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Wilhelm Holzbauer
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Residenz Verlag
   

Über Wilhelm Hozbauer

in: Wilhelm Holzbauer. Bauten und Projekte 1985-1990
Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1990

Essay zur Arbeit des Architeken Wilhelm Holzbauer

Mit Textbeiträgen von Wilhelm Holzbauer, Christian Reder und der Coop Himmelb(l)au

 

 

Sie, die Architektur Wilhelm Holzbauers, ist sich selbst sicher und zeigt das, ohne mit Zurückhaltung oder Fragilität zu spekulieren. Das liegt natürlich an ihm. Er will, daß man sieht, was gemeint ist. Kontinuität und der jeweilige Ort werden wichtig genommen. Sachverhalte sollen sich ohne Verspieltheit und kryptische Andeutungen ausdrücken. Jeder Entwurf, so sagt er, geht bei ihm von einem inneren Bild aus, das völlig intuitiv entsteht. Auch die Präzisierung dieses Bildes durch das Ordnen von Anforderungen und Funktionen erfolgt intuitiv. Meistens bestimmen schon die ersten Skizzen die endgültige Charakteristik des Objektes. Selbst bei hochkomplexen Bauaufgaben ist das nicht anders. Das zu Beginn entwickelte Konzept hält, in den Detailplanungen tauchen kaum noch Fragen auf, die sich dessen Vorsätzen nicht unterordnen könnten. Es wird also die Erscheinungsform des Ganzen angegangen; pragmatisch, mit einer Haltung, die dem begeisterungsfähigen Baumeister weit näher steht als dem analytischen Grübler.

Die Zwangsläufigkeit einer Konstruktion ergibt sich aus der Geste des Entwerfens, aus dem >Vorurteil< des Bildes, das die gestellte Aufgabe auslöst. Damit wird der viel gängigeren Sicht der Dinge, die sich auf eine Addition von Bilderwelten, von Fragmenten und Modulen stützt, in beharrlich-statischer Weise entgegengearbeitet. Eine Distanzierung vom >Mainstream< der Architektur hält er dennoch nicht für notwendig, selbst wenn sich daraus permanent Angriffsflächen ergeben. Primär gehe es ja darum, im Gewebe städtischer Agglomerationen insgesamt >mehr Qualität< zu erreichen. >Extravagante Highlights< haben daher für ihn eher einen marginalen Stellenwert. Der Glaube an experimentelle Zeichen hält sich in Grenzen. Etwas muß bestehen können und Bestand haben. Haltbarkeit ist deswegen für Wilhelm Holzbauer nicht ein enger, die Materie, die Technologie betreffender Begriff, sondern ein umfassender, sich von vielem fernhaltender Anspruch. Dieser Anspruch geht ohne Berührungsängste in die lapidare Forderung über, daß etwas in Ehren und in Schönheit altern können sollte. Um die dafür nötige Sicherheit immer wieder zu erreichen, muß auf gewisse Sicherheiten gebaut werden. Seine Auffassung von Professionalität und seine Baulust liefern die Grundlagen dazu.

Daß bei der Beschreibung von Holzbauers Entwürfen und Bauten so oft Ausdrücke fallen, die von Beziehungen zu ihrem Gegenteil leben, ist wegen dieser eigenwilligen, erstaunt bis befremdlich aufgenommenen Sicherheit nicht weiter verwunderlich. Teils werden unverfängliche Eigenschaften betont: subjektiv, antiintellektuell, antiideologisch, manieristisch, realistisch, pragmatisch; teils kommen urbanistische >Fremdwörter< zum Zug, denen sonst aus dem Weg gegangen wird: schwer, monumental, pathetisch, demonstrativ, hierarchieorientiert, machtbewußt. Die zugehörigen Polaritäten relativieren solche einseitigen Assoziationen, bündeln sie, und machen deutlich, welche Verbindungen jeweils eingegangen worden sind. Denn dieses Anziehen und Abstoßen von Gegensätzlichem ist ein bestimmendes Merkmal von Holzbauers Architekturauffassung - als durchgängige Wechselwirkungen von Masse, Gewicht und Transparenz, von Abweisung und Durchdringung, von Symbolkraft und Raumorganisation, von struktureller Klarheit und ihrer Brechung, von Repräsentation und Intimität, von Funktion und persönlichem Ausdruck.

Letzten Endes manifestiert sich immer Stabilität beziehungsweise eine starke Affinität zu ihr. Sichtbare und unsichtbare >Strukturen< (die Roland Barthes einfach als >Ablagerungen von Dauer< gesehen hat) werden, nicht nur wenn es ums Bauen geht, als Gegebenheiten akzeptiert; es sei denn, Strukturveränderungen stellen sich als konkrete Aufgabe. Nicht so sehr prägende Dauerhaftigkeit sondern Gegenpositionen dazu sind fragwürdig, etwa Vorstellungen von fließenden gesellschaftlichen Zuständen, von einem Akzeptieren des Unfertigen, Unübersichtlichen, Komplizierten, Vorstellungen von einer kleinteiligen demokratischen Dramaturgie, von einem Mißtrauen gegen Macht, von Widersprüchen, die auch durch Architektur nicht negiert oder eingefroren werden sollten. Wilhelm Holzbauer stellt sich nicht einfach >konservativ< gegen solche Haltungen. Das Konservative, wenn als Worthülse überhaupt noch brauchbar, hat sich angesichts der wichtigen bewahrenden Aspekte von solchen Einordnungen ja längst gelöst. Er jedenfalls akzeptiert derartige Standpunkte für sich oft nicht und fragt dezidiert nach ihrem Realitätsgehalt. Denn: Anerkennung findet, was sich durchsetzt. Wirklichkeit entsteht im Wettbewerb der Erfolgreichen. Was abgesondert davon passiert, mag interessant sein, ist es oft auch; wichtig aber wird es erst als eingreifende Kraft. Wer ihm dabei nicht folgt, wird unwillkürlich dazu gedrängt, den eigenen Realismus zu überprüfen. Destruktiv ist eine solche Kommunikation nicht - auch wenn sie sich in Bauten ausdrückt. Ein Gebäude soll zeigen was es ist (nicht was in ihm alles passieren könnte), heißt es bei ihm immer wieder, und zwar in seiner Totalität, als Gesamteindruck. Von Architektursituationen überwältigt zu werden, ist viel eher das Ideal, als die >intellektuelle< Befriedigung beim Begreifen kompliziert komponierter Details.

Unter den bisher fertiggestellten Großbauten Wilhelm Holzbauers gilt die Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg (1986) zu Recht als das Hauptwerk. In der architekturkritischen Auseinandersetzung mit ihm überwiegen Superlative. Manfred Sack hat diesen Gebäudekomplex schlicht zum >Meisterwerk< und zum >Musterbeispiel einer landschaftsbezogenen Architektur< erklärt; für Jan Tabor ist er >einer der besten Universitätsneubauten der Welt<, Otto Kapfinger hat vor allem hervorgehoben, wie gut den >Grundlagen eines universitären Lebensgefühls< durch seine >innere Transparenz und einen vielfältigen Erlebnis- und Begegnungsraum, der zu Kontakten und Gruppenbildungen, zu informellem Gespräch und Flanieren einlädt<, entsprochen wird. Dabei wird jede einladende Metaphorik vermieden. Von der (an den Meister spätgotischer Flügelaltäre erinnernden) Michael Pacher-Straße her, betritt man eine, ihre Autorität demonstrierende Institution, merkt aber gleich, daß diese Feierlichkeit wenige Schritte weiter in großzügige Glashausstrukturen und Terrassen übergeht, die eine Fülle überraschender Situationen zu bieten haben, mit domestizierter und freier >Natur< und der Aussicht auf die Festung im Hintergrund. Ahnungen davon drängen sich auf, wie es - vor langer Zeit - in Universitäten bisweilen gewesen sein kann (in Padua, Bologna, Oxford oder Heidelberg), mit Traditionen der >Universitas< und des >Studium generale<. Die üblich gewordene gedankenlose Schäbigkeit öffentlicher Bildungs- und Forschungsstätten wird desavouiert, ob es nun Neubauten sind oder hilflos adaptierte Traditionseinrichtungen. Erinnerung und Utopie geraten wieder in eine Nähe zueinander, ohne daß mit einer Berufung auf die vielzitierte Zukunft Mißbrauch getrieben wird. Denn angesichts der Inexistenz programmatischer Reformabsichten ist es als höchst aufrichtiger Akt zu werten, daß Anspielungen auf High-Tech-Kulte und radikal neue Universitätsmodelle ausgespart bleiben.

Dafür war die Entstehungsgeschichte dieses Projektes ein Beispiel dafür, wie in aller Öffentlichkeit Prozesse zustandekommen können, die sich auf die Bedingungen für das Entstehen von Architektur positiv auswirken. Hatte es doch gegen das ursprünglich viel größere, alle Universitätseinrichtungen umfassende Bauprogramm vehemente Bürgerproteste und ein von ihnen provoziertes Umdenken der Planungsinstanzen und Architekten (einschließlich Holzbauers) gegegeben. In der >Salzburger Architekturreform< (das >Salzburg-Projekt< von Planungsstadtrat Johannes Voggenhuber) mit seinem Gestaltungsbeirat (Vorsitz 1983-85: Wilhelm Holzbauer) kulminierten diese Versuche, neue Strukturen für das Baugeschehen einer Stadt zu schaffen. Mit der Darstellung des >stürmischen<, 13 Jahre dauernden Planungsverlaufs für die Universität Salzburg und unter Hinweis auf ähnlich >komplexe und divergente< Verfahren, denen er sich 21 Jahre lang beim Projekt Rathaus und Musiktheater Amsterdam ausgesetzt gesehen hat, endet Wilhelm Holzbauers letzte große Werkpublikation (Bauten und Projekte. 1953-1985. Residenz Verlag 1985). Bei den in der weiteren Folge von ihm bearbeiteten Bauaufgaben hat, so sieht er das selbst, schon wegen der Vielzahl großer Aufträge der Druck noch zugenommen, daß er mit seinen Absichten als Architekt im komplizierten Räderwerk jeweils hereinspielender Interessenslagen zerrieben wird. Allerdings: Er fühlt sich nicht ausgeliefert, weil er die Mechanismen des Baugeschehens, die >Architektur< fast immer als Störfaktor behandeln, sehr genau kennt und mit ihnen umgehen kann. Trotzdem lehnt er sich polemisch immer wieder gegen sie auf, etwa wenn er die alltägliche Praxis so charakterisiert, >daß irgendein Architekt ein Grundstück und die Finanzierung anbietet, er also nach amerikanischem Muster Development macht, um einen Auftrag zu bekommen, ohne daß neben dieser Geschäftsmäßigkeit Architektur einen besonderen Stellenwert hätte. Dazu muß er sich verschiedener Bauträger-, Förderungs- und Bürokratieinstanzen bedienen. In diesem Dickicht kann es dann gar nicht mehr zu kompetenten architektonischen Entscheidungen kommen. - Die Verfilzung gehört aufgebrochen, Projekt für Projekt.<

Zugleich ist die Exponiertheit und Verstrickung inmitten dieses Geschehens bei ihm ein selbstverständlicher Teil seiner Professionalität. Man ist einfach Teilnehmer an schwer abschätzbaren, von einem ständigen Agieren und Reagieren verschiedenster, oft wechselnder Akteure geprägten Durchsetzungsprozessen. Das gehört zu den Zwängen der Architektur, als Pendant zu den >Zwängen<, die sich aus der Bauaufgabe selbst ergeben. Bestärkt durch frühe amerikanische Erfahrungen empfindet er deshalb auch gegenüber Kooperationen mit Partnern und Ingenieurfirmen nicht die sonst häufig anzutreffende Reserviertheit. Viele seiner Projekte entstanden und entstehen im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften, ohne daß seine Handschrift nicht mehr zu erkennen wäre. Mit den Gesetzmäßigkeiten großer Projekte müsse man eben zurechtkommen. >Freiheit< herrscht dort keine. Mit einem Feld für Ausreden ist das jedoch keineswegs gleichzusetzen. In gewisser Weise geht es weiterhin, wenn auch stark transformiert, um einen >Marsch durch die Institutionen<, denn auch der Architekt kann auf komplexe Interessenslagen und Benutzeranforderungen nur eingehen, wenn er sich diesen Zwängen aussetzt. Wer sich dem nicht stellt, opfert sozusagen sein professionelles Leben dem Nicht-Bauen oder dem Fast-nicht-Bauen. Einer solchen - in Wien sehr dezidiert kultivierten und geforderten - Opferbereitschaft wollte er sich nicht fügen. Unrealistische Planungen oder eine reine, nicht zweckgebundene Architektur seien zu selten zu verwirklichen, um sich ihnen zu verschreiben. Gründlichkeit findet ihre Selbstbegrenzung an dem Punkt, wo sie von Abläufen überholt wird. Architektur als gestalterischer >Prozeß< hat bei ihm also nur sehr wenig mit einer bedächtigen, forschenden - als Selbstverliebtheit diskriminierbaren - Arbeitsweise zu tun, die sich im Zweifel auf kleine, exquisite Aufgaben beschränkt, sondern ist gleichsam ein offensives, das Akquirieren, Gestalten, Planen und Durchsetzen umfassendes Kampfritual. Wer auch >groß< bauen will, und er will das ausdrücklich, muß sich eben in diesen Mechanismen zurechtfinden. Das folgende >kunsthistorische< Zitat, dessen Direktheit sich heute kaum wer zumuten würde, könnte jedenfalls Wilhelm Holzbauer zugeschrieben werden (es stammt aber von Rubens): >Ich bekenne, daß ich von Natur aus besser geeignet bin, sehr große Werke als kleine Stückchen auszuführen. Jeder nach seiner Art. Mein Talent ist so beschaffen, daß kein Unternehmen, so gewaltig es auch an Ausmaß und so verschiedenartig es an Gegenstand sein möge, jemals meinen Mut überstiegen hätte.< In den Projekten des dreißigjährigen Avantgardearchitekten, der im Nachkriegsösterreich rasch zur prägenden, störrischen Figur geworden war, hat sich ein solches Selbstvertrauen noch utopisch, in gigantischen Helikopter-Bürohäusern manifestiert; der Sechzigjährige hat bei den >Dimensionen< kaum nachgegeben, nur stützt er sich inzwischen ausdrücklich auf jene Praxis, die mit Utopieverlusten umgehen gelernt hat.

Die drei Hochhäuser Wilhelm Holzbauers, schmale Scheiben mit spitzwinkeligen Dreiecksgrundrissen, eines in gelb, eines in rot, eines in blau, hätten in diesem Sinne das Stadtbild Barcelonas prägen können (wenn es zur Verwirklichung dieses Wettbewerbsprojektes aus dem Jahr 1986 gekommen wäre). An der einzigen großen, im Schachbrettraster der Neustadt schräg verlaufenden Querstraße, der Avinguda Diagonal, gelegen, waren sie als Zeichen und urbaner Maßstab gedacht, die ihren besonderen Ort, die Diagonalstraße, durch Form und schräge Situierung weithin erkennbar machen. Im Nahbereich sollten sie zwischen Autoverkehr und Fußgängerzonen markant abgrenzen. Ähnliche Überlegungen zu Volumen, Flächigkeit, Schnitten und Schnittflächen kehren beim Geschäfts- und Bürohaus der Winterthur-Versicherung an der Wiener Ringstraße wieder. Nur verzichtet dessen als zweite Haut, als Membran gedachte >Folien-Fassade< nach außen hin ausdrücklich auf visuelle Sensationen, beschränkt sich auf >leise< Stellungnahmen zur Umgebung, ohne dafür historisierende Zitate zu brauchen. Wie sooft sollen die Wege durch das Haus von Innen her Raumkonstellationen erschließen, in leicht ablesbarer Weise, im Dialog von Masse und transparentem Glas, von Volumen und Durchblicken. Wie bestimmend letztlich funktionelle Gründe sind, wird auch am Entwurf für das neue IBM-Zentrum in Wien deutlich, wo ein höchst komplexes Raumprogramm mit hunderten, möglichst gleichrangig zu behandelnden Einzelbüros und großen Abwicklungsflächen zu einer Lösung mit großen, nach außen offenen Höfen geführt hat.

Die kleine Pfarrkirche Parsch in Salzburg (mit Friedrich Kurrent und Johannes Spalt; 1953-56), die - so Friedrich Achleitner - >erste moderne Kirche der Nachkriegszeit< in Österreich, steht am Anfang der bisher realisierten etwa 20 Bauten. 1990 ist daraus eine fast gleichgroße Zahl in Bau befindlicher oder vor Baubeginn stehender Projekte geworden: Das Geschäfts- und Bürohaus der Winterthur-Versicherung an der Wiener Ringstraße, das Zentrum für interdisziplinäre Studien (Biozentrum) der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt, das Siemens-Verwaltungsgebäude in Linz, die Bank für Kärnten und Steiermark in Klagenfurt, der Bürohauskomplex an der aufzuwertenden Achse von der Wiener City über die Donau (Lasallestraße), mit Gebäuden für IBM und die Zentralsparkasse und Kommerzialbank, zwei Villen (Haus Wetscher, Lans in Tirol und Haus Schmid, Wien), die U-Bahn-Linie U3 in Wien. Wenn man neben diesem Auftragsvolumen auch zur Kenntnis nimmt, wie optimistisch und mit leichter Hand Wilhelm Holzbauer an neue Projekte herangeht (>Je verschiedener die Aufträge und umso neuer für mich, desto lieber<) und er sich auch noch Wiederholungen wünscht (>Im Idealfall sollte man etwas zweimal machen können<), so kann der Skeptiker nur verwundert am Wegrand zurückbleiben und ihm nachsehen. Theorien, in die so ein Architektur-Meister passen könnte, gehen ihm im Kopf herum, während jener voller Energie an der Non-Fiction weiterbaut.

 


Wilhelm Holzbauer / Arbeitsgruppe U-Bahn: Stationen der U-Bahn Wien 1971-1982

 

zum Thema:

 

"...das Gewöhnliche und das Anspruchsvolle ..."
Ein Architektur-Gespräch mit Wilhelm Holzbauer

in: Falter, Wien, Nr. 8/1985

 

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© Christian Reder 1990/2001