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www.ChristianReder.net: Publikationen: Museumsgespräche: A. Rainer
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Arnulf Rainer

Der Künstler ist doch immer zugleich ein intensiver Museumsbesucher. Was fordert er von einer solchen Institution, was stört ihn, was müßte sich ändern?

Als Besucher ist das Museum für mich ein Treffpunkt. Das ist, pragmatisch gesagt, der Hintergrund des Museums. Ich gehe dort privat hin oder aus beruflichen Gründen und will einen Ort vorfinden, an dem man sich interessante Dinge anschauen kann und der mir eine möglichst entgegenkommende Infrastruktur bietet. In diese Richtung wird sich das auch entwickeln, mit guten Buchhandlungen, guten Restaurants, guten Bibliotheken, guten Sitzgelegenheiten. Alles sollte so einladend, so benutzerfreundlich, so differenziert wie möglich sein. Das geht nur, wenn man es von der Museumsverwaltung löst und in private Hände gibt. Beamte schaffen das nicht. Tendenziell müssen das Firmen machen, weil nur sie ein Interesse an einem ordentlichen Angebot haben, korrekte Mehrwertsteuerrechnungen ausstellen und Kataloge selbstverständlich mit Tragtasche anbieten werden. In Österreich muß da noch viel geschehen. Hier gehe ich sehr ungern ins Museum; man kann sich dort mit niemandem treffen, man kann sich nirgends hinsetzen, man kann mit niemandem reden. Selbst wenn man sich gemeinsam etwas anschauen will wird einem das schwer gemacht.
Ein anderer Punkt sind Museumsgründungen, wie sie am Beispiel Messepalast zur Debatte stehen. Es hat sich doch klar herausgestellt, daß soetwas nicht von Verwaltungen gemacht werden kann. Es sind immer starke Einzelpersönlichkeiten notwendig, um eine vernünftige Konzeption durchzusetzen. Wenn sich also in Wien ein Bürgermeister Zilk nicht entschließt, während seiner Amtszeit in dieser Richtung etwas zu machen, wird nichts zustandekommen, weil dann irgendein Nachfolger, der weniger kulturengagiert ist, überhaupt nichts mehr weiterbringt. Man scheint hier noch nicht zu wissen, was ein Museum oder eine Kunsthalle überhaupt ist. Sonst würde man die Leitung solcher Institutionen doch nicht Gemeinde- oder Bundesbediensteten überlassen. Das ist ja so, als ob das Burgtheater von einem Beamten geführt werden würde. Das kann nicht funktionieren. Es geht heutzutage nur mit Intendantenverträgen auf Zeit. Solche Positionen müssen höher bezahlt sein, weil die gestellten Anforderungen auch ganz andere sind und für die wirtschaftlichen Fragen gehört wahrscheinlich ein zweiter Mann her.

In Berufsbild und Laufbahn von Kunsthistorikern sind solche Entwicklungen bisher kaum vorgesehen.

Das muß auf Sicht sowieso ganz anders gelöst werden. Kunsthistoriker haben keine Managementausbildung, sie haben nicht einmal eine Ausbildung im Ausstellungswesen, meistens sind sie Experten für irgendein kleines Spezialgebiet. Ihre Sicht ist auch eine ganz andere als bei jemandem, der freiberuflich als Kulturmanager tätig ist. Wichtig muß das Erfolgsprinzip sein. Die wissenschaftliche Aufbereitung liegt auf einer anderen Ebene und läßt sich ohne weiteres gesondert davon abwickeln.
Ich halte es auch für wichtig, daß Museen, die Bestände zeigen und verwalten überlegter von einer Ausstellungsorientierung, von Kunsthallen abgegrenzt werden. Eine Kombination beider Ausrichtungen ist schwierig; die Denkweisen unterscheiden sich, es sind jeweils anders ausgerichtete Direktoren notwendig. Ein Museum also mit einem Ausstellungsbetrieb zu harmonisieren ist, wenn man strenge Maßstäbe anlegt - und anders geht es gar nicht mehr - nicht unbedingt der richtige Weg. Für Ausstellungen sollten hauptsächlich Ausstellungsmacher, Gastregisseure verpflichtet werden. Für den Museumsdirektor ist diese Konkurrenz nicht so einfach. Er müßte zurückstecken können, müßte fähig sein, die Lorbeeren immer wieder andern zu überlassen.
Jedenfalls: Das Museums- und Ausstellungswesen hat sich am besten in jenen Städten entwickelt, die mit anderen unmittelbar in Konkurrenz stehen, die sich durch ihre kulturelle Infrastruktur möglichst deutlich abheben wollen. Beim Übergewicht Wiens, das nicht zu einem entsprechenden Ehrgeiz gezwungen ist, wird das hier schwer sein. Ich erwarte mir daher eher von kleineren Städten, von Linz, Graz oder Salzburg etwas, wo es ja überall Pläne gibt. Äußerst wichtig dabei ist, daß jeweils andere Schwerpunkte und Akzente gefunden werden. Es darf nicht alles gleich ausschauen, mit ähnlichen Kollektionen, denselben Künstlern, da sonst dem Museumspublikum, das jeweils aus immer größer werdenden Einzugsbereichen kommt und ähnlich strukturiert ist, auf Dauer nichts Unverwechselbares geboten werden kann.

Das hieße: Scharfer Wettbewerb, Konkurrenz, unterschiedlichste Institutionen, staatlich, halbstaatlich, privat.

Anders bringt es nichts. In New York hat sich das Guggenheim Museum eher auf internationale Kunst spezialisiert, mit Überschneidungen zum Museum of Modern Art hin; das Whitney Museum wiederum ist nur für Amerikaner. Selbst die Sponsoren müssen gegeneinander antreten. Es kann sein, daß Wien nicht groß genug ist. Aber bereits zwei selbständige Ausstellungshallen würden ein Kräftespiel in Gang setzen.

Auf Museen bezogen wird Wien von den Bundesmuseen dominiert; die Stadt hat ja nur ihr Historisches Museum und die Ausstellungsserien, vor allem der Festwochen - also eine innerstaatliche Konkurrenz.

Die Stadt Wien hat mehr Geld als der Bund, aber viel weniger getan für die Kunst des 20. Jahrhunderts als er. In ganz Europa gibt es keine Stadt dieser Größenordnung, die noch immer nicht über eine große Ausstellungshalle verfügt. Noch 1965 ist von der Gemeinde die traditionsreiche und sehr brauchbare Zedlitzhalle abgerissen und durch einen der scheußlichsten Neubauten des Landes ersetzt worden. Ich habe damals ganz in der Nähe gewohnt und bin bald darauf weggezogen, weil ich dermaßen deprimiert gewesen bin über die davon ausgelöste Zerstörung eines ganzen Viertels. Wenn jetzt mit einem Privatsammler wie Oskar Schmidt ein Museumsprojekt läuft - von dem ich sehr hoffe, daß etwas daraus wird - so entlastet es die Gemeinde Wien nicht von ihrer sonstigen Verantwortung. Es ist doch absurd, daß eine, von Rudi Fuchs angebotene Mondrian-Ausstellung in Wien nicht stattfinden kann, weil es keine Räume gibt, wo diese heiklen, äußerst wichtigen Bilder mit der ihnen gebührenden Reputation und den notwendigen klimatischen und sicherheitstechnischen Maßnahmen ausgestellt werden können. Es ist auch falsch in diesem Zusammenhang auf die möglicherweise 1995 kommende Weltausstellung zu schielen. Dafür werden dann zwar irgendwo draußen Ausstellungshallen gebaut und man wird glauben, künftig wird dort einmal eine Jagdausstellung sein können und hin und wieder etwas Kunst. Erstens einmal ist das viel zuweit vom Zentrum weg, es ist nicht mehr urban und zweitens bekommt man heute wichtige Ausstellungen nur mehr in renommierte Institute, die über ausgebildetes Personal und die gesamte Infrastruktur verfügen. Beliebige Hallen werden höchstens noch für den bilateralen Kulturaustausch oder für bulgarische Kunst akzeptiert.
Angesichts dieser Umstände bin ich daher auch bezüglich des Messepalast-Projektes skeptisch. Was soll denn daraus werden, solange niemand begreift, daß man zuerst jene Person finden muß, die das ganze konzipiert und einrichtet ? Das wäre mindestens so wichtig wie die Architektur.

Ein Gründungsintendant also, was doch nichts völlig Neues ist.

Ja, dem muß von Anfang an Verantwortung übertragen werden, mit einem Zeitvertrag natürlich, weil ja beträchtliche Risiken eingegangen werden. Das sollte gar kein Österreicher sein, sondern jemand, der die Maßstäbe der internationalen Kunstwelt vertritt und sich mit diesem Anspruch seine Reputation erworben hat. Zugleich müssen natürlich auch alle hiesigen Museen verbessert werden, so daß man gerne hingeht, öfters hingeht und regelmäßig dieselben Museen besucht. Man muß doch sehen, daß die Erfordernisse immer noch höher werden, auch was die Athmosphäre betrifft und das international übliche Angebot, von Zeitschriften, Büchersälen, Restaurants, Kinos, große Sonderausstellungen bis hin zu verschiedenen Sammlungsbereichen. Damit sinnd wir wieder beim Treffpunkt, beim Promenieren, von dem ich ausgegangen bin.

Damit wird sehr stark jene Entwicklungsachse betont, die von unterhaltenden Elementen bestimmt wird. In der Entfernung von puren, widerständlerischen Museumsauffassungen liegt aber doch die eminente Gefahr eines Aufgehens im kulturellen Einerlei, eines Aufgehens in urban-kulturellen Inszenierungsmustern, mit sehr geringen Chancen für Irritation, für Neugier, für eine soziale Sensibilisierung.

Es muß beides zugleich geben. Unterhaltung und "das Andere" schließen einander überhaupt nicht aus. Im Gegenteil, so kann es erst zu Steigerungen kommen. Natürlich hat ein Museum zuallererst die Aufgabe, Maßstäbe für die Kunst, für zeitgenössische Kunst zu setzen - und zwar sehr harte, deutliche, kräftige. Das schließt aber Amusement nicht aus, das in diesem Zusammenhang übrigens ohendies von den Künstlern her kommt, von der Pop Art usw. Daß zu einem Disneyland oft nur noch verschwimmende Unterschiede bestehen, muß damit ja nicht gemeint sein. Irgendwo draußen am Stadtrand soll es derartiges ruhig geben. Ein Museum kann damit nicht ersetzt werden.

Eine Erneuerung der Museen - z. B. auf Wien bezogen - müßte ja sehr viele inhaltliche und strukturelle Ebenen umfassen, angefangen von der Organisation, vom personellen System, über die Sammlungsschwerpunkte bis hin zur Adaptierung der Häuser. Gibt es z. B. sammlungsmäßig Forderungen, die die Diskussion befruchten könnten ?

Um das zu beantworten müßte man sehr genaue Kenntnisse haben. Ein Gedanke dazu: Die Konzepte sollten so flexibel sein, daß künftig viel energischer attraktive österreichische und ausländische Privatsammlungen eingegliedert werden können. Es müßte auch dafür vorgesorgt werden, daß man prominente Sammlungen vorübergehend herholen kann, für zwei Jahre etwa. Ein ganz wichtiger Punkt ist selbstverständlich, daß die Art der Aufstellung neu überdacht wird und die Objekte schließlich besser zur Wirkung kommen. Und personell müßte sich vieles dramatisch ändern.
Die Offenheit des Museums ist das Allerwichtigste. Es müssen Strukturen geschaffen werden, in denen die Kunsthistoriker in neu überlegte Funktionen hineinwachsen können, in denen die Verwaltung sich zu einem wirkungsvollen Management entwickeln kann, in denen unabhängige Ausstellungsmacher und freie Mitarbeiter eine dominante Rolle zukomt. Jetzt ist es doch so, daß irgendwelche Abteilungsleiter die kleineren Ausstellungen machen dürfen, während sich der Direktor die großen vorbehält. Das ist ein viel zu simples Prinzip. Das muß viel flexibler werden.

Das Retrospektive wäre noch ein Punkt, die rückblickende Sicht, von der alles überstrahlt wird.

Ins 20. Jahrhundert holen kann man ja etwas immer nur durch eine neue Betrachtungsweise. Dafür müssen unter Umständen gar nicht Werke der Gegenwartskunst in einer Ausstellung präsent sein. Natürlich ist das das Wichtigste; es ist aber auch eine eigene Kunst. Etwas so zu inszenieren, daß man es neu sieht, mit neuen Augen, das können wahrscheinlich nur Inszenierungskönige. Selbst einem so guten Kunsthistoriker wie Werner Hofmann ist das bei "Zauber der Medusa" nicht sehr befriedigend gelungen, vermutlich, weil er es mit einer Inflation von Material versucht hat. Das heißt aber natürlich nicht, daß gerade in solchen, für unsere unmittelbaren Denkweisen so wichtigen Richtungen vehement weitergearbeitet werden muß.

Andererseits ist es kein Geheimnis, daß sich viele Künstler gegen die Ausstellungsmacher stellen, mit dem Hauptargument, daß Kunst - oder ihre eigene künstlerische Arbeit - sich zu sehr irgendwelchen Ideen und Konzepten unterordnen muß.

Da bin ich ganz anderer Ansicht. Ich fürchte mich auch nicht vor diesen Leuten. Ich würde sicher nicht mit jedem arbeiten, weil einen manche sicher irgendwie in ein Eck inszenieren. Aber notwendig ist das schon. Bei meiner Ausstellung im Guggenheim Museum 1989 bin ich z. B. überhaupt nur Zaungast. Ich mische mich nicht in die Bilderauswahl eín, es ist keine Retrospektive, es gibt keine zeitliche Ordnung, nur Bilder; Bilder die in die Architektur des Museums hineingestellt werden. Ich schaue da nur zu und habe nichts dagegen. Das Problem sehe ich eher darin, daß wir viel zuwenig Leute haben, die das können, die das wollen; inklusive der Künstler selbst.

Für die bildende Kunst entsteht langsam doch ein höherer Stellenwert in diesem Land; im Vergleich zur Musik- und Schauspieldominanz ist er immer noch marginal. Sind kulturpolitische Maßnahmen denkbar, gegen solche Ungleichgewichtigkeiten ?

Die darstellenden Künste sind meiner Meinung nach an Expansionsgrenzen angelangt. Für einen weiteren Ausbau sind die Kräfte nicht mehr da. Man kann in Wien vielleicht noch einige Musical-Tempel errichten mit Personal aus Osteuropa - wo sicher nicht die schlechtesten Künstler herkommen - aber viel mehr ist in dieser Entwicklung nicht drinnen, trotz des enormen Aufwandes. Deswegen muß man ja auf den Erweiterungsimpetus, der in der bildenden Kunst steckt, zurückkommen. Bildende Kunst hat diesbezüglich viele Vorteile. Die Leute können, wann immer sie Zeit haben, Ausstellungen und Museen befsuchen, unter Tags, am Abend, an Wochenenden. Man muß kaum vorausplanen, muß keine Karten bestellen. Darin liegen ganz wesentliche Ursachen dafür, daß bildende Kunst ein immer größeres Publikum anzieht. Das wird Begrenzungen haben, sich nicht ins Unendliche fortsetzen. Nur, der kritische Punkt kommt vielleicht erst in zwanzig Jahren.

Über die Anziehungskraft des Bildes habe ich aber noch weiterführende Rainer-Argumentationen in Erinnerung, die ausdrücklich die Statik - als Kraft gegenüber der Flut beweglicher Bilder - beschworen haben. Ihre authentische Wiederholung könnte hier zu einer Präzisierung beitragen.

Beim gemalten Bild gibt es tatsächlich eine extreme Verdichtung, es ist nicht unbedingt zeitaufwendig, kann in wenigen Momenten sehr viel mitteilen. In zwei Sekunden kann man mit einem Bild unter Umständen sehr starke Erlebnisse haben. Deswegen ist die bildende Kunst auch so wettbewerbsfähig gegenüber anderen Künsten. Außerdem wird es immer mehr qualifizierte Wirtschaftsleute geben, die nicht mehr viel Zeit haben für Kunst, fürs Lesen, für Musik, aber trotzdem ein starkes Bedürfnis, sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Mit Bildern ist das auch unter angespannten Umständen möglich. Sehr wichtig ist, daß sie in Besitz genommen werden können. Das darf man nicht unterschätzen. Besitz von Kunst ist ein sehr gravierendes Faktum. Das darf man keineswegs negativ sehen. Daran knüpfen sich unter Umständen die verschiedensten Varianten künstlerischer Aussagen.

Im Besitzdenken liegt auch die Verbindung zum Geflecht der Verwertungsinteressen, zum Kunsthandel, das ja vom Geschehen in den Museen nicht zu trennen ist. Gegenüber dem Geschäft mit Tantiemen, mit Urheberrechten, mit Schallplatten, Videos, Tapes und Disks, das den Musik-, Theater- und Filmsektor prägt, hält sich die "Dynamik" bildender Kunst aber immer noch in Grenzen.

Daß der Kunsthandel an Museumsausstellungen ein großes Interesse hat ist selbstverständlich; für beide Seiten bringt das eine Belebung. Natürlich geht es nicht um so große Summen wie etwa in der Musik. Das ist aber nicht das Wesentliche. Es gibt überall Schichten, die sich separieren wollen, die sich abheben wollen und für sie ist die bildende Kunst ein wichtiger Faktor. Das bringt ins Ausstellungswesen Leben hinein und erzeugt somit auch für das breite Publikum Impulse. In den USA ist es z. B. doch längst schon üblich, daß sich solche speziell interessierte Gruppen Ausstellungen vorneweg in einem besonderen Rahmen ansehen können und soetwas erzeugt die Verpflichtung für das betreffende Museum etwas zu tun. Da habe ich überhaupt nichts dagegen, im Gegenteil.

Unseren staatlichen Museen wird nun ohnedies verstärkt dieser Weg vorgeschrieben; die Frage ist, wieweit die Beeinflussungen gehen - bei Ausstellungen und bei Ankäufen.

Das Kaufen muß einen Sinn haben. Es darf nicht als Subvention behandelt werden. Alle guten Sammlungen sind letzten Endes als Bereicherung abgelaufen. Jemand wollte sich eben immer wieder etwas nicht entgehen lassen. Für das Kunsthistorische Museum gilt das ganz besonders. Sie wollten besitzen, das sie anderen nicht gegönnt haben. Das ist ein viel stärkeres Prinzip, als wenn ich bloß sage, lieber Mäzen, unterstütze mit deinem Geld irgendwelche Künstler.

In strenger Konsequenz dessen, müßten die Kunstschätze der Museen periodisch bewertet werden, in Bilanzen, mit allen Wertsteigerungen und stillen Reserven; als dominanter Teil des Volksvermögens, genauso wie das Vermögen der Nationalbank.

Ja, das müßte so gemacht werden. Es soll ohne weiteres viel mehr angekauft werden, aber es muß eine Marktrelevanz haben. Die Preise müssen stimmen. Unser verstaatlichtes Auktionswesen bietet dafür keinerlei Garantien. Das Dorotheum hat praktisch ein Monopol. Man muß das organisieren wie in England, wo das Versteigerungswesen blüht, weil es eine sehr scharfe Konkurrenz gibt. Nur dadurch entsteht ein Druck auf die Relation von Einkaufs- und Wiederverkaufspreisen.

Dennoch: Das Museum als öffentliche Institution muß sich, soferne es nicht völlig einer Kommerzialisierung ausgeliefert wird, doch immer wieder entschieden gegen Marktprozesse stellen. Andernfalls gibt es seine Funktion als Ort der Maßstäbe - so fließend die Veränderungen diesbezüglicher Vereinbarungen auch sein mögen - eigentlich endgültig auf.

Es hat sich aber klar gezeigt, daß die Marktprozesse in der Kunst eine bessere Auslese garantieren, als irgendwelche staatlichen Interventionen. Früher hat man geglaubt, das ist alles nur Spekulation. In Wahrheit waren das alles Begriffe und Denkweisen eines eher naiven Antikapitalismus. Auch die besten Museumsdirektoren hätten nie die Berliner Sammlung Marx zusammengebracht, die sich auf einige wenige Künstler konzentriert und in wenigen Jahren einen ungeheuren Wertzuwachs erreicht hat. Inwieweit ein Sammler seine Objekte liebt und zugleich - oder primär - die möglichen Gewinne im Auge hat, ist für das Resultat letztlich gleichgültig. Für Museen ist entscheidend, daß sie jeweils um das allerwichtigste Bild bemüht sind, das von einem Künstler gerade greifbar ist. Im Vergleich zu dem, was der Platz für ein solches Bild im Museum dann insgesamt kostet, sind die Preise nebensächlich. Man muß ja die Baukosten, die kunsthistorische Arbeit, die Verwaltung, den ganzen laufenden Aufwand diesem eigentlichen Zweck - dem Zeigen von Kunstwerken - zurechnen.

Auf Wien bezogen fluten immer zwei Argumentationen hin und her und auch durch den eigenen Kopf. Die eine sagt, der Staat hat jahrzehntelang nichts für die bildende Kunst getan, hat nichts oder das Falsche gesammelt und ausgestellt, während die andere betont, daß immerhin einiges besser wird. Läßt sich das überhaupt so allgemein anklagend oder beschwichtigend sehen ?

In dieser Frage muß man genau sein und sich z. B. anschauen was ein Dieter Ronte m?
für das Museum Moderner Kunst in Wien gesammelt hat und was ein Werner Schmalenbach in Düsseldorf. Nordrhein-Westfalen ist ja a priori kein reicheres Land als Österreich und in beiden Fällen läßt sich privates Geld auftreiben, wenn man zugleich an einer entsprechenden Reputation arbeitet. Es muß eben zentrale Kräfte geben, die in einer signifikanten Weise wirksam werden.

Auch räumlich zentralisiert, wie es das Messepalast-Projekt vorsieht ?

Grundsätzlich schon. Jedenfalls darf die Zerstreuung auf verschiedene Plätze nicht zu groß sein. Für die Sammlung Schmidt z. B. könnte man dort Räume vorsehen, das hielte ich für besser als ein eigenes Palais. Außerdem muß man einbeziehen, daß heute alle Künstler darüber nachdenken, was nach ihrem Tod aus ihren Werken wird. Der Staat sollte sich also darauf einstellen, daß er für Künstlernachlässe, für Stiftungen von Künstlern - die eine immer wichtigere Rolle spielen werden - Räumlichkeiten vorsieht. Auch für Künstler mit bloß regionaler Bedeutung stellt sich diese, z. B. auf ihre Heimatstadt bezogene Frage nach Konstruktionen, die dem Werk eine gebührende Geltung verleihen.

Damit wären wir doch wieder beim Staat und seiner Funktion, ein öffentliches Interesse wahrzunehmen.

Es muß einfach eine gewisse Konkurrenzierung zwischen dem Staat und der Privatwirtschaft geben. In Österreich mit seiner Staatswirtschaft fehlt sie eben weitgehend. Wer sich vor mehr privater Beteiligung am Kunstgeschehen fürchtet muß doch sehen, daß in den USA, wo fast alles auf privatwirtschaftlicher Ebene abläuft, die Museen doch sehr viel stärker auf ihre Unabhängigkeit bedacht sind als bei uns. Ein Sponsor hat doch dort in Ausstellungen überhaupt nichts dreinzureden. Unsere große Österreichausstellung in Washington hingegen ist doch bekanntlich daran gescheitert, daß sich die österreichische Regierung in die Künstlerauswahl eingemischt hat. Die Amerikaner haben daraufhin sofort abgeblockt und sind keinerlei Kompromisse eingegangen. Das ist doch das Interessante, amerikanische Museen sind unter Umständen viel unabhängiger und schaffen es dadurch auch eine höhere Reputation aufzubauen. Außerdem gibt es dort eine starke Moralität des Museums, was ja hier auch übersehen wird. Mit bestimmten Branchen arbeiten sie grundsätzlich nicht zusammen, obwohl gerade von dort her sehr viel Geld kommen würde; das ist die Waffenindustrie, die Glückspielindustrie, die Nikotin- und Alkoholindustrie.
Wenn man in Österreich hingegen schaut, wer Kunst fördert, dann steht ausgerechnet das Tabak- und das Glückspielmonopol im Vordergrund. Daß um eine Firma Suchard wegen einer einzigen Opernsponsion ein Starkult betrieben wird, ist nur hier möglich. In den USA ist der Kodex für solche Kooperationen jedenfalls viel strenger. Dazu muß und wird es auch bei uns kommen. Sobald wir eine breitere Schicht von Sponsoren haben, werden sie von sich aus an Regeln, die eine Unabhängigkiet der Museen sichern, interessiert sein, weil sich doch sonst das ganze System des Imagetransfers rasch selbst entwertet.

Das "Amerikanische Modell" bestimmt ohnehin in starkem Maße die hiesige Museumsdiskussion; nach dem Muster, der Staat soll die Grundkosten tragen, zusätzliches Geld muß sich jedes Haus selbst beschaffen. Nicht nur wegen der österreichischen Wirtschaftstruktur wäre das ein dorniger Weg.

Erstens muß und wird dieses Land in die EG eingebunden werden; etwas anderes ist gar nicht möglich. Zweitens sind solche Forderungen meiner Ansicht nach kein unbilliges Verlangen. Eine gewisse Generation, die ganz anders aufgewachsen und ausgebildet ist, wird das nicht mehr schaffen. Es werden sich aber Persönlichkeiten herausbilden, die das können und das von ihnen beschaffte Geld für eine anspruchsvolle Museumspolitik einsetzen.

 

Arnulf Rainer, Maler
geb. 1929 in Baden bei Wien. Jüngste große Ausstellungen z. B. im Centre Georges Pompidou, Paris, in der Nationalgalerie Berlin. In Vorbereitung: Guggenheim Museum, New York und Centro Cultural Reina Sofia, Madrid.

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© Arnulf Rainer 1988 & Christian Reder 1988/2001