Information Aktuelle Projekte Biografie Publikationen Zentrum Transfer Transferprojekte-RD.org





www.ChristianReder.net: Publikationen: Schwieriges Terrain für Dogmatiker
 

Afghanistan
Schwieriges Terrain für Dogmatiker

Tribüne, Wien. Nr. 64/1983

 

In der März-Nummer der 'tribüne' ist darüber berichtet worden, was "wir" über die Situation in Afghanistan angeblich "alles wissen", aber trotzdem nur unsolidarisch zuschauen. Da war von "dem - noch - nicht erklärten Krieg der USA gegen Afghanistan" die Rede (während die sowjetischen Truppen durch ihre "Präsenz" bloß die "revolutionären Umgestaltungen absichern helfen"), von 80 US-gestützten Ausbildungslagern jenseits der Grenze und von der Militärhilfe des Westens, der Volksrepublik China und reaktionärer arabischer Staaten für die geflohenen Khans und für "2000 Banden". Sogar die "Volksstimme" hat unlängst (am 2.3.1983) schon differenziertere Auffassungen vertreten, als sie endlich einmal die "2,5 Millionen Flüchtlinge" in Pakistan und die "in den Lagern herrschende Anarchie" (ein offensichtliches Novum in CIA-Militärbasen) nicht verschwieg.

Daß es für eine Entwicklung, wie jener in Afghanistan, ganze Bündel von - teilweise sehr widersprüchlichen - Beweggründen geben kann, wird Schema-Denkern nie gelegen kommen. Solange nicht sein kann, was nicht sein darf, bleibt aber auch jede behauptete Solidarität eine schematische (und ohne die Chance, eine neue Qualität ZU erreichen). Dialektisch vorgehen könnte ja auch heißen, sich die Gegner der (in Kabul) Herrschenden einmal wirklich genau anzusehen. Die 2,5 bis 3 Millionen Flüchtlinge in Pakistan und die 1,5 Millionen im Iran sind jedenfalls fast zur Gänze bettelarme Bauersfamilien, die wegen der Bomben, der abgeworfenen Minen, der verbrannten Felder und zerstörten Bewässerungsanlagen keine Existenzmöglichkeit mehr gehabt haben. Derzeit erleben sie statt des angekündigten Fortschritts eine Verelendung als Almosenempfänger in einer der hunderten Zeltstädte, die von der UNO und anderen Hilfsorganisationen notdürftig versorgt werden. Die Angehörigen der dünnen Oberschicht wurden entweder umgebracht oder leben längst in eleganteren Verhältnissen, weit weg von der Normalsituation ihrer Landsleute. Viele von ihnen versuchen aus ihrer Lage Kapital zu schlagen und in der Exilpolitik eine Rolle zu spielen. Der Widerstand im Land selbst wird jedoch in aller erster Linie von Kampfgruppen der Dörfer und Stämme getragen, die sich anfangs gegen Eingriffe in ihre gewohnte Autonomie und dann verstärkt gegen die Militärintervention einer ausländischen Macht zur Wehr setzten. Daß auch die Widerstandsseite sehr rasch in das übliche Spiel der Großmächte einbezogen wurde stimmt sicher, nur wäre es absurd, die Afghanen dafür verantwortlich zu machen.

Die "April-Revolution" von 1978 war primär eine "Revolution per Dekret", die von den Schreibstuben der Zentrale in Kabul ausgegangen ist. Daß die afghanische Bevölkerung ihr zu Beginn gar nicht so "reaktionär" gegenüberstand, zeigte sich unter anderem darin, daß erst Monate späte zur Waffe gegriffen wurde und ein Volkswiderstand großen Umfangs erst nach dem Dezember 1979, als sowjetische Truppen einmarschiert waren, begonnen hat. Es war eine kleine Gruppe sowjetisch animierter Theoretiker am Werk, die sich bald gegenseitig auszurotten begannen und die vor allem an den Bauern, dem völlig unzureichenden Rückhalt im Volk und an ihrer eigenen Strategie gescheitert sind. Die Auflehnung gegen zentral verordnete Veränderungen ist sehr stark von der mit ihnen verbundenen Praxis geprägt gewesen: von einer scheinbaren Landreform (mit Landverteilungsdekreten, aber ohne die notwendigen flankierenden Maßnahmen wie Agrarkredite, Saatgutfinanzierung, Handelssystem, kollektive Pflege der Bewässerungsanlagen, etc.) bis zum neuen, ohne Vorbereitung gestarteten Ausbildungssystem (die sich kommunistisch gebärdenden jungen Lehrer aus der Stadt sind als fremde Klugscheißer abgelehnt und oft sogar umgebracht worden). Den letzten Ausschlag für den dörflichen Widerstand gaben jedoch häufig die Verhaftung anerkannter lokaler Autoritäten, das (vorher sehr unregelmäßig gehandhabte) Einziehen der Männer zum Militärdienst oder die Strafexpeditionen der Armee. Es gab auch viele handfeste ökonomische Ursachen; entweder funktionierte rasch nichts mehr und gerade die Ärmsten hungerten erneut oder der Alltag verlief weiter wie gewohnt, nur verbrämt mit zunehmend unglaubwürdiger werdenden revolutionären Parolen.

Es hat etwa drei Jahre gedauert, bis auch die sorgfältigeren westlichen Medien von ihrem ursprünglichen Tenor abrückten, nach dem in Afghanistan wiederum ein Khomeini-artiger "islamisch-fundamentalistischer" Widerstand am Werk sei, den es diesmal intelligenter auszunützen galt. Daß die Mullahs im sunnitischen, an sehr starke innere Autonomie gewohnten Afghanistan gegenüber dem schiitischen, durch die aggressive Verwestlichung erschütterten Iran lange nicht die ihnen zugesprochene Bedeutung haben, genauso wenig wie die vielfach dubiosen Exilparteien, wird jetzt langsam wahrheitsnäher berichtet. Dem afghanischen Widerstand hat diese Typisierung und die damit zusammenhängende Unterstützung für handhabbare Gruppieren enorm geschadet. Mit der üblichen Links-Rechts-Terminologie lassen sich die in Afghanistan aktiv gewordenen Kräfte nur sehr behelfsmäßig beschreiben. Unbestreitbar ist, daß es einen breiten Volkswiderstand gegen die Regierung in Kabul und ihre sowjetischen Beschützer gibt, dessen Gemeinsamkeit in der Forderung nach Autonomie für das eigene Land liegt und dessen Spektrum von islamischen über Lokalwiderstands- zu demokratischen und zu maoistischen Motivationen reicht. Selbst der ORF hat in einem sehr informativen (aus der BRD eingekauften) Interview mit dem Rebellen-Führer Khazan Gul, der in Frankfurt zum Lehrer ausgebildet worden war, bevor er zurückgekehrt ist, über diese Entwicklungen berichtet ("Im Brennpunkt", 12.3.1983). Konkrete Hoffnungen zeichnen sich derzeit keine ab, auf der internationalen Ebene werden immer wieder Gespräche geführt (meist ohne Repräsentanten der Betroffenen) und im Land wird weiter gekämpft. Gerade diese vermeintliche Hoffnungslosigkeit könnte ein Ansatz für eine ändere Qualität von Solidarität sein, eine Solidarität mit Autonomiebestrebungen und mit Gruppierungen, die sich dem Großmächtesystem entziehen wollen.

Und einen ganz anderen Zugang zum Afghanistan-Problem gibt es nämlich auch noch, nämlich Flüchtlinge zu unterstützen, und in ihrer Notsituation soziale Entwicklungen zu fördern, wie z. B. die Selbstverwaltung im Rahmen eines vom Ausland finanzierten Programms - und zwar ohne die Einbildung, politisch mehr tun zu können, als eben das.

 

 
oben
 
© Christian Reder 1983/2001