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www.ChristianReder.net: Publikationen: Über Jäger, Sammler und Ökonomen
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Wiener Secession
Generali-Foundation Wien
   

Über Jäger, Sammler und Ökonomen

in: Wiener Secession (Hg.): Österreichische Skulptur
Sammlung Erste Allgemeine Generali-Foundation
Wien 1990

Aufsatz zum Thema "Sammeln"

Weitere Beiträge von Dietrich Karner, Edelbert Köb, Kristian Sotriffer, Wolfgang Drechsler, Armin Zweite, Sabine Breitwieser

 

 

Trocken, also emotionslos, kühl, unromantisch betrachtet, widmet sich der Sammler der Zusammenstellung >natürlicher oder künstlicher Gegenstände, die zeitweilig oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten, auf besondere Weise geschützt und ausgestellt werden, damit sie den Blick auf sich ziehen<. Grundformen solchen Strebens gehen - so Krzysztof Pomian in >Der Ursprung des Museums< (1988) - auf die Wertschätzung von Grabbeigaben, Opfergaben, Raritäten, Reliquien, Tributleistungen und Beutestücken zurück. In der Praxis konnte das nur bedeuten, daß die Musealisierung von Objekten zuerst ein Anliegen von Hinterbliebenen, von Erben und von Bewohnern des Jenseits gewesen ist, dann von Grabräubern, immer auch von Priestern, Gläubigen und Pilgern und von siegreichen Kriegern und ihren Kumpanen. Wenn das so stimmt, läßt sich das Interesse für >Gegenstände ohne Nützlichkeit< von solchen archetypischen Verhaltensweisen herleiten. Offensichtlich ist es auch ohne derartige Bezüge, daß es vom Spielraum abhängt, den eine Gesellschaft dafür einräumt, inwieweit Dinge zu Zeichen werden, die - mit fluktuierender Bedeutung - als >Vermittler zwischen den Betrachtern und dem Unsichtbaren< gelten.

In einer Geschichte der Konjunkturen bestimmter Formen von Kompensation und Differenzierung könnte das Sammeln jedenfalls einen signifikanten Platz einnehmen. Die Hin- und Herwendungen zwischen Bewahren und Zerstören, zwischen Wertschätzung und Vergessen bezeichnen charakteristische Tendenzen der Vorlieben und Urteilskräfte. Das Sammelobjekt ist dabei ein Beweismittel, manchmal dient es bloß als solches. Beweist es Kennerschaft, wirkt es als Erkennungszeichen. Unzugehörige bleiben ausgeschlossen. Kommunikative Unterschiede dieser Art gelten als Ausdruck von Verfeinerung und Bekräftigung sozialer Hierarchien. Die Scheu vor einem unmittelbaren, subjektiven Herangehen an die Dinge mündet in Geziertheit. Vermutungen, welchen Mängeln das Sammeln abhelfen, welchen Ausgleich es erzeugen soll, verlieren sich in der Vielfalt der Motive. Was fehlt erhält oft mehr Bedeutung als Vorhandenes. Gegensätzliches, Nichtzueinanderpassendes bestärkt Fragen nach existierenden Vorurteilen und nach Vorstellungen von Zugehörigkeiten, Strukturen, Formen, Aussagen.

Im Nebeneinander von (kultureller) Armut und Überfluß muß Besonderes und Seltenes in Sammlungen geschützt werden, aus Angst vor dem Verlust, als Metapher für Bewahrung und Stillstand. Geschwindigkeit wird negiert, Neues durch Einordnen beruhigt. Selbst Michael Thompsons >Theorie des Abfalls< (1982), nach der alle Kultur sich aus dem Müll ihrer Vorgängerin regeneriert, nach der nur diejenigen Produkte latent wertvoll werden, die einmal das Stadium des Weggeworfenwerdens durchgemacht haben, wirkt angesichts der allgemeinen Beschleunigung bereits ziemlich behäbig. Inwieweit sich dennoch im etwas >Zusammenbringen< Verwandtschaften mit schöpferischen Akten ausdrücken können, dürfte sehr viel mit den feinen Unterschieden zu tun haben.

Der Sammler kann sich Nüchternheit erlauben oder sich in seine Besessenheit verlieben; solange er sein eigenes Geld ausgibt und im Hintergrund bleibt, wird ihm viel verziehen. Der Sammler ist ein Monteur, dem es unter Umständen gelingt, ein Ganzes herzustellen, das mehr ist, als die Summe vereinigter Teile. Der Sammler greift in das Spiel der Kräfte ein, weil er im Kampf gegen die Vereinzelung und Zerstreuung Beziehungen herstellt, weil er Gewichte verteilt, weil er sich für etwas einsetzt und am Durchsetzen mitwirkt. Der Sammler wird, wie jeder Mächtige, falsche Informationen bekommen, sobald das um ihn wuchernde System von Abhängigkeiten seine Schmeichelschwellen errichtet hat. Durch Anonymität kann er sich vor Schaden schützen und unbeachtet Risiken, die ihm Freude machen, auf sich nehmen.

Die Société Anonyme wiederum, die Welt der Kapitalgesellschaften (und Bürokratien), muß den Vorgang des Sammelns erst Personifizieren und von vorneherein geeignete Wege in die Öffentlichkeit suchen. Entscheidungsprozesse verlaufen dabei anders als gewohnt, Autonomie und die Anwendung fremder Kriterien herausfordernd. Die Unsicherheit dabei ist offenbar wieder gefragt, gleichsam als Gegenpol zum sich allseitig Versichern. Auch beim Sammeln sind Ergebnisse wichtiger als Motive; Neugier, Respekt und Distanziertheit brauchen Erprobungszonen. Die üblichen, austauschbaren Signale von >Modernität< entwerten sich von selbst, ohne mit imaginären Höhen der Zeit in Berührung zu kommen. Kompensiert wird diese Unfähigkeit zu prägendem Eingreifen durch Überbietungsrituale. Verlaß ist darauf, daß mit den Preisen auch die Aufmerksamkeit steigt. Nicht bezifferbare Unterschiede werden nebensächlich, im Wettbewerb der Profilierung dominieren Ähnlichkeiten und Ersatzhandlungen. Ein Ausscheren aus dieser eintönigen Spirale ist von Fragen nach dem intelligenten Einsatz von Sozial und Adventure-Kapital abhängig und von Überlegungen darüber, welche Dimensionen dem strapazierten Begriff der Herausforderung zuzumuten sind. Mit Milton Friedmans strengem Schlüsselsatz aus >Capitalism & Freedom< (1962) würde sich jedenfalls mehr vertragen, als eine enge Interpretation nahelegt; sagt er doch nichts anderes, als daß in einer freien Wirtschaft das Unternehmen nur eine einzige soziale Verantwortlichkeit hat, >nämlich seine Mittel solange für wachsende Gewinne einzusetzen, als die geltenden Spielregeln nicht verletzt werden.< Angelpunkte sind also die >Spielregeln< und jene Veränderungsimpulse, die zur Ausgestaltung multikultureller Gesellschaften wirksam werden.

Selbst die Wertschätzung bestimmter Zeichen bräuchte nicht zwingend nach dem simplen, von Krzysztof Pomian resümierend beschriebenen Schema abzulaufen: >Sobald sich eine bestimmte Kategorie von 'Zeichenträgern' in den Sammlungen des intellektuellen und künstlerischen Milieus verbreitet, beginnen auch die Mächtigen und die Reichen sich dafür zu interessieren. So wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, durch den vormals geringgeschätzte Gegenstände oder sogar Abfälle in 'Zeichen-träger' verwandelt werden.<

 


Brigitte Kowanz: ohne Titel, 1988. Acryl, Glas, Halogenlampe. 100 x 162 x 70 cm
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