, bei 300.000.-
Schilling wird es schon interessant. Dafür muß
ich aber einen Markt schaffen und das gelingt wieder nur unter
Einschaltung privater Initiative. Ein Thomas Bernhard, der
statt 1.000 jetzt 100.000 Bücher verkauft, setzt doch
eine ganz andere ökonomische Dynamik in Gang. Von allein
funktioniert das nur in den seltensten Fällen, es muß
schon die Partner geben, die da in aufbauender Weise mitziehen.
Es sind also Strategien der Werthebung notwendig durch Erleichterungen
für jene Unternehmen, seien es nun Galerien, Verlage
oder Agenturen, die die Künstler erst zu dem machen,
was sie eigentlich sind. Man soll da ruhig in Kategorien des
Volksvermögens denken.
Der Stellung der Künstler nach gelten sie aber keineswegs
als Vermehrer des Volksvermögens, eher als Aufputz für
Modernisierungsstrategien.
Das ist ja wiederum das entsetzlich Negative, daß Künstler
ständig wie Bettler behandelt werden. Ein Künstler,
der auf Unabhängigkeit aus ist, kann sich natürlich
sagen, ich arbeite in irgendeinem Job und mache daneben Kunst,
dann braucht er vielleicht niemand. Musil hat ja auch als
Bibliothekar gearbeitet und eine Gesellschaft gegründet,
über die er Geld bezogen hat, damit er seine Bücher
schreiben konnte. Diesbezüglich gibt es von Seiten der
Künstler viele Erfindungen. Ohne solche Umwege und Einschränkungen
wird die Produktivität aber höher sein und professionelle
Partner werden sie weiter steigern.
Solche Überlegungen zur Kulturpolitik würden aber
schon im Kompetenzwirrwarr unserer Behörden so stark
abgeschwächt werden, daß sich vieles totläuft.
Ansätze zu strukturellen Maßnahmen sind ja immer
wieder dagewesen.
Daher bin ich auch für eine Zentralisierung. Ich halte
es für ganz falsch, daß sich Österreich diese
riesige Aufteilung leistet. Das führt alles zur Inkompetenz.
Keiner fühlt sich mehr zuständig. Der eine erklärt,
das gehört ins Außenamt, der andere verweist einen
aufs Unterrichtsministerium. Die Museen wieder gehören
dem Wissenschaftsministerium. Wenn die Museen den Universitäten
angeschlossen wären, könnte ich mir das vorstellen.
So aber nicht. Daß da sovieles unabhängig voneinander
läuft, ist jedenfalls völlig falsch.
Nach dieser Einkreisung der Problematik sind wir damit beim
engeren Thema, bei den Museen angelangt. "Der österreichische
Museumsführer" (von Dawid/Egg, 1985) weist annähernd
1.000 Museen aus; und zwar etwa 60 museale Einrichtungen des
Bundes, rund 90 der Länder, 300 von Städten und
Gemeinden, 60 kirchliche Institutionen und über 400,
getragen von Vereinen, Verbänden, Gesellschaften, Firmen,
Stiftungen, Privaten. Inklusive der uferlosen Zahl an museal
zu schützenden Kirchen, Schlössern, Burgen, historischen
Bauten, Denkmälern, Ruinen oder qualitätsvoller
neuerer Architektur und der unzähligen kleinen Heimatmuseen
ergäben sich abertausende Punkte in einer scheinbar musealisierten
Landschaft, die ansonsten jedweder Zerstörung ausgesetzt
ist. Die Museumsdebatte allerdings konzentriert sich auf die
großen Bundesmuseen und einige Initiativen in den Landeshauptstädten.
Ein fundamentaleres Nachdenken über landesweite Museumsentwicklungen
hat - vielleicht auch wegen dieser Quantitäten - bisher
keine Kraft gewinnen können. Wo gäbe es dafür
Ansatzpunkte ?
Wie man weiß, entstehen weltweit täglich ungefähr
vier Museen. Nichts zeigt die Schizophrenie der Situation
besser. Ich persönlich bin ja inzwischen fast ein Gegner
von Museen. Mir leuchtet es zwar ein, daß jede Ortschaft
für den Fremdenverkehr etwas leisten will, indem sie
ein Kloster vorweist oder Heimatkunst in irgendeinem erhaltenen
Bauernhaus. Vom Prinzip her sind das aber alles negative Hinweise
auf eine retrospektive Situation. Eine wirkliche neue Dorfkultur
wäre mir natürlich viel sympathischer. Es ist doch
grotesk, daß das Dorfmuseum heute viel interessanter
ist, als der Rest, als das bestehende Dorf selbst. Was bringt
es denn, irgendwelche Reste zusammenzuklauben, Figuren von
Krippenschnitzern, Marterln, Heiligenstatuen, um sie irgendwo
mit schlechtem Gewissen auszustellen, noch dazu meistens ganz
dilettantisch, verstaubt, endgültig absterbend ? Die
Besucherzahlen sind gering, denn im Grunde wollen die Leute
wenigstens noch gesamte Ensembles sehen, eine Kirche also,
fünf schöne Bauernhäuser, das Dorfwirtshaus,
das also, was sich jeder noch unter Resten eines intakten
Dorfes vorstellt. Oder man braucht nichts mehr von all dem
und will sich lieber in Schwimmbädern, beim Schifahren
und in Diskotheken unterhalten. Das ist die eigentliche Landschaft,
die Erholungslandschaft. Sie bräuchte, wenn es radikal
nach den Gesetzen des Fremdenverkehrs gehen soll, auch keine
Bildstöcke mehr und keine Heustadel. Solche Relikte bleiben
eher zufällig über, weil sie noch keinem Projekt
im Wege stehen.
Dieser Blick "von unten", von der musealen Anti-Realität
der sich am Lande erholenden Tourismusgesellschaft, "nach
oben", hin zu den Museen der Metropolen könnte schon
einiges erhellen, das in den offiziellen Überlegungen
wenig Rolle spielt. Die kleine Weltausstellung "Minimundus"
am Wörthersee, in der Modelle von Gebäuden zu sehen
sind, die als Fremdenverkehrsattraktionen gelten, zieht jährlich
etwa so viele Besucher an, wie sämtliche dem 20. Jahrhundert
gewidmeten Wiener Kunstsammlungen. Zu vermuten ist daher,
und davon ist ja längst die Rede, daß das Falsche
eine viel stärkere Anziehungskraft ausübt, als das
Echte, Authentische.
Sicher, wenn man sich die traditionellen Museen ansieht,
vor allem die des Bundes und die der Länder, dann stammen
sie praktisch durchwegs aus dem 19. Jahrhundert und kommen
von einer Humboldt'schen Lehrmethode her, die aus der Besichtigung
von Objekten für die damalige Bildungsgesellschaft Bedeutungen
abgeleitet hat. So gesehen ist das Museum im Grunde ein Anachronismus
und stirbt wahrscheinlich durch sich selbst ab.
Auch als moralische Anstalt ?
Ja, auch als moralische Anstalt. Denn je mehr Museen entstehen,
desto schneller gibt es keine Museen mehr. Museen zerstören
sich durch die Masse der Museen selbst. Mit der Zeit haben
sie ja keine Ware mehr. Das ist genauso, wie vermutlich bald
viele wieder zu Hause Ferien machen werden, weil all jene
Orte, die vor kurzem noch ein Ziel waren, überfüllt
sind. Wenn das Wirkung zeigt, kann man wieder wegfahren, da
weniger Leute das Gleiche machen. Grundsätzlich bin ich
also dafür, daß man die traditionellen Museen eher
eliminiert, wenn man es nicht schafft, ihnen jene Lebendigkeit
zu geben, die wir in der Zeit brauchen. Wäre, was die
Kunst betrifft, die Kauf-und Verkaufssituation besser, würde
man die Museen vielleicht überhaupt nicht brauchen. Man
muß doch sehen, daß die Museen heute so eine Art
Alibi für die moderne Kunst sind, nachdem sich zuerst
einmal die modernen Künstler ganz scharf gegen die Museen
gewandt hatten. Heute sind sie wie wahnsinnig dafür.
Nur weil sie sich dort darstellen können und die Museumspolitik
ja auch so betrieben wird, daß jedes Haus die gleichen
oder sehr ähnliche Objekte braucht. Ohne Mondrian, ohne
Picasso glaubt kein modernes Museum auskommen zu können.
Daher sind mir Museen lieber, die regionale Gesichtspunkte
berücksichtigen. Wenn ich in München den Blauen
Reiter sehe, so halte ich das für gut, genauso, wie wenn
ich in Nürnberg den expressionistischen Maler Christian
Rohlfs vorfinde oder anderswo bestimmte Arbeiten, die ich
hauptsächlich an einem bestimmten Ort sehen kann, wie
etwa in Den Haag die De Stijl-Gruppe. Das ist doch weit interessanter,
als die, was die Moderne betrifft, um die ganze Welt laufende
gleichförmige Museumspolitik mit denselben hinaufstilisierten
Künstlern. Da bin ich fast auch der Auffassung von Hrdlicka,
nach der Museumsdirektoren so etwas wie Blockwarte haben,
und sie sich nur gegenseitig den Geschmack abschauen und ihn
einander angleichen, ohne irgendwelche eigenen Konzepte zu
entwickeln. Wieso muß ich denn überall den Warhol
sehen ? Wenn schon, dann möchte ich die Zusammenhänge
mit Warhol in einer wirklichen Breite geboten bekommen. Es
könnte sich ja ein Museum damit in spezialisierter Weise
beschäftigen. Etwas ist nämlich besonders unsinnig
oder sogar wahnsinnig, diese Internationalisierung der Moderne.
Ich begreife diese Tendenz einfach nicht. Dabei verliert sich
alles Charakteristische und jeder Zusammenhang.
Wenn ich diese Argumentation auf Wien beziehe, dann ist doch
festzustellen, daß in den Museen jeweils höchstens
50, 60 Arbeiten zeitgenössischer österreichischer
Kunst zu sehen sind. Die Erklärung dafür ist immer,
daß noch zu wenig Platz da ist.
Gut, nehmen wir das Beispiel Dieter Ronte und das Museum
Moderner Kunst. Einer seiner Kerne ist die Sammlung Hahn.
Ich hielte es für äußerst interessant, wenn
sie komplett gezeigt würde, weil das eine bestimmte Szene
sehr gut wiedergeben könnte. Es gibt sicher kein Museum,
das über die gesamte Fluxus-Kunst so ein breites Angebot
bieten kann. Das sollte hergezeigt werden und man könnte
es auf sich beruhen lassen. Die Expressionisten dort finde
ich ja so langweilig, uninteressant und öd, daß
ich sie überhaupt nicht sehen will. Wenn, dann müßten
zehn Säle voll davon sein, dann will ich eben viel mehr
davon sehen. Es gibt auch diese Sammlung sogenannter Fetzenkunst,
die sich laufend ergänzen ließe. Warum darf das
- trotz Beuys - eigentlich nicht gezeigt werden ? Es wird
immer nur in kleinen Beispielen gezeigt. Wenn ich solche Sammlungen
habe, dann baue ich doch von diesen Bereichen aus weiter auf
und arbeite nicht wieder so, wie alle anderen Museen der Welt,
also mit den großen Stücken der Klassiker. Wer
kann sich heute schon zehn Picassos oder hundert Kubisten
leisten ? Das ist ja alles unmöglich. Warum soll ich
also diese Klassische Moderne weiter strapazieren, wo die
Nähe zu den sogenannten brüchigen Künstlern
so viel mehr bringen könnte. Noch dazu, wo das in uns
drinnen steckt, diese amorphe Seite der Interpretation. Außerdem
gäbe es genug Möglichkeiten zu einer Erweiterung
mit jüngeren Leuten. Man könnte also für diese
Millionen, die ein Nachkaufen von Klassikern erfordert, völlig
andere Objekte beschaffen und sie können - eventuell
- ebenfalls einmal Millionen wert sein. Das meine ich alles
jetzt nur als Beispiele für eine andere Interpretation
eines modernen Museums.
Das klingt alles so, als ob der so oft beklagte Trend vorbei
sei, daß der österreichische Staat für ein
Sammeln zeitgenössischer Kunst nichts übrig hätte.
Es hat sich auch viel geändert. Die moderne Sammlung
die wir inzwischen haben ist nicht schlecht. Es ist in den
letzten Jahren wirklich viel gekauft worden und auch die Ludwig-Stiftung
war dafür ein Vorteil.
Wenn es also stimmt, daß ein passabler Grundstock da
ist, dann ergibt sich - nun doch mit Blickrichtung auf eine
neu strukturierte Moderne im Messepalast - umso mehr die Frage
nach einer Sammlungskonzeption. Die Ablehnung eines internationalen
Konzeptes läßt doch die Frage nach plausiblen Schwerpunkten
in den Vordergrund treten, den Wiener Aktionismus etwa oder
überhaupt die regionale Kunst nach 1945 ?
Das Aktionismusthema halte ich ganz allgemein für überbewertet.
Es gibt parallel genug Strömungen, die mindestens ebenso
wichtig sind. Internationalität wiederum ist sicher nicht
das Allheilmittel. Und für regionale oder nationale Kunstmuseen
bin ich eigentlich nicht, auch wenn sich daraus jetzt ein
Widerspruch zum vorhin Gesagten ergibt. Zwischen Hahn-Sammlung
und Aktionismus oder einem Arnulf Rainer und meinen frühen
Skulpturen ließen sich durchaus komplizierte Zusammenhänge
herstellen. In Wahrheit geht es aber meiner Auffassung nach
viel mehr um die grundsätzliche Frage, ob man überhaupt
noch ein Museum braucht. Wer sagt denn, daß wir an einer
Erfindung des 19. Jahrhunderts festhalten müssen ?
Es sagt auch niemand, daß am Begriff des Museums festgehalten
werden muß. Es könnten sich aus solchen Institutionen
heraus ja völlig offene Formen entwickeln, vom Depot
über die Kunsthalle bis hin zum Veranstaltungsort, und
zwar - warum nicht ? - ohne Nachahmung der vielzitierten und
vielkritisierten internationalen Beispiele.
Der Kern des Ganzen ist aber dennoch das Sammeln. Zuerst
waren es irgendwelche verrückten Herrscher. Die Bestände
Wiener Museen sind zum Teil doch in den Niederlanden gekauft
oder gestohlen worden; jedenfalls, irgendwie ist das durch
Gier und Leidenschaft zusammengekommen, von den persönlichen
Motiven her ganz ähnlich wie ein Hoffmann-La Roche viel
später die Kubisten als wichtigsten Akt seiner Zeit gesehen
und - letztlich für Basel - gesammelt hat. Mit der Säkularisierung
haben die Könige und Fürsten vor ihren Reichtümern
plötzlich Angst bekommen und vieles den Museen, dem Volk
also, übertragen. Inzwischen wissen wir, daß Museumsdirektoren
keine Sammler sind. Jedenfalls kenne ich nur wenige, die wirklich
gut gesammelt haben, weil sie eben nicht fanatisch genug sind
und das alles viel zuwenig auf sich beziehen. Schon daher
also ist unser Mueumsbegriff falsch. Ein Archäologe oder
ein Ethnologe sammelt vielleicht noch in diesem obsessiven
Sinn; in der Kunst ist das sehr selten geworden. Vielleicht
gehören die Bilder also wirklich ins Depot, so wie man
in der Nationalbank die Goldbarren aufbewahrt. Stattdessen
könnte man ein völlig freies Spiel mit optischen,
beweglichen oder sonstigen Elementen zulassen, damit - weiß
ich was alles - geschehen kann.
Der autonome Museumsdirektor, der zu solchem fähig sein
soll, muß ja wie ein Privatmann, fast wie ein phantasiegeplagter
Fürst handeln können. Dem Staat werden solche Figuren
auf Dauer nicht angenehm sein.
Ein Grundfehler liegt bereits darin, wie Museumsdirektoren
ausgesucht werden. Er muß ja keineswegs ein Kunsthistoriker
sein. Manchmal wird sich ein bestimmter Manager eignen, manchmal
irgendein kunstverständiger Mensch. Er braucht vor allem
Sammelwut, Kunstverständnis, Zeitbezogenheit; alles das
also, was ein Kunsthistoriker nicht mitbringt. Aber selbst
diese Beschreibung ist zu eng. Ich kann mir einen Künstler
genauso vorstellen, wie einen Juristen, der eben eine andere
Richtung anpeilt. Ich kann mir jedenfalls sehr viele Leute
in solchen Positionen vorstellen, nur nicht die, die meistens
dort sitzen. Also: Die Ausschreibungen sind alle falsch. Man
müßte Vertrauen zu ungewöhnlichen Leuten finden.
Aber: Man will sie nicht finden und hätte auch dem Ungewöhnlichen
gegenüber keinen Respekt.
Wir haben bisher die Problematik moderner Sammlungen betont;
auf klassische Museen lassen sich solche Argumentationen nicht
so ohne weiteres anwenden - oder doch ?
Für das Kunsthistorische Museum in Wien etwa kann ich
mir eine Sammeltätigkeit überhaupt nicht mehr vorstellen.
Ob es jetzt um enorme Summen noch ein Bild dazukauft, oder
um eine kleinere Summe irgendeine Silberdose, ergibt doch
überhaupt keinen Sinn. Die Qualität, die es hat,
ist unbestritten. Aus dieser Qualität heraus kann ich
Umgruppierungen machen, sensationellere Interpretationen.
Von Aha-Effekten kann es noch lange zehren, weil man immer
wieder von einem Cranach oder einem Dürer begeistert
sein wird. Dagegen ist nichts zu sagen. Nur gegen eine weitere
Sammeltätigkeit bin ich ganz entschieden. Es gibt eben
den gewachsenen Bestand und der hat keinen Murillio und keinen
El Greco, dafür aber den Velázquez einer bestimmten
Richtung, die der Prado wieder nicht hat. Das ergänzt
sich doch ohnedies. Der Breughel-Schwerpunkt ist allein schon
sensationell. Das soll man also als gegeben annehmen. Ich
bin dafür, daß umgehängt und umgestellt wird,
damit andere Vergleiche und Vorgänge sichtbar werden
und sich die Kunstgeschichte daran erprobt, weil sie ja nie
wahrheitsgemäß ist und sich daher ständig
verändern sollte.
Die Sammelwut aber ist doch keineswegs nur eine Frage der
Museen. Wir haben diesen exzessiven privaten Antiquitätenkult,
wir haben diese Angst, daß etwas spurlos verschwindet,
wie sicher noch nie eine Gesellschaft. All das schaut so aus,
als ob es bloß die Kehrseite der grassierenden Zerstörungslust
ist. Vorgeschützt allerdings wird eine konservative,
konservierende Haltung.
Die Leute begreifen eben nicht, daß es keine Zwangssituationen
mehr gibt. Alle kämpfen noch damit, daß seit der
demokratischen Form keine Geistigkeit mehr zwanghaft von außen
kommt. Die Moderne wird ja nicht mehr diktiert, sondern sie
entsteht. Dazu bekennt man sich aber nicht. Man bekennt sich
immer nur im Zuge eines Machtvorganges. Im Barock sind die
gotischen Altäre zerschlagen worden, aus einem absolutistischen
Anspruch heraus. Gerettet wurde, was auf irgendwelchen Dachböden
überlebt hat. Ich halte so etwas für einen wirklich
großartigen Vorgang. Man schmeißt die alten Altäre
hinaus, ob sie nun gut oder schlecht sind und stellt neue
hin. Man reißt die Kirchen nieder und baut neue auf.
Wie wäre das jetzt, wenn wir in Wien - sofern sie noch
stehen würde - die Stadtmauer schleifen wollten ? Das
ergäbe einen Wirbel, den keiner, der solche Absichten
hegt, durchhalten könnte. Vor hundertzwanzig Jahren hat
man das aber gemacht und dann die Ringstraße gebaut.
Das waren großartige Eingriffe. Wer traut sich heute
noch, sie wieder radikal zu verändern, vielleicht weil
sich eine ganz andere verkehrstechnische Lösung abzeichnet
? Niemand. Man kann auch die rumänische Aktion der Dörferzerstörung
ganz anders sehen, als das im scheinheilig mitfühlenden
Westen - wo "ganz unbewußt" soviel zerstört
worden ist - derzeit gesehen wird. Ich bin zwar eindeutig
dagegen, daß eine Diktatur Menschen terrorisiert, man
muß aber sehen, daß das keineswegs eine ungewöhnliche
Vorgangsweise ist. Die Machtträger haben ständig
alles niedergerissen, was sie aus wirtschaftlichen oder symbolischen
Gründen nicht mehr wollten. Daß da jetzt der Untergang
einer folkloristischen Vision beweint wird, muß doch
auch einmal von einer anderen Seite her betrachtet werden,
nicht von der historischen also, sondern von der Chance auf
radikal zukunftsorientierte Einschnitte. Auch wenn das Regime
selbst das noch so unsinig anfängt. Der Schah im Iran
hat durch die ältesten Stadtviertel seine Prachtstraßen
gelegt und keinen hat das gestört, weil er eben ein Verbündeter
gewesen ist. Das sind die eigentlichen Zusamenhänge und
an ihnen wird erkennbar, wie merkwürdig blockiert das
Bewußtsein gegenüber echten Neuerungen ist.
Der Bewahrungszwang ließe sich so als zerbrochenes
Vertrauen in die Moderne, in die Neugestaltung definieren.
Genau das meine ich damit. Von innen her kommen solche Kräfte
nicht. So etwas ist immer aufgezwungen worden, wie im Italien
Mussolinis, wo das ganze Land mit neuen Kulturhäusern
überzogen worden ist, mit herrlicher konstruktivistischer
Architektur, zu der dann bloß ein gewisser faschistischer
Touch hinzugekommen ist. Das heißt, dort ist durch die
Machtträger eine Kultur erzwungen und auch angenommen
worden. Diese Bauten sind auch nach dem Krieg nicht niedergerissen
worden, weil das von den Italienern als hohe Qualität
angesehen worden ist. Sie haben die politische Frage von der
qualitativen Frage trennen können und die Qualität
war ja auch weit besser, als im Nazi-Deutschland. In der Sowjetunion
hat es auch solche Phasen gegeben. Wir haben also durchaus
solche Situationen, wo die Moderne sich durchsetzt, durch
staatliche Gewalt. In einer Demokratie gibt es das eben nicht
und deswegen muß in ihr auf das Selbstbewußtsein
des Einzelnen gebaut werden. Er muß dazu kommen, zu
sagen, großartig, was dieser oder jener hier baut. Wir
kritisieren es, aber es ist gut, daß es gemacht wird.
In unseren Gesellschaften muß sich die Autorität
vervielfachen; das blockiert dann eher, bleibt aber immerhin
konform mit demokratischen Ansprüchen. Zivilcourage allein
bewegt ja nicht allzu viel. Sind es Strömungen, Gegenströmungen,
Strudel, die eine Konzentration von Kräften erzeugen
können ?
Ich sehe das so. Plötzlich gibt es hervorragende österreichische
Tennisspieler; früher gab es nur Schifahrer. Das kann
man auf die Kunst übertragen. Würden alle in einem
Selbstbewußtsein existieren, daß wir großartige
Maler, großartige Architekten und Musiker haben, so
würde sehr rasch aus der Zeit heraus eine ungeheure Kultur
entstehen. Sie würde nämlich dann gemacht werden.
Man nimmt - wie im Sport - die Besten und läßt
sie eben machen. Man sieht das in jedem Bereich, wenn eine
Figur da ist, die etwas aufbaut, die andere mitzieht. Dann
ziehen bald viele mit und es entsteht ein viel höheres
Qualitätsniveau. Der Fehler ist ja nur, daß die
Leute kein Selbstbewußtsein haben und sich einreden,
wir sind halt ein kleines Land, bei uns geht das nicht, wir
können das nicht. Das ist doch ein kompletter Unsinn.
Das gegenüber Österreich viel kleinere Holland ist
auch eine künstlerische Weltmacht, von Mondrian über
die De Stijl-Gruppe bis hin zum kleinsten Design. Um die Jahrhundertwende
ist das unser Land auch gewesen. Die Kräfte sind ja da,
warum sollten sie plötzlich schlechter geworden sein
? Selbst die vielzitierte Blutzufuhr aus dem Osten gibt es
weiter.
Ein kollektiveres Selbstbewußtsein dürfte davon
abhängig sein, ob etwas weitergeht, dem man zustimmen,
dem man sich anschließen kann. Vergangenem geht diese
Schubkraft ab.
Es sind auch Form und Inhalt, mit denen Politiker und Medien
an unser Selbstbewußtsein appellieren meistens untauglich.
Man sollte z. B. nicht mehr von Kokoschka reden, dann würde
vielleicht eher gesehen, was jetzt existiert und jetzt gemacht
wird. Kulturell war der "Steirische Herbst" ursprünglich
ein guter Ansatz in solche Richtungen, übergreifend,
offen, mit dem Zusammenspiel von Verschiedenheit und Einheit.
Selbst der Aufschwung der österreichischen Architekturszene
hängt damit zusammen, daß die Architekten so gerne
über sich selbst reden. Es geht in Wahrheit aber gar
nicht mehr um das Selbstbewußtsein einer Nation; wir
brauchen die Verankerung in einer bestimmten Region gar nicht.
Die Landflächen sind weltweit unter den Staaten aufgeteilt,
als Ziel hat das Territorium völlig an Bedeutung verloren.
Es ist ein statischer Faktor. Als Touristen haben wir alles
in anderer Weise in Besitz genommen. Wir sprechen fast schon
eine Einheitssprache. Alles gehört uns. Alles gehört
allen. Ich kann morgen Amerikaner und übermorgen Spanier
sein und mich kulturell rasch anpassen, abgetrennt von irgendeiner
Verwurzelung. Nicht die Eingrenzung sollte uns daher beschäftigen,
sondern die Entgrenzung, die Wirkung unserer Fähigkeiten.
Eine solche Entgrenzung habe ich mir nach Tschernobyl gewünscht.
Wenn Österreich schon eine Pionierrolle beim Ausstieg
aus der Atomwirtschaft zugefallen ist, dann hätte ich
nach dem endgültigen Nein als Wissenschaftsminister am
nächsten Montag eine Institution für langfristige
Energieforschungen ins Leben gerufen, die weltweit für
die engagiertesten Experten einen Anziehungspunkt hätte
bilden können, weil sie daheim doch fast alle unter schwerem
Druck diverser Lobbies stehen.
Es liegt tatsächlich meistens an den Ministern selber.
Sie haben ja keine Einfälle. Wenn wir international schon
in einem so schwierigen Tief sind wie jetzt, dann müssen
dem Verteidigungsminister ausgerechnet Raketen und Abfangjäger
als Staatsaktion einfallen. Mir hingegen würde einfallen,
ein Land ohne Armee anzustreben, das wäre doch eine große
Tat. Auf dem Sektor der Energieforschung die phantasievollsten
Leute herzuholen, wäre im gleichen Sinn, ebenso die konzentrierte
Arbeit an einer anderen Art von Ökonomie, mit Autos ohne
Benzin, mit neuen Verkehrssystemen. Warum konzentrieren wir
uns nicht auf eine solche Humanebene - als echte Schweiz,
nicht als heuchlerische Schweiz - mit einer Neutralität,
die sich durch solche Anstrengungen besonders intensiv unter
Beweis stellt ?
Was läßt sich da noch als Schlußwort hinzufügen
?
Am besten eine Rückkehr zum Anfang, zum einzelnen Künstler.
Im Endeffekt ist er die entscheidende Figur, ob er jetzt anerkannt
ist oder nicht. Er ist auf alle Fälle der, der etwas
macht, das in der Zeit existiert. Er hat natürlich auch
in die öffentliche Diskussion einzugreifen, weil er die
vielleicht sauberste Art der Aussage hat, die offenste Art
der Aussage. Wenn er gut ist, ist er eine universelle Figur,
die eine Zeit und ihre Empfindungen in ihren ganzen Facetten
am intensivsten aufnimmt und sie weitaus richtiger interpretieren
kann, als alle anderen. Deswegen ist der Künstler notwendig
und wird notwendig bleiben. Ob er eine politische Kraft wird,
ist eine andere Frage.
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Oswald Oberhuber,
Künstler
geb. 1931 in Meran. Studium an der Akademie der bildenden
Künste Wien und der Staatlichen Akademie in Stuttgart.
Begründer der permanenten Veränderung in der
Kunst. Ausstellungen u. a. Biennale Venedig (1972),
Documenta Kassel (1977, 1982), Europalia 1987. Jüngste
Publikation: Oswald Oberhuber. Eine Sammlung. Wien 1988.
Professor an der Hochschule für angewandte Kunst
in Wien (Vorstand des Instituts für Museologie),
von 1979-1987 Rektor.
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