Vorwort
Über den Umgang mit Kunst und Museen: Die für diese
Publikation geführten Gespräche haben überwiegend
in Künstlerateliers stattgefunden, an Orten also, wo
Kunst produziert wird. So gesehen ist versucht worden, von
Ursprüngen auszugehen, vom Künstler selbst, von
seinen Gedanken, Emotionen, Forderungen. Dies ausdrücklich
auch deshalb, weil derartiges in den üblichen Mechanismen
nicht vorgesehen ist.
Die Gesprächspartner: Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt,
Walter Pichler, Christian Ludwig Attersee stehen in Österreich
zweifellos für herausragende künstlerische Entwicklungen.
Raimund Abraham liefert als Fundamentalist und Stimme des
New Yorker Exils den einleitenden Beitrag. Cathrin Pichler
vertritt als Ausstellungsmacherin die Suche nach neuen, den
Inszenierungsschub der letzten Jahre ablösenden Konzepten.
Peter Noever hat als Direktor des Österreichischen Museums
für angewandte Kunst in kurzer Zeit deutliche Zeichen
gesetzt und präzisiert seine grundsätzlichen Absichten
und Fragen. Die Hochschule für angewandte Kunst ist -
auch als Dokument ihrer Offenheit - "nur" durch
die andere Hälfte dieser subjektiv zustandegekommenen
Gruppierung vertreten. Rektor Wilhelm Holzbauer argumentiert
über das Bauen in dieser Republik, über die zugehörigen
Systeme und über das Bauen von Museen, am Beispiel des
Großprojektes "Messepalast". Hermann Czech,
zuletzt Gastprofessor an der Meisterklasse für industrielle
Formgebung, liefert ergänzende und konträre Überlegungen
zur Architektur und zur Vorgangsweise bei solchen "Jahrhundertaufgaben".
Standpunkte einer entgrenzten, extrem veränderbaren Kunst
werden von Peter Weibel, der ein Museum des Immateriellen
fordert, von Alfons Schilling und Oswald Oberhuber - dem Rektor
der Jahre 1979-1986 und Vorstand des neugegründeten Institutes
für Museologie - vertreten. Dieter Ronte, Direktor des
Museums Moderner Kunst und Gastprofessor am Institut für
Museologie, gibt Wiener Beobachtungen und Überlegungen
zu seinem Museumskonzept zu Protokoll. Peter Gorsen, der an
der Hochschule Kunstgeschichte lehrt, liefert die abschließend
resumierende kunst- und gesesellschaftstheoretische Analyse
der gegebenen Situation.
Thematische Entgrenzung: Dem konventionellen Denkmuster,
aus Bestehendem, aus der Geschichte, aus akuten Unzulänglichkeiten
heraus durch Kunsthistoriker, Museumsleute, Beamte, Politiker
und Berater Entwicklungserfordernisse feststellen zu lassen,
wird bewußt das unkoordinierte Einzelgespräch mit
dem Künstler und mit in künstlerischen Zusammenhängen
Arbeitenden gegenübergestellt. Museen und Museumsexperten
tun ja nur zu oft so, als ob sie den - noch lebenden - Künstler
gar nicht bräuchten. Die Moderne ist das Thema, der laufende
Verrat und die Skepsis an ihr, der Blick des Künstlers,
der Blick auf die Kunst, das Klima, die Strukturen, die Architektur,
der Ort. Nicht historischen, kunsthistorische Museen liefern
den Ansatz, sondern Positionen zeitgenössischer Kunst
und sich aus ihnen ergebende Überlegungen zu Möglichkeiten
für neue Museen. Als Teil des öffentlichen Raumes,
der für eine Auseinandersetzung mit Kunst, mit der Geschichte,
mit der Realität, mit Utopien offen wäre. Daß
Merkmale idealer Museen moderner Kunst auch Schlussfolgerungen
für inhaltliche und strukturelle Notwendigkeiten in anderen
kulturellen und musealen Einrichtungen zulassen, muß
eigentlich nicht extra betont werden. Was sonst als der pointiert
zeitgenössische Blick könnte dazu beitragen, an
Schnittstellen zwischen Gedächtnis und Vorhersage, zwischen
Unterhaltung und Erkenntnis interessante Situationen zu erkämpfen?
Thematisch geht es keineswegs nur ums Museum. Viele Elemente
einer Debatte um Reformismus fließen ein.
Örtliche Entgrenzung: Auch wenn für Grundsätzliches
oft aus der Wiener Situation Beispiele herangezogen werden,
sollte das die mit diesen Gegebenenheiten nicht Vertrauten
nicht irritieren; unaufgeklärte Viennensia sind vielleicht
bloß Beispiele, für die sich anderswo leicht Entsprechungen
finden lassen. Die aktuelle Situation in Wien kann kurz so
zusammengefaßt werden: Seit ungefähr fünf
Jahren gibt es eine breitere "Museumsdiskussion".
Mit der Ruhe ist es vorbei. Die Chance einer "Großen
Lösung" - einer "Museumsinsel" im Zentrum
unter Einschluß des Neubauprojektes "Messepalst"
in den ehemaligen Hofstallungen - erhitzt in wechselnder Intensität
die Gemüter. Privatwirtschaftliche Finanzierungs- und
Managementformen scheinen die Bürokratiegläubigkeit
zu verdrängen. Das Geld für Bauten stellt normaler
Weise kein echtes Problem dar, bei Betriebsmitteln jedoch
gilt ein eiserner Sparkurs. So gesehen läuft vieles ganz
im Sinn einer internationalen Anpassung.
Sprechen, Schreiben, Stellungnehmen: Um unbestimmbare Chancen
zu wahren, ist auf den - eher überfallsartigen - Dialog
gesetzt worden; nicht auf inszenierte Kommunikationsformen
in Konferenzen, , Hearings, Gremien, Symposien. Die Worte
sollten - vorerst - noch nicht auf der Waagschale liegen.
Außerdem kann ein abwesendes Publikum einen zu nichts
verführen, Spontaneität behält ihren Wert,
Assoziationsketten brauchen nicht abgebrochen werden, verbale
Radikalität läßt sich überdenken und
auf jenen Punkt bringen, der ausdrückt, was tatsächlich
gemeint ist. Die Übersetzung von Tonbandprotokollen in
komprimierte Schriftfassungen erfolgte in den vorliegenden
Fällen daher auch mit der Absicht, von der jeweiligen
Gesprächssituation, bis hin zum Tonfall, soviel als möglich
wiederzugeben. Wichtiges drückt sich bekanntlich gern
im Nebensächlichen aus und deswegen ist versucht worden,
beidem mit Respekt gegenüberzutreten. Jedenfalls: Alle
Interviews sind, wenn auch sicher im Bewußtsein, daß
sie bloß Ansätze, Fragmente sein können, persönlich
korrigiert, teilweise überarbeitet und schließlich
autorisiert worden (Oswald Oberhuber und Dieter Ronte haben
pauschale Veröffentlichungsgenehmigungen gegeben).
Aktualität und Zeitdruck: Die Methode, gesprochene zu
druckreifer Sprache zu komprimieren, hat sich angeboten, weil
es mir wichtig erschienen ist, wieder einmal auszuprobieren,
was in Wien durch die Kooperation nachdenklicher, in räumlicher
und meist auch in persönlicher Nähe zueinander stehender
Kräfte in kurzer Zeit zusammengebracht werden kann. Die
Einflußnahme auf öffentliche Angelegenheiten wird
ja einerseits genauso oft durch selbstgestellte Gründlichkeitsansprüche
blockiert, wie sie auf der anderen Seite durch Annäherungsrituale
an Entscheidungsträger. Außerdem tragen knappe
Termine manchmal zu Klarheit und Schärfe bei. Einer solchen
Obsessionsarbeit haben sich alle an diesem Buch Beteiligten
freiwillig ausgeliefert und so konnte es nach sieben Wochen
in Druck gegeben werden.
Einmischung: Es ist bewußt ohne Auftrag gehandelt worden,
damit frei von Bindungen und einer unmittelbaren Dienstbarmachung
operiert werden konnte. Gerade aus meiner Berufserfahrung
mit Projektstudien, Konzepten, Reformvorschlägen ist
es mir nur zu bewußt, wie weit die dabei geforderte
Nüchternheit, Glätte, Konstruktivität für
gewöhnlich den Prozeß der Ideenfindung in zu professionalisierter
Weise einengt. So gesehen ist auch versucht worden, eine andere
Form konzeptueller Arbeit zu finden: Betonung des Arguments,
Zurückdrängen der Selbstzensur, Frage nach Grundsätzlichem,
Verteidigung der Idee gegenüber den Sachzwängen,
rasche Publikation als Chance für die öffentliche
Diskussion.
Anstöße: Die persönliche Involviertheit in
die Thematik hat sich aus der Mitarbeit in der1987 eingesetzten
ministeriellen Beratergruppe ergeben, von der Entwicklungsvorschläge
für die Österreichischen Bundesmuseen ausgehen sollen,
ferner durch Projektarbeiten im Museums- und Kulturbereich,
sowie durch langjährige Arbeiten für eine, angesichts
deformierender Organisationszwänge mehr Möglichkeiten
eröffnende "unsichtbare Architektur". Außerdem
besteht ein unmittelbarer - über die Interdisziplinarität
und neue Kooperationsformen zwischen Kunst-, Wissenschafts-
und Wirtschaftsbereichen gegebener - Kontext zur neuen Lehrkanzel
für Kunst- und Wissenstransfer an der Hochschule für
angewandte Kunst in Wien, die seit 1985 von mir aufgebaut
wird. Zum dauernd geforderten intensiveren "Transfer"
zwischen einander fernstehenden Spezialbereichen und Gedankenzonen
sollte daher ebenfalls ein Beitrag geleistet werden. Dabei
muß nach meiner Auffassung die Transferstelle eine zurückhaltende,
unmanipulative, für Präzision sorgende Funktion
übernehmen. In diesem Sinn haben die für dieses
Buch geführten Diskussionen auch eher einen Erhebungscharakter.
Streitgespräche wären Sache einer Nachfolgephase.
Resümee I: Ergebnisse, Divergenzen, bestimmte Gemeinsamkeiten
werden bewußt nicht zusammengefaßt, beurteilt,
gegeneinander gestellt - also auf unmittelbar verwertbare
Vorschläge reduziert. Dafür sind die Problemstellungen
der Kunst- und Museumspraxis zu komplex. Allerdings lassen
sich in vielen Passagen sehr konkrete Ideen aufspüren
und es wäre zu wünschen, daß sie auf ihre
Weise Kraft gewinnen. Als Ausnahme von diesem - das Lesen
betonende - Prinzip sollen hier nur einige Stichworte vorangestellt
werden, die durchgehend wiederkehrende Argumentationslinien
skizzieren: Nicht die Museen sind das vorrangige Problem,
sondern die Wertung bildender Kunst im öffentlichen Bewußtsein,
nicht die Bauten - sondern der Umgang mit Inhalten, nicht
die Organisation - sondern die Autonomie der einzelnen Häuser,
nicht monopolistische Strukturen - sondern bessere Bedingungen
für ein exponiertes kulturelles Arbeiten, - nicht Anbiederung
- sondern Haltung, nicht neutralisierende Harmonie und Bestsellerkultur
- sondern Kontroverse, Vorhersage und öffentliche Auseinandersetzungen
mit Kunst, Geschichte, Realität, Zukunft.
Resümee II: So gesehen ist vielleicht auch ein Lesebuch
über künstlerische Stanpunkte entstanden. Wenn es
phasenweise die Ebene einer radikalen Kampfschrift für
die Moderne erreicht, so war das durchaus beabsichtigt.
Wien, 1. September 1988 Christian Reder
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