Von Karl Valentin gibt es den lakonischen Spruch: "Kunst
ist schön, macht aber viel Arbeit." Verkauft wird er als Postkarte
in der Serie Künstlertexte, die von der berühmten Kölner Buchhhandlung
König herausgegeben wird.
Isolationisten, für die alles außerhalb von Kunst etwas
Parasitäres an sich hat, verdrängen diese Wahrheit normalerweise;
ihre Überzeugung "Künstler brauchen niemand" trifft sich mit
der Gegenposition "Künstler werden nicht gebraucht". Realisten
haben daher andere Minimalprogramme: z. B. "Künstler brauchen
Sammler" (von Bildern, Zeichnungen, Skulpturen, Objekten,
Büchern, CDs, Videos, Ereignissen).
Das Rundherum - der Kunstbetrieb - geht jedenfalls allen
auf die Nerven, vielleicht, weil sich kaum wer vorstellen
kann, wie es anders funktionieren könnte. Daß die Zustände
unter Ärzten, Rechtsanwälten, Ingenieuren oder Psychiatern
auch nicht besser sind, schafft keine Erleichterung. Wären
Personen und Vorgänge sympathischer würden Spannung und Gesprächsstoff
verlorengehen. Von einem kunstfreundlichen Klima kann man
ohnedies nirgends ausgehen, schon gar nicht einer undisziplinierten,
nicht sofort einordenbaren Kunst gegenüber. Inwieweit trotzdem
Begeisterung oder wenigstens Verständnis zustandekommt, ist
angeblich eine höchst persönliche Angelegenheit.
Subjektives hat es mit solchen Verallgemeinerungen natürlich
schwer. Verwechslungen bieten Entlastung, z. B. daß künstlerische
und kulturelle Arbeit permanent durcheinandergebracht werden.
Sowas begünstigt neu auftauchende Strategien einer Zurückweisung
von Kunst, gerade weil gleichzeitig überall von "Kultur" die
Rede ist.
Für "Karrieren" im Sinn eines hierarchisch-finanziellen Aufstiegs
liefert der Betrieb in vielen seiner Sparten weiterhin relativ
wenig Chancen. Administrativ wird das meiste von Hintergrundpositionen
aus bearbeitet, es dominieren Improvisation und mäßig bis
gar nicht honorierte Arbeit. Vordergründig geht es meistens
um VIP-Kontakte, Finanzierungsprobleme, Medienlobbies, Bürokratisierungsärger,
Dilettantismus, Professionalisierungsdruck oder Durchsetzungsnotwendigkeiten.
Ob besseres "Management" viel ändern würde ist keineswegs
sicher. Nichteinmal "mehr Geld" liefert irgendwelche Garantien.
Im EU-Wunderland Luxemburg etwa wird vieles, was anderswo
als kulturelles Standardangebot gilt, keineswegs für notwendig
gehalten. Trotzdem dürfte auf pragmatischer (kommerzieller,
technischer, organistorischer, handwerklicher) Ebene ein professionelles
Vorgehen überall zu den Wunschvorstellungen gehören. Wirklich
interessant wird es vor allem dann, wenn überzeugende Projekte
realisiert werden - und wenn "die Strukturen" derartiges eher
ermöglichen als behindern.
Strukturen und Projekte
Daraus ergibt sich eine grundlegende, sich gegenseitig überlagernde
Polarität: Arbeit in Projekten und Arbeit in Strukturen. Die
Ausrichtung ist jeweils eine andere, weil in Projekten unter
Druck auf "inhaltlich" bestimmte Ergebnisse hingearbeitet
wird (künstlerische und wissenschaftliche Vorhaben, Ausstellungen,
Kataloge, Bücher, Filme, Theateraufführungen, Bauten), während
"die Strukturen" (Museen, Galerien, Sammlungen, Verlage, Theater,
Produktionsfirmen, Kulturbürokratien, Institutionen, Unternehmen)
sie manchmal als Impuls benötigen oder sich bloß ihrer bedienen
und oft genug ganz andere, paradoxe und widersprüchliche Interessen
auf einen Nenner bringen müssen. Es herrschen jeweils eigene
Regeln. Im einen Fall geht es, trotz aller Unterschiede, primär
um die eher kurzfristige Konzentration von Kräften, im anderen
Fall um Kontinuität, um Selbsterhaltung, um institutionelle
Profilierung, um bürokratische Abläufe, um finanzielle Gegebenheiten.
Gespart wird zuerst bei Projekten weil Fixkostenreduktionen
viel schwerer durchsetzbar sind. Institutionen überleben fast
immer irgendwie, Projekte scheitern, werden verschoben, werden
finanziell ausgetrocknet. Das eine sind eben Daueraufgaben,
das andere Sondervorhaben. Ihr Charakter unterscheidet sich
bisweilen fundamental. Experimentelle, unreglementierte Arbeitsfelder
überlagern sich mit reglementierten. Inwieweit ein Zusammenwirken
gelingt, ohne daß Qualitätsverluste in Kauf genommen werden
müssen, ist für eine künstlerische Kooperation mit Institutionen
ein entscheidender Punkt, auch in Bezug auf die latenten inhaltlichen,
arbeitsorganisatorischen, budgetären Kontroversen und die
auf beiden Seiten an ein Managament gestellten Anforderungen.
Daß unter diesem Druck laufend neue, von solchen Systemen
eher abgekoppelte Verfahrensweisen erprobt werden, demonstriert,
inwieweit sich Initiativen nicht unmittelbar einem durchorganisierten
Kunstbetrieb unterordnen.
Obwohl nie etwas halbwegs "normal", also ohne vermeidbare
Energieverluste abläuft, funktioniert das meiste irgendwie.
Zu tun - im Sinn von kultureller Arbeit (und zugehörigem Management)
- gäbe es trotzdem genug, gerade weil eine "Normalausstattung"
mit leistungsfähigen und ambitionierten kulturellen Einrichtungen
etwas Fiktives ist und sich Finanzierungsphantasien eher auf
andere Felder konzentrieren. Jede Beschreibung solcher erstrebenswerter
Zustände klingt sonderbar irreal, skizziert aber das Umfeld,
in dem sich Impulse lohnen müßten: Akzeptable Zeitungen, profilierte
TV-Sender, eigenwillige Radiostationen, kapitalstarke Galerien,
potente Verlage, signifikante öffentliche Sammlungen und Ausstellungszentren,
initiative Filmfirmen, informierte Bauherren, gute Theater,
eine offensive Musikindustrie, ausstrahlende Ausbildungs-
und Forschungsstätten, eine motivierte Kulturbürokratie -
also herausfordernde Bedingungen für Architekten, bildende
Künstler, Komponisten, Autoren, Musiker, Schauspieler, Tänzer,
Regisseure, Designer, Weinbauern, Buchhändler, Köche, Journalisten,
Lehrer - ob sie nun Männer oder Frauen sind ...
Ökonomie und Emigration
An Tätigkeitsfeldern herrscht also kein Mangel, nur hält
sich wegen diverser zivilisatorischer Defizite die Investitionsneigung
in Grenzen. Überfinanzierte und ärmliche Kunstsparten existieren
nebeneinander, weil sich unterschiedliche Expertenwelten,
Institutionalisierungen, Gewohnheiten und damit zusammenhängende
Geldströme etabliert haben. Ob noch jemand an eine - nervöse,
blitzende, fragende? - "Kulturgesellschaft" glaubt, ein paar
Jahre nachdem dieser Begriff in Umlauf gebracht worden ist,
bleibt dahingestellt. Verwendet wird er inzwischen eher als
Denkmodell für politische Blockaden.
Die eigentlich Produktiven spielen in der Kulturökonomie
weiterhin eine oft periphere Rolle; der Kulturbetrieb kann
zwar immer noch nicht völlig auf sie verzichten, im Vergleich
zu Interpreten, Veranstaltern, Managern, Institutionen ist
ihre Position jedoch meistens eine sehr ausgesetzte, mit ungleich
größerem ideellem und finanziellem Risiko. Für diese freiwillige
Exponiertheit ist von der Angestellten- und Mediengesellschaft
kein spezielles Lobbying zu erwarten.
"Ich hab' ja, als ich in den siebziger Jahren angefangen
habe, mich mit Kunst auseinanderzusetzen, nie damit gerechnet,
dabei Geld zu verdienen." Solche Klarstellungen - in diesem
Fall von Peter Kogler1.) - machen in lapidarer Weise deutlich,
wie nebensächlich ökonomische Überlegungen weiterhin sein
können, wenn es darum geht, für sich eigenständige Arbeitsmöglichkeiten
zu konzipieren. Offenbar egalisiert nur eine gewisse Gelassenheit
dem eigenen Tun gegenüber die mitschwingende Nähe zur Rede
von "brotloser Kunst", egal ob der Tonfall nun ein höhnischer,
jammernder oder patriarchalisch-besorgter ist. Für sie qualitätvolle
Beispiele zu finden fällt nicht schwer, nur sind zur Zeit
Angriffe auf angebliche "Staatsschmarotzer" beliebter. Wenn
dann H. C. Artmann in einem Fernseh-Interview offenlegt, er
habe im letzten Halbjahr von Suhrkamp so zirka 1.000.- DM
an Tantiemen für sein dichterisches Werk erhalten, oder Elfriede
Jelinek "Die Presse" benutzen muß, um auf die trostlose Lage
von Komponisten aufmerksam zu machen,2.) dann liegt das bekanntlich
an Diskrepanzen von Angebot und Nachfrage.
Fehlendes - oder unbegründetes - Vertrauen in den Markt begünstigt
eben staatliche Eingriffe und Impulse; Irritation über zuviel
Staat erzeugt sonderbare Deregulierungskoalitionen. Abschiedsworte,
wie die von Peter Pakesch, der als neuer Kunsthallendirektor
nach Basel gewechselt ist, wirken daher auf die Hinterbliebenen
in Österreich als Mischung aus Wahlkampf und Emigrationswerbung.
"Alles schart sich um den großen Futtertrog, den Staat," sagt
er als Beitrag zur Staatskünstlerdebatte; die Strafe für solche
Vergehen kann nicht ausbleiben, denn "das, was in den sechziger
Jahren nicht durch Totschweigen verschwand, hat man relativ
schnell im großen Geldregen erstickt." Auch deswegen lohne
es sich in diesem Land nicht mehr: "Mich interessieren andere
Gegenden. Afrika zum Beispiel, genauer: Senegal, wo es ein
spannendes Kunstlaboratorium gibt - oder Moskau, Warschau,
die amerikanische Westküste ..." 3.)
Geistige Leistungen
Um aus solchen Kreisbewegungen herauszufinden, bietet sich
- neben der Problematisierung der Produktionsbedingungen und
eines Zusammenwirkens von Strukturen und Projekten - ein Argumentationsraster
an, der mit einem Rückschritt zu Generellem beginnt. Mein
Vorschlag dazu, wenigstens als Gedankenspiel: Zuerst noch
nicht von Kunst reden, sondern von geistigen Leistungen. Damit
würde das Potential künstlerischer und kultureller Arbeit
in einen größeren künstlerisch-wissenschaftlich-ökonomischen
Kontext gestellt. Daß das immer nur von scheiternden Avantgardebewegungen
propagiert worden ist, macht die Frage nach der ungleichen
Wertschätzung und ungleichen Ökonomisierung geistiger Leistungen
keineswegs überflüssig.
Kulturelle Arbeit (und zugehöriges Managament) könnte in
diesem Sinn als Mitwirkung bei der Produktion und Durchsetzung
geistiger Leistungen aufgefaßt werden, einschließlich der
Aktivierung von Angebots-Nachfrage-Mechanismen, der Erweiterung
kultureller Arbeitsfelder und zugehöriger Organistions- und
Finanzierungsfragen in staatlichen und privatwirtschaftlichen
Bereichen. Dazu kommt es zwar immer wieder, aber eher in Glücksfällen
und ohne "systematischen" Rückhalt. Atypische Situationen
sind offenbar auf atypische Verhaltensweisen zurückzuführen.
Jede "Branche" hat ihre eigenen Regeln, Querbeziehungen sind
etwas Ungewöhnliches. Würde von kompakten Einzel- und Gruppenleistungen
nicht zwangsläufig das meiste im Dickicht sie verwertender
Systeme verschwinden, sondern deutlicher ins Blickfeld ge
rückt werden, einschließlich der transdisziplinären Momente,
könnten die Beiträge zum "geistigen Leben" insgesamt an Dynamik
und Resonanz gewinnen. Künstlerische und kulturelle Perspektiven
sind dafür bestärkend, vielleicht weil übliche Kommerzialisierungsmuster
nicht so ohne weiteres greifen. Der Bogen spannt sich dann
vom Mediensektor und allen Copyright-Sparten über ein Wissenschafts-
und Universitätsmanagement zu Forschungseinrichtungen, kulturellen
Institutionen, einschlägigen Unternehmen, Beratungsfunktionen,
freischaffenden Gruppen und zu einzelnen Denkern, Theoretikern,
Künstlern. Daß vielfach eine hochgradige Spezialisierung notwendig
ist - auch des Managements - und zugehörigen Industrien die
Verfahrensweisen bestimmen, enthebt nicht davon, daß gerade
"kulturelle Arbeit" auf "geistige Leistungen" in verwandten
oder kontrapunktischen Bereichen und auf einander überlagernde
Zusammenhänge ausgerichtet sein müßte.
Die Automatik des Geschehens bewegt sich in andere Richtungen,
dennoch würden bessere Einblicke in die höchst unterschiedlichen
Produktionsbedingungen, Verwertungssysteme und Nachfragesituationen
Stärken und Schwächen derzeitiger Strukturen analysierbarer
machen. Die übliche Isolierung spezieller Felder separiert
von Wechselwirkungen und Synergien; andererseits verdeckt
ein Verzicht auf Differenzierung die Besonderheiten einzelner
Sparten. Trotz dieses Dilemmas würden gesamthafte Bezüge das
Weiterwirken geistiger Leistungen deutlicher begreifbar machen,
ohne daß deswegen Kunst und Wissenschaft oder technische Innovationen
in einen Topf geworfen werden müssen. Im Gegenteil, erst anhand
von Parallelen und Unterschieden lassen sich Perspektiven
für eine Kulturökonomie und für kulturelle Arbeit herausarbeiten.
Als Mitgestaltung von "Strukturen" verstanden, also der Parameter
für die zwischen Produktion und Rezeption ablaufenden Prozesse,
mit ihren vielen partizipierenden Einrichtungen, wären solche
Managementaufgaben - im Gegensatz zur häufigen Praxis - als
Einflußnahme auf eine umfassende Qualitätssicherung zu verstehen.
Bei künstlerischer und kultureller Arbeit geht es also in
besonderem Maße um ein geeignetes Umfeld, ob das nun die jeweiligen
Strukturen für bildende Kunst betrifft, mit Galerien, Kunsthallen,
Museen, Kunsthochschulen, Fachzeitschriften, Publikationsmöglichkeiten,
Radio- und Fernsehzeiten oder für Verlage, mit ihren Autoren,
mit Druckereien, Grafikern, Vertriebsfirmen, Buchhandlungen
oder für die Filmproduktion, mit den dafür nötigen Finanzierungsinstanzen,
Studios, Fachleuten, Verleihfirmen, Kinos. Branchenzentren
können stimulieren, Basel-Köln-Kassel-Venedig für bildende
Kunst (über Ausstellungs- und Messetraditionen), Frankfurt
für den Buchmarkt, Paris für die Mode (als Medienereignis,
weil fast alles ganz wo anders hergestellt wird), Norditalien
für Design (mit einer darauf ausgerichteten Infrastruktur).
Gleichzeitig ist offensichtlich, daß ganze Sparten, wie das
Fernsehen, die großen Printmedien, der Film, ihre Differenzierungsmöglichkeiten
verlieren. Andererseits ist z. B. Wien schon deswegen längst
keine Musikstadt mehr, weil weder eine entsprechende Ausbildungsbreite,
noch die Produktions- und Vertriebseinrichtungen vorhanden
sind, nicht zu reden von der peripheren zeitgenössischen Präsenz.
Welche staatlichen Grundfinanzierungen im Musikbereich schließlich
Sony oder sonst wem zugute kommen, wird nie zum Thema gemacht,
weil solche Zusammenhänge wegen komplexer Interessensverflechtungen
im Dunkeln bleiben. Urbane Standorte, etwa Wien, über ihr
künstlerisches und wissenschaftliches Potential zu profilieren,
dürfte der übernächsten Etappe fiskalischer Ratlosigkeit vorbehalten
sein. Ein Management in kulturellen Bereichen, das nicht auf
eine Positionierung in einem weiteren Umfeld aus ist, einschließlich
der Einflußnahme auf die prägenden Strukturen, beschränkt
sich daher auf eine "kaufmännische" Serviceorientierung. Aufgefaßt
als Mitwirkung bei der Produktion und Durchsetzung geistiger
Leistungen würden sich wesentlich erweiterte Gestaltungsfelder
und neue Vernetzungen ergeben können.
Gerade weil die bildenden Künste oder der künstlerische Film
in einer ausufernden Zuordnung zur "Bildproduktion" quantitativ
genauso untergehen, wie Dichtung und Literatur als Teil der
gesamten "Textproduktion" oder Architektur in Bezug auf die
Gesamtleistung der "Bauwirtschaft", könnten solche Zusammenhänge
qualitative Relationen - bzw. irrwitzige Mißverhältnisse -
deutlicher machen. Es könnte auch deutlicher werden, wie stark
mehr oder minder marginalisierte künstlerische und wissenschaftliche
Arbeitsbereiche als autonome Experimentalfelder oder innovative
Impulsgeber prägend wirken und schließlich in kommerzialisierter
Form oder über indirekte Ausstrahlung genutzt werden. Ein
aufwendiges Erfassen ist dabei nicht der Punkt, das wäre schlicht
absurd; demonstrative Beispiele könnten genügen. Um solche
Qualitäten und Wertschöpfungen sichtbarer zu machen wäre auch
eine wesentlich verfeinerte und erweiterte Präzisierung der
"Copyright-Industrien" zweckmäßig, zu denen "Unternehmungen,
Organisationen und Personen, die mit der Produktion oder Verteilung
urheberrechtlich relevanter Werke befaßt sind" gezählt werden,
womit laut Urheberrechtsgesetz "eigentümliche geistige Schöpfungen
auf den Gebieten der Literatur, der Tonkunst, der bildenden
Künste und der Filmkunst" gemeint sind.4.)
Daß die für Österreich latent kolportierte Zahl von ungefähr
10.000 Künstlern - davon rd. 5.000 bildende Künstler, 1.200
hauptberuflich, rd. 3.000 Schriftsteller, rd. 1.300 Komponisten
- 5) dem Sachverhalt wegen überholter Eingrenzungen (Architektur?
Design? Grafik? etc.) und Ergänzungsbedürftigkeit (Musik,
Theater, Tanz etc. - Bezügen zu Wisenschaft, Forschung, Entwicklung)
offenbar genauso wenig gerecht wird, wie die 74.000 Beschäftigten
der Copyright-Industrien (1986) 6.), belegt bloß, daß sich
das Interesse an einer genaueren Datenlage und an der aus
diesen Produktivitätsarten resultierenden geistigen und wirtschaftlichen
Relevanz in Grenzen hält.
Entstehen kann Kunst streng genommen oft ganz auf sich gestellt.
Abhängigkeiten von der Arbeit anderer ergeben sich erst bei
darauffolgenden Schritten und wenn die Realisierung einen
größeren Aufwand erfordert. Selbst offensiv auf freie Konsum-
und Marktmechanismen setzende Ökonomen fordern angesichts
der keineswegs so luxuriösen Umstände, "daß in Zukunft mehr
Wert auf die Voraussetzungen für künstlerisches Schaffen gelegt
wird", auf den es möglichst nicht behindernden "äußeren Rahmen";
denn "es ändert wenig, wenn alle Verantwortlichen ausgetauscht
werden". 7.)
Das Unbehagen an "den Strukturen" ist also ein latentes und
schließt Tendenzen zu einem Neo-Fatalismus mit ein. Ein Warten
auf Strukturreformen - der Kulturbürokratie, der Opernhäuser,
Theater, Museen, Festspiele, Kunsthochschulen, des Personal-
und Budgetrechts - provoziert Inaktivität. Nur haben sich
interessante Projekte immer wieder auch unter widrigen Umständen
realisieren lassen. Trotzdem ist in der allgemeinen Hinwendung
zu Projekten auch eine Abwendung von - mühseliger, langwieriger,
medial nicht interessanter - "Strukturarbeit" zu sehen. Einerseits
wird derartiges schlicht dem Markt überlassen, andererseits
ist auch im öffentlichen Bereich überall unklar, wer dafür
die Kompetenzen und das Durchhaltevermögen haben sollte. Daß
der (halbwegs) liberale Staat unter Budgetdruck zunehmend
gefordert ist, das Seine beizutragen, müßte noch nicht heißen,
daß er unbedingt zu heroischen Leistungen verpflichtet ist.
Dennoch gehen parallel dazu angeblich überall "Inhalte" verloren,
gerade weil soviel von Strukturen, Verfahren, Kosten und Marktzwängen
die Rede ist.
Kulturelle Arbeit und zugehöriges Management
Für kulturelle Arbeit (und zugehöriges Management) ergibt
sich aus solchen Denkansätzen folgende grundsätzliche Aufgabenorientierung,
wenn dem allgemeinen Muster einer bloß besseren "Vermarktung"
etwas entgegengestellt werden soll: 8.)
Spezialisierung auf Fachsparten (z. B. bildende Kunst)
bei gleichzeitiger Orientierung auf weite Felder "geistiger
Leistungen", zugehöriger Synergien und experimenteller Arbeitsgebiete
ein Denken in Strukturen und Projekten, also in Daueraufgaben
und Sondervorhaben, inkl. der Kooperationsprobleme beider
Bereiche
ein sensibles und trotzdem wirkungsvolles Projektmanagement
(von "chaotischen Freiheiten" bis hin zu sehr disziplinierten
Formen)
die innovative Einflußnahme auf Strukturentwicklungen
(Planung, Entscheidungsfindung, Mitbestimmung, Organisation,
Budget, Personal etc.) - z. B. in Richtung auf konsequent
"Projektorientierte Organisationen", bei denen "Projekte"
(Ausstellungen, Theaterproduktionen, wissenschaftliche Vorhaben,
Bauten, Reformen) strukturell nicht Anhängsel oder Nebenaufgaben
sondern Hauptaufgaben werden und die Institution selbst
sich konsequent auf deren Erfordernisse ausrichtet) 9.)
die offensive - oder verhalten serviceorientierte - Mitwirkung
bei der Durchsetzung künstlerisch oder wissenschaftlich
begründeter Intentionen
Regionale und internationale Vernetzung
Etablierung innovativer Finanzierungsformen und Kooperationen
Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit (Positionierung in
der Mediengesellschaft, Mittelbeschaffung, Nachfrageaktivierung)
die Organisation leistungsfähiger interner Dienstleistungen
und Steuerungsinstrumentarien
Professionalität bei Grundaufgaben (Vertragsrecht, Copyright,
Steuerrecht, Budgetierung, Finanzierung, Controlling, Versicherungen)
Kontakt mit "unorganisierten" künstlerischen und wissenschaftlichen
Arbeitsbereichen.
Notwendig wäre - gerade in den bürokratisch geprägten staatlichen
Kulturinstitutionen - eine systematische Strukturentwicklung,
die Arbeitsweisen, Organisationsformen, Personalrecht, Budgetplanung
tatsächlich auf eine neue Basis stellt. Jeder Künstler, aber
auch jeder Kurator, der einmal in einem Museum eine Ausstellung
aufgebaut hat, weiß, was ihm da alles widerfährt. Vieles scheint
so zu funktionieren, als ob künstlerische Energien bewußt
ins Leere laufen sollten. Die allgemeine Flucht aus Institutionen
(Festspiele, Gastspiele, freie Gruppen, unabhängige Institute,
Kunstkuratorenmodell) bestätigt permanent, daß die Bedingungen
in ihnen oft nur noch als soziales Sicherheitsnetz und aus
Statusgründen geschätzt werden. Interessantes passiert oft
genug außerhalb, ohne solchen Rückhalt.
Daß auch der "freie Markt" in vielen Sparten weiterhin wenig
zu bieten hat, dürfte unter anderem damit zusammenhängen,
daß auch da "die Strukturen" zuwenig stabilisiert sind. Zur
eingeforderten Privatinitiative kommt es am massivsten seitens
der Künstler und ihrem Umfeld selbst. Vieles geschieht, ohne
daß sich irgendwer um ökonomische Normalität kümmert. Die
aufsaugenden Branchen reagieren unterschiedlich; in der Musik
oft ziemlich prompt, in der Architektur nur sehr sporadisch.
Ungenutzte, unrealisierte, also "tote Arbeit" (Alexander Kluge)
ist durchaus die Regel. Die Sponsoringkonjunkturen sind also
ein Nebenthema. Es ginge schlicht um aufgefächerte, intelligente,
spannende (durchaus Folgenutzen erzeugende) Projektfinanzierungen.
Was so möglich wird, zeigt was gerade möglich ist.
Nur: Ein offensives Investment in "geistige Leistungen" -
und Kunst - ist sehr vom jeweiligen sozialen Umfeld und der
Mediensituation abhängig; worüber man mit seinen Kunden und
Freunden nicht reden kann, bekommt keinen Stellenwert.
Managementaufgaben in kulturellen Bereichen sind daher in
gewisser Weise oft schwieriger als in der vermehrt als Vorbild
hingestellten Wirtschaft. Daß sich aus dieser Herausforderung,
abgesehen von eingeführtem Spezialistentum oder generalisierender
Auswechselbarkeit, noch kaum Berufsfelder entwickelt haben,
hat wiederum viel mit den bizarren und ärmlichen Strukturen
zu tun. Projekte können einen nur vorübergehend retten. Kompetenz
und Qualitätsbewußtsein entstehen normalerweise erst nach
jahrelanger Involviertheit und sind - zumindest im Idealfall
- markant mit persönlichem Interesse an der Sache verbunden.
Wenn klare Programme auch ohne solche Obsessionen und Kenntnisse
zustandekommen, dürfte wenigstens ein Gespür für Wichtiges
und für Delegationsvorgänge vorhanden sein. Das komplexe Geflecht
aus abgesonderten Expertenwelten, die für Werthierarchien
zuständig sind, aus Medienwirkung, Publikumsinteresse, Preisbildungsmanövern
oder Kaufentscheiden ist jedenfalls für Wachsamkeit, Irritationen
und Risikofreude ein exemplarischer Ort.
Wenn es bei einer solchen Arbeit um Beiträge für "ineinandergreifende
Systeme auslegbarer Zeichen", die "einen Deutungsrahmen für
gesellschaftliche Ereignisse, Verhaltensweisen, Institutionen
und Prozesse" liefern, 10.) gehen soll, so ist die professionelle
Beschäftigung mit dem Neuen, das sich oft Sparteneingrenzungen
entzieht, ein zentrales Thema, die Beschäftigung mit dem Neuen,
als dem wertvollen Anderen, "das als wertvoll genug befunden
worden war, um aufbewahrt, erforscht, kommentiert und kritisiert
zu werden, um nicht im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden."11.)
Wem solche Klassifizierungen zu voreilig erscheinen, dem bleiben
Inseln, die Neugier und das Einlassen auf die Dynamik künstlerischer
Entwicklungen.
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