In der März-Nummer der 'tribüne' ist darüber berichtet worden,
was "wir" über die Situation in Afghanistan angeblich "alles
wissen", aber trotzdem nur unsolidarisch zuschauen. Da war
von "dem - noch - nicht erklärten Krieg der USA gegen Afghanistan"
die Rede (während die sowjetischen Truppen durch ihre "Präsenz"
bloß die "revolutionären Umgestaltungen absichern helfen"),
von 80 US-gestützten Ausbildungslagern jenseits der Grenze
und von der Militärhilfe des Westens, der Volksrepublik China
und reaktionärer arabischer Staaten für die geflohenen Khans
und für "2000 Banden". Sogar die "Volksstimme" hat unlängst
(am 2.3.1983) schon differenziertere Auffassungen vertreten,
als sie endlich einmal die "2,5 Millionen Flüchtlinge" in
Pakistan und die "in den Lagern herrschende Anarchie" (ein
offensichtliches Novum in CIA-Militärbasen) nicht verschwieg.
Daß es für eine Entwicklung, wie jener in Afghanistan, ganze
Bündel von - teilweise sehr widersprüchlichen - Beweggründen
geben kann, wird Schema-Denkern nie gelegen kommen. Solange
nicht sein kann, was nicht sein darf, bleibt aber auch jede
behauptete Solidarität eine schematische (und ohne die Chance,
eine neue Qualität ZU erreichen). Dialektisch vorgehen könnte
ja auch heißen, sich die Gegner der (in Kabul) Herrschenden
einmal wirklich genau anzusehen. Die 2,5 bis 3 Millionen Flüchtlinge
in Pakistan und die 1,5 Millionen im Iran sind jedenfalls
fast zur Gänze bettelarme Bauersfamilien, die wegen der Bomben,
der abgeworfenen Minen, der verbrannten Felder und zerstörten
Bewässerungsanlagen keine Existenzmöglichkeit mehr gehabt
haben. Derzeit erleben sie statt des angekündigten Fortschritts
eine Verelendung als Almosenempfänger in einer der hunderten
Zeltstädte, die von der UNO und anderen Hilfsorganisationen
notdürftig versorgt werden. Die Angehörigen der dünnen Oberschicht
wurden entweder umgebracht oder leben längst in eleganteren
Verhältnissen, weit weg von der Normalsituation ihrer Landsleute.
Viele von ihnen versuchen aus ihrer Lage Kapital zu schlagen
und in der Exilpolitik eine Rolle zu spielen. Der Widerstand
im Land selbst wird jedoch in aller erster Linie von Kampfgruppen
der Dörfer und Stämme getragen, die sich anfangs gegen Eingriffe
in ihre gewohnte Autonomie und dann verstärkt gegen die Militärintervention
einer ausländischen Macht zur Wehr setzten. Daß auch die Widerstandsseite
sehr rasch in das übliche Spiel der Großmächte einbezogen
wurde stimmt sicher, nur wäre es absurd, die Afghanen dafür
verantwortlich zu machen.
Die "April-Revolution" von 1978 war primär eine "Revolution
per Dekret", die von den Schreibstuben der Zentrale in Kabul
ausgegangen ist. Daß die afghanische Bevölkerung ihr zu Beginn
gar nicht so "reaktionär" gegenüberstand, zeigte sich unter
anderem darin, daß erst Monate späte zur Waffe gegriffen wurde
und ein Volkswiderstand großen Umfangs erst nach dem Dezember
1979, als sowjetische Truppen einmarschiert waren, begonnen
hat. Es war eine kleine Gruppe sowjetisch animierter Theoretiker
am Werk, die sich bald gegenseitig auszurotten begannen und
die vor allem an den Bauern, dem völlig unzureichenden Rückhalt
im Volk und an ihrer eigenen Strategie gescheitert sind. Die
Auflehnung gegen zentral verordnete Veränderungen ist sehr
stark von der mit ihnen verbundenen Praxis geprägt gewesen:
von einer scheinbaren Landreform (mit Landverteilungsdekreten,
aber ohne die notwendigen flankierenden Maßnahmen wie Agrarkredite,
Saatgutfinanzierung, Handelssystem, kollektive Pflege der
Bewässerungsanlagen, etc.) bis zum neuen, ohne Vorbereitung
gestarteten Ausbildungssystem (die sich kommunistisch gebärdenden
jungen Lehrer aus der Stadt sind als fremde Klugscheißer abgelehnt
und oft sogar umgebracht worden). Den letzten Ausschlag für
den dörflichen Widerstand gaben jedoch häufig die Verhaftung
anerkannter lokaler Autoritäten, das (vorher sehr unregelmäßig
gehandhabte) Einziehen der Männer zum Militärdienst oder die
Strafexpeditionen der Armee. Es gab auch viele handfeste ökonomische
Ursachen; entweder funktionierte rasch nichts mehr und gerade
die Ärmsten hungerten erneut oder der Alltag verlief weiter
wie gewohnt, nur verbrämt mit zunehmend unglaubwürdiger werdenden
revolutionären Parolen.
Es hat etwa drei Jahre gedauert, bis auch die sorgfältigeren
westlichen Medien von ihrem ursprünglichen Tenor abrückten,
nach dem in Afghanistan wiederum ein Khomeini-artiger "islamisch-fundamentalistischer"
Widerstand am Werk sei, den es diesmal intelligenter auszunützen
galt. Daß die Mullahs im sunnitischen, an sehr starke innere
Autonomie gewohnten Afghanistan gegenüber dem schiitischen,
durch die aggressive Verwestlichung erschütterten Iran lange
nicht die ihnen zugesprochene Bedeutung haben, genauso wenig
wie die vielfach dubiosen Exilparteien, wird jetzt langsam
wahrheitsnäher berichtet. Dem afghanischen Widerstand hat
diese Typisierung und die damit zusammenhängende Unterstützung
für handhabbare Gruppieren enorm geschadet. Mit der üblichen
Links-Rechts-Terminologie lassen sich die in Afghanistan aktiv
gewordenen Kräfte nur sehr behelfsmäßig beschreiben. Unbestreitbar
ist, daß es einen breiten Volkswiderstand gegen die Regierung
in Kabul und ihre sowjetischen Beschützer gibt, dessen Gemeinsamkeit
in der Forderung nach Autonomie für das eigene Land liegt
und dessen Spektrum von islamischen über Lokalwiderstands-
zu demokratischen und zu maoistischen Motivationen reicht.
Selbst der ORF hat in einem sehr informativen (aus der BRD
eingekauften) Interview mit dem Rebellen-Führer Khazan Gul,
der in Frankfurt zum Lehrer ausgebildet worden war, bevor
er zurückgekehrt ist, über diese Entwicklungen berichtet ("Im
Brennpunkt", 12.3.1983). Konkrete Hoffnungen zeichnen sich
derzeit keine ab, auf der internationalen Ebene werden immer
wieder Gespräche geführt (meist ohne Repräsentanten der Betroffenen)
und im Land wird weiter gekämpft. Gerade diese vermeintliche
Hoffnungslosigkeit könnte ein Ansatz für eine ändere Qualität
von Solidarität sein, eine Solidarität mit Autonomiebestrebungen
und mit Gruppierungen, die sich dem Großmächtesystem entziehen
wollen.
Und einen ganz anderen Zugang zum Afghanistan-Problem gibt
es nämlich auch noch, nämlich Flüchtlinge zu unterstützen,
und in ihrer Notsituation soziale Entwicklungen zu fördern,
wie z. B. die Selbstverwaltung im Rahmen eines vom Ausland
finanzierten Programms - und zwar ohne die Einbildung, politisch
mehr tun zu können, als eben das.
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