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www.ChristianReder.net: Publikationen: Ein Text für Gang Art / 1990
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Ein Text für GangArt / 1990

in: GangArt: Icons
Katalog zu den Events und Installationen in der Stadthalle, im Gartenbaukino und im Ringturm.
Wien 1991

Essay zur künstlerischen Arbeit der Gruppe GangArt (Simonetta Ferfoglia, Heiner Pichler und wechselnde Mitglieder)

Mit einem weiteren Textbeitrag von Roland Schöny

 

 

Streng genommen läßt sich das Pathos der Tüchtigen auf einen Satz reduzieren: Wenn Du etwas wirklich willst, bekommst Du es auch. Da schwingt Leidenschaft mit, Ergriffenheit, gepaart mit pauschaler Entschuldigung. Geht es doch im allgemeinen nicht um subjektive, authentische Kräfte, sondern um Zugänge zu energiespendenden Systemen. Dort werden die Belohnungen verwaltet, als Beweise eigener Brauchbarkeit. Zuständig dafür sind andere, hinter denen wiederum andere stehen. Wer das ist, interessiert niemanden. Denn die Verwirklichung, von der in bezug auf Wünsche so betont die Rede ist, hat mit Realität so wenig zu tun, wie der Wille mit dem Weg, den er angeblich eröffnet. Dessen Verlauf läßt sich simulieren. Ihm zu folgen müßte überflüssig sein. Konstruktiv sind eher >grundlos< konsequente Arbeitsweisen, die schrittweise zu präzisierende Notwendigkeiten nicht gegen Zufälliges ausspielen. Daß mit Blick auf den schönen Antagonismus von Sein und Haben dessen interessantere Seite dabei mehr Aufmerksamkeit erfährt, ist dann nur logisch. Logisch ist auch, daß Genauigkeit auf Prozesse mit unrealistischem Aufwand angewiesen bleibt, weil innere Gegenstimmen Zeit brauchen, bis sie freiwillig verstummen können. Im Krieg, den die Berechenbarkeit gegen expansive Vorstellungen führt, lassen sich so - wenigstens der Theorie nach - Positionen erreichen, von denen aus es weitergehen kann. Erfreulich ist auch, daß sich das, um was es geht, in austauschbarer Weise >etwas< nennt. Zum Substantiv verfestigt, wird >das gewisse Etwas< daraus. Ob solche Verwandtschaften nützlich sind, weiß ich nicht. Jedenfalls, eine Aufmerksamkeit unauffälligen Wörtern gegenüber erleichtert es, sich mit dem Nebensächlichen, dem Lächerlichen und mit feinen Unterschieden anzufreunden. Will ich nun wirklich etwas oder etwas wirklich? Schreibt einer oder schreibt er >something< ? Antworten darauf haben die Eigenheit, sich kommentarlos zu verselbständigen.

So oder so: Guter Dinge zu sein ist angesichts der vielen unverrichteten Dinge eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber eben nur >eigentlich<, weil ohne die darin verborgene Leichtigkeit das Gewicht solcher Behauptungen zu metaphysisch würde. Außerdem erlaubt die herrschende Freiheit sowieso, mit Dingen anders als in vorgesehener Weise umzugehen; verschärfend, entwaffnend, imitierend, unsinnig, respektlos. Daß ausgerechnet beim Beschönigen so viel danebengeht, verweist auf die Inflation zugehöriger Gedanken. Daher ist es nur folgerichtig, wenn die Möglichkeit zur Konzentration sich immer wieder von der Hierarchie anerkannter Wichtigkeiten verabschiedet; also auch von den Orten der Kunst, an denen Exklusivität verwaltet wird. Wie auf verschiedensten Ebenen - auf der sonderbar abgesonderten >kultu-rellen< zum Beispiel - in das Wachstum von Reichtum und Armut eingegriffen werden kann, ist von der Frage nach der >eigenen< Sache ohnedies nicht zu trennen. Eigenes existiert durch Fremdes; anderes, weil sonst alles gleich wäre. Die Absurdität offenbar unausweichlicher Prioritäten und ihnen untergeordneter Erwerbsexistenzen läßt letzteres nur als Marginalie zu. An dieser klassischen Einsicht haben gegenläufige Konjunkturen mit ihrer Freude am Falschen kaum etwas modifizieren können. Erzeugt wurden Schwebezustände. Die Stilisierung als Teilnehmer oder Außenseiter ist ununterscheidbar. Nicht Korruption sondern Integrität muß sich verbergen, um Gefährdungen halbwegs zu entgehen. Angriffe auf diese Konstellation werden spielend abgewehrt oder integriert, nur gegen vielschichtige Sickerprozesse fällt Systemen und Institutionen ein Abdichten weiterhin schwer. Es ist ja auch der >öffentliche Raum< - ohne funktionierende, kontroversielle >Öffentlichkeit<, ohne Haltungen, die eine gemeinsame Praxis erlauben würden - nur ein imaginärer Schauplatz. Selbstverständlich ist es nicht, ihn trotzdem gelegentlich zu betreten. Komplizierte Lebenszeichen, bei denen Leben und Zeichen in Verbindung stehen, machen sich nicht medienbewußt bemerkbar; eher beiläufig, unscheinbar, fast wie auf der Flucht. Wie dabei ernsthafte Arbeit, Ironie und Zynismus miteinander auskommen, legt die Handhabung von Schutzmechanismen offen. Mit Exzessen eines geschmeidigen Subjektivismus, der Kunst in ihrer heutigen Eingrenzung für sich reklamiert, müßte das herzlich wenig zu tun haben. Ihre und andere Fragestellungen werden ja keineswegs unverbindlicher, weicher, beliebiger.

Allein daß keine der tonangebenden - in Wahrheit längst unierten - Gesellschaften leere Räume und leere Plätze erträgt, weder im augenscheinlichen noch im metaphorischen Sinn, bestätigt weiterhin, wieviel dem Thema >Leere< abzugewinnen wäre. Die Ausbreitung diverser Formen von Erfüllt- und Angefülltsein macht den Zwischenraum, den leeren, undefinierten, ungestalteten Raum zum schützenswerten Objekt der Begierde. Denn die überall stattfindende urbane und mediale Verdichtung läuft als Besetzung vorher unbeachteter Freiräume ab, bei der jeder Ort und jede Wellenlänge einer Kundschaft dienen muß. Gerechnet wird mit Präsenz und unmerklicher Organisiertheit. Dabei bewegen Strömungen Teilchen in ihre Richtungen. In hellen Momenten kommt optimistische Melancholie auf. Konträr zum Gejammer über die Abwesenheit von Bedeutung und Persönlichkeit, über den Verlust von >Einheit<, werden leere Zeichen immer wieder Ausdrucksmittel einer unauffälligen Orientierung. Nicht bloß im Sinn vertauschbarer Markierungen, sondern als Beschäftigung mit dem Intervall schlechthin und als permanenter (begrifflich auf Novalis zurückgehender) Versuch, Undarstellbares darzustellen. Daß etwa Peter Brook seine berühmten Vorlesungen über die Möglichkeiten des Theaters dem Thema >The Empty Space< gewidmet hat, ist eine von vielen Analogien dazu. Forschungen dieser Art sind darauf angewiesen, ihre Fragen zumindest scheinbar von anderswoher zu stellen, von vergessenen Territorien aus, von unerwarteten Positionen; als Annäherung an Radikalität, als Annäherung an Unmittelbarkeit. Weil das Argument mit dem Unausgesprochenen so schwer zurechtkommt, entstehen Konstruktionen und Gesten, die Empfindungen und ihre Wiedergabe, Vorstellungen und ihre Verwirklichung, Unterhaltung und Haltung in künstliche Beziehungen setzen. Kraft behalten sie, wenn sie abschließenden Interpretationen immer wieder entrinnen. Interessant wird es jenseits solcher Fixierungen. Denn erst dort kann es gelingen, der Zeit ihre heroische Regelmäßigkeit zu nehmen.

Beim artifiziellen Kontrast zwischen Zentren und Peripherie, zwischen Schauplatz und blinden Orten kommt ähnliches ins Spiel. Er läßt sich am ehesten normalisieren, wenn die Blicke auf unbekannte Verbindungen, auf Rhythmen, auf Linien, Punkte, Strukturen gerichtet werden, die so wie sie sind oder eben auch anders wahrgenommen werden können. Weil jede ganz gewöhnliche Situation als Bestätigung des Ganzen funktioniert, wird sie in Isolierung oder ungewohnter Verknüpfung diese vermeintliche Sicherheit verlieren. Eingriffe, die dazu beitragen, machen das Verhältnis zum Konkreten überprüfbar, zeigen Strukturen als Dinge, die für sich stehen ohne auf etwas verweisen zu müssen. Unter bestimmten Umständen lassen sie sich ohne Verluste anderswohin transferieren. In neuen Umgebungen wird beweisbar, inwieweit das Normale für Subtiles offen ist. Oft genug wird die vorgegebene Situation es auch schaffen, sich nichts zu vergeben. Sie steht ja - wie angeblich alles >Gewöhnliche< - unter dem Schutz der Bewahrungsanstalten, die durch diverse neue Kommandosprachen ihre Hilflosigkeit verheimlichen. Daher wird auch noch so laute Standfestigkeit bestenfalls zur Kenntnis genommen; während Verständigung auf leise Bemerkungen, auf Blicke, auf ein Kartographieren von Zuständen und Möglichkeiten angewiesen bleibt. Sie bleibt auch davon abhängig, inwieweit es gelingt, dem strukturellen Ineinander von Bild, Raum, Körper, Bewegung, Ton, Licht, Text, Zeit, Ort konzentrierte Repräsentationsformen abzugewinnen, also die Problematik verschiedener Sprachen und deren Eigenständigkeit zu Projekten dieser Zusammenhänge zu machen. Manchmal werden auch Spuren solcher Ereignisse zurückbleiben, die wegen ihrer Geschichte anderswo oder als Kopie keine Kraft hätten. Dokumentiert oder nicht, entscheidend ist, daß distanzierte Anhaltspunkte entstehen, für die in der Corporate-Identity-Welt normalerweise niemand zuständig ist. Sie jeweils insgesamt >festzuhalten< ist unmöglich. Mit der begrenzten Zeit einzelner Aufführungen wird das auch kategorisch verhindert. Es geht darum, was jetzt passiert. Nur verwandelt es sich sofort. Das Gedächtnis speichert von Stimmungen zusammengehaltene Momente auf seine Weise. Mit Beginn der Erinnerungen, die augenblicklich Tatsachen zu fragmentarischen Abbildern, Neuformulierungen und Nacherzählungen machen, entstehen transformierte Ereignisse, die im Kopf, nicht aber materiell behalten werden können. Grenzen verwischen sich. Plötzlich ergeben sich neue. Mit den vorgegebenen wollten sie ohnedies nie etwas zu tun haben.

Gerade deshalb nehmen für das Überschreiten von Grenzen ausgedachte Rituale gern radikale Formen an; denn die Gelegenheit ist günstig, dabei voll Stolz Zwanghaftes so zu zeigen, wie es ist. Jeder soll sehen, welche Schwierigkeiten ihm in Zwischenräumen blühen, die von einem Entweder - Oder bestimmt sind. Zugehörigkeiten müssen durch scheinbare Bedingungslosigkeit erkauft werden. Selbst in ihrer Aufbruchszeit hat Aufklärung nichts dagegen ausrichten können. Als etwa den Zeitgenossen von Voltaire, Rousseau, Diderot, de Sade, Jaques Louis David, Robespierre, Danton ihre künftige Königin präsentiert werden sollte, mußte die Übergabe im Niemandsland, auf einer unbewohnten Insel des großen Grenzflusses erfolgen. Für beide an diesem Transfer beteiligte Parteien durfte es des Prestiges wegen keinerlei Nachteile geben. Mit langatmiger Akribie war alles ausgehandelt worden, bis sich schließlich die Delegationen an diesem neutralen Ort, in einem eigens errichteten, luxuriös ausgestatteten Pavillon, gegenüberstanden. Dem Objekt solch intensiven Interesses, ein zu diesem Zeitpunkt vierzehnjähriges Mädchen, ist vorgeschrieben worden, sich zu Beginn der Zeremonie nackt auszuziehen, damit bezeugt werden konnte, daß es nichts von seiner Vergangenheit am Körper behielt. Durch eine völlig neue Ausstattung sichtbar verwandelt, ist es dann zu den Fremden auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes geführt worden, gemächlichen Schrittes, denn die gewohnten Begleiter mußten verschwunden sein, als die weinende Braut dort ankam.

Das wirksam gebliebene Reich vernünftig-gefährlicher Liebschaften, in dem solche Aufnahmsprüfungen die Regel sind, fügt sich - so Paul Virilio - einer allgemeinen Ästhetik des Verschwindens, denn es baut auf den Reiz strategischer Listen, auf den Vorgang selbst, auf eine stillschweigende Militarisierung von Spielen, in denen die Teilnahme zählt, der Erfolg letztlich nichts mehr. Es geht um Tarnungen. Was sich zeigt, ist aus dem Rennen, das Sichtbare kann gleich abgeschrieben werden. Es verschwindet in Fallen; und die Dinge beschleunigen sich. Greifbares transformiert sich zum Unangreifbaren. Mit der zunehmenden Geschwindigkeit zurechtzukommen, heißt vielleicht, ihre Produktion von Unsichtbarkeit durch eigene - aber anderes produzierende - Unsichtbarkeit herauszufordern. Die dafür notwendige Langsamkeit muß man sich einfach zumuten. Sie wird ja auch überall als Zumutung verstanden.

 

 
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© Christian Reder 1990/1991/2001