Gespräch mit Dieter Ronte
Demnächst ist es zehn Jahre her, daß Sie im Zuge
der Transferierung eines Teiles der Sammlung Ludwig nach Wien
gekommen sind, als Leiter des damals neuformierten Museums
Moderner Kunst. Angekündigt wurde ein dominanter Aufschwung
für die moderne, für die zeitgenössische bildende
Kunst. Wie sehen Sie das selbst, im Rückblick ?
Wenn man diesen angekündigten Aufschwung untersucht,
so lassen sich positive Seiten feststellen und natürlich
auch negative. Problematisch geblieben ist die räumliche
Situation in beiden Häusern; weder das 20er Haus noch
das Palais Liechtenstein sind ideal. Ein Negativpunkt ist
sicher, daß die finanzielle Ausstattung des Museums
vieles nicht erlaubt, was ich gerne gemacht hätte. Wir
haben in Wien doch z. B. einen ungeheuren Nachholbedarf im
Bereich der klassischen Moderne und wir können darüber
Informationen, die such für die zeitgenössische
Szene wichtig sind, nur sehr beschränkt bringen, weil
wir die Finanzmittel dafür einfach nicht haben.
Andererseits kann man feststellen, daß das Museum Moderner
Kunst in Wien eines der wenigen Museen ist, wo man die Kunst
bis in die Jetztzeit verfolgen kann. Man kann bei uns sehr
viele Arbeiten der 80er Jahre in den Sammlungen sehen, sie
rotieren, sie hängen nicht immer, aber sie nehmen Teil
an der Diskussion im Komplex und im Kontext der Sammlung.
Weiter würde ich als positiv vermerken, daß sich
in dieser Zeit das Galeriewesen sehr stark professionalisiert
und internationalisiert hat, womit ein klassisches, gerade
in der österreichischen und der Wiener Kunstszene stark
verbreitetes Übel ziemlich erfolgreich bekämpft
werden konnte, das Übel nämlich, daß potentielle
Sammler weniger Information hatten als der Galerist und der
Künstler. Anders ausgedrückt, mit der Installierung
des Museums ist der lokale, regionale und auch nationale Informationsvorsprung
der Produzierenden dem Käufer gegenüber abgebaut
worden. Und das hat sich bis in die Ästhetik der Kunstszene
hinein ausgewirkt.
Bleiben wir noch beim generellen, dem nicht bloß Österreich
betreffenden. Der sogenannte Museumsboom in Westeuropa und
in den USA drückt sich meistens in Einmal-Aktionen aus,
also in der Errichtung oder Adaptierung von Bauten für
bestimmte Sammlungen, gleichzeitig gibt es fast nirgends die
Bereitschaft, adäquate Folgekosten zu tragen, in neuen
Häusern eine tiefgreifendere kulturelle Arbeit zu ermöglichen.
Wie läßt sich darüber, vor dem Hintergrund
Ihrer persönlichen Erfahrungen argumentieren ? Letztlich
ist das doch völlig absurd.
Wir stehen da vor einem klassischen Problem, das aber in
Österreich wahrscheinlich besonders stark ausgeprägt
ist. Speziell die bildende Kunst wird in diesem Land sehr
national behandelt, geradezu unter einer chauvinistischen
Käseglocke geschützt. Es gibt offenbar eine Angst
vor dem Anderen, vor dem vielleicht Stärkeren, Flexibleren,
Innovativeren. Zugleich existiert natürlich auch die
Einsicht, daß man sich nicht mehr national abriegeln
kann, daß man als wirtschaftlich, kulturell und technisch
international arbeitende Nation auch die Kunst miteinbeziehen
muß. Daraus entsteht dann von Zeit zu Zeit ein starker
Wunsch nach Experimenten, ein Wille, etwas zu tun, nur ist
man dann nicht bereit, Folgekosten zu tragen. In den ersten
fünf Jahren habe ich deswegen im Ministerium sehr harte
Auseinandersetzungen austragen müssen, weil alles nach
dem Motto einer Kindesweglegung gelaufen ist. Inzwischen hat
sich manches verbessert; früher bekamen wir gerade soviel,
um am Leben zu bleiben und nicht zu sterben, jetzt sind wir
bereits in einem Stadium, wo man von einem "Besser Leben"
sprechen kann.
Diese Situation muß auch damit zusammenhängen,
daß die "Produktivität" von Kunst nicht
in die gängigen Beurteilungssysteme paßt, es sei
denn die leidige "Umwegrentabilität" wird herangezogen.
Dabei gibt es doch genügend Untersuchungen, daß
im Dienstleistungssektor die Schaffung von Arbeitsplätzen
meist weit weniger kostet, als im Industriebereich. Das braucht
man jetzt nicht gegeneinander auszuspielen, fest stehen dürfte
aber, daß die innere Dynamik intelligenter kultureller
Investitionen eigentlich noch kein Thema ist.
Genau diese Argumentation versuche ich im politischen Bereich
seit Jahren durchzusetzen. Mein Slogan, den ich dabei immer
verwende, heißt "Rohstoff Kultur", Kultur
als Rohstoff dieses Landes also. Ein solches Bewußtsein
setzt sich aber nur sehr langsam durch, auch wenn schon mehr
darüber diskutiert wird, gerade in bezug auf die bildende
Kunst.
Damit sind wir bei einem Hauptproblem in diesem Land, daß
die bildende Kunst eben nie eine wirkliche gesellschaftliche
Akzeptanz hatte geschweige denn hat. Bildende Kunst ist auch
in ihrer theoretischen Diskussion nie ausformuliert worden.
Bildende Kunst ist hier eine Begleiterscheinung des gesellschaftlichen
Lebens, sehr stark auf die Person des Künstlers fixiert,
auf seine Skandale, auf seine Aggressionen innerhalb der Kunstszene,
gegenüber Politikern, gegenüber dem Staat. Auf der
anderen Seite ist unter den Künstlern ein sehr starkes
sozialstaatliches Denken verbreitet; er muß also geben,
wenn die Kunst von ihm etwas fordert. Man vergißt, daß
der Staat zu einer regen Auseinandersetzung mit bildender
Kunst eigentlich den republikanischen Bürger braucht,
den eigenverantwortlichen Bürger.
Die bildende Kunst ist hierzulande also weiterhin eher eine
Randerscheinung. Im Bereich des Theaters, der Oper usw. ist
hingegen die Umwegrentabilitätsdiskussion, die da immer
gebracht wird, bereits weitgehend abgeschlossen. Dort gibt
es die Arbeitsplätze, dort gibt es die großen Budgets.
Nur muß auch gesehen werden, daß bildende Kunst
gerade in diesem Jahrhundert das Gegenteil von einer obrigkeitsstaatlichen
Setzung ist. Milos Forman hat das, in bezug auf Musik, in
seinem Amadeus-Film par excellence vorgeführt. Genau
darin liegen meiner Ansicht nach auch Peymanns Probleme mit
dem System. Wir fördern im Grunde genommen noch immer
eine obrigkeitsstaatliche Kultur als Setzung der Behörde,
noch immer das also, was Maria Theresia die Delektierung der
Bevölkerung genannt hat. Und bildende Kunst fällt
in diesem Land nicht in diese Rubrik. Sie ist anders geartet,
sie hat nicht diesen Ereignischarakter. Sie hat andere Abläufe,
sie hat nicht diesen sozialen Charakter. In anderen Gesellschaften,
wie in den Niederlanden, teilweise in der Bundesrepublik,
in den USA hat sie sehr wohl diesen Event Charakter, den sozialen
Charakter, wenn auch konzentriert auf Aufstellungsereignisse.
Der frühere US-Botschafter Ronald Lauder hat ja mit der
Secession versucht, derartiges hier einzuführen, als
Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit bildender Kunst.
Zum Teil mit Erfolg, zum Teil ohne. Diese Dinge müssen
jedenfalls weiter fortgeführt werden. Prinzipiell aber
beharrt der Österreicher auf einer Kultur, die von oben
kommt und er vergißt, daß es - wir leben ja in
der 2. Republik, nicht in der ersten - die Aufgabe jedes Einzelnen
ist, sich darum zu kümmern.
Was wir vom Staat fordern müssen ist, daß er die
Infrastruktur verbessert und daß durch stärkere
Aktivitäten und eine fortschreitende Liberalisierung
die Mentalität in eine Richtung verändert wird,
die ein Klima entstehen läßt, in dem sich der Einzelne
stärker angesprochen fühlt und er selbst zum Träger
solcher Entwicklungen wird. Die Kunstszene selbst macht einem
das nicht gerade leicht, denn das Spiel verkompliziert sich
natürlich dadurch sehr, daß sofort hundert andere
auf jeden schimpfen, der sich angemaßt hat, etwas zu
tun. Damit wird eine solche Liberalisierung und Öffnung
nicht gerade erleichtert.
Die Forderung an den Staat, für eine bessere Infrastruktur
zu sorgen, kommt nicht ohne den hilfesuchenden Blick nach
oben aus. Zugleich trifft man auf die - wegen der Kette schlechter
Erfahrungen durchaus plausible - Skepsis gegenüber zuerst
zwar diskutierbaren, irgendwann jedoch einmal anzuordnenden
Konzepten; sie befällt einen ja auch selbst ständig.
Es ja auch tatsächlich so, daß veränderte
Strukturen noch keinerlei Garantie für sich positiv verändernde
Inhalte sind. Dennoch ist dieser Zusammenhang doch die Kernfrage,
wenn es Reformen, wie in unserem Fall von Museen gehen soll.
Als Museumsmann bin ich prinzipiell Optimist, denn ohne Optimismus
ist dieser Beruf überhaupt nicht auszuüben. Optimismus
bedeutet auch, daß man permanent an andere Möglichkeiten
denkt, in der Hoffnung, daß solche Möglichkeiten
echte Verbesserungen herbeiführen. Wenn ich an den Status
Quo glaube, bin ich bereits Vergangenheit. Ich bin mir sicher,
daß sich gerade im Museumssektor Veränderungen
herbeiführen lassen, mit denen die Forderung nach einer
einfach notwendigen Flexibilität in einen internationalen
Kontext gebracht werden kann. In der Bundesrepublik kenne
ich sehr viele Beispiele, wo solche anzustrebenden Veränderungen
von Privatleuten, von Bürgern herbeigeführt worden
sind. So sind etwa 7/8 aller Museumssammlungen der Stadt Köln
Schenkungen von Privatleuten. Das hat die Stadt in einen Zugzwang
gebracht und zugleich ist es zu einem liberaleren Umgang mit
bildender Kunst gekommen. In Frankreich haben wir das Gegenbeispiel;
dort sind - und zwar immer von oben, als obrigkeitsstaatliche
Setzung - neue, große Strukturen aufgebaut worden, Beaubourg,
La Villette, Musée d'Orsay, weil Frankreich eben wie
Österreich immer noch zentralsaatlich organisiert ist.
Jaques Lang hat versucht das zu kompensieren und wird das
hoffentlich jetzt weiterführen, indem er dezentralisiert.
In Österreich gibt es, sehr ähnlich wie in Frankreich,
immer noch diese Kopflastigkeit von Wien. Es wäre gut
und das kommt ja jetzt auch, wenn Graz durch das neue Trigonmuseum
Gegenakzente setzen kann. Es wäre gut, wenn das Salzburger
Projekt eines Museumsbaus realisiert wird. Peter Baum in Linz
kann inzwischen ausbauen, die Landschaft dort wird lebendiger.
Ich bin auch glücklich darüber, daß Peter
Ludwig in Budapest eine Stiftung gemacht hat, die in einem
Museum zu sehen ist. Denn im Prinzip ist das Museum Moderner
Kunst in Wien zu isoliert.
Es braucht einen Druck von außen, damit wir dem Unterhaltsträger
gegenüber besser argumentieren können, aber auch
damit im Umkreis dieses Museums, das ja faktisch im Umkreis
von 400 Kilometer das einzige Museum mit so einer internationalen
Sammlung ist, ein Publikum heranwachsen kann, das besser vorbereitet
und dadurch engagierter ist. Man könnte natürlich
so eine Konkurrenzsituation auch in der Stadt selbst einbauen.
Das ist höchstens eine Frage, ob Wien dafür groß
genug ist. Österreich hat weniger Einwohner als Manhattan.
Dort gibt es diesen Wettbewerb, das Museum of Modern Art,
das Whitney Museum, The alternative Space, usw. wo immer private
Gruppierungen, wenn sie mit der Politik bestehender Institutionen
nicht einverstanden waren, Gegenpositionen gesetzt haben.
Versuchen wir solche Möglichkeiten an Hand Ihrer persönlichen
Sammlungstätigkeit zu besprechen. Der Eindruck ist da,
daß es bisher in bezug auf die österreichische
Gegenwartskunst bestenfalls gelungen ist, von jedem etwas
zu sammeln, sozusagen als Dokumente, als Namen, als Querschnitt.
Von den signifikantesten Kräften nach 1945 ist jedenfalls
in keinem Museum eine umfangreichere, markante Auswahl zu
sehen und das deprimiert. Daß die jetzige Aktionismus-Ausstellung
von Kassel ausgeht, ist ein weiterer Beleg für Versäumnisse,
ebenso das nicht angenommene Angebot Otto Mühls, seine
Sammlung einer öffentlichen Stelle zu verkaufen. Daß
ein jahrzehntelanges Desinteresse des Staates und seiner Museen
an der Gegenwartskunst nicht mehr so leicht aufgeholt werden
kann, ist jedem klar, nur heißt das ja nicht, daß
es so weitergehen muß. Wie könnte es also weitergehen
?
Von einem Projekt wie dem von Oskar Schmidt erhoffe ich mir
z. B. sehr viel. Wenn er seine Sammlung im Palais Harrach
ausstellt, wird das für die Wiener Kunstszene sehr wichtig
sein. Die Kritik an unserer Sammlung klingt mir nach Wiener
Gerüchteküche. Das ist wie die Frage, warum die
Aktionistenausstellung nicht in Wien anfängt. Es ist
auch nicht die große Aktionismusausstellung. Gerade
die Künstler sind es, die bisher hier eine solche große
Ausstellung verhindert haben, dezidiert durch mangelnde Solidarität
und auch aus Angst vor einer solchen Ausstellung in Wien.
Ich glaube auch nicht, daß es wichtig ist, wo eine Ausstellung
anfängt. Man kann nicht sagen, wir sind international,
aber alles muß in Wien sein. Selbst sehr internationale
Künstler kommen da oft mit merkwürdigen Heimatvorstellungen
des 19. Jahrhunderts daher. Die Strukturen sind inzwischen
anders. Wir selbst, als das Museum Moderner Kunst, können
nicht alles sammeln, haben aber die ausdrückliche Aufgabe,
international zu sammeln. Wir sind kein Museum österreichischer
Kunst nach 1945. Dafür gibt es die Österreichische
Galerie im Oberen Belvedere, die ihre Aufgabe nicht wahrnimmt.
Wir können sie nicht noch zusätzlich wahrnehmen.
Und wer sagt, wir hätten nur so Einzelwerke addiert,
der kennt unsere Sammlung nicht, was wiederum mit unseren
mangelnden räumlichen Möglichkeiten zusammenhängen
kann, weil wir eben vieles nicht gleichzeitig ausstellen können.
Wir werden deshalb 1989, zum zehnjährigen Jubiläum,
im Palais Liechtensetin ausschließlich die internationale
Kunst der 80er Jahre zeigen und da wird man dann sehen, wieviele
Österreicher wir gesammelt haben.
Wenn ich daran denke, daß ja tatsächlich die österreichische
Kunst nach 1945 in der Sammlung ursprünglich kaum vertreten
gewesen ist, bis auf einseitige Schwerpunkte, wie die "Wirklichkeiten"-Gruppe,
auf die sich mein Vorgänger Alfred Schmeller konzentriert
hat - Werner Hofmann hat ja immer international gesammelt
- dann muß ich heute sagen, daß wir inzwischen
mit viel Kapitaleinsatz und beträchtlicher Hilfe durch
das Unterrichtsministerium eine ganz beachtliche österreichische
Sammlung aufgebaut haben. Sie war allerdings in Wien noch
nicht zu sehen. Es sind auch sehr wohl Sammlungspakete zusammengekommen,
ob sie jetzt von Günter Brus sind, von Attersee, von
Maria Lassnig, von Oswald Oberhuber oder von Arnulf Rainer.
Gerade dessen Oevre wurde erheblich vermehrt. Vorwürfe
in dieser Richtung kann ich also auf dem Museum nicht sitzen
lassen. Im Gegenteil, ich bin überzeugt davon, daß
gerade wir sehr viel getan haben.
Der Vorwurf, den ich mir selbst mache, ist eher ein anderer,
nämlich der, daß wir schon zuviel Geldmittel für
österreichische Kunst eingesetzt haben und zuwenig für
ausländische Kunst.
Auf der Suche nach plausiblen Haltungskonzeptionen für
ein Museum Moderner Kunst stehen wird doch generell vor der
Frage, wie sich die Gedächtnisfunktion mit dem in Gegenrichtung
greifbar zu machenden, vorausschauenden, experimentellen,
sensitiven, risikoreichen Aufspüren des Neuen kombinieren
läßt, im Sinne eines Museums als offener, seismographischer
Ort. Gibt es Ihrerseits Grundsätze, in welcher Gewichtung
dabei vorgegangen werden sollte ?
Ich glaube, daß wir im Sammlungsbereich dieses Risiko
weitgehend eingehen, wobei wir nicht beantworten können,
ob wir letztlich gut gekauft haben oder nicht. Dieses Engagement
haben wir verstärkt, insbesonders gegenüber der
österreichischen Kunst und, wie schon gesagt, eher zuwenig
gegenüber internationaler Kunst. Was wir aber mit Sicherheit
nicht wollen, ist den Aufbau einer enzyklopädischen sammlung.
Das wäre heute ein sinnloses Unterfangen. Wir versuchen
elitäre Artefakte zu sammeln. Anders ausgedrückt
heißt das, wenn die Qualität überzeugt, kommen
die Leute ins Museum. Daß die Künstler sich in
ihrem Ewigkeitsanspruch im Museum dokumentiert, festgeschrieben
sehen wollen, das erfüllen wir zum Teil bei der älteren
Kunst, sicherlich aber nicht bei der jüngeren Generation.
Das wird auch durch unsere Ausstellungstätigkeit deutlich.
Wir haben mehrere Schienen, auf denen wir Ausstellungen vorbereiten.
Wir zeigen die jüngeren Künstler in kleineren Präsentationen
im Palais Liechtenstein und zwar meistens jene, die nicht
vom Kunsthandel bedacht werden. Wir haben dort für Ausstellungen
ja auch nur etwa gleich große Räume wie eine Galerie.
Die graphischen Räume sind kleiner als die der Galerie
Krinzinger oder der Galerie nächst St. Stephan. Wenn
wir mit jungen Leuten eine große Ausstellung machen,
dann in Form von Themenausstellungen. Das ist die Reihe wie
"Traum vom Raum" , "Einfach gute Malerei"
oder "Hacken im Eis", die jetzt fortgesetzt werden
soll. Ich bin gegen Retrospektiven von 28-jährigen, das
würde sie überfordern, sie vielleicht endgültig
vernichten. Gerade in Wien hat es genügend derartige
Negativ-Beispiele gegeben. Wir stellen also mehr jene Künstler
aus, die ein nicht abgeschlossenes, aber doch gestandenes
Oevre haben. Wir stellen diese Leute aber auch nur aus, wenn
es gelingt, diese Ausstellung im Ausland unterzubringen. In
dieser Reihe hat es die Ausstellungen von Prantl, Rainer,
Attersee, Lassnig, Kocherscheidt gegeben. Als nächstes
kommen Oberhuber und Nitsch. Für ein Museum, das die
gesamte Kunst des 20. Jahrhunderts zum Thema hat, haben wir
also in meinen Augen in diesen neun Jahren eine ganz schöne
Reihe von Themen- und Einzelausstellungen gemacht.
Eines stimmt sicher, ein Engagement für Zeitgenössisches
wird primär vom Museum Moderner Kunst erwartet, an die
Österreichische Galerie im Oberen Belvedere denkt dabei
eigentlich niemand mehr, während gegen die jahrzehntelange
Passivität der Albertina, gerade von Seiten der Künstler,
heftige Kritik geäußert wird.
Die Albertina hat ihre Politik mit der neuen Direktion weitgehend
umgestellt. Es ist sehr viel geschehen, gerade in letzter
Zeit, auch mit Hilfe der Österreichischen Luwig-Stiftung.
Das Obere Belvedere fehlt uns echt als Gesprächspartner.
Das ist einer der Gründe, weshalb ich dezidiert der Meinung
bin, daß man im 20. Jahrhundert nicht eine Österreichische
Galerie weiterführen sollte, sondern die Sammlungen zusammenfaßt.
Das ist das Ziel im Museumsneubau im Messepalast, wo man dann
die internationale Moderne sehen kann in die die österreichische
Kunst integriert ist.
Denn die sammlungsmäßige Isolation der österreichischen
Kunst hat nur ihre internationale Isolation bestärkt
und es beaucht noch viel Arbeit, um diese Isolation endgültig
aufzubrechen. Deshalb habe ich für Wien den dezidierten
Wunsch, zumindest die Kunst nach 1918 international zusammenzufassen,
zugleich österreichische Schwerpunkte aufzubauen und
wahrscheinlich eine österreichische Studiengalerie einzurichten,
in der die - vielleicht aus Gründen der Zeit heraus -
nicht ganz so bedeutenden österreichischen Werke doch
öffentlich präsentiert werden.
Was mich, ohne daß wir hier in eine Detailargumentation
über das Messepalast-Projekt einsteigen sollten, an der
Diskussion darüber verwundert, ist die Konzentration
auf eine Neugruppierung von Sammlungen, ist die Konzentration
auf Raumfragen, auf Kubaturen, für die es möglichst
passable - oder sogar einmalige - architektonische Lösungen
geben soll. Vorstellungen von einem neuen Museumstyp, von
einer Typenvielfalt, stehen kaum zur Diskussion. Kurt Kocherscheidt
z. B. fordert dezidiert ein "strenges Institut",
Raimund Abraham analog dazu ein Besinnen auf die "Studierstube",
Walter Pichler hält viel vom Museum als "Baustelle",
Attersee ist für "Wettkampfmuseen", Peter Weibel
für technologisch bestens ausgestattete "Museen
des Immateriellen" und Aufführungsorte. Das sind
Beispiele dafür, wie besorgt die Entwicklung der Museen
zu - noch dazu eher konventionellen - Unterhaltungsanstalten
verfolgt werden.
Eine Grundstruktur, von der Überlegungen ausgehen müßten,
ist doch sicher die Trennung in, vielleicht dem Publikum zugängliche,
Depots und eine Entwicklung des Museums in Richtung präzise
nutzbarem Ausstellungs- und Aufführungsort. Werden in
Wien nicht von vorneherein wieder Chancen vergeben, wenn nicht
solchen essentiellen Vorfragen ein entsprechendes Gewicht
beigemessen wird ?
Nehmen wir diesbezüglich die Denkrichtung Peter Weibels
her. Er rekurriert natürlich auf die berühmte Ausstellung
"Les Immatériaux" von Lyotard im Centre Pompidou.
Diese Ausstellung ist auch für das Beaubourg ein Versuch
gewesen. Für die Politiker war sie ein Flop, weil sie
sich wie immer zu sehr an ihre Statistikgläubigkeit klammern.
Als neuer Ausstellungstypus ist sie selbstverständlich
außerordentlich wichtig, ich glaube allerdings nicht,
daß diese Form für ein durchgehendes Museumskonzept
in Permanenz angewendet werden kann.
Das Museum lebt aus seiner Sammlung heraus. Es lebt nicht
von den Ausstellungen. Das wichtigste, das ein Museum hat,
und das ist ein ganz konservativer Standpunkt, ist seine Sammlung.
Deshalb will ich im Messepalast auch die Sammlungen des 20.
Jahrhunderts zusammenführen und sie dann immer nur durch
eine Ausstellung aktualisieren. Wir zum Beispiel stellen in
meinen Augen derzeit zu viel aus. Unser Publikum und besonders
die Presse hat Schwierigkeiten, diese großen und kleinen
Ausstellungen im Nebeneinander zu gewichten. Andererseits
habe ich sehr wohl die Vorstellung, daß man in Wien
jeden Tag eine Ausstellung eröffnen sollte, gerade weil
die Stadt so sperrig ist und so aversiv gegen bildende Kunst.
In den neuen Räumen jedenfalls sind multimediale Prozesse
vorgesehen. Die Räume sollen dafür gebaut werden.
Es sind Sammlungsbereiche vorgesehen, eigene Skulpturengalerien
und ein Installationsbereich. Wir haben ja sehr viele Arbeiten,
die nie gezeigt worden sind und wir haben sehr viele Arbeiten,
die einen eigenen Raum brauchen. Dazu gehören auch multimediale
Arbeiten, die wir weder im 20er Haus noch im Palais Liechtenstein
zeigen können, weil die Räume das nicht hergeben.
Der Aufführungsort Museum wird jedenfalls durch die Vortragssäle
und Foyerzonen so gestaltet sein, so gestaltet sein, daß
enorm viel möglich ist. Wenn wir aber sagen, wir hängen
jetzt die ganzen Bilder von Klimt und Schiele über Picasso
und Francis Bacon bis Arnulf Rainer prinzipiell in das Depot
und zeigen sie nur alle zehn Jahre, weil wir zwischendurch
in einer permanenten Veränderung und Rotation nur neue
Medien ausprobieren, dann glaube ich nicht, daß das
Museum eine Chance hat, sich durchzusetzen.
Ist die Idee einer weit intensiveren Konkurrenzierung, die
ja in Wien zwischen Belvedere, Albertina und Modernem Museum
nie produktiv funktioniert hat, ein verfolgenswerter Weg ?
Er ließe sich ja weit auffächern, bis hin zu verschiedensten
im Messepalast ansiedelbaren Institutionen oder zur Gliederung
der großen Häuser in weitgehend selbständige
Bereiche. Ein von starken, widerstrebenden, autonomen Kräften
geprägtes Museumsgeschehen ist ja eine sehr plausible
Vorstellung.
Das müßte das Ziel sein. Gegenpositionen schließen
ja eine Zusammenarbeit nicht aus. Museen leben prinzipiell
sicher von den Leuten die sie leiten. Je stärker und
phantasievoller sie sind, desto besser ist es für die
Situation. Allerdings müßten dann auch die Rahmenbedingungen
so sein, daß sie sich austoben können. Diese Rahmenbedingungen
gibt es aber nicht.
Unsere Crux ist ja, daß wir immer mit unterschiedlichen
Kriterien arbeiten. Wir sagen z. B. das Museum Moderner Kunst
zeigt international, die Österreichische Galerie zeigt
nur national. Von den Kriterien her ist das vielleicht logisch,
zeitlich aber ist es völlig überholt. Das eine Kriterium
ist aus dem 19. Jahrhundert - die nationale Präsentation,
die Nationalgalerie. Das andere Kriterium ist ein zeitgenössisches.
Auf die Albertina bezogen sagen wir wieder alle, daß
Zeichnung und Graphik generell ihre Sache ist, während
Gemälde und Skulptur zum Museum Moderner Kunst gehört.
Hier wird nicht zeitlich oder national unterschieden, sondern
plötzlich nach Techniken und Medien. Ich weiß nicht,
ob man diese Widersprüche völlig auflösen kann,
man kann aber sicher die Zusammenarbeit erleichtern und das
Prinzip dafür heißt für mich eindeutig Internationalisierung
der Sammlungen. Neue Medien, wie Fotographie, Video etc. wären
ihm zufolge dann im Museum Moderner Kunst, während die
klassischen Papierarbeiten in der Albertina blieben. Das sind
übrigends auch die sehr genauen Absprachen, die wir mit
der neuen Leitung der Albertina haben und deswegen wollen
wir ja im Messepalast auch ein eigenes Fotomuseum im Museum
Moderner Kunst bauen. Denn wir sammeln auf diesem Gebiet intensiv
und haben sehr viel mehr erworben, als die Öffentlichkeit
bisher weiß.
Das auch von Ihnen deklarierte Interesse an Wettbewerb und
Dezentralisierung steht aber, wenn es nicht zu sehr diffizil
funktionierenden Überbau-Lösungen kommt, Überlegungen
in Richtung Museumsverbund entgegen. Bundesmuseen, die im
Sinne einer Konzernsruktur gegliedert und von der Staatsverwaltung
und der Kameralistik abgegrenzt sind, könnten zwar als
äußerst selbständige "Tochtergesellschaften"
konstruiert werden, angesichts politischer Realitäten
wäre vielleicht aber gerade das eine elementare Gefährdung.
Das Ziel darf nicht eine Monopolisierung sein. Die Museen
brauchen offene Organisationsstrukturen, die eine äußerste
Flexibilität ermöglichen. Man muß allerdings
auch sehen, daß mein Museum etwa, selbst wenn ich die
sammlungen des Oberen Belvedere dazu addiere, im internationalen
Vergleich immer noch ein Kiosk ist. Wir sind ein gut ausgestatteter
Kiosk, von der Größe der Sammlung her, aber man
merkt, daß wir in Relation zu tonangebenden Häusern
unglaublich jung und klein sind. Deshalb glaube ich gar nicht,
daß das Wiener Museum Moderner Kunst im internationalen
Museumsgeschäft eine entsprechende Dominanz austrahlen
kann. Es wird eines der größeren internationalen
Museen sein, nicht aber eines der ganz großen. Auf Wien
natürlich wird es, aus den schon diskutierten Gründen,
eine solche Dominanz haben, vor allem weil die privaten Initiativen
fehlen. Deswegen bin ich sehr glücklich, daß die
Secession jetzt internationale Ausstellungen macht. Sie nimmt
uns Aufgaben ab, hinterfragt uns anders, stellt eine Gegenposition
auf. Solche Möglichkeiten bräuchte Wien mehrere.
Das Künstlerhaus wiederum ist in der Diskussion um moderne
Kunst völlig ausgefallen und unter wirtschaftlichem Druck
eine reine Ausstellungs-Ges.m.b.H. geworden.
Nicht berührt haben wir bisher die Problematik des -
offenbar angestrebten - funktionierenden Museums. Funktionieren
kann ja sehr leicht Glätte, Routine, Oberfläche,
Kommerzialisierung bedeuten. Einer Ideologisierung des Nichtfunktionierens
ist eine berechtigte Hoffnung auf chaotische, sprunghafte,
widersetzliche Kräfte nicht abzusprechen. In einem ordentlich
durchorganisierten Museum mit adäquaten Budgets, kompetentem
Personal, manageriellen Möglichkeiten, perfekten Dienstleistungen
für den Besucher usw. könnte ja tatsächlich
das Irritierende noch mehr verloren gehen, als dies im durchbürokratisierten
heutigen System der Fall ist.
Ich glaube, daß die derzeitige Einbindung in die staatliche
Verwaltung und in das kameralistische System in ihren negativen
Ausformulierungen stark überbetont wird. Dieses Gefühl
der Einengung hat in diesem Land mehr mit Traditionen als
mit Strukturen zu tun, weil eben der Obrigkeitsstaat vor allem
auch mental überall noch weiterwirkt. Die Gesetze sind
ja analog zu denen in anderen Ländern. Nur werden sie
anders gehandhabt. Ändern läßt sich das nur
durch ein stärkeres Engagement des Einzelnen, durch seinen
Einsatz für die Ausprägung einer anderen Mentalität.
Dazu kann ein Museum übrigens sehr wohl beitragen, indem
es eine markante zeitgenössische Ausrichtung repräsentiert.
Die Vorstellung aber, die hierzulande so stark verbreitet
ist, daß sich nur unter einem bestimmten Druck sinnvolle
Ergebnisse erzielen lassen, hätte ich als Argument eigentlich
nur vor Sarajevo akzeptieren können. Heute kann ich das
nicht mehr. Kurz gesagt, ein Museum soll im Verwaltungsbereich
immer Glätte und Routine beweisen, nie aber inhaltlich.
Sein Funktionieren muß unmerklich sein ?
Ja. Wenn ich allein die vergangenen neun Jahre reflektiere
und die Präsentation unserer Sammlungen, so komme ich
zum Schluß, daß wahrscheinlich kein Haus so oft
umhängt wie wir. Da brauchen wir weltweit keinen Vergleich
zu scheuen. Wir sind eben ein sehr neugieriges Team. Neugier
und Experimente sind wesentliche Qualitäten für
Nichtroutine. Wenn diese Neugier einmal nicht mehr da sein
sollte, dann muß man den Beruf wechseln, dann muß
man sich andere Aufgaben suchen. Dazu sollte man auch alle
Möglichkeiten haben und die dürfen natürlich
nicht von der Verwaltung und von der Kameralistik überstrahlt
werden.
Eines möchte ich aber an dieser Stelle sagen, in all
meinen Jahren in Wien habe ich praktisch nie die Präsentation
meines Hauses oder seine Ausstellungen inhaltlich mit dem
Ministerium diskutieren müssen. Es ging immer ausschließlich
um Finanz- und Abwicklungsprobleme. Meine beruflichen Erfahrungen
in Köln zeigen fast das Gegenteil davon auf. Dort gab
es eine viel stärkere Einmischung der Politiker in Inhalte.
In Wien haben wir das effektiv nicht.
Das kann auch mit Desinteresse zusammenhängen; daß
es, selbst wenn der scharfe Wind des Kunstkommerzes Wien erst
in Ausläufern streift, gerade in Museen für moderne
Kunst daneben genügend Druckmechanismen gibt, von Lobbies,
vom Kunsthandel, von Sammlerinteressen, läßt sich
aber doch nicht bestreiten ?
Selbst in Wien ist der Druck des Kunsthandels auf Museen
realtiv groß. Ich glaube aber, daß man sich freischwimmen
kann. Man braucht dem Druck ja nicht nachzugeben. Nur heißt
das zugleich, daß man ab und zu auf etwas verzichten
muß. Das muß man sich eben leisten können
und man ist es der Institution, die man zu verantworten hat
für ihre Selbsteinschätzung schuldig. Ich persönlich
bin zum Beispiel sehr stolz auf das Museum Moderner Kunst
und bin auch nicht bereit, diesen Stolz vom Kunsthandel oder
irgendwelchen Gruppierungen in Frage stellen zu lassen. Wir
wollen inhaltlich eben unabhängig bleiben. Dazu kommt,
und das verstehen viele lebende Künstler nicht, daß
ein Museum eine Institution mit relativ viel Zeit ist. Wir
haben also, um das im Sinne des Faust II mit der Kirche zu
vergleichen, einen großen Magen, zusätzlich aber,
und das unterscheidet uns vielleicht von diesem Beispiel,
auch sehr viel Zeit. Es gibt z. B. Bereiche, in die wir im
Grunde genommen releativ wenig investieren, weil ich weiß,
daß sie in 15 oder 20 Jahren ohnedies als Geschenk an
das Haus kommen werden. Diesen Zeitvorlauf muß man sich
eben geben.
Ist nicht die neue Nähe von Sponsorships, von Wirtschaftsinteressen
zu den Museen in Wien eine höchst sonderbare Mischung
aus Unbeholfenheit und extremer Brutalität ? Vielleicht
muß sich das erst einschleifen zu einer intelligenteren,
softeren, indirekteren Strategie; staatlicherseits jedenfalls
wir eher blind nach solchen Strohhalmen gegriffen. Die Casino
AG klebt plump das Theater an der Wien mit ihren Werbeaufklebern
voll, die Secession muß Sol LeWitt an Coca Cola verkaufen.
Alle Beteiligten scheinen da schlecht beraten zu sein.
Sagen wir es einmal so. Das Hrdlicka-Beispiel hat wieder
einmal gezeigt, daß in Wien nicht inhaltlich diskutiert
wird. Es wrd immer eine Person und ihr Umfeld diskutiert.
Das sind reine Stellvertreterkriege. Immer noch ist das alles
die Parallelaktion von Robert Musil. Daher werden weiterhin
auch diverseste Dinge an den Haaren herbeigezogen, aktualisiert,
aufgeblasen; über eine Sol LeWitt-Ausstellung wird wegen
solcher Einzelheiten gar nicht mehr diskutiert. Das finde
ich sehr schade. Wien fehlt in der Tat eine intellektuelle
Diskussion. Gerade die Künstler könnten zu ihr sehr
viel beitragen, wenn sie sich nicht mit Vorliebe gegenseitig
beschimpfen würden. Sie sollten ihre Gruppenegoismen,
die ja primär Folge einer auf Kleingruppen ausgerichteten
sozialen Organisation sind, wenigstens von Zeit zu Zeit über
Bord werfen und wirklich versuchen, Diskussionen anzuzünden.
Das könnte für dieses Land ungeheuer fruchtbar sein.
Bei fast allen Ausstellungen, die wir machen, erlebe ich,
daß irgendwelche Dinge herangezogen werden, damit man
einer inhaltlichen Diskussionaus dem Weg gehen kann. In anderen
Ländern ist das erfreulicher Weise wirklich anders. Der
Secession z. B. also vorzuwerfen, daß irgendwo Coca
Cola steht, verstehe ich nicht ganz, denn ich glaube, daß
Industrie und Privatleute die Verpflichtung haben, Kultur
mitzutragen. Wenn wir also einerseits fordern, daß Museen
und Institutionen wie die Secession aus der Umklammerung der
öffentlichen Hand herauskommen sollen und sich freischwimmen
können, dann brauchen wir auch die anderen, die diese
Sponsorship mitbetreiben. Denn das schlimmste was uns passieren
kann, und damit würde der Coca Cola-Vorwurf gerechtfertigt,
wäre, daß wir durch eine Auslieferung an Sponsoren-
und Mäzenatengelder aus Museen und verwandten Institutionen
Disneylands der Umwegrentabilität machen müßten.
Die Aufweichungstendenzen sind doch längst da, vor allem
bei den Politikern: Verkauf von Sammlungsgut, macht doch nur
populäre Ausstellungen, verkauft doch mehr Repliken,
bietet T-Shirts an. Das heißt, macht das Museumsshop
größer als die Sammlung, investiert immer mehr
in ein Publikumsmanagement, vernachlässigt eure wissenschaftlichen
Aufgaben. Die meisten haben schon vergessen, daß Museen
zwar nicht Grundlagenforschung, sehr wohl aber Objektforschung
betreiben müssen. Alle gieren auf tendenziell privatwirtschaftliche
Mehreinnahmen, ohne daß man die Gefahr der Förderung
eines hektischen Ästhetikbetriebes sieht, in dem sich
mit Sicherheit jede inhaltliche und theoretische Diskussion
aufhören würde. Es gibt da sicher sehr neuralgische
Punkte, ab denen eine Wahrnehmung von Museumsaufgaben im öffentlichen
Interesse nicht mehr zu verantworten wäre.
Damit sind wir bei der Zwangslage, die in der jetzt absehbaren
gesellschaftlichen Situation die Museen im Prinzip vor eine
einzige Alternative stellt: Folgen sie der vorgezeichneten
Unterhaltungs- und Animationsschiene, ohne große Komplexe
gegenüber einer fortschreitenden Kommerzialisierung,
werden sie also Orte kultureller Inszenierungen, wie sie längst
ganze Stadträume erfaßt oder gelingt es wenigstens
einigen von ihnen, Widerstandsorte zu werden, Orte der Aufklärung,
Orte des Protests, Orte der Einsicht, wie stark der Gegendruck
auch sein mag ?
Ich würde fast sagen, daß das ein logisches Problem
ist. In dem Moment, in dem ich Ansprüche habe, habe ich
nicht Ansprüche an Bestehendes sondern an etwas Zukünftiges.
Andernfalls wäre es etwas bereits Gegebenes, kein Anspruch.
Ein Museum braucht natürlich Ansprüche und Künstler
brauchen Ansprüche. Da beide sich zwischen privater und
öffentlicher Sphäre artikulieren, muß es zu
Kollisionen kommen. Ein Museum liefert natürlich wichtige
affirmative Bestätigungen; auch wenn wir das gerade gegenüber
älterer, akzeptierter Kunst nach Meinung unseres Ministeriums
viel zuwenig tun.
Andererseits ist es das experimentelle Labor, um Alfred H.
Barr jr. zu zitieren, der das Museum of Modern Art in seiner
Gründungsphase als solches bezeichnet und das Publikum
schlicht gebeten hat, "an den Experimenten teilzunehmen".
Wir wollen und müssen also immer auch etwas anderes,
etwas Unbekanntes, etwas Neues zeigen. Wir tun das hier selbst
bei einer Friedrich Kiesler-Ausstellung, bei einer Erika Giovanna
Klien-Präsentation oder wenn wir Dubuffet, Claudio Parmigiani
oder Cornelius Kolig ausstellen. Genau bei diesen Ausstellungen
aber zieht die Öffentlichkeit nur in einem sehr geringen
Maße mit.
Dennoch gibt es wichtige klimatische Erfolge auf diesem Weg.
Ich war gerade zwei Jahre in Wien, da hatte ich einen Prozeß
wegen Verunglimpfung der Katholischen Kirche am Hals. Vom
Ministerium mußte mir, wenn sich ein Prozeß nicht
vermeiden ließ, zusätzlich ein Disziplinarverfahren
angedroht werden. Gerade in der Gründungsphase war das
keine ganz einfache Situation. Ich habe also den klassischen
österreichischen Weg eingeschlagen, bei bestimmten Personen
interveniert und mit einer großen Pressekonferenz gedroht.
Der Prozeß ist nie geführt worden, es ist bei Vorerhebungen
geblieben. Sieben Jahre später aber habe ich Cornelius
Kolig im Palais Liechtenstein ausgestellt, eine Ausstellung
übrigens, die sich kaum ein Wiener Künstler angeschaut
hat, wahrscheinlich weil Kolig kein Wiener ist. Bei fast jedem
öffentlichen Auftritt damals bin ich vom Publikum beschimpft
worden, wie ich diese Kakophonie, diese pathologischen Objekte
verantworten könne. Darauf habe ich mich zu meiner Verantwortung
bekannt und dann die erfreuliche Erfahrung gemacht, die meiner
Meinung nach für die Arbeit des Museums spricht, daß
ich mich selbst nie wegen dieser Verantwortung verteidigen
mußte, sondern mir das immer Leute im Publikum abgenommen
haben. Soetwas halte ich für einen wichtigen Fortschritt.
Nur weiß ich inzwischen natürlich, daß Wien
immer in diesen Extremen hin und her pendelt.
Vielleicht ist der Wiener eben eher ein verbaler, ein akustischer,
denn ein visueller Mensch. Er müßte aber lernen,
daß er ohne die visuellen Erlebnisse nicht auskommen
kann. Und die visuellen Erlebnisse gehören nicht in die
Adabei-Kolummne. Dort aber sind sie hauptsächlich plaziert.
Die inszenierte Kultur kommt Wiener Traditionen doch sehr
entgegen. Was vom Musik- und Theaterleben und von internationalen
Trends an Inszenierungsmoden auf die bildende Kunst und das
Ausstellungswesen herübergeschwappt ist, läßt
inzwischen ja wenigstens manchmal schon Unbehagen aufkommen.
Andererseits partizipiert die bildende Kunst hier an ihrer
allgemeinen Aufwertung, wenn Aufwertung angesichts der vielen
Schattenseiten dafür ein richtiger Begriff ist. Sie könnte
sich also durchaus zu eine Strang entwickeln, der, bei einem
entsprechenden Stellenwert von Strenge und Präzision,
weit ausstrahlen könnte, als Herausforderung an das eingefahrene
Theater und Musik-Business dieser Stadt, als sozusagen neu
hinzukommende Kraft, auch als Konkurenz.
Hoffentlich ist das so. Es sollte auch so sein und hat längst
angefangen. Das Bühnenbild von Cats ist eine pure Applikation
des Nouveau Realisme. Die beste Sammlung dieser Art ist in
Wien im Museum Moderner Kunst. Und daß der Wiener Aktionismus
sich heute im Theater und in Bühnenbildern manifestiert,
das halte ich für ein sehr positives Phänomen; und
es spricht für ihn, daß seine Hauptvertreter das
schon vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren gesehen haben.
Die Theaterszene folgt solchen Impulsen, nur kann deswegen
noch keiner sagen, daß sich Theater und Musik in Wien
besonders der Moderne verpflichtet fühlen würden.
Solange ein Schönberg für das Wiener Publikum noch
Avantgarde ist, hat es seine Musik immer noch nicht als das
bereits Vergangene akzeptiert. Es steht immer noch abweisend
vor einer unverstandenen, revolutionären Kraft. Eine
gegenseitige Beeinflussung solcher künstlerischer Bereiche
kann tendenziell sicher eher die Wahrnehmungsbereitschaft
ausdehnen und von einer intensivierten Diskussion um die gerade
hier eher "neue" bildende Kunst könnten eminente
Auswirkungen ausgehen.
Das Wiener Theater hat in den vergangenen Jahrzehnten doch
total versagt. Es hat uns nicht geholfen sondern uns behindert.
Wo ist sie denn gewesen, die Dialektik des Theaters ? Selbst
das programmatische Nichtspielen von Brecht ist überall
noch bemerkbar.
Wie die Zeit jetzt sich für neue Verschränkungen
nutzen läßt, ist allerdings eine komplizierte Angelegenheit.
Anstöße in dieser Richtung treten nicht zufällig
in einer Phase auf, in der wir wieder von einer affirmativen
Ästhetik sprechen, von der Theorie des Terrorismus im
Sinne Lyotards, und eine Kunst fördern, die auf der Matrix
des Bauchdenkens entsteht, die wiederum in Wien eine ganz
primäre Wurzel hat, während wir andererseits in
Wahrheit eine Zeit der Theorielosigkeit haben, und daher keine
gedankliche und inhaltliche Ausrichtung gegeben ist. Deswegen
wage ich auch zu bezweifeln, ob diese Experimente, im Sinne
einer Befreiung des Bürgers, auch weiterhelfen. Vermutlich
ist doch nur wieder alles eine Delektierung der Bevölkerung
auf eine andere Art.
Kunst im Museum erzeugt kaum mehr Erregung im freudigen Sinn,
im ärgerlichen Sinn. Die Abschottung ist gerade durch
die Öffnung eine totale geworden. Kunst bewegt "die
Öffentlichkeit" am ehesten, wenn sie ihr öffentliches
Haus verläßt. So gesehen ist die Kunst in Museen
längst Unterhaltung. Das muß unter Museumsleuten
doch eine Reaktion hervorrufen, einen Kampf um neue inhaltliche
Festlegungen ?
Das Museum in unserem Sinn ist eine vom Staat ausgewiesene,
spezialisierte, in sich abgeschlossene Wertsphäre. Sie
ist aber auch die Wertsphäre, die die privaten Experimente
der Künstler legitimiert. Das erzeugt große Probleme
in der Zusammenarbeit. Dennoch glaube ich, daß das Museum
heute legitim ist. Ich kenne kenen anderen Ort, wo diese Dinge
sich austauschen könnten. Was in Wien sicherlich fehlt,
ist eine außermuseale Arbeit. Die Zentrale - das für
die Bundesmuseen zuständige Bundesministerium für
Wissnschaft und Forschung - würde ich nicht in Frage
stellen, aber die Strukturen außerhalb der Zentrale
müssen gestärkt werden. Sie fehlen in Wien ganz
dezidiert. Es beginnt bei den Schulen, bei den verschiedenen
gesellschaftlichen Schichten. Das hat viel mit der Wirtschaftsform
des Landes zu tun, mit der Verstaatlichung, mit der Einstellung
zur Obrigkeit.
Die Obrigkeit hat gegenüber Kunst sehr lange mit Mitteln
der Gesetze eingegriffen, das prägt heute noch viele
Einstellungen auf beiden Seiten. Es hat sich in Wahrheit aber
viel geändert. Ich glaube daß dieses Land eine
neue Liberalität gefunden hat. Nur muß es lernen,
diese verdammten Traditionen der Vergangenheit, die jede Zukunft
enorm belasten, endlich abzulegen. Es muß sich auch
von dieser verdammten postmodernen Matrix befreien, die wir
in Wien par excellence mit Ausstellungen wie "Traum und
Wirklichkeit" durchgespielt haben. Wir müssen lernen,
daß der Umgang mit Geschichte keine Selbstbespiegeleung
ist, sondern dazu da, eine kritische Reflexion über die
Energien für die Zukunft freizusetzen. Dazu kann das
Museum etwas beitragen. Es ist aber nur ein Ort innerhalb
eines größeren Spiels.
Die künstlerischen Aktionen müssen so und so von
selbst passieren und sie werden, trotz aller systemimmanenter
Barrieren, auch weiterhin primär in Eigenregie Wirkung
erzeugen.
Sicher. Es ist völlig sinnlos, daß das Museum
jetzt den Auftraggeber von früher ersetzt. Es würde
mit den gleichen Restriktionen arbeiten. Die Freiheit des
Schöpfens muß in den Köpfen der Künstler
stattfinden, in den Ateliers und damit mitten in der Gesellschaft,
nicht in der ausgewiesenen Lokalität. Denn - und wir
neigen alle dazu, das ständig zu vergessen - alles was
ein Museum macht, ist prinzipiell bereits Vergangenheit. Wir
in den Museen können nur etwas zeigen, das schon da ist.
Unsere Visionsmöglichkeit besteht darin, auszuwählen,
um zu sagen, das muß jetzt diskutiert werden, das ist
für die Zukunft relevant.
Also doch das Museum als philosophischer Ort ?
Aber selbstverständlich. Das Museum heute ist deshalb
ein philosophischer Ort geworden, oder muß danach streben
es zu sein, weil er in erster Linie der Reflexion dient. Museumsbesuch
ist eine Unterhaltung, die mit Denkarbeit und sinnlicher Arbeit
verbunden ist.
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Dieter Ronte, Museumsdirektor
geb. 1943 in Leipzig. Studium der Kunstgeschichte, Archäologie
und Romanistik (Dr. phil.). 1971-1974 Tätigkeit
am Wallraf-Richartz-Museum in Köln, 1975-1979 Leiter
der Graphischen Sammlung des Museums Ludwig in Köln.
Seit 1979 Direktor des Museums Moderner Kunst in Wien,
Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik und
darstellende Kunst und Gastprofessor an der Hochschule
für angewandte Kunst in Wien.
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