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WUV - Wiener Universitätsverlag
   

Multiplizieren und Dividieren
Kunst im Umgang mit Strukturen und Projekten

In: Doris Rothauer, Harald Krämer (Hg.): Struktur & Strategie im Kunstbetrieb. Tendenzen der Professionalisierung.
WUV - Wiener Universitätsverlag, Wien 1996

Positionen zum Thema "Betriebssystem Kunst"

Weitere Beiträge: Herbert Schober, Michael Schulte-Derne, Fritz Scheuch, Alexander Doujakk, Doris Rothauer, Lo Breier, Ecke Bonk, Harald Krämer, Joachim Goppelt, Franz-Otto Hofecker, Erhard Busek, Dieter Bogner, Werner Heinrichs, Uta Miksche, Werner Rodlauer, Franz Sattlecker, Markus Wailand, Vitus H. Weh, Carina Plath, Roland Schöny, Christian Muhr, Regina Wyrwoll, Katharina Blaas-Pratscher

 

 

Von Karl Valentin gibt es den lakonischen Spruch: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." Verkauft wird er als Postkarte in der Serie Künstlertexte, die von der berühmten Kölner Buchhhandlung König herausgegeben wird.

Isolationisten, für die alles außerhalb von Kunst etwas Parasitäres an sich hat, verdrängen diese Wahrheit normalerweise; ihre Überzeugung "Künstler brauchen niemand" trifft sich mit der Gegenposition "Künstler werden nicht gebraucht". Realisten haben daher andere Minimalprogramme: z. B. "Künstler brauchen Sammler" (von Bildern, Zeichnungen, Skulpturen, Objekten, Büchern, CDs, Videos, Ereignissen).

Das Rundherum - der Kunstbetrieb - geht jedenfalls allen auf die Nerven, vielleicht, weil sich kaum wer vorstellen kann, wie es anders funktionieren könnte. Daß die Zustände unter Ärzten, Rechtsanwälten, Ingenieuren oder Psychiatern auch nicht besser sind, schafft keine Erleichterung. Wären Personen und Vorgänge sympathischer würden Spannung und Gesprächsstoff verlorengehen. Von einem kunstfreundlichen Klima kann man ohnedies nirgends ausgehen, schon gar nicht einer undisziplinierten, nicht sofort einordenbaren Kunst gegenüber. Inwieweit trotzdem Begeisterung oder wenigstens Verständnis zustandekommt, ist angeblich eine höchst persönliche Angelegenheit.

Subjektives hat es mit solchen Verallgemeinerungen natürlich schwer. Verwechslungen bieten Entlastung, z. B. daß künstlerische und kulturelle Arbeit permanent durcheinandergebracht werden. Sowas begünstigt neu auftauchende Strategien einer Zurückweisung von Kunst, gerade weil gleichzeitig überall von "Kultur" die Rede ist.

Für "Karrieren" im Sinn eines hierarchisch-finanziellen Aufstiegs liefert der Betrieb in vielen seiner Sparten weiterhin relativ wenig Chancen. Administrativ wird das meiste von Hintergrundpositionen aus bearbeitet, es dominieren Improvisation und mäßig bis gar nicht honorierte Arbeit. Vordergründig geht es meistens um VIP-Kontakte, Finanzierungsprobleme, Medienlobbies, Bürokratisierungsärger, Dilettantismus, Professionalisierungsdruck oder Durchsetzungsnotwendigkeiten. Ob besseres "Management" viel ändern würde ist keineswegs sicher. Nichteinmal "mehr Geld" liefert irgendwelche Garantien. Im EU-Wunderland Luxemburg etwa wird vieles, was anderswo als kulturelles Standardangebot gilt, keineswegs für notwendig gehalten. Trotzdem dürfte auf pragmatischer (kommerzieller, technischer, organistorischer, handwerklicher) Ebene ein professionelles Vorgehen überall zu den Wunschvorstellungen gehören. Wirklich interessant wird es vor allem dann, wenn überzeugende Projekte realisiert werden - und wenn "die Strukturen" derartiges eher ermöglichen als behindern.

Strukturen und Projekte

Daraus ergibt sich eine grundlegende, sich gegenseitig überlagernde Polarität: Arbeit in Projekten und Arbeit in Strukturen. Die Ausrichtung ist jeweils eine andere, weil in Projekten unter Druck auf "inhaltlich" bestimmte Ergebnisse hingearbeitet wird (künstlerische und wissenschaftliche Vorhaben, Ausstellungen, Kataloge, Bücher, Filme, Theateraufführungen, Bauten), während "die Strukturen" (Museen, Galerien, Sammlungen, Verlage, Theater, Produktionsfirmen, Kulturbürokratien, Institutionen, Unternehmen) sie manchmal als Impuls benötigen oder sich bloß ihrer bedienen und oft genug ganz andere, paradoxe und widersprüchliche Interessen auf einen Nenner bringen müssen. Es herrschen jeweils eigene Regeln. Im einen Fall geht es, trotz aller Unterschiede, primär um die eher kurzfristige Konzentration von Kräften, im anderen Fall um Kontinuität, um Selbsterhaltung, um institutionelle Profilierung, um bürokratische Abläufe, um finanzielle Gegebenheiten. Gespart wird zuerst bei Projekten weil Fixkostenreduktionen viel schwerer durchsetzbar sind. Institutionen überleben fast immer irgendwie, Projekte scheitern, werden verschoben, werden finanziell ausgetrocknet. Das eine sind eben Daueraufgaben, das andere Sondervorhaben. Ihr Charakter unterscheidet sich bisweilen fundamental. Experimentelle, unreglementierte Arbeitsfelder überlagern sich mit reglementierten. Inwieweit ein Zusammenwirken gelingt, ohne daß Qualitätsverluste in Kauf genommen werden müssen, ist für eine künstlerische Kooperation mit Institutionen ein entscheidender Punkt, auch in Bezug auf die latenten inhaltlichen, arbeitsorganisatorischen, budgetären Kontroversen und die auf beiden Seiten an ein Managament gestellten Anforderungen. Daß unter diesem Druck laufend neue, von solchen Systemen eher abgekoppelte Verfahrensweisen erprobt werden, demonstriert, inwieweit sich Initiativen nicht unmittelbar einem durchorganisierten Kunstbetrieb unterordnen.

Obwohl nie etwas halbwegs "normal", also ohne vermeidbare Energieverluste abläuft, funktioniert das meiste irgendwie. Zu tun - im Sinn von kultureller Arbeit (und zugehörigem Management) - gäbe es trotzdem genug, gerade weil eine "Normalausstattung" mit leistungsfähigen und ambitionierten kulturellen Einrichtungen etwas Fiktives ist und sich Finanzierungsphantasien eher auf andere Felder konzentrieren. Jede Beschreibung solcher erstrebenswerter Zustände klingt sonderbar irreal, skizziert aber das Umfeld, in dem sich Impulse lohnen müßten: Akzeptable Zeitungen, profilierte TV-Sender, eigenwillige Radiostationen, kapitalstarke Galerien, potente Verlage, signifikante öffentliche Sammlungen und Ausstellungszentren, initiative Filmfirmen, informierte Bauherren, gute Theater, eine offensive Musikindustrie, ausstrahlende Ausbildungs- und Forschungsstätten, eine motivierte Kulturbürokratie - also herausfordernde Bedingungen für Architekten, bildende Künstler, Komponisten, Autoren, Musiker, Schauspieler, Tänzer, Regisseure, Designer, Weinbauern, Buchhändler, Köche, Journalisten, Lehrer - ob sie nun Männer oder Frauen sind ...

Ökonomie und Emigration

An Tätigkeitsfeldern herrscht also kein Mangel, nur hält sich wegen diverser zivilisatorischer Defizite die Investitionsneigung in Grenzen. Überfinanzierte und ärmliche Kunstsparten existieren nebeneinander, weil sich unterschiedliche Expertenwelten, Institutionalisierungen, Gewohnheiten und damit zusammenhängende Geldströme etabliert haben. Ob noch jemand an eine - nervöse, blitzende, fragende? - "Kulturgesellschaft" glaubt, ein paar Jahre nachdem dieser Begriff in Umlauf gebracht worden ist, bleibt dahingestellt. Verwendet wird er inzwischen eher als Denkmodell für politische Blockaden.

Die eigentlich Produktiven spielen in der Kulturökonomie weiterhin eine oft periphere Rolle; der Kulturbetrieb kann zwar immer noch nicht völlig auf sie verzichten, im Vergleich zu Interpreten, Veranstaltern, Managern, Institutionen ist ihre Position jedoch meistens eine sehr ausgesetzte, mit ungleich größerem ideellem und finanziellem Risiko. Für diese freiwillige Exponiertheit ist von der Angestellten- und Mediengesellschaft kein spezielles Lobbying zu erwarten.

"Ich hab' ja, als ich in den siebziger Jahren angefangen habe, mich mit Kunst auseinanderzusetzen, nie damit gerechnet, dabei Geld zu verdienen." Solche Klarstellungen - in diesem Fall von Peter Kogler1.) - machen in lapidarer Weise deutlich, wie nebensächlich ökonomische Überlegungen weiterhin sein können, wenn es darum geht, für sich eigenständige Arbeitsmöglichkeiten zu konzipieren. Offenbar egalisiert nur eine gewisse Gelassenheit dem eigenen Tun gegenüber die mitschwingende Nähe zur Rede von "brotloser Kunst", egal ob der Tonfall nun ein höhnischer, jammernder oder patriarchalisch-besorgter ist. Für sie qualitätvolle Beispiele zu finden fällt nicht schwer, nur sind zur Zeit Angriffe auf angebliche "Staatsschmarotzer" beliebter. Wenn dann H. C. Artmann in einem Fernseh-Interview offenlegt, er habe im letzten Halbjahr von Suhrkamp so zirka 1.000.- DM an Tantiemen für sein dichterisches Werk erhalten, oder Elfriede Jelinek "Die Presse" benutzen muß, um auf die trostlose Lage von Komponisten aufmerksam zu machen,2.) dann liegt das bekanntlich an Diskrepanzen von Angebot und Nachfrage.

Fehlendes - oder unbegründetes - Vertrauen in den Markt begünstigt eben staatliche Eingriffe und Impulse; Irritation über zuviel Staat erzeugt sonderbare Deregulierungskoalitionen. Abschiedsworte, wie die von Peter Pakesch, der als neuer Kunsthallendirektor nach Basel gewechselt ist, wirken daher auf die Hinterbliebenen in Österreich als Mischung aus Wahlkampf und Emigrationswerbung. "Alles schart sich um den großen Futtertrog, den Staat," sagt er als Beitrag zur Staatskünstlerdebatte; die Strafe für solche Vergehen kann nicht ausbleiben, denn "das, was in den sechziger Jahren nicht durch Totschweigen verschwand, hat man relativ schnell im großen Geldregen erstickt." Auch deswegen lohne es sich in diesem Land nicht mehr: "Mich interessieren andere Gegenden. Afrika zum Beispiel, genauer: Senegal, wo es ein spannendes Kunstlaboratorium gibt - oder Moskau, Warschau, die amerikanische Westküste ..." 3.)

Geistige Leistungen

Um aus solchen Kreisbewegungen herauszufinden, bietet sich - neben der Problematisierung der Produktionsbedingungen und eines Zusammenwirkens von Strukturen und Projekten - ein Argumentationsraster an, der mit einem Rückschritt zu Generellem beginnt. Mein Vorschlag dazu, wenigstens als Gedankenspiel: Zuerst noch nicht von Kunst reden, sondern von geistigen Leistungen. Damit würde das Potential künstlerischer und kultureller Arbeit in einen größeren künstlerisch-wissenschaftlich-ökonomischen Kontext gestellt. Daß das immer nur von scheiternden Avantgardebewegungen propagiert worden ist, macht die Frage nach der ungleichen Wertschätzung und ungleichen Ökonomisierung geistiger Leistungen keineswegs überflüssig.

Kulturelle Arbeit (und zugehöriges Managament) könnte in diesem Sinn als Mitwirkung bei der Produktion und Durchsetzung geistiger Leistungen aufgefaßt werden, einschließlich der Aktivierung von Angebots-Nachfrage-Mechanismen, der Erweiterung kultureller Arbeitsfelder und zugehöriger Organistions- und Finanzierungsfragen in staatlichen und privatwirtschaftlichen Bereichen. Dazu kommt es zwar immer wieder, aber eher in Glücksfällen und ohne "systematischen" Rückhalt. Atypische Situationen sind offenbar auf atypische Verhaltensweisen zurückzuführen. Jede "Branche" hat ihre eigenen Regeln, Querbeziehungen sind etwas Ungewöhnliches. Würde von kompakten Einzel- und Gruppenleistungen nicht zwangsläufig das meiste im Dickicht sie verwertender Systeme verschwinden, sondern deutlicher ins Blickfeld ge rückt werden, einschließlich der transdisziplinären Momente, könnten die Beiträge zum "geistigen Leben" insgesamt an Dynamik und Resonanz gewinnen. Künstlerische und kulturelle Perspektiven sind dafür bestärkend, vielleicht weil übliche Kommerzialisierungsmuster nicht so ohne weiteres greifen. Der Bogen spannt sich dann vom Mediensektor und allen Copyright-Sparten über ein Wissenschafts- und Universitätsmanagement zu Forschungseinrichtungen, kulturellen Institutionen, einschlägigen Unternehmen, Beratungsfunktionen, freischaffenden Gruppen und zu einzelnen Denkern, Theoretikern, Künstlern. Daß vielfach eine hochgradige Spezialisierung notwendig ist - auch des Managements - und zugehörigen Industrien die Verfahrensweisen bestimmen, enthebt nicht davon, daß gerade "kulturelle Arbeit" auf "geistige Leistungen" in verwandten oder kontrapunktischen Bereichen und auf einander überlagernde Zusammenhänge ausgerichtet sein müßte.

Die Automatik des Geschehens bewegt sich in andere Richtungen, dennoch würden bessere Einblicke in die höchst unterschiedlichen Produktionsbedingungen, Verwertungssysteme und Nachfragesituationen Stärken und Schwächen derzeitiger Strukturen analysierbarer machen. Die übliche Isolierung spezieller Felder separiert von Wechselwirkungen und Synergien; andererseits verdeckt ein Verzicht auf Differenzierung die Besonderheiten einzelner Sparten. Trotz dieses Dilemmas würden gesamthafte Bezüge das Weiterwirken geistiger Leistungen deutlicher begreifbar machen, ohne daß deswegen Kunst und Wissenschaft oder technische Innovationen in einen Topf geworfen werden müssen. Im Gegenteil, erst anhand von Parallelen und Unterschieden lassen sich Perspektiven für eine Kulturökonomie und für kulturelle Arbeit herausarbeiten. Als Mitgestaltung von "Strukturen" verstanden, also der Parameter für die zwischen Produktion und Rezeption ablaufenden Prozesse, mit ihren vielen partizipierenden Einrichtungen, wären solche Managementaufgaben - im Gegensatz zur häufigen Praxis - als Einflußnahme auf eine umfassende Qualitätssicherung zu verstehen.

Bei künstlerischer und kultureller Arbeit geht es also in besonderem Maße um ein geeignetes Umfeld, ob das nun die jeweiligen Strukturen für bildende Kunst betrifft, mit Galerien, Kunsthallen, Museen, Kunsthochschulen, Fachzeitschriften, Publikationsmöglichkeiten, Radio- und Fernsehzeiten oder für Verlage, mit ihren Autoren, mit Druckereien, Grafikern, Vertriebsfirmen, Buchhandlungen oder für die Filmproduktion, mit den dafür nötigen Finanzierungsinstanzen, Studios, Fachleuten, Verleihfirmen, Kinos. Branchenzentren können stimulieren, Basel-Köln-Kassel-Venedig für bildende Kunst (über Ausstellungs- und Messetraditionen), Frankfurt für den Buchmarkt, Paris für die Mode (als Medienereignis, weil fast alles ganz wo anders hergestellt wird), Norditalien für Design (mit einer darauf ausgerichteten Infrastruktur). Gleichzeitig ist offensichtlich, daß ganze Sparten, wie das Fernsehen, die großen Printmedien, der Film, ihre Differenzierungsmöglichkeiten verlieren. Andererseits ist z. B. Wien schon deswegen längst keine Musikstadt mehr, weil weder eine entsprechende Ausbildungsbreite, noch die Produktions- und Vertriebseinrichtungen vorhanden sind, nicht zu reden von der peripheren zeitgenössischen Präsenz. Welche staatlichen Grundfinanzierungen im Musikbereich schließlich Sony oder sonst wem zugute kommen, wird nie zum Thema gemacht, weil solche Zusammenhänge wegen komplexer Interessensverflechtungen im Dunkeln bleiben. Urbane Standorte, etwa Wien, über ihr künstlerisches und wissenschaftliches Potential zu profilieren, dürfte der übernächsten Etappe fiskalischer Ratlosigkeit vorbehalten sein. Ein Management in kulturellen Bereichen, das nicht auf eine Positionierung in einem weiteren Umfeld aus ist, einschließlich der Einflußnahme auf die prägenden Strukturen, beschränkt sich daher auf eine "kaufmännische" Serviceorientierung. Aufgefaßt als Mitwirkung bei der Produktion und Durchsetzung geistiger Leistungen würden sich wesentlich erweiterte Gestaltungsfelder und neue Vernetzungen ergeben können.

Gerade weil die bildenden Künste oder der künstlerische Film in einer ausufernden Zuordnung zur "Bildproduktion" quantitativ genauso untergehen, wie Dichtung und Literatur als Teil der gesamten "Textproduktion" oder Architektur in Bezug auf die Gesamtleistung der "Bauwirtschaft", könnten solche Zusammenhänge qualitative Relationen - bzw. irrwitzige Mißverhältnisse - deutlicher machen. Es könnte auch deutlicher werden, wie stark mehr oder minder marginalisierte künstlerische und wissenschaftliche Arbeitsbereiche als autonome Experimentalfelder oder innovative Impulsgeber prägend wirken und schließlich in kommerzialisierter Form oder über indirekte Ausstrahlung genutzt werden. Ein aufwendiges Erfassen ist dabei nicht der Punkt, das wäre schlicht absurd; demonstrative Beispiele könnten genügen. Um solche Qualitäten und Wertschöpfungen sichtbarer zu machen wäre auch eine wesentlich verfeinerte und erweiterte Präzisierung der "Copyright-Industrien" zweckmäßig, zu denen "Unternehmungen, Organisationen und Personen, die mit der Produktion oder Verteilung urheberrechtlich relevanter Werke befaßt sind" gezählt werden, womit laut Urheberrechtsgesetz "eigentümliche geistige Schöpfungen auf den Gebieten der Literatur, der Tonkunst, der bildenden Künste und der Filmkunst" gemeint sind.4.)

Daß die für Österreich latent kolportierte Zahl von ungefähr 10.000 Künstlern - davon rd. 5.000 bildende Künstler, 1.200 hauptberuflich, rd. 3.000 Schriftsteller, rd. 1.300 Komponisten - 5) dem Sachverhalt wegen überholter Eingrenzungen (Architektur? Design? Grafik? etc.) und Ergänzungsbedürftigkeit (Musik, Theater, Tanz etc. - Bezügen zu Wisenschaft, Forschung, Entwicklung) offenbar genauso wenig gerecht wird, wie die 74.000 Beschäftigten der Copyright-Industrien (1986) 6.), belegt bloß, daß sich das Interesse an einer genaueren Datenlage und an der aus diesen Produktivitätsarten resultierenden geistigen und wirtschaftlichen Relevanz in Grenzen hält.

Entstehen kann Kunst streng genommen oft ganz auf sich gestellt. Abhängigkeiten von der Arbeit anderer ergeben sich erst bei darauffolgenden Schritten und wenn die Realisierung einen größeren Aufwand erfordert. Selbst offensiv auf freie Konsum- und Marktmechanismen setzende Ökonomen fordern angesichts der keineswegs so luxuriösen Umstände, "daß in Zukunft mehr Wert auf die Voraussetzungen für künstlerisches Schaffen gelegt wird", auf den es möglichst nicht behindernden "äußeren Rahmen"; denn "es ändert wenig, wenn alle Verantwortlichen ausgetauscht werden". 7.)

Das Unbehagen an "den Strukturen" ist also ein latentes und schließt Tendenzen zu einem Neo-Fatalismus mit ein. Ein Warten auf Strukturreformen - der Kulturbürokratie, der Opernhäuser, Theater, Museen, Festspiele, Kunsthochschulen, des Personal- und Budgetrechts - provoziert Inaktivität. Nur haben sich interessante Projekte immer wieder auch unter widrigen Umständen realisieren lassen. Trotzdem ist in der allgemeinen Hinwendung zu Projekten auch eine Abwendung von - mühseliger, langwieriger, medial nicht interessanter - "Strukturarbeit" zu sehen. Einerseits wird derartiges schlicht dem Markt überlassen, andererseits ist auch im öffentlichen Bereich überall unklar, wer dafür die Kompetenzen und das Durchhaltevermögen haben sollte. Daß der (halbwegs) liberale Staat unter Budgetdruck zunehmend gefordert ist, das Seine beizutragen, müßte noch nicht heißen, daß er unbedingt zu heroischen Leistungen verpflichtet ist. Dennoch gehen parallel dazu angeblich überall "Inhalte" verloren, gerade weil soviel von Strukturen, Verfahren, Kosten und Marktzwängen die Rede ist.

Kulturelle Arbeit und zugehöriges Management

Für kulturelle Arbeit (und zugehöriges Management) ergibt sich aus solchen Denkansätzen folgende grundsätzliche Aufgabenorientierung, wenn dem allgemeinen Muster einer bloß besseren "Vermarktung" etwas entgegengestellt werden soll: 8.)

Spezialisierung auf Fachsparten (z. B. bildende Kunst) bei gleichzeitiger Orientierung auf weite Felder "geistiger Leistungen", zugehöriger Synergien und experimenteller Arbeitsgebiete

ein Denken in Strukturen und Projekten, also in Daueraufgaben und Sondervorhaben, inkl. der Kooperationsprobleme beider Bereiche

ein sensibles und trotzdem wirkungsvolles Projektmanagement (von "chaotischen Freiheiten" bis hin zu sehr disziplinierten Formen)

die innovative Einflußnahme auf Strukturentwicklungen (Planung, Entscheidungsfindung, Mitbestimmung, Organisation, Budget, Personal etc.) - z. B. in Richtung auf konsequent "Projektorientierte Organisationen", bei denen "Projekte" (Ausstellungen, Theaterproduktionen, wissenschaftliche Vorhaben, Bauten, Reformen) strukturell nicht Anhängsel oder Nebenaufgaben sondern Hauptaufgaben werden und die Institution selbst sich konsequent auf deren Erfordernisse ausrichtet) 9.)

die offensive - oder verhalten serviceorientierte - Mitwirkung bei der Durchsetzung künstlerisch oder wissenschaftlich begründeter Intentionen

Regionale und internationale Vernetzung

Etablierung innovativer Finanzierungsformen und Kooperationen

Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit (Positionierung in der Mediengesellschaft, Mittelbeschaffung, Nachfrageaktivierung)

die Organisation leistungsfähiger interner Dienstleistungen und Steuerungsinstrumentarien

Professionalität bei Grundaufgaben (Vertragsrecht, Copyright, Steuerrecht, Budgetierung, Finanzierung, Controlling, Versicherungen)

Kontakt mit "unorganisierten" künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeitsbereichen.

Notwendig wäre - gerade in den bürokratisch geprägten staatlichen Kulturinstitutionen - eine systematische Strukturentwicklung, die Arbeitsweisen, Organisationsformen, Personalrecht, Budgetplanung tatsächlich auf eine neue Basis stellt. Jeder Künstler, aber auch jeder Kurator, der einmal in einem Museum eine Ausstellung aufgebaut hat, weiß, was ihm da alles widerfährt. Vieles scheint so zu funktionieren, als ob künstlerische Energien bewußt ins Leere laufen sollten. Die allgemeine Flucht aus Institutionen (Festspiele, Gastspiele, freie Gruppen, unabhängige Institute, Kunstkuratorenmodell) bestätigt permanent, daß die Bedingungen in ihnen oft nur noch als soziales Sicherheitsnetz und aus Statusgründen geschätzt werden. Interessantes passiert oft genug außerhalb, ohne solchen Rückhalt.

Daß auch der "freie Markt" in vielen Sparten weiterhin wenig zu bieten hat, dürfte unter anderem damit zusammenhängen, daß auch da "die Strukturen" zuwenig stabilisiert sind. Zur eingeforderten Privatinitiative kommt es am massivsten seitens der Künstler und ihrem Umfeld selbst. Vieles geschieht, ohne daß sich irgendwer um ökonomische Normalität kümmert. Die aufsaugenden Branchen reagieren unterschiedlich; in der Musik oft ziemlich prompt, in der Architektur nur sehr sporadisch. Ungenutzte, unrealisierte, also "tote Arbeit" (Alexander Kluge) ist durchaus die Regel. Die Sponsoringkonjunkturen sind also ein Nebenthema. Es ginge schlicht um aufgefächerte, intelligente, spannende (durchaus Folgenutzen erzeugende) Projektfinanzierungen. Was so möglich wird, zeigt was gerade möglich ist.

Nur: Ein offensives Investment in "geistige Leistungen" - und Kunst - ist sehr vom jeweiligen sozialen Umfeld und der Mediensituation abhängig; worüber man mit seinen Kunden und Freunden nicht reden kann, bekommt keinen Stellenwert.

Managementaufgaben in kulturellen Bereichen sind daher in gewisser Weise oft schwieriger als in der vermehrt als Vorbild hingestellten Wirtschaft. Daß sich aus dieser Herausforderung, abgesehen von eingeführtem Spezialistentum oder generalisierender Auswechselbarkeit, noch kaum Berufsfelder entwickelt haben, hat wiederum viel mit den bizarren und ärmlichen Strukturen zu tun. Projekte können einen nur vorübergehend retten. Kompetenz und Qualitätsbewußtsein entstehen normalerweise erst nach jahrelanger Involviertheit und sind - zumindest im Idealfall - markant mit persönlichem Interesse an der Sache verbunden. Wenn klare Programme auch ohne solche Obsessionen und Kenntnisse zustandekommen, dürfte wenigstens ein Gespür für Wichtiges und für Delegationsvorgänge vorhanden sein. Das komplexe Geflecht aus abgesonderten Expertenwelten, die für Werthierarchien zuständig sind, aus Medienwirkung, Publikumsinteresse, Preisbildungsmanövern oder Kaufentscheiden ist jedenfalls für Wachsamkeit, Irritationen und Risikofreude ein exemplarischer Ort.

Wenn es bei einer solchen Arbeit um Beiträge für "ineinandergreifende Systeme auslegbarer Zeichen", die "einen Deutungsrahmen für gesellschaftliche Ereignisse, Verhaltensweisen, Institutionen und Prozesse" liefern, 10.) gehen soll, so ist die professionelle Beschäftigung mit dem Neuen, das sich oft Sparteneingrenzungen entzieht, ein zentrales Thema, die Beschäftigung mit dem Neuen, als dem wertvollen Anderen, "das als wertvoll genug befunden worden war, um aufbewahrt, erforscht, kommentiert und kritisiert zu werden, um nicht im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden."11.) Wem solche Klassifizierungen zu voreilig erscheinen, dem bleiben Inseln, die Neugier und das Einlassen auf die Dynamik künstlerischer Entwicklungen.

 

 

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1 "Fünf Kisten voll Papier", Peter Kogler im Gespräch mit Horst Christoph, profil Nr. 42/1995

2 Elfriede Jelinek. Die Presse, Wien, 1. Dezember 1995

3 "Nachfragen in Afrika und Moskau" (Monika Czernin über Peter Pakesch), Die Presse, Wien, 30. Oktober 1995

4 Fritz Scheuch / Hartmut Holzmüller: "Die wirtschaftliche Bedeutung des Urheberrechts in Österreich. Die Wertschöpfung der Copyright-Industries", Wien 1989

5 Landeskulturreferentenkonferenz der österreichischen Bundesländer: Künstler in Österreich. Die soziale lage der Komponisten, bildenden Künstler und Schriftsteller. Salzburg-Wien 1984

6 Fritz Scheuch / Hartmut Holzmüller, a.a.O.

7 Werner Pommerehne / Bruno Frey: "Musen und Märkte. Ansätze einer Ökonomik der Kunst", München 1993

8 Christian Reder: "Kulturmanagement?". In: Michael Götz/Lioba Reddeker/Christian Reder: "Kulturmanagement? Evaluierungskonzept für Fortbildungsprogramme ...", Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, Wien 1994

9 Christian Reder: "Interne Strukturanalyse und Entwurf einer projektorientierten Organisation". In: "Neuorientierung von Kunsthochschulen", Wien 1985 / "Neue Sammlungspolitik und neue Arbeitsstruktur", MAK-Österr. Museum für angewandte Kunst, Wien 1991

10 Clifford Geertz: "Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme", Frankfurt 1983

11 Boris Groys: "Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie", München-Wien 1992

 

 
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© Christian Reder 1996/2001