An der Hochschule für angewandte Kunst in Wien vertrete ich
das Fach "Kunst- und Wissenstransfer", also Beziehungen
zwischen Künsten, verschiedensten Wissens- und Wissenschaftsgebieten
und Politik und Ökonomie. Durch die Enge an Kunsthochschulen
ziemlich genervt, konzentriere ich mich nun wieder mehr
auf unabhängiges Schreiben und interessante Projekte,
etwa den Aufbau des Kunst- und Kulturprogramms des wissenschaftlichen
Springer-Verlages (Springer Wien New York) oder einer
Kulturzeitschrift in Sofia ("Literaturen Westnik"),
die ich seit zwei Jahren berate und der ich österreichische
Finanzmittel verschafft habe. Mein Interesse an solchen
Projekten ist es, bessere Strukturen und Bedingungen
für die Produktion von Kunst, für die Produktion geistiger
Leistungen zu schaffen. Ein richtiger Beruf ist daraus
bis jetzt nicht geworden. Wenn ich nach meiner Tätigkeit
gefragt werde, sage ich derzeit meistens: "Ich bin Experte
für komplizierte Projekte".
Künstler und Künstlerinnen sind ebenfalls "Experten für komplizierte
Projekte". Ihre Arbeit hat einen besonders hohen Grad an Exponiertheit
und Komplexität, unabhängig davon, ob sie allein arbeiten
oder in Gruppenkonstellationen (etwa mit Galerien, Druckern,
beim Film, im Theater, in der Musik, in der Architektur).
Künstler denken, malen, schreiben, dichten und entwerfen nicht
zwölf Stunden am Tag. Sie müssen oft sehr viel Zeit aufwenden,
um sich halbwegs geeignete Arbeitssituationen, Umsetzungsmöglichkeiten
und Lebensgrundlagen zu verschaffen. Kunst und andere geistige
Leistungen entstehen zwar weiterhin häufig in Isolation, aber
jede Sparte hat ihren Betrieb, der die Zirkulation von Werturtellen,
Informationen, Geldflüssen regelt, und zwangsläufig informell,
unverläßlich, lobbyistisch und undurchsichtig ist.
Also spräche viel dafür, daß sich solche gewohnten Verwicklungen
hin zu mehr Transparenz, zu leistungsfähigen Institutionen
und Unternehmen entwickeln, damit Dynamik und Subtilität über
geeignete Strukturen verfügen.
Hinter solchen Gedanken steckt natürlich ein Wunschdenken
und in der Realität sieht alles ganz anders aus - sei es in
Hollywood, auf der Frankfurter Buchmesse, der Documenta in
Kasse[ oder in der Stiftung Ludwig. Hollywood, mit seiner
Tendenz zu Megaproduktionen, ist kein Modell; das Museum of
Modern Art in New York, mit seinen 150 wichtigen Beiratsmitgliedern
offenbar auch nicht, und die ständig von Konkursen bedrohten
Kleingalerien und Kleinverlage ebenfalls nicht. Andererseits
wünscht sich mehr oder minder jeder Künstler professionelle
und finanzstarke Galerien, Museen, Verlage, Druckereien, Veranstaltungszentren,
Filmfirmen, Musikinstitutionen, Stiftungen, Kunsthochschulen
... Wie aber könnten sich solche leistungsfähigen "Betriebsysteme
Kunst" (wie das jetzt genannt wird) entwickeln?
Im Vergleich zu anderen Sektoren der Gesellschaft sind diese
Bereiche besonders krisen-, politik- und repräsentationsanfällig.
Wer vom Mainstream getragen wird, verliert den Blick darauf,
wie ärmlich es weiterhin anderswo zugeht. Energien für Strukturentwicklungen
bündeln sich nicht von selbst, noch dazu wo sich im Zuge der
allgemeinen Entstaatlichung und Deregulierung niemand mehr
so richtig für zuständig hält. Die Mediengesellschaft reagiert
darauf durch die Rekonstruktion der Person als Genie, als
Star. Davon darf es aber nicht allzuviele geben. Das sind
in Wahrheit Ersatzhandlung dafür, daß auf dem Gebiet der Strukturen
des Kunstbetriebes und der gedanklichen Strukturen sowenig
Initiativen möglich werden. Da diese Strukturen sich einfach
irgendwie entwickeln - aufstrebend, dann wieder einbrechend,
sich nach dahin und dorthin orientierend, manchmal eine anspruchsvolle
Kunstproduktion brauchend, dann wieder nicht -, hat sich das
Geschehen immer mehr fragmentiert. Die Gruppierungen, die
für sich zu wissen glauben, was interessante Kunst ist und
was nicht - werden wieder viel kleiner und spezialisierter.
Vielfach sondern sie sich von diversen Formen des Kunstbetriebes
ab.
Das Gegenbild dazu sind kooperative, neugierige, gesprächsbereite
Künstler und Künstlerinnen. In meinem Umfeld sind es meist
jene der jüngeren Generation, die ähnlich wie Musiker denken,
mit hohem Qualitätsanspruch und Interesse an einem Zusammenspiel
ohne dominante Vernichtungsallüren. Sie sind an Strukturen
und ihrer Evaluierung interessiert, weil sie wissen, wieviel
Energie ihnen ansonsten verloren geht.
Künstler sind, wie ich schon gesagt habe, Experten für komplizierte
Projekte - auf ihre Kunst bezogen und vielfach auch auf die
Formen der Umsetzung. Daß dabei schließlich immer wieder sehr
"einfache" - und dadurch überzeugende - Lösungen herauskommen,
belegt nur, daß oft komplizierte Zugangsweisen notwendig sind.
Luis Bunuel, den ich dazu oft zitiere, hat trotz ärmlicher
Budgets, schlechter Bedingungen im Exil, aufgezwungener Schauspieler,
Budgetkürzungen etc. rückblickend gesagt, daß er sich nie
für irgendeine gedrehte Szene genieren mußte. Daß oft unter
schwierigsten Bedingungen großartige künstlerische Leistungen
möglich waren, macht alles Klagen und alles Gerede um den
Kunstbetrieb immer wieder lächerlich.
Andererseits bleibt vieles in Köpfen und Träumen verborgen,
weil die Produktionsbedingungen unzureichend sind.
Daß wir eine Dekade hinter uns haben, in der in Museen -
dem Endlager für Kunst - viel mehr investiert wurde als in
die Produktion von Kunst, läßt eigentlich auf eine Normalisierung
hoffen. Manche fortschrittliche Geister an Kunsthochschulen
gehen sogar davon aus, daß Rechnungshof und Sparpaket endliche
überfällige strukturelle Reformen in Gang setzen. Offiziell
ist nirgends mehr überschüssiges Geld vorhanden. Sonderbarerweise
- obwohl westliche Gesellschaften (und Individuen) zu einem
beträchtlichen Teil immer reicher werden. Für Kunst solches
"überschüssiges" Geld einzusetzen, war immer eine kurzsichtige
Strategie.
Künstlerische Arbeit nicht schlechter als andere Arbeit einzustufen
wäre ein entsprechender Schritt - auch im Selbstverständnis
des Künstlers. Die eigene künstlerische Arbeit als Prozeß
komplizierter Projekte zu begreifen, ginge bereits darüber
hinaus.
Komplexität als gedankliches Angebot zu sehen - neben den
üblichen Versimplifizierungen als Reduktion von Komplexität
- weist in jene Richtung, in der auf die Rekonstruktion von
Genies verzichtet werden könnte, weil die Arbeit von Künstlern
und Künstlerinnen als prägendes Element von Kultur und geistigen
Leistungen gesehen wird. Daß dabei auch Stars entstehen, ist
motivationsmäßig wichtig, ansonsten eher eine romantische
Reminiszenz.
Solche Zusammenhänge bekräftigen vielleicht, daß Tendenzen
des Kunstbetriebes zur Vereinfachung hin - mit ihrer Orientierung
an Marken, Logos, Firmen, Museen, Renditen, Management - ohne
eine Kompliziertheit von Kunst und eine Kompliziertheit der
Vermittlungsprozesse eine Verengung bewirken. "Arme" Kunst
kann überzeugen, "teure" Kunst kann überzeugen - auch als
ständige Frage nach den eigenen Wertmaßstäben.
Kompliziertheit heißt Befreiung von Modellen. Kompliziertheit
kann eine spezielle Einfachheit erzeugen. Erst Kompliziertheit
motiviert zum Erforschen. Aus Kompliziertheit ergeben sich
unerwartete Verbindungen und Bezüge. Und über die Kompliziertheit
von Kunst und ihre Produktionsbedingungen müßten wir natürlich
länger reden ...
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