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Falter Verlag
   

Angewandte Chaosforschung
Kunsthochschulen. Zufälle. Möglichkeiten

In: Martin W. Drexler, Markus Eiblmeyer, Franziska Maderthaner (Hg.): Idealzone Wien. Die schnellen Jahre (1978-1985)
Falter Verlag, Wien 1998

Eine Dokumentation des Wiener Kulturlebens der späten siebziger und frühen achtziger Jahre.

Weitere Beiträge von Peter Weibel, Robert Fleck, Matthias Boeckl, Gert Winkler, Michael Hopp, Burghart Schmidt u.a.

 

 

Die 60er-Jahre sind von offiziell nicht erwünschten Privatinitiativen geprägt gewesen, deren öffentliche Wirksamkeit anders als beabsichtigt verlaufen ist. Eine darauffolgende "bleierne Zeit", wie in der Bundesrepublik, haben sich die hierzulande Beteiligten bekanntlich erspart. Subversion, als Trainingsfeld, hat sich von selbst kulturpolitisch sublimiert. Weder Kontinuitäten noch Brüche sind besonders wichtig gewesen. Es ging im weiteren vielfach um Orte, um Räume, um Möglichkeiten, um Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. Wenn etwas in anderer Weise organisiert würde, so die immer wieder hochkommende Meinung, würden sich auch andere Inhalte ergeben. Die Wiener Festwochen unter Ulrich Baumgartner haben reagiert (Peter Brook in der Arena). Mit den Kling-Klang-Festen (Coop Himmelblau) ist etwas Eigenes, noch Unberechenbares entstanden. Den Mönchen der 60-er Jahre hat das gut getan. Der Ton und die Töne haben sich verändert. Im Arena-Sommer von 1976 ist von sonst aneinaner vorbeilebenden Gruppen bemerkt worden, wieviele sich bereits anders verhalten haben.

Dieses selbstgemachte Klima ist für den Bildungsstand des Landes von Vorteil gewesen; die Zahl der Studierenden hat sich in jenen Jahren verdoppelt, auch an Kunsthochschulen. Der Zustrom hat dort einiges in Bewegung gesetzt, auch wenn noch nicht abzusehen war, was an der Angewandten aus Brigitte Kowanz, Franz Graf, Eva Schlegel, Ernst Caramelle, Gerwald Rockenschaub, Heimo Zobernig, Franz Vana, Erwin Wurm, Helmut Zitko, Karl Kowanz, Wolfgang und Georg Schrom, Hans Kupelwieser, Heinrich Dunst, Ruth Schnell, Zelko Wiener, Rini und Nita Tandon, Franziska Maderthaner, Romana Scheffknecht oder Mara Mattuschka und an der Akademie aus Franz West, Siegfried Anzinger, Peter Kogler, Herbert Brandl, Hubert Schmalix, Alois Moosbacher, Alfred Klinkan, Hubert Scheibl oder Gunter Damisch einmal werden würde. In den Institutionen selbst haben sich dadurch neue Konstellationen ergeben, ohne daß dafür unmittelbare Reformen notwendig gewesen wären. An der Akademie haben sich Maler in der halbwegs richtigen Umgebung gefühlt, an der Angewandten eher jene, die auf neue konzeptionelle Ansätze aus waren, auf Theorie und eine Überwindung der leerlaufenden Installations- und Konzeptkunst.

Weil mich die Kunsthochschule, um die es hier primär geht, erst am Ende dieser Phase eingefangen hat, bin ich offenbar unbelastet genug erschienen, um die Jahre des Aufbruchs davor zu kommentieren. Ab Mitte der 70er-Jahre gab es an der Angewandten signifikante personelle Neuerungen. Von den damals Studierenden wurden schon einige genannt, als Professoren kamen Hans Hollein, Oswald Oberhuber, Wilhelm Holzbauer, Carl Auböck, Peter Gorsen, Erich Wonder. Der nächste Schub: Karl Lagerfeld (gefolgt von Jil Sander, Jean-Charles de Castelbajac, Vivienne Westwood, Marc Bohan, Helmut Lang), Matteo Thun, Maria Lassnig, Friedrich Achleitner, Peter Weibel. Vorträge von Buckminster Fuller, Arata Isozaki oder Robert Venturi waren Zeichen neuer Intensität. Die Feste waren legendär. Als Gäste sind Bazon Brock, Joseph Beuys, Ettore Sotsass, Mario Bellini, Alessandro Mendini, François Burkhardt eine Zeitlang präsent gewesen. An "Attraktoren", wie die Chaosforscher ihre für die Dynamik eines Systems entscheidenden Einflußgrößen nennen, hat also auf beiden Seiten kein Mangel geherrscht.

Eine neue Generation von Studierenden traf auf neu beginnende Lehrer und das brachte genügend durcheinander, um vielen Beteiligten als tendenziell gute Zeit in Erinnerung zu bleiben. Solche Bilder erzeugen ihre Ordnung erst im Nachhinein. Das Unmittelbare wird als chaotisch empfunden. Wirkliches Chaos aber, so sagen die Experten, besteht aus scheinbar zufälligem Verhalten, das auf präzise Regeln zurückzuführen ist. Chaos ist eine verschlüsselte Form von Ordnung. Charakteristisch für ein chaotisches System ist, daß es Sensitivität gegenüber den Anfangsbedingungen zeigt, also Verhalten nicht vorhersagbar wird.

Solche Konstatierungen scheinen besonders gut zu Aufbruchszeiten zu passen, in denen viel passiert, aber niemand so richtig weiß, was eigentlich vorgeht. Gewohnte Regelmäßigkeiten erzeugen nichts mehr, neue bilden sich erst heraus, auf individuelle Anfangsbedingungen wird sehr verschieden reagiert. Daß diese Ende der 70-er Jahre eher konfus waren, mit einer Entwertung von Perspektiven und Utopien, mit Konjunktureinbruch, Reformstau, Terrorismus, mit trotz Kreisky zunehmender Korrumpierung der Sozialdemokratie in Österreich (FPÖ-Peter, Bauring, Androsch, AKH), macht es eigentlich schwer, für positive Erinnerungen Begründungen zu finden. Sie haben sich auch ohne Beweise eingestellt, offenbar weil im Rückblick die Kontinuität von Persönlichem die allgemeinen Zustände überstrahlt. Daß man zeitlich an einer Schnittstelle zwischen Dutschke und Schlingensief, zwischen alter und neuer Unübersichtlichkeit gelebt hat, konnte keinem bewußt sein. Obwohl es auf vielen Ebenen weiterhin um Gegnerschaft ging, hat der Wirtschafts- und Kunst-Boom Anfang der 80-er Jahre, mit seinen neuen, jüngeren Käuferschichten, für manches dann beschleunigend gewirkt, als neue Malerei, als neue Subjektivität, als Erforschung kommunikativen Denkens, als Arbeit mit neuen Medien, als Kombination von Produkt- und Konzepterstellung. Kunst wurde wieder Ware, ohne Einschränkung oder mit begründeter Verzögerung und komplexer Abwehr. Die Aperto 80 in Venedig (Schmalix, Anzinger, Klinkan, Bob Adrian) oder die Präsentation Franz Wests in Zürich, waren, von Harald Szeemann organisiert, dafür animierende, international wirksame Schritte. Auf den offiziellen Biennalen ist Österreich in jenen Jahren durch Arnulf Rainer, Valie Export und Maria Lassnig, Walter Pichler, Attersee, durch Karl Prantl und Max Peintner vertreten gewesen. Festzuhalten ist auch, daß 1979 das Museum Moderner Kunst im Palais Liechtenstein (mit der Sammlung Ludwig und dem zur Dependance reduzierten 20er-Haus) eröffnet worden ist. Die wichtige Ausstellung "Design ist unsichtbar" wiederum hat in Linz stattgefunden.

Auswirkungen des sich auf komplexere Projekte, auf Vermittlung und auf die Funktionsweisen von Kunstinstitutionen ausweitenden Blicks zeigen sich etwa daran, daß von den bisherigen Bundeskuratoren für Kunst fast alle studierend, lehrend oder forschend, mit der Angewandten verbunden waren oder sind: Markus Brüderlin (jetzt Museumsdirektor in Basel) und Wolfgang Zinggl als Absolventen, Robert Fleck und Lioba Reddeker (indirekt über Forschungsprojekte), Cathrin Pichler (Gastprofessur). Verena Formanek, auch eine Absolventin, ist nach der Galerie V&V und Kuratorinnenjahren im MAK jetzt ebenfalls in der Fondation Beyeler in Basel. Die Fotogalerie im Werkstätten- und Kulturhaus WUK wird von Susanne Gamauf geleitet. Martin Fritz plant mit Kaspar König Ausstellungsprojekte für die Expo 2000 in Hannover. Tulga Beyerle macht analoges in Glasgow.

Daß die Modeausbildung gegriffen hat, trotz der Apathie heimischer Firmen, belegen die Berufswege von Sabine Kreuzspiegel (eigene Firma SEMI DEI, Wien) oder Alice Fischer (freie Designerin, Mailand), später dann von Gregor Pirouzi (zuerst bei Vivienne Westwood, jetzt Chefdesigner bei Versace, Mailand), Andreas Fischbacher (bei Troussardi, Mailand) oder Desiree Heiss (macht die Modezeitschrift "Self-Service", Paris). Als Designer tätig sind Markus Reuter und Christoph Elmecker (Elmecker & Reuter), Jörg Tragatschnig ist bei Porsche, Karin Pesau bei Zumtobel. Michael und Iris Podgorschek machen Design und Architektur. Von den Architekten Baumschlager + Eberle ist Karl Baumschlager ein Absolvent der Angewandten, Max Rieder und Wolfgang Tschapeller sind es, sowie die Partner Herrmann & Valentiny oder die fünf Mitglieder des späteren Architekturbüros 6B. Die Bühnenbildner Bernhard Kleber und Reinhard von der Thannen haben damals an der Angewandten studiert, ebenso Jacky Merlicek (Werbeagentur Demner, Merlicek & Bergmann) oder später Stefan Sagmeister, Designer eines CD-Covers für die Rolling Stones in New York. Der Zeichner und Musiker Tex Rabinowitz war kurz Student. Gegenwärtige Folgen solcher Wiener Möglichkeiten haben sich etwa 1997 auf der Documenta X von Catherine David in Kassel gezeigt; die Ausstellungsarchitektur stammte von Christian Jabornegg und András Pálffy, mit Arbeiten vertreten waren Christine & Irene Hohenbüchler, Peter Kogler, Maria Lassnig, Ecke Bonk, Dorothee Golz, Martin Walde, Lois Weinberger, Franz West, Heimo Zobernig.

Für Brigitte Kowanz zum Beispiel ist es heute klar, daß die damalige Konstellation Energieschübe begünstigt hat und eine zentrale Achse dafür Oswald Oberhuber gewesen ist, mit seiner Spontaneität (begründet durch die "Theorie der permanenten Veränderung"), mit der Einbeziehung der Galerie nächst St. Stephan und seiner offensiven Hochschul-, Sammlungs- und Ausstellungspolitik. Das war auch von außen schnell zu merken. Daß er 1979 Rektor wurde ist irgendwie logisch gewesen. Schließlich hatte es gerade den Sieg von Cordoba gegeben, der - so der Philosoph Ernst Strouhal - für das labile österreichische Selbstbewußtsein essentiell gewesen ist. Zur gleichen Zeit hatte sich die Akademie unter Rektor Franz Mairinger mit Bruno Gironcoli, Claus Pack, Timo Penttilä, Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer, Markus Prachensky, Johannes Gachnang (für das neue Institut für Gegenwartskunst !) personell neu positioniert. Trotzdem ist es dort über Jahre hinweg ruhiger geblieben, fast so ruhig wie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien (der größten Musikhochschule der Welt, mit Lehrern von Friedrich Cerha bis Susi Nicoletti und Ernst Haeussermann).

Wegen der unbestreitbaren Ausstrahlungskraft hat sich für den Aufschwung der Hochschule für angewandte Kunst die Bezeichnung "Ära Oberhuber" eingebürgert, von der es Phasen I, II, und III gegeben hat. Speziell die Phase III in den 90er-Jahren, mit ihrer offensiven Fremd- und Selbstdemontage, gehört glücklicherweise nicht mehr zum hier zu beschreibenden Zeitraum. Den ihn behandelnden Folgeband "Depressionszone Wien" sollte die Thomas Bernhard Stiftung herausgeben (mit Vorworten von Rudolf Burger und Adolf Frohner und einem Gastkommentar von Carl Pruscha). Seltsam ist nämlich, wie schnell alles wieder vorbei sein kann und wie sich das Muster von der guten alten Zeit in kürzer werdenden Perioden wiederholt. Peter Weibel und Peter Sloterdijk etwa sind sich rückblickend einig, daß "Oswald Oberhuber die Hochschule zu einer der ersten und anerkanntesten im europäischen Raum gemacht" hat. Bazon Brock, für viele damals eine prägende Figur, weil er tatsächlich dauernd über Kunst und Theorien dazu geredet hat, teilt diese Meinung; was Oberhuber als Rektor geleistet habe, "darf rundheraus als einmalig in der europäischen Kulturszene bewertet werden", schreibt er in einem Katalog. Die Gegner dieser Einschätzung äußern sich nicht so direkt. Mein Kommentar dazu: Die inhaltliche, personelle und strukturelle Organisation eines Aufschwunges könnte auch als Normalaufgabe der jeweils Verantwortlichen aufgefaßt werden. Es ist ihr Job, die bestmöglichen Leute zu gewinnen und für adäquate Arbeitsbedingungen zu sorgen. Dankbarkeiten und Gegenleistungen müßten sich daraus keine ergeben. Es scheint so, als ob die ambitionierte Erfüllung einer Aufgabe bereits als Sensation gesehen wird und eine solche Exponiertheit zwangsläufig zu Skandalen führt. Andererseits braucht es für alles, im Guten wie im Schlechten, die ermöglichende Konstellation. Hertha Firnberg hat als Wissenschaftsministerin offenbar ihren Teil beigetragen, sich interessierend für die Bedingungen "schwieriger Kunst"; einer ihrer Nachfolger sieht die jetzt angelaufenen Bestrebungen viel lakonischer: "Ich habe schon soviele Uni-Reformen erlebt; es wird auch diesmal so bleiben wie es ist."

Das erinnert daran, wie das öffentliche Klima damals gewesen ist. Durch die Dominanz von Hundertwasser (Friedensreich) und Heller (André) hat es offenbar beim Buchstaben H eingerastet: Hrdlicka, Holzbauer, Hollein, Himmelblau. Sie wurden, als Qualitätsanstieg, ein Thema, ob sie nun gleich oder erst später etwas realisieren konnten. Sogar die Angewandte hat ihre Besetzungspolitik danach gerichtet. Sehr viel mehr kulturpolitisch relevante Namen kann sich das österreichische Bewußtsein pro Sparte offenbar nicht merken. Das war zehn Jahre vorher auch nicht anders; als Schaltstellen gab es nur einen Monsignore Mauer, einen Fritz Wotruba, einen Werner Hofmann (der bei erster Gelegenheit ausgewandert ist). Mit Neupositionierungen und Neugründungen hat sich das Umfeld schließlich - bis zur nächsten Krise - deutlich belebt: mit den Galerien nächst St. Stephan, Ariadne, Pakesch, Krinzinger, Insam, Curtze, Kalb, Hummel, Winter, Cult ... Internationale Akteure sind aufmerksam geworden. Der Falter und der Wiener wurden gegründet. Die Lokalszene explodierte. Das Kunst- und Kulturprogramm wurde in allen Medien ein Thema. Der Städtetourismus und die Eventkultur expandierten, mit Stadtfesten, neuer U-Bahn, Fußgängerzonen, Donauinsel und Helmut Zilk. Langsam konnten sich auch neue kulturpolitische Akteure einen permanenten Medienraum erobern: Claus Peymann, Ursula Pasterk, Peter Weibel, Peter Noever. Damit waren Marcel Prawy, Otto Schenk und Fritz Muliar nicht mehr so allein.

Auf die Aufregungen bezogen kam nach dem Arena-Sommer Zwentendorf, dann Hainburg (schließlich auch noch Waldheim). Zwischen Kunstleuten und Aktivismus hat es dabei laufend Vermischungen gegeben. An der temporären Civil Society hat teilgenommen, wer gerade da war, wer Zeit hatte. Für "Die Presse" war wiedereinmal der Untergang angesagt; Hans Haiders Titel dafür: "In der Wiener Schweinehalle proben Maoisten & Co. den Kulturaufstand". Den Biographien damaliger Akteure hat das offenbar gut getan; Dietmar Steiner leitet jetzt das Architekturzentrum Wien, Ingrid Karl wurde zu einer Schlüsselfigur zeitgenössischer Musik, die "Wespennest"-Autoren sind ihre Wege gegangen, Eva Pilz ist Hindu-Priesterin in Java. Als unseren Beitrag zum Musikprogramm von Kurt Ostbahn, Franz Kogelmann, Wolfgang Ambros oder Leonard Cohen haben wir Bob Downes aus London geholt; Saxophonspielen habe ich von ihm trotzdem nicht mehr so richtig gelernt. Unsere Plakate gegen Zwentendorf hat Max Peintner gemacht. In die Hainburger Au habe ich Oswald Oberhuber, als Rektor, geschleppt; in den Büschen ist er plötzlich mit Hundertwasser zusammengetroffen. Zu sagen haben sie sich nicht viel gehabt. Dieter Bogner war dort ein Hauptorganisator, später hat er sich ums Dauerthema Museumsquartier gekümmert. Zur Wissenschaft, etwa beim Thema alternative Energien, sind kaum Verbindungen entstanden. Statt die internationale Aufmerksamkeit für konzentrierte Innovationsprojekte zu nutzen, ist einer der Aktivisten (Bernd Lötsch) schließlich zum Museumsdirektor gemacht worden. Es wurde also logisch, eigene Medien oder das erste Piratenradio (Ö frei) zu unterstützen, "damit etwas weitergeht", wie es damals geheißen hat. Daß über solche Aktivitäten der Boden für eine politische Auffächerung, für die Gründung der Grünen, und später der Liberalen, aufbereitet worden ist, klingt aus der Distanz gesehen wie eine Selbsthistorisierung. Das Selbst dabei läßt sich ersatzlos streichen, dafür waren zu viele Facetten im Spiel. Seit bekannt ist, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings ganz wo anders einen Wirbelsturm auslösen kann (der "Schmetterlingseffekt" der Chaostheorie), war es plausibler geworden, sich manchmal wie ein Schmetterling zu verhalten. Um Inhalte und Formen geht es sogar solchen Wesen dauernd, obwohl das Bild arbeitsloser Schmetterlinge gerade in bezug auf Künstler und Künstlerinnen weiterhin zum nationalen Konsens gehört. Die betriebsinternen Gegenargumente dazu laufen auf eine ähnlich enge Sicht hinaus, da davon ausgegangen wird, daß es ohnedies nur ganz wenige bis zu wirklicher Relevanz schaffen und der - teuer ausgebildete - Rest in der Anonymität verschwindet.

Daß die Realität künstlerischen Arbeitens längst viel differenzierter ist, hat Elisabeth Al Chihade, die aus dem Libanon stammt, gerade in ihrer Dissertation über "Die Hochschule für angewandte Kunst in Wien und ihre Absolventen von 1970 - 1995" erforscht. Ob es das "Kunst-Wunder von Wien" ist, wie das "art magazin" diesen nachwirkenden Boom bezeichnet hat, oder das anspornende Gefühl, daß die reale Lage eher einen Kontrapunkt dazu bildet: Derzeit gibt es in Österreich an Kunsthochschulen - die inzwischen Kunstuniversitäten wurden - und an der Akademie rd. 7.000 Studierende, 5.000 davon für Musik und darstellende Kunst, 2.000 für bildende Kunst (1.000 an der Angewandten, 500 an der Akademie, 500 in Linz). Hinzuzurechnen wären noch künstlerische Studien an anderen Universitäten, wie Architektur, Kunstgeschichte, Literatur oder Ethnologie, damit das Gesamtinteresse deutlich wird. An der Angewandten kommt ein Viertel der Studierenden aus dem Ausland, und zwar, trotz aller Restriktionen, seit 1970 aus 43 Ländern. Frauen und Männer verteilen sich etwa so, wie es statistisch richtig ist, abgesehen "natürlich" von der Lehre. Die meisten studieren Graphik, Kunstpädagogik, Architektur, Design und Malerei, gefolgt von Mode, Bühnen- und Filmgestaltung, Bildhauerei, Restaurierung, visueller Mediengestaltung. Am Stubenring werden jährlich etwa neunzig akademisch geprüfte Künstler und Künstlerinnen in die Praxis entlassen, der größte Anstieg ist bei Malerei zu verzeichnen. Bei visueller Mediengestaltung gibt es bis 1995 vergleichsweise erst 24 Studienabschlüsse. Verblüffend ist, daß mehr als 1/3 aller Absolventen durch ausführliche Antworten dokumentiert, wie groß das Interesse an solchen Analysen ist. Noch verblüffender ist der hohe Zufriedenheitsgrad. 85 % geben an, der während des Studiums erlebte Freiraum hätte ihnen für ihre Persönlichkeitsentwicklung sehr gut getan, 70% empfanden ihn auch als sehr gut für ihren beruflichen Werdegang. 74% würden das Studium nochmals wählen, 56% würden sich wieder für die Angewandte entscheiden. 3/4 betrachten ihre Arbeit als eine künstlerische, mit einer Bandbreite zwischen Bildhauerei (93%) und Mode (56%); die Stories von künstlerisch ausgebildeten Kellnern und Taxifahrern stammen offenbar von Sparpaket-Agenturen. 2/3 sind der Ansicht, inzwischen ihren Fähigkeiten entsprechend anerkannt zu sein. 56% sind selbständig tätig. Zwischen 33% und 66% (Bildhauerei und Mode) sind der Auffassung, ein in finanzieller Hinsicht eher unbeschwertes Leben führen zu können. In der Architektur gibt über 1/3 an, mehr als 30.000.- ATS netto monatlich zu verdienen, bei anderen Studienrichtungen schwankt dieser Wert zwischen 10% und 20%. Am schwierigsten ist die Situation in der Malerei und der Keramik, wo über 1/3 der Befragten Monatseinkommen von unter 10.000.- ATS nennen, in der Bildhauerei ist es 1/4. Bizarr ist, daß sich Design immer noch nicht wirklich als expandierendes Berufsfeld etablieren konnte. Der sozialen Herkunft nach stammen die Studierenden primär aus dem Selbständigen- und Angestelltenbereich, das Beamtenmilieu ist restriktiver, Arbeiterkinder haben in der Bildhauerei und der Bühnengestaltung mit 22% und in der Mode mit 16% den höchsten Anteil. Ins Ausland gehen vor allem die Bühnen- und die Modeabsolventen. Die Qualität der Personalentscheidungen relativiert sich, da im allgemeinen die Anregungen durch Mitstudenten und die Gruppensituation weit höher eingeschätzt werden, als jene durch die Meisterklassenleiter selbst (12%). Nur in der Malerei sind für 28% bestimmte Professoren ein ausschlaggebendes Studienmotiv, in anderen Studienrichtungen reduziert sich diese eingestandene Persönlichkeitsbindung auf 4% bis 15%. Daß als inhaltlicher Hauptmangel des Studiums durchgehend "wirtschaftliche Kenntnisse", "Praxis" und "soziale Kompetenz" genannt werden, macht die Ambivalenz zwischen Universitäts- und Berufsausbildung und der Art jeweils bearbeiteter Projekte sichtbar, wie sie vielleicht erst unter dem Druck des Berufslebens bewußt wird. Es stellt aber auch eine Parallele dazu her, daß Wirtschaftsstudenten in den letzten Jahren einen dominierenden Berufswunsch haben: Managementberater.

Wo in diesen tendenziell sehr positiv klingenden Zustandsschilderungen der Leidensdruck geblieben ist, steht offenbar auf anderen, nicht immer den Fragebogen anvertrauten Blättern. Faktum ist jedenfalls, daß die von auswärts kommenden Studierenden schließlich sehr oft in Wien bleiben, in einigen Studienrichtungen gut die Hälfte von ihnen. Wenn es noch mehr würden und sie in einem internationalen Austausch ihre eigenen Arbeitsfelder schaffen und dynamischere Strukturen dafür entstünden, ergäbe das für die Stadt endlich echte Perspektiven, etwa als europäischer Spitzenstandort für Kunstausbildung und Forschung und für verschiedenste Formen künstlerischer und kultureller Arbeit.

 


Friedensreich Hundertwasser und
Oswald Oberhuber bei den Demonstrationen
gegen das Donaukraftwerk Hainburg 1984
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© Christian Reder 1998/2001