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www.ChristianReder.net: Publikationen: Museumsgespräche: C. Pichler
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Cathrin Pichler

Die Ausstellung "Experiment Seele" während der Wiener Festwochen 1989 hat die theoretisch weithin unaufgearbeiteten Vorphasen der Freud'schen Konzeption zum Thema. Wird dieser wissenschaftliche Anspruch insgesamt als eine Abwendung von bisherigeren Inszenierungsausstellungen sichtbar werden, auch als Abwendung von den Retrospektiven mit nur vagen Gegenwartsbezügen ?

Unserem Konzept nach ja. Es geht uns vor allem um die Frage, was das Individuum heute ist und was das Individuum heute erklären kann. Das 19. Jahrhundert ist dafür die bestimmende Epoche gewesen; Sigmund Freud und die Psychoanalyse führen dann ins 20. Jahrhundert herein. Von den Objekten her ist es eine retrospektive Ausstellung, nicht jedoch der Idee nach, die hoffentlich vermittelt werden kann. Es steht ja die Frage, was ist Subjektivität, was ist Subjektivität heute im Mittelpunkt. Wie wir in verschiedenen Vorstudien gesehen haben, ist das eine Subjektivität, die sich sowohl im Sinne der psychologischen Wissenschaft als auch im Sinne der Vergesellschaftung des Individuums als Reflexion auf die bürgerliche Kultur des vorigen Jahrhunderts herausgebildet hat. Es gibt auch heute keine anderen Formen, mit denen man Subjektivität fassen kann. Dazwischen stehen die entscheidenden Erkenntnisse Freuds, auf die wir ja insbesonders Bezug nehmen.
Im Kern geht es uns aber um eine Art Selbstbewußtsein oder Selbstreflexion. Die Ausstellung soll ein Instrument der Erfahrung sein und wenn aus solchen, anhand von Objekten, Instrumenten, von Informationsmaterial und von bildender Kunst vermittelten sinnlichen Erfahrungen noch ein Wissen oder eine Erkenntnis wird, dann würde ich ihren Zweck für erfüllt halten. Deshalb ist natürlich die Attraktivität der Präsentation eine sehr wichtige Frage.

Wenden wir den Begriff Subjektivität und den Begriff Autonomie gleich unmittelbar für den Ausstellungsmacher an; wie zwangsläufig kollidiert er mit jenem des Künstlers, wie kollidiert er für gewöhnlich mit behindernden den Rahmenbedingungen ?

Die Grundproblematik solcher Projekte liegt im Kampf gegen unerwünschte inhaltliche Rückwirkungen, die sich aus der Verstrickung in die Administration und aus der Notwendigkeit, mit öffentlichen Geldern und Subventionen arbeiten zu müssen, ergeben können. Sie gilt für den Ausstellungsmacher und für den Künstler. Es ist klar, daß der Künstler - wenn er als Person auftritt, es sich also um Gegenwartskunst handelt - seinen Autonomieanspruch zunächst gegenüber dem Ausstellungsmacher artikuliert, und dieser wieder den seinigen primär gegenüber den Geldgebern und der Bürokratie behaupten muß.

Am Punkt des möglichen Eklats ist doch interessant, wie weit er sich in Richtung Kompromißbereitschaft verschiebt, nur weil eine Projektautomatik und ein Fertigstellungsdruck die Beteiligten zusammenhalten.

Eklats passieren gar nicht so selten. Öfter noch kommt es aber vor, daß interessante Projekte wegen der meist sehr schwierigen Konstellation von Zeitbedarf und Finanzierung bereits im Vorstadium untergehen. Von ihnen kenne ich eine ganze Menge. Generell muß ich sagen, daß es in Österreich immer noch nicht üblich geworden ist, entsprechende Vorplanungsphasen einzukalkulieren, aus denen heraus eine entsprechende Perfektion entstehen könnte. Bisher jedenfalls habe ich kein Ausstellungsprojekt erlebt, das in seinem Ablauf wirklich gut planbar war. Alle sind sie zu großen Risiken für die Beteiligten geworden und meist hat nur eine außerordentliche Identifikation mit den Inhalten eine Realisierung gewährleisten können. Für größere Ausstellungen sind international durchwegs drei oder vier Jahre Planungszeit vorgesehen, hier sind es maximal eineinhalb Jahre und die übliche Kette von Ungewißheiten verschärft das noch alles. Realistisch gesprochen dürfte man solche Aufträge nicht übernehmen, nur gibt es eben eigene intensive Interessen an Themen, Kunstwerken, Künstlern, die einen dann doch viele Ungewissheiten akzeptieren lassen. Diese Art von Arbeit ist ja überdies bei uns sozusagen nicht offiziell anerkannt, legitimierbar; freischaffend kulturell tätig zu sein heißt eben, sich auf sehr unsicherem Terrain zu bewegen.

Für ein Neuüberdenken der Ausstellungs- und der Museumssituation erscheint es mir äußerst wichtig, die Rolle der Ausstellungsmacher und die Situation freischaffender Arbeitsteams miteinzubeziehen. Einerseits könnte man davon ausgehen, daß in den bestehenden Institutionen die Grundfunktionen vom ständigen Personal, die Erarbeitung von Ausstellungen aber von interdisziplinären, tendenziell externen Teams wahrgenommen werden. Dazu müßte es Impulse für eine lebendigere Szenerie freischaffender Arbeit geben, bis hin zu spezialisierten Handwerkern, Beleuchtern, vielfältig einsetzbaren Mitarbeitern. Andererseits stellt sich die Frage nach einem veränderten Rollenverständnis der Ausstellungsmacher, das ja nicht bei Ausprägungen der 70er und mittleren 80er Jahre stehen bleiben kann.

Sehr wichtig wäre es dafür, und ich spreche jetzt von Wien, daß im Zuge der ohnedies darauf abgestellten Planungen rasch ein eigener Ort geschaffen wird, eine Kunsthalle also, der auch für freie Obsessionsarbeiter aus dem In- und Ausland einen Kristallisationspunkt bilden könnte. Wenn dort vier oder fünf gute Ausstellungen im Jahr gemacht werden, mit dem Ziel einer intensiveren Annäherung an die Gegenwartskunst, würden davon einschneidende Impulse in die besprochene Richtung ausgehen. Soetwas wäre viel gravierender als die diversen Ausstellungspflichtübungen der Museen. Es müßte mit einem entsprechenden Zeitvorlauf und adäquaten Budgets gearbeitet werden können. Die Selbstausbeutung sovieler im Kulturbereich Tätiger kann auf Dauer nicht Grundlage wirklcher Innovationen sein. Man muß auch sehen, daß in letzter Zeit eine Art von Ausgleich entstanden ist. Die Protesthaltungen einer neuen Kultur der Aufbruchszeit in den 70er Jahren sind integriert und kommensurabel gemacht worden. Hinterlassen hat das alles nichts als die Postmodernitätsüberlegungen.
Ich glaube an diesem Punkt muß man einfach neu anfangen. Man muß Ideen kreieren und ich glaube nicht, daß dabei automatisch die Autonomie des Künstlers gefährdet werden muß. Es ist doch offensichtlich, daß wir uns in der jetzigen Lage etwas neues überlegen müssen, etwas, das hinausweist über die Inszenierungen der letzten Jahre. Die Kulturpolitiker und andere Leute, die sozusagen das kreative Potential am Gängelband haben, werden dann schon mitziehen. Mein Ansatzpunkt dabei ist unbeirrbar die Moderne, weil ich überzeugt bin, daß sie ihre Kraft keineswegs verloren hat und sie vor allem bei uns noch gar nicht eingelöst worden ist. Durch den Faschismus ist eine Entwicklung völlig abgebrochen worden; bei uns ist die klassische Moderne daher überhaupt noch nicht genügend gesehen und rezipiert worden. Man kann hundertmal eine Postmoderne plakatieren, das heißt noch lange nicht, daß die Moderne überwunden ist. Im Gegenteil, sie ist doch überhaupt noch nicht gesellschaftlich gelebt worden. Was heute an Kunst produziert wird ist eine Fortsetzung der Moderne und muß als solche angesehen werden. Auch wenn Marktmechanismen noch so starke Konjunkturen erzeugen, wie bei der Neuen Malerei etwa, ist doch meistens klar abzusehen, wie rasch das jeweils vorbei sein wird. Was bleibt ist die Beziehung zu einer Modernität. Nur im Bewußtsein besitzen wir sie überhaupt nicht. Wir verfügen zwar über unheimliche technologische Fortschritte, besitzen aber keine andere Vergesellschaftung, als im 19. Jahrhundert und keine andere Perspektive, als die Moderne aufgezeigt hat. Daher muß es ein wesentliches Anliegen sein, sich mit dieser Moderne immer wieder, und keineswegs nur historisch, zu beschäftigen

Ein Ausstellungskonzept wie "Experiment Seele", mit seinen fundierten wissenschaftlichen Vorarbeiten, steht vermutlich unter starkem Druck, mit der Spannung zwischen Gründlichkeit und Fragmentarischem fertig zu werden. Wissenschaftlerausstellungen als solche sind ja ein von signifikanten Unfähigkeiten begleitetes Phänomen. Andererseits könnten strengere Präzisionsansprüche sehr wohl, wenn auch in einem übertragenen Sinn, zu einem Neuüberdenken der Ausstellungskultur beitragen.

Das glaube ich durchaus. Grundsätzlich ist es doch so, daß das Fragment schon in der frühen Moderne als die einzige noch mögliche Form beschrieben wurde. Alles was wir bei unserem Projekt tun können, kann natürlich nur ein Fragment sein. Das heißt aber noch lange nicht, daß deswegen Gründlichkeit und Präzison irgendeine Abwertung erfahren müssen. Mir geht es um einen behutsamen und genauen Umgang mit den Dingen, ob das jetzt Texte, Bilder oder Objekte sind. Nur so kann es einem gelingen, die Menschen wieder darauf aufmerksam zu machen, wie notwendig ein genaues Anschauen der Dinge ist. Die Präsentationsweise muß dem soweit als möglich entgegenkommen und dabei nähert man sich tendenziell dem Charakter von Museen an, wo eben in aller Ruhe Bilder hängen. Einem zu manipulativen Umgang mit den Dingen stehe ich ablehnend gegenüber. Ich sehe nicht einen Trümmerhaufen der Kultur vor mir, aus dem erst in Ausstellungen irgendetwas anscheinend Sinnvolles zusammengefügt werden kann. Daß unsere gegenwärtige Welt für Formen der Intensität, wie sie mir als erstrebenswert erscheinen, nicht gerade viel Ausrüstung und Interesse aufbringt, ist klar. Nur glaube ich, daß sich ein Verhältnis zu Kunst nur auf einem solchen Weg herstellen läßt.

Wissen und Einsichten, die nicht so sehr direkt Kunst, sondern ein Thema betreffen, wie eben Sigmund Freud und zu ihm hinführende historische Bezüge, ließen sich doch unter Umständen in einer - natürlich möglichst brillant gemachten - Fernsehserie prägnanter vermitteln. Ein solches Abwägen des einer Absicht adäquateren Mediums spielt offenbar auch deswegen kaum eine Rolle, weil Ausstellungen in kulturelle Inszenierungszusammenhänge eingebunden sind, also nicht allein für sich stehen. Es sind ja nicht bloß die räumlichen Möglichkeiten und die öffentliche Aufmerksamkeit die Ursache der allgemeinen Ausstellungskonjunktur.

Mir erscheinen Ausstellungen für den Transport von Ideen gerade angesichts der beweglichen Bilder überall ein sehr geeignetes Medium, weil sie eben die Raum- und Zeitdimension beinhalten. Die Bewegung des Besuchers selbst und die damit verbundene Intentionalität kann etwas sehr wichtiges werden, gerade als Differenz zu medialen Gewohnheiten. Daß starke Kräfte in Richtung einer völligen Vereinheitlichung solcher Erlebnismöglichkeiten wirken, ist unübersehbar; nur bestätigt ja gerade das, wie notwendig die Arbeit an einer Differenzierung ist. Ich teile auch nicht das generelle Ressentiment, bei dem nur mehr von einem Kunsttourismus die Rede ist und von einem Ausverkauf der Authentizität, daß also Kopien und Reproduktionen in Wahrheit reichen würden.
Ganz im Gegenteil; vom Kunstwerk gehen weiterhin sehr große Möglichkeiten aus und daraus beziehen Ausstellungen ihren unmittelbaren Sinn. Dabei sind sie jedem anderen Medium konkurrenzlos überlegen. Grundsätzlich glaube ich, daß eine Ausstellung auf drei Ebenen funktionieren sollte. Sie muß auf einer Ebene der oberflächlichen Betrachtung etwas vermitteln, also das, was ich beim eher flüchtigen Durchgehen mitbekomme. Auf der zweiten Ebene geht es um die einzelnen Objekte, die so angeordnet sein sollten, daß man von ihnen angezogen wird, daß diese Dinge die Chance haben, ihre Ausstrahlung auf den Betrachter auszuüben. Die dritte Ebene, die auch halten muß, betrifft die Atttraktivität für den Kenner, für Leute, die sich intensiv mit allem beschäftigen wollen und dabei müssen sorgfältige Kataloge ihre Funktion haben.

Anders als über Ausstellungsprojekte lassen sich gewichtige Kataloge, ob das nun der über die Futuristen ist oder der über die Europäischen Manierismen gar nicht finanzieren. Streng genommen sind Ausstellungen also auch ein Vehikel dafür, daß solche aufwendigen Bücher heute überhaupt noch entstehen können und verbreitet werden, ob sie nun souvenierhaft, als Lexikon oder tatsächlich zu Studienzwecken Verwendung finden. Damit wären wir bei Vermittlungsmechanismen, die in der Regel eher auf die Magie bekannter Objekte als auf das zu Erforschende reagieren.

Gegenüber den Zwängen, sachliche Inhalte medial zu vermitteln, zu vermarkten, ist in der Regel, wenn auch als schwieriger Balanceakt, durchaus eine Abgrenzung machbar. Die medialen Aspekte laufen unter einem Titel und erfordern bestimmte Konsequenzen, was nicht heißen muß, das deswegen Inhalte verkauft werden müssen. Einen Mittelweg des nicht Mitspielens und doch Mitspielens gibt es allerdings nicht mehr, sobald man sich zur Alternative entschlossen hat, mit Vorstellungen an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dem jetzt sozusagen erprobten Typus des Ausstellungsmachers werden von Künstlern hauptsächlich in zweierlei Richtung Vorwürfe entgegengehalten: Erstens wegen seiner Tendenz, Künstler und Kunstwerke zu bedenkenlos für Themenideen zu benutzen und zweitens wegen einer Verliebtheit in die eigene Konzeptions- und Kompositionsarbeit, die sich ebenfalls Kunst eher unterordnen will. Zeichnen sich bereits Auswege aus solchen Kontroversen ab ?

Natürlich sind derartige Gefahren da. Eine thematische Ausstellung, in der versucht wird, verschiedene Punkte einer Entwicklung zu fixieren und in der deshalb verschiedene Künstler zusammenkommen sollen, hat natürlich den Charakter, über den einzelnen Künstler und sein gesamtes Werk eher hinwegzugehen. Wenn ich etwa jetzt ein Selbstbildnis von Munch ausstelle, dann lasse ich ihn als Künstler in meinem Kontext gleichsam verschwinden. Auf der anderen Seite zeige ich aber das Portrait von Munch und dazu ein viel früheres, z. B. von Füssli. Damit wird eine Entwicklung abgesteckt. Nicht Künstler allein, auch Kunsthistoriker haben gegen solche "Methoden" oft Vorbehalte. Ich hingegen glaube, daß ich eben nur so etwas zeigen kann, wie es sonst in dieser Unmittelbarkeit nicht gelingen würde. Ich zeige verschiedene Stationen, ich kann auch verschiedene Motive zeigen, wie es Szeemann bei den "Junggesellenmaschinen" gemacht hat.
Der Idealfall ist, wenn ich niemandem auf eine andere Art und Weise etwas bestimmtes, also etwa den Weg einer Idee, oder die Veränderung der Selbstbetrachtung, präziser klarmachen kann. Ideal ist ferner, wenn ich dazu nichts sagen muß. Ich möchte auch nichts interpretieren, ich möchte das nur zeigen. Damit bleibt, wie ich meine, sehr wohl die Autonomie und die Achtung eines Künstlers gewahrt. Das allerdings nur dann, wenn das betreffende Objekt so präsentiert ist, daß es möglichst autonom figurieren kann. Und das war bei vielen Ausstellungen der letzten jahre sehr oft nicht der Fall. Daher meine ich auch, daß es künftig wieder um eine stärkere Isolierung gehen muß und daß mit Raumkonzeptionen gearbeitet werden sollte. Man muß die weit verbreitete Angst vor der Leere verlieren. Wichtig ist keineswegs die Masse der Objekte. Ich gehe auch davon aus, daß man gerade in bezug auf Gegenwartskunst Ideen haben sollte und man die durchaus mit Künstlern gemeinsam entwickeln kann. Die kontroversielle Polarität zwischen Künstler und Ausstellungsmacher ist doch bei weitem nicht die einzige denkbare Form einer Zusammenarbeit. Viele der Animositäten kommen doch daher, daß Ausstellungsmacher auf der Documenta oder der Biennale in Machtpositionen gelangen, die Künstler oder ganze Kunstrichtungen von ihnen abhängig machen; die einen gewinnen, die anderen fallen, zumindest für eine Zeit, aus dem Markt heraus.
Bei einer Besinnung auf eine größere Behutsamkeit im Umgang mit Kunst, im Umgang mit Künstlern muß das nicht völlig konsequent so weitergehen. Schwierig ist ein anderer Weg sicher, weil - wie wir wissen - unsere gesamte Kultur auf ein Konkurrenzverhalten ausgerichtet ist. Wenn man nur mehr Einzelausstellungen machen würde, hieße das, diesem Druck vollständig nachzugeben.

Einen neuen Blick für bestimmte Zusammenhänge zu bekommen, also im direkten Wortsinn etwas anders zu sehen, kann mit wissenschaftlichen Methoden und Darstellungsmöglichkeiten allein sehr oft nicht gelingen; daß dafür verstärkt die Kunst eingesetzt wird, bringt ja auch wissenschaftstheoretisch einiges durcheinander.

Wenn einer engen Verwissenschaftlichung sinnvoller Weise durch Einbeziehung z. B. literarischer Formen begegnet wird, so bestätigt das, daß gerade Ausstellungen in ähnlicher Weise die Schwächen einer poinitiert historischen oder kunsthistorischen Betrachtung überwinden helfen können. Es muß nicht alles in Permmanenz verglichen, klassifiziert, bewertet werden. Ich will sehen - und zeigen - was über eine gewisse Zeit hin passiert. Kunst gehört einfach zum Raum des Wissens und der Darstellung, der für bestimmte Phasen gesellschaftlicher Entwicklungen relevant ist. Das getrennt zu sehen ist halte ich für faslch. Gerade Kunst kann ich weder rein vergleichend, rein psychologisch oder rein soziologisch interpretieren. Ihr universeller Charakter ist es ja gerade, der sie so geeignet dafür macht, sich mit Ideen zu beschäftigen.

Wenn man den Ausstellungssektor als flexiblen und Museumssammlungen als statischen Bereich sieht, so stellt sich doch die Frage nach einer intensiveren gegenseitigen Befruchtung. Das Präsentationsdesign ist eine verbindende Ebene; ob die Sammlungsstrukturen also solche eher beibehalten werden sollen oder immer wieder neu zu formieren sind, darüber gehen die Meinungen stark auseinander.

Ich halte es schon für sehr wichtig, daß in historisch gewachsenen Sammlungen von Zeit zu Zeit neue Ordnungen gefunden werden und daß in speziellen Ausstellungen alte Kunst und Gegenwartskunst aufeinandertreffen. Es ist vielleicht gar nicht immer eine Konfrontation von Objekten ganz verschiedener Epochen notwendig; ein "moderner" Blick auf klassische Werke wird in vielen Fällen ein anderes Sehen erzeugen können. Ich halte auch viel davon, Künstler einzuladen, damit ihre Begeisterung für einzelne Werke zum Tragen kommen kann, im Dialog mit Kunsthistorikern oder in der Kooperation bei Ausstellungen. Entscheidend sind doch die Bezüge zu gegenwärtigen Entwicklungen und die vermisse ich in den traditionellen Wiener Museen entschieden. Das Museum für angewandte Kunst hat in letzter Zeit wichtige Akzente gesetzt - aber sonst ? Man muß das ja auch im Vergleich etwa mit der Secession sehen, die ein ganz ausgezeichnetes Programm hat.
In den Museen überwiegt das konservatorische Moment und die autistische Selbstreflexion vieler Kunsthistoriker. Die meisten Leute sind Experten für sehr kleine Spezialgebiete. Ein übergreifendes Interesse an Entwicklungen kann sich innerhalb dieser Strukturen offenbar nur sehr schwer formieren. Nehmen wir die Österreichische Galerie im Oberen Belvedere her. Mit ihrem Bestand könnte man doch leicht zwei oder drei sehr schöne Ausstellungen machen und sie dann wieder verändern. Jetzt aber ist alles auf eine überkommene Ordnung von Bestehendem ausgerichtet. Wenn ich dort durch die Räume gehe, spüre ich einfach, wie es an einer Emphatie für diese Kunstwerke mangelt.

Symptomatisch ist doch, daß - zumindest die größeren - Ausstellungen Stoff für Kritik liefern, die Museen selbst aber fast nie. Ist je ein Direktor für seine Präsentationsweise, für seine Kataloge, für seine Ankaufstätigkeit öffentlich zur Rede gestellt worden ?

Museen sind eben exterritorial. Sie waren Wunderkammern, Raritätenkabinette und sind zu aufklärerischen Bildungsinstitutionen geworden; inzwischen freuen wir uns, wenn sie - was sie ja außerhalb der Touristensaison weiterhin sind - wenigstens Orte der Ruhe und Beschaulichkeit bleiben. Turbulente Eingriffe könnten sie ja auch tatsächlich gefährden und deswegen müßten Veränderungen natürlich sehr subtil angegangen werden. Die Sehnsucht nach Statik, der sie entgegenkommen, muß man durchaus ernst nehmen.

Ihr entgegengesetzt ist die Forderung nach radikaler Aktualisierung und Zeitbezogenheit, wie sie vor allem den Ausstellungsbereich betrifft. Nur ist doch klar, daß alles was schon existiert bereits der Vergangenheit gehört.

Die Utopie und Versuche ihrer Vorwegnahme müssen uns wichtig bleiben, auch wenn wir wissen, daß sich nichteinmal Gegenwart in Repräsentation fassen läßt. Sie spielt sich immer noch ein Stück woanders ab. Was sich ausstellen läßt, ist immer schon Vergangenheit.
Der Blick des Subjektes aber ist Gegenwart oder sollte gegenwärtig sein. Und die Kunst ermöglicht es wie nichts sonst, daß das Subjekt sich mit sich selbst auseinandersetzen kann.

 

Cathrin Pichler, Sozialwissenschaftlerin
geb. 1946 in Gmunden. Studium der Publizistik, Psychologie und Soziologie an der Universität Wien (Dr. phil.). Sozialwissenschaftliche Arbeiten, Mitarbeit an der Konzeption und Realisierung von Ausstellungen in Wien, insbes. "Kunst mit Eigen Sinn" (1985), "Wien Fluß" (1986), "Experiment Seele" (1989).

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© Cathrin Pichler 1988 & Christian Reder 1988/2001