Wenn es möglich wäre, Erinnerungen auszublenden und sich
unbelastet, also vom Gewicht des bisher Vorgefallenen befreit,
wie ein grundlos entfremdeter Mensch zu fühlen, dann würden
einem Räume mit Bruno Gironcolis Arbeiten einfach als Ort
erscheinen, an dem Gegenwart auf sonderbare Formen konzentriert
ist. Daß es die sonst nirgends gibt, könnte einem vorerst
gar nicht auffallen. Inwieweit dabei Archaisches und Futuristisches
miteinander Verbindung aufnehmen, bliebe unbestimmbar. Solche
Zuordnungen ergäben schlicht keinen Sinn, weil sich Fragen
danach nicht stellen ließen. Da alles unbeweglich, also offenbar
gleich bleibt, tritt Zeit nur über wechselnde Lichtverhältnisse
in Erscheinung, als Beleuchtung von Formen. Was zu sehen ist,
könnte irgendwo und irgendwann stattfinden; jedes Gefühl von
Nähe ist aufgehoben, ohne daß daraus Fremdheit und Ferne wird.
Denken und Bilder vereinigen sich gleichsam auf fiktive Art,
erregt durch ihre Widersprüche, erregt durch die Gegenkräfte
jeder Zivilisiertheit. Nichteinmal als Zwischenstadium lassen
sich die Objekte begreifen, dafür sind sie zu voluminös und
zu präzis gefertigt. Die Glätte ihrer Oberflächen weist sie
als fertiggestellt aus, sie könnten für Fabriksprodukte gehalten
werden, mit denen niemand etwas anfangen kann. Ihre Variationen
sind Ausdruck unbekannter Vorgänge, die mit Aufträgen und
Nachfrage nichts zu tun haben. Diese Dinge erzeugen ihre eigene,
kreisende, sich selbst unterbrechende Kontinuität; eines ergibt
zwar das andere, wird aber deswegen nicht obsolet. Besucher
und Beobachter werden nur sporadisch gebraucht. Menschen stören
zwar nicht, merken aber unter Umständen, wie überflüssig diese
und andere Arten von Realität sie machen. Miteingeschlossen
sind sie ohnedies, sobald sie die Sachen beschäftigen. Der
Autor will weder über Präsenz noch über besondere Fertigkeiten
Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er hat Zeit. Es geht ihm um
Konstitutionelles, als Verfassung und Körperbeschaffenheit.
Bewegung ist die Fiktion jenseits davon. Was hergestellt wurde,
könnte genauso in einem Depot überdauern, um irgendwann hervorgeholt
zu werden.
Das ist aber auch schon alles, was Hoffnungen auf andere
Zustände aufkommen läßt. Gironcoli reagiert eben mit ihm möglichen
Formen des Eingreifens; durch Konzentration, durch Abwarten
und Ausprobieren. Es wird analysiert und konzipiert, ohne
Perspektiven zu unterstellen. Diese Neutralität konstatiert
mehr als daß sie erzählt. Mit Zukunft zu tun hat höchstens
der Eindruck, daß hier künstliche Intelligenz am Werk ist.
Sie ist niemandem mehr Rechenschaft schuldig, erprobt gewisse
Möglichkeiten und kümmert sich kaum um Akzeptanz. Was aus
all dem werden könnte, ergibt sich eben Schritt für Schritt.
Impulse verstärken oder verflüchtigen sich, Form entsteht
aus Fragmenten, ohne daß noch Baupläne erforderlich wären.
Es ist etwas Artifizielleres als Gefühl oder Emotion, das
hier wirksam wird; unerschlossene Speicher geben Vorstellungen
frei, Filter schalten sich ein und aus, Bilder werden deutlicher
oder verblassen, Diffuses sucht sich provisorische Formen,
der Zusammenhalt ergibt sich aus Verwandlungen. Die entstehenden
Einstiege in virtuelle Welten sind noch materialisiert, von
irgendwie altmodischer und dennoch zugleich transformierter,
abgekühlter Künstlichkeit. Das Ich schaut zu, verwundert über
seine parallelen und hypothetischen Identitäten, und sagt
irgendwann: fertig, weil es weiß, daß es alles widerrufen
kann um noch eine Zeitlang weitermachen zu können.
Sich über die Konstruktion ausgeblendeter Erinnerungen, gleichmütig
akzeptierter Entfremdung und Vermutungen über künstliche Intelligenz
für Bruno Gironcolis Arbeit Sprach- und Argumentationsmaterial
zu verschaffen, kann der Sache und der Person nur halbwegs
gerecht werden, wenn ein solches Verfahren gleich wieder unterbrochen
und von anderen Blickpunkten aus angereichert wird. Um dabei
einem vereinfachenden Verstehen zu entkommen, bietet sich
an, es direkt ins Gespräch zu bringen, etwa durch den Rückgriff
auf eine apodiktische Schlußfolgerung Max Horkheimers: So
wie die Menschen heute sind, verstehen sie einander nur zu
gut. Wenn sie einmal anfingen, sich nicht mehr zu verstehen,
weder sich selbst noch die anderen, wenn die Formen ihrer
Kommunikation ihnen suspekt würden und das Natürliche unnatürlich,
so käme die grauenerregende Dynamik wenigstens zum Stillstand.1
Ob das angesichts inzwischen auf andere Weise radikalisierter
Kommunikationsbedingungen nun antiquiert wirkt oder nicht,
es wird damit ein Zusammenhang zwischen Latenz und Zeit hergestellt.
Solche Forderungen könnten auch von einem Mystiker des Mittelalters
stammen, der gegen das gleichgültige, scheinaktive Inkaufnehmen
des vorhergesagten Infernos andere Muster der Verständigung
sucht, in Gebeten, im Schweigen. Befreiendes Fluchen ist der
zugehörige Gegenimpuls, als Einrahmung von Alltäglichem. Derartiges
wiederholt sich, abgelöst von religiösen Bezügen und persönlichen
Motiven, sowohl in der Gewöhnung daran, wie schwer vieles
mitteilbar ist, als auch in der Herausbildung funktionalisierter,
mehrdeutiger, spielerischer, konsequenter oder weniger konsequenter,
den Zeichenvorrat erweiternder, immer wieder verstummender
Sprachen. Störungen und Unterbrechungen sind daher zentrale
Momente jeder Verständigung, selbst wenn Dissens kein zentrales
Thema mehr ist. Nur ist längst offensichtlich, daß die normale
kommunikative Distanz und Apathie vom Gang der Dinge abgekoppelt
ist, ob die Menschen Horkheimers, oder andere, sich nun verstehen
oder nicht. Nichteinmal was sie erleben erzeugt Verbindungen
oder Verbindlichkeiten. Gültig bleibt der Hinweis auf destruktive,
auf paradoxe Bedingungen, einschließlich der immer wieder
stattfindenden Beschäftigung mit eigenständigen Formen kommunikativen
und nichtkommunikativen Handelns, wozu auch deren Negation
gehört.
Bearbeitet wird, was noch nicht gewußt werden kann
Bruno Gironcoli ist in der Zeit, auf die sich die angesprochene
Beschwörung des Nichtverstehens bezieht, geboren worden, in
jene kollektive, feindselige - von seiner engeren Umgebung
keineswegs geteilte - Euphorie hinein, in der die Bewegung
auf den bisherigen Tiefpunkt hin sich ihrem Maximum an organisierter
Zustimmung genähert hat. Dieser miterlebte zivilisatorische
Bruch, der seither jede Behauptung von kontinuierlichem Fortschritt
an ein letztlich unmögliches Erinnernkönnen und Vergessenwollen
bindet, bleibt in seiner Ungeheuerlichkeit unvorstellbar und
undarstellbar und wurde auch so erfahren. Es läßt sich da
nichts veranschaulichen. Alles Allgemeine verhöhnt das Singuläre.
Eine Befreiung davon kann nicht stattfinden. Die Präsenz der
als Kind (in Kärnten und zeitweilig in Frankfurt am Main)
aufgenommenen Zeichen und Bildemotionen ist jedenfalls so
prägend gewesen, daß in seiner künstlerischen Arbeit Spuren
davon bis heute auftauchen. Es wird also nicht auf die unterschwellige
Absicht, irgendwelche glücklichen Momente zu erneuern, reagiert,
sondern auf eine Komplexheit, in der solche Wünsche und Stereotypien
nicht mehr wiederzuerkennen sind. Das Unerklärliche am Geschehen,
einschließlich des Entsetzlichen, ist ohnehin anwesend, selbst
wenn Hinweise darauf unterbleiben. Im Gespräch und in Texten
beruft er sich auf derartige Impulse nur zögernd, jegliches
Spiel mit Betroffenheit abwehrend, als Gegengewicht weiträumige
Bezüge und eine Gleichwertigkeit existentieller Situationen,
eine Gleichwertigkeit erinnerter Wahrnehmung betonend, als
ein Bildhauer, der aus dem vergangenen tausendjährigen chinesischen
und elektrischen Zeitalter kommt - zumindest - als Design.2
Eine solche Aussage ist zugleich Schutzbehauptung und subversive
Distanzierung, als Verteidigung umfassender Sichtweisen und
der minimalen eigenen Möglichkeiten. Es schwingt mit, daß
es beim Erinnern um so verfilzte Ablagerungs- und Verarbeitungsmechanismen
geht, daß sich zur konkreten Arbeit keine direkten Verbindungen
herstellen. Gerade erfahrenes und sonstwie bewußt gewordenes
Leid (oder dessen Abwesenheit) betreffend, ergäbe eine solche
Umsetzung keinen Sinn, höchstens nachahmende Bestätigungen;
trotzdem finden Übersetzungsprozesse statt. Eindeutige Zusammenhänge
mit Geschichte lassen sich daher nirgends ableiten, wenn es
sich nicht um Erkenntnisse handelt; deren Relikte und ihnen
zugeordnete Bedeutungen werden zu etwas eigenem, zu eigenwilligen
Feststellungen darüber, daß Allgemeines und Individuelles
ihren Dauerkonflikt in uneinsichtiger, nur punktuell faßbarer
Weise austragen. Jede Erfahrung und jedes Ding ist etwas Einzelnes.
Ein Vergessen und ein Vergessenwollen bekommen keine Mahnungen
vorgesetzt sondern schweigende Zeichen. Worüber gesprochen
werden sollte, wird dem Sprechen überlassen.
Daß etwas einmal heiter, einmal trostlos erscheinen kann,
daß Sinn, Unsinn, Nicht-Sinn besondere Beziehungen zueinander
unterhalten, und zwar nicht als Gegensatz oder Mangel (wie
das philosophisch z. B. von Gilles Deleuze aktualisiert worden
ist),3 wird als Lebens- und Arbeitsvoraussetzung akzeptiert,
ohne zuviel abschwächende Ironie zu erzeugen. Oberfläche und
Tiefe werden nicht so behandelt, als würden sie getrennt voneinander
existieren. Klar ist, daß sich zur unabgrenzbaren Vielschichtigkeit
nur Zugänge ergeben, wenn unterschieden, also etwas identifiziert
und in Relationen gesetzt werden kann. Auf Form und Formlosigkeit
bezogen ergeben sich daraus eigene Abhängigkeiten des Denkens
vom Tun; Ursachen lösen sich vom Ursprünglichen, Rekonstruktionen
solcher Prozesse würden immer wieder etwas anderes ergeben.
An den gewählten Verfahren signifikant ist, daß sakrale und
politische Symbole, mit ihrer wechselseitigen Durchdringung
und Volkstümlichkeit, als triviale und unschuldige Teile wieder
auftauchen, so als ob sie - und zugehörige Strukturen - ein
Entmythologisierungsverfahren hinter sich hätten. Gebraucht
werden sie längst nicht mehr, trotzdem sind sie noch da; also
läßt sich nichts abschließen. Wenn sie Erinnerungen auslösen,
dann als Frage nach dem Untergrund jedes Erinnerungsvermögens,
als Frage nach der Differenz von Bedeutung und Bedeutetem,
als Frage nach zu Abfall gewordener Überhöhung. Alles das
aber ist Sache von anderen; das Objekt selbst fragt gar nichts
mehr. Es provoziert eher dazu, durch sein Warten.
Gironcoli die Sichtbarmachung einer grauenerregenden Dynamik
zu unterstellen, wie das immer wieder vorkommt, wenn er mit
der Bedrohung durch Technik, Maschinen, Macht in Zusammenhang
gebracht wird, würde ihn völlig unzulässig auf eine ästhetisierende
Nutznießerrolle reduzieren. Sein Arbeiten jenseits der Begriffe
ist auf andere Erkenntnisse aus. Er experimentiert nicht.
Er bleibt nahe dran an dem, was er weiß und doch separiert
davon, sich mit unzugänglichen Sprachen der Wirklichkeit beschäftigend.
Jedenfalls ergeben sich für jene Art kritischer Haltung, die
davon lebt, ihre eigenen dubiosen Harmonievorstellungen zu
verbergen, für mich nirgends Hinweise. Wenn schon, dann werden
letztere angegangen, ohne Evidentes zu verharmlosen, aber
auch ohne daß ein Klagen über Verluste oder entgangene Gewinne,
etwa von Sinnlichkeit, von Individualität, von Freude, zugleich
behauptet, daß es einmal besser gewesen sei oder irgendwann
wirklich besser werden könnte. Das gewählte Metier hat seine
eigene Kompliziertheit; und Gironcoli die seine dazu. Was
erzeugt wird, bezeugt, was ihm möglich ist. Es geht um Gegenwart;
Geistesgegenwart wäre bereits zu dramatisch, zuwenig materialisiert.
Welche Bezugsfelder hereinspielen, entscheidet sich auf höchst
persönliche Weise, ohne daß Persönliches sichtbar werden müßte.
Sein störrischer, autistischer Zugang wird zum Gegensteuern,
in den ersten Jahren scheu revoltierend, verhalten aggressiv,
phasenweise Sadismus, Perversion, Penetranz miteinbeziehend,
aber bereits parallel dazu auch distanzierter, für Aggression
und unvorhersehbare Kombinationsmöglichkeiten weiche und unauffällige
Formen verwendend. Leicht verfügbare - also angeblich arme
- Materialien interessieren ihn von Anfang an. Welcher Überlegungsdurcheinander
dem jeweils zugrundeliegt, ergibt sich in einem zögernden,
der Zeit ihren Druck nehmenden, sie vertreibenden Prozeß.
Zugehörige Gesetze müssen ihre Brauchbarkeit immer aufs neue
beweisen bevor sich ein Kodex herausbildet. Dem einzelnen
Werk selbst wird mit Skepsis begegnet; wichtiger sind die
Vorgänge. Vollendung ist kein Thema. Die Teile sind früher
da als das Ganze. Sie bestimmen, wie sie zueinanderpassen.
Was wahrnehmbar ist, was wahrnehmbar wird, ergibt sich aus
einem Zusammensetzen. Freiheit von Beunruhigung, von Angst,
von Blockierung wäre wichtiger als jede Beschäftigung mit
dem Endgültigen, mit dem Tod, weil jede Art Leben zwangsläufig
unvollendet bleibt. Zeigen läßt sich das nicht, nur abarbeiten.
Die zugehörige Sprachlosigkeit braucht Form, die konkretisiert,
was sich anders nicht konkretisieren läßt, also auch dokumentiert,
daß vieles einfach nicht geht. Inhalte ergeben sich, ohne
daß deren Eigenheiten hinreichend präzise verzeichnet werden
könnten und das heißt auch, daß begleitende Sätze mit ihrer
Fragwürdigkeit zurechtkommen müssen, selbst wenn mit ihnen
nicht interpretiert sondern argumentiert werden soll, als
Erforschung von Prämissen. Aus Hochmut gegenüber Banalitäten
werden sie nicht unbedingt gehaltvoller. Eine Andeutung kann
andeuten; zum Beispiel, daß bei Gironcoli trotz aller Verflechtungen
von Fremdheit und Vertrautheit als Haltung spürbar wird: Gewalt,
selbst Empfindungen gegenüber, ist nie allein Sache der anderen;
es geht weiterhin um Ursachen und deren Verneinung, um Abfolgen,
um Unterschiede, um Bedeutungen, nur ändern sich deren Erscheinungsweisen
und Relationen ständig.
Weil er sich viel erspart, wird vieles deutlicher. Weil er
sich nicht damit entschuldigt, daß er nicht wissen kann, was
er tut, entsteht irritierende Offenheit. Die Hermetik und
Statik seiner Formen ist dazu kein Widerspruch, sie behütet
Verborgenes vor Zudringlichkeit. Sie ist aber auch Aussage
darüber, daß nicht unmittelbar Wahrnehmbares eine beharrliche
Beschäftigung mit ihm erfordert, als potentiell subversive
Aktivierung von Erinnerung. Ein Hinzeigen auf etwas würde
das eigene Täter-Opfer-Potential aussparen. Ein Erzählen würde
von Natürlichkeit und Künstlichkeit sprechen, deren Wirkungsweisen
sich einem Urheber fügen. Ein Darstellen würde Bewegung in
die Sache bringen, wo um ihretwillen Erstarrung und Beobachtung
angesagt sind. Ersetzt wurde das alles durch Beharrlichkeit,
die nicht mit gewollter Absurdität spekuliert, sondern Absurdes
durch Aufwertung herausfordert, kenntlich macht, in Balance
hält, indem es Form bekommt. Es entsteht ein eigenes Bild
von der Lage der Dinge. Bearbeitet wird, was noch nicht gewußt
werden kann. Bearbeitet wird, was sich anders nicht herausfinden
läßt. Erklärungen tun sich schwer, weil sie sich schwer tun
sollen, das heißt aber noch lange nicht, daß sie überflüssig
sind. Eine Kunst, die sich Begriffen und einem Begreifen völlig
entziehen will, ist nicht seine Sache, trotzdem versperrt
sich deren Substanz einer Umsetzung in Texte. Die Sphären
sind verschieden, ohne daß solche Differenzen eine pathetische
Distanzierung brauchen. Leichtigkeit wird nicht als mindere
Kategorie angesehen. Es sind die Kategorien selbst, die in
Fallen gelockt werden. Allgemeines wird zu Besonderem, Besonderes
zu Allgemeinem, wobei die Überlagerungen von Gemeinplatz und
Universellem als Familienähnlichkeiten gesehen und angenommen
werden. Sicherheiten ergeben sich auch aus den dazu üblichen
großen Worten nicht. Eben weil in Gironcolis Arbeit über vieles
geschwiegen wird, eher beiläufig und ohne Inszenierung eines
finalen Schweigens, wird sie Teil einer Realität, die nicht
so ohne weiteres von diversen Konsensformen verdunkelt werden
kann.
Etwas, das still vor sich hin vegetiert
Vieles vom bisher gesagten läßt sich wegschieben, in einen
Wartesaal resümierender Argumente, wo sich dessen Präzision
stets aufs neue Überprüfungen stellen müßte. Als Verallgemeinerung
gilt das immer auch für etwas, das nicht gemeint sein konnte;
kommt es Speziellem zu nahe, macht es sich überflüssig. Sprachliche,
also formale Genauigkeit kann etwas begreifbarer aber auch
unbegreifbarer machen. Aus diesem Antagonismus befreit unter
Umständen die Beobachtung von Abfolgen, von Abfolgen und Rückbezügen,
anhand derer sich wiederum andere Zugänge zur schweigenden
Ästhetik Gironcolis ergeben. Mein Ziel war ein ästhetisches
sagt er so dezidiert, daß ausufernde Kommentare plötzlich
verlassen dastehen, und weiter, seine Bemerkungen langsam
zu eruptiv hervorbrechenden kategorischen Aussagen steigernd:
Ich hätte immer nur über das Ding eine Antwort auf diese Welt
treffen können, nie über meine Person selber. / Mir ging es
um eine Ausschließlichkeit ohne viel Gebärden, um einen Gegenstand,
der so einfach und still und unattraktiv, so rauh und zackig
wie möglich sein sollte. / Ich wollte immer wieder etwas finden,
das ganz in der Stille seiner eigenen Aura zuhause ist und
nichts nach außen Weisendes in sich zeigt. / Es ging mir darum,
Schönheit in etwas zu suchen, das ohne viel Artikulation seine
Existenz hat. / Mich hat immer der Sachverhalt beim Machen
interessiert, dieses unmittelbare Geschehen, und nie das mittelbare
der Interpretation. / Mein psychisches Bewußtsein und mein
ästhetisches Verlangen haben einen Zug zur Stille hin erzeugt,
hin zu Dingen, die Kraft ihrer einfachen Oberfläche in ein
Schweigen geführt werden. / Mir ist es nicht um Ausdruck gegangen.
Mich hat die bildhauerische Idee dahinter interessiert, eben
eine gewisse Stille und Erstarrung.4
Die Kompaktheit solcher herausgegriffenen Sätze negiert aber
die Nuancen dessen, was sie vorbereitet hat, was sonst noch
vor sich geht. Nebensächliches hat letztlich das gleiche Gewicht,
zum Beispiel, wenn darauf verwiesen wird, wie stark ihn das
möglichst Gewöhnliche beschäftigt: Ich habe mir in Kaufhäusern
dauernd Plastikhäferln angeschaut, Vim- und ATA-Flascherln,
Seifenschalen, Schachteln; also lauter Dinge, die keine Luxuswelt
beschreiben, sondern im Alltag vom Menschen gebraucht werden.
Alles das hat mich berührt. / Ich habe versucht, im Kleinen
das Große wiederzufinden. / Beeindruckt hat mich, wie solche
Dinge mit ihrer Dünnwandigkeit ihr Selbstbewußtsein in der
Welt aufbauen. / Obwohl das überhaupt kein interessantes Design
ist, sondern das Letzte vom Letzten, hat es doch etwas Eigenes,
und dem bin ich nachgegangen. / Eine solche Qualität des Objekthaften
hat auch Kinderspielzeug, das selbstgemachte und das gekaufte.
Nahezu alle Weltgegenstände werden von ihm abgebildet. Es
gibt Puppen, Autos, Flugzeuge, Christbäume. Was reproduzierbar
vorliegt wird reproduziert. Meine stille Welt hat damit Beispiele.
Man muß sie bloß wiederfinden, ihnen im Realisieren neu begegnen.
/ Nur: Design war damals nichts was mich interessiert hätte.
Ich war in meinen Gedanken, in meinen Träumen viel zu unbürgerlich,
als daß ich über Design eine Wiederherstellung bürgerlicher
Ansprüche hätte dulden können. Das ist irgenwie kurios. /
Wo ich mich herumgetrieben habe, war alles ohne Qualität,
das war das schäbigste Ausbeuten einer Idee und das hat mir
ja gefallen.
Der damit angesprochenen Phase der ersten Ausstellungen (1967,
Galerie Heide Hildebrand, Klagenfurt / 1968, Super-Design,
Galerie nächst St. Stephan, Wien, mit Roland Goeschl, Hans
Hollein, Oswald Oberhuber, Walter Pichler) waren Jahre beharrlicher
Versuche vorausgegangen. Das Zeichnen nach der Natur ist bis
zur konkreten Erfahrung von Endpunkten vorangetrieben worden,
in permanenter Auseinandersetzung mit van Gogh, mit Giacometti
und trotz der damaligen Tabuisierung alles Figuralen. Nach
abgebrochener Schulausbildung und einer Lehre in einem metallbearbeitenden
Betrieb in Innsbruck hatte er zu malen begonnen und phasenweise
an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien studiert. Sein
zähes Erforschen der eigenen Möglichkeiten schildert er heute
als weitgehend autodidaktischen Prozeß. Zuerst hat er Nachahmungen
versucht, dann jahrelang hauptsächlich Köpfe gezeichnet, seinem
Hang zum Konkreten nachgebend, solange, bis diese Art der
Beobachtung aussensibilisiert gewesen ist, bis er nichts mehr
hervorholen konnte. Schließlich habe er nur noch Zeichnungen
zustandegebracht, die zwar vor dem Modell das Konkrete versuchten,
aber zugleich Fragen des Lebens in einer expressiven Sprache
mitvollzogen haben, relativ wüste Zeichnungen, wie er sagt,
die Arbeit begleitend, jedoch zunehmend abgelöst vom Kontext
seines ästhetischen Empfindens. Der vielleicht ein-, zweihundertmal
gezeichnete Kopf war eigentlich fast meine letzte Zeichnung,
behauptet er jetzt, als Schritt zu Bezugssystemen im Raum
und zur skulpturalen Seite der Zeichnung, also dem Versuch,
das Freundliche in ihnen zu entwickeln. Daß ihm Bildlösungen,
als zweidimensionales Konzentrat von Mehrdimensionalem, wichtig
geblieben sind, wird damit nicht bestritten, nur mit den Initialphasen
in Zusammenhang gebracht. Bestärkt bei seinem Schritt von
der Malerei - die mir nie gelungen ist, wie er nun konstatiert,
schon weil ihm die Grundierungen viel besser gefallen haben,
als das dann entstandene Bild - hin zur Skulptur, haben ihn
Experimente, bei denen er in handwerklich-professioneller
Weise Metallteile in Bilder montiert hat. Daraus ist eine
vorrangige Beschäftigung mit einem Gebildemachen geworden.
Die frühen Polyesterarbeiten sind Köpfe (1964/66) und auch
die Drahtplastiken (1960/64, ausgestellt im Museum des 20.
Jahrhunderts, Wien, 1970) sind karikaturhafte Zeichensetzungen
für den Kopf, um einen offenen Raum und eine räumliche Atmosphäre
um ihn herum zu gewinnen. Immer stärker wurde die Sehnsucht
nach etwas Einfachem, gerade weil ihm das, was er zustandebrachte,
ständig ungenügend erschienen ist; gemessen an den Kunstauffassungen
der Zeit und an den eigenen Wertvorstellungen als gespaltenes
Subjekt. Viele Versuche wurden abgebrochen, weil Wiederholungen
nicht weitergeführt hätten, weil auf solche Weise zuwenig
Aussage über diese Welt, wenn so etwas überhaupt darstellbar
ist, möglich war.
Des Kopfes ist er schließlich als Modell überdrüssig geworden,
aber der Schritt zu Formen für ihn, die - von anderen und
von Gironcoli selbst - plötzlich als Angleichung an Möbelstücke
gesehen worden sind, hat der Skulptur und dem Thema der Oberfläche,
so wie es sich bei Kleiderkästen stellt, die Richtung gewiesen,
näher zu Stille, zu Bewegungslosigkeit, weg von der zwangsläufigen
Dynamik der Zeichnung, hin zu etwas in sich Ruhendem, das
ohne viel Artikulation seine Existenz hat, also weder von
einem neuen Expressionismus noch vom abstrakten Bild, das
ihm damals tot erschienen ist, herkommt. Das Statement dazu
heute: Wenn man sich so die tausend Formen von Kleiderkästen
anschaut, die die Menschen entwickelt haben, sind da welche,
die durchaus die Frage aufwerfen, warum sie denn gerade Kleiderkästen
geworden sind. Sie hätten etwas anderes auch werden können,
zum Beispiel: Skulptur. Lebendigkeit, so betont er, ergebe
sich aus der gestalteten Oberfläche mit ihrem Oberflächengeschehen,
Symmetrien wiederum können zeigen, wie etwas still vor sich
hin vegetiert: Ästhetisches bekommt erst in dieser dürftigen
Gestaltung seinen vollen Wert.
Warten auf Bewegung
Ich habe eher einen Klang gesucht, keine Abstraktion, heißt
ein weiterer Kommentar dazu, ich wollte ja nichts machen,
was andere schon fertiggestellt haben; ich wollte meiner Welt
begegnen und Fragen, die für mich noch ungeklärt sind, berühren.
Ich habe wohl auch das verlorene Menschenbild gestalten wollen,
ohne es dafür zu setzen. Daß ihn Existentialismus und Frankfurter
Schule intensiv beschäftigt haben - diese Ausdeutung des Materialismusdenkens
/ die Interpretation der zweiten Linie von Sozialismus / die
war mir lieb / Adorno hat mich sehr interessiert - kommt zur
Sprache und wird auch in Zusammenhang damit gesehen, daß seine
gelegentlichen Versuche, die Zeichnungen und Skulpturen verbal
zu begleiten und über Ausgangspunkte seines Handelns Auskunft
zu geben, bei Interpreten immer wieder eine scheinbar dazupassende
Phraseologie begünstigt haben. Aber letztlich, so seine heutige
Haltung dazu, schützen sich die Objekte selbst davor, da so
etwas auch Ausdruck der Zeit und einer gewissen Hilflosigkeit
des Satzbildes gegenüber dem Thema Bildhauerei ist. An den
gedanklichen Ausgangspunkten könne sich ohnedies nichts mehr
ändern, nur am eigenen Verhältnis zu ihnen: Das ist aber auch
alles. Das heißt nichts anderes, als daß sich die angesammelten
Erfahrungen vom Erleben nicht abkoppeln lassen, wie sich die
theoretische Zentrierung von Politik und Ökonomie zur Ästhetik
hin verschoben hat und wie politische Alternativen demontiert
worden sind, zuerst im hochentwickelten Warenwirtschaftssystem
selbst, das eher als Restgröße denn als Gewinner übrig geblieben
ist, dann überall dort, wo sich dessen Ausweitung lohnt. Aus
den formalen Ausdrucksqualitäten ergibt es sich mit einer
gewissen Logik, daß einer dieser rational-irrationalen Ökonomisierung
dienenden Ästhetik weder Material noch Gesprächsstoff geliefert
wird. Es entsteht etwas Insulares, das bei sich bleiben will,
ohne eine solche Isolierung zu genießen. Trotzdem bietet der
selbstabgesteckte Raum genug Platz für Vielfältigkeit. So
sehr eine eigene Ökonomie als bestimmende Kraft einbezogen
wird, so wenig fügt er sich bei der Produktion und Verwertung
seiner Skulpturen und Zeichnungen deren allgemeinen Gesetzen,
weniger aus Widersetzlichkeit als aus Desinteresse diesen
Mechanismen und ihrer Enge gegenüber.
Meine Einschätzung, daß in seiner Arbeit schon früh eine
im Trostlosen, Quälerischen durchschimmernde, versteckte Gelassenheit
und Heiterkeit - als stoisches Element - präsent ist und dieses
Zusammenwirken von Zuspitzung und Entlastung spätestens im
Zuge des von außen forcierten Bewußtseinswandels deutlicher
erkennbar wird, teilt er nur bedingt, weil ihm derartige Selbstanalysen
nicht möglich seien, ihn aber zweifellos früher, als er jünger
war, alle diese Dinge, die ums Leben herum passieren, weit
mehr erschreckt haben als jetzt. Da er immer öfter überprüfe,
ob stimmt, was er wahrnimmt, entstehe sicher sowas wie Gelassenheit,
die sich auch in der Arbeit niederschlägt, nur werde sie,
auf seine Person bezogen, meistens mit einer ihm oft anzusehenden
unmenschlichen Müdigkeit verwechselt. Insistierend die Skulpturen
und Bilder mit einem Warten, mit einem Warten auf aufgehaltene
Bewegung, auf Wunscherfüllung, auf ein noch nicht greifbares
Potential in Zusammenhang bringend, gibt es verhaltene Zustimmung.
Nur gleicht mein Warten - so seine relativierende Aussage
dazu - eher dem Warten der Schlange, die von einer Lichtquelle
irritiert ist und nicht weiß, was sie tun soll; sie bleibt,
wo sie ist und wird von einem Auto überfahren. Dieses Warten
ist nicht das überlegene, spekulative Warten; bei mir ist
es eher ein nervöses Warten, eine Hilflosengeste. Damit zu
tun hat auch, daß Elektrizität oder Gas in vielen Arbeiten
thematisiert, aber nicht eingesetzt wird. Es ist nie sicher,
ob die Schalter, Stecker, Hähne, Leitungen und Rohre tatsächlich
funktionieren. Das Bedrohliche macht bloß einen kaputten Eindruck.
Zugleich scheint es eher um ein Warten auf Energie zu gehen
und um Angst vor unbekannten Auswirkungen. Letztlich ist diese
Symbolik jedoch sicher noch komplexer zu verstehen, nicht
bloß als Analogie zur Furcht vor dem Gewitter. Dessen Funktion
als der moraltheologische Ort, sich seines schlechten Gewissens
zu erinnern, weil die längste Zeit Blitz und Donner als Vorzeichen
des Jüngsten Tages angesehen worden sind, ist ohnehin durch
das Wissen um Elektrizität (und durch den Blitzableiter) eliminiert
worden.5 Wiederholungen solcher Situationen ergeben sich dennoch,
als Ausgeliefertsein, als Verselbständigung verfügbarer Energien.
Gironcoli sagt dazu lakonisch, er selbst verstehe sich im
Grund als Antriebsaggregat, als Operator mechanischer Vehikel,
die er, als Vorstellung, in Bewegung setzt. Maschinell sind
die Vorgänge, als Abhängigkeiten im Kopf, nicht die Objekte
selbst. Bewegung braucht nicht tatsächlich stattzufinden,
sie hat ihre eigenen, vielschichtigen Möglichkeiten. Strom
ist für ihn daher bloß eine plakative Metapher, ein Bild für
viele Dinge, etwa für Waffen, im übertragenen und tatsächlichen
Sinn, da durch Erweiterung von Aktivitätsfeldern erkaufte
Bedrohungen den Menschen zum Zwitterwesen mit einer Leidenschaft
für Prothesen machen, dessen Erkenntnisse für gewöhnlich auf
erzwungenen Geständnissen anderer beruhen. Daß auch vieles
aus dem Erosbereich kommt, kann und will er sprachlich nicht
berühren, weil er in seinen Bildern ohnedies oft sehr weit
gehe mit einem Pornographiegeplapper. Strom sieht er zugleich
als ganz primitiven Hypnosevorgang; das Warten auf ihn ist
das des Spielers, der von vornherein sagt, ich gewinne eh
nicht, ich warte einfach darauf, was passiert. Und diese Stecker
sind nicht ein globales Verbinden, sind nicht Interkommunikation,
sondern gerade das Vergessen auf solche Sachen. Ich stecke
ihn nicht hinein, um eine Reaktion zu haben, sondern um auszudrücken,
wie schön es wäre, wenn alles das eintreten könnte, aber gleichzeitig,
wie gefährlich es ist, wenn man das tut.
Daß beim Warten irgendwann Beruhigung eintritt, also Wildheit
verlorengeht, Nervosität zu Geduld wird und ein Perfektionszwang
überhand nehmen kann, ergibt sich daraus jedoch nicht so ohne
weiteres. Gironcoli unterläuft Vollendungsmanien, indem letztlich
alles mehr oder minder unfertig bleibt; ein Zug vom Rauhen
und Trümmerhaften zum Glatten und Geschlossenen und Schweren
ist trotzdem feststellbar. Materie verdichtet sich. Volumen
und Gewicht nehmen zu. Ob es sich nicht doch um Hohlkörper
handelt wird nicht sichtbar. Die Haut ist wichtig. Farben
unterstreichen, daß andere Materialien erwünscht, denkbar
aber nicht notwendig wären. Ihre metallene Tendenz, zuerst
mit Blei-, Zink-, Silbertönen, nimmt die spätere Rede von
der bleiernen Zeit vorweg.6 Der immer dominanter werdende
Bronzeanstrich, bis hin zu Gold, als Farbe, bricht damit,
ohne sich vom eher Schäbigen zu lösen, um schließlich mit
Aluminium für mögliche Endfassungen wieder in anderer Weise
Kälte, Hitze, Licht und Spiegelungen auf die Oberfläche zu
bringen. Gentechnische Assoziationen können sich ergeben,
sie werden aber vom Beobachter und seinen Vorurteilen produziert.
Das Embryonale und Puppenhafte der oft in vegetativ-technische
Formationen einmontierten Figuren ist dem Vorläufigen näher
als irgendeinem unbekannten neuen Stadium; es genügt, daß
sich im Unfertigen ein noch unausgeformtes Potential verbirgt.
Ein Mehr an Genauigkeit würde im Moment nichts bringen. Daß
der Mensch unter Umständen verschwindet wie am Meeresufer
ein Gesicht im Sand (Michel Foucault),7 ist die latente Gegenthese
dazu. Claude Lévi-Strauss hat sich nicht gescheut, das ohne
jede Einschränkung auf den Punkt zu bringen: Die Welt hat
ohne den Menschen begonnen und wird ohne ihn enden.8 Die Zeit
scheint mit ihren Dimensionen vor einer solchen Dramatik zu
schützen; eine Ästhetisierung von Apokalypse fördert bloß
Gewöhnung. Gironcoli interessiert so was nicht, er grenzt
sich davon entschieden ab. Sein Raum für Überlegungen ist
zwangsläufig ein femininer, mit einer blassen, reagierenden
Präsenz des Männlichen, dessen Phantasien zu spüren scheinen,
wie abhängig es ist und wie aggressiv-kompensierend es damit
umgeht. Inwieweit ein damit einhergehender Wahnsinn echt oder
gespielt ist, läßt sich nicht unterscheiden. Manifest wird
aber, daß ein instinktives Arbeiten gegen sogenannte eigene
Interessen stattfindet. Zu erahnen sind, wenn überhaupt, dann
Variationen einer komplizierten, quälerischen und einer unbekannten
Erotik, auch des Denkens, mit Mischformen, deren Zusammenhalt
auf Umhüllung angewiesen ist. Als gleichsam klimatische Vorgabe
wird evident, daß Sexualität eine Grundform des Mißverstehens
und damit auch des Verstehens ist, mit aus Vereinigung und
Trennung bezogener Intensität, mit emotionellen Exzessen,
Ersatzhandlungen, Heimlichkeiten, mit Eifersucht, Rivalität,
Ermüdung und unkontrollierbaren Verzweigungen. Denn was sich
feststellen, also festhalten läßt, wird zur Negation. Erst
daraus ergeben sich immer wieder neue Ansätze. Die Spannung
hält an, weil sich die so entstehenden elementar-kombinatorischen
Zeichen nicht von analytischer Rationalität und dem Realen
lösen wollen, nur läßt sich vieles bloß vorläufig oder in
nicht verbalisierbaren Sprachen zum Ausdruck bringen.
Das wird sogar an seinem Umgang mit den Dingen selbst deutlich.
Vom endgültigen Aufstellungsort wird es jeweils abhängen,
ob das Provisorische ausreicht oder Aluminiumgüsse angefertigt
werden müssen. Bis es soweit ist, lebt er mit seinen in Teilen
herumliegenden Arbeiten wie in einem vergessenen, bis oben
hin angeräumten Lagerhaus, atmosphärisch dem Pfandleiher Rod
Steigers näher als irgendwelchen überschaubaren Ordnungen.9
Gewöhnliches und Ungewöhnliches kommen dabei so selbstverständlich
miteinander aus, weil - wie bei einem Altwarenhändler - die
Wertigkeiten egalisiert oder verändert sind; erst durch ideelles
Recycling und definitive Montage werden Vorschläge für neue
Abstufungen und Kombinationen gemacht. Bei Gironcoli geht
es um eine Rekonstruktion und Neuformulierung von Requisiten
und hochkommenden Vorstellungsbildern, nicht um eine direkte
Benutzung irgendwelcher Fundstücke. Was an Wiedererkennbarem
wiederverwendet wird, beweist und bewertet aus seinem Blickwinkel,
inwieweit sich Bedeutungen und Begriffe je nach Gebrauch in
ihrer Funktionsweise verändern: Haushaltsgeräte, Kübel, Gefäße,
Lautsprecher, Kornähren, das Edelweiß, Weinblätter, Trauben,
Glühbirnen, Fotos, Kriegsmaterial, Hunde, Affen, Schafe, Vögel,
Sanitäreinrichtungen, Eßbesteck, Flugzeuge, Totenschädel,
Maschinenteile, Gitter, die Madonna, Pölster, Spiegel, Puppen,
das Hakenkreuz, das Herz, Stöckelschuhe. Der oft auftauchende
kauernde Mann gibt Größenverhältnisse an, gleichzeitig bleibt
völlig unklar, was er in dieser Umgebung zu suchen hat. Beziehungen
zu ihr und ihren Apparaten sind trotzdem existent, gerade
weil er als Schablone auftritt, als Hülse, als Silhouette.
Der Beobachter und Beobachtetes haben miteinander zu tun,
ob das gewollt ist oder nicht. Gironcoli nennt ihn manchmal
den Lehrling oder Robert, manchmal auch Murphy, einfach so,
mit dem vagen Bezug, daß sich bei Beckett erschöpft wirkende
Sätze über ihn finden lassen, wie: Es gibt keine Mrs. Murphy
- und anderswo - Das Fenster war nicht erleuchtet, aber das
beunruhigte sie nicht, da sie wußte, wie sehr er dem Dunkel
verfallen war - mit der Wiederholung ein paar Zeilen weiter
- Kein Laut drang aus Murphys Zimmer, aber das beunruhigte
sie nicht, da sie wußte, wie sehr er der Stille verfallen
war, um lange in ihr zu verharren.10
Das Ding im Raum, nicht Aktion
Ein derartiges Verharren sieht Bruno Gironcoli bis heute
als durchaus bezeichnend für seine Vorgangsweise an, die Beschränkung
auf formale Kategorien, auf der Dingwelt zugehörige Kategorien
meinend. Direktes menschliches Engagement, das zur Handlung
hinführt, war damit ausgeschlossen, sehr im Unterschied zum
die damalige Wiener Situation potenzierenden Aktionismus von
Nitsch, Mühl, Brus, an dem ihm der Anspruch und das Hantieren
mit einfachen Möglichkeiten, mit Staub, mit Blut, mit Rotwein,
sehr schlüssig erschienen sind. Ihm selbst jedoch ging es
im weiteren um die Autistik einer Dingbezogenheit. Daß ein
Aktionist ins Leben treten mußte, mit Selbstbewußtsein und
Ehrlichkeit, in der er sein Werk bettet und badet, habe ihm
wiederum anderes ermöglicht, nämlich, auch in der Arbeit,
schüchtern bleiben zu können. Er hat sich auf das Ding konzentriert,
nicht auf die Möglichkeiten der Person oder gar des Körpers.
Angesprochen ist er vor allem von der räumlichen Darstellung
der Aktionisten geworden. Bei ihm hat das zur Skulptur, die
sich am Boden ausbreitet geführt, zu seiner in dieser Zeit
entwickelten Offenheit der Skulptur. In den 1969 in der Galerie
nächst St. Stephan gezeigten Arbeiten bezieht er sich mit
einer Art Turngerät, das nicht in positive Formen des Lebens
eingreift, auf eine Geschichte des Sadismus und genauso auf
persönliche Entgleisungen. Die Ausbeutungs- und Gefangenensituation
in einem Haushalt wird durch ein Paar Schuhe auf einer umgrenzten
Bodenfläche thematisiert, mit Schrubber, Kübel und Keramikfliesen,
aus einer Säule mit Totenkopf und Tisch und Lampe wird ein
Sezierraum für die Psyche. In die Modellpuppe einer Frau ist
ein Heizkörper eingebaut, um sie, als Vorstellungsspiel, erwärmen
oder ganz heiß machen zu können. Damit ist ein primitiver
Brutalismus des Lebens berührt worden, wie er heute sagt,
mit Bezügen zu den damals reaktivierten Denkmodellen von Marx
und Freud und an sie anknüpfenden Theorien, im Sinn einer
differenzierten, weiterführenden Analyse von Ursachen psychischer
Verformungen. Eine Zeitlang hat ihn aus solchen Zusammenhängen
heraus Joseph Beuys sehr beschäftigt, nur konnte er dessen
Ausweichen in mystische Sphären bald nicht mehr folgen. Auch
zu anderen, in diesen prägenden Phasen dominanten künstlerischen
Positionen kommen eher abwehrende Kommentare. Claes Oldenburg
etwa ist ihm zu erfinderisch, Edward Kienholz zu vordergründig,
überdies konzentriert auf ein ihm fremdes großes Thema. Anselm
Kiefer berührt ihn nicht, vor allem nicht mit seinen Skulpturen,
eher noch als Maler, mit den Bildern zur Aufarbeitung eines
bestimmten Milieus in Deutschland. Gironcoli hat sich auch
auf Konzeptkunst nicht einlassen können: Diese Form war mir
nicht möglich, weil sie eine gesellschaftliche Selbstsicherheit
braucht, um das zu vertreten und zu verbreiten. In Wien war
ihm Walter Pichler durchaus nahe, mit seiner Eliminierung
der Grenzen zwischen Skulptur und Architektur und seiner permanenten
Selbstbeschreibung, nur hat er das letztlich nicht als beispielhaft
verstehen können. Er selbst habe, so betont er, immer eine
Art Großstadtleben als Grundlage der eigenen Betrachtungen
vorgezogen, nicht als Teilnehmen aber als Erfahrungsraum;
ein anderer brauche eben für seine Kunst auch thematisch Rückzugsformen.
Was ihn positiv betrifft, ist eher auf ein Jetzt bezogen,
auf Momente; sogar die Namen dazu fallen ihm nicht so ohne
weiteres ein; und Kunstgeschichte interessiert ihn bloß als
Geschichte. Die behauptete Verlassenheit von Theorie wird,
gerade im Zuge der Verlagerung von literarischen zu philosophischen
Prämissen, nicht als undiskutierbarer Mangel, eher als Lokalkolorit
gesehen. Trotz der hier geäußerten berufsspezifischen Skepsis
verfolge er eben alles, was mir an anderen Künstlern gefällt
und an mir gefällt. Was das ist, läßt sich nicht so ohne weiteres
festhalten, also auch nicht aussprechen, es taucht einfach
auf.
Künstleraussagen zu eigenen und fremden Arbeiten gehen eben
von anderen Distanzen aus als Analytiker und Beobachter. Ausschließlich
auf Tatbestände ausgerichteten Konventionen würde es entsprechen,
sie völlig zu negieren, Bedingungen und Motive unberücksichtigt
zu lassen, als Ausgrenzung jener zusätzlichen Dimensionen,
die Person und ihre Arbeit, als Bindung und Loslösung, betreffend.
Sich dem nicht zu fügen, heißt nur, sich eben nicht zu fügen
und der künstlerischen Intention das entsprechende Gewicht
zuzuordnen. In den Zonen, wo Bedeutungen, Wertigkeiten und
Sinn konstruiert, verändert, zerstört werden, wo Grade von
Sinnlosigkeit behauptet werden, wo vieles konträr zur geringen
Wirksamkeit von Bildung und Information entsteht und dort
wo eine sich der Kultur widersetzende Decodierung Raum verteidigen
muß, sind - so oder so - auch noch so desperate Feststellungen
und Modelle immer wieder die einzigen Kräfte, die nicht in
der widerspruchsfreien Summe kompetenter oder weniger kompetenter
Meinungen untergehen. So etwas lebendig zu nennen, versetzt
alles andere in einen Gegensatz dazu. Gironcoli sieht seine
Stellung in solchen theoriebildenden Abläufen allerdings provokant
gelassen: Der Bildhauer hat ja immer die fröhliche Situation,
etwas in den Raum zu stellen, das fraglich ist; es wird von
der Gesellschaft befragt, der Form nach befragt, es wird akzeptiert
oder nicht akzeptiert, angeschaut oder nicht angeschaut. Diesen
altmodischen Vorsprung hat ein Bildhauer. Ein sozusagen moderner
Bildhauer geht aber weiter, er bringt seine persönlichen Gegebenheiten
mit denen der Gesellschaft gleichsam in Einklang, indem er
unmittelbar zur Konsultation und zum Konsum anbietet. Die
Sache realisiert sich somit nicht auf ihre Weise sondern in
dem sie sich auflöst. Da ich in mir nicht die Stärke empfunden
habe, so über meine Skulptur hinaus handeln zu können, ist
mir nur der Rückgriff auf ein altmodisches Künstlerbild geblieben,
mit einer vergleichsweise konventionellen Form der Bildhauerei.
Dennoch hatte sich sein Skulpturbegriff früh vom in sich gerundeten
Einzelstück gelöst. Skulptur war für ihn kein Bündel von Energien
mehr, sondern eine im Raum ausgebreitete Fläche von Überlegungen,
also eine Architektur der Überlegungen. Damit hat er das Konstituierende
von Gegenwartskunst mitgeprägt, ob es sich nun um die Thematisierung
des Kunstwerks im Raum und die Aufhebung der Grenze zur Architektur,
die Frage der Autorenschaft und zugehöriger Fertigkeiten,
Destruierung und Rekonstruktion, das Heterogen-Hybride, das
Interesse an direkter Intervention (aber eigener Reserviertheit
demgegenüber), die Ausdifferenzierung von objekthafter Körperlichkeit
oder die Auslotung der Mechanismen von Gedächtnis und Erinnerung
handelt.11 Statt ständigen Fortschreitens ist ihm aber immer
wieder ein Einkreisen konsequenter erschienen.
Auf die Ausformung seines Begriffs von offener Skulpur hat
er mit einer neuerlichen Verdichtung geantwortet. Eine weitere
Produktion ähnlicher Objekte, so beschreibt er diese Wendung,
hätte zu einer Handlungskette führen müssen, die als zeitgemäße
Fortsetzung in den Raum, im Sinn einer offensiven Positionierung
und Verteilung, ihm unmögliche Verpflichtungen abgefordert
hätte. Auch wollte er nicht an der eigenen Retrospektive arbeiten.
Um alle seine Fähigkeiten zu integrieren, hat er das alte
statische Skulpturenprinzip bis zu einem gewissen Grad gebraucht;
gebraucht hat er auch etwas, das er mit ihn beschäftigenden
Dingen belasten konnte. So habe er sich mehr und mehr auf
Figuren, wie er sie jetzt noch mache, konzentriert, mit wechselnder
Intensität davon besessen, daß sie modern, ein Beitrag zur
Moderne, also noch sachlicher sein müßten. Es seien aber immer
wieder Skulpturen ganz normaler Form entstanden, ihr Anderssein,
so betont er, ist wahrscheinlich das, was kein Mensch überschreiten
kann, sein persönliches Empfinden in dieser Zeit. Ihre Größe
und Unhandlichkeit hat sich teils aus einer Auflehnung gegen
das sonst so Anbiedernde seiner Formen ergeben, teils aus
den räumlichen Möglichkeiten an der Akademie der bildenden
Künste, an die er 1977 als Wotruba-Nachfolger berufen worden
war. Eine neue Präzision und Statik folgte aber auch daraus,
daß etwa ein Umbau der Skulpturen möglich werden sollte. Das
Bedürfnis immer weiter zu variieren schwindet, weil sich die
Konzentration auf einige grundlegende archaische Themen, nicht
als Vergangenheitsorientierung sondern wegen deren Präsenz
und Wiederkehr, als erschöpfend herausgestellt hat. Ähnliches
fordert eine Auseinandersetzung mit dem immer Gleichen. Es
geht auch um Verlangsamung, um Abstand. Das Erschrecken über
überall stattfindende Wiederholungen motiviert zu Gründlichkeit.
Was nicht überwunden werden konnte, muß in möglichst komplexen
Bezügen bearbeitet werden. In solchen Sichtweisen bestätigt
sich Walter Benjamins Szenario: Mit dem rapiden Tempo der
Technik, der ein ebenso rapider Verfall der Tradition entspricht,
tritt der Anteil des kollektiven Unbewußten, das archaische
Gesicht einer Epoche viel schneller als früher ans Licht ...12
Also müßte sich der Raum für ein Erinnern erweitern, als Chance
für ein Wahrnehmen und für Entgegnungen. Ein derartiger Blick
aktiviert aber auch zur Selbsterforschung, etwa im Sinn der
Feststellung Bazon Brocks: Kein Faschist ist nur, wer von
sich weiß, daß er durchaus einer sein könnte.13
Im einzelnen ergeben sich die Inhalte dann weitgehend aus
dem Arbeitsvorgang selbst. Die Auseinandersetzung mit einer
entstehenden Figur, von der auch im Kopf noch kein Bild existiert,
ruft erst in langem Arbeitsaufwand etwas hervor, das sich
jeder unwillkürlichen Prädestination widersetzt. Zunehmende
Bestimmtheit sei von eigenwilligen Wiederholungen abhängig,
betont er, und vom laufend erneuerten Vorgang, sich als Persönlichkeit
preiszugeben. Welcher Formenreichtum dennoch möglich wird,
beschäftigt ihn weiter; zum Beispiel im Zusammenwirken von
Metall und den vergleichsweise wichtigeren, davon getragenen
Weichteilen; Körper und Software bleiben sichtbare Materie,
aber deren Transformation zu Sprache, als Matrix für Weltentwürfe,
scheint greifbar. Ein knappes Resümé dazu: Ich mache keine
Maschinen. Besonders bei den Riesenskulpturen der letzten
Jahre, aus Stahl, Holz und Polyester, lautet die Bezeichnung
oft Ohne Titel oder sie besteht aus einfachen Wörtern bzw.
Wortfolgen, wie Große Figur, Mutterfigur, Gebärmutter, Väterliches
Mütterliches eine fiktive Modellvorstellung, Die Eltern mit
zwei Tischaufsätzen. Aus der in frühen Arbeiten allgegenwärtigen
Trostlosigkeit, wo alles abwesend ist, was vor Verlorenheit,
vor einem Erschrecken, vor quälerischer Normalität schützen
könnte, sind allmählich, zumindest als eine der behauptbaren
Linien, auf ihn selbst bezogene Tröstungsversuche geworden;
manchmal spricht er sogar von einer Utopie der Selbsttröstung.14
Es kehren aber auch die glatten, jedem Sinn entzogenen Formen
der ersten Polyesterarbeiten wieder, die dem Figuralen etwas
entgegensetzen. Aus ihrer Vermengung entstehen so etwas wie
unbekannte Klanggebilde. Diese pulsierenden Vermischungen
sind in ihrer Sichtbarwerdung zu komplizierten, Körper bildenden
Oberflächen erstarrt, vielleicht, so hat es den Anschein,
nur vorübergehend. Sie sind Strukturen, in die wieder Bewegung
geraten könnte, ähnlicher als unabhängigen, in sich ruhenden
Dingen. Ihre Statik ist notwendig, weil sie Bewegliches und
Unbewegliches der zugrundeliegenden Überlegungen komprimiert,
um Zeit zu gewinnen, auch Zeit für den genaueren Blick, für
ein Hinhören, für weitere Untersuchungen. Das Verharren im
Raum ist eine Unterbrechung von Abläufen, eine Konfrontation
mit Stille. Ein kaum merkliches, indifferentes Lächeln, verlegen,
fragend, Schutz suchend, scheint präsent zu sein. Vermehrt
hinzukommende Verzierungen spielen auf ein kleines, allgemeinverständliches
Glück an, ein größeres wäre nicht zu fassen. Gleichzeitig
stellt sich die Dramatik der Dimensionen gegen eine solche
Genügsamkeit, ohne daß deswegen erfreuliche Einzelheiten nebensächlich
werden.
Beruflich wird auch die Involviertheit als Lehrer, mit dem
Interesse, die Arbeit anderer mitzudenken, als Bereicherung
angesehen; Franz West etwa, häufig als markanter Schüler apostrophiert,
ist daher für ihn einfach irgendein Phänomen in dieser Summe
von Menschen. Es gehe dabei um die offene Form des Möglichseins
mit unkoordinierbaren Bezügen zu einem uneingeschränkten,
wechselnden Bild derzeitiger Kunstäußerungen, die sich ja
widersprechen, widerlegen, aber manchmal doch etwas miteinander
ergeben. Jede indirekte, vorsichtige Kommunikation, inklusive
Beobachten, ist ihm hier wichtiger als eingreifende Bemerkungen.
Entschiedenheit ergibt sich trotzdem. Auch für sich selbst
hält er fest, daß er seit zehn Jahren praktisch keine verbalen
Äußerungen über seine Kunst mehr publik gemacht hat. Als Übersteigerung
dazu heißt es sogar: Ich denke seit damals nie mehr über Kunst
nach. Das letzte was ihn beschäftigt habe, sei wiederum die
Frage gewesen, wie weit eine Form nicht nur ganz äußerlich
ist, also alles als Oberfläche oder von der Oberfläche her
verstanden werden müßte und unter welchen Voraussetzungen
und an welchen Grenzen Exemplarisches entsteht, nicht als
bloße Kontroverse zwischen Gestalt und Struktur oder Zeichen
oder zwischen dem Alltäglichen im Kunstkontext und Kunst als
alltagsnahem Kontinuum, sondern noch verzweigter; also so
wie Wittgenstein sie aus verschiedensten Ansatzpunkten her
gestellt hat15 oder Duchamp, der ein Etwas schaffen wollte,
das weder Kunst noch Gebrauchsgegenstand ist,16 oder Malewitsch,
Tatlin, Rodtschenko, mit ihrer Vorstellung vom Kunstwerk als
Ding, das nichts bedeutet und keine Wirklichkeit außerhalb
der Kunst anzeigt17 oder, näher der Gegenwart, etwa Donald
Judd mit seinen Specific Objects, für den Form, die weder
geometrisch noch organisch ist, eine große Entdeckung wäre
und für den Form, Volumen, Farbe, Oberfläche jeweils für sich
stehen und nicht als Teil eines gänzlich anderen Ganzen getarnt
werden sollten,18 oder Bruce Nauman, der dezidiert feststellt:
was ich meine ist, daß alles endlich, alles in sich geschlossen
ist, und nichts sich berührt19 oder Vito Acconci mit seiner
Auffassung von Kunst als einem Gebiet, das, außer dem Namen,
eigentlich keine inhärenten Eigenschaften habe20 oder ...
oder ... Das könne man durchaus so sehen und so sehen, als
Neufassung oder Akzentuierung solcher gedanklicher Positionen,
selbst wenn schließlich das Gegenteil oder eine Vermischung
eintritt, sagt Gironcoli dazu, mit interessierter Skepsis
gegenüber einer Einordnung seines eigenen Tuns. Regeln genügen
nicht, es braucht Beispiele. Sie sind die Modelle für theoretisches
Nachdenken. Im allgemeinen aber habe sich für ihn der Zwang
ad absurdum geführt, Fragen, die vielleicht schon längst gültig
beantwortet sind, als Themen in die Kunst, in die Bildhauerei,
zu bringen: Da ich keinen Rand sehe, kann ich auch nicht über
ihn hinaussehen.
Aus einer solchen Zurückhaltung ergibt sich, daß er Texte
über seine Arbeit oft als zu pompös empfindet, unnötig heroisierend.
Sie treffen das Einfache daran nicht (also wird dieser Wunsch
hier wenigstens dokumentiert). Keine, also auch nicht seine
Gesamtperson ließe sich fassen, sozusagen abgerundet, mit
diesem und jenem Gesamtwerk. Eine solche Romantik von Gesamtheit
fehle ihm völlig. Es gibt nur Abfolgen von dem, was im Verlauf
einer Lebenszeit passiert, was aus undurchsichtigen Situationen
heraus möglich wird. Deswegen kann er sich bloß als fraktales,
strukturunterworfenes Wesen sehen, das unter gewissen Bedingungen
entsprechen kann, unter anderen totale Mißerfolge erlebt.
Ein Begriff wie Lebenswerk ist ihm daher zu humanistisch besetzt,
auf eine fiktive Erlösung und Geschlossenheit hin orientiert.
Der einzige Raum, in dem sich trotzdem manches zusammenbringen
läßt, liege eben innerhalb der Hirnschale, weil von ihm ein
sich in Bildern und Räumen bewegendes Denken ausgeht, wenn
dabei das Eingebundensein in sinnliche Empfindungen des Körpers
akzeptiert wird. Um davon wenigstens einiges sichtbar zu machen,
braucht es den fortwährenden Impuls es zu versuchen. Daraus
ergeben sich in seinem Fall eben immer wieder von handwerklichen
Überlegungen geformte Gebilde, die im ausufernden Konglomerat
von ihm gedachter und gemachter Dinge konkret geworden sind,
als Zwischenstand, als Fragmente, als Ausdruck von Vorstellungen
und Reaktionen, wobei die Spannung zwischen Fertigem und Unfertigem,
zwischen Erstarrtem und Weiterführendem in sehr spezifischer
Weise als Präsenz verschiedenster Intensitäten evident wird.
Wenn Bruno Gironcoli mit Arbeiten an die Öffentlichkeit geht,
dann bringe er, so seine abschließende Feststellung dazu,
nichts großartig anderes, als was sich schon vorbereitet hat,
einfach Skulpturen mit einem gewissen Aussehen, mit bestimmten
Themen, die eben nur diesen Skulpturen eigen sind - und das
ist es auch schon.
Vermeintliche Hermetik stellt sich als komplizierte Offenheit
heraus. Masse und Größe tragen Zerbrechlichkeit in sich. Glattes
kann unsympathisch und anziehend sein. Weiches erinnert an
Intimität. Ein Nylonsackerl ist für vieles Form genug. Das
im Raum präsente Ding macht anderes unsichtbar. Bloße Widersprüche
sind etwas zu Selbstverständliches, um nicht von Momenten
sprachlosen Denkens abhängig zu sein.
|
Bruno Gironcoli: Ohne Titel, 1994
- 1995/97
|
Bruno Gironcoli: Entwurf zu Polyesterfigur,
1965
|
Bruno Gironcoli: Entwurf zur Veränderung
von Säule mit Totenkopf, 1971
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