Information Aktuelle Projekte Biografie Publikationen Zentrum Transfer Transferprojekte-RD.org





www.ChristianReder.net: Publikationen: Kooperationen
LINKS
FAZ
Rat für Formgebung
   

Kooperationen
Produktneuheiten in einer Welt der Zeichen entwickeln
Wie Unternehmen von "ungewöhnlichen" Kooperationen mit Kunsthochschulen profitieren

in: Richard Bachinger (Hg.): Unternehmenskultur. Ein Weg zum Markteerfolg.
Blick durch die Wirtschaft. Hrsg. von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurt am Main 1990

Aufsatz zu Kooperationsmöglichkeiten mit Kunsthochschulen

Mit Beiträgen von Designtheoretikern, etwa Michael Erlhoff, und Firmensprechern (Daimler Benz AG, Rosenthal AG, Villeroy & Boch AG, Braun AG, Gebr. Thonet GmbH, IKEA, Deutsche Lufthansa u.a.)

 

 

Unternehmenskultur kann als Austauschverhältnis aufgefaßt werden: Was prägt von außen her die ideelle und materielle Situation in einem Betrieb, wie wirkt dieser selbst nach außen, was charakterisiert sein Eigenleben? Wie steht es um die Konfliktfähigkeit, welche Begrenzungen, Filter, Informationskanäle und Bilder sind für die jeweils spezifische Art des Transfers charakteristisch? Was davon ist »Wirklichkeit«, was wird sichtbar, was bleibt verborgen?

Offenkundig ist doch, daß Realität und Betrachter von einer dazwischengeschobenen Ebene der Bilder getrennt werden. In der Mediengesellschaft ist jeder auf Bilder, auf Abbilder, auf bloße Simulation angewiesen. Zeichensprache und Kürzel haben viel mehr Kraft als »inhaltliche« Informationen.

Wie verfestigen und verändern sich solche »Bilder«? Was unterliegt eigenen, was fremden Einflüssen? Was passiert bloß, sozusagen von selbst, was wird noch bewußt »gestaltet«?

Und gibt es überhaupt noch »die Anderen«, »die Fremden«, mit denen sich eine die eigene Kultur prägende Auseinandersetzung lohnt und von denen Unternehmenskulturen über das Kopier- und Konkurrenzsystem hinaus Impulse erhalten könnten? Unübersehbar ist doch, daß es in der Informationsgesellschaft keineswegs leichter geworden ist, seismographische Kontakte wahrzunehmen. Neue Fragen, andere Denkweisen, überzeugende Gestaltungskonzeptionen, sich ändernde Lebensformen verwandeln sich angesichts der globalen Unübersichtlichkeit eben nicht so einfach in abrufbare Dienstleistungen.

Zugleich hat unsere Produktkultur einen Sättigungsgrad erreicht, der gerade »das Andere«, das in sehr spezifischer Weise Neue zur wirtschaftlichen Notwendigkeit macht, vom erzeugten Produkt über die Werbung bis zum Imagetransfer, vom sensibilisierten Betriebsklima über intelligente Technologienutzung bis zu zeichensetzender Architektur. Wie schwer es vielen Unternehmen fällt, im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Handlungszwänge eine eigene »Kultur« auf solchen Gebieten zu demonstrieren, ist unter anderem eine Frage der benutzten Informationswege. Irgendeine Form hauseigener Kultur bildet sich in jedem Betrieb. Gefährdungen ergeben sich, wenn die Kommunikation zu stereotyp in üblichen Bahnen kreist. Widerstandskraft entsteht durch Auseinandersetzungen und kompakte - also nicht endlos zergliederte - Arbeits- und Entscheidungsprozesse.

Eine erste These zu diesem Dilemma: Schaffung einer Projektkultur. Trotz der Projektinflation in vielen Wirtschaftszweigen (vom Bausektor bis zu Filmproduktionen) wird die Notwendigkeit, herkömmliche Organisationsgebilde in mobilisierender Weise umzuformen, immer noch zu wenig beachtet. Verkürzt gesagt sind nämlich wirkungsvolle Strukturen für kontinuierliche Daueraufgaben anzustreben, die zugleich animierende Gehäuse für eine Vielzahl temporärer Projekte sind. Für eine Lebendigkeit und Beweglichkeit - auch der Unternehmenskultur - sorgen nämlich Projekte viel eher als noch so perfekt gemanagte Geschäftsabläufe. Erst in Projekten können Isolationen aufgebrochen werden durch die Überwindung von Abteilungsgrenzen, durch die Einbeziehung freischaffender Mitarbeiter, durch Impulsgeber aus verschiedensten Bereichen, durch Berater, Kritiker, Designer, Architekten, Experten, Studenten, Autodidakten, Laien. Wenn Versuche in dieser Richtung unbefriedigend verlaufen sind, muß die Art der Projektorganisation, der Vereinbarungen, der Planung, der Personenauswahl neu überdacht werden. Jedenfalls: Die überall gegebene Tendenz zur Informationsisolation ist am ehesten durch sensibilisierte und kenntnisreiche Personen aufzubrechen, die mit entsprechender Bestärkung und Autonomie arbeiten können.

Unter dem Titel Unternehmenskultur - so eine weitere These - ist also die Bereitschaft zu weitgefaßten Ideenfindungsprozessen besonders wichtig. Zivilisation - der im Englischen gebräuchlichere Begriff für Kultur - setzt ja gedankliche Bestrebungen voraus, die weit über unmittelbare Nützlichkeiten hinausreichen und subtile, indirekte, vernetzte Wege miteinschließen.

Ein Beispiel dafür wäre die Einbeziehung unterschiedlich denkender Berater in die Prioritätensetzung, sei es bei der Projektplanung, sei es in Beiräten oder Aufsichtsräten. Warum haben dabei Künstler, Architekten, Wissenschaftler, Designer noch so selten das ihnen gebührende Gewicht? Es muß permanent an Kommunikationsformen gearbeitet werden, die mehr bieten als unverbindliche Anregungen und die Betrieben tatsächlich erweiterte gedankliche Bezugsfelder erschließen. Dazu könnte etwa die Analyse von Produkten und Dienstleistungen unter dem Gesichtspunkt des Zeitbedarfs für ihre Nutzung zählen (ein Projekt »Zeit-Kultur« also). Ansatz dafür ist die Überlegung, daß Kaufentscheidungen zunehmend mit einem geänderten Bewußtsein von Konsumzeit verknüpft werden. Wieviel Zeit haben bestimmte Gruppen von Konsumenten jetzt und in überschaubarer Zukunft letztendlich für einander konkurrierende Aktivitäten zur Verfügung? Wie verändern die »Zeitbudgets« Lebensstile? Wie wird sich der allgemeine Verfügbarkeitskult weiterentwickeln? In diesem Zusammenhang tauchen laufend neue Fragen auf: Wie läßt sich Zeit konzentrieren, speichern und verfügbar halten? Bei Büchern, Schallplatten, Tapes, Videos, Kühlschrankware, Bankomatkarten oder Personal Computern habe ich diese Speichermöglichkeit, d. h. es bleibt mir überlassen, wann ich mir die Zeit für etwas nehme. Vielfach ist man aber an fixe »Benutzungs«-Zeiten gebunden (Geschäfte, Firmen, Restaurants, Fluglinien, Eisenbahn, TV, Kino, Konzert, Theater). Beim Konsum von Zeitschriften, Videos, Schallplatten, Büchern ist das anders, und bei Ausstellungen gibt es auch deswegen einen weltweiten Boom, weil sie beliebiger zugänglich sind. Der Trend zu längeren Geschäftszeiten trotz Arbeitszeitverkürzung sollte auch unter solchen Aspekten in die Überlegungen mit einbezogen werden. Restaurantbesuche und Urlaubsreisen wiederum können ebenfalls als Zeitspannen interpretiert werden, die in einer bestimmten Preiskategorie für ein Social event aufgewendet werden. Man kann auch soweit gehen und Konsumzeit als gespeicherte Produktionszeit (bzw. Gelderwerbszeit) auffassen. Und Analysen des Zeiteinsatzes für Shopping (Anfahrt, Auswahl, Transporte, Bankbesuche, Buchführung, Bindung an Öffnungszeiten), für Reparaturen bis hin zu sich verändernden Strukturen des Besitzdenkens und Freizeitverhaltens könnten in Betrieben aller Größenordnungen zu einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber kulturellen Veränderungen führen. Eine solche Offenheit wird sowohl auf die Einschätzung von Nachfragetrends, Sättigungsgraden und eigener Zeitprioritäten als auch auf die jeweilige Unternehmenskultur zurückwirken.

Notwendig ist also ein Mut zu ungewöhnlichen Kooperationen, etwa mit unkonventionell zusammengesetzten Beratergruppen oder durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Universitäten und Kunsthochschulen. Das weitverbreitete Unbehagen über die vielen solchen Intentionen entgegenstehenden Barrieren hat im Kern eine Ursache: Projekte werden nicht gründlich genug konzipiert und geplant. Experimentelle Arbeitsbedingungen stoßen ganz allgemein auf zuwenig Einfühlungsbereitschaft. Zwei Kulturen verkehren miteinander entweder zu unverbindlich, selbstgefällig und gönnerhaft oder bloß in Form einseitig dominierter Zweckbündnisse. Im Grunde geht es doch schlicht um Ideenprojekte, Auftragsarbeiten (Forschung, Entwicklung, Gestaltung), um Wettbewerbe und um die Chance, daß tatsächlich etwas realisiert wird.

Universitäten sind gut beraten, wenn sie für Vermittlung, für Dienstleistungen, für Informationslieferung und für die Beratung Instanzen einrichten, wie sie etwa die Hochschule für angewandte Kunst in Wien durch ihre Lehrkanzel für Kunst- und Wissenstransfer, die vom Autor dieses Beitrages geleitet wird, als Anlaufstelle anbieten kann. Damit steigen auf beiden Seiten die Chancen, daß Bereichsegoismen überwunden werden und Projektgruppen in interdisziplinärer Weise arbeiten können.

Für den Schutz geistigen Eigentums müssen von Beginn an klare Regelungen getroffen werden. Zeitpläne sind dem Universitätssystem anzupassen. Theorie und Praxis sollten in der Regel in bestimmten Etappen miteinander konfrontiert werden, ohne daß zu früh eine Einengung verordnet wird. Eine kompetente Projektbetreuung kann viel für eine geeignete Arbeits- und Vertragskonzeption tun und zur Konfliktregelung herangezogen werden. Besonders wichtig ist die Kontinuität von Kooperation, damit Arbeitsergebnisse nicht als billige Ideenlieferungen mißbraucht werden und tatsächlich längerfristig fruchtbare Transferbeziehungen entstehen.

Dazu einige Fallbeispiele aus dem für die Unternehmenskultur besonders signifikanten Bereich Gestaltung: Der Kunststoffkonzern Optyl nutzt schon seit Jahren den kreativen Output von Kunsthochschulen, und zwar keineswegs nur auf seinen eigentlichen Produktionsschwerpunkt Brillendesign bezogen, sondern auf Mode- und Textilentwürfe übergreifend. Neue Farben, Muster, Formen sind ihm wichtig als Ausdruck von Produktkultur und unabhängig von unmittelbaren Umsetzungsmöglichkeiten. Auch die Modeschau »Womensyndroma« (1989) der von Jean Charles de Castelbajac geleiteten Meisterklasse für Mode an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien ist aus solchen Überlegungen heraus von Optyl mitfinanziert worden. Der Wiener Böhlau-Verlag wiederum hat kürzlich einen Wettbewerb über seine Corporate Identity veranstaltet, um aus den Preisträgern Mitarbeiter für die schrittweise Neukonzeption seines Erscheinungsbildes zu gewinnen. Für die Firma Schneiders werden gerade Handtaschenentwürfe erarbeitet. Die Zumtobel AG wiederum war von einer Diplomarbeit zum Thema »Leuchten« so beeindruckt, daß sie der Designerin sofort die Weiterführung dieser Arbeit im Unternehmen ermöglicht hat. Der Wettbewerb des Büromöbelherstellers Vitra hat zur Entwicklung äußerst signifikanter Entwürfe geführt. Den ersten Preis erhielt ein Klappstuhl von Werner Schmidt (Meisterklasse Prof. Hans Hollein). Sieger des Internationalen Wettbewerbs »Sperrholz-Formteile im Möbel-Design«, den die bundesdeutsche Fritz Becker KG veranstaltet hat, waren - mit einem Bücherregal - ebenfalls zwei Studenten einer Wiener Designklasse (Thomas Exner und Christian Steiner). Mit Villeroy & Boch, Hutschenreuther/ Arzberg, und WMF-Württembergische Metallwarenfabrik gibt es seit nunmehr drei Jahren eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Inzwischen sind von Studenten der Meisterklasse für Keramik-Produktgestaltung (Prof. Matteo Thun) eine Reihe serienreifer und bereits am Markt befindlicher Produkte zum Thema Eß- und Tischkultur konzipiert worden. Gearbeitet wurde in den Wiener Hochschulateliers und in den Produktionsstätten in der Bundesrepublik. Auszeichnungen gab es beim »Design-Plus«-Wettbewerb auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1988. Daß drei marktbestimmende Konkurrenten erstmals gemeinsam Entwicklungsaufträge durchführen ließen, die nur inhaltlich von einander abgegrenzt waren, kann als bemerkenswerte Offenheit interpretiert werden. Die für Villeroy & Boch hergestellten Service sind bereits im Handel und werden mit viel Medienbeachtung auf einer Wanderausstellung in der Bundesrepublik, in den USA, in Kanada und in Frankreich gezeigt. Die Bestecke und Kochgeschirre für WMF und die Dekorteller für Hutschenreuther sind im Produktionsstadium. Wichtig für den erfolgreichen Ablauf dieser Entwicklungsarbeiten, die mit neuen Aufgaben fortgesetzt werden, ist das persönliche Engagement von Mitgliedern der Geschäftsleitung gewesen. Bei künftigen Vorhaben wird besonders zu beachten sein, daß zwischen der freien Ideenfindung und Auftragsarbeiten jeweils neue Konfrontationen und Symbiosen entstehen können; durchaus im Sinn »zeitorientierter« Projekte und Kooperationsstrukturen, die jenseits professionell eingespielter Systeme auch arbeits- und kommunikationsmäßig kulturprägend sein können.

Primär geht es nicht um das vielzitierte »Sponsoring« sondern ausdrücklich um ein Überwinden des Sponsordenkens. Man muß klar sehen, daß Berührungsschwierigkeiten - von Studentenseite geprägt durch den Vorwurf der Gönnerhaftigkeit, von Wirtschaftsseite durch jenen der Praxisferne - nur in konsequenten Projekten auf einem konstruktiven Niveau ausgetragen werden können. Schauplatz für Annährungen und Konfliktpräzisierung müssen konkrete »Projekte« sein, die als Chance für die Arbeit außerhalb eingefahrener »Strukturen« und »Institutionen« - zu denen Universitäten, Hochschulen genauso gehören wie Unternehmen - aufgefaßt werden. Unüberbrückbar erscheinende Kontroversen sind nicht ein Beweis für unüberwindbare Ignoranz auf irgendeiner Seite, sondern für eine zu schematische Projektkonzeption. Gerade aus »metaökonomischen« Denkweisen lassen sich entscheidende Innovationen entwickeln. In einer Welt der Zeichen sind vor allem Zeichen der Überraschung und Zeichen der Selbstbestätigung notwendig. Produkterfolge bauen auf komplizierter werdenden Mechanismen der Akzeptanz auf. Kurzsichtig ist es daher, wenn ständig eindimensionale Argumente der Machbarkeit und Verkaufbarkeit in den Vordergrund geschoben werden, was zugleich heißt, daß gedankliche Möglichkeiten »außerhalb« üblicher Verwertungszwänge gering geschätzt werden. Gerade die Sättigungsgrade beim gewohnten Angebot sollten gegenteilige Interessen provozieren: Die Neugier gegenüber »unbelasteten«, inhaltlich-formalen Gedanken, die dort ansetzen, wo eingeengte »Professionalität« längst schon Schwächen zeigt.

 

 
oben
 
© Christian Reder 1980/2001