Gespräch mit Arnulf Rainer
Der Künstler ist doch immer zugleich ein intensiver
Museumsbesucher. Was fordert er von einer solchen Institution,
was stört ihn, was müßte sich ändern?
Als Besucher ist das Museum für mich ein Treffpunkt.
Das ist, pragmatisch gesagt, der Hintergrund des Museums.
Ich gehe dort privat hin oder aus beruflichen Gründen
und will einen Ort vorfinden, an dem man sich interessante
Dinge anschauen kann und der mir eine möglichst entgegenkommende
Infrastruktur bietet. In diese Richtung wird sich das auch
entwickeln, mit guten Buchhandlungen, guten Restaurants, guten
Bibliotheken, guten Sitzgelegenheiten. Alles sollte so einladend,
so benutzerfreundlich, so differenziert wie möglich sein.
Das geht nur, wenn man es von der Museumsverwaltung löst
und in private Hände gibt. Beamte schaffen das nicht.
Tendenziell müssen das Firmen machen, weil nur sie ein
Interesse an einem ordentlichen Angebot haben, korrekte Mehrwertsteuerrechnungen
ausstellen und Kataloge selbstverständlich mit Tragtasche
anbieten werden. In Österreich muß da noch viel
geschehen. Hier gehe ich sehr ungern ins Museum; man kann
sich dort mit niemandem treffen, man kann sich nirgends hinsetzen,
man kann mit niemandem reden. Selbst wenn man sich gemeinsam
etwas anschauen will wird einem das schwer gemacht.
Ein anderer Punkt sind Museumsgründungen, wie sie am
Beispiel Messepalast zur Debatte stehen. Es hat sich doch
klar herausgestellt, daß soetwas nicht von Verwaltungen
gemacht werden kann. Es sind immer starke Einzelpersönlichkeiten
notwendig, um eine vernünftige Konzeption durchzusetzen.
Wenn sich also in Wien ein Bürgermeister Zilk nicht entschließt,
während seiner Amtszeit in dieser Richtung etwas zu machen,
wird nichts zustandekommen, weil dann irgendein Nachfolger,
der weniger kulturengagiert ist, überhaupt nichts mehr
weiterbringt. Man scheint hier noch nicht zu wissen, was ein
Museum oder eine Kunsthalle überhaupt ist. Sonst würde
man die Leitung solcher Institutionen doch nicht Gemeinde-
oder Bundesbediensteten überlassen. Das ist ja so, als
ob das Burgtheater von einem Beamten geführt werden würde.
Das kann nicht funktionieren. Es geht heutzutage nur mit Intendantenverträgen
auf Zeit. Solche Positionen müssen höher bezahlt
sein, weil die gestellten Anforderungen auch ganz andere sind
und für die wirtschaftlichen Fragen gehört wahrscheinlich
ein zweiter Mann her.
In Berufsbild und Laufbahn von Kunsthistorikern sind solche
Entwicklungen bisher kaum vorgesehen.
Das muß auf Sicht sowieso ganz anders gelöst werden.
Kunsthistoriker haben keine Managementausbildung, sie haben
nicht einmal eine Ausbildung im Ausstellungswesen, meistens
sind sie Experten für irgendein kleines Spezialgebiet.
Ihre Sicht ist auch eine ganz andere als bei jemandem, der
freiberuflich als Kulturmanager tätig ist. Wichtig muß
das Erfolgsprinzip sein. Die wissenschaftliche Aufbereitung
liegt auf einer anderen Ebene und läßt sich ohne
weiteres gesondert davon abwickeln.
Ich halte es auch für wichtig, daß Museen, die
Bestände zeigen und verwalten überlegter von einer
Ausstellungsorientierung, von Kunsthallen abgegrenzt werden.
Eine Kombination beider Ausrichtungen ist schwierig; die Denkweisen
unterscheiden sich, es sind jeweils anders ausgerichtete Direktoren
notwendig. Ein Museum also mit einem Ausstellungsbetrieb zu
harmonisieren ist, wenn man strenge Maßstäbe anlegt
- und anders geht es gar nicht mehr - nicht unbedingt der
richtige Weg. Für Ausstellungen sollten hauptsächlich
Ausstellungsmacher, Gastregisseure verpflichtet werden. Für
den Museumsdirektor ist diese Konkurrenz nicht so einfach.
Er müßte zurückstecken können, müßte
fähig sein, die Lorbeeren immer wieder andern zu überlassen.
Jedenfalls: Das Museums- und Ausstellungswesen hat sich am
besten in jenen Städten entwickelt, die mit anderen unmittelbar
in Konkurrenz stehen, die sich durch ihre kulturelle Infrastruktur
möglichst deutlich abheben wollen. Beim Übergewicht
Wiens, das nicht zu einem entsprechenden Ehrgeiz gezwungen
ist, wird das hier schwer sein. Ich erwarte mir daher eher
von kleineren Städten, von Linz, Graz oder Salzburg etwas,
wo es ja überall Pläne gibt. Äußerst
wichtig dabei ist, daß jeweils andere Schwerpunkte und
Akzente gefunden werden. Es darf nicht alles gleich ausschauen,
mit ähnlichen Kollektionen, denselben Künstlern,
da sonst dem Museumspublikum, das jeweils aus immer größer
werdenden Einzugsbereichen kommt und ähnlich strukturiert
ist, auf Dauer nichts Unverwechselbares geboten werden kann.
Das hieße: Scharfer Wettbewerb, Konkurrenz, unterschiedlichste
Institutionen, staatlich, halbstaatlich, privat.
Anders bringt es nichts. In New York hat sich das Guggenheim
Museum eher auf internationale Kunst spezialisiert, mit Überschneidungen
zum Museum of Modern Art hin; das Whitney Museum wiederum
ist nur für Amerikaner. Selbst die Sponsoren müssen
gegeneinander antreten. Es kann sein, daß Wien nicht
groß genug ist. Aber bereits zwei selbständige
Ausstellungshallen würden ein Kräftespiel in Gang
setzen.
Auf Museen bezogen wird Wien von den Bundesmuseen dominiert;
die Stadt hat ja nur ihr Historisches Museum und die Ausstellungsserien,
vor allem der Festwochen - also eine innerstaatliche Konkurrenz.
Die Stadt Wien hat mehr Geld als der Bund, aber viel weniger
getan für die Kunst des 20. Jahrhunderts als er. In ganz
Europa gibt es keine Stadt dieser Größenordnung,
die noch immer nicht über eine große Ausstellungshalle
verfügt. Noch 1965 ist von der Gemeinde die traditionsreiche
und sehr brauchbare Zedlitzhalle abgerissen und durch einen
der scheußlichsten Neubauten des Landes ersetzt worden.
Ich habe damals ganz in der Nähe gewohnt und bin bald
darauf weggezogen, weil ich dermaßen deprimiert gewesen
bin über die davon ausgelöste Zerstörung eines
ganzen Viertels. Wenn jetzt mit einem Privatsammler wie Oskar
Schmidt ein Museumsprojekt läuft - von dem ich sehr hoffe,
daß etwas daraus wird - so entlastet es die Gemeinde
Wien nicht von ihrer sonstigen Verantwortung. Es ist doch
absurd, daß eine, von Rudi Fuchs angebotene Mondrian-Ausstellung
in Wien nicht stattfinden kann, weil es keine Räume gibt,
wo diese heiklen, äußerst wichtigen Bilder mit
der ihnen gebührenden Reputation und den notwendigen
klimatischen und sicherheitstechnischen Maßnahmen ausgestellt
werden können. Es ist auch falsch in diesem Zusammenhang
auf die möglicherweise 1995 kommende Weltausstellung
zu schielen. Dafür werden dann zwar irgendwo draußen
Ausstellungshallen gebaut und man wird glauben, künftig
wird dort einmal eine Jagdausstellung sein können und
hin und wieder etwas Kunst. Erstens einmal ist das viel zuweit
vom Zentrum weg, es ist nicht mehr urban und zweitens bekommt
man heute wichtige Ausstellungen nur mehr in renommierte Institute,
die über ausgebildetes Personal und die gesamte Infrastruktur
verfügen. Beliebige Hallen werden höchstens noch
für den bilateralen Kulturaustausch oder für bulgarische
Kunst akzeptiert.
Angesichts dieser Umstände bin ich daher auch bezüglich
des Messepalast-Projektes skeptisch. Was soll denn daraus
werden, solange niemand begreift, daß man zuerst jene
Person finden muß, die das ganze konzipiert und einrichtet
? Das wäre mindestens so wichtig wie die Architektur.
Ein Gründungsintendant also, was doch nichts völlig
Neues ist.
Ja, dem muß von Anfang an Verantwortung übertragen
werden, mit einem Zeitvertrag natürlich, weil ja beträchtliche
Risiken eingegangen werden. Das sollte gar kein Österreicher
sein, sondern jemand, der die Maßstäbe der internationalen
Kunstwelt vertritt und sich mit diesem Anspruch seine Reputation
erworben hat. Zugleich müssen natürlich auch alle
hiesigen Museen verbessert werden, so daß man gerne
hingeht, öfters hingeht und regelmäßig dieselben
Museen besucht. Man muß doch sehen, daß die Erfordernisse
immer noch höher werden, auch was die Athmosphäre
betrifft und das international übliche Angebot, von Zeitschriften,
Büchersälen, Restaurants, Kinos, große Sonderausstellungen
bis hin zu verschiedenen Sammlungsbereichen. Damit sinnd wir
wieder beim Treffpunkt, beim Promenieren, von dem ich ausgegangen
bin.
Damit wird sehr stark jene Entwicklungsachse betont, die
von unterhaltenden Elementen bestimmt wird. In der Entfernung
von puren, widerständlerischen Museumsauffassungen liegt
aber doch die eminente Gefahr eines Aufgehens im kulturellen
Einerlei, eines Aufgehens in urban-kulturellen Inszenierungsmustern,
mit sehr geringen Chancen für Irritation, für Neugier,
für eine soziale Sensibilisierung.
Es muß beides zugleich geben. Unterhaltung und "das
Andere" schließen einander überhaupt nicht
aus. Im Gegenteil, so kann es erst zu Steigerungen kommen.
Natürlich hat ein Museum zuallererst die Aufgabe, Maßstäbe
für die Kunst, für zeitgenössische Kunst zu
setzen - und zwar sehr harte, deutliche, kräftige. Das
schließt aber Amusement nicht aus, das in diesem Zusammenhang
übrigens ohendies von den Künstlern her kommt, von
der Pop Art usw. Daß zu einem Disneyland oft nur noch
verschwimmende Unterschiede bestehen, muß damit ja nicht
gemeint sein. Irgendwo draußen am Stadtrand soll es
derartiges ruhig geben. Ein Museum kann damit nicht ersetzt
werden.
Eine Erneuerung der Museen - z. B. auf Wien bezogen - müßte
ja sehr viele inhaltliche und strukturelle Ebenen umfassen,
angefangen von der Organisation, vom personellen System, über
die Sammlungsschwerpunkte bis hin zur Adaptierung der Häuser.
Gibt es z. B. sammlungsmäßig Forderungen, die die
Diskussion befruchten könnten ?
Um das zu beantworten müßte man sehr genaue Kenntnisse
haben. Ein Gedanke dazu: Die Konzepte sollten so flexibel
sein, daß künftig viel energischer attraktive österreichische
und ausländische Privatsammlungen eingegliedert werden
können. Es müßte auch dafür vorgesorgt
werden, daß man prominente Sammlungen vorübergehend
herholen kann, für zwei Jahre etwa. Ein ganz wichtiger
Punkt ist selbstverständlich, daß die Art der Aufstellung
neu überdacht wird und die Objekte schließlich
besser zur Wirkung kommen. Und personell müßte
sich vieles dramatisch ändern.
Die Offenheit des Museums ist das Allerwichtigste. Es müssen
Strukturen geschaffen werden, in denen die Kunsthistoriker
in neu überlegte Funktionen hineinwachsen können,
in denen die Verwaltung sich zu einem wirkungsvollen Management
entwickeln kann, in denen unabhängige Ausstellungsmacher
und freie Mitarbeiter eine dominante Rolle zukomt. Jetzt ist
es doch so, daß irgendwelche Abteilungsleiter die kleineren
Ausstellungen machen dürfen, während sich der Direktor
die großen vorbehält. Das ist ein viel zu simples
Prinzip. Das muß viel flexibler werden.
Das Retrospektive wäre noch ein Punkt, die rückblickende
Sicht, von der alles überstrahlt wird.
Ins 20. Jahrhundert holen kann man ja etwas immer nur durch
eine neue Betrachtungsweise. Dafür müssen unter
Umständen gar nicht Werke der Gegenwartskunst in einer
Ausstellung präsent sein. Natürlich ist das das
Wichtigste; es ist aber auch eine eigene Kunst. Etwas so zu
inszenieren, daß man es neu sieht, mit neuen Augen,
das können wahrscheinlich nur Inszenierungskönige.
Selbst einem so guten Kunsthistoriker wie Werner Hofmann ist
das bei "Zauber der Medusa" nicht sehr befriedigend
gelungen, vermutlich, weil er es mit einer Inflation von Material
versucht hat. Das heißt aber natürlich nicht, daß
gerade in solchen, für unsere unmittelbaren Denkweisen
so wichtigen Richtungen vehement weitergearbeitet werden muß.
Andererseits ist es kein Geheimnis, daß sich viele
Künstler gegen die Ausstellungsmacher stellen, mit dem
Hauptargument, daß Kunst - oder ihre eigene künstlerische
Arbeit - sich zu sehr irgendwelchen Ideen und Konzepten unterordnen
muß.
Da bin ich ganz anderer Ansicht. Ich fürchte mich auch
nicht vor diesen Leuten. Ich würde sicher nicht mit jedem
arbeiten, weil einen manche sicher irgendwie in ein Eck inszenieren.
Aber notwendig ist das schon. Bei meiner Ausstellung im Guggenheim
Museum 1989 bin ich z. B. überhaupt nur Zaungast. Ich
mische mich nicht in die Bilderauswahl eín, es ist
keine Retrospektive, es gibt keine zeitliche Ordnung, nur
Bilder; Bilder die in die Architektur des Museums hineingestellt
werden. Ich schaue da nur zu und habe nichts dagegen. Das
Problem sehe ich eher darin, daß wir viel zuwenig Leute
haben, die das können, die das wollen; inklusive der
Künstler selbst.
Für die bildende Kunst entsteht langsam doch ein höherer
Stellenwert in diesem Land; im Vergleich zur Musik- und Schauspieldominanz
ist er immer noch marginal. Sind kulturpolitische Maßnahmen
denkbar, gegen solche Ungleichgewichtigkeiten ?
Die darstellenden Künste sind meiner Meinung nach an
Expansionsgrenzen angelangt. Für einen weiteren Ausbau
sind die Kräfte nicht mehr da. Man kann in Wien vielleicht
noch einige Musical-Tempel errichten mit Personal aus Osteuropa
- wo sicher nicht die schlechtesten Künstler herkommen
- aber viel mehr ist in dieser Entwicklung nicht drinnen,
trotz des enormen Aufwandes. Deswegen muß man ja auf
den Erweiterungsimpetus, der in der bildenden Kunst steckt,
zurückkommen. Bildende Kunst hat diesbezüglich viele
Vorteile. Die Leute können, wann immer sie Zeit haben,
Ausstellungen und Museen befsuchen, unter Tags, am Abend,
an Wochenenden. Man muß kaum vorausplanen, muß
keine Karten bestellen. Darin liegen ganz wesentliche Ursachen
dafür, daß bildende Kunst ein immer größeres
Publikum anzieht. Das wird Begrenzungen haben, sich nicht
ins Unendliche fortsetzen. Nur, der kritische Punkt kommt
vielleicht erst in zwanzig Jahren.
Über die Anziehungskraft des Bildes habe ich aber noch
weiterführende Rainer-Argumentationen in Erinnerung,
die ausdrücklich die Statik - als Kraft gegenüber
der Flut beweglicher Bilder - beschworen haben. Ihre authentische
Wiederholung könnte hier zu einer Präzisierung beitragen.
Beim gemalten Bild gibt es tatsächlich eine extreme
Verdichtung, es ist nicht unbedingt zeitaufwendig, kann in
wenigen Momenten sehr viel mitteilen. In zwei Sekunden kann
man mit einem Bild unter Umständen sehr starke Erlebnisse
haben. Deswegen ist die bildende Kunst auch so wettbewerbsfähig
gegenüber anderen Künsten. Außerdem wird es
immer mehr qualifizierte Wirtschaftsleute geben, die nicht
mehr viel Zeit haben für Kunst, fürs Lesen, für
Musik, aber trotzdem ein starkes Bedürfnis, sich mit
Kunst auseinanderzusetzen. Mit Bildern ist das auch unter
angespannten Umständen möglich. Sehr wichtig ist,
daß sie in Besitz genommen werden können. Das darf
man nicht unterschätzen. Besitz von Kunst ist ein sehr
gravierendes Faktum. Das darf man keineswegs negativ sehen.
Daran knüpfen sich unter Umständen die verschiedensten
Varianten künstlerischer Aussagen.
Im Besitzdenken liegt auch die Verbindung zum Geflecht der
Verwertungsinteressen, zum Kunsthandel, das ja vom Geschehen
in den Museen nicht zu trennen ist. Gegenüber dem Geschäft
mit Tantiemen, mit Urheberrechten, mit Schallplatten, Videos,
Tapes und Disks, das den Musik-, Theater- und Filmsektor prägt,
hält sich die "Dynamik" bildender Kunst aber
immer noch in Grenzen.
Daß der Kunsthandel an Museumsausstellungen ein großes
Interesse hat ist selbstverständlich; für beide
Seiten bringt das eine Belebung. Natürlich geht es nicht
um so große Summen wie etwa in der Musik. Das ist aber
nicht das Wesentliche. Es gibt überall Schichten, die
sich separieren wollen, die sich abheben wollen und für
sie ist die bildende Kunst ein wichtiger Faktor. Das bringt
ins Ausstellungswesen Leben hinein und erzeugt somit auch
für das breite Publikum Impulse. In den USA ist es z.
B. doch längst schon üblich, daß sich solche
speziell interessierte Gruppen Ausstellungen vorneweg in einem
besonderen Rahmen ansehen können und soetwas erzeugt
die Verpflichtung für das betreffende Museum etwas zu
tun. Da habe ich überhaupt nichts dagegen, im Gegenteil.
Unseren staatlichen Museen wird nun ohnedies verstärkt
dieser Weg vorgeschrieben; die Frage ist, wieweit die Beeinflussungen
gehen - bei Ausstellungen und bei Ankäufen.
Das Kaufen muß einen Sinn haben. Es darf nicht als
Subvention behandelt werden. Alle guten Sammlungen sind letzten
Endes als Bereicherung abgelaufen. Jemand wollte sich eben
immer wieder etwas nicht entgehen lassen. Für das Kunsthistorische
Museum gilt das ganz besonders. Sie wollten besitzen, das
sie anderen nicht gegönnt haben. Das ist ein viel stärkeres
Prinzip, als wenn ich bloß sage, lieber Mäzen,
unterstütze mit deinem Geld irgendwelche Künstler.
In strenger Konsequenz dessen, müßten die Kunstschätze
der Museen periodisch bewertet werden, in Bilanzen, mit allen
Wertsteigerungen und stillen Reserven; als dominanter Teil
des Volksvermögens, genauso wie das Vermögen der
Nationalbank.
Ja, das müßte so gemacht werden. Es soll ohne
weiteres viel mehr angekauft werden, aber es muß eine
Marktrelevanz haben. Die Preise müssen stimmen. Unser
verstaatlichtes Auktionswesen bietet dafür keinerlei
Garantien. Das Dorotheum hat praktisch ein Monopol. Man muß
das organisieren wie in England, wo das Versteigerungswesen
blüht, weil es eine sehr scharfe Konkurrenz gibt. Nur
dadurch entsteht ein Druck auf die Relation von Einkaufs-
und Wiederverkaufspreisen.
Dennoch: Das Museum als öffentliche Institution muß
sich, soferne es nicht völlig einer Kommerzialisierung
ausgeliefert wird, doch immer wieder entschieden gegen Marktprozesse
stellen. Andernfalls gibt es seine Funktion als Ort der Maßstäbe
- so fließend die Veränderungen diesbezüglicher
Vereinbarungen auch sein mögen - eigentlich endgültig
auf.
Es hat sich aber klar gezeigt, daß die Marktprozesse
in der Kunst eine bessere Auslese garantieren, als irgendwelche
staatlichen Interventionen. Früher hat man geglaubt,
das ist alles nur Spekulation. In Wahrheit waren das alles
Begriffe und Denkweisen eines eher naiven Antikapitalismus.
Auch die besten Museumsdirektoren hätten nie die Berliner
Sammlung Marx zusammengebracht, die sich auf einige wenige
Künstler konzentriert und in wenigen Jahren einen ungeheuren
Wertzuwachs erreicht hat. Inwieweit ein Sammler seine Objekte
liebt und zugleich - oder primär - die möglichen
Gewinne im Auge hat, ist für das Resultat letztlich gleichgültig.
Für Museen ist entscheidend, daß sie jeweils um
das allerwichtigste Bild bemüht sind, das von einem Künstler
gerade greifbar ist. Im Vergleich zu dem, was der Platz für
ein solches Bild im Museum dann insgesamt kostet, sind die
Preise nebensächlich. Man muß ja die Baukosten,
die kunsthistorische Arbeit, die Verwaltung, den ganzen laufenden
Aufwand diesem eigentlichen Zweck - dem Zeigen von Kunstwerken
- zurechnen.
Auf Wien bezogen fluten immer zwei Argumentationen hin und
her und auch durch den eigenen Kopf. Die eine sagt, der Staat
hat jahrzehntelang nichts für die bildende Kunst getan,
hat nichts oder das Falsche gesammelt und ausgestellt, während
die andere betont, daß immerhin einiges besser wird.
Läßt sich das überhaupt so allgemein anklagend
oder beschwichtigend sehen ?
In dieser Frage muß man genau sein und sich z. B. anschauen
was ein Dieter Ronte m?
für das Museum Moderner Kunst in Wien gesammelt hat und
was ein Werner Schmalenbach in Düsseldorf. Nordrhein-Westfalen
ist ja a priori kein reicheres Land als Österreich und
in beiden Fällen läßt sich privates Geld auftreiben,
wenn man zugleich an einer entsprechenden Reputation arbeitet.
Es muß eben zentrale Kräfte geben, die in einer
signifikanten Weise wirksam werden.
Auch räumlich zentralisiert, wie es das Messepalast-Projekt
vorsieht ?
Grundsätzlich schon. Jedenfalls darf die Zerstreuung
auf verschiedene Plätze nicht zu groß sein. Für
die Sammlung Schmidt z. B. könnte man dort Räume
vorsehen, das hielte ich für besser als ein eigenes Palais.
Außerdem muß man einbeziehen, daß heute
alle Künstler darüber nachdenken, was nach ihrem
Tod aus ihren Werken wird. Der Staat sollte sich also darauf
einstellen, daß er für Künstlernachlässe,
für Stiftungen von Künstlern - die eine immer wichtigere
Rolle spielen werden - Räumlichkeiten vorsieht. Auch
für Künstler mit bloß regionaler Bedeutung
stellt sich diese, z. B. auf ihre Heimatstadt bezogene Frage
nach Konstruktionen, die dem Werk eine gebührende Geltung
verleihen.
Damit wären wir doch wieder beim Staat und seiner Funktion,
ein öffentliches Interesse wahrzunehmen.
Es muß einfach eine gewisse Konkurrenzierung zwischen
dem Staat und der Privatwirtschaft geben. In Österreich
mit seiner Staatswirtschaft fehlt sie eben weitgehend. Wer
sich vor mehr privater Beteiligung am Kunstgeschehen fürchtet
muß doch sehen, daß in den USA, wo fast alles
auf privatwirtschaftlicher Ebene abläuft, die Museen
doch sehr viel stärker auf ihre Unabhängigkeit bedacht
sind als bei uns. Ein Sponsor hat doch dort in Ausstellungen
überhaupt nichts dreinzureden. Unsere große Österreichausstellung
in Washington hingegen ist doch bekanntlich daran gescheitert,
daß sich die österreichische Regierung in die Künstlerauswahl
eingemischt hat. Die Amerikaner haben daraufhin sofort abgeblockt
und sind keinerlei Kompromisse eingegangen. Das ist doch das
Interessante, amerikanische Museen sind unter Umständen
viel unabhängiger und schaffen es dadurch auch eine höhere
Reputation aufzubauen. Außerdem gibt es dort eine starke
Moralität des Museums, was ja hier auch übersehen
wird. Mit bestimmten Branchen arbeiten sie grundsätzlich
nicht zusammen, obwohl gerade von dort her sehr viel Geld
kommen würde; das ist die Waffenindustrie, die Glückspielindustrie,
die Nikotin- und Alkoholindustrie.
Wenn man in Österreich hingegen schaut, wer Kunst fördert,
dann steht ausgerechnet das Tabak- und das Glückspielmonopol
im Vordergrund. Daß um eine Firma Suchard wegen einer
einzigen Opernsponsion ein Starkult betrieben wird, ist nur
hier möglich. In den USA ist der Kodex für solche
Kooperationen jedenfalls viel strenger. Dazu muß und
wird es auch bei uns kommen. Sobald wir eine breitere Schicht
von Sponsoren haben, werden sie von sich aus an Regeln, die
eine Unabhängigkiet der Museen sichern, interessiert
sein, weil sich doch sonst das ganze System des Imagetransfers
rasch selbst entwertet.
Das "Amerikanische Modell" bestimmt ohnehin in
starkem Maße die hiesige Museumsdiskussion; nach dem
Muster, der Staat soll die Grundkosten tragen, zusätzliches
Geld muß sich jedes Haus selbst beschaffen. Nicht nur
wegen der österreichischen Wirtschaftstruktur wäre
das ein dorniger Weg.
Erstens muß und wird dieses Land in die EG eingebunden
werden; etwas anderes ist gar nicht möglich. Zweitens
sind solche Forderungen meiner Ansicht nach kein unbilliges
Verlangen. Eine gewisse Generation, die ganz anders aufgewachsen
und ausgebildet ist, wird das nicht mehr schaffen. Es werden
sich aber Persönlichkeiten herausbilden, die das können
und das von ihnen beschaffte Geld für eine anspruchsvolle
Museumspolitik einsetzen.
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Arnulf Rainer, Maler
geb. 1929 in Baden bei Wien. Jüngste große
Ausstellungen z. B. im Centre Georges Pompidou, Paris,
in der Nationalgalerie Berlin. In Vorbereitung: Guggenheim
Museum, New York und Centro Cultural Reina Sofia, Madrid.
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