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www.ChristianReder.net: Publikationen: Museumsgespräche: D. Ronte
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Dieter Ronte

Demnächst ist es zehn Jahre her, daß Sie im Zuge der Transferierung eines Teiles der Sammlung Ludwig nach Wien gekommen sind, als Leiter des damals neuformierten Museums Moderner Kunst. Angekündigt wurde ein dominanter Aufschwung für die moderne, für die zeitgenössische bildende Kunst. Wie sehen Sie das selbst, im Rückblick ?

Wenn man diesen angekündigten Aufschwung untersucht, so lassen sich positive Seiten feststellen und natürlich auch negative. Problematisch geblieben ist die räumliche Situation in beiden Häusern; weder das 20er Haus noch das Palais Liechtenstein sind ideal. Ein Negativpunkt ist sicher, daß die finanzielle Ausstattung des Museums vieles nicht erlaubt, was ich gerne gemacht hätte. Wir haben in Wien doch z. B. einen ungeheuren Nachholbedarf im Bereich der klassischen Moderne und wir können darüber Informationen, die such für die zeitgenössische Szene wichtig sind, nur sehr beschränkt bringen, weil wir die Finanzmittel dafür einfach nicht haben.
Andererseits kann man feststellen, daß das Museum Moderner Kunst in Wien eines der wenigen Museen ist, wo man die Kunst bis in die Jetztzeit verfolgen kann. Man kann bei uns sehr viele Arbeiten der 80er Jahre in den Sammlungen sehen, sie rotieren, sie hängen nicht immer, aber sie nehmen Teil an der Diskussion im Komplex und im Kontext der Sammlung. Weiter würde ich als positiv vermerken, daß sich in dieser Zeit das Galeriewesen sehr stark professionalisiert und internationalisiert hat, womit ein klassisches, gerade in der österreichischen und der Wiener Kunstszene stark verbreitetes Übel ziemlich erfolgreich bekämpft werden konnte, das Übel nämlich, daß potentielle Sammler weniger Information hatten als der Galerist und der Künstler. Anders ausgedrückt, mit der Installierung des Museums ist der lokale, regionale und auch nationale Informationsvorsprung der Produzierenden dem Käufer gegenüber abgebaut worden. Und das hat sich bis in die Ästhetik der Kunstszene hinein ausgewirkt.

Bleiben wir noch beim generellen, dem nicht bloß Österreich betreffenden. Der sogenannte Museumsboom in Westeuropa und in den USA drückt sich meistens in Einmal-Aktionen aus, also in der Errichtung oder Adaptierung von Bauten für bestimmte Sammlungen, gleichzeitig gibt es fast nirgends die Bereitschaft, adäquate Folgekosten zu tragen, in neuen Häusern eine tiefgreifendere kulturelle Arbeit zu ermöglichen. Wie läßt sich darüber, vor dem Hintergrund Ihrer persönlichen Erfahrungen argumentieren ? Letztlich ist das doch völlig absurd.

Wir stehen da vor einem klassischen Problem, das aber in Österreich wahrscheinlich besonders stark ausgeprägt ist. Speziell die bildende Kunst wird in diesem Land sehr national behandelt, geradezu unter einer chauvinistischen Käseglocke geschützt. Es gibt offenbar eine Angst vor dem Anderen, vor dem vielleicht Stärkeren, Flexibleren, Innovativeren. Zugleich existiert natürlich auch die Einsicht, daß man sich nicht mehr national abriegeln kann, daß man als wirtschaftlich, kulturell und technisch international arbeitende Nation auch die Kunst miteinbeziehen muß. Daraus entsteht dann von Zeit zu Zeit ein starker Wunsch nach Experimenten, ein Wille, etwas zu tun, nur ist man dann nicht bereit, Folgekosten zu tragen. In den ersten fünf Jahren habe ich deswegen im Ministerium sehr harte Auseinandersetzungen austragen müssen, weil alles nach dem Motto einer Kindesweglegung gelaufen ist. Inzwischen hat sich manches verbessert; früher bekamen wir gerade soviel, um am Leben zu bleiben und nicht zu sterben, jetzt sind wir bereits in einem Stadium, wo man von einem "Besser Leben" sprechen kann.

Diese Situation muß auch damit zusammenhängen, daß die "Produktivität" von Kunst nicht in die gängigen Beurteilungssysteme paßt, es sei denn die leidige "Umwegrentabilität" wird herangezogen. Dabei gibt es doch genügend Untersuchungen, daß im Dienstleistungssektor die Schaffung von Arbeitsplätzen meist weit weniger kostet, als im Industriebereich. Das braucht man jetzt nicht gegeneinander auszuspielen, fest stehen dürfte aber, daß die innere Dynamik intelligenter kultureller Investitionen eigentlich noch kein Thema ist.

Genau diese Argumentation versuche ich im politischen Bereich seit Jahren durchzusetzen. Mein Slogan, den ich dabei immer verwende, heißt "Rohstoff Kultur", Kultur als Rohstoff dieses Landes also. Ein solches Bewußtsein setzt sich aber nur sehr langsam durch, auch wenn schon mehr darüber diskutiert wird, gerade in bezug auf die bildende Kunst.
Damit sind wir bei einem Hauptproblem in diesem Land, daß die bildende Kunst eben nie eine wirkliche gesellschaftliche Akzeptanz hatte geschweige denn hat. Bildende Kunst ist auch in ihrer theoretischen Diskussion nie ausformuliert worden. Bildende Kunst ist hier eine Begleiterscheinung des gesellschaftlichen Lebens, sehr stark auf die Person des Künstlers fixiert, auf seine Skandale, auf seine Aggressionen innerhalb der Kunstszene, gegenüber Politikern, gegenüber dem Staat. Auf der anderen Seite ist unter den Künstlern ein sehr starkes sozialstaatliches Denken verbreitet; er muß also geben, wenn die Kunst von ihm etwas fordert. Man vergißt, daß der Staat zu einer regen Auseinandersetzung mit bildender Kunst eigentlich den republikanischen Bürger braucht, den eigenverantwortlichen Bürger.
Die bildende Kunst ist hierzulande also weiterhin eher eine Randerscheinung. Im Bereich des Theaters, der Oper usw. ist hingegen die Umwegrentabilitätsdiskussion, die da immer gebracht wird, bereits weitgehend abgeschlossen. Dort gibt es die Arbeitsplätze, dort gibt es die großen Budgets. Nur muß auch gesehen werden, daß bildende Kunst gerade in diesem Jahrhundert das Gegenteil von einer obrigkeitsstaatlichen Setzung ist. Milos Forman hat das, in bezug auf Musik, in seinem Amadeus-Film par excellence vorgeführt. Genau darin liegen meiner Ansicht nach auch Peymanns Probleme mit dem System. Wir fördern im Grunde genommen noch immer eine obrigkeitsstaatliche Kultur als Setzung der Behörde, noch immer das also, was Maria Theresia die Delektierung der Bevölkerung genannt hat. Und bildende Kunst fällt in diesem Land nicht in diese Rubrik. Sie ist anders geartet, sie hat nicht diesen Ereignischarakter. Sie hat andere Abläufe, sie hat nicht diesen sozialen Charakter. In anderen Gesellschaften, wie in den Niederlanden, teilweise in der Bundesrepublik, in den USA hat sie sehr wohl diesen Event Charakter, den sozialen Charakter, wenn auch konzentriert auf Aufstellungsereignisse. Der frühere US-Botschafter Ronald Lauder hat ja mit der Secession versucht, derartiges hier einzuführen, als Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit bildender Kunst. Zum Teil mit Erfolg, zum Teil ohne. Diese Dinge müssen jedenfalls weiter fortgeführt werden. Prinzipiell aber beharrt der Österreicher auf einer Kultur, die von oben kommt und er vergißt, daß es - wir leben ja in der 2. Republik, nicht in der ersten - die Aufgabe jedes Einzelnen ist, sich darum zu kümmern.
Was wir vom Staat fordern müssen ist, daß er die Infrastruktur verbessert und daß durch stärkere Aktivitäten und eine fortschreitende Liberalisierung die Mentalität in eine Richtung verändert wird, die ein Klima entstehen läßt, in dem sich der Einzelne stärker angesprochen fühlt und er selbst zum Träger solcher Entwicklungen wird. Die Kunstszene selbst macht einem das nicht gerade leicht, denn das Spiel verkompliziert sich natürlich dadurch sehr, daß sofort hundert andere auf jeden schimpfen, der sich angemaßt hat, etwas zu tun. Damit wird eine solche Liberalisierung und Öffnung nicht gerade erleichtert.

Die Forderung an den Staat, für eine bessere Infrastruktur zu sorgen, kommt nicht ohne den hilfesuchenden Blick nach oben aus. Zugleich trifft man auf die - wegen der Kette schlechter Erfahrungen durchaus plausible - Skepsis gegenüber zuerst zwar diskutierbaren, irgendwann jedoch einmal anzuordnenden Konzepten; sie befällt einen ja auch selbst ständig. Es ja auch tatsächlich so, daß veränderte Strukturen noch keinerlei Garantie für sich positiv verändernde Inhalte sind. Dennoch ist dieser Zusammenhang doch die Kernfrage, wenn es Reformen, wie in unserem Fall von Museen gehen soll.

Als Museumsmann bin ich prinzipiell Optimist, denn ohne Optimismus ist dieser Beruf überhaupt nicht auszuüben. Optimismus bedeutet auch, daß man permanent an andere Möglichkeiten denkt, in der Hoffnung, daß solche Möglichkeiten echte Verbesserungen herbeiführen. Wenn ich an den Status Quo glaube, bin ich bereits Vergangenheit. Ich bin mir sicher, daß sich gerade im Museumssektor Veränderungen herbeiführen lassen, mit denen die Forderung nach einer einfach notwendigen Flexibilität in einen internationalen Kontext gebracht werden kann. In der Bundesrepublik kenne ich sehr viele Beispiele, wo solche anzustrebenden Veränderungen von Privatleuten, von Bürgern herbeigeführt worden sind. So sind etwa 7/8 aller Museumssammlungen der Stadt Köln Schenkungen von Privatleuten. Das hat die Stadt in einen Zugzwang gebracht und zugleich ist es zu einem liberaleren Umgang mit bildender Kunst gekommen. In Frankreich haben wir das Gegenbeispiel; dort sind - und zwar immer von oben, als obrigkeitsstaatliche Setzung - neue, große Strukturen aufgebaut worden, Beaubourg, La Villette, Musée d'Orsay, weil Frankreich eben wie Österreich immer noch zentralsaatlich organisiert ist. Jaques Lang hat versucht das zu kompensieren und wird das hoffentlich jetzt weiterführen, indem er dezentralisiert.
In Österreich gibt es, sehr ähnlich wie in Frankreich, immer noch diese Kopflastigkeit von Wien. Es wäre gut und das kommt ja jetzt auch, wenn Graz durch das neue Trigonmuseum Gegenakzente setzen kann. Es wäre gut, wenn das Salzburger Projekt eines Museumsbaus realisiert wird. Peter Baum in Linz kann inzwischen ausbauen, die Landschaft dort wird lebendiger. Ich bin auch glücklich darüber, daß Peter Ludwig in Budapest eine Stiftung gemacht hat, die in einem Museum zu sehen ist. Denn im Prinzip ist das Museum Moderner Kunst in Wien zu isoliert.
Es braucht einen Druck von außen, damit wir dem Unterhaltsträger gegenüber besser argumentieren können, aber auch damit im Umkreis dieses Museums, das ja faktisch im Umkreis von 400 Kilometer das einzige Museum mit so einer internationalen Sammlung ist, ein Publikum heranwachsen kann, das besser vorbereitet und dadurch engagierter ist. Man könnte natürlich so eine Konkurrenzsituation auch in der Stadt selbst einbauen. Das ist höchstens eine Frage, ob Wien dafür groß genug ist. Österreich hat weniger Einwohner als Manhattan. Dort gibt es diesen Wettbewerb, das Museum of Modern Art, das Whitney Museum, The alternative Space, usw. wo immer private Gruppierungen, wenn sie mit der Politik bestehender Institutionen nicht einverstanden waren, Gegenpositionen gesetzt haben.

Versuchen wir solche Möglichkeiten an Hand Ihrer persönlichen Sammlungstätigkeit zu besprechen. Der Eindruck ist da, daß es bisher in bezug auf die österreichische Gegenwartskunst bestenfalls gelungen ist, von jedem etwas zu sammeln, sozusagen als Dokumente, als Namen, als Querschnitt. Von den signifikantesten Kräften nach 1945 ist jedenfalls in keinem Museum eine umfangreichere, markante Auswahl zu sehen und das deprimiert. Daß die jetzige Aktionismus-Ausstellung von Kassel ausgeht, ist ein weiterer Beleg für Versäumnisse, ebenso das nicht angenommene Angebot Otto Mühls, seine Sammlung einer öffentlichen Stelle zu verkaufen. Daß ein jahrzehntelanges Desinteresse des Staates und seiner Museen an der Gegenwartskunst nicht mehr so leicht aufgeholt werden kann, ist jedem klar, nur heißt das ja nicht, daß es so weitergehen muß. Wie könnte es also weitergehen ?

Von einem Projekt wie dem von Oskar Schmidt erhoffe ich mir z. B. sehr viel. Wenn er seine Sammlung im Palais Harrach ausstellt, wird das für die Wiener Kunstszene sehr wichtig sein. Die Kritik an unserer Sammlung klingt mir nach Wiener Gerüchteküche. Das ist wie die Frage, warum die Aktionistenausstellung nicht in Wien anfängt. Es ist auch nicht die große Aktionismusausstellung. Gerade die Künstler sind es, die bisher hier eine solche große Ausstellung verhindert haben, dezidiert durch mangelnde Solidarität und auch aus Angst vor einer solchen Ausstellung in Wien. Ich glaube auch nicht, daß es wichtig ist, wo eine Ausstellung anfängt. Man kann nicht sagen, wir sind international, aber alles muß in Wien sein. Selbst sehr internationale Künstler kommen da oft mit merkwürdigen Heimatvorstellungen des 19. Jahrhunderts daher. Die Strukturen sind inzwischen anders. Wir selbst, als das Museum Moderner Kunst, können nicht alles sammeln, haben aber die ausdrückliche Aufgabe, international zu sammeln. Wir sind kein Museum österreichischer Kunst nach 1945. Dafür gibt es die Österreichische Galerie im Oberen Belvedere, die ihre Aufgabe nicht wahrnimmt. Wir können sie nicht noch zusätzlich wahrnehmen. Und wer sagt, wir hätten nur so Einzelwerke addiert, der kennt unsere Sammlung nicht, was wiederum mit unseren mangelnden räumlichen Möglichkeiten zusammenhängen kann, weil wir eben vieles nicht gleichzeitig ausstellen können. Wir werden deshalb 1989, zum zehnjährigen Jubiläum, im Palais Liechtensetin ausschließlich die internationale Kunst der 80er Jahre zeigen und da wird man dann sehen, wieviele Österreicher wir gesammelt haben.
Wenn ich daran denke, daß ja tatsächlich die österreichische Kunst nach 1945 in der Sammlung ursprünglich kaum vertreten gewesen ist, bis auf einseitige Schwerpunkte, wie die "Wirklichkeiten"-Gruppe, auf die sich mein Vorgänger Alfred Schmeller konzentriert hat - Werner Hofmann hat ja immer international gesammelt - dann muß ich heute sagen, daß wir inzwischen mit viel Kapitaleinsatz und beträchtlicher Hilfe durch das Unterrichtsministerium eine ganz beachtliche österreichische Sammlung aufgebaut haben. Sie war allerdings in Wien noch nicht zu sehen. Es sind auch sehr wohl Sammlungspakete zusammengekommen, ob sie jetzt von Günter Brus sind, von Attersee, von Maria Lassnig, von Oswald Oberhuber oder von Arnulf Rainer. Gerade dessen Oevre wurde erheblich vermehrt. Vorwürfe in dieser Richtung kann ich also auf dem Museum nicht sitzen lassen. Im Gegenteil, ich bin überzeugt davon, daß gerade wir sehr viel getan haben.
Der Vorwurf, den ich mir selbst mache, ist eher ein anderer, nämlich der, daß wir schon zuviel Geldmittel für österreichische Kunst eingesetzt haben und zuwenig für ausländische Kunst.

Auf der Suche nach plausiblen Haltungskonzeptionen für ein Museum Moderner Kunst stehen wird doch generell vor der Frage, wie sich die Gedächtnisfunktion mit dem in Gegenrichtung greifbar zu machenden, vorausschauenden, experimentellen, sensitiven, risikoreichen Aufspüren des Neuen kombinieren läßt, im Sinne eines Museums als offener, seismographischer Ort. Gibt es Ihrerseits Grundsätze, in welcher Gewichtung dabei vorgegangen werden sollte ?

Ich glaube, daß wir im Sammlungsbereich dieses Risiko weitgehend eingehen, wobei wir nicht beantworten können, ob wir letztlich gut gekauft haben oder nicht. Dieses Engagement haben wir verstärkt, insbesonders gegenüber der österreichischen Kunst und, wie schon gesagt, eher zuwenig gegenüber internationaler Kunst. Was wir aber mit Sicherheit nicht wollen, ist den Aufbau einer enzyklopädischen sammlung. Das wäre heute ein sinnloses Unterfangen. Wir versuchen elitäre Artefakte zu sammeln. Anders ausgedrückt heißt das, wenn die Qualität überzeugt, kommen die Leute ins Museum. Daß die Künstler sich in ihrem Ewigkeitsanspruch im Museum dokumentiert, festgeschrieben sehen wollen, das erfüllen wir zum Teil bei der älteren Kunst, sicherlich aber nicht bei der jüngeren Generation. Das wird auch durch unsere Ausstellungstätigkeit deutlich. Wir haben mehrere Schienen, auf denen wir Ausstellungen vorbereiten.
Wir zeigen die jüngeren Künstler in kleineren Präsentationen im Palais Liechtenstein und zwar meistens jene, die nicht vom Kunsthandel bedacht werden. Wir haben dort für Ausstellungen ja auch nur etwa gleich große Räume wie eine Galerie. Die graphischen Räume sind kleiner als die der Galerie Krinzinger oder der Galerie nächst St. Stephan. Wenn wir mit jungen Leuten eine große Ausstellung machen, dann in Form von Themenausstellungen. Das ist die Reihe wie "Traum vom Raum" , "Einfach gute Malerei" oder "Hacken im Eis", die jetzt fortgesetzt werden soll. Ich bin gegen Retrospektiven von 28-jährigen, das würde sie überfordern, sie vielleicht endgültig vernichten. Gerade in Wien hat es genügend derartige Negativ-Beispiele gegeben. Wir stellen also mehr jene Künstler aus, die ein nicht abgeschlossenes, aber doch gestandenes Oevre haben. Wir stellen diese Leute aber auch nur aus, wenn es gelingt, diese Ausstellung im Ausland unterzubringen. In dieser Reihe hat es die Ausstellungen von Prantl, Rainer, Attersee, Lassnig, Kocherscheidt gegeben. Als nächstes kommen Oberhuber und Nitsch. Für ein Museum, das die gesamte Kunst des 20. Jahrhunderts zum Thema hat, haben wir also in meinen Augen in diesen neun Jahren eine ganz schöne Reihe von Themen- und Einzelausstellungen gemacht.

Eines stimmt sicher, ein Engagement für Zeitgenössisches wird primär vom Museum Moderner Kunst erwartet, an die Österreichische Galerie im Oberen Belvedere denkt dabei eigentlich niemand mehr, während gegen die jahrzehntelange Passivität der Albertina, gerade von Seiten der Künstler, heftige Kritik geäußert wird.

Die Albertina hat ihre Politik mit der neuen Direktion weitgehend umgestellt. Es ist sehr viel geschehen, gerade in letzter Zeit, auch mit Hilfe der Österreichischen Luwig-Stiftung. Das Obere Belvedere fehlt uns echt als Gesprächspartner. Das ist einer der Gründe, weshalb ich dezidiert der Meinung bin, daß man im 20. Jahrhundert nicht eine Österreichische Galerie weiterführen sollte, sondern die Sammlungen zusammenfaßt. Das ist das Ziel im Museumsneubau im Messepalast, wo man dann die internationale Moderne sehen kann in die die österreichische Kunst integriert ist.
Denn die sammlungsmäßige Isolation der österreichischen Kunst hat nur ihre internationale Isolation bestärkt und es beaucht noch viel Arbeit, um diese Isolation endgültig aufzubrechen. Deshalb habe ich für Wien den dezidierten Wunsch, zumindest die Kunst nach 1918 international zusammenzufassen, zugleich österreichische Schwerpunkte aufzubauen und wahrscheinlich eine österreichische Studiengalerie einzurichten, in der die - vielleicht aus Gründen der Zeit heraus - nicht ganz so bedeutenden österreichischen Werke doch öffentlich präsentiert werden.

Was mich, ohne daß wir hier in eine Detailargumentation über das Messepalast-Projekt einsteigen sollten, an der Diskussion darüber verwundert, ist die Konzentration auf eine Neugruppierung von Sammlungen, ist die Konzentration auf Raumfragen, auf Kubaturen, für die es möglichst passable - oder sogar einmalige - architektonische Lösungen geben soll. Vorstellungen von einem neuen Museumstyp, von einer Typenvielfalt, stehen kaum zur Diskussion. Kurt Kocherscheidt z. B. fordert dezidiert ein "strenges Institut", Raimund Abraham analog dazu ein Besinnen auf die "Studierstube", Walter Pichler hält viel vom Museum als "Baustelle", Attersee ist für "Wettkampfmuseen", Peter Weibel für technologisch bestens ausgestattete "Museen des Immateriellen" und Aufführungsorte. Das sind Beispiele dafür, wie besorgt die Entwicklung der Museen zu - noch dazu eher konventionellen - Unterhaltungsanstalten verfolgt werden.
Eine Grundstruktur, von der Überlegungen ausgehen müßten, ist doch sicher die Trennung in, vielleicht dem Publikum zugängliche, Depots und eine Entwicklung des Museums in Richtung präzise nutzbarem Ausstellungs- und Aufführungsort. Werden in Wien nicht von vorneherein wieder Chancen vergeben, wenn nicht solchen essentiellen Vorfragen ein entsprechendes Gewicht beigemessen wird ?

Nehmen wir diesbezüglich die Denkrichtung Peter Weibels her. Er rekurriert natürlich auf die berühmte Ausstellung "Les Immatériaux" von Lyotard im Centre Pompidou. Diese Ausstellung ist auch für das Beaubourg ein Versuch gewesen. Für die Politiker war sie ein Flop, weil sie sich wie immer zu sehr an ihre Statistikgläubigkeit klammern. Als neuer Ausstellungstypus ist sie selbstverständlich außerordentlich wichtig, ich glaube allerdings nicht, daß diese Form für ein durchgehendes Museumskonzept in Permanenz angewendet werden kann.
Das Museum lebt aus seiner Sammlung heraus. Es lebt nicht von den Ausstellungen. Das wichtigste, das ein Museum hat, und das ist ein ganz konservativer Standpunkt, ist seine Sammlung. Deshalb will ich im Messepalast auch die Sammlungen des 20. Jahrhunderts zusammenführen und sie dann immer nur durch eine Ausstellung aktualisieren. Wir zum Beispiel stellen in meinen Augen derzeit zu viel aus. Unser Publikum und besonders die Presse hat Schwierigkeiten, diese großen und kleinen Ausstellungen im Nebeneinander zu gewichten. Andererseits habe ich sehr wohl die Vorstellung, daß man in Wien jeden Tag eine Ausstellung eröffnen sollte, gerade weil die Stadt so sperrig ist und so aversiv gegen bildende Kunst. In den neuen Räumen jedenfalls sind multimediale Prozesse vorgesehen. Die Räume sollen dafür gebaut werden. Es sind Sammlungsbereiche vorgesehen, eigene Skulpturengalerien und ein Installationsbereich. Wir haben ja sehr viele Arbeiten, die nie gezeigt worden sind und wir haben sehr viele Arbeiten, die einen eigenen Raum brauchen. Dazu gehören auch multimediale Arbeiten, die wir weder im 20er Haus noch im Palais Liechtenstein zeigen können, weil die Räume das nicht hergeben. Der Aufführungsort Museum wird jedenfalls durch die Vortragssäle und Foyerzonen so gestaltet sein, so gestaltet sein, daß enorm viel möglich ist. Wenn wir aber sagen, wir hängen jetzt die ganzen Bilder von Klimt und Schiele über Picasso und Francis Bacon bis Arnulf Rainer prinzipiell in das Depot und zeigen sie nur alle zehn Jahre, weil wir zwischendurch in einer permanenten Veränderung und Rotation nur neue Medien ausprobieren, dann glaube ich nicht, daß das Museum eine Chance hat, sich durchzusetzen.

Ist die Idee einer weit intensiveren Konkurrenzierung, die ja in Wien zwischen Belvedere, Albertina und Modernem Museum nie produktiv funktioniert hat, ein verfolgenswerter Weg ? Er ließe sich ja weit auffächern, bis hin zu verschiedensten im Messepalast ansiedelbaren Institutionen oder zur Gliederung der großen Häuser in weitgehend selbständige Bereiche. Ein von starken, widerstrebenden, autonomen Kräften geprägtes Museumsgeschehen ist ja eine sehr plausible Vorstellung.

Das müßte das Ziel sein. Gegenpositionen schließen ja eine Zusammenarbeit nicht aus. Museen leben prinzipiell sicher von den Leuten die sie leiten. Je stärker und phantasievoller sie sind, desto besser ist es für die Situation. Allerdings müßten dann auch die Rahmenbedingungen so sein, daß sie sich austoben können. Diese Rahmenbedingungen gibt es aber nicht.
Unsere Crux ist ja, daß wir immer mit unterschiedlichen Kriterien arbeiten. Wir sagen z. B. das Museum Moderner Kunst zeigt international, die Österreichische Galerie zeigt nur national. Von den Kriterien her ist das vielleicht logisch, zeitlich aber ist es völlig überholt. Das eine Kriterium ist aus dem 19. Jahrhundert - die nationale Präsentation, die Nationalgalerie. Das andere Kriterium ist ein zeitgenössisches. Auf die Albertina bezogen sagen wir wieder alle, daß Zeichnung und Graphik generell ihre Sache ist, während Gemälde und Skulptur zum Museum Moderner Kunst gehört. Hier wird nicht zeitlich oder national unterschieden, sondern plötzlich nach Techniken und Medien. Ich weiß nicht, ob man diese Widersprüche völlig auflösen kann, man kann aber sicher die Zusammenarbeit erleichtern und das Prinzip dafür heißt für mich eindeutig Internationalisierung der Sammlungen. Neue Medien, wie Fotographie, Video etc. wären ihm zufolge dann im Museum Moderner Kunst, während die klassischen Papierarbeiten in der Albertina blieben. Das sind übrigends auch die sehr genauen Absprachen, die wir mit der neuen Leitung der Albertina haben und deswegen wollen wir ja im Messepalast auch ein eigenes Fotomuseum im Museum Moderner Kunst bauen. Denn wir sammeln auf diesem Gebiet intensiv und haben sehr viel mehr erworben, als die Öffentlichkeit bisher weiß.

Das auch von Ihnen deklarierte Interesse an Wettbewerb und Dezentralisierung steht aber, wenn es nicht zu sehr diffizil funktionierenden Überbau-Lösungen kommt, Überlegungen in Richtung Museumsverbund entgegen. Bundesmuseen, die im Sinne einer Konzernsruktur gegliedert und von der Staatsverwaltung und der Kameralistik abgegrenzt sind, könnten zwar als äußerst selbständige "Tochtergesellschaften" konstruiert werden, angesichts politischer Realitäten wäre vielleicht aber gerade das eine elementare Gefährdung.

Das Ziel darf nicht eine Monopolisierung sein. Die Museen brauchen offene Organisationsstrukturen, die eine äußerste Flexibilität ermöglichen. Man muß allerdings auch sehen, daß mein Museum etwa, selbst wenn ich die sammlungen des Oberen Belvedere dazu addiere, im internationalen Vergleich immer noch ein Kiosk ist. Wir sind ein gut ausgestatteter Kiosk, von der Größe der Sammlung her, aber man merkt, daß wir in Relation zu tonangebenden Häusern unglaublich jung und klein sind. Deshalb glaube ich gar nicht, daß das Wiener Museum Moderner Kunst im internationalen Museumsgeschäft eine entsprechende Dominanz austrahlen kann. Es wird eines der größeren internationalen Museen sein, nicht aber eines der ganz großen. Auf Wien natürlich wird es, aus den schon diskutierten Gründen, eine solche Dominanz haben, vor allem weil die privaten Initiativen fehlen. Deswegen bin ich sehr glücklich, daß die Secession jetzt internationale Ausstellungen macht. Sie nimmt uns Aufgaben ab, hinterfragt uns anders, stellt eine Gegenposition auf. Solche Möglichkeiten bräuchte Wien mehrere. Das Künstlerhaus wiederum ist in der Diskussion um moderne Kunst völlig ausgefallen und unter wirtschaftlichem Druck eine reine Ausstellungs-Ges.m.b.H. geworden.

Nicht berührt haben wir bisher die Problematik des - offenbar angestrebten - funktionierenden Museums. Funktionieren kann ja sehr leicht Glätte, Routine, Oberfläche, Kommerzialisierung bedeuten. Einer Ideologisierung des Nichtfunktionierens ist eine berechtigte Hoffnung auf chaotische, sprunghafte, widersetzliche Kräfte nicht abzusprechen. In einem ordentlich durchorganisierten Museum mit adäquaten Budgets, kompetentem Personal, manageriellen Möglichkeiten, perfekten Dienstleistungen für den Besucher usw. könnte ja tatsächlich das Irritierende noch mehr verloren gehen, als dies im durchbürokratisierten heutigen System der Fall ist.

Ich glaube, daß die derzeitige Einbindung in die staatliche Verwaltung und in das kameralistische System in ihren negativen Ausformulierungen stark überbetont wird. Dieses Gefühl der Einengung hat in diesem Land mehr mit Traditionen als mit Strukturen zu tun, weil eben der Obrigkeitsstaat vor allem auch mental überall noch weiterwirkt. Die Gesetze sind ja analog zu denen in anderen Ländern. Nur werden sie anders gehandhabt. Ändern läßt sich das nur durch ein stärkeres Engagement des Einzelnen, durch seinen Einsatz für die Ausprägung einer anderen Mentalität. Dazu kann ein Museum übrigens sehr wohl beitragen, indem es eine markante zeitgenössische Ausrichtung repräsentiert. Die Vorstellung aber, die hierzulande so stark verbreitet ist, daß sich nur unter einem bestimmten Druck sinnvolle Ergebnisse erzielen lassen, hätte ich als Argument eigentlich nur vor Sarajevo akzeptieren können. Heute kann ich das nicht mehr. Kurz gesagt, ein Museum soll im Verwaltungsbereich immer Glätte und Routine beweisen, nie aber inhaltlich.

Sein Funktionieren muß unmerklich sein ?

Ja. Wenn ich allein die vergangenen neun Jahre reflektiere und die Präsentation unserer Sammlungen, so komme ich zum Schluß, daß wahrscheinlich kein Haus so oft umhängt wie wir. Da brauchen wir weltweit keinen Vergleich zu scheuen. Wir sind eben ein sehr neugieriges Team. Neugier und Experimente sind wesentliche Qualitäten für Nichtroutine. Wenn diese Neugier einmal nicht mehr da sein sollte, dann muß man den Beruf wechseln, dann muß man sich andere Aufgaben suchen. Dazu sollte man auch alle Möglichkeiten haben und die dürfen natürlich nicht von der Verwaltung und von der Kameralistik überstrahlt werden.
Eines möchte ich aber an dieser Stelle sagen, in all meinen Jahren in Wien habe ich praktisch nie die Präsentation meines Hauses oder seine Ausstellungen inhaltlich mit dem Ministerium diskutieren müssen. Es ging immer ausschließlich um Finanz- und Abwicklungsprobleme. Meine beruflichen Erfahrungen in Köln zeigen fast das Gegenteil davon auf. Dort gab es eine viel stärkere Einmischung der Politiker in Inhalte. In Wien haben wir das effektiv nicht.

Das kann auch mit Desinteresse zusammenhängen; daß es, selbst wenn der scharfe Wind des Kunstkommerzes Wien erst in Ausläufern streift, gerade in Museen für moderne Kunst daneben genügend Druckmechanismen gibt, von Lobbies, vom Kunsthandel, von Sammlerinteressen, läßt sich aber doch nicht bestreiten ?

Selbst in Wien ist der Druck des Kunsthandels auf Museen realtiv groß. Ich glaube aber, daß man sich freischwimmen kann. Man braucht dem Druck ja nicht nachzugeben. Nur heißt das zugleich, daß man ab und zu auf etwas verzichten muß. Das muß man sich eben leisten können und man ist es der Institution, die man zu verantworten hat für ihre Selbsteinschätzung schuldig. Ich persönlich bin zum Beispiel sehr stolz auf das Museum Moderner Kunst und bin auch nicht bereit, diesen Stolz vom Kunsthandel oder irgendwelchen Gruppierungen in Frage stellen zu lassen. Wir wollen inhaltlich eben unabhängig bleiben. Dazu kommt, und das verstehen viele lebende Künstler nicht, daß ein Museum eine Institution mit relativ viel Zeit ist. Wir haben also, um das im Sinne des Faust II mit der Kirche zu vergleichen, einen großen Magen, zusätzlich aber, und das unterscheidet uns vielleicht von diesem Beispiel, auch sehr viel Zeit. Es gibt z. B. Bereiche, in die wir im Grunde genommen releativ wenig investieren, weil ich weiß, daß sie in 15 oder 20 Jahren ohnedies als Geschenk an das Haus kommen werden. Diesen Zeitvorlauf muß man sich eben geben.

Ist nicht die neue Nähe von Sponsorships, von Wirtschaftsinteressen zu den Museen in Wien eine höchst sonderbare Mischung aus Unbeholfenheit und extremer Brutalität ? Vielleicht muß sich das erst einschleifen zu einer intelligenteren, softeren, indirekteren Strategie; staatlicherseits jedenfalls wir eher blind nach solchen Strohhalmen gegriffen. Die Casino AG klebt plump das Theater an der Wien mit ihren Werbeaufklebern voll, die Secession muß Sol LeWitt an Coca Cola verkaufen. Alle Beteiligten scheinen da schlecht beraten zu sein.

Sagen wir es einmal so. Das Hrdlicka-Beispiel hat wieder einmal gezeigt, daß in Wien nicht inhaltlich diskutiert wird. Es wrd immer eine Person und ihr Umfeld diskutiert. Das sind reine Stellvertreterkriege. Immer noch ist das alles die Parallelaktion von Robert Musil. Daher werden weiterhin auch diverseste Dinge an den Haaren herbeigezogen, aktualisiert, aufgeblasen; über eine Sol LeWitt-Ausstellung wird wegen solcher Einzelheiten gar nicht mehr diskutiert. Das finde ich sehr schade. Wien fehlt in der Tat eine intellektuelle Diskussion. Gerade die Künstler könnten zu ihr sehr viel beitragen, wenn sie sich nicht mit Vorliebe gegenseitig beschimpfen würden. Sie sollten ihre Gruppenegoismen, die ja primär Folge einer auf Kleingruppen ausgerichteten sozialen Organisation sind, wenigstens von Zeit zu Zeit über Bord werfen und wirklich versuchen, Diskussionen anzuzünden. Das könnte für dieses Land ungeheuer fruchtbar sein.
Bei fast allen Ausstellungen, die wir machen, erlebe ich, daß irgendwelche Dinge herangezogen werden, damit man einer inhaltlichen Diskussionaus dem Weg gehen kann. In anderen Ländern ist das erfreulicher Weise wirklich anders. Der Secession z. B. also vorzuwerfen, daß irgendwo Coca Cola steht, verstehe ich nicht ganz, denn ich glaube, daß Industrie und Privatleute die Verpflichtung haben, Kultur mitzutragen. Wenn wir also einerseits fordern, daß Museen und Institutionen wie die Secession aus der Umklammerung der öffentlichen Hand herauskommen sollen und sich freischwimmen können, dann brauchen wir auch die anderen, die diese Sponsorship mitbetreiben. Denn das schlimmste was uns passieren kann, und damit würde der Coca Cola-Vorwurf gerechtfertigt, wäre, daß wir durch eine Auslieferung an Sponsoren- und Mäzenatengelder aus Museen und verwandten Institutionen Disneylands der Umwegrentabilität machen müßten.
Die Aufweichungstendenzen sind doch längst da, vor allem bei den Politikern: Verkauf von Sammlungsgut, macht doch nur populäre Ausstellungen, verkauft doch mehr Repliken, bietet T-Shirts an. Das heißt, macht das Museumsshop größer als die Sammlung, investiert immer mehr in ein Publikumsmanagement, vernachlässigt eure wissenschaftlichen Aufgaben. Die meisten haben schon vergessen, daß Museen zwar nicht Grundlagenforschung, sehr wohl aber Objektforschung betreiben müssen. Alle gieren auf tendenziell privatwirtschaftliche Mehreinnahmen, ohne daß man die Gefahr der Förderung eines hektischen Ästhetikbetriebes sieht, in dem sich mit Sicherheit jede inhaltliche und theoretische Diskussion aufhören würde. Es gibt da sicher sehr neuralgische Punkte, ab denen eine Wahrnehmung von Museumsaufgaben im öffentlichen Interesse nicht mehr zu verantworten wäre.

Damit sind wir bei der Zwangslage, die in der jetzt absehbaren gesellschaftlichen Situation die Museen im Prinzip vor eine einzige Alternative stellt: Folgen sie der vorgezeichneten Unterhaltungs- und Animationsschiene, ohne große Komplexe gegenüber einer fortschreitenden Kommerzialisierung, werden sie also Orte kultureller Inszenierungen, wie sie längst ganze Stadträume erfaßt oder gelingt es wenigstens einigen von ihnen, Widerstandsorte zu werden, Orte der Aufklärung, Orte des Protests, Orte der Einsicht, wie stark der Gegendruck auch sein mag ?

Ich würde fast sagen, daß das ein logisches Problem ist. In dem Moment, in dem ich Ansprüche habe, habe ich nicht Ansprüche an Bestehendes sondern an etwas Zukünftiges. Andernfalls wäre es etwas bereits Gegebenes, kein Anspruch. Ein Museum braucht natürlich Ansprüche und Künstler brauchen Ansprüche. Da beide sich zwischen privater und öffentlicher Sphäre artikulieren, muß es zu Kollisionen kommen. Ein Museum liefert natürlich wichtige affirmative Bestätigungen; auch wenn wir das gerade gegenüber älterer, akzeptierter Kunst nach Meinung unseres Ministeriums viel zuwenig tun.
Andererseits ist es das experimentelle Labor, um Alfred H. Barr jr. zu zitieren, der das Museum of Modern Art in seiner Gründungsphase als solches bezeichnet und das Publikum schlicht gebeten hat, "an den Experimenten teilzunehmen". Wir wollen und müssen also immer auch etwas anderes, etwas Unbekanntes, etwas Neues zeigen. Wir tun das hier selbst bei einer Friedrich Kiesler-Ausstellung, bei einer Erika Giovanna Klien-Präsentation oder wenn wir Dubuffet, Claudio Parmigiani oder Cornelius Kolig ausstellen. Genau bei diesen Ausstellungen aber zieht die Öffentlichkeit nur in einem sehr geringen Maße mit.
Dennoch gibt es wichtige klimatische Erfolge auf diesem Weg. Ich war gerade zwei Jahre in Wien, da hatte ich einen Prozeß wegen Verunglimpfung der Katholischen Kirche am Hals. Vom Ministerium mußte mir, wenn sich ein Prozeß nicht vermeiden ließ, zusätzlich ein Disziplinarverfahren angedroht werden. Gerade in der Gründungsphase war das keine ganz einfache Situation. Ich habe also den klassischen österreichischen Weg eingeschlagen, bei bestimmten Personen interveniert und mit einer großen Pressekonferenz gedroht. Der Prozeß ist nie geführt worden, es ist bei Vorerhebungen geblieben. Sieben Jahre später aber habe ich Cornelius Kolig im Palais Liechtenstein ausgestellt, eine Ausstellung übrigens, die sich kaum ein Wiener Künstler angeschaut hat, wahrscheinlich weil Kolig kein Wiener ist. Bei fast jedem öffentlichen Auftritt damals bin ich vom Publikum beschimpft worden, wie ich diese Kakophonie, diese pathologischen Objekte verantworten könne. Darauf habe ich mich zu meiner Verantwortung bekannt und dann die erfreuliche Erfahrung gemacht, die meiner Meinung nach für die Arbeit des Museums spricht, daß ich mich selbst nie wegen dieser Verantwortung verteidigen mußte, sondern mir das immer Leute im Publikum abgenommen haben. Soetwas halte ich für einen wichtigen Fortschritt. Nur weiß ich inzwischen natürlich, daß Wien immer in diesen Extremen hin und her pendelt.
Vielleicht ist der Wiener eben eher ein verbaler, ein akustischer, denn ein visueller Mensch. Er müßte aber lernen, daß er ohne die visuellen Erlebnisse nicht auskommen kann. Und die visuellen Erlebnisse gehören nicht in die Adabei-Kolummne. Dort aber sind sie hauptsächlich plaziert.

Die inszenierte Kultur kommt Wiener Traditionen doch sehr entgegen. Was vom Musik- und Theaterleben und von internationalen Trends an Inszenierungsmoden auf die bildende Kunst und das Ausstellungswesen herübergeschwappt ist, läßt inzwischen ja wenigstens manchmal schon Unbehagen aufkommen. Andererseits partizipiert die bildende Kunst hier an ihrer allgemeinen Aufwertung, wenn Aufwertung angesichts der vielen Schattenseiten dafür ein richtiger Begriff ist. Sie könnte sich also durchaus zu eine Strang entwickeln, der, bei einem entsprechenden Stellenwert von Strenge und Präzision, weit ausstrahlen könnte, als Herausforderung an das eingefahrene Theater und Musik-Business dieser Stadt, als sozusagen neu hinzukommende Kraft, auch als Konkurenz.

Hoffentlich ist das so. Es sollte auch so sein und hat längst angefangen. Das Bühnenbild von Cats ist eine pure Applikation des Nouveau Realisme. Die beste Sammlung dieser Art ist in Wien im Museum Moderner Kunst. Und daß der Wiener Aktionismus sich heute im Theater und in Bühnenbildern manifestiert, das halte ich für ein sehr positives Phänomen; und es spricht für ihn, daß seine Hauptvertreter das schon vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren gesehen haben. Die Theaterszene folgt solchen Impulsen, nur kann deswegen noch keiner sagen, daß sich Theater und Musik in Wien besonders der Moderne verpflichtet fühlen würden. Solange ein Schönberg für das Wiener Publikum noch Avantgarde ist, hat es seine Musik immer noch nicht als das bereits Vergangene akzeptiert. Es steht immer noch abweisend vor einer unverstandenen, revolutionären Kraft. Eine gegenseitige Beeinflussung solcher künstlerischer Bereiche kann tendenziell sicher eher die Wahrnehmungsbereitschaft ausdehnen und von einer intensivierten Diskussion um die gerade hier eher "neue" bildende Kunst könnten eminente Auswirkungen ausgehen.
Das Wiener Theater hat in den vergangenen Jahrzehnten doch total versagt. Es hat uns nicht geholfen sondern uns behindert. Wo ist sie denn gewesen, die Dialektik des Theaters ? Selbst das programmatische Nichtspielen von Brecht ist überall noch bemerkbar.
Wie die Zeit jetzt sich für neue Verschränkungen nutzen läßt, ist allerdings eine komplizierte Angelegenheit. Anstöße in dieser Richtung treten nicht zufällig in einer Phase auf, in der wir wieder von einer affirmativen Ästhetik sprechen, von der Theorie des Terrorismus im Sinne Lyotards, und eine Kunst fördern, die auf der Matrix des Bauchdenkens entsteht, die wiederum in Wien eine ganz primäre Wurzel hat, während wir andererseits in Wahrheit eine Zeit der Theorielosigkeit haben, und daher keine gedankliche und inhaltliche Ausrichtung gegeben ist. Deswegen wage ich auch zu bezweifeln, ob diese Experimente, im Sinne einer Befreiung des Bürgers, auch weiterhelfen. Vermutlich ist doch nur wieder alles eine Delektierung der Bevölkerung auf eine andere Art.

Kunst im Museum erzeugt kaum mehr Erregung im freudigen Sinn, im ärgerlichen Sinn. Die Abschottung ist gerade durch die Öffnung eine totale geworden. Kunst bewegt "die Öffentlichkeit" am ehesten, wenn sie ihr öffentliches Haus verläßt. So gesehen ist die Kunst in Museen längst Unterhaltung. Das muß unter Museumsleuten doch eine Reaktion hervorrufen, einen Kampf um neue inhaltliche Festlegungen ?

Das Museum in unserem Sinn ist eine vom Staat ausgewiesene, spezialisierte, in sich abgeschlossene Wertsphäre. Sie ist aber auch die Wertsphäre, die die privaten Experimente der Künstler legitimiert. Das erzeugt große Probleme in der Zusammenarbeit. Dennoch glaube ich, daß das Museum heute legitim ist. Ich kenne kenen anderen Ort, wo diese Dinge sich austauschen könnten. Was in Wien sicherlich fehlt, ist eine außermuseale Arbeit. Die Zentrale - das für die Bundesmuseen zuständige Bundesministerium für Wissnschaft und Forschung - würde ich nicht in Frage stellen, aber die Strukturen außerhalb der Zentrale müssen gestärkt werden. Sie fehlen in Wien ganz dezidiert. Es beginnt bei den Schulen, bei den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Das hat viel mit der Wirtschaftsform des Landes zu tun, mit der Verstaatlichung, mit der Einstellung zur Obrigkeit.
Die Obrigkeit hat gegenüber Kunst sehr lange mit Mitteln der Gesetze eingegriffen, das prägt heute noch viele Einstellungen auf beiden Seiten. Es hat sich in Wahrheit aber viel geändert. Ich glaube daß dieses Land eine neue Liberalität gefunden hat. Nur muß es lernen, diese verdammten Traditionen der Vergangenheit, die jede Zukunft enorm belasten, endlich abzulegen. Es muß sich auch von dieser verdammten postmodernen Matrix befreien, die wir in Wien par excellence mit Ausstellungen wie "Traum und Wirklichkeit" durchgespielt haben. Wir müssen lernen, daß der Umgang mit Geschichte keine Selbstbespiegeleung ist, sondern dazu da, eine kritische Reflexion über die Energien für die Zukunft freizusetzen. Dazu kann das Museum etwas beitragen. Es ist aber nur ein Ort innerhalb eines größeren Spiels.

Die künstlerischen Aktionen müssen so und so von selbst passieren und sie werden, trotz aller systemimmanenter Barrieren, auch weiterhin primär in Eigenregie Wirkung erzeugen.

Sicher. Es ist völlig sinnlos, daß das Museum jetzt den Auftraggeber von früher ersetzt. Es würde mit den gleichen Restriktionen arbeiten. Die Freiheit des Schöpfens muß in den Köpfen der Künstler stattfinden, in den Ateliers und damit mitten in der Gesellschaft, nicht in der ausgewiesenen Lokalität. Denn - und wir neigen alle dazu, das ständig zu vergessen - alles was ein Museum macht, ist prinzipiell bereits Vergangenheit. Wir in den Museen können nur etwas zeigen, das schon da ist. Unsere Visionsmöglichkeit besteht darin, auszuwählen, um zu sagen, das muß jetzt diskutiert werden, das ist für die Zukunft relevant.

Also doch das Museum als philosophischer Ort ?

Aber selbstverständlich. Das Museum heute ist deshalb ein philosophischer Ort geworden, oder muß danach streben es zu sein, weil er in erster Linie der Reflexion dient. Museumsbesuch ist eine Unterhaltung, die mit Denkarbeit und sinnlicher Arbeit verbunden ist.

 

Dieter Ronte, Museumsdirektor
geb. 1943 in Leipzig. Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Romanistik (Dr. phil.). 1971-1974 Tätigkeit am Wallraf-Richartz-Museum in Köln, 1975-1979 Leiter der Graphischen Sammlung des Museums Ludwig in Köln. Seit 1979 Direktor des Museums Moderner Kunst in Wien, Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst und Gastprofessor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.

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© Dieter Ronte 1988 & Christian Reder 1988/2001