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Peter Weibel
ZKM - Zentrum für Kunst & Medientechnologie
Ars Electronica Linz
 

Wiener Museumsgespräche
Über den Umgang mit Kunst und Museen

Eine Publikation der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.
Falter Verlag, Wien 1988

Thematisierung des angelaufenen Museumsbooms und der inhaltlichen und strukturellen Bedingungen für Reformen.

Gespräche mit Raimund Abraham, Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Wilhelm Holzbauer, Hermann Czech, Cathrin Pichler, Christian Ludwig Attersee, Dieter Ronte, Peter Weibel, Oswald Oberhuber, Peter Noever, Alfons Schilling, Peter Gorsen

 

 

Gespräch mit Peter Weibel

Versuchen wir uns über die Polarität zwischen der Ars Electronica, in Linz, die sich als Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft versteht - mit Peter Weibel als Mitveranstalter - und dem Museum als Enklave, als "konservative Zeltinsel" (so die Weibel-Definition in "Die Beschleunigung der Bilder") einer Debatte heutiger Museumsfragen zu nähern.

Ich nenne das Museum eine Zeitinsel; eine gerade - 1988 - in Berlin, noch dazu in einem Bahnhof, laufende Ausstellung von Harald Szeemann heißt sogar "Zeitlos". Man sieht also, daß die Ausstellungsmacher, ohne es zu wollen, meine Theorie bestätigen. Mit Blick auf das kommende Jahrhundert, in dem Zeit immer kostbarer und der Zeitkapitalismus im Gegensatz zum räumlichen Kolonialismus früherer Phasen die neue Marktform sein wird, zieht sich ausgerechnet die Kunst in eine Zeitlosigkeit zurück. Damit unterwirft sie sich Konservierungskräften, denn alle Museumsaktivitäten zielen immer noch auf ein Denken ab, das nur Formen von Räumen kennt, während für den Rest der Welt Formen von Zeit bestimmend sind. Das Kapital besitzt längst auch sein Double, die Zeit. Diese Zusammenhänge sind evident. Produktionszeit ist bezahlte Zeit. Verdientes Geld ist für Konsumation gesparte Zeit:.
Zeichen eines vergangenen Milleniums, ist daher, wenn Überlegungen zum Thema Museum immer zuerst zur Architektur, zu Fragen des Bauens und des Raumes führen. Ein Museum muß doch nicht baulich, sondern vor allem von der sozialen Funktion her und in seinen Beziehungen zu den Künsten neu durchdacht werden.
Museen, wie wir sie heute kennen, widerspiegeln ja nur eine äußerst kurze Phase innerhalb der Kunstgeschichte und ihren Formen der Vermittlung und ich würde sagen, in einer sehr verkümmerten, bürgerlichen Form. "Museion" im ursprünglichen alexandrinischen Sinn, bedeutete auch so viel wie Bibliothek, Forschungsinstitut, Sammlungen aus den verschiedensten Wissensgebieten. Dahin muß das Museum wieder kommen. Daß Museen heute zu Orten verkommen sind, in denen Bilder zur flüchtigen Konsumation aufgehängt sind, als Ziel von Familienausflügen und einer kolonialen Touristik, ist eine relativ neue Erscheinung, von der es sehr trügerisch wäre anzunehmen, sie hätte eine Zukunft.
Das gegenwärtige Museum hat als Leittyp immer noch die Privatsammlung im Besitz des Adeligen oder des reichen Bürgers. Das Prunk- und Geltungsbedürfnis von Privatleuten wurde bloß auf nationale, staatliche Ebene übertragen. Deswegen sind auch die meisten sogenannten öffentlichen Museen lächerliche Stiftungen von Privatsammlern. Das Museum, als öffentliche Sammlung, ist eine Lüge, die das vollkommene Elend und das skandalöse Versagen des Staates und seiner Vertreter in Fragen der Kunst verdeckt.
Im späten 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung und der Verkündung der Menschenrechte, wurden für jedermann und -frau zugängliche Museen gefordert und gegründet (British Museum 1753/59, Louvre 1793). Das Museum ist also einerseits eine Geburt der Aufklärung, andererseits des aufstrebenden Bürgertums, das die soziale Stelle und Funktion des Adels übernimmt. Aus dieser Umklammerung entsteht die zeitgenössische Agonie des Museums. Denn wenn das Museum als Typus der öffentlichen Sammlung nichts anderes ist, als die Wiederholung der Struktur der Privatsammlung - siehe die Sammlung Ludwig im Wiener Museum Moderner Kunst im Palais Liechtenstein - wo schon die Terminologie die trübe Erbschaft der historischen Genese verrät, nämlich die Allianz von Aristokratie und kapitalistischem Bürgertum, die gemeinsam den österreichischen Staat ausbeuten bzw. dessen sozialistische Machthaber ums Ohr hauen, dann kann man ja gar nicht von einer öffentlichen Sammlung sprechen, sondern nur von einer von der öffentlichen Hand subventionierten und daher zumindest öffentlich zugänglichen Privatsammlung.
Als solche kann natürlich ein Museum den historischen Anspruch, ein Ort der Aufklärung und der Verkündung der Menschenrechte zu sein, nicht verwirklichen - man macht sich ja schon lächerlich, im Zeitalter der Firmenpromotion durch Museen, im Zeichen des Sponsoring, von so einem historischen Zusammenhang überhaupt zu sprechen. Die Öffnung und Konservierung von Privatsammlungen kann nicht im geringsten die Aufgabe von öffentlichen Museen, staatlichen Sammlungen sein. Die Praxis der heutigen Museen und ihrer Verbindungen mit dem Kunstmarkt, sozusagen als Fort Knox, als Goldwährung zeitgenössischer Tafelbilder zu funktionieren, ist eine erniedrigende Deprivation der historischen Möglichkeiten des Museums. Daraus folgte nämlich, daß die Kunst direkt, bzw. auf dem Umweg über Galerien, für diese Institutionen, für Sammlung und Museum, produziert wurde. Unter dem Druck dieser institutionellen Macht, in einem gleichsam evolutionären Wechselspiel von Anpassung und Selektion, verengte sich die Praxis der Kunst auf das Niveau von im Museum aufstellbaren Objekten und Bildern. Doch eine gotische Kathedrale wurde ja nicht fürs Museum gebaut.
200 Jahre Museum als Typus der öffentlichen Sammlung, welche dem Leittyp der Privatsammlung folgt, ist mehr als genug und keineswegs das Omega der Kunstgeschichte, auch wenn uns dies in einer panischen Bauaktivität des konservativen Zeitgeistes, der uns mit Museumsbunkern und -boutiquen überschwemmt, weisgemacht werden soll.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es viele künstlerische Formen und Bewegungen, welche gegen eine Verengung der Kunst auf eine museale Kultur rebellieren. Diese "Anti-Kunst" hat von dadaistischen Aktionen über sozial eingreifende und partizipierende Strategien bis zu Videoinstallationen eine Vielfalt neuer Formen und Funktionen entwickelt. Dieser Funktionenvielfalt der modernen Kunst widersetzt sich das Museum um den Preis, daß es in ein Konservatorium traditioneller Künste absackt und solcherart als Vermittlungstypus von Kunst selbst museal wird, obsolet, und nur mehr von der öffentlichen Hand aus fragwürdiger Repräsentationssucht, die ein Betrug am Volksvermögen ist, mitgeschleift wird.
Ein Museum, um seinen ursprünglichen Gründungsgedanken und -absichten gerecht zu werden, darf also primär keine Sammlung sein. Wenn es heute der schicke Trend geworden ist, internationale Großausstellungen in Fabriken, in Bahnhöfen, in Kirchen, in Messehallen, in Badeanstalten etc. stattfinden zu lassen, dann zeigt dies doch deutlich, wie sogar der Kunstmarkt selbst mit dem Museum als Ausstellungs-Ort unzufrieden ist. Wenn die gegenwärtige Kultur aus Praktiken besteht, die von Aufführungen bis zu digitalen Techniken reichen, hat auch das Museum eine Praxis zu entwickeln, die es ihm ermöglicht, mit diesen neuen künstlerischen Formen und Techniken umzugehen, will es ein Museum gegenwärtiger Kultur bleiben. Dies verlangt eher nach einem Museum als Aufführungs-Ort denn nach einem Aufzeichnungs- und Aufbewahrungssystem. Wird das Museum nur historische Formen der Kunst archivieren, wird es bald selbst zu einer historischen Form und Praxis verelenden.
Museumskunst und Kunstmuseum stellen eine historische Achse dar, die seit dem Anfang des Jahrhunderts aus de. Inneren der Kunst selbst kritisiert wird. Von Duchamp bis Christo gibt es Künstlertypen und Kunstbewegungen, welche das Museum als Ort transformieren oder transzendieren wollen, in Richtung eines Museums als Zeitform. Ein Museum der Moderne und der Zukunft kann also nur von den Praktiken einer Kunst jenseits des Museums lernen - das sagt uns die Dialektik der modernen Kunst selbst.

Ergeben sich - um nach diesem Exkurs an die Eingangsfrage anzuknüpfen - aus den Festivalerfahrungen in Linz z. B. konkrete Ansatzpunkte für Entwicklungsüberlegungen?

Jede Menge. Wir haben es dort mit Aufführungskünsten zu tun und dabei die größten Schwierigkeiten, die neuen Aufführungsformen in alten Orten, in einer Konzerthalle oder in einem geschlossenen Raum unterzubringen. Die neuen Kunstformen passen eben nicht mehr in gebaute Räume und brauchen sie auch gar nicht. Die Künstler dringen daher auf das Werksgelände der VOEST vor, auf die Donau hinaus, sie benutzen den Donaupark, setzen im Freien Radio und Laser ein. Die Leute, die mit Museen zu tun haben, müssen eben begreifen, daß das Bild nicht in alle Ewigkeit an diese obsoleten Produktionstechnologien - Öl und Leinwand - gebunden ist. Gegen das gemalte Bild ist nichts zu sagen, nur war es ein Durchgangsstadium zu weit aufgefächerten Bildwelten, für die Fotographie, Film, Video, Projektionen, Digitalisierung erst ein Anfang sind.
Die Idee des Bildes ist das eine, sein materielles Medium ist etwas anderes. Die Geschichte des Bildes zeigt uns doch ganz klar, daß es gewachsen ist und sich verändert hat mit der technischen Entwicklung des materiellen Mediums. So wie die Handschrift und die Schreibmaschine zwei verschiedene Aufschreibsysteme der Schrift darstellen, wir aber von Friedrich A. Kittler lernen können, wie die verschiedenen Aufschreibsysteme auch das Geschriebene selbst verändern, so hat auch das Bild verschiedene Aufzeichnungssysteme und Gastmedien. Für diese Passage des Bildes von einem Gastmedium zum anderen, vom historischen Medium der Leinwand zum gegenwärtigen des Bildschirms, gilt allerdings ebenfalls Kittlers Warnung, "daß solche Operationen im uralten Medium Alphabet dieselbe technische Positivität wie bei Computern auch haben. Gedruckte Klagen über den Tod von Mensch oder Subjekt kommen allemal zu spät".
Es ist daher ein ganz natürlicher und logischer Gedanke - wären Museumskuratoren nur logischen Gedanken ebenso zugänglich wie Prestigesucht und privatem Profit - daß ein wirkliches Museum für moderne Kunst auch moderne Bildmedien und antikünstlerische, grenzgängerische und immaterielle Kunstformen des 20. Jahrhunderts in seine Kommunikationskanäle und -formen miteinzuschließen weiß.
Ein Museum darf also nicht nur ein Ort von Beständen sein, sondem muß zu einer Zeit-Passage werden, wo durch neue, hochentwickelte Aufführungs- und Ausstellungstechniken visuelle und akustische Schauplätze und Schaustücke entstehen, Studios, Wohnzimmer, Kleinfabriken (von mir aus Tempel) der Datenindustrie, in denen der Mensch lernt durch die Kunst die Welt zu verstehen.
Das Museum als Erlebnis-Modell. Der Bahnhof als Ort von Ausstellungen ist als bloßer Ort ein triviales Spektakel des Poetischen, ein Orakel des Obskuren. Als Metapher allerdings zeigt uns der Bahnhof als Ausstellungsort, wohin die Reise der Kunst geht, nämlich wie alles Reisen, um die Zeit. So wie man vom Bahnhof in die weite Welt gefahren ist, um zu lernen, so wie auf dem Bahnhof Waren und Güter ausgeladen, verschoben und verteilt werden, so wie auf dem Bahnhof Menschen auf ihrer Reise von Ort zu Ort umsteigen, so könnte das Museum ein immaterielles Territorium des Reisens werden, eine Verschiebestelle von Erfahrung, ein Distributionsfeld des Wissens, in dem man imaginäre Reisen in die Welt unternimmt. Das hieße aber, den Bestands-Gedanken ebenso aufzugeben, wie den der Kunstimmanenz.
Wie viele andere Museen erfaßt jetzt z. B. das Centre Pompidou seine gesamten Bestände; jedes Objekt wird fotographiert und mit seinen Daten im Computer gespeichert. Auf vielleicht zwei oder drei kleinen Disketten wird dann das ganze Museum verfügbar sein. jeder kann sich das ganze Museum einstecken. Man sieht also ganz deutlich, daß das Bauliche gar keine Rolle spielt. Die Bauten dienen nur Kulturspektakeln. Sie sind Spekulationsobjekte, durch die Massen durchmarschieren, um stationäre Bilder vorgesetzt zu bekommen. Da wir seit hundert Jahren auch bewegte Bilder haben, Bilder die Zeit vermessen, und damit also eine zeitbegründete Kunst, muß man die Beziehungen zu anderen zeitbegründeten Aufführungsformen der Künste sehen - zur Musik schlechthin, zum Gesang, zur Oper, auch zum Theater.

Es gibt zwar Schallplatten- und Tonbandarchive, nicht aber echte "Museen", wo man sich in Kabinen oder kleinen Studios die besten und seltensten Aufnahmen anhören könnte und "Reproduktionen" davon bekommt. So etwas funktioniert nur in Geschäften, muß also ein Geschäft sein.

Musik macht solche Strukturen besonders deutlich. Jeder hat sein Privatmuseum mit Schallplatten und Kassetten. Er wählt sich aus diesem uferlosen Gebiet aus, was er gerne hören möchte. Der Staat aber denkt verschwenderisch nicht daran, konsequent zu archivieren. Ein solches Museum würde auch ganz anders ausschauen. So wie ein neues Museum, das nicht mehr den Raum, sondern Zeit und Zeitabläufe als Grundprinzip hat, zu ganz anderen Formen führen würde. Meine Thesen gehen ja konform mit den neuen Philosophen, von Virilio bis Deleuze, die festgestellt haben, daß die Technologie das räumliche Territorium exterritorialisiert. Darauf muß sich doch eine Museumspolitik einstellen. Sie muß sich an den Aufführungspraktiken orientieren, z. B. an der Musik, als der klassischen Zeitform der Kunst, bzw. Kunstform der Zeit.

Keines der neuen Museen geht aber diesen Weg. Zwanzig Jahre Erfahrungen mit dem Centre Pompidou bestätigen Baudrillards Feststellung, daß es als Monument sich selbst genügt und völlig unabhängig von seinen Aktivitäten als Medium wirkt. Gleichzeitig wird es schrittweise zum statisch-konventionellen Museum zurückentwickelt, die offene Struktur wird verschalt, die Reste sichtbarer "Transparenz" braucht es als Signet. Auf der anderen Seite haben wir Technologiemaschinerien wie das Air & Space Museum in Washington oder den Industriepark La Villette in Paris, geprägt von Macht- und Neutralisierungsideologien, für die Informationstechnik als bloße Bestätigung wirken darf.

Das Verbindende dieser Projekte ist, daß sie keine Ausstellungen brauchen. Ihre spektakulären medialen Erfolge haben mit den gezeigten Exponaten nichts zu tun. Sie sind darauf angelegt, Menschenmassen anzuziehen, als Mischung aus Bahnhof und Drugstore. Im Centre Pompidou habe ich selbst ein überfülltes Haus erlebt, obwohl jeder einzelne Ausstellungsraum gesperrt gewesen ist. Das ist der Beweis für Baudrillard und für die Nebensächlichkeit des Gezeigten. In den anderen genannten Beispielen und in vielen der so erfolgreichen neuen Science Museen hingegen, wie etwa im Franklin Museum in Philadelphia, wird versucht, Medien für die Interaktion und Animation zu benutzen, als Modell für Museen, in denen Besuchern plötzlich erlaubt ist, alles anzugreifen, etwas zu bewegen, mit den Dingen zu spielen. Das läuft sicher noch nicht so richtig wegen der erst behelfsmäßigen medialen Vernetzung. Den Ansatz aber halte ich für richtig. Solche Museen funktionieren nicht ohne den Besucher, der alles mögliche in Gang setzt. Sie brauchen also den Besucher wirklich. Er erst sorgt dafür, daß die Museumsmaschine etwas produziert.

Wie groß die Diskrepanz zwischen aufwendigen technologischen Spielmöglichkeiten und dem primitiven Informationsangebot oft ist, beweist La Villette. Auf einer riesigen Weltkarte sind ethnologische Besonderheiten vermerkt. Auf Knopfdruck erfährst du dann z.B., daß es ausgerechnet in der Tschechoslowakei noch Matriarchatsreste geben soll. Ein Weiterfragen ist nicht vorgesehen. In einer anderen Abteilung wiederum heißt die Gegend zwischen Linz und Wien schlicht "Willendorf', wegen der Steinzeitvenus. Die Informationsverarbeitung und deren Kontrolle ist also, wie anderswo auch, völlig ungelöst und bestimmt von Machtdemonstrationen: La Grande Nation, unschlagbare Vereinigte Staaten.

Natürlich, das sind eben erst Anfänge, ideologisch und wissenschaftlich noch schlecht gemacht, überfrachtet mit Simplifizierungen. La Villette ist im Grunde entwürdigend, langweilig, viel zuwenig künstlerisch. In jedem Fall wegweisend ist Lyotards Ausstellung "Les Immatériaux" im Centre Pompidou gewesen. Die Leute sind mit Kopfhörern durchgegangen; sie haben aber weder eine Führung, noch eine Erklärung gezeigter Objekte erhalten. Sie haben einen Text zu hören bekommen, aber wie der zur Ausstellung paßte, mußte jeder für sich selbst herausfinden. Lyotard hat das hochintellektuell und künstlerisch glänzend gelöst; vor allem in zwei Punkten: Interaktion und High Tech. Er hat überzeugend versucht, das Museum aus dem Baulich-Materiellen herauszuholen und gesagt, das Museum der Zukunft muß sich offenhalten für die immateriellen Künste, für dematerialisierte Kunstformen, für auf Zeit begründete Kunst. Das was im Dadaismus angefangen hat, wird weitergehen, ins nächste Millenium hinein. Es aus dem Museum auszusperren und damit aus der Geschichte, aus dem Gedächtnis der Menschen wäre absurd. Genau das geht aber vor sich.
Das Museum funktioniert ja nicht einmal mehr als Gedächtnis. All die Aufarbeitungen einer verdrängten und unterdrückten Geschichte der letzten Jahre sind ja nicht in Museen erfolgt und nicht von Museumsleuten. Künstler, Händler, private Kunst- und Sozialhistoriker haben in Zentralsparkassen, Arbeiterkammern, Galerien die Geschichte aufgearbeitet, die von den Museen negiert oder vernachlässigt worden ist. Die wesentlichen Aufbruchstimmungen, was die Transformation der Geschichte anbelangt, die Entdeckung weißer Flecken auf der Kulturlandkarte, verdanken wir ja nicht musealen Initiativen.
Eben gerade als Gedächtnis der Kultur, als Archiv der Kulturgeschichte, haben die Museen ja versagt, mußten sie ja versagen, da sie sich jeweils bereitwilligst der Macht hingegeben haben, was auf Grund ihrer historischen Genese gar nicht anders möglich war. So haben also die öffentlichen Sammlungen in Wahrheit weder die öffentliche noch die verheimlichte Kultur gesammelt, sondern nur die privaten Interessen von Kulturspekulanten und die staatlichen Kunstvernichtungsstrategien repräsentiert.
"Post Utopia" steht heute über den Museen, denn die neuen Museen werden für anderes gebaut. Topos heißt bekanntlich Ort und Utopie heißt so viel wie Nicht-Ort. Ein Museum der Utopie kann also kein Museum des Ortes sein. Doch die Kultur des Establishments entwickelt einen Krieg, um mit Hilfe der Kunst seinen sozialen Ort zu stabilisieren. Daher definiert das Establishment das Museum wieder als Ort und baut Museen als Triumph des Ortes, sozusagen als Nicht-Ort der Utopie.
Das ist der eigentliche Kulturkampf. Er ist der Grund, warum das Centre Pompidou sich wieder zurückentwickelt oder das neue Museum in Williamsville für die Sammlung Panza aus Mailand und für die Sammlung von Saatchi & Saatchi eingerichtet wird. Teilweise reaktionäres Kulturgut bekommt zur Aufwertung riesige Gebäude, als Manifestation, als Spektakel einer Statik, die den Manipulationsinteressen der Plutokratie in Amerika und Europa dient.

Am Beispiel der Oper - für die es erstmals nach langer Pause ebenfalls wieder Neubauten gibt - lassen sich Forderungen an ein Museum des Immateriellen klar darstellen, inklusive der Konservierung, und Konservativismusfragen.

Richtig. Das heutige Museum muß eine Kultur schaffen, die mit Partituren für Videoinstallationen, Performances oder ähnlichen Ausstellungs- und Aufführungspraktiken umgehen kann. Aufzeichnungen allein nützen gar nichts, solange nicht auch das Personal für Wiederaufführungen herangebildet wird - im Sinne einer Kulturarbeit auf breitester Basis. Genauso wie die Oper, die Musik schlechthin den enormen Aufwand einer jahrelangen Ausbildung von Musikern, Sängern, Dirigenten braucht, um kulturell am Leben erhalten zu werden, so auch die neue Kunst des Immateriellen. Wie sonst könnte die Kultur der Vergangenheit im Gedächtnis der Gegenwart behalten werden als durch das Sammeln von Partituren, Projekten und durch Wiederaufführungen. In diese Richtung muß Kulturarbeit gehen und in diese Richtung muß sich die visuelle Kunst bewegen. Die bewegten Bildformen müssen gespeichert werden. Ein Medien-Museum. Gebäude sind dabei gegenüber einer Vielfalt von Aufführungsorten völlig sekundär. Die Gebäude müssen zu Schnittstellen des elektronischen Spektrums werden.

Daß etwas bloß eine Zeitlang in Erinnerung bleibt oder nur fragmentarisch überliefert wird, im Sinn eines Akzeptierens von Vergänglichkeit, muß also weiter bekämpft werden; trotz der ins Unendliche gehenden elektronischen Dokumentationsmöglichkeiten.

Die Frage stellt sich umgekehrt. Was wird denn in Wahrheit gesammelt: Das was im Moment für die Macht interessant ist. Wir leben zwar in der berühmten Informationsgesellschaft, nur paßt kaum wer auf wichtige, unwiederbringliche Daten auf. Das Bewahren bleibt wie eh und je der Mühsal verstreuter Einzelspezialisten überlassen, passionierten, obsessiven Leuten, die es für wichtig halten, herauszufinden, wer wo etwas gemacht hat. Wer sagt schon z. B., daß die Konzept-Kunst von Henry Flint erfunden worden ist, ein Anti-Kapitalist, der gegen alle Museen der Welt auf der Straße protestiert hat und schon 1961 sein Buch über Concept Art herausgebracht hat. Das Museum müßte also wichtiger Stützpunkt einer Guerillataktik sein und nicht ein Gedächtnis der Macht, ein falsches Gedächtnis, das ein falsches Bewußtsein erzeugt.

Kann man im Ernst erwarten, daß der Staat sozusagen planmäßig eine Guerillataktik protegiert? In einer informationstechnologisch vernetzten Welt bleibt nichts anderes übrig, als sickernde Wachsamkeit mit subkulturellen Kontroll- und Feedback-Strukturen. In sie zu investieren ist offenbar selbst für einen liberalen Dienstleistungsstaat eine Überforderung.

Sicher, das wird durch die Unsummen bestätigt, die trotz aller Sparappelle automatisch in große Bauvorhaben fließen. Bei den meisten Museen ist ja dann auch kein Geld mehr da für Sammlungen oder eine sinnvolle Arbeit. Der Bauboom ist schlicht die Möglichkeit, Geschäfte zu machen mit überhöhten Preisen und Geldrückflüssen zur Parteienfinanzierung. Deswegen kommt auch von den guten österreichischen Architekten keiner zum Zug. Mit ihnen kann man eben keine Geschäfte machen. Elektronische Strukturen, mit einer gewissen Hardware, mit Programmierern und Mitarbeitern wären daher, auch weil sie viel billiger als Bauten sind, eine wichtige Chance, gegen diese Geschäftemacherei mit Kultur anzukämpfen.

Die Nationalbibliothek - als vergleichsweise kostengünstig wirksam werdende Struktur - sammelt doch auch nicht konsequent jene Bücher, deren Negierung wir hier beklagen; da bleibt von vornherein viel privater Initiative überlassen, jener Privatisierung öffentlicher Funktionen, von der wenig die Rede ist.

Klar, vom Staat ist da nicht viel zu erwarten. Meine einzige Hoffnung ist daher, daß in den Wissenschaften, in der Literatur bis hin zur visuellen Kunst immer wieder genügend Leute obsessiv solche Informationen sammeln und sie in die offizielle Geschichte hineinpressen. Zum Teil gelingt das ja. 1976 z. B. haben Oswald Oberhuber und ich die unbekannte österreichische Avantgarde vor 1938 ausgegraben, die vergessenen jüdischen Dichter, ausgelöschte Künstler und Wissenschaftler, und das in der Galerie nächst St. Stephan ausgestellt, als reine Privatinitiative, ohne jede staatliche Förderung. Inzwischen passiert mehr und diese verzerrte, vergessene, verdrängte Kultur wird langsam wieder sichtbarer. Das als Beispiel für Dinge, die zu tun sind, die aufgearbeitet und gespeichert gehören, und als Beispiel für die Privatisierung öffentlicher Funktionen.

Unlängst ist in Wien der Neubau eines Widerstandmuseums gefordert worden; wiederum in derselben Manier, zuerst der Bau, dann irgendein Inhalt, selbst wenn es in diesem Fall als Kern das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes schon gibt.

Das ist auch auf anderer Ebene völlig paradox; weil so etwas nämlich ein Staat macht, der gerade für jene Bevölkerungsgruppen in all den Jahren nach dem Krieg realpolitisch so wenig getan hat. Deswegen ist für mich ja auch das Hrdlicka-Mahnmal reine Sozialpornographie.

Aus den Museen - ob sie nun staatlich oder privat sind - werden solche kulturellen Kämpfe herausgehalten, ganz im Sinne der schon besprochenen Harmonisierungshaltung. Konflikte müssen woanders ausgetragen werden. Damit entzieht sich das Museum seiner Funktion als öffentliche Institution.

Genau deswegen ist es ja bisher nie möglich gewesen, Vorschläge zu Museen zu machen. Museen sind Orte des Konservativen, weil sie in Händen des Staates oder in Händen von Privatkapital sind. Das war schon in den 60er Jahren der Grund, warum ich viele Aktionen gemacht habe, um das Museum zu zerstören. Es ist weiterhin viel zu sehr der Restauration, dem Staat, der Macht ausgeliefert. Daher ist ja nach wie vor eine starke Autonomie zu fordern, sonst werden Museen immer mehr zu hoffnungslosen Konservatorien der Macht, zu Konservatorien der Kunst.

Zu meinen Arbeitsthemen gehört die "unsichtbare Architektur", das Geflecht von Bedingungen also, warum im konkreten Fall etwas so und nicht anders abläuft und wie sich durch strukturelle Änderungen etwas weiterentwickeln läßt. Die plausible Forderung nach möglichst "offenen" Strukturen wird aber schon im unmittelbaren Museumsumfeld harten Prüfungen unterzogen; eine Diskussion dieser Abhängigkeiten würde uns vielleicht zu rasch ins Labyrinth einer vernünftigen Pragmatik führen.

Verwaltung als die unsichtbare Architektur, welche das Äußere des Bauwerks eigentlich bestimmt, habe ich 1971 für das Wiener Magazin "Bau" beschrieben. Meine Hoffnungen haben sich daher niemals auf die Fassade, auf das Bauwerk selbst gerichtet, sondern immer auf den architektonischen Subtext, auf die mögliche Einwirkung auf die unsichtbare Architektur, auf die Umformung der Administration.
Darauf möchte ich mit einem konkreten Beispiel eingehen. Kaspar König hat in Frankfurt eine schlichte "Schuhschachtel" - "Portikus" genannt - in kürzester Zeit zu einer der aktivsten Kunsteinrichtungen der Bundesrepublik gemacht, obwohl sie zur Staedelschule gehört, sicher eine ebenfalls in Abhängigkeiten eingebundene Institution. Die Architektur dort ist tatsächlich weitgehend unsichtbar. Man braucht ja auch nur irgendeinen Raum und die Software, um signifikante Aktivitäten zu setzen. Auf dieser Basis könnten wir in Wien längst ein funktionierendes Museum haben. Die Agonie und die Blockaden rund um das "Jahrhundert-Projekt" Messepalast sind doch ausschließlich darauf zurückzuführen, daß so viele Spekulanten ein Jahrhundert-Geschäft gewittert hatten. Und weil trotz dieser euphemistischen Bezeichnungen bisher der Kommerz ferngehalten werden konnte, die anderen fortschrittlichen Kräfte aber politisch ohnmächtig sind, geschieht wie gewohnt nichts.

Ein neues "Museum der Kulturen", das quer durch die Weltgeschichte Etappen und Wendepunkte, sei es Kolonialismus, Aufklärung oder Industrielle Revolution herausarbeiten will, wie es seit kurzem zur Diskussion steht, wäre - wenn überhaupt - heutzutage nur mit wirklich Details eröffnender Informationsmaschinerie und äußerst konsequenter Strukturierung denkbar, im Sinne von Dokumentationszentren, ohne Musealisierungseffekte und Universalitätsansprüche.

Absolut. Aber es ist angesichts der überall vorherrschenden Haltung unvorstellbar, daß dort in aller Schärfe gezeigt würde, wie der Kolonialismus Völker zerstört oder welche anti-aufklärerischen Kräfte überall wirksam sind. Dieses Projekt ist ein vollkommen zu verurteilender Plan. Es wäre erneut ein Ausweichen in kraftloses Ästhetisieren. Auf fremde, abgestorbene Kulturen zu schauen, wäre Österreich natürlich am liebsten, damit daheim nichts Aufregendes passieren kann, damit auch in Österreich die Kultur zum Absterben gezwungen wird.

Es gibt eine Reihe von Weibel-Statements, die Kunst - unter Umständen also auch Museen - als Modernisierungsstrategie einer Gesellschaft eingesetzt wissen wollen; trotz oder wegen der Forderung nach Guerillataktiken?

Ich glaube, daß ein Großteil der Kunst selbst Teil des politischen, konservativen Systems ist, wie Psychiatrie, wie Gefängnis. Aber immer noch gibt es innerhalb der Kunst Bestrebungen, die manchmal Antikunst oder theoretische Kunst genannt werden, von denen die Kraft ausgeht, Blick und Bewußtsein auf wunde Punkte der Gesellschaft und auf Paradoxien zu lenken. Von daher kommen die Aufklärungs- und Modernisierungstendenzen. Museen können da nur in Einzelfällen dazugeschlagen werden, wie manche der guten Wissenschaftsmuseen oder Kunstmuseen, die andere Disziplinen hereinnehmen. Dazu braucht es eben zumindest einmal Direktoren, die eine Vorstellung von sozialen Vorgängen und eine Kenntnis des Geschehens haben. Die "Sparta / Sybaris"-Ausstellung von Bernard Rudofsky im Museum für angewandte Kunst war so ein Beispiel; schon deswegen, weil da ein Mann gebracht worden ist, der unsere Kultur kritisiert und der auch imstande war, diese Kritik als Ausstellung zu inszenieren; und zwar ohne Vorführung kolonialer Beutestücke, sondern durch pointierte Hinweise auf die Schäbigkeit unserer eigenen Entwicklung.

Daß mit einer harmonisierenden Ausrichtung der Museen auf die Nachfrage nach Sehenswürdigkeiten ihre öffentliche Funktion weitgehend brach liegt, brauchen wir nicht weiter zu vertiefen. Ein fast naiv wirkender Diskussionspunkt bleibt aber die Frage, warum ein Staat, eine Gesellschaft nicht aus puren Vernunftgründen gut beraten wäre, in Strukturen viel mehr zu investieren, die in philosophisch-künstlerischer Weise wichtige Themen aufgreifen.

Natürlich wären alle dabei gut beraten, sehr gut sogar; auch in ökonomischer Hinsicht. Das Hauptproblem des modernen Staates sind eben seine inkompetenten Politiker und - in Österreich - die politische Besetzung öffentlicher Ämter. Der Staat ist ja in keiner Weise ein soziales Gebilde, wo die Macht vom Volk ausgeht, sondern die Parteien besetzen den Staat und beuten ihn aus, solange sie an der Macht sind. Im Parteienstaat - gerade in Österreich - bekleiden die in den Parteien hochgekommenen Funktionäre wahllos Ministerämter, ohne vom jeweiligen Fach etwas zu verstehen, geschweige denn einen Zugang zur Kunst zu haben. Ein Glück ist nur, daß moderne Gesellschaften bereits soweit fortgeschritten sind, daß sie im Grunde ohne den Staat existieren. In den USA ist es im Prinzip ganz egal, wer Präsident ist. Der eine kann bremsen, der andere manches fördern, die Gesellschaft läuft aber automatisch weiter, mit Politikern als Parasiten, die immer rascher aus ihren Posten Kapital schlagen wollen. Das macht es für Künstler oder unabhängig Denkende so schwierig, sich mit Politikern zu verständigen. An deren Erziehung glaube ich in diesem Zusammenhang nicht mehr. Man muß den Staat transformieren und ihn von den Parteien trennen. Aber insgesamt sehe ich schwarz. Es wird unter den gegebenen Umständen auch aus dieser "Museumsinsel" nichts werden.

Dabei gibt es - in beiden Richtungen - doch genügend Versöhnungsgesten mischen Künstlern und Staat. Oft sogar sehr erstaunliche.

Das ist die Restauration, die fast alles erfaßt hat. In den 60er Jahren hat der Ausstieg aus dem Bild immer auch Ausstieg aus der Gesellschaft geheißen. Das wird ja heute verheimlicht. Selbst von meinen Aktionisten-Freunden, die längst nicht mehr sagen, das Bild war ein Durchgang zur Aktion, sondern die Aktion war ein Durchgang zum Bild. Das gesamte Programm ist um 180 Grad gedreht worden. Und alle wollen sie jetzt die Versöhnung und Verbrüderung im Zeichen der Macht. Alle, auch die Künstler, wollen an der Macht teilhaben, zumindest an ihren Inszenierungen.

Verfolgungsgefühle und "Nichts geht mehr "- Analysen bekommen aber doch oft die Kraft von Self-fulfilling-Prophecies; man baut damit an dem, was bekämpft wird, mit, ist also so oder so ein systemkonformes Element, selbst wenn ein Reformismus verhöhnt wird.

Lyotard oder Baudrillard würde ich nicht als systemkonform, bezeichnen. Gerade sie sind von den Sozialisten, als sie an die Macht kamen, wie so viele andere Linke konsequent hinausgedrängt worden, und waren beruflich immer sehr gefährdet. Was sie beklagen ist die Agonie des Realen, nach dem "Scheitern" bestimmter Formen des Kulturkampfes der 68er Zeit. Das Festhalten von Lyotard am Begriff der Differenz hat immer noch eine Sprengkraft, im Sinne, daß ein Beharren auf der Differenz, ohne Möglichkeit der Versöhnung, auch der Gesellschaft die Möglichkeit zur Versöhnung nimmt. Realpolitisch sehen sie natürlich wenig Möglichkeiten für Veränderungen. Wir sind ja heute auch einer neuen Machttechnokratie ausgeliefert, deren Vertreter - Leute wie Bundeskanzler Vranitzky, Bundestheatergeneralsekretär Scholten - auf dem Rücken unserer Träume in ihre Positionen gekommen sind. Es gehört zum Spiel, daß sie nun versuchen, sich unter die ehemaligen Trottel und Träumer, als etwas anderes sind diese Kräfte ja nie angesehen worden, zu mischen. Man trifft sich im Zeichen des Fortschritts in modernen Ausstellungen, während die Fronten früher ganz klar waren. Ein Unterrichtsminister Drimmel hat sich immer ferngehalten, der war so offensiv reaktionär, daß es beidseitig keinerlei Interesse an Kontakten gegeben hat.
Inzwischen aber haben wir uns eine echte Ästhetik der Komplizenkultur und der Kollaboration geschaffen. Solange ist es ja noch nicht her, daß der jetzige Bundeskanzler Vranitzky mit Thomas Bernhard Krieg geführt hat. Dann hat an bemerkt, daß das medienpolitisch nicht so gut wirkt, daher gab es mit Bernhard die Versöhnung und deswegen wird auch der Peymann gestützt und der mag ja den Bernhard so gern und so weiter.

Das führt uns vielleicht zur Gedächtnisfunktion des Museums zurück.

Allerdings als Gedächtnis und Vorhersage gleichzeitig; inklusive von Utopien. Der Punkt der Vorhersage muß ganz offen gelassen werden; man muß sich also ständig überlegen, was ein Museum in der Gegenwart unterstützen soll, damit es in der Zukunft einen Sinn hat, man muß sich überlegen, was man konservieren muß, damit man es später brauchen kann. Sonst passiert es nämlich wie bei Leibniz, der vor knapp 300 Jahren den binären Code entwickelt hat, daß sich also jede Zahl mit nur zwei Ziffern darstellen läßt. Die längste Zeit hat das als lächerliche Marginalerfindung gegolten, die niemandem nützt; nur ist jetzt unsere gigantische Computerkultur ohne sie nicht denkbar. Die Vorhersage, die Utopie und das Experiment, das schließlich bestätigend wirkt, müssen - als Denkmodell - ins Museum einziehen. Was uns heute wichtig erscheint, hat sich später oft genug als unbedeutend herausgestellt; und das gilt umgekehrt genauso.
Deswegen darf sich ein Museum weder neuen Darstellungs- und Aufführungspraktiken verschließen, noch den gewandelten Diskursformen der Kunst. Wenn es zwar ein österreichisches Fotoarchiv gibt, aber das Museum Moderner Kunst im Palais Liechtenstein kein einziges Foto in seinen pompösen Räumen als Kunstwerk präsentiert, dann hat das nichts mit finanziellen Mitteln zu tun, sondern nur mit fataler konzeptueller Rückständigkeit. Längst fällig ist es, das Museum zum Forum der neuen Diskursformen der Kunst zu machen. Seien es neue kunsthistorische Lesarten, seien es Verbindungen von Wissenschaft und Kunst, seien es feministische Untersuchungen der Massenkultur, seien es dekonstruktive mediale Politstrategien, seien es Explorationen in benachbarte oder marginale Felder der Kunst, seien es Überschreitungen der Kunst in Domänen des Geldes, der Industrie, der Ökologie, der Politik, des Rechts, der Medizin, der Unterhaltung.
Im Museum Moderner Kunst in Wien z. B. wird weder im Sinne eines Gedächtnisses, noch utopisch gedacht und deswegen kann Dieter Ronte dort so beliebige Ausstellungen machen. Ohne eine entsprechende Polarität zwischen Gedächtnis und Utopie, aus der sich die Praxis der Gegenwart ergibt, ist im Museum eben dann jede Einfallslosigkeit erlaubt, ich stelle die graphische Sammlung der Lufthansa aus oder was sich sonst gerade anbietet. Genau das erzeugt unsere kulturelle Wüste, es wird nicht nur nichts konserviert, sondern vieles sogar ausgelöscht. Es müßten doch logische Konsequenzen der Geschichte erarbeitet werden, in Vorträgen, Ausstellungen, seien es die österreichischen "Gefühlsexpressionisten", wie Oberhuber sie nennt, seien es andere wichtige Entwicklungen vor und nach dem Aktionismus oder in Zusammenhang mit den Medienkünstlern, wo Österreich sowohl in Theorie (Mach, Freud) und Praxis eine so große Tradition hat.

Kulturpolitisch ist dieser Status Quo offenbar erwünscht, sonst gäbe es längst mehr Mittel für solche Aktivitäten.

Auf der anderen Seite wird dieser Tatbestand ständig als lächerliche Ausrede für Inaktivität benutzt. Wenn ich die Idee für eine Ausstellung habe, bringe ich auch die 5 Millionen Schilling dafür auf. Es muß eben jemand eine Theorie haben, auf Grund der er etwas in der Kultur der Gegenwart beweisen will. Aber weil Ronte keine Ideen hat, hat er auch kein Geld.

Das Hereinbringen der Sammlung Ludwig und ihre Kombination mit unserem kleinen Museum des 20. Jahrhunderts hat, wie viele vorhergesehen haben, in den 10 Jahren seither nicht wirklich Impulse nach sich ziehen können. Dennoch gehen alle Messepalast-Planungen von ihrer Einbeziehung und offenbar auch von einer budgetären Prolongation der Misere aus.

Ich war von Anfang an gegen diese Lösung und ich plädiere auch heute noch dafür, daß man diese Sammlung zurückschickt und das für moderne Kunst völlig untaugliche Palais Liechtenstein auflöst. Es ist eine schlechte Sammlung, die noch dazu fast das ganze verfügbare Budget für ihre Betreuung blockiert. Dieses ganze Projekt "Sammlung Ludwig" ist doch Ausdruck deutschen Kolonialbewußtseins und österreichischer Servilitäts- und Subaltern-Mentalität. Politisch ist es der Prestigesucht von Politikern/Politikerinnen zu verdanken, also einem Machtmissbrauch. Man sieht doch jetzt, daß die Sammlung keinerlei Dynamik ausgelöst hat, wie anfangs behauptet wurde.

Daß sich in unseren und anderen politischen Systemen die Vernunft so schwer tut, also die für museale Großbauten jederzeit denkbaren Budgets nicht radikal transferiert werden zugunsten karger, adaptierender Architekturen und offensiver Investitionen in kulturelle Arbeitsplätze, ist die permanent vergebene Chance auf gesellschaftliche Entwicklungsschübe. In fünf Jahren könnten auf diese Weise doch Multiplikatorwirkungen in Gang kommen, von denen man fern des Kritikpotentials der "Kultur" sonst nicht einmal mehr träumt.

Sicher; daher müssen den Politikern Ideen vorgesetzt werden. Nur so kann eine Kulturpolitik entstehen. Ihr Denken in laufenden Budgets ist schlicht falsch. Es ist auch falsch, daß jeder Minister, so als ob er Pfründe verwalten würde, um sein Budget kämpft, gegen die anderen. Jeder amerikanische Kapitalist, der so denken würde, ginge zugrunde. Auf der Ebene des Budget- und Ressort-Denkens kann man die Kunst immer austricksen. Wenn also jetzt z. B. für die Modernisierung der Bahn 15, 20 oder mehr Milliarden Schilling ausgegeben werden, so muß man doch zugleich fragen, wo die Leute überhaupt hinfahren sollen - von einem Arbeitslosengebiet ins nächste? Solche Projekte müßten viel umfassender gesehen und kalkuliert werden, nicht als bloße Verkehrs- oder Beschleunigungsvorhaben. Das Potential kultureller Arbeit - nicht Kulturkonsum - wäre ein wichtiger Teil davon. Ihm müßten von jedem staatlichen Großprojekt aliquote Mittel zufließen. Kunst und damit auch Museen bleiben sonst im Spiel der Lobbys und Gewerkschaften immer übrig, weil im Normalfall nur Macht und wirtschaftliche Stärke zählen. Kunst muß doch als aktives Kapital erkannt werden. Wenn die österreichische Bevölkerung zu weit mehr als 50 Prozent innovationsfeindlich und zu 70 bis 80 Prozent zukunftsfeindlich und risikofeindlich ist - wie eine Studie des Allensbacher Institutes für Demoskopie festgestellt hat - so ist das für unsere Gesellschaft angesichts der internationalen Entwicklungen, man braucht nur Frankreich oder Japan zu vergleichen, äußerst bedrohlich. Von dieser Mentalität kommen wir nur weg, wenn die Leute über Kultur sensibilisiert werden.

Am Donau-Festival im so lange inaktiv-rückständigen Niederösterreich zeigt sich, dass in wenigen Wochen durchaus interessante Anzeichen für eine andere Art von Wende Kraft bekommen haben, fast im Sinne einer Gehirnwäsche.

Die haben eben absolut auf die Moderne gesetzt, auf hiesige und internationale Avantgarde; und haben Museen des Immateriellen auf Zeit errichtet. Als Ansatz ist das die einzige Möglichkeit, es muß nur einige Jahre durchgehalten werden, damit es wirklich greift. Die Kosten dafür sind ja im Vergleich mit den Wirkungen eine Lappalie. Interessant ist, daß nicht in Wien, in der Hauptstadt, sondern gerade in Provinzstädten, wie in Graz, Linz oder jetzt St. Pölten die Leute erkannt haben, wie man unterentwickelte Regionen belebt. Das muß weitergehen, damit faktisch das ganze Land in Bewegung versetzt wird. Kultur ist für solche Prozesse immer am tauglichsten. In der Metropole herrscht die Provinz, in der Provinz regt sich die Metropole.

Auf die Republik, den Bund bezogen, wirkt die Aufsplitterung von Kunstkompetenzen auf die verschiedensten Ministerien vermutlich kontraproduktiv. Wäre eine Zentralisierung, ein Kunstminister, eine Kunstministerin, ein Ausweg aus diesen bürokratischen Verflechtungen? Die Struktur oberhalb der Museen müßte ja ebenfalls in Entwicklungsüberlegungen miteinbezogen werden, wenn vom Organisatorischen her eine Aktivierung erleichtert werden soll.

Eine zuständige Person wäre sicher ganz gut. Sie könnte endlich Schwerpunkte setzen und dieses kleinkrämerische Dahinplätschern mit all diesen unkooperativen Enklaven und Zellen beenden. Die Möglichkeiten von Stipendien bis zu Veranstaltungen in den Kulturinstituten im Ausland werden doch kulturpolitisch überhaupt nicht genutzt. Die gewaltigen Aufbruchsakte in Frankreich - symbolisiert im Bau des Eiffelturmes, im Centre Pompidou, in La Villette - waren auch immer getragen von starken Persönlichkeiten, die ihre Utopien gegen Widerstände in der Bevölkerung durchgesetzt haben.

Die österreichischen Bundesmuseen stehen derzeit vor einer baulichen Renovierungsphase. Andere Veränderungen bahnen sich so langsam an. Lassen sich Forderungen, wie sie für moderne Museen skizziert worden sind, auf die klassischen Häuser übertragen?

Ich bin überzeugt, daß alle diese Museen von Grund auf erneuert werden müßten. Die Bauten soll man lassen, das Ausstellungsdesign aber muß medialer und technischer werden. Damit das Potential jeder Sammlung genützt wird, sind spezifische Kommunikations-Design-Konzepte und hochentwickelte Ausstellungstechniken notwendig. Alles muß viel offener, demokratischer werden. Man sieht doch in jeder guten amerikanischen Bibliothek, wie einem dort der Zugang und das Weiterforschen erleichtert wird; deswegen ist in den USA das Forschungsklima um so vieles besser und der akademische Output viel höher. Das neue Museion: ein Museurn, das auch Medium der Medien ist.

Gegen neue Formen der Vermittlungsarbeit, der Museumspädagogik gibt es fast überall Widerstände; auch seitens vieler Künstler.

Diese Künstler lächle ich gerne an, denn das sind einfach Dünkel, eitle Illusionen. Sie gehen doch selbst höchstens ein oder zwei Stunden durch die Kiesler-Ausstellung und tragen dann ein ziemlich ungefähres Modell vom Gesehenen mit nach Hause. Sie geben sich mit vielleicht 60 Prozent zufrieden. Wenn moderne Formen der Vermittlung akzeptiert würden, könnten sie in den zwei Stunden wesentlich mehr erfahren. Außerdem kam mir keiner erzählen, daß er überall gleich das Wesentliche mitbekommt. Dann bestätigt er ja nur seine Vorurteile. Der Mensch braucht doch schon in seiner normalen Umwelt alle fünf Sinneskanäle, Auge, Ohr, Tastsinn usw., um sich zurechtzufinden; gegenüber der Kunst und in einem komplexen Environment wie einem Museum soll das plötzlich reduziert sein? Das ist doch ein absurder Gedanke. Das sind Reste eines bürgerlichen Kulturdünkels. Um das Potential einer Ausstellung zu steigern, muß ich die Kommunikation steigern. Das ist ja ihr Zweck, die Kommunikation mit dem Besucher, der Datenfluß zwischen Ausgestelltem und dem Besucher, und deswegen ist das Animatorische sehr wichtig.

Nur muß man doch auch Bestrebungen ernst nehmen, die sich gegen die unterhaltsam-touristische Automatik des Geschehens wenden. An aktuellen Publikationen zu Museumsfragen ist ablesbar, daß vehementer in diesem Sinn argumentiert wird. Rémy Zaugg z. B. spricht vom Kunstmuseum, das er sich erträumt, als "Ort des Werkes und des Menschen", von der rückzugewinnenden Möglichkeit zu einem Vier-Augen-Gespräch sozusagen.

Das ist durchaus verständlich. Nur gehen diese Leute von einer idealen Vorstellung und von idealen Individuen aus. Ich sehe darin Elemente des gegenwärtigen Kulturkampfes, mit dem ein neues Zeitalter verhindert werden soll; mit der Beschwörung von restaurativen Tendenzen, zum Kunstwerk als religiöses Objekt und zur religiösen Vertiefung in Kunst zurückzufinden. Kulturpolitisch ist es nicht korrekt, für die Happy Few Museen einzurichten, als Tempel, wo sie dann ungestört ihre Tage verbringen können.
Wo sind denn diese Individuen, die sich so andächtig in Kunst hineinversenken? Ich sehe doch an den Künstlerkollegen genauso wie bei den amerikanischen Kunstprofis, die manchmal hier auftauchen, inklusive der Kunstkritiker und Herausgeber von Kunstzeitschriften, daß sie alle in wenigen Minuten durch Museen und Ausstellungen rasen, sich höchstens für "Kunst und Revolution" einmal zwei Stunden Zeit nehmen. Also ist man wieder einmal dabei, eine Figur zu erfinden, die es nicht gibt. Die politische Gefahr daran ist, daß das zur Verachtung der Masse führt und aus dieser Verachtung heraus Faschisten und Sektierer neue Chancen erhalten für ein Appellieren an die übelsten Instinkte der Massen. Ich muß die Masse akzeptieren als eine Ansammlung individuell gleichzubewertender Menschen. Daß die meisten Museen das nicht tun, zeigt, wie sehr sie von dieser Verachtung infiziert sind.

Eine Beschäftigung mit dem Ansturm auf Museen muß doch auch Fragen nach der Ideologisierung von Authentizität und Original einbeziehen. Die Anziehungskraft des Musealen ist schlichte, vom Angebot kaum noch zu deckende Nachfrage nach Sehenswürdigkeiten und Exotik oder, besser gesagt, nach Abbildern davon. Enzensberger hat in seiner berühmten Tourismus-Theorie schon vor 30 Jahren dem Touristen bestätigt, daß die eigentliche Arbeit, die er leistet, die Bestätigung des Vorgespiegelten als eines Wahren ist.
Welche Chancen gibt es also noch, mit dem Original umzugehen? Endlos nach der Devise: Ich will es wenigstens einmal gesehen haben und sei es bloß im Vorbeigehen? Die Magie des Werkes ist doch längst vom Image des Ortes, vom Image des Veranstalters in Besitz genommen worden, so wie die Reproduktion, das Foto, der Katalog jene Wirklichkeitsebene ist, hinter die Wahrnehmung nur noch gelegentlich dringen kann.

Das sind wichtige Punkte. Ich bin froh, daß das Original nicht mehr wirkt. Man muß da Benjamins Gedanken über die Reproduzierbarkeit konsequent weiterdenken und die Gedanken von Malraux über das imaginäre Museum. In beiden Fällen müßten für die Museumsarbeit Konsequenzen gezogen werden. Es ist z. B. das Argument gebracht worden, wie großartig die "De Sculptura"-Ausstellung von Harald Szeemann bei den Wiener Festwochen gewesen ist, weil so wichtige Leute wie Richard Serra erstmals in Österreich gezeigt wurden. Darin drückt sich nur aus, daß der grundlegende Einbruch im Konzept des Authentischen durch die nicht zu leugnende Technik der Reproduktion gerade im Kunstbereich nicht akzeptiert wird. Man muß den Serra gar nicht im Original sehen. Er ist rezipiert worden durch Abbildungen, Fotos und jedem Interessierten war er seit vielen Jahren bekannt. Das antransportierte Objekt hat nichts mehr gebracht, es war kraftlos, eher eine Enttäuschung. Diese Ausstellung ist daher künstlerisch nicht anregend gewesen, nach hinten gewandt auf bekannte Namen. Sie hat deutlich gemacht, daß das Original nicht mehr in der gewohnten Weise zählt; ein Museum braucht daher auch dafür nicht unbedingt Geld auszugeben. Es kann Originale durch andere Aktivitäten ersetzen. Als Hort des Originalen funktioniert es nicht mehr, weil ohnedies jeder nur vorbeihastet. Natürlich ist es dennoch wichtig, Originale bestimmter Etappen sehen zu können. Nur muß ich dabei doch nicht von einem engen Raumkonzept ausgehen, sondern schlicht von der Zeit, die ich mir nehme, um an einen bestimmten Ort zu reisen, wo ich die gewünschte Arbeit sehen kann. Es hätte daher auch überhaupt keinen Sinn, wenn Österreich heute Kokoschkas oder einen van Gogh kaufen würde.
Ungleich wichtiger wäre der Mut zur Vorhersage, der Mut zur Entdeckung des noch nicht Geschätzten. Es ist ja noch gar nicht lange her, daß 300 Brus-Zeichnungen um hunderttausend Schilling zu haben waren und Oskar Schmidt hat, offenbar gut beraten von Kurt Kalb, noch um relativ wenig Geld mit österreichischer Kunst der 60er Jahre eine bedeutende Sammlung aufgebaut. Von offizieller Seite hat es nie solche Interessen gegeben, so wie man auch alle Grundprobleme umgeht, die ich für wichtig halte: Was ist das Original, was die Reproduktion, wo geht es um Raum, wo um Zeit, was ist Aufführungspraxis? Man redet sich aus auf die Organisation, auf den Mangel an Geld, um die eigene "Kreativität" zu entschuldigen.

 

 

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© Christian Reder 1988/2001