Die 60er-Jahre sind von offiziell nicht erwünschten Privatinitiativen
geprägt gewesen, deren öffentliche Wirksamkeit anders als
beabsichtigt verlaufen ist. Eine darauffolgende "bleierne
Zeit", wie in der Bundesrepublik, haben sich die hierzulande
Beteiligten bekanntlich erspart. Subversion, als Trainingsfeld,
hat sich von selbst kulturpolitisch sublimiert. Weder Kontinuitäten
noch Brüche sind besonders wichtig gewesen. Es ging im weiteren
vielfach um Orte, um Räume, um Möglichkeiten, um Selbstbestimmung
und Selbstverwaltung. Wenn etwas in anderer Weise organisiert
würde, so die immer wieder hochkommende Meinung, würden sich
auch andere Inhalte ergeben. Die Wiener Festwochen unter Ulrich
Baumgartner haben reagiert (Peter Brook in der Arena). Mit
den Kling-Klang-Festen (Coop Himmelblau) ist etwas Eigenes,
noch Unberechenbares entstanden. Den Mönchen der 60-er Jahre
hat das gut getan. Der Ton und die Töne haben sich verändert.
Im Arena-Sommer von 1976 ist von sonst aneinaner vorbeilebenden
Gruppen bemerkt worden, wieviele sich bereits anders verhalten
haben.
Dieses selbstgemachte Klima ist für den Bildungsstand des
Landes von Vorteil gewesen; die Zahl der Studierenden hat
sich in jenen Jahren verdoppelt, auch an Kunsthochschulen.
Der Zustrom hat dort einiges in Bewegung gesetzt, auch wenn
noch nicht abzusehen war, was an der Angewandten aus Brigitte
Kowanz, Franz Graf, Eva Schlegel, Ernst Caramelle, Gerwald
Rockenschaub, Heimo Zobernig, Franz Vana, Erwin Wurm, Helmut
Zitko, Karl Kowanz, Wolfgang und Georg Schrom, Hans Kupelwieser,
Heinrich Dunst, Ruth Schnell, Zelko Wiener, Rini und Nita
Tandon, Franziska Maderthaner, Romana Scheffknecht oder Mara
Mattuschka und an der Akademie aus Franz West, Siegfried Anzinger,
Peter Kogler, Herbert Brandl, Hubert Schmalix, Alois Moosbacher,
Alfred Klinkan, Hubert Scheibl oder Gunter Damisch einmal
werden würde. In den Institutionen selbst haben sich dadurch
neue Konstellationen ergeben, ohne daß dafür unmittelbare
Reformen notwendig gewesen wären. An der Akademie haben sich
Maler in der halbwegs richtigen Umgebung gefühlt, an der Angewandten
eher jene, die auf neue konzeptionelle Ansätze aus waren,
auf Theorie und eine Überwindung der leerlaufenden Installations-
und Konzeptkunst.
Weil mich die Kunsthochschule, um die es hier primär geht,
erst am Ende dieser Phase eingefangen hat, bin ich offenbar
unbelastet genug erschienen, um die Jahre des Aufbruchs davor
zu kommentieren. Ab Mitte der 70er-Jahre gab es an der Angewandten
signifikante personelle Neuerungen. Von den damals Studierenden
wurden schon einige genannt, als Professoren kamen Hans Hollein,
Oswald Oberhuber, Wilhelm Holzbauer, Carl Auböck, Peter Gorsen,
Erich Wonder. Der nächste Schub: Karl Lagerfeld (gefolgt von
Jil Sander, Jean-Charles de Castelbajac, Vivienne Westwood,
Marc Bohan, Helmut Lang), Matteo Thun, Maria Lassnig, Friedrich
Achleitner, Peter Weibel. Vorträge von Buckminster Fuller,
Arata Isozaki oder Robert Venturi waren Zeichen neuer Intensität.
Die Feste waren legendär. Als Gäste sind Bazon Brock, Joseph
Beuys, Ettore Sotsass, Mario Bellini, Alessandro Mendini,
François Burkhardt eine Zeitlang präsent gewesen. An "Attraktoren",
wie die Chaosforscher ihre für die Dynamik eines Systems entscheidenden
Einflußgrößen nennen, hat also auf beiden Seiten kein Mangel
geherrscht.
Eine neue Generation von Studierenden traf auf neu beginnende
Lehrer und das brachte genügend durcheinander, um vielen Beteiligten
als tendenziell gute Zeit in Erinnerung zu bleiben. Solche
Bilder erzeugen ihre Ordnung erst im Nachhinein. Das Unmittelbare
wird als chaotisch empfunden. Wirkliches Chaos aber, so sagen
die Experten, besteht aus scheinbar zufälligem Verhalten,
das auf präzise Regeln zurückzuführen ist. Chaos ist eine
verschlüsselte Form von Ordnung. Charakteristisch für ein
chaotisches System ist, daß es Sensitivität gegenüber den
Anfangsbedingungen zeigt, also Verhalten nicht vorhersagbar
wird.
Solche Konstatierungen scheinen besonders gut zu Aufbruchszeiten
zu passen, in denen viel passiert, aber niemand so richtig
weiß, was eigentlich vorgeht. Gewohnte Regelmäßigkeiten erzeugen
nichts mehr, neue bilden sich erst heraus, auf individuelle
Anfangsbedingungen wird sehr verschieden reagiert. Daß diese
Ende der 70-er Jahre eher konfus waren, mit einer Entwertung
von Perspektiven und Utopien, mit Konjunktureinbruch, Reformstau,
Terrorismus, mit trotz Kreisky zunehmender Korrumpierung der
Sozialdemokratie in Österreich (FPÖ-Peter, Bauring, Androsch,
AKH), macht es eigentlich schwer, für positive Erinnerungen
Begründungen zu finden. Sie haben sich auch ohne Beweise eingestellt,
offenbar weil im Rückblick die Kontinuität von Persönlichem
die allgemeinen Zustände überstrahlt. Daß man zeitlich an
einer Schnittstelle zwischen Dutschke und Schlingensief, zwischen
alter und neuer Unübersichtlichkeit gelebt hat, konnte keinem
bewußt sein. Obwohl es auf vielen Ebenen weiterhin um Gegnerschaft
ging, hat der Wirtschafts- und Kunst-Boom Anfang der 80-er
Jahre, mit seinen neuen, jüngeren Käuferschichten, für manches
dann beschleunigend gewirkt, als neue Malerei, als neue Subjektivität,
als Erforschung kommunikativen Denkens, als Arbeit mit neuen
Medien, als Kombination von Produkt- und Konzepterstellung.
Kunst wurde wieder Ware, ohne Einschränkung oder mit begründeter
Verzögerung und komplexer Abwehr. Die Aperto 80 in Venedig
(Schmalix, Anzinger, Klinkan, Bob Adrian) oder die Präsentation
Franz Wests in Zürich, waren, von Harald Szeemann organisiert,
dafür animierende, international wirksame Schritte. Auf den
offiziellen Biennalen ist Österreich in jenen Jahren durch
Arnulf Rainer, Valie Export und Maria Lassnig, Walter Pichler,
Attersee, durch Karl Prantl und Max Peintner vertreten gewesen.
Festzuhalten ist auch, daß 1979 das Museum Moderner Kunst
im Palais Liechtenstein (mit der Sammlung Ludwig und dem zur
Dependance reduzierten 20er-Haus) eröffnet worden ist. Die
wichtige Ausstellung "Design ist unsichtbar" wiederum hat
in Linz stattgefunden.
Auswirkungen des sich auf komplexere Projekte, auf Vermittlung
und auf die Funktionsweisen von Kunstinstitutionen ausweitenden
Blicks zeigen sich etwa daran, daß von den bisherigen Bundeskuratoren
für Kunst fast alle studierend, lehrend oder forschend, mit
der Angewandten verbunden waren oder sind: Markus Brüderlin
(jetzt Museumsdirektor in Basel) und Wolfgang Zinggl als Absolventen,
Robert Fleck und Lioba Reddeker (indirekt über Forschungsprojekte),
Cathrin Pichler (Gastprofessur). Verena Formanek, auch eine
Absolventin, ist nach der Galerie V&V und Kuratorinnenjahren
im MAK jetzt ebenfalls in der Fondation Beyeler in Basel.
Die Fotogalerie im Werkstätten- und Kulturhaus WUK wird von
Susanne Gamauf geleitet. Martin Fritz plant mit Kaspar König
Ausstellungsprojekte für die Expo 2000 in Hannover. Tulga
Beyerle macht analoges in Glasgow.
Daß die Modeausbildung gegriffen hat, trotz der Apathie heimischer
Firmen, belegen die Berufswege von Sabine Kreuzspiegel (eigene
Firma SEMI DEI, Wien) oder Alice Fischer (freie Designerin,
Mailand), später dann von Gregor Pirouzi (zuerst bei Vivienne
Westwood, jetzt Chefdesigner bei Versace, Mailand), Andreas
Fischbacher (bei Troussardi, Mailand) oder Desiree Heiss (macht
die Modezeitschrift "Self-Service", Paris). Als Designer tätig
sind Markus Reuter und Christoph Elmecker (Elmecker & Reuter),
Jörg Tragatschnig ist bei Porsche, Karin Pesau bei Zumtobel.
Michael und Iris Podgorschek machen Design und Architektur.
Von den Architekten Baumschlager + Eberle ist Karl Baumschlager
ein Absolvent der Angewandten, Max Rieder und Wolfgang Tschapeller
sind es, sowie die Partner Herrmann & Valentiny oder die fünf
Mitglieder des späteren Architekturbüros 6B. Die Bühnenbildner
Bernhard Kleber und Reinhard von der Thannen haben damals
an der Angewandten studiert, ebenso Jacky Merlicek (Werbeagentur
Demner, Merlicek & Bergmann) oder später Stefan Sagmeister,
Designer eines CD-Covers für die Rolling Stones in New York.
Der Zeichner und Musiker Tex Rabinowitz war kurz Student.
Gegenwärtige Folgen solcher Wiener Möglichkeiten haben sich
etwa 1997 auf der Documenta X von Catherine David in Kassel
gezeigt; die Ausstellungsarchitektur stammte von Christian
Jabornegg und András Pálffy, mit Arbeiten vertreten waren
Christine & Irene Hohenbüchler, Peter Kogler, Maria Lassnig,
Ecke Bonk, Dorothee Golz, Martin Walde, Lois Weinberger, Franz
West, Heimo Zobernig.
Für Brigitte Kowanz zum Beispiel ist es heute klar, daß die
damalige Konstellation Energieschübe begünstigt hat und eine
zentrale Achse dafür Oswald Oberhuber gewesen ist, mit seiner
Spontaneität (begründet durch die "Theorie der permanenten
Veränderung"), mit der Einbeziehung der Galerie nächst St.
Stephan und seiner offensiven Hochschul-, Sammlungs- und Ausstellungspolitik.
Das war auch von außen schnell zu merken. Daß er 1979 Rektor
wurde ist irgendwie logisch gewesen. Schließlich hatte es
gerade den Sieg von Cordoba gegeben, der - so der Philosoph
Ernst Strouhal - für das labile österreichische Selbstbewußtsein
essentiell gewesen ist. Zur gleichen Zeit hatte sich die Akademie
unter Rektor Franz Mairinger mit Bruno Gironcoli, Claus Pack,
Timo Penttilä, Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer,
Markus Prachensky, Johannes Gachnang (für das neue Institut
für Gegenwartskunst !) personell neu positioniert. Trotzdem
ist es dort über Jahre hinweg ruhiger geblieben, fast so ruhig
wie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in
Wien (der größten Musikhochschule der Welt, mit Lehrern von
Friedrich Cerha bis Susi Nicoletti und Ernst Haeussermann).
Wegen der unbestreitbaren Ausstrahlungskraft hat sich für
den Aufschwung der Hochschule für angewandte Kunst die Bezeichnung
"Ära Oberhuber" eingebürgert, von der es Phasen I, II, und
III gegeben hat. Speziell die Phase III in den 90er-Jahren,
mit ihrer offensiven Fremd- und Selbstdemontage, gehört glücklicherweise
nicht mehr zum hier zu beschreibenden Zeitraum. Den ihn behandelnden
Folgeband "Depressionszone Wien" sollte die Thomas Bernhard
Stiftung herausgeben (mit Vorworten von Rudolf Burger und
Adolf Frohner und einem Gastkommentar von Carl Pruscha). Seltsam
ist nämlich, wie schnell alles wieder vorbei sein kann und
wie sich das Muster von der guten alten Zeit in kürzer werdenden
Perioden wiederholt. Peter Weibel und Peter Sloterdijk etwa
sind sich rückblickend einig, daß "Oswald Oberhuber die Hochschule
zu einer der ersten und anerkanntesten im europäischen Raum
gemacht" hat. Bazon Brock, für viele damals eine prägende
Figur, weil er tatsächlich dauernd über Kunst und Theorien
dazu geredet hat, teilt diese Meinung; was Oberhuber als Rektor
geleistet habe, "darf rundheraus als einmalig in der europäischen
Kulturszene bewertet werden", schreibt er in einem Katalog.
Die Gegner dieser Einschätzung äußern sich nicht so direkt.
Mein Kommentar dazu: Die inhaltliche, personelle und strukturelle
Organisation eines Aufschwunges könnte auch als Normalaufgabe
der jeweils Verantwortlichen aufgefaßt werden. Es ist ihr
Job, die bestmöglichen Leute zu gewinnen und für adäquate
Arbeitsbedingungen zu sorgen. Dankbarkeiten und Gegenleistungen
müßten sich daraus keine ergeben. Es scheint so, als ob die
ambitionierte Erfüllung einer Aufgabe bereits als Sensation
gesehen wird und eine solche Exponiertheit zwangsläufig zu
Skandalen führt. Andererseits braucht es für alles, im Guten
wie im Schlechten, die ermöglichende Konstellation. Hertha
Firnberg hat als Wissenschaftsministerin offenbar ihren Teil
beigetragen, sich interessierend für die Bedingungen "schwieriger
Kunst"; einer ihrer Nachfolger sieht die jetzt angelaufenen
Bestrebungen viel lakonischer: "Ich habe schon soviele Uni-Reformen
erlebt; es wird auch diesmal so bleiben wie es ist."
Das erinnert daran, wie das öffentliche Klima damals gewesen
ist. Durch die Dominanz von Hundertwasser (Friedensreich)
und Heller (André) hat es offenbar beim Buchstaben H eingerastet:
Hrdlicka, Holzbauer, Hollein, Himmelblau. Sie wurden, als
Qualitätsanstieg, ein Thema, ob sie nun gleich oder erst später
etwas realisieren konnten. Sogar die Angewandte hat ihre Besetzungspolitik
danach gerichtet. Sehr viel mehr kulturpolitisch relevante
Namen kann sich das österreichische Bewußtsein pro Sparte
offenbar nicht merken. Das war zehn Jahre vorher auch nicht
anders; als Schaltstellen gab es nur einen Monsignore Mauer,
einen Fritz Wotruba, einen Werner Hofmann (der bei erster
Gelegenheit ausgewandert ist). Mit Neupositionierungen und
Neugründungen hat sich das Umfeld schließlich - bis zur nächsten
Krise - deutlich belebt: mit den Galerien nächst St. Stephan,
Ariadne, Pakesch, Krinzinger, Insam, Curtze, Kalb, Hummel,
Winter, Cult ... Internationale Akteure sind aufmerksam geworden.
Der Falter und der Wiener wurden gegründet. Die Lokalszene
explodierte. Das Kunst- und Kulturprogramm wurde in allen
Medien ein Thema. Der Städtetourismus und die Eventkultur
expandierten, mit Stadtfesten, neuer U-Bahn, Fußgängerzonen,
Donauinsel und Helmut Zilk. Langsam konnten sich auch neue
kulturpolitische Akteure einen permanenten Medienraum erobern:
Claus Peymann, Ursula Pasterk, Peter Weibel, Peter Noever.
Damit waren Marcel Prawy, Otto Schenk und Fritz Muliar nicht
mehr so allein.
Auf die Aufregungen bezogen kam nach dem Arena-Sommer Zwentendorf,
dann Hainburg (schließlich auch noch Waldheim). Zwischen Kunstleuten
und Aktivismus hat es dabei laufend Vermischungen gegeben.
An der temporären Civil Society hat teilgenommen, wer gerade
da war, wer Zeit hatte. Für "Die Presse" war wiedereinmal
der Untergang angesagt; Hans Haiders Titel dafür: "In der
Wiener Schweinehalle proben Maoisten & Co. den Kulturaufstand".
Den Biographien damaliger Akteure hat das offenbar gut getan;
Dietmar Steiner leitet jetzt das Architekturzentrum Wien,
Ingrid Karl wurde zu einer Schlüsselfigur zeitgenössischer
Musik, die "Wespennest"-Autoren sind ihre Wege gegangen, Eva
Pilz ist Hindu-Priesterin in Java. Als unseren Beitrag zum
Musikprogramm von Kurt Ostbahn, Franz Kogelmann, Wolfgang
Ambros oder Leonard Cohen haben wir Bob Downes aus London
geholt; Saxophonspielen habe ich von ihm trotzdem nicht mehr
so richtig gelernt. Unsere Plakate gegen Zwentendorf hat Max
Peintner gemacht. In die Hainburger Au habe ich Oswald Oberhuber,
als Rektor, geschleppt; in den Büschen ist er plötzlich mit
Hundertwasser zusammengetroffen. Zu sagen haben sie sich nicht
viel gehabt. Dieter Bogner war dort ein Hauptorganisator,
später hat er sich ums Dauerthema Museumsquartier gekümmert.
Zur Wissenschaft, etwa beim Thema alternative Energien, sind
kaum Verbindungen entstanden. Statt die internationale Aufmerksamkeit
für konzentrierte Innovationsprojekte zu nutzen, ist einer
der Aktivisten (Bernd Lötsch) schließlich zum Museumsdirektor
gemacht worden. Es wurde also logisch, eigene Medien oder
das erste Piratenradio (Ö frei) zu unterstützen, "damit etwas
weitergeht", wie es damals geheißen hat. Daß über solche Aktivitäten
der Boden für eine politische Auffächerung, für die Gründung
der Grünen, und später der Liberalen, aufbereitet worden ist,
klingt aus der Distanz gesehen wie eine Selbsthistorisierung.
Das Selbst dabei läßt sich ersatzlos streichen, dafür waren
zu viele Facetten im Spiel. Seit bekannt ist, daß der Flügelschlag
eines Schmetterlings ganz wo anders einen Wirbelsturm auslösen
kann (der "Schmetterlingseffekt" der Chaostheorie), war es
plausibler geworden, sich manchmal wie ein Schmetterling zu
verhalten. Um Inhalte und Formen geht es sogar solchen Wesen
dauernd, obwohl das Bild arbeitsloser Schmetterlinge gerade
in bezug auf Künstler und Künstlerinnen weiterhin zum nationalen
Konsens gehört. Die betriebsinternen Gegenargumente dazu laufen
auf eine ähnlich enge Sicht hinaus, da davon ausgegangen wird,
daß es ohnedies nur ganz wenige bis zu wirklicher Relevanz
schaffen und der - teuer ausgebildete - Rest in der Anonymität
verschwindet.
Daß die Realität künstlerischen Arbeitens längst viel differenzierter
ist, hat Elisabeth Al Chihade, die aus dem Libanon stammt,
gerade in ihrer Dissertation über "Die Hochschule für angewandte
Kunst in Wien und ihre Absolventen von 1970 - 1995" erforscht.
Ob es das "Kunst-Wunder von Wien" ist, wie das "art magazin"
diesen nachwirkenden Boom bezeichnet hat, oder das anspornende
Gefühl, daß die reale Lage eher einen Kontrapunkt dazu bildet:
Derzeit gibt es in Österreich an Kunsthochschulen - die inzwischen
Kunstuniversitäten wurden - und an der Akademie rd. 7.000
Studierende, 5.000 davon für Musik und darstellende Kunst,
2.000 für bildende Kunst (1.000 an der Angewandten, 500 an
der Akademie, 500 in Linz). Hinzuzurechnen wären noch künstlerische
Studien an anderen Universitäten, wie Architektur, Kunstgeschichte,
Literatur oder Ethnologie, damit das Gesamtinteresse deutlich
wird. An der Angewandten kommt ein Viertel der Studierenden
aus dem Ausland, und zwar, trotz aller Restriktionen, seit
1970 aus 43 Ländern. Frauen und Männer verteilen sich etwa
so, wie es statistisch richtig ist, abgesehen "natürlich"
von der Lehre. Die meisten studieren Graphik, Kunstpädagogik,
Architektur, Design und Malerei, gefolgt von Mode, Bühnen-
und Filmgestaltung, Bildhauerei, Restaurierung, visueller
Mediengestaltung. Am Stubenring werden jährlich etwa neunzig
akademisch geprüfte Künstler und Künstlerinnen in die Praxis
entlassen, der größte Anstieg ist bei Malerei zu verzeichnen.
Bei visueller Mediengestaltung gibt es bis 1995 vergleichsweise
erst 24 Studienabschlüsse. Verblüffend ist, daß mehr als 1/3
aller Absolventen durch ausführliche Antworten dokumentiert,
wie groß das Interesse an solchen Analysen ist. Noch verblüffender
ist der hohe Zufriedenheitsgrad. 85 % geben an, der während
des Studiums erlebte Freiraum hätte ihnen für ihre Persönlichkeitsentwicklung
sehr gut getan, 70% empfanden ihn auch als sehr gut für ihren
beruflichen Werdegang. 74% würden das Studium nochmals wählen,
56% würden sich wieder für die Angewandte entscheiden. 3/4
betrachten ihre Arbeit als eine künstlerische, mit einer Bandbreite
zwischen Bildhauerei (93%) und Mode (56%); die Stories von
künstlerisch ausgebildeten Kellnern und Taxifahrern stammen
offenbar von Sparpaket-Agenturen. 2/3 sind der Ansicht, inzwischen
ihren Fähigkeiten entsprechend anerkannt zu sein. 56% sind
selbständig tätig. Zwischen 33% und 66% (Bildhauerei und Mode)
sind der Auffassung, ein in finanzieller Hinsicht eher unbeschwertes
Leben führen zu können. In der Architektur gibt über 1/3 an,
mehr als 30.000.- ATS netto monatlich zu verdienen, bei anderen
Studienrichtungen schwankt dieser Wert zwischen 10% und 20%.
Am schwierigsten ist die Situation in der Malerei und der
Keramik, wo über 1/3 der Befragten Monatseinkommen von unter
10.000.- ATS nennen, in der Bildhauerei ist es 1/4. Bizarr
ist, daß sich Design immer noch nicht wirklich als expandierendes
Berufsfeld etablieren konnte. Der sozialen Herkunft nach stammen
die Studierenden primär aus dem Selbständigen- und Angestelltenbereich,
das Beamtenmilieu ist restriktiver, Arbeiterkinder haben in
der Bildhauerei und der Bühnengestaltung mit 22% und in der
Mode mit 16% den höchsten Anteil. Ins Ausland gehen vor allem
die Bühnen- und die Modeabsolventen. Die Qualität der Personalentscheidungen
relativiert sich, da im allgemeinen die Anregungen durch Mitstudenten
und die Gruppensituation weit höher eingeschätzt werden, als
jene durch die Meisterklassenleiter selbst (12%). Nur in der
Malerei sind für 28% bestimmte Professoren ein ausschlaggebendes
Studienmotiv, in anderen Studienrichtungen reduziert sich
diese eingestandene Persönlichkeitsbindung auf 4% bis 15%.
Daß als inhaltlicher Hauptmangel des Studiums durchgehend
"wirtschaftliche Kenntnisse", "Praxis" und "soziale Kompetenz"
genannt werden, macht die Ambivalenz zwischen Universitäts-
und Berufsausbildung und der Art jeweils bearbeiteter Projekte
sichtbar, wie sie vielleicht erst unter dem Druck des Berufslebens
bewußt wird. Es stellt aber auch eine Parallele dazu her,
daß Wirtschaftsstudenten in den letzten Jahren einen dominierenden
Berufswunsch haben: Managementberater.
Wo in diesen tendenziell sehr positiv klingenden Zustandsschilderungen
der Leidensdruck geblieben ist, steht offenbar auf anderen,
nicht immer den Fragebogen anvertrauten Blättern. Faktum ist
jedenfalls, daß die von auswärts kommenden Studierenden schließlich
sehr oft in Wien bleiben, in einigen Studienrichtungen gut
die Hälfte von ihnen. Wenn es noch mehr würden und sie in
einem internationalen Austausch ihre eigenen Arbeitsfelder
schaffen und dynamischere Strukturen dafür entstünden, ergäbe
das für die Stadt endlich echte Perspektiven, etwa als europäischer
Spitzenstandort für Kunstausbildung und Forschung und für
verschiedenste Formen künstlerischer und kultureller Arbeit.
|
Friedensreich Hundertwasser und
Oswald Oberhuber bei den Demonstrationen
gegen das Donaukraftwerk Hainburg 1984
|
|