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www.ChristianReder.net: Publikationen: Poesie und Pragmatik
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Universität für angewandte Kunst Wien
   

Poesie und Pragmatik

in: Katalog zur Ausstellung "Die Meisterklasse für Industrial Design zeigt Prototypen"
Arbeiten aus den Jahren 1988-1993
Hochschule für angewandte Kunst Wien 1993

Text zum Thema "Design"

 

 

Jede Erregung über Design ist Beweis für Vitalität. Sie bestärkt eine Unzufriedenheit mit halben Lösungen. So gesehen hätte Design, als exemplarisches Feld halber Lösungen, therapeutische Funktionen. Geht es doch auch sonstwo ständig um Versprechen, die nicht gehalten werden können.

Der Urbanist fragt sich vielleicht, was daran falsch sein soll; aber auch ein Purist wird sich eingestehen müssen, daß ihn die Beweggründe für seinen Hochmut meist nicht wirklich interessieren. In der sich ständig reproduzierenden künstlichen Welt kann so ziemlich alles Gemachte und Gedachte als Design gelten. Angesichts dieser Form von Unendlichkeit verflüchtigen sich für Eingriffe und Urteile alle Relationen. Erst Differenzierungen und konkrete Arbeitsvorgänge grenzen die inhaltsleere Zumutung einer generellen Zuständigkeit von Design auf tatsächlich gestaltbare Sachverhalte ein.

Wie Einfälle und Vorstellungen produziert, Entscheidungen getroffen, Varianten bevorzugt werden, läßt sich allerdings nie rechtzeitig und detailgenau nachvollziehen; es geschieht, ergibt sich, Simplifizierungen und Codes liefern den Raster. Provisorien befreien vom Diktat angeblicher Lösungen. Etappenweise Verbesserungen halten Denkprozesse und die Wirtschaft in Gang; manchmal gelingt durch Zeichensetzungen die Visualisierung, oder sogar die Manifestation, veränderter Kategorien und Gewohnheiten. Die Entschlüsselung unverständlicher Botschaften, um die es zunehmend geht, und die Kommunikation von Nichtwissen, wird durch künstlerische Haltungen offenbar erträglicher, bedeutsamer, weil so eine Ahnung von Zusammenhängen übergreifende Ansatzpunkte bekommt.

Daß Design - als Gestaltungsanspruch - in der Produktwelt festgehalten wird, angekoppelt an die Systeme von Industrie und Werbung, als Beruf bedrängt von Spezialisten, Autodidakten und Grenzüberschreitern, eingebunden in die allgemeinen Stilisierungsrituale, bei Problemlösungen überfordert, wie andere auch, erklärt einiges seiner zeittypischen Relevanz. Reduktion auf Essentielles und Normales bleibt als Forderung zwar präsent, trotzdem braucht jeder Ausdruck von Komplexheit mehrschichtige strukturelle Bezüge, wenn Funktion, Materie und Psyche in erfreulicher Weise miteinander auskommen wollen. In der Praxis passiert anderes. Überall schwören Politiker auf intelligente Produkte, in durchaus heidnischer Manier; die Steigerung dazu, die kulturelle Qualität angebotener Dinge, hat sich von einer Selbstverständlichkeit zum überhöhten Maximalanspruch verwandelt. Vom tatsächlich Machbaren bleibt vieles unsichtbar, verschwindet, begnügt sich mit Simulationen. Die Distanz zwischen Original, Kopie und Epigonalem ist zur fiktiven Größe geworden. Systeme erzeugen Outputs, Bilder, Zugriffsmöglichkeiten. Das meiste beschleunigt sich, zum Ausgleich läuft einiges provokant langsam ab. Der Konsument reagiert. Die Designer reagieren.

Gegenbewegungen, als Summierung von Eigenständigem und Problemorientiertem, als freche, sensitive, etwas aufbrechende Beschäftigung mit Situationen, in denen der Mensch mit Erinnerungen, Wünschen, Überraschungen und Funktionsweisen konfrontiert ist, liefern manchmal die zyklisch willkommenen Impulse, etwa seine Werkzeuge und Hilfsmittel, seine Kleidung, seine Fortbewegung, bevorzugte Materialien, seine Verhaltensweisen, allein und in Gruppen, seine Emotionen, seine Kultgegenstände, die Medien, die Ökologie, das private Haushalten, seinen Umgang und seine Verwandtschaft mit Automaten, seine Eingebundenheit in Systeme betreffend. Nicht die Hoffnung auf irgendwelche neue Einstellungen in einer plötzlich gestaltungsbewußten Wirtschaft, sondern notwendige Angebotsdifferenzierungen über vernetzte, rasant flexibler werdende Produktionsweisen, mit vielfältigen Kleinserien und Adaptionen, mit einem Aufschwung für spezialisierte Kleinbetriebe und neue Arbeitsteilungen, werden Parameter für künftige Designleistungen bilden, auch wenn doch kein Designerjahrhundert bevorsteht, so wie es vielfach prophezeit - und befürchtet - wird.

Vom an "Lösungen" interessierten Paar, der Imagination und der Pragmatik, ist jeder der eifersüchtigen Partner darauf angewiesen, daß Realitäten und die Reflexion sie betreffender Unterscheidungsprobleme, als subjektiv und vom Beobachter abhängig betrachtet werden, denn "Individuum im modernen Sinne ist, wer sein eigenes Beobachten beobachten kann" (Niklas Luhmann).

 

Das Wissen, nichts zu wissen, ist längst nicht mehr der Anfang aller Weisheit.
Heute geht es darum, zu wissen, was man weiß - oder doch wissen könnte.
Philosophie nach ihrem Ende ist Wissensdesign ...
Norbert Bolz: Philosophie nach ihrem Ende. 1992
 

Aufrechter Gang, kurzes Gesicht, Hände, die bei der Fortbewegung frei bleiben, und der Besitz beweglicher Werkzeuge, dies sind in der Tat die fundamentalen Merkmale der Menschheit.
André Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. 1980

 
Es geht gut, solange es gut geht. Das ist die Botschaft.
Niklas Luhmann: Beobachtungen der Moderne. 1992
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© Christian Reder 1993/2001