Information Aktuelle Projekte Biografie Publikationen Zentrum Transfer Transferprojekte-RD.org





www.ChristianReder.net: Publikationen: Weltbilder
Hungarian Translation
   
LINKS
Universität für angewandte Kunst Wien
Magyar Iparmüvészeti Föiskola Budapest
Tölgyfa Galéria, Budapest
   

Weltbilder
Farblos & blau-rosa

In: Mathias Fuchs (Hg.), Hochschule für angewandte Kunst Wien, Magyar Iparmüvészeti Föiskola Budapest: Karten - Térképek.
Ausstellungskatalog (deutsch/ungarisch)
Tölgyfa Galéria, Budapest 1989

Essay zum Thema Weltbilder und Kartographie

Weitere Beiträge von Mathias Fuchs, Roy Ascott, Stefan Beck, Irene Hohenbüchler, Station Rose, Bodor Ferenc, Robert Dunn, Dana Moser

 

 

In Zeit im Bild, der Nachrichtensendung des österreichischen Fernsehens, müßte, wenn es wörtlich zuginge, bloß eine Uhr zu sehen sein. Es wird auch eine Uhr gezeigt. Nur verschwindet sie, wenn es los geht. Ihre Funktion übernimmt ein transparenter Globus, der sich rasch von West nach Ost dreht. Zuerst taucht Asien auf, dann werden die Tagesschlagzeilen eingeblendet, Nordamerika rotiert vorbei und bleibt als durchscheinender Schatten im Hintergrund erkennbar, wenn die Bewegung - mit Blick auf Europa - abrupt zum Stillstand kommt. Die folgenden Ausschnitte aus dem aktuellen Weltgeschehen beendet nach einem Werbeblock der Wetterbericht. Wieder geht es um den Blick aus dem Weltraum, nur ist die Erde >natürlicher< zu sehen, zuerst ganz von fern, dann aus Satellitenperspektive, schließlich liefern Landkarten die eigentlich wichtigen Bilder. Auf ihnen können großräumige Strömungen, Ursachen, Wirkungen und selbst Vorhersagen in anschaulicher Weise nachvollzogen werden, präsentiert in analytische Übersichtlichkeit, wie sie bei politischen Informationen nur in Ausnahmefällen erreicht wird. Deshalb hat der Wetterbericht in aufklärungsinteressierten Zeiten als Vorbild einer knappen, audio-visuellen Informationsarbeit gegolten (vgl. Holzinger/Springer/Zeller: >Zeit im Bild<-Analyse. Wien-München 1973).

Indem die TV-Philosophen uns täglich vorführen, wie die Bewegung des Planeten anhält, sobald Europa in die Bildmitte gerückt ist, wird ein Einvernehmen mit Hegels Sicht vom Lauf der Dinge demonstriert. Er jedenfalls würde sich über die massenmediale Bestätigung seiner Prophezeiung freuen: >Die Weltgeschichte geht von Osten nach Westen, denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang<. Die Computergrafik des Zeit im Bild-Signetfilms hat dieser Feststellung jede bedenkliche Schwere genommen und pünktlich um halb Acht wird ein durchsichtiger Globus zum Objekt allgemeiner >Weltanschauung<. Anhand dieses Begriffs müßte nun Emanuel Kant ins Spiel kommen; plausibler aber dürfte es sein, sich von ihm und weiteren Überinterpretationen zu verabschieden, um sich den >konkreten< Weltbildern von Globen und Landkarten zuzuwenden. Als Methoden der >Erdbeschreibung< (gr. Geographie) tragen sie zur >Lesbarkeit der Welt< (Hans Blumenberg) bei, sogar wenn ihnen zugestanden wird, für sich allein zu sprechen. Als Zeichensysteme führen sie, vielleicht weil ihr Gebrauch so selbstverständlich ist, ein abseitiges, von Notwendigkeiten diktiertes Dasein. Dabei ließen sich gerade Landkarten und Stadtpläne einer Philosophie der Orientierungstechniken zuordnen; siehe Kompaß, Sextant, Leitsysteme, Leitstrahlen, Geheimsprachen, Codes, urbane Zeichen, Radar, Computersteuerung, Künstliche Intelligenz. Im sich orientieren (von lat. oriens), nach dem Sonnenaufgang, nach den Himmelsrichtungen, nach dem Lauf der Gestirne bleibt - so oder so - Universalität erhalten. Landkarte und Ansichtskarte, Stadtplan und Planspiel sind Sprachverwandtschaften, die einiges von der darin verborgenen Antiquiertheit ausdrücken. Denn: Koordinatensysteme im Raum machen anschauliche >Weltbilder< und >Erdbeschreibungen< überflüssig. Bewegungen verlaufen zwischen mathematischen Punkten. Die Pläne dafür sind entmaterialisiert oder gar nicht mehr vorhanden. Alles arbeitet an der Abschaffung von Distanzen (von kritischer Distanz insbesondere). Die Geschwindigkeit der Bilder entwaffnet. Jedem Standort im Geschehen ist die Qualität als Anhaltspunkt genommen. Dennoch und gerade deswegen beruft sich etwa Frederic Jameson darauf (>Postmoderne - zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus<, New Left Review 146/1984), daß unsere jetzige, vorerst nur hypothetisch zu fassende Kultur hauptsächlich als >Ästhetik eines Kartographierens der Wahrnehmung und der Erkenntnis (cognitive mapping)< verstanden werden kann. Im >Welt-Raum des multinationalen Kapitals< müßten neue Formen der Repräsentation dieses Raums gefunden werden, >mit denen wir wieder beginnen können, unseren Standort als individuelle und kollektive Subjekte zu bestimmen<, als Chance für eine neue Handlungsfähigkeit angesichts der neutralisierenden gesellschaftlichen Konfusion.

Kartographieren bezieht sich auf Oberflächen. Präzise Oberflächlichkeit hat keinen Grund, sich benachteiligen zu lassen, nur weil sie für ihre Art von Genauigkeit nicht auch noch Tiefe braucht. Trotzdem bleibt ihr Problem die Schwierigkeit, Raum und vor allem gekrümmten Raum auf Flächen zu übertragen; von der vierten Dimension ganz zu schweigen. Selbst im konventionellen Bereich von Landkarten kann Wahrheit also immer >nur fast< erreicht werden. In der Erkundung unbekannter Gebiete spiegelt sich das gleiche Problem. Welches Flächenausmaß der Erdoberfläche - um Vermessungsfragen ganz direkt anzugehen - bekannt geworden ist, läßt sich als einfache Kurve darstellen. Bis zum Mittelalter verläuft sie flach, mit kaum merklichem Anstieg, ab dem 15. Jahrhundert strebt sie steil nach oben, der 100 Prozent-Marke entgegen. Im europäischen Kulturkreis nämlich, so sagen die Statistiker (Quelle: W. Stein: Kulturfahrplan, 1979), sind von der Land- und Wasseroberfläche der Erde folgende Anteile bekannt gewesen: 400 v. Chr.: 2,8 % / 200 n. Chr.: 7.0 % / 1000: 8,1 % / 1400: 11,2 % / 1500: 22,1 % / 1600: 49,0 % / 1700: 60,7 % / 1800: 82,6 % / 1900: 95,7 % / 1950: fast 100 %. Das zu den Daten über den Weg zur Vollständigkeit des geographischen Weltbildes. Sein schriftliches und zeichnerisches Fixieren anhand von Naturbeobachtungen, Vermessungen, Dokumenten, Gerüchten, Interessen, Fotos ist eine Geschichte für sich. Am Anfang des beschriebenen Kurvenanstiegs stehen die Neuausgaben der Ptolemäus-Karten, die Erfindung der Mercator-Projektion, der älteste erhaltene Globus (von Martin Behaim, Nürnberg 1492). Wissenschaftstheoretisch interessant ist der erreichte Bekanntheitsgrad von >fast 100 %<, von dem in der Gegenwart weiter die Rede sein muß. Daß andere von der Welt vieles längst kannten, bevor es von europäischen Entdeckern erforscht worden ist, dürfte angesichts der globalen Vereinheitlichung bloß noch als historisches Kuriosum zu werten sein. Zur Not wurde zwar Chinesen, Indern, Arabern ein passables Interesse an Grenzüberschreitungen zugestanden; daß aber etwa Abubakaris II. von Mali aus schon 1303 mit 200 Schiffen nach Westen, in Richtung Amerika, aufgebrochen ist, ohne daß jemand wieder von dieser Expedition gehört hätte, dringt über Spezialwerke wie >Die Geschichte Schwarz-Afrikas< (von Joseph Ki-Zerbo) kaum hinaus.

Die Bedingtheit dargestellter Weltbilder erweist sich auch ständig am gewählten Ausschnitt. Der wie befohlen wirkende Standard-Blickwinkel erfaßt Europa und Nordamerika. Die >freie Welt<, das >Atlantische Bündnis< erzeugen bis in die Schulatlanten hinein die gewünschten Perspektiven. Der Nullmeridian von Greenwich - wo übrigens Heinrich VIII. geboren wurde - hat eine ähnliche Wirkung. Ein Mittelpunktdenken setzt sich trotz aller Vernetzungen fort und ist schwer zu verdrängen. Auf den eingangs genannten Wetterkarten im Fernsehen liegt Österreich, zwangsläufig und stark hervorgehoben, im Zentrum der gezeigten Welt. Inwieweit solche täglich vermittelten >Reich der Mitte<-Ideologien tatsächlich den Mitteleuropa-Hochmut bestärken, als Kraft zwischen Europäischer Gemeinschaft und Comecon, wäre für Medien- und Meinungsforscher ein durchaus ergiebiges Thema. Bis zur mir lieb gewordenen Einschätzung von Marx und Engels, die im reaktionären Österreich >das europäische China< gesehen haben, bräuchte man dabei gar nicht zurückzugehen. Jedenfalls: Andere Perspektiven schaffen verblüffend schnell Abhilfe; so zum Beispiel die vom britischen Verteidigungsministerium 1974 publizierte >Demonstration Map: U. S. S. R. and Adjacent Areas<, die Europa und Japan auf graue Anhängsel einer riesigen, rosa und gelb kolorierten Sowjetunion reduziert. Ernest Dichter, der aus Wien stammende amerikanische Motivforscher wiederum, hat der Neuseeländischen Regierung schon vor Jahren die Herausgabe eigener Kartenwerke empfohlen, auf denen ihr Land nicht als Ende der Welt erscheint, etwa durch Betonung des Pazifischen Raumes anstelle eines Europabezugs oder durch den Bruch mit der Konvention, den Norden oben und den Süden unten anzunehmen. Zu leugnen ist ja nicht, daß Kalifornien, Mexiko, Sibirien, China, Japan, Korea, die Philippinen, Australien, Chile etc. etc. an einem Ozean liegen, auf der Rückseite des für gewöhnlich abgebildeten Globus, und das erst langsam ins Bewußtsein von Vorderseitenbewohnern dringt. Nicht ohne Grund ist der Störfaktor Datumsgrenze in diesen so lange als unwichtig geltenden Raum verlegt worden.

An Landkartenausschnitten, die Gegebenheiten zurechtrücken, Maßstäbe anpassen, Trennungen aufheben, Blickwinkel überprüfen, kann also permanent weitergearbeitet werden, selbst wenn die politischen Grenzen stabil bleiben. Eine andere Sache ist die Ästhetik der Darstellungen. Besonders auffallend ist die anhaltende Pink-Kultur bei den Globen, Atlanten und Kartenwerken. Bis in die Hoch-Zeiten kolonialen Denkens ist der gediegen gestaltete Globus Einrichtungsstück bürgerlicher Haushalte gewesen, vergleichbar dem Totenschädel am Schreibtisch von Faust-Lesern. Inzwischen hat sich da einiges verschoben, selbst in Konzernzentralen wird auf die lange obligatorischen Weltkarten hinter jedem Chefsessel verzichtet. Ein von kommerzieller und touristischer Weltläufigkeit geprägtes Selbstwertgefühl braucht solche Bestätigungen nicht mehr. Mit Inbesitznahme der Welt auf die indirekte Weise sind auch die Zeichen dafür hintergründiger geworden. Bestimmte Uhrenmarken drücken genügend davon aus. Der weltweit übliche Ministermercedes ist auch nichts anderes, und sei es als Kopie. Als Zäsurzeit solcher Entwicklungen können die 50er Jahre geortet werden. In die Ästhetik der Kartographen, bis dahin von den Traditionen gedeckter, die Mühe genauen Zeichnens unterstreichender Farben geprägt, ist damals der Rosa- und Blau-Kult nach dem Muster >optimistisches Jugendzimmer< eingebrochen. Die >junge Welt< nach dem Krieg, die >Family of Man< (so der bezeichnende Titel einer wichtigen amerikanischen Foto-Wanderausstellung jener Zeit) fand ihren Ausdruck in grellen Pastelltönen. In Landkarten hat sich viel davon erhalten, bei Globen wird es durch Plastikmaterialien noch plastischer.

Welche sonstigen Schwindel permanent in Kauf genommen werden, symbolisiert die übliche Mercator-Projektion. Grönland erscheint dabei größer als Australien oder China, Skandinavien größer als Indien, Europa größer als Südamerika. Mit der Wirklichkeit hat das nichts gemein. Weil ein anderes, solche Verfälschungen eliminierendes >Weltbild< nicht erwünscht ist, bleibt die flächentreue Darstellung der Peters-Projektion ein Hobby von Entwicklungshelfern. Außerdem offenbart die monopolistische Verwaltung von Landkarten immer wieder deren militärischen Zweck. Geschickte Touristen können sich zwar hervorragende Detailkarten von den Wüstengebieten im Dreiländereck Algerien, Libyen, Tschad verschaffen, die vom Pariser Institut Géographique National herausgegeben werden, erleben aber dann, wie bewundernd örtliche Militärs auf diese fremden, ihnen unzugänglichen Schätze starren. Für die einzige, vom nordöstlichen Afghanistan erhältlichen Karte gilt das gleiche. Sie ist eine in St. Louis herausgegebene >US Air Force Pilotage Chart< mit der Nummer PC G-6C. Erstaunlicher Weise kann man sie in Wien, bei Freytag & Berndt am Kohlmarkt, ganz einfach kaufen. Im Land, das es auf ihr so exakt abgebildet ist, braucht sie höchstens ein Fremder. Aber das Orientieren nach Plänen ist ja auch für Fremde vorgesehen. Schon aus Zeitmangel müssen ihnen fragmentarische, Auffälligkeiten verzeichnende Informationen genügen.

Wie auch immer: Pläne sind dazu da, Bestehendes abzubilden oder zu verändern. Das Scheitern dabei mündet phasenweise in eine Freude an Planlosigkeit. Diese Freude trifft sich mit jener, die gegen Überwachungspläne gerichtet ist. Dagegen hat eigentlich niemand etwas, denn sobald alles wie von selbst passiert, kann Teilnahmslosigkeit in Euphorie verwandelt werden. Anderen in die Karten zu schauen ist dann kein Thema mehr. Dennoch lohnt es, daran zu erinnern, dass sogar Spielern das Recht zusteht, beim geringsten Misstrauen neue Karten zu fordern.

 

 
oben
 
© Christian Reder 1989/2001