Streng genommen läßt sich das Pathos der Tüchtigen auf einen
Satz reduzieren: Wenn Du etwas wirklich willst, bekommst Du
es auch. Da schwingt Leidenschaft mit, Ergriffenheit, gepaart
mit pauschaler Entschuldigung. Geht es doch im allgemeinen
nicht um subjektive, authentische Kräfte, sondern um Zugänge
zu energiespendenden Systemen. Dort werden die Belohnungen
verwaltet, als Beweise eigener Brauchbarkeit. Zuständig dafür
sind andere, hinter denen wiederum andere stehen. Wer das
ist, interessiert niemanden. Denn die Verwirklichung, von
der in bezug auf Wünsche so betont die Rede ist, hat mit Realität
so wenig zu tun, wie der Wille mit dem Weg, den er angeblich
eröffnet. Dessen Verlauf läßt sich simulieren. Ihm zu folgen
müßte überflüssig sein. Konstruktiv sind eher >grundlos< konsequente
Arbeitsweisen, die schrittweise zu präzisierende Notwendigkeiten
nicht gegen Zufälliges ausspielen. Daß mit Blick auf den schönen
Antagonismus von Sein und Haben dessen interessantere Seite
dabei mehr Aufmerksamkeit erfährt, ist dann nur logisch. Logisch
ist auch, daß Genauigkeit auf Prozesse mit unrealistischem
Aufwand angewiesen bleibt, weil innere Gegenstimmen Zeit brauchen,
bis sie freiwillig verstummen können. Im Krieg, den die Berechenbarkeit
gegen expansive Vorstellungen führt, lassen sich so - wenigstens
der Theorie nach - Positionen erreichen, von denen aus es
weitergehen kann. Erfreulich ist auch, daß sich das, um was
es geht, in austauschbarer Weise >etwas< nennt. Zum Substantiv
verfestigt, wird >das gewisse Etwas< daraus. Ob solche Verwandtschaften
nützlich sind, weiß ich nicht. Jedenfalls, eine Aufmerksamkeit
unauffälligen Wörtern gegenüber erleichtert es, sich mit dem
Nebensächlichen, dem Lächerlichen und mit feinen Unterschieden
anzufreunden. Will ich nun wirklich etwas oder etwas wirklich?
Schreibt einer oder schreibt er >something< ? Antworten darauf
haben die Eigenheit, sich kommentarlos zu verselbständigen.
So oder so: Guter Dinge zu sein ist angesichts der vielen
unverrichteten Dinge eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber eben nur >eigentlich<, weil ohne die darin verborgene
Leichtigkeit das Gewicht solcher Behauptungen zu metaphysisch
würde. Außerdem erlaubt die herrschende Freiheit sowieso,
mit Dingen anders als in vorgesehener Weise umzugehen; verschärfend,
entwaffnend, imitierend, unsinnig, respektlos. Daß ausgerechnet
beim Beschönigen so viel danebengeht, verweist auf die Inflation
zugehöriger Gedanken. Daher ist es nur folgerichtig, wenn
die Möglichkeit zur Konzentration sich immer wieder von der
Hierarchie anerkannter Wichtigkeiten verabschiedet; also auch
von den Orten der Kunst, an denen Exklusivität verwaltet wird.
Wie auf verschiedensten Ebenen - auf der sonderbar abgesonderten
>kultu-rellen< zum Beispiel - in das Wachstum von Reichtum
und Armut eingegriffen werden kann, ist von der Frage nach
der >eigenen< Sache ohnedies nicht zu trennen. Eigenes existiert
durch Fremdes; anderes, weil sonst alles gleich wäre. Die
Absurdität offenbar unausweichlicher Prioritäten und ihnen
untergeordneter Erwerbsexistenzen läßt letzteres nur als Marginalie
zu. An dieser klassischen Einsicht haben gegenläufige Konjunkturen
mit ihrer Freude am Falschen kaum etwas modifizieren können.
Erzeugt wurden Schwebezustände. Die Stilisierung als Teilnehmer
oder Außenseiter ist ununterscheidbar. Nicht Korruption sondern
Integrität muß sich verbergen, um Gefährdungen halbwegs zu
entgehen. Angriffe auf diese Konstellation werden spielend
abgewehrt oder integriert, nur gegen vielschichtige Sickerprozesse
fällt Systemen und Institutionen ein Abdichten weiterhin schwer.
Es ist ja auch der >öffentliche Raum< - ohne funktionierende,
kontroversielle >Öffentlichkeit<, ohne Haltungen, die eine
gemeinsame Praxis erlauben würden - nur ein imaginärer Schauplatz.
Selbstverständlich ist es nicht, ihn trotzdem gelegentlich
zu betreten. Komplizierte Lebenszeichen, bei denen Leben und
Zeichen in Verbindung stehen, machen sich nicht medienbewußt
bemerkbar; eher beiläufig, unscheinbar, fast wie auf der Flucht.
Wie dabei ernsthafte Arbeit, Ironie und Zynismus miteinander
auskommen, legt die Handhabung von Schutzmechanismen offen.
Mit Exzessen eines geschmeidigen Subjektivismus, der Kunst
in ihrer heutigen Eingrenzung für sich reklamiert, müßte das
herzlich wenig zu tun haben. Ihre und andere Fragestellungen
werden ja keineswegs unverbindlicher, weicher, beliebiger.
Allein daß keine der tonangebenden - in Wahrheit längst unierten
- Gesellschaften leere Räume und leere Plätze erträgt, weder
im augenscheinlichen noch im metaphorischen Sinn, bestätigt
weiterhin, wieviel dem Thema >Leere< abzugewinnen wäre. Die
Ausbreitung diverser Formen von Erfüllt- und Angefülltsein
macht den Zwischenraum, den leeren, undefinierten, ungestalteten
Raum zum schützenswerten Objekt der Begierde. Denn die überall
stattfindende urbane und mediale Verdichtung läuft als Besetzung
vorher unbeachteter Freiräume ab, bei der jeder Ort und jede
Wellenlänge einer Kundschaft dienen muß. Gerechnet wird mit
Präsenz und unmerklicher Organisiertheit. Dabei bewegen Strömungen
Teilchen in ihre Richtungen. In hellen Momenten kommt optimistische
Melancholie auf. Konträr zum Gejammer über die Abwesenheit
von Bedeutung und Persönlichkeit, über den Verlust von >Einheit<,
werden leere Zeichen immer wieder Ausdrucksmittel einer unauffälligen
Orientierung. Nicht bloß im Sinn vertauschbarer Markierungen,
sondern als Beschäftigung mit dem Intervall schlechthin und
als permanenter (begrifflich auf Novalis zurückgehender) Versuch,
Undarstellbares darzustellen. Daß etwa Peter Brook seine berühmten
Vorlesungen über die Möglichkeiten des Theaters dem Thema
>The Empty Space< gewidmet hat, ist eine von vielen Analogien
dazu. Forschungen dieser Art sind darauf angewiesen, ihre
Fragen zumindest scheinbar von anderswoher zu stellen, von
vergessenen Territorien aus, von unerwarteten Positionen;
als Annäherung an Radikalität, als Annäherung an Unmittelbarkeit.
Weil das Argument mit dem Unausgesprochenen so schwer zurechtkommt,
entstehen Konstruktionen und Gesten, die Empfindungen und
ihre Wiedergabe, Vorstellungen und ihre Verwirklichung, Unterhaltung
und Haltung in künstliche Beziehungen setzen. Kraft behalten
sie, wenn sie abschließenden Interpretationen immer wieder
entrinnen. Interessant wird es jenseits solcher Fixierungen.
Denn erst dort kann es gelingen, der Zeit ihre heroische Regelmäßigkeit
zu nehmen.
Beim artifiziellen Kontrast zwischen Zentren und Peripherie,
zwischen Schauplatz und blinden Orten kommt ähnliches ins
Spiel. Er läßt sich am ehesten normalisieren, wenn die Blicke
auf unbekannte Verbindungen, auf Rhythmen, auf Linien, Punkte,
Strukturen gerichtet werden, die so wie sie sind oder eben
auch anders wahrgenommen werden können. Weil jede ganz gewöhnliche
Situation als Bestätigung des Ganzen funktioniert, wird sie
in Isolierung oder ungewohnter Verknüpfung diese vermeintliche
Sicherheit verlieren. Eingriffe, die dazu beitragen, machen
das Verhältnis zum Konkreten überprüfbar, zeigen Strukturen
als Dinge, die für sich stehen ohne auf etwas verweisen zu
müssen. Unter bestimmten Umständen lassen sie sich ohne Verluste
anderswohin transferieren. In neuen Umgebungen wird beweisbar,
inwieweit das Normale für Subtiles offen ist. Oft genug wird
die vorgegebene Situation es auch schaffen, sich nichts zu
vergeben. Sie steht ja - wie angeblich alles >Gewöhnliche<
- unter dem Schutz der Bewahrungsanstalten, die durch diverse
neue Kommandosprachen ihre Hilflosigkeit verheimlichen. Daher
wird auch noch so laute Standfestigkeit bestenfalls zur Kenntnis
genommen; während Verständigung auf leise Bemerkungen, auf
Blicke, auf ein Kartographieren von Zuständen und Möglichkeiten
angewiesen bleibt. Sie bleibt auch davon abhängig, inwieweit
es gelingt, dem strukturellen Ineinander von Bild, Raum, Körper,
Bewegung, Ton, Licht, Text, Zeit, Ort konzentrierte Repräsentationsformen
abzugewinnen, also die Problematik verschiedener Sprachen
und deren Eigenständigkeit zu Projekten dieser Zusammenhänge
zu machen. Manchmal werden auch Spuren solcher Ereignisse
zurückbleiben, die wegen ihrer Geschichte anderswo oder als
Kopie keine Kraft hätten. Dokumentiert oder nicht, entscheidend
ist, daß distanzierte Anhaltspunkte entstehen, für die in
der Corporate-Identity-Welt normalerweise niemand zuständig
ist. Sie jeweils insgesamt >festzuhalten< ist unmöglich. Mit
der begrenzten Zeit einzelner Aufführungen wird das auch kategorisch
verhindert. Es geht darum, was jetzt passiert. Nur verwandelt
es sich sofort. Das Gedächtnis speichert von Stimmungen zusammengehaltene
Momente auf seine Weise. Mit Beginn der Erinnerungen, die
augenblicklich Tatsachen zu fragmentarischen Abbildern, Neuformulierungen
und Nacherzählungen machen, entstehen transformierte Ereignisse,
die im Kopf, nicht aber materiell behalten werden können.
Grenzen verwischen sich. Plötzlich ergeben sich neue. Mit
den vorgegebenen wollten sie ohnedies nie etwas zu tun haben.
Gerade deshalb nehmen für das Überschreiten von Grenzen
ausgedachte Rituale gern radikale Formen an; denn die Gelegenheit
ist günstig, dabei voll Stolz Zwanghaftes so zu zeigen, wie
es ist. Jeder soll sehen, welche Schwierigkeiten ihm in Zwischenräumen
blühen, die von einem Entweder - Oder bestimmt sind. Zugehörigkeiten
müssen durch scheinbare Bedingungslosigkeit erkauft werden.
Selbst in ihrer Aufbruchszeit hat Aufklärung nichts dagegen
ausrichten können. Als etwa den Zeitgenossen von Voltaire,
Rousseau, Diderot, de Sade, Jaques Louis David, Robespierre,
Danton ihre künftige Königin präsentiert werden sollte, mußte
die Übergabe im Niemandsland, auf einer unbewohnten Insel
des großen Grenzflusses erfolgen. Für beide an diesem Transfer
beteiligte Parteien durfte es des Prestiges wegen keinerlei
Nachteile geben. Mit langatmiger Akribie war alles ausgehandelt
worden, bis sich schließlich die Delegationen an diesem neutralen
Ort, in einem eigens errichteten, luxuriös ausgestatteten
Pavillon, gegenüberstanden. Dem Objekt solch intensiven Interesses,
ein zu diesem Zeitpunkt vierzehnjähriges Mädchen, ist vorgeschrieben
worden, sich zu Beginn der Zeremonie nackt auszuziehen, damit
bezeugt werden konnte, daß es nichts von seiner Vergangenheit
am Körper behielt. Durch eine völlig neue Ausstattung sichtbar
verwandelt, ist es dann zu den Fremden auf der gegenüberliegenden
Seite des Raumes geführt worden, gemächlichen Schrittes, denn
die gewohnten Begleiter mußten verschwunden sein, als die
weinende Braut dort ankam.
Das wirksam gebliebene Reich vernünftig-gefährlicher Liebschaften,
in dem solche Aufnahmsprüfungen die Regel sind, fügt sich
- so Paul Virilio - einer allgemeinen Ästhetik des Verschwindens,
denn es baut auf den Reiz strategischer Listen, auf den Vorgang
selbst, auf eine stillschweigende Militarisierung von Spielen,
in denen die Teilnahme zählt, der Erfolg letztlich nichts
mehr. Es geht um Tarnungen. Was sich zeigt, ist aus dem Rennen,
das Sichtbare kann gleich abgeschrieben werden. Es verschwindet
in Fallen; und die Dinge beschleunigen sich. Greifbares transformiert
sich zum Unangreifbaren. Mit der zunehmenden Geschwindigkeit
zurechtzukommen, heißt vielleicht, ihre Produktion von Unsichtbarkeit
durch eigene - aber anderes produzierende - Unsichtbarkeit
herauszufordern. Die dafür notwendige Langsamkeit muß man
sich einfach zumuten. Sie wird ja auch überall als Zumutung
verstanden.
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