Sie, die Architektur Wilhelm Holzbauers, ist sich selbst
sicher und zeigt das, ohne mit Zurückhaltung oder Fragilität
zu spekulieren. Das liegt natürlich an ihm. Er will, daß man
sieht, was gemeint ist. Kontinuität und der jeweilige Ort
werden wichtig genommen. Sachverhalte sollen sich ohne Verspieltheit
und kryptische Andeutungen ausdrücken. Jeder Entwurf, so sagt
er, geht bei ihm von einem inneren Bild aus, das völlig intuitiv
entsteht. Auch die Präzisierung dieses Bildes durch das Ordnen
von Anforderungen und Funktionen erfolgt intuitiv. Meistens
bestimmen schon die ersten Skizzen die endgültige Charakteristik
des Objektes. Selbst bei hochkomplexen Bauaufgaben ist das
nicht anders. Das zu Beginn entwickelte Konzept hält, in den
Detailplanungen tauchen kaum noch Fragen auf, die sich dessen
Vorsätzen nicht unterordnen könnten. Es wird also die Erscheinungsform
des Ganzen angegangen; pragmatisch, mit einer Haltung, die
dem begeisterungsfähigen Baumeister weit näher steht als dem
analytischen Grübler.
Die Zwangsläufigkeit einer Konstruktion ergibt sich aus
der Geste des Entwerfens, aus dem >Vorurteil< des Bildes,
das die gestellte Aufgabe auslöst. Damit wird der viel gängigeren
Sicht der Dinge, die sich auf eine Addition von Bilderwelten,
von Fragmenten und Modulen stützt, in beharrlich-statischer
Weise entgegengearbeitet. Eine Distanzierung vom >Mainstream<
der Architektur hält er dennoch nicht für notwendig, selbst
wenn sich daraus permanent Angriffsflächen ergeben. Primär
gehe es ja darum, im Gewebe städtischer Agglomerationen insgesamt
>mehr Qualität< zu erreichen. >Extravagante Highlights< haben
daher für ihn eher einen marginalen Stellenwert. Der Glaube
an experimentelle Zeichen hält sich in Grenzen. Etwas muß
bestehen können und Bestand haben. Haltbarkeit ist deswegen
für Wilhelm Holzbauer nicht ein enger, die Materie, die Technologie
betreffender Begriff, sondern ein umfassender, sich von vielem
fernhaltender Anspruch. Dieser Anspruch geht ohne Berührungsängste
in die lapidare Forderung über, daß etwas in Ehren und in
Schönheit altern können sollte. Um die dafür nötige Sicherheit
immer wieder zu erreichen, muß auf gewisse Sicherheiten gebaut
werden. Seine Auffassung von Professionalität und seine Baulust
liefern die Grundlagen dazu.
Daß bei der Beschreibung von Holzbauers Entwürfen und Bauten
so oft Ausdrücke fallen, die von Beziehungen zu ihrem Gegenteil
leben, ist wegen dieser eigenwilligen, erstaunt bis befremdlich
aufgenommenen Sicherheit nicht weiter verwunderlich. Teils
werden unverfängliche Eigenschaften betont: subjektiv, antiintellektuell,
antiideologisch, manieristisch, realistisch, pragmatisch;
teils kommen urbanistische >Fremdwörter< zum Zug, denen sonst
aus dem Weg gegangen wird: schwer, monumental, pathetisch,
demonstrativ, hierarchieorientiert, machtbewußt. Die zugehörigen
Polaritäten relativieren solche einseitigen Assoziationen,
bündeln sie, und machen deutlich, welche Verbindungen jeweils
eingegangen worden sind. Denn dieses Anziehen und Abstoßen
von Gegensätzlichem ist ein bestimmendes Merkmal von Holzbauers
Architekturauffassung - als durchgängige Wechselwirkungen
von Masse, Gewicht und Transparenz, von Abweisung und Durchdringung,
von Symbolkraft und Raumorganisation, von struktureller Klarheit
und ihrer Brechung, von Repräsentation und Intimität, von
Funktion und persönlichem Ausdruck.
Letzten Endes manifestiert sich immer Stabilität beziehungsweise
eine starke Affinität zu ihr. Sichtbare und unsichtbare >Strukturen<
(die Roland Barthes einfach als >Ablagerungen von Dauer< gesehen
hat) werden, nicht nur wenn es ums Bauen geht, als Gegebenheiten
akzeptiert; es sei denn, Strukturveränderungen stellen sich
als konkrete Aufgabe. Nicht so sehr prägende Dauerhaftigkeit
sondern Gegenpositionen dazu sind fragwürdig, etwa Vorstellungen
von fließenden gesellschaftlichen Zuständen, von einem Akzeptieren
des Unfertigen, Unübersichtlichen, Komplizierten, Vorstellungen
von einer kleinteiligen demokratischen Dramaturgie, von einem
Mißtrauen gegen Macht, von Widersprüchen, die auch durch Architektur
nicht negiert oder eingefroren werden sollten. Wilhelm Holzbauer
stellt sich nicht einfach >konservativ< gegen solche Haltungen.
Das Konservative, wenn als Worthülse überhaupt noch brauchbar,
hat sich angesichts der wichtigen bewahrenden Aspekte von
solchen Einordnungen ja längst gelöst. Er jedenfalls akzeptiert
derartige Standpunkte für sich oft nicht und fragt dezidiert
nach ihrem Realitätsgehalt. Denn: Anerkennung findet, was
sich durchsetzt. Wirklichkeit entsteht im Wettbewerb der Erfolgreichen.
Was abgesondert davon passiert, mag interessant sein, ist
es oft auch; wichtig aber wird es erst als eingreifende Kraft.
Wer ihm dabei nicht folgt, wird unwillkürlich dazu gedrängt,
den eigenen Realismus zu überprüfen. Destruktiv ist eine solche
Kommunikation nicht - auch wenn sie sich in Bauten ausdrückt.
Ein Gebäude soll zeigen was es ist (nicht was in ihm alles
passieren könnte), heißt es bei ihm immer wieder, und zwar
in seiner Totalität, als Gesamteindruck. Von Architektursituationen
überwältigt zu werden, ist viel eher das Ideal, als die >intellektuelle<
Befriedigung beim Begreifen kompliziert komponierter Details.
Unter den bisher fertiggestellten Großbauten Wilhelm Holzbauers
gilt die Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg
(1986) zu Recht als das Hauptwerk. In der architekturkritischen
Auseinandersetzung mit ihm überwiegen Superlative. Manfred
Sack hat diesen Gebäudekomplex schlicht zum >Meisterwerk<
und zum >Musterbeispiel einer landschaftsbezogenen Architektur<
erklärt; für Jan Tabor ist er >einer der besten Universitätsneubauten
der Welt<, Otto Kapfinger hat vor allem hervorgehoben, wie
gut den >Grundlagen eines universitären Lebensgefühls< durch
seine >innere Transparenz und einen vielfältigen Erlebnis-
und Begegnungsraum, der zu Kontakten und Gruppenbildungen,
zu informellem Gespräch und Flanieren einlädt<, entsprochen
wird. Dabei wird jede einladende Metaphorik vermieden. Von
der (an den Meister spätgotischer Flügelaltäre erinnernden)
Michael Pacher-Straße her, betritt man eine, ihre Autorität
demonstrierende Institution, merkt aber gleich, daß diese
Feierlichkeit wenige Schritte weiter in großzügige Glashausstrukturen
und Terrassen übergeht, die eine Fülle überraschender Situationen
zu bieten haben, mit domestizierter und freier >Natur< und
der Aussicht auf die Festung im Hintergrund. Ahnungen davon
drängen sich auf, wie es - vor langer Zeit - in Universitäten
bisweilen gewesen sein kann (in Padua, Bologna, Oxford oder
Heidelberg), mit Traditionen der >Universitas< und des >Studium
generale<. Die üblich gewordene gedankenlose Schäbigkeit öffentlicher
Bildungs- und Forschungsstätten wird desavouiert, ob es nun
Neubauten sind oder hilflos adaptierte Traditionseinrichtungen.
Erinnerung und Utopie geraten wieder in eine Nähe zueinander,
ohne daß mit einer Berufung auf die vielzitierte Zukunft Mißbrauch
getrieben wird. Denn angesichts der Inexistenz programmatischer
Reformabsichten ist es als höchst aufrichtiger Akt zu werten,
daß Anspielungen auf High-Tech-Kulte und radikal neue Universitätsmodelle
ausgespart bleiben.
Dafür war die Entstehungsgeschichte dieses Projektes ein
Beispiel dafür, wie in aller Öffentlichkeit Prozesse zustandekommen
können, die sich auf die Bedingungen für das Entstehen von
Architektur positiv auswirken. Hatte es doch gegen das ursprünglich
viel größere, alle Universitätseinrichtungen umfassende Bauprogramm
vehemente Bürgerproteste und ein von ihnen provoziertes Umdenken
der Planungsinstanzen und Architekten (einschließlich Holzbauers)
gegegeben. In der >Salzburger Architekturreform< (das >Salzburg-Projekt<
von Planungsstadtrat Johannes Voggenhuber) mit seinem Gestaltungsbeirat
(Vorsitz 1983-85: Wilhelm Holzbauer) kulminierten diese Versuche,
neue Strukturen für das Baugeschehen einer Stadt zu schaffen.
Mit der Darstellung des >stürmischen<, 13 Jahre dauernden
Planungsverlaufs für die Universität Salzburg und unter Hinweis
auf ähnlich >komplexe und divergente< Verfahren, denen er
sich 21 Jahre lang beim Projekt Rathaus und Musiktheater Amsterdam
ausgesetzt gesehen hat, endet Wilhelm Holzbauers letzte große
Werkpublikation (Bauten und Projekte. 1953-1985. Residenz
Verlag 1985). Bei den in der weiteren Folge von ihm bearbeiteten
Bauaufgaben hat, so sieht er das selbst, schon wegen der Vielzahl
großer Aufträge der Druck noch zugenommen, daß er mit seinen
Absichten als Architekt im komplizierten Räderwerk jeweils
hereinspielender Interessenslagen zerrieben wird. Allerdings:
Er fühlt sich nicht ausgeliefert, weil er die Mechanismen
des Baugeschehens, die >Architektur< fast immer als Störfaktor
behandeln, sehr genau kennt und mit ihnen umgehen kann. Trotzdem
lehnt er sich polemisch immer wieder gegen sie auf, etwa wenn
er die alltägliche Praxis so charakterisiert, >daß irgendein
Architekt ein Grundstück und die Finanzierung anbietet, er
also nach amerikanischem Muster Development macht, um einen
Auftrag zu bekommen, ohne daß neben dieser Geschäftsmäßigkeit
Architektur einen besonderen Stellenwert hätte. Dazu muß er
sich verschiedener Bauträger-, Förderungs- und Bürokratieinstanzen
bedienen. In diesem Dickicht kann es dann gar nicht mehr zu
kompetenten architektonischen Entscheidungen kommen. - Die
Verfilzung gehört aufgebrochen, Projekt für Projekt.<
Zugleich ist die Exponiertheit und Verstrickung inmitten
dieses Geschehens bei ihm ein selbstverständlicher Teil seiner
Professionalität. Man ist einfach Teilnehmer an schwer abschätzbaren,
von einem ständigen Agieren und Reagieren verschiedenster,
oft wechselnder Akteure geprägten Durchsetzungsprozessen.
Das gehört zu den Zwängen der Architektur, als Pendant zu
den >Zwängen<, die sich aus der Bauaufgabe selbst ergeben.
Bestärkt durch frühe amerikanische Erfahrungen empfindet er
deshalb auch gegenüber Kooperationen mit Partnern und Ingenieurfirmen
nicht die sonst häufig anzutreffende Reserviertheit. Viele
seiner Projekte entstanden und entstehen im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften,
ohne daß seine Handschrift nicht mehr zu erkennen wäre. Mit
den Gesetzmäßigkeiten großer Projekte müsse man eben zurechtkommen.
>Freiheit< herrscht dort keine. Mit einem Feld für Ausreden
ist das jedoch keineswegs gleichzusetzen. In gewisser Weise
geht es weiterhin, wenn auch stark transformiert, um einen
>Marsch durch die Institutionen<, denn auch der Architekt
kann auf komplexe Interessenslagen und Benutzeranforderungen
nur eingehen, wenn er sich diesen Zwängen aussetzt. Wer sich
dem nicht stellt, opfert sozusagen sein professionelles Leben
dem Nicht-Bauen oder dem Fast-nicht-Bauen. Einer solchen -
in Wien sehr dezidiert kultivierten und geforderten - Opferbereitschaft
wollte er sich nicht fügen. Unrealistische Planungen oder
eine reine, nicht zweckgebundene Architektur seien zu selten
zu verwirklichen, um sich ihnen zu verschreiben. Gründlichkeit
findet ihre Selbstbegrenzung an dem Punkt, wo sie von Abläufen
überholt wird. Architektur als gestalterischer >Prozeß< hat
bei ihm also nur sehr wenig mit einer bedächtigen, forschenden
- als Selbstverliebtheit diskriminierbaren - Arbeitsweise
zu tun, die sich im Zweifel auf kleine, exquisite Aufgaben
beschränkt, sondern ist gleichsam ein offensives, das Akquirieren,
Gestalten, Planen und Durchsetzen umfassendes Kampfritual.
Wer auch >groß< bauen will, und er will das ausdrücklich,
muß sich eben in diesen Mechanismen zurechtfinden. Das folgende
>kunsthistorische< Zitat, dessen Direktheit sich heute kaum
wer zumuten würde, könnte jedenfalls Wilhelm Holzbauer zugeschrieben
werden (es stammt aber von Rubens): >Ich bekenne, daß ich
von Natur aus besser geeignet bin, sehr große Werke als kleine
Stückchen auszuführen. Jeder nach seiner Art. Mein Talent
ist so beschaffen, daß kein Unternehmen, so gewaltig es auch
an Ausmaß und so verschiedenartig es an Gegenstand sein möge,
jemals meinen Mut überstiegen hätte.< In den Projekten des
dreißigjährigen Avantgardearchitekten, der im Nachkriegsösterreich
rasch zur prägenden, störrischen Figur geworden war, hat sich
ein solches Selbstvertrauen noch utopisch, in gigantischen
Helikopter-Bürohäusern manifestiert; der Sechzigjährige hat
bei den >Dimensionen< kaum nachgegeben, nur stützt er sich
inzwischen ausdrücklich auf jene Praxis, die mit Utopieverlusten
umgehen gelernt hat.
Die drei Hochhäuser Wilhelm Holzbauers, schmale Scheiben
mit spitzwinkeligen Dreiecksgrundrissen, eines in gelb, eines
in rot, eines in blau, hätten in diesem Sinne das Stadtbild
Barcelonas prägen können (wenn es zur Verwirklichung dieses
Wettbewerbsprojektes aus dem Jahr 1986 gekommen wäre). An
der einzigen großen, im Schachbrettraster der Neustadt schräg
verlaufenden Querstraße, der Avinguda Diagonal, gelegen, waren
sie als Zeichen und urbaner Maßstab gedacht, die ihren besonderen
Ort, die Diagonalstraße, durch Form und schräge Situierung
weithin erkennbar machen. Im Nahbereich sollten sie zwischen
Autoverkehr und Fußgängerzonen markant abgrenzen. Ähnliche
Überlegungen zu Volumen, Flächigkeit, Schnitten und Schnittflächen
kehren beim Geschäfts- und Bürohaus der Winterthur-Versicherung
an der Wiener Ringstraße wieder. Nur verzichtet dessen als
zweite Haut, als Membran gedachte >Folien-Fassade< nach außen
hin ausdrücklich auf visuelle Sensationen, beschränkt sich
auf >leise< Stellungnahmen zur Umgebung, ohne dafür historisierende
Zitate zu brauchen. Wie sooft sollen die Wege durch das Haus
von Innen her Raumkonstellationen erschließen, in leicht ablesbarer
Weise, im Dialog von Masse und transparentem Glas, von Volumen
und Durchblicken. Wie bestimmend letztlich funktionelle Gründe
sind, wird auch am Entwurf für das neue IBM-Zentrum in Wien
deutlich, wo ein höchst komplexes Raumprogramm mit hunderten,
möglichst gleichrangig zu behandelnden Einzelbüros und großen
Abwicklungsflächen zu einer Lösung mit großen, nach außen
offenen Höfen geführt hat.
Die kleine Pfarrkirche Parsch in Salzburg (mit Friedrich
Kurrent und Johannes Spalt; 1953-56), die - so Friedrich Achleitner
- >erste moderne Kirche der Nachkriegszeit< in Österreich,
steht am Anfang der bisher realisierten etwa 20 Bauten. 1990
ist daraus eine fast gleichgroße Zahl in Bau befindlicher
oder vor Baubeginn stehender Projekte geworden: Das Geschäfts-
und Bürohaus der Winterthur-Versicherung an der Wiener Ringstraße,
das Zentrum für interdisziplinäre Studien (Biozentrum) der
Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt, das Siemens-Verwaltungsgebäude
in Linz, die Bank für Kärnten und Steiermark in Klagenfurt,
der Bürohauskomplex an der aufzuwertenden Achse von der Wiener
City über die Donau (Lasallestraße), mit Gebäuden für IBM
und die Zentralsparkasse und Kommerzialbank, zwei Villen (Haus
Wetscher, Lans in Tirol und Haus Schmid, Wien), die U-Bahn-Linie
U3 in Wien. Wenn man neben diesem Auftragsvolumen auch zur
Kenntnis nimmt, wie optimistisch und mit leichter Hand Wilhelm
Holzbauer an neue Projekte herangeht (>Je verschiedener die
Aufträge und umso neuer für mich, desto lieber<) und er sich
auch noch Wiederholungen wünscht (>Im Idealfall sollte man
etwas zweimal machen können<), so kann der Skeptiker nur verwundert
am Wegrand zurückbleiben und ihm nachsehen. Theorien, in die
so ein Architektur-Meister passen könnte, gehen ihm im Kopf
herum, während jener voller Energie an der Non-Fiction weiterbaut.
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Wilhelm Holzbauer / Arbeitsgruppe
U-Bahn: Stationen der U-Bahn Wien 1971-1982
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zum Thema:
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"...das
Gewöhnliche und das Anspruchsvolle ..."
Ein Architektur-Gespräch mit Wilhelm Holzbauer
in: Falter,
Wien, Nr. 8/1985
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