Wer den tatsächlichen Zustand der heutigen Gesellschaft in
welcher Form beeinflusst, beziehungsweise beeinflussen könnte,
verbirgt sich hinter undurchsichtigen Prozessen und hinter
unzureichenden, vielfach auch überflüssigen, jedenfalls aber
schlecht strukturierten Informationen.
Vor allem für die Präzisierung von Tatbeständen und. Vorhaben,
die sich nicht In Geldwerten ausdrücken lassen, ist man auf
mehr oder minder große Worte und isolierte Einzeldaten angewiesen.
Für die Arbeit im großen wie in jedem kleinen Bereich, sind
Lagebeurteilung, präzise Zielvorgaben, Planung und periodische
Erfolgskontrolle wichtig. Aber gerade die nichtökonomischen
Fakten und Resultate, die die Lebensbedingungen des Menschen
betreffen, sind nicht greifbar.
Wie läßt sich unter diesen Bedingungen ein eifizienter Einsatz
der Mittel erzielen, wie ein Lernprozeß fördern?
Was hat eine Regierung, ein Parteifunktionär, ein Manager
oder der Bürgermeister eines Dorfes für sozial relevante Ergebnisse
bewirkt? Welche Daten bestimmen seine Entscheidungen? Wie
können Potemkinsche Dörfer "sozialer" Initiativen vermieden
werden? Wie nimmt die Aufgeschlossenheit gegenüber Minoritäten,
Andersdenkenden oder sozial Benachteiligten zu? Was bringen
um 30 Prozent höhere Bildungsausgaben? Was ist sozialer Fortschritt
und welche Richtung nimmt er?
Solche Fragestellungen belegen die Notwendigkeit grundlegender
Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der Datenerfassung, -verarbeitung
und -verwertung. Dies enthebt aber Organisationen und Mitarbeiter
nicht davon, sich auch schon kurzfristig konsequent mit einem
erweiterten Resultatsbegriff für jede einzelne Einheit auseinanderzusetzen.
Um aus der Fülle theoretischen Materials zu Erfordernissen
gesellschaftlichen Inhaltes brauchbare Entscheidungsunterlagen
für die unmittelbare Arbeit in Politik, Verwaltung und Wirtschaft
zu gewinnen, erscheinen die mittels Sozialindikatoren zu erfassenden
Fakten und Argumente als wertvolle Hilfsmitte.
Der Begriff "Sozialindikator"
Die Leitidee für die Konzeption der Sozialindikatoren war
das Bestreben, jenen Bereich der gesellschaftlichen Phänomene,
die von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfasst
werden oder nicht erfasst werden können, einer Analyse und
deswegen der Messbarkeit zugänglich zu machen. Zielvorstellung
ist also eine Art Kennziffernsystem für das Sozialgeschehen.
Sozialindikatoren sind demnach Meßgrößen für die Lebensbedingungen
des Menschen, gegliedert nach den Problemschwerpunkten der
Gesellschaft.
Für die Datengewinnung werden alle brauchbaren Statistiken
herangezogen beziehungsweise neue Kategorien definiert und
Meinungsumfragen durchgeführt. Dabei sollen nur diejenigen
Daten in den Rang eines Indikators erhoben werden, deren Aussagewert
durch seinen empirisch überprüfbaren Zusammenhang mit einem
bestimmten Konzept eines Sozialphänomens belegt werden kann,
Wesentlich ist die Einbeziehung quantitativer und qualitativer
Aspekte, die Vermittlung von Zugängen zur Analyse der Ursachen
und Abhängigkeiten und die kompakte Darstellung der die soziale
Wirklichkeit charakterisierenden Fakten.
Anwendungsgebiete
Bereits durch einen aussagekräftigeren Gliederungsrahmen
und zusammengefaßte vorhandene Daten stehen besser strukturierte
und leichter zugängliche Informationen zur Verfügung. Trends
werden sichtbar, für periodische Analysen und Lageberichte
verbessern sich die Voraussetzungen. Das Problembewusstsein
kann sich ausbreiten und vertiefen. Die Interessengegensätze
lassen sich fundierter diskutieren. In den Planungsprozeß
der einzelnen Bereiche können schrittweise und entsprechend
gewichtet gesellschaftsbezogene Daten einbezogen werden. Je
greifbarer die spezifischen, positiven oder negativen Resultate
sind, desto stärker werden sich Motivationen und Veränderungsenergien
entfalten.
In der theoretischen Fundierung muß man sich bewußt sein,
dass es um die konsequente Sichtbarmachung der sozialen Realität,
ihrer Ursachen und Gestaltungsmöglichkeiten und nicht um Konfliktvermeidung
oder -verschleierung.
Sozalindikatoren sollen Fakten liefern. Ihre Interpretation,
Bewertung, ihre Umsetzung in Ziele, Prioritäten und Programme
ist ein zweiter, ein politischer Schritt. Ob ein aufgezeigter
Trend gut oder schlecht ist oder ob die Schwerpunkte da oder
dort liegen, darüber wird in vielen Fällen keine Übereinstimmung
herrschen.
In diesem Zusammenhang erhebt sich die Fragen nach den Institutionen,
die für Lageberichte und Erfolgsbewertung heranzuziehen sind,
damit sich nicht Pseudo-Objektivität und Selbstbelobigungsapparate
entwickeln. Von der Erfassungsmethode her droht die Gefahr
enger Normierung und überbewerteten Quantitätsdenkens. Die
qm-Zahl von Wohnungen, Rasenflächen oder Kinderspielplätzen
charakterisiert natürlich nicht die tatsächlich damit geschaffenen
Lebensbedingungen. Die psychischen und unbewußten Belastungen
und Wunschvorstellungen können nur sehr schwer in eine permanente
Datenerhebung einbezogen werden. Die Fragen der Aktualität,
Vergleichbarkeit, Bezugsgrößen und Flexibilität bedürfen einer
Klärung. Der möglichen Manipulation von Zahlen kann nur dann
entgegengewirkt werden, wenn ihr Entstehungsprozeß nachvollziehbar
ist.
Insgesamt bestehen also eine Reihe von Gründen für ein skeptisches
Vorgehen auf diesem Gebiet. Zu Euphorie, daß ein solches System
bereits ein wichtiger Schritt zu einem funktionierenden Rückkoppelungsprozeß
ist, der Bereichen der Makro- und Mikroebene ermöglicht, die
sozialen Konsequenzen ihrer Handlungen zu steuern, besteht
wenig Anlaß. Die weitreichende Problematik des Themas dokumentieren
auch die praktischen Umsetzungsschwierigkeiten in den auf
auf theoretischem Gebiet weit fortgeschrittenen Ländern. Doch
keine dieser Einschränkungen liefert ausreichende Gründe gegen
eine Weiterentwicklung der bestehenden Konzepte mit dem Ziel,
das Ungleichgewicht ökonomischer und Nichtökonomischer Fakten
in der heutigen Entscheidungsmethodik zu überwinden.
Internationale Aktivitäten
In den USA haben die Überlegungen rund um einen brauchbaren
"Bericht, zur Lage der Nation" seit etwa1965 zu intensiven
theoretischen Arbeiten auf Gebieten wie "Social Report", "Social
Indicators", und "Social Accounts" geführt. Der Optimismus
bei der Suche nach Systemen und Maßstäben war kurz darauf
so groß, dass von einer ganzen Sozialindikatorenbewegung gesprochen
wurde. 1969 erschien der erste von der Regierung in Auftrag
gegebene Sozialbericht, eine ministerielle Kommission befaßt
sich mit der gesellschaftlich interpretierten Neuordnung der
amtlichen Statistik. Die "Russell Sage Foundation" in New
York und das "Urban Institute" in Washington sind neben verschiedenen
Universitäten Zentren der Entwicklungsarbeit.
In Großbritannien erschien 1971 die Publikation "Social Trends",
ein benutzerorientiertes Kompendium der Sozialstatistik. Neben
anderen Arbeiten wurden hier frühzeitig Lebensqualität-Studien
forciert, in denen systematisch die Vorstellungen, Prioritäten
und Unzufriedenheiten von befragten Personen verarbeitet wurden.
In der BRD hat sich seit 1968 die Goethe-Universität in Frankfurt
zu einem Schwerpunkt der Sozialidikatorenforschung entwickelt
(Professor Wolfgang Zapf). 1967 lag der erste "Bericht zur
Lage der Nation" vor, 1971 die wesentlich erweiterten "Materialien
zum Bericht zur Lage der Nation". Es gibt eine Arbeitsgruppe
"Soziale Indikatoren" im Rahmen der Planungsaktivitäten der
Bundesregierung. Diese hat ihrerseits die "Kommission für
wirtschaftlichen und sozialen Wandel" beauftragt, bis 1975
einen umfassenden Bericht auszuarbeiten, in dem technische,
wirtschaftliche und soziale Indikatoren im Rahmen der Problemdarstellung
und des Aufzeigens von Aktionsmöglichkeiten entsprechendes
Gewicht haben werden.
In Österreich ist speziell das Institut für Höhere Studien
in Wien zu nennen, das sich mit Sozialindikatoren und Studien
zu Einzelbereichen befaßt.
Auf internationaler Ebene arbeitet auf diesem Gebiet, neben
verschiedenen Unterorganisationen der UNO, vor allem die OECD
mit ihrem "Programme of Work on Social Indicators" (seit 1970).
Als Rahmen wurden von den Mitgliedsländern zunächst 8 Themenschwerpunkte
vereinbart:
1. Gesundheit
2. Persönlichkeitsentfaltung durch Lernen
3. Beschäftigungslage und Arbeitswelt
4. Zeit- und Freizeitverwendung
5. Verfügbarkeit von Gütern und Dienstleistungen
6. Umwelt
7. Sicherheit und Rechtsschutz
8. Chancengleichheit und Mitwirkungsrechte
1975 soll die zweite Etappe der Detailarbeiten abgeschlossen
sein.
Die französischen Sozialindikatoren
Die vorliegende Zusammenfassung konzentriert sich auf die
Arbeiten in Frankreich, weil der Entwicklungsstand der staatlichen
Planung und die politische Situation hier auf besonders aussagefähige
Zwischenresultate schließen ließ.
Ende der sechziger Jahre wurde an der Ecole Nationale d'Administration
(ENA) im Auftrag des Planungskommissariates ein Forschungsseminar
"Sozialindikatoren" (Leitung: Jaques Delors) eingerichtet.
In diesem ersten französischen Versuch wurden die verfügbaren
Forschungsergebnisse aus den USA analysiert, die vorhandenen
Statistiken des Wirtschafts- und - Sozialgeschehens auf Aussagefähigkeit
und technische Brauchbarkeit für die Konstruktion von Sozialindikatoren,
untersucht und die so gewonnenen Kennzahlen zu problemorientierten
Themen zusammengefaßt. Die dadurch zunächst gewonnenen 400
Größen wurden auf Aussagekraft, Vergleichbarkeit, Komprimier-
und Aufschlüsselungsfähigkeit, technische Qualität und ihren
Bezug auf die Struktur beziehungsweise auf die Leistung des
Systems geprüft.
Das 1971 veröffentlichte Resultat beinhaltet eine Gliederung
in 21 Themen, denen die verfügbaren Indikatoren mit entsprechenden
Kommentaren zugeordnet sind:
1. Lebenserwartung: Angeführt werden hier Lebenserwartung,
Geburtenfreudigkeit, Sterblichkeit, Todesursachen usw. nach
verschiedenen Kategorien.
2. Gesundheitsvorsorge: Struktur und Leistungsdaten des ärztlichen
und des Krankenhausbereiches, des Versicherungssystems, Pharmazeutikakonsum,
Kostendaten usw.
3. Entwicklungen im Bereich der Familie: Eheschließungs-
und Scheidungsrate, eheliche/uneheliche Geburten, Abtreibungen,
Empfängnisverhütung, Amtsvormundschaftsfälle, gefährdete Kinder,
Zeitverwendung innerhalb der Familie, Wohnungsgröße, Kindergärten,
Schulen, Lebensstandard, Freizeitmöglichkeiten usw.
4. Beteiligung der Frau am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Leben: Berufstätigkeit nach Qualifikationsniveau/Branche,
weiblich/männlich, Gehälter, Gesamtarbeitsstunden, Ausstattungsgrad
der Haushalte, Ausbildung, Entlastungseinrichtungen, Kindergärten,
Tagesheime, politische und gewerkschaftliche Organisiertheit,
Zugehörigkeit zu Vereinigungen, zu politischen Gremien, Auflagen
der Frauenzeitschriften usw.
5. Stellung der alten Leute in der Gesellschaft: Jahreseinkommen
nach vorheriger Berufskategorie, Beihilfen, Nebeneinkommen,
Alleinstehende, nicht auf fremde Hilfe Angewiesene, Forschungsaufwand,
Gerontologie, Wohn- und Unterkunftsbedingungen, Intensität
der Kommunikation usw.
6. Verhalten gegenüber gesellschaftlichen Randschichten:
Anteil der Armen (unter 50 Prozent des Durchschnittseinkommens),
der von der Sozialhilfe Abhängigen; der Körperbehinderten,
der Analphabeten, der "sozial Unangepaßten", verfügbare/ erforderliche
Pflegeplätze, Fall pro Sozialbediensteten, Vorbeugungsanstrengungen,
Häftlinge in üblichen / fortschrittlichen Anstalten, Anteil
der Reintegrierten in geschütztem Milieu
7. Beschäftigungslage. Hier werden die geläufigen Kennziffern
bezüglich Arbeitslosigkeit, struktureller Maßnahmen, Umschulung,
Unterstützung usw. eingeordnet.
8. Rolle des Unterrichtswesens: Hierzu zählen Daten über
die Sozialstruktur in den verschiedenen Bildungswegen, Ausgabenkategorien,
Klassengröße, Kosten der Bildungsforschung und der Schulexperimente.
9. Kulturelle Entwicklung: Einstellung zur Arbeit, Einkommenssteigerung,
zur Sexualerziehung, zur Zukunft, "zu einem bestimmten zeitgenössischen
Künstler", zur "Entwicklung der nationalen Realität", Zeitverwendung
für Sport, Körperpflege, Lesen, Musikhören, Theater, Kino,
Museum, TV, für eigene Versuche in Literatur, Musik, Kunst,
für Basteln, Handwerk, Verschönerung des Wohnbereiches, für
Freundschaftspflege, Vereinigungen, Spiele, Gewerkschaften,
politische Parteien, Häufigkeit bestimmter Gesprächsthemen
usw.,
10. Anpassungsfähigkeit an Veränderungen: Die eingeordneten
Kriterien beschränken sich hier auf den Grad wirtschaftlicher
Strukturveränderungen, die berufliche und regionale Mobilität
der Bevölkerung, auf die Entwicklung der Verstädterung, des
Wohnbestandes und der Freizeitgelegenheiten.
11. Soziale Mobilität: Hierunter fallen Fakten zur Chancengleichheit
im Bildungswesen, zum beruflichen Aufstieg und zu den Kontakten
zwischen den einzelnen Sozialschichten.
12. Aufgeschlossenheit der Gesellschaft gegenüber der übrigen
Welt: Wirtschaftsbeziehungen, Entwicklungshilfe, Aus- und
Einwanderungen, Gastarbeiter, Flüchtlinge, Eheschließungen,
Umfang der Auslandskorrespondenz, Reiseverkehr, Jugendaustausch,
kulturelle Beziehungen (ausländische Tageszeitungen, Bücher,
Filme, Theaterstücke, Schallplatten in Relation zur Inlandsproduktion,
zu Ausfuhren usw.).
13. Verteilung des Volksvermögens: Neben den traditionellen
Kriterien werden hier genannt: Anteil der Ausgaben für öffentliche
Einrichtungen an den Gesamtausgaben der Privathaushalte, Benützung
dieser Einrichtungen nach sozialer Kategorie, Sozialkosten
der Umweltbelastung.
14. Verteilung der Einkommen: Die zahlreichen hier eingeordneten
Faktoren werden gegliedert nach Einkommensverteilung, Haushaltseinkommen,
frei verfügbare Einkommen, Verwendung der Ersparnisse und
Struktur des Konsums.
15. Struktur des Kapitalbestandes: Die Gliederung erfolgt
hier nach differenzierten Anlageformen und ihrer Preisentwicklung
beziehungsweise ihren Zuwachsraten.
16. Rolle der sozialen Einrichtungen: Die Definition beschränkt
sich hier auf die Absicherung gegen diverse Risiken (Pensions-,
Kranken-, Lebens-, Unfallversicherung, Arbeitslosenunterstützung,
Sparförderung, Militärausgaben usw.).
17. Solidarisierung der Gesellschaft: Der Begriff umfaßt
nur ganz eng gesteckt materielle Leistungen von Organisationen
oder dem Staat an einzelne oder Gruppen, die ganz oder teilweise
ohne Gegenleistung erfolgen. (Katastrophenhilfe, Infrastrukturausgaben
usw.).
18. Wohnungswesen: Größe und Ausstattung der Wohnungen, Ein/
Mehrfamilienhäuser, Grünflächen, Gartenbenützung, Stadterneuerung,
Wohnkosten/Konsum, Produktion schalldämmender Materialien
usw.
19. Landschaftsschutz und Landschaftsplanung: Struktur- und
Leistungsdaten zum landwirtschaftlichen Bereich, Ausgaben
für Naturschutz, Umweltverschmutzung, erschlossene/nicht erschlossene
Gebiete, Fischerei-, Jagd-, Wassersport-, Genehmigungen usw.
20. Stadtentwicklung: Umfang der Verstädterung und Aufschlüsselung
der einzelnen Städte nach Struktur und Qualitätskriterien
(Wohnraum/EW, Individual / Massenverkehr, Grünfläche pro Einwohner,
Versorgung im Nahbereich, Schulen, kulturelle Einrichtungen,
Freizeitwert, Unfälle pro Einwohzner usw.).
21. Freizeitgestaltung: Individuelle Zeitverwendung für Arbeit,
Wegzeit, Haushalt, Ausbildung, Familie, Entspannung, Vergnügen,
Essen, Kommunikation, Sport, Schlaf, Nichtstun
Im Anschluß an dieses hier in seinen wesentlichen Aussagen
zusammengefaßte, insgesamt noch sehr unbefriedigende Zwischenergebnis
bemühte man sich an der Ecole Nationale d'Administration um
neue Erkenntnisse mittels einer Analyse der gesellschaftlichen
Entwicklung in Frankreich (1953 bis 1971) unter Benutzung
von 450 statistischen Zeitreihen. Gegenstand waren Gesundheit,
Kultur, Lebensweise, Stadt, Arbeitsbedingungen, soziale Ungleichheit,
Konflikte und die gegenseitigen Zusammenhänge. Die auf diese
Weise verbesserten Indikatoren wurden versuchsweise zu einem
sozialen Globalindikator zusammengefaßt, der jeweils dem Brutto-Inlandsprodukt
und den Daten zur öffentlichen Meinung gegenübergestellt wurde,um
weitere Einsichten in die neuralgischen Punkte und Abhängigkeiten
zu gewinnen.
Parallel dazu arbeitet das "Institut de Recherche Economique
et de la Planification" (IREP) in Grenoble an einem Modell
des sozialen Wandels, mit der Absicht dessen Schlüsselstellen
zu identifizieren und ihnen Indikatoren zuzuordnen, kämpft
dabei aber genauso mit enormen Quantifizierungsschwierigkeiten.
Das "Institut Nationale de Statistique et des Etudes Economiques"
(INSEE), die statistische Zentralbehörde Frankreichs, konzentriert
sich in Erkennung der politischen Problematik dieser Bestrebungen
auf ihre Eigenschaft als Berater und Datenbank für die einzelnen
Projekte. Koordinationszentrum und Informationsbörse der Sozialindikatorenforschung
in Frankreich ist die Abteilung "Service des Affaires Sociales"
des staatlichen Planungskommissariates. Sie vergibt auch selbst
Forschungsaufträge, wie zum Beispiel die Studie "Arbeitswelt"
an das "Laboratoire d'Economie et de Sociologie" in Aix-en-Provence.
Der hier gegebene Überblick zeigt die Intensität, mit der
in Frankreich unter hohem Problemdruck daran gearbeitet wird,
die systemgefährdenden Nebeneffekte des geplanten Wachstums
in den Griff zu bekommen. Gemessen an der ursprünglichen Zielsetzung
und dem Zeit- und Geldaufwand während fünfjähriger Arbeit
müssen die tatsächlichen Ergebnisse als dürftig bezeichnet
werden. Beabsichtigt war ja, die politischen Prioritäten der
staatlichen Planung ("grandes options") und deren Auswirkungen
zu untersuchen und die Sozialindikatoren in den VI. Plan (1971
bis 1975) mit einzubeziehen. Inwieweit einzelne Sozialindikatoren
systematisch für die Ausarbeitung des VII. Planes (1975 bis
1980) Verwendung finden, ist fraglich. Hauptursache dafür
war die technokratische Inangriffnahme des gesamten Themas,
die zu einer unbefriedigenden Verwobenheit von Indikatoren,
die faktische Feststellungen und solchen, die politische Bewertungen
beinhalten, geführt hat. Von dem angestrebten Informationssystem
über den sozialen Wandel und daraus abzuleitenden Steuerungsmöglichkeiten
ist offensichtlich bisher nichts tatsächlich realisiert oder
realisierungsfähig, was als wirklich neue Dimension bezeichnet
werden könnte.
Dennoch werden die weitergehenden Forschungsbemühungen sicherlich
eine Reihe ergiebiger Impulse theoretischer und methodologischer
Natur bringen. Greifbarstes Ergebnis dieser Befruchtung ist
die durch die Sozialindikatoenbewegung stimulierte Strukturierung,
Ergänzung und Bereinigung der Sozialstatistiken. So wurde
etwa in Frankreich für die Planperiode 1970 bis 1975 ein mit
12 Millionen Franc dotiertes Programm initiiert, dessen drei
Hauptstoßrichtungen (Sozialprofil der Bevölkerungskategorien,
staatlicher Maßnahmenapparat, Sozialausgaben und tatsächlich
von diesen Begünstigte) eine Fülle neuer Daten und damit Entscheidungshilfen
verspricht. Mit Bestimmtheit kann also mit einer rationelleren,
weil problembezogeneren Informationsproduktion und -verwertung
gerechnet werden.
Die dominierende Frage bei weiteren Arbeiten muß sein, welches
Maß an Messung noch sinnvoll, vertretbar und überhaupt wünschenswert
ist und ob für die Erfassung und Bewältigung der komplexen
gesellschaftlichen Prozesse und der qualitäts- und -wertbestimmten
Aspekte des Lebens nicht auch alternative Denkansätze gesucht
werden müssen. Wieviel auch immer in Zukunft in Zahlen ausgedrückt
wird: Keiner darf sich davon erwarten, daß es wissenschaftlich
gebotene Entscheidungen geben wird.
Nichts spricht aber gegen die Vorteile einer Verwendung des
Denkmodells "Sozialindikator" gerade auch im "kleinen" Bereich
von Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Als zusätzliches Werkzeug
kann es die Ökonomielastigkeit der traditionellen Beurteilung
bewirkter Resultate und Nebeneffekte überwinden helfen.
Die politischen Risiken einer Perversion der Sozialindikatoren
zu Manipulationsinstrumenten sowie die Frage ihrer durch hohe
Technizität problematischen demokratischen Legitimation darf
keinesfalls übersehen werden. Schließlich ist wohl mit Grund
zu befürchten, daß buchhalterisch über Zahlen gesteuerte,
sozialrelevante Maßnahmen zu einer allzu platten Fortschreibung
bestehender Zustände und damit zum Verlust der Utopie führen
könnten.
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