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English Summary
   

Christian Reder im Atelier von Károly Klimo, Budapest
Kunst - gesehen als Prozeß komplizierter Projekte

Statement eines Experten für komplizierte Projekte

In: Hans Knoll, Lioba Reddeker (Hg.): White Flags. Ein Projektbericht aus Budapest
(deutsch mit englischen Zusammenfassungen)
Wien 1998

Textfassung eines Vortrages im Rahmen eines Symposiums mit Atelierbesuchen in Budapest

 

 

An der Hochschule für angewandte Kunst in Wien vertrete ich das Fach "Kunst- und Wissenstransfer", also Beziehungen zwischen Künsten, verschiedensten Wissens- und Wissenschaftsgebieten und Politik und Ökonomie. Durch die Enge an Kunsthochschulen ziemlich genervt, konzentriere ich mich nun wieder mehr auf unabhängiges Schreiben und interessante Projekte, etwa den Aufbau des Kunst- und Kulturprogramms des wissenschaftlichen Springer-Verlages (Springer Wien New York) oder einer Kulturzeitschrift in Sofia ("Literaturen Westnik"), die ich seit zwei Jahren berate und der ich österreichische Finanzmittel verschafft habe. Mein Interesse an solchen Projekten ist es, bessere Strukturen und Bedingungen für die Produktion von Kunst, für die Produktion geistiger Leistungen zu schaffen. Ein richtiger Beruf ist daraus bis jetzt nicht geworden. Wenn ich nach meiner Tätigkeit gefragt werde, sage ich derzeit meistens: "Ich bin Experte für komplizierte Projekte".

Künstler und Künstlerinnen sind ebenfalls "Experten für komplizierte Projekte". Ihre Arbeit hat einen besonders hohen Grad an Exponiertheit und Komplexität, unabhängig davon, ob sie allein arbeiten oder in Gruppenkonstellationen (etwa mit Galerien, Druckern, beim Film, im Theater, in der Musik, in der Architektur). Künstler denken, malen, schreiben, dichten und entwerfen nicht zwölf Stunden am Tag. Sie müssen oft sehr viel Zeit aufwenden, um sich halbwegs geeignete Arbeitssituationen, Umsetzungsmöglichkeiten und Lebensgrundlagen zu verschaffen. Kunst und andere geistige Leistungen entstehen zwar weiterhin häufig in Isolation, aber jede Sparte hat ihren Betrieb, der die Zirkulation von Werturtellen, Informationen, Geldflüssen regelt, und zwangsläufig informell, unverläßlich, lobbyistisch und undurchsichtig ist.

Also spräche viel dafür, daß sich solche gewohnten Verwicklungen hin zu mehr Transparenz, zu leistungsfähigen Institutionen und Unternehmen entwickeln, damit Dynamik und Subtilität über geeignete Strukturen verfügen.

Hinter solchen Gedanken steckt natürlich ein Wunschdenken und in der Realität sieht alles ganz anders aus - sei es in Hollywood, auf der Frankfurter Buchmesse, der Documenta in Kasse[ oder in der Stiftung Ludwig. Hollywood, mit seiner Tendenz zu Megaproduktionen, ist kein Modell; das Museum of Modern Art in New York, mit seinen 150 wichtigen Beiratsmitgliedern offenbar auch nicht, und die ständig von Konkursen bedrohten Kleingalerien und Kleinverlage ebenfalls nicht. Andererseits wünscht sich mehr oder minder jeder Künstler professionelle und finanzstarke Galerien, Museen, Verlage, Druckereien, Veranstaltungszentren, Filmfirmen, Musikinstitutionen, Stiftungen, Kunsthochschulen ... Wie aber könnten sich solche leistungsfähigen "Betriebsysteme Kunst" (wie das jetzt genannt wird) entwickeln?

Im Vergleich zu anderen Sektoren der Gesellschaft sind diese Bereiche besonders krisen-, politik- und repräsentationsanfällig. Wer vom Mainstream getragen wird, verliert den Blick darauf, wie ärmlich es weiterhin anderswo zugeht. Energien für Strukturentwicklungen bündeln sich nicht von selbst, noch dazu wo sich im Zuge der allgemeinen Entstaatlichung und Deregulierung niemand mehr so richtig für zuständig hält. Die Mediengesellschaft reagiert darauf durch die Rekonstruktion der Person als Genie, als Star. Davon darf es aber nicht allzuviele geben. Das sind in Wahrheit Ersatzhandlung dafür, daß auf dem Gebiet der Strukturen des Kunstbetriebes und der gedanklichen Strukturen sowenig Initiativen möglich werden. Da diese Strukturen sich einfach irgendwie entwickeln - aufstrebend, dann wieder einbrechend, sich nach dahin und dorthin orientierend, manchmal eine anspruchsvolle Kunstproduktion brauchend, dann wieder nicht -, hat sich das Geschehen immer mehr fragmentiert. Die Gruppierungen, die für sich zu wissen glauben, was interessante Kunst ist und was nicht - werden wieder viel kleiner und spezialisierter. Vielfach sondern sie sich von diversen Formen des Kunstbetriebes ab.

Das Gegenbild dazu sind kooperative, neugierige, gesprächsbereite Künstler und Künstlerinnen. In meinem Umfeld sind es meist jene der jüngeren Generation, die ähnlich wie Musiker denken, mit hohem Qualitätsanspruch und Interesse an einem Zusammenspiel ohne dominante Vernichtungsallüren. Sie sind an Strukturen und ihrer Evaluierung interessiert, weil sie wissen, wieviel Energie ihnen ansonsten verloren geht.

Künstler sind, wie ich schon gesagt habe, Experten für komplizierte Projekte - auf ihre Kunst bezogen und vielfach auch auf die Formen der Umsetzung. Daß dabei schließlich immer wieder sehr "einfache" - und dadurch überzeugende - Lösungen herauskommen, belegt nur, daß oft komplizierte Zugangsweisen notwendig sind.

Luis Bunuel, den ich dazu oft zitiere, hat trotz ärmlicher Budgets, schlechter Bedingungen im Exil, aufgezwungener Schauspieler, Budgetkürzungen etc. rückblickend gesagt, daß er sich nie für irgendeine gedrehte Szene genieren mußte. Daß oft unter schwierigsten Bedingungen großartige künstlerische Leistungen möglich waren, macht alles Klagen und alles Gerede um den Kunstbetrieb immer wieder lächerlich.

Andererseits bleibt vieles in Köpfen und Träumen verborgen, weil die Produktionsbedingungen unzureichend sind.

Daß wir eine Dekade hinter uns haben, in der in Museen - dem Endlager für Kunst - viel mehr investiert wurde als in die Produktion von Kunst, läßt eigentlich auf eine Normalisierung hoffen. Manche fortschrittliche Geister an Kunsthochschulen gehen sogar davon aus, daß Rechnungshof und Sparpaket endliche überfällige strukturelle Reformen in Gang setzen. Offiziell ist nirgends mehr überschüssiges Geld vorhanden. Sonderbarerweise - obwohl westliche Gesellschaften (und Individuen) zu einem beträchtlichen Teil immer reicher werden. Für Kunst solches "überschüssiges" Geld einzusetzen, war immer eine kurzsichtige Strategie.

Künstlerische Arbeit nicht schlechter als andere Arbeit einzustufen wäre ein entsprechender Schritt - auch im Selbstverständnis des Künstlers. Die eigene künstlerische Arbeit als Prozeß komplizierter Projekte zu begreifen, ginge bereits darüber hinaus.

Komplexität als gedankliches Angebot zu sehen - neben den üblichen Versimplifizierungen als Reduktion von Komplexität - weist in jene Richtung, in der auf die Rekonstruktion von Genies verzichtet werden könnte, weil die Arbeit von Künstlern und Künstlerinnen als prägendes Element von Kultur und geistigen Leistungen gesehen wird. Daß dabei auch Stars entstehen, ist motivationsmäßig wichtig, ansonsten eher eine romantische Reminiszenz.

Solche Zusammenhänge bekräftigen vielleicht, daß Tendenzen des Kunstbetriebes zur Vereinfachung hin - mit ihrer Orientierung an Marken, Logos, Firmen, Museen, Renditen, Management - ohne eine Kompliziertheit von Kunst und eine Kompliziertheit der Vermittlungsprozesse eine Verengung bewirken. "Arme" Kunst kann überzeugen, "teure" Kunst kann überzeugen - auch als ständige Frage nach den eigenen Wertmaßstäben.

Kompliziertheit heißt Befreiung von Modellen. Kompliziertheit kann eine spezielle Einfachheit erzeugen. Erst Kompliziertheit motiviert zum Erforschen. Aus Kompliziertheit ergeben sich unerwartete Verbindungen und Bezüge. Und über die Kompliziertheit von Kunst und ihre Produktionsbedingungen müßten wir natürlich länger reden ...

 

 
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© Christian Reder 1998/2001