Gespräch mit Cathrin Pichler
Die Ausstellung "Experiment Seele" während
der Wiener Festwochen 1989 hat die theoretisch weithin unaufgearbeiteten
Vorphasen der Freud'schen Konzeption zum Thema. Wird dieser
wissenschaftliche Anspruch insgesamt als eine Abwendung von
bisherigeren Inszenierungsausstellungen sichtbar werden, auch
als Abwendung von den Retrospektiven mit nur vagen Gegenwartsbezügen
?
Unserem Konzept nach ja. Es geht uns vor allem um die Frage,
was das Individuum heute ist und was das Individuum heute
erklären kann. Das 19. Jahrhundert ist dafür die
bestimmende Epoche gewesen; Sigmund Freud und die Psychoanalyse
führen dann ins 20. Jahrhundert herein. Von den Objekten
her ist es eine retrospektive Ausstellung, nicht jedoch der
Idee nach, die hoffentlich vermittelt werden kann. Es steht
ja die Frage, was ist Subjektivität, was ist Subjektivität
heute im Mittelpunkt. Wie wir in verschiedenen Vorstudien
gesehen haben, ist das eine Subjektivität, die sich sowohl
im Sinne der psychologischen Wissenschaft als auch im Sinne
der Vergesellschaftung des Individuums als Reflexion auf die
bürgerliche Kultur des vorigen Jahrhunderts herausgebildet
hat. Es gibt auch heute keine anderen Formen, mit denen man
Subjektivität fassen kann. Dazwischen stehen die entscheidenden
Erkenntnisse Freuds, auf die wir ja insbesonders Bezug nehmen.
Im Kern geht es uns aber um eine Art Selbstbewußtsein
oder Selbstreflexion. Die Ausstellung soll ein Instrument
der Erfahrung sein und wenn aus solchen, anhand von Objekten,
Instrumenten, von Informationsmaterial und von bildender Kunst
vermittelten sinnlichen Erfahrungen noch ein Wissen oder eine
Erkenntnis wird, dann würde ich ihren Zweck für
erfüllt halten. Deshalb ist natürlich die Attraktivität
der Präsentation eine sehr wichtige Frage.
Wenden wir den Begriff Subjektivität und den Begriff
Autonomie gleich unmittelbar für den Ausstellungsmacher
an; wie zwangsläufig kollidiert er mit jenem des Künstlers,
wie kollidiert er für gewöhnlich mit behindernden
den Rahmenbedingungen ?
Die Grundproblematik solcher Projekte liegt im Kampf gegen
unerwünschte inhaltliche Rückwirkungen, die sich
aus der Verstrickung in die Administration und aus der Notwendigkeit,
mit öffentlichen Geldern und Subventionen arbeiten zu
müssen, ergeben können. Sie gilt für den Ausstellungsmacher
und für den Künstler. Es ist klar, daß der
Künstler - wenn er als Person auftritt, es sich also
um Gegenwartskunst handelt - seinen Autonomieanspruch zunächst
gegenüber dem Ausstellungsmacher artikuliert, und dieser
wieder den seinigen primär gegenüber den Geldgebern
und der Bürokratie behaupten muß.
Am Punkt des möglichen Eklats ist doch interessant,
wie weit er sich in Richtung Kompromißbereitschaft verschiebt,
nur weil eine Projektautomatik und ein Fertigstellungsdruck
die Beteiligten zusammenhalten.
Eklats passieren gar nicht so selten. Öfter noch kommt
es aber vor, daß interessante Projekte wegen der meist
sehr schwierigen Konstellation von Zeitbedarf und Finanzierung
bereits im Vorstadium untergehen. Von ihnen kenne ich eine
ganze Menge. Generell muß ich sagen, daß es in
Österreich immer noch nicht üblich geworden ist,
entsprechende Vorplanungsphasen einzukalkulieren, aus denen
heraus eine entsprechende Perfektion entstehen könnte.
Bisher jedenfalls habe ich kein Ausstellungsprojekt erlebt,
das in seinem Ablauf wirklich gut planbar war. Alle sind sie
zu großen Risiken für die Beteiligten geworden
und meist hat nur eine außerordentliche Identifikation
mit den Inhalten eine Realisierung gewährleisten können.
Für größere Ausstellungen sind international
durchwegs drei oder vier Jahre Planungszeit vorgesehen, hier
sind es maximal eineinhalb Jahre und die übliche Kette
von Ungewißheiten verschärft das noch alles. Realistisch
gesprochen dürfte man solche Aufträge nicht übernehmen,
nur gibt es eben eigene intensive Interessen an Themen, Kunstwerken,
Künstlern, die einen dann doch viele Ungewissheiten akzeptieren
lassen. Diese Art von Arbeit ist ja überdies bei uns
sozusagen nicht offiziell anerkannt, legitimierbar; freischaffend
kulturell tätig zu sein heißt eben, sich auf sehr
unsicherem Terrain zu bewegen.
Für ein Neuüberdenken der Ausstellungs- und der
Museumssituation erscheint es mir äußerst wichtig,
die Rolle der Ausstellungsmacher und die Situation freischaffender
Arbeitsteams miteinzubeziehen. Einerseits könnte man
davon ausgehen, daß in den bestehenden Institutionen
die Grundfunktionen vom ständigen Personal, die Erarbeitung
von Ausstellungen aber von interdisziplinären, tendenziell
externen Teams wahrgenommen werden. Dazu müßte
es Impulse für eine lebendigere Szenerie freischaffender
Arbeit geben, bis hin zu spezialisierten Handwerkern, Beleuchtern,
vielfältig einsetzbaren Mitarbeitern. Andererseits stellt
sich die Frage nach einem veränderten Rollenverständnis
der Ausstellungsmacher, das ja nicht bei Ausprägungen
der 70er und mittleren 80er Jahre stehen bleiben kann.
Sehr wichtig wäre es dafür, und ich spreche jetzt
von Wien, daß im Zuge der ohnedies darauf abgestellten
Planungen rasch ein eigener Ort geschaffen wird, eine Kunsthalle
also, der auch für freie Obsessionsarbeiter aus dem In-
und Ausland einen Kristallisationspunkt bilden könnte.
Wenn dort vier oder fünf gute Ausstellungen im Jahr gemacht
werden, mit dem Ziel einer intensiveren Annäherung an
die Gegenwartskunst, würden davon einschneidende Impulse
in die besprochene Richtung ausgehen. Soetwas wäre viel
gravierender als die diversen Ausstellungspflichtübungen
der Museen. Es müßte mit einem entsprechenden Zeitvorlauf
und adäquaten Budgets gearbeitet werden können.
Die Selbstausbeutung sovieler im Kulturbereich Tätiger
kann auf Dauer nicht Grundlage wirklcher Innovationen sein.
Man muß auch sehen, daß in letzter Zeit eine Art
von Ausgleich entstanden ist. Die Protesthaltungen einer neuen
Kultur der Aufbruchszeit in den 70er Jahren sind integriert
und kommensurabel gemacht worden. Hinterlassen hat das alles
nichts als die Postmodernitätsüberlegungen.
Ich glaube an diesem Punkt muß man einfach neu anfangen.
Man muß Ideen kreieren und ich glaube nicht, daß
dabei automatisch die Autonomie des Künstlers gefährdet
werden muß. Es ist doch offensichtlich, daß wir
uns in der jetzigen Lage etwas neues überlegen müssen,
etwas, das hinausweist über die Inszenierungen der letzten
Jahre. Die Kulturpolitiker und andere Leute, die sozusagen
das kreative Potential am Gängelband haben, werden dann
schon mitziehen. Mein Ansatzpunkt dabei ist unbeirrbar die
Moderne, weil ich überzeugt bin, daß sie ihre Kraft
keineswegs verloren hat und sie vor allem bei uns noch gar
nicht eingelöst worden ist. Durch den Faschismus ist
eine Entwicklung völlig abgebrochen worden; bei uns ist
die klassische Moderne daher überhaupt noch nicht genügend
gesehen und rezipiert worden. Man kann hundertmal eine Postmoderne
plakatieren, das heißt noch lange nicht, daß die
Moderne überwunden ist. Im Gegenteil, sie ist doch überhaupt
noch nicht gesellschaftlich gelebt worden. Was heute an Kunst
produziert wird ist eine Fortsetzung der Moderne und muß
als solche angesehen werden. Auch wenn Marktmechanismen noch
so starke Konjunkturen erzeugen, wie bei der Neuen Malerei
etwa, ist doch meistens klar abzusehen, wie rasch das jeweils
vorbei sein wird. Was bleibt ist die Beziehung zu einer Modernität.
Nur im Bewußtsein besitzen wir sie überhaupt nicht.
Wir verfügen zwar über unheimliche technologische
Fortschritte, besitzen aber keine andere Vergesellschaftung,
als im 19. Jahrhundert und keine andere Perspektive, als die
Moderne aufgezeigt hat. Daher muß es ein wesentliches
Anliegen sein, sich mit dieser Moderne immer wieder, und keineswegs
nur historisch, zu beschäftigen
Ein Ausstellungskonzept wie "Experiment Seele",
mit seinen fundierten wissenschaftlichen Vorarbeiten, steht
vermutlich unter starkem Druck, mit der Spannung zwischen
Gründlichkeit und Fragmentarischem fertig zu werden.
Wissenschaftlerausstellungen als solche sind ja ein von signifikanten
Unfähigkeiten begleitetes Phänomen. Andererseits
könnten strengere Präzisionsansprüche sehr
wohl, wenn auch in einem übertragenen Sinn, zu einem
Neuüberdenken der Ausstellungskultur beitragen.
Das glaube ich durchaus. Grundsätzlich ist es doch so,
daß das Fragment schon in der frühen Moderne als
die einzige noch mögliche Form beschrieben wurde. Alles
was wir bei unserem Projekt tun können, kann natürlich
nur ein Fragment sein. Das heißt aber noch lange nicht,
daß deswegen Gründlichkeit und Präzison irgendeine
Abwertung erfahren müssen. Mir geht es um einen behutsamen
und genauen Umgang mit den Dingen, ob das jetzt Texte, Bilder
oder Objekte sind. Nur so kann es einem gelingen, die Menschen
wieder darauf aufmerksam zu machen, wie notwendig ein genaues
Anschauen der Dinge ist. Die Präsentationsweise muß
dem soweit als möglich entgegenkommen und dabei nähert
man sich tendenziell dem Charakter von Museen an, wo eben
in aller Ruhe Bilder hängen. Einem zu manipulativen Umgang
mit den Dingen stehe ich ablehnend gegenüber. Ich sehe
nicht einen Trümmerhaufen der Kultur vor mir, aus dem
erst in Ausstellungen irgendetwas anscheinend Sinnvolles zusammengefügt
werden kann. Daß unsere gegenwärtige Welt für
Formen der Intensität, wie sie mir als erstrebenswert
erscheinen, nicht gerade viel Ausrüstung und Interesse
aufbringt, ist klar. Nur glaube ich, daß sich ein Verhältnis
zu Kunst nur auf einem solchen Weg herstellen läßt.
Wissen und Einsichten, die nicht so sehr direkt Kunst, sondern
ein Thema betreffen, wie eben Sigmund Freud und zu ihm hinführende
historische Bezüge, ließen sich doch unter Umständen
in einer - natürlich möglichst brillant gemachten
- Fernsehserie prägnanter vermitteln. Ein solches Abwägen
des einer Absicht adäquateren Mediums spielt offenbar
auch deswegen kaum eine Rolle, weil Ausstellungen in kulturelle
Inszenierungszusammenhänge eingebunden sind, also nicht
allein für sich stehen. Es sind ja nicht bloß die
räumlichen Möglichkeiten und die öffentliche
Aufmerksamkeit die Ursache der allgemeinen Ausstellungskonjunktur.
Mir erscheinen Ausstellungen für den Transport von Ideen
gerade angesichts der beweglichen Bilder überall ein
sehr geeignetes Medium, weil sie eben die Raum- und Zeitdimension
beinhalten. Die Bewegung des Besuchers selbst und die damit
verbundene Intentionalität kann etwas sehr wichtiges
werden, gerade als Differenz zu medialen Gewohnheiten. Daß
starke Kräfte in Richtung einer völligen Vereinheitlichung
solcher Erlebnismöglichkeiten wirken, ist unübersehbar;
nur bestätigt ja gerade das, wie notwendig die Arbeit
an einer Differenzierung ist. Ich teile auch nicht das generelle
Ressentiment, bei dem nur mehr von einem Kunsttourismus die
Rede ist und von einem Ausverkauf der Authentizität,
daß also Kopien und Reproduktionen in Wahrheit reichen
würden.
Ganz im Gegenteil; vom Kunstwerk gehen weiterhin sehr große
Möglichkeiten aus und daraus beziehen Ausstellungen ihren
unmittelbaren Sinn. Dabei sind sie jedem anderen Medium konkurrenzlos
überlegen. Grundsätzlich glaube ich, daß eine
Ausstellung auf drei Ebenen funktionieren sollte. Sie muß
auf einer Ebene der oberflächlichen Betrachtung etwas
vermitteln, also das, was ich beim eher flüchtigen Durchgehen
mitbekomme. Auf der zweiten Ebene geht es um die einzelnen
Objekte, die so angeordnet sein sollten, daß man von
ihnen angezogen wird, daß diese Dinge die Chance haben,
ihre Ausstrahlung auf den Betrachter auszuüben. Die dritte
Ebene, die auch halten muß, betrifft die Atttraktivität
für den Kenner, für Leute, die sich intensiv mit
allem beschäftigen wollen und dabei müssen sorgfältige
Kataloge ihre Funktion haben.
Anders als über Ausstellungsprojekte lassen sich gewichtige
Kataloge, ob das nun der über die Futuristen ist oder
der über die Europäischen Manierismen gar nicht
finanzieren. Streng genommen sind Ausstellungen also auch
ein Vehikel dafür, daß solche aufwendigen Bücher
heute überhaupt noch entstehen können und verbreitet
werden, ob sie nun souvenierhaft, als Lexikon oder tatsächlich
zu Studienzwecken Verwendung finden. Damit wären wir
bei Vermittlungsmechanismen, die in der Regel eher auf die
Magie bekannter Objekte als auf das zu Erforschende reagieren.
Gegenüber den Zwängen, sachliche Inhalte medial
zu vermitteln, zu vermarkten, ist in der Regel, wenn auch
als schwieriger Balanceakt, durchaus eine Abgrenzung machbar.
Die medialen Aspekte laufen unter einem Titel und erfordern
bestimmte Konsequenzen, was nicht heißen muß,
das deswegen Inhalte verkauft werden müssen. Einen Mittelweg
des nicht Mitspielens und doch Mitspielens gibt es allerdings
nicht mehr, sobald man sich zur Alternative entschlossen hat,
mit Vorstellungen an die Öffentlichkeit zu gehen.
Dem jetzt sozusagen erprobten Typus des Ausstellungsmachers
werden von Künstlern hauptsächlich in zweierlei
Richtung Vorwürfe entgegengehalten: Erstens wegen seiner
Tendenz, Künstler und Kunstwerke zu bedenkenlos für
Themenideen zu benutzen und zweitens wegen einer Verliebtheit
in die eigene Konzeptions- und Kompositionsarbeit, die sich
ebenfalls Kunst eher unterordnen will. Zeichnen sich bereits
Auswege aus solchen Kontroversen ab ?
Natürlich sind derartige Gefahren da. Eine thematische
Ausstellung, in der versucht wird, verschiedene Punkte einer
Entwicklung zu fixieren und in der deshalb verschiedene Künstler
zusammenkommen sollen, hat natürlich den Charakter, über
den einzelnen Künstler und sein gesamtes Werk eher hinwegzugehen.
Wenn ich etwa jetzt ein Selbstbildnis von Munch ausstelle,
dann lasse ich ihn als Künstler in meinem Kontext gleichsam
verschwinden. Auf der anderen Seite zeige ich aber das Portrait
von Munch und dazu ein viel früheres, z. B. von Füssli.
Damit wird eine Entwicklung abgesteckt. Nicht Künstler
allein, auch Kunsthistoriker haben gegen solche "Methoden"
oft Vorbehalte. Ich hingegen glaube, daß ich eben nur
so etwas zeigen kann, wie es sonst in dieser Unmittelbarkeit
nicht gelingen würde. Ich zeige verschiedene Stationen,
ich kann auch verschiedene Motive zeigen, wie es Szeemann
bei den "Junggesellenmaschinen" gemacht hat.
Der Idealfall ist, wenn ich niemandem auf eine andere Art
und Weise etwas bestimmtes, also etwa den Weg einer Idee,
oder die Veränderung der Selbstbetrachtung, präziser
klarmachen kann. Ideal ist ferner, wenn ich dazu nichts sagen
muß. Ich möchte auch nichts interpretieren, ich
möchte das nur zeigen. Damit bleibt, wie ich meine, sehr
wohl die Autonomie und die Achtung eines Künstlers gewahrt.
Das allerdings nur dann, wenn das betreffende Objekt so präsentiert
ist, daß es möglichst autonom figurieren kann.
Und das war bei vielen Ausstellungen der letzten jahre sehr
oft nicht der Fall. Daher meine ich auch, daß es künftig
wieder um eine stärkere Isolierung gehen muß und
daß mit Raumkonzeptionen gearbeitet werden sollte. Man
muß die weit verbreitete Angst vor der Leere verlieren.
Wichtig ist keineswegs die Masse der Objekte. Ich gehe auch
davon aus, daß man gerade in bezug auf Gegenwartskunst
Ideen haben sollte und man die durchaus mit Künstlern
gemeinsam entwickeln kann. Die kontroversielle Polarität
zwischen Künstler und Ausstellungsmacher ist doch bei
weitem nicht die einzige denkbare Form einer Zusammenarbeit.
Viele der Animositäten kommen doch daher, daß Ausstellungsmacher
auf der Documenta oder der Biennale in Machtpositionen gelangen,
die Künstler oder ganze Kunstrichtungen von ihnen abhängig
machen; die einen gewinnen, die anderen fallen, zumindest
für eine Zeit, aus dem Markt heraus.
Bei einer Besinnung auf eine größere Behutsamkeit
im Umgang mit Kunst, im Umgang mit Künstlern muß
das nicht völlig konsequent so weitergehen. Schwierig
ist ein anderer Weg sicher, weil - wie wir wissen - unsere
gesamte Kultur auf ein Konkurrenzverhalten ausgerichtet ist.
Wenn man nur mehr Einzelausstellungen machen würde, hieße
das, diesem Druck vollständig nachzugeben.
Einen neuen Blick für bestimmte Zusammenhänge zu
bekommen, also im direkten Wortsinn etwas anders zu sehen,
kann mit wissenschaftlichen Methoden und Darstellungsmöglichkeiten
allein sehr oft nicht gelingen; daß dafür verstärkt
die Kunst eingesetzt wird, bringt ja auch wissenschaftstheoretisch
einiges durcheinander.
Wenn einer engen Verwissenschaftlichung sinnvoller Weise
durch Einbeziehung z. B. literarischer Formen begegnet wird,
so bestätigt das, daß gerade Ausstellungen in ähnlicher
Weise die Schwächen einer poinitiert historischen oder
kunsthistorischen Betrachtung überwinden helfen können.
Es muß nicht alles in Permmanenz verglichen, klassifiziert,
bewertet werden. Ich will sehen - und zeigen - was über
eine gewisse Zeit hin passiert. Kunst gehört einfach
zum Raum des Wissens und der Darstellung, der für bestimmte
Phasen gesellschaftlicher Entwicklungen relevant ist. Das
getrennt zu sehen ist halte ich für faslch. Gerade Kunst
kann ich weder rein vergleichend, rein psychologisch oder
rein soziologisch interpretieren. Ihr universeller Charakter
ist es ja gerade, der sie so geeignet dafür macht, sich
mit Ideen zu beschäftigen.
Wenn man den Ausstellungssektor als flexiblen und Museumssammlungen
als statischen Bereich sieht, so stellt sich doch die Frage
nach einer intensiveren gegenseitigen Befruchtung. Das Präsentationsdesign
ist eine verbindende Ebene; ob die Sammlungsstrukturen also
solche eher beibehalten werden sollen oder immer wieder neu
zu formieren sind, darüber gehen die Meinungen stark
auseinander.
Ich halte es schon für sehr wichtig, daß in historisch
gewachsenen Sammlungen von Zeit zu Zeit neue Ordnungen gefunden
werden und daß in speziellen Ausstellungen alte Kunst
und Gegenwartskunst aufeinandertreffen. Es ist vielleicht
gar nicht immer eine Konfrontation von Objekten ganz verschiedener
Epochen notwendig; ein "moderner" Blick auf klassische
Werke wird in vielen Fällen ein anderes Sehen erzeugen
können. Ich halte auch viel davon, Künstler einzuladen,
damit ihre Begeisterung für einzelne Werke zum Tragen
kommen kann, im Dialog mit Kunsthistorikern oder in der Kooperation
bei Ausstellungen. Entscheidend sind doch die Bezüge
zu gegenwärtigen Entwicklungen und die vermisse ich in
den traditionellen Wiener Museen entschieden. Das Museum für
angewandte Kunst hat in letzter Zeit wichtige Akzente gesetzt
- aber sonst ? Man muß das ja auch im Vergleich etwa
mit der Secession sehen, die ein ganz ausgezeichnetes Programm
hat.
In den Museen überwiegt das konservatorische Moment und
die autistische Selbstreflexion vieler Kunsthistoriker. Die
meisten Leute sind Experten für sehr kleine Spezialgebiete.
Ein übergreifendes Interesse an Entwicklungen kann sich
innerhalb dieser Strukturen offenbar nur sehr schwer formieren.
Nehmen wir die Österreichische Galerie im Oberen Belvedere
her. Mit ihrem Bestand könnte man doch leicht zwei oder
drei sehr schöne Ausstellungen machen und sie dann wieder
verändern. Jetzt aber ist alles auf eine überkommene
Ordnung von Bestehendem ausgerichtet. Wenn ich dort durch
die Räume gehe, spüre ich einfach, wie es an einer
Emphatie für diese Kunstwerke mangelt.
Symptomatisch ist doch, daß - zumindest die größeren
- Ausstellungen Stoff für Kritik liefern, die Museen
selbst aber fast nie. Ist je ein Direktor für seine Präsentationsweise,
für seine Kataloge, für seine Ankaufstätigkeit
öffentlich zur Rede gestellt worden ?
Museen sind eben exterritorial. Sie waren Wunderkammern,
Raritätenkabinette und sind zu aufklärerischen Bildungsinstitutionen
geworden; inzwischen freuen wir uns, wenn sie - was sie ja
außerhalb der Touristensaison weiterhin sind - wenigstens
Orte der Ruhe und Beschaulichkeit bleiben. Turbulente Eingriffe
könnten sie ja auch tatsächlich gefährden und
deswegen müßten Veränderungen natürlich
sehr subtil angegangen werden. Die Sehnsucht nach Statik,
der sie entgegenkommen, muß man durchaus ernst nehmen.
Ihr entgegengesetzt ist die Forderung nach radikaler Aktualisierung
und Zeitbezogenheit, wie sie vor allem den Ausstellungsbereich
betrifft. Nur ist doch klar, daß alles was schon existiert
bereits der Vergangenheit gehört.
Die Utopie und Versuche ihrer Vorwegnahme müssen uns
wichtig bleiben, auch wenn wir wissen, daß sich nichteinmal
Gegenwart in Repräsentation fassen läßt. Sie
spielt sich immer noch ein Stück woanders ab. Was sich
ausstellen läßt, ist immer schon Vergangenheit.
Der Blick des Subjektes aber ist Gegenwart oder sollte gegenwärtig
sein. Und die Kunst ermöglicht es wie nichts sonst, daß
das Subjekt sich mit sich selbst auseinandersetzen kann.
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Cathrin Pichler,
Sozialwissenschaftlerin
geb. 1946 in Gmunden. Studium der Publizistik, Psychologie
und Soziologie an der Universität Wien (Dr. phil.).
Sozialwissenschaftliche Arbeiten, Mitarbeit an der Konzeption
und Realisierung von Ausstellungen in Wien, insbes.
"Kunst mit Eigen Sinn" (1985), "Wien
Fluß" (1986), "Experiment Seele"
(1989).
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