Die internationalen Nachrichten bieten uns immer wieder
Erfolgsmeldungen über den Kampf der Mujahedin, zuletzt hieß
es, in Kabul selbst werde gekämpft, die Stadt Kandahar sei
erobert.
Kandahar ist in Wahrheit sehr oft eingenommen worden, und
dann waren wieder die Sowjet- und Regierungstruppen stärker.
Oft sitzen in einem Teil der Stadt die Mujahedin, in einem
anderen die Feinde.
Soetwas steht also bei uns immer nur zufällig in der Zeitung,
als irgendwie herausgelöstes Ereignis?
Offenbar. Das ist ja oft geschehen, nicht nur einmal. Es
waren auch in dem Gebiet, wo ein Stützpunkt liegt, in den
letzten Wochen sehr starke Kämpfe. An denen waren wir selbst
beteiligt, obwohl von Anfang an nicht für einen offenen, direkten
Kampf, sondern für eine Guerillataktik war. Aber die Parteien,
die von Gilani und einige andere, wollten wieder einmal eine
Großaktion, und so ist versucht worden, die Stadt Khost einzunehmen,
aber das ist unter starken Verlusten mißlungen, Ein großer
Teil der Bevölkerung dieses Gebieten ist nach Pakistan geflohen.
Jetzt ist es dort fast menschenleer, und so haben wir natürlich
große Schwierigkeiten damit, Nahrungsmittel und Unterschlupfmöglichkeiten
zu bekommen.
Nach Pakistan sind ja bisher annähernd drei Millionen Menschen
geflohen und in den Iran etwa 1,5 Millionen, das ist mehr
als ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Im letzten Jahr ist
dieser Flüchtlingsstrom endlich etwas abgeebbt.
Es sind eben schon viele Gebiete fast ganz verlassen worden,
wie zuletzt Khost, aber viele bleiben jetzt einfach. Die Kriegssituation
wechselt ja ständig. Von Kabul aus wird natürlich mit allen
Mitteln versucht, die Bevölkerung vom Kampf abzuhalten. Sie
probieren auch, die Leute mit Geld zu bestechen, sie einfach
zu kaufen und Spione in die Kampfgruppen einzuschleusen. Es
gib jetzt viel stärkere Bombenangriffe als früher und die
Wirksamkeit der Bomben ist jetzt eine viel größere. Sie vernichten
jetzt ganze Dörfer mit einer einzigen starken Bombe. Es gibt
also sehr viele Schwierigkeiten, vor allem auch, weil die
Leute, keine produktive Arbeit leisten können. Sie haben Angst
und sitzen tagelang in den Höhlen. Jetzt Im Winter ist es
ja sehr kalt und deswegen können sie ohne ausreichendes Feuer
dort nicht zu lange bleiben. Es werden nun auch Überschallflugzeuge
eingesetzt, die man erst hört wenn sie schon vorbei sind.
Plötzlich fallen Bomben und niemand weiß im Augenblick woher
sie kommen. Ich habe ein sehr großen Interesse an einer produktiven
gesellschaftlichen Arbeit, aber unter der ständigen Bombardierung
ist das alles sehr schwer. Die dauernde Bedrohung lähmt einfach
viele und wir müssen die eigene Aufbauarbeit immer wieder
von neuem beginnen, wenn wir mit unserer Selbstorganisation
weiterkommen wollen. Wir brauchen dringend Luftabwehrwaffen,
aber von denen gibt es nur sehr wenige und so wissen wir oft
nicht, wie es weitergehen kann.
Aber es hat doch immer wieder geheißen, daß ihr verstärkt
Waffenlieferungen bekommt, zuerst von Sadat, dann von den
Saudis und indirekt vermutlich auch von den Amerikanern?
Es ist jetzt sicher relativ besser als früher, zugleich ist
aber der Feind drei oder vierfach stärker geworden, weil er
andere und massivere Waffen einsetzt als zu Beginn, also seine
gesamte Kriegstechnologie. Das heißt im Verhältnis zum Gegner
sind wir trotz allem schwächer geworden. Und die Waffen kassieren
in erster Linie die Exilparteien und ihre Milizen, weil sie
die Auslandskontakte haben.
Die Beziehungen zwischen den unabhängigen Gruppen und den
Exilparteien sind also weiterhin gespannt?
Es ist mit ihnen noch schwieriger geworden und sie geben
an uns überhaupt keine materielle Unterstützung mehr weiter.
Früher hat z. B. meine Gruppe von einzelnen Parteimilizen
immer wieder Munition usw. bekommen, damit ist es seit längerem
vorbei. Die Parteien sind gegenüber den selbständigen Gruppen
noch mißtrauischer und ablehnender geworden. Sie haben jetzt
Angst, daß wir zu stark werden und es schaffen, eigene Auslandsverbindungen
aufzubauen und dann wenigstens einen Teil der Unterstützung
an uns ziehen, also ihnen etwas wegnehmen, Und deswegen helfen
sie uns praktisch überhaupt nicht mehr.
Was stimmt an den Berichten, daß es neben den schweren
Konflikten im Exil - in Pakistan führt ja der von vielen
nicht akzeptierte Machtanspruch einzelner Parteien laufend
zu politisch motivierten Morden - auch in Afghanistan selbst
oft zu Kämpfen zwischen den radikal islamischen Gruppen,
in erster Linie der von Gulbuddin Hekmatyar (Hezbi Islami),
und dem unabhängigen lokalen Widerstand kommt? Führt ihr
tatsächlich schon einen Zweifrontenkampf?
In Paktia bisher noch nicht.
In Nuristan ist es aber längst soweit.
Ja, von Nuristan und anderen Provinzen weiß ich das auch.
Dort fallen die Gulbuddin-Leute den anderen in den Rücken.
Jeder schießt auf jeden, Freunde und Feinde, alle. Das hängt
natürlich auch damit zusammen, daß sich unsere Gesellschaft
unter dem herrschenden Druck nur sehr ruckartig entwickelt,
einmal in die eine, dann wieder in die andere Richtung. Für
viele ist es oft sehr schwierig, zwischen guten und schlechten
Freunden zu unterscheiden. Gerade die von den Exilparteien
unabhängigen Gruppen versuchen viel, um zu einer politischen
Bewußtseinsbildung beizutragen. Aber die Konkurrenz der radikal
traditionellen Gruppen ist in manchen Gebieten schon ziemlich
stark. Sie gehen auch sehr rücksichtslos vor, nach dem alten
Schema: Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.
Und mit den sogenannen liberalen Parteien um Gilani oder
Mujadidi - in die im Westen manchmal doch gewisse Hoffnungen
gesetzt werden - ist mit denen eher eine Kooperation möglich,
als mit den Fundamentalisten, unter denen inzwischen der
neu aufgetauchte Sayaf die führende Rolle spielt und einen
Gulbuddin oder Khales an die Wand drückt?
Liberal sind die ja nur relativ, eben im Vergleich mit den
Fundamentalisten. Wenn es diese Fundamentalisten nicht gäbe,
dann würden diese "Liberalen" als Fundamentalisten bezeichnet
werden. Mit demokratisch oder liberal in der wahren Bedeutung
hat das nichts zu tun.
Aber das Dilemma ist doch in den vergangenen vier Jahren
dasselbe geblieben. Der unabhängige regionale Widerstand,
der die Hauptlast trägt, wird im Ausland nicht als eigene
Kraft akzeptiert, und zwar auch deswegen, weil er keine
halbwegs anerkannten Repräsentanten hat und die Vertretung
afghanischer Interessen den anderen überläßt oder überlassen
muß.
Wenn immer auf die gehört wird, die sich eigenmächtig vordrängen,
dann ist das auch eine Sache derer, die das ermöglichen. Ich
selbst habe ja auf eigene Faust versucht, in Europa das Problem
klarzumachen, daß es in Afghanistan eben viele eigenständige
Bewegungen und Gruppen gibt, die wirklich für Unabhängigkeit,
Demokratie und freie Wahlen kämpfen.
Das wird aber in vielen Ohren sehr allgemein klingen, wenn
auch ganz im Sinn der Formel "Demokratie nach westlichem
Muster".
Ich bin überzeugt, daß man nicht irgendein Muster, irgendeine
Regierungsform einfach nach Afghanistan importieren kann.
Afghanistan ist nicht Amerika. Aber wir können aus West und
Ost Elemente übernehmen und etwas Eigenes verwirklichen. Eine
Basis dafür haben wir ja in unserem Djirga-Systern der Ratsversammlungen.
Es geht also darum, daß wir eine Regierungsform herstellen,
die unseren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen
entspricht und die weder aus dem Westen, noch aus Rußland
oder China importiert ist.
Aber gerade ihr, als eine eurem Selbstverständnis nach
sehr fortschrittliche Gruppe, würdet in einem demokratisch
selbstbestimmten Afghanistan ja auf jeden Fall Angehörige
einer ziemlich kleinen Minorität bleiben?
Sicherlich können so Leute wie wir in Afghanistan keine Mehrheit
gewinnen. Es muß aber garantiert sein, daß für solche Gruppen
die Möglichkeit besteht, an einem demokratischen Prozeß mitzuwirken.
So gesehen ist es fast egal, wer an die Macht kommt, solange
die Gesetze über dieser Person oder Gruppe stehen und es nicht
umgekehrt ist, wie jetzt.
Du hast dich ja seit dem Beginn deiner politischen Arbeit
stets als Linker verstanden, hat sich diesbezüglich etwas
verändert in den drei Jahren, die wir uns nicht gesehen
haben?
In Afghanistan gilt jeder, der für eine fortschrittliche
demokratische Entwicklung ist, als Linker, und seit von den
Leuten in Kabul soviele solcher Begriffe mißbraucht worden
sind, muß man besonders aufpassen. Jedenfalls ist "links"
ein übernommener Begriff, der in jeder Gesellschaft eine ganz
andere Bedeutung hat. Wer in Afghanistan als links gilt, den
kann man in Europa nicht so ohne weiteres als Linken bezeichnen.
Demgegenüber werden aber hier so ziemlich alle Europäer als
Linke eingeschätzt, weil sie für Fortschritt und Technik stehen
und von den Sitten und Traditionen nicht so abhängig sind.
Bei den Leuten gilt vielfach alles Neue und Ungewohnte als
"links", auch ich, weil ich im Ausland war und für Veränderungen
bin.
Aber wieso hast du es überhaupt nicht auf der Gegenseite
versucht, zumindest am Anfang, als die "April-Revolution"
Tarakis doch einigen vielversprechend erschien, wie war
damals deine Auffassung im Einzelnen?
Ich kannte natürlich die Parchami und Khalki - die beiden
Flegel der "Demokratischen Volkspartei" - und wußte, wie abhängig
sie immer von der Sowjetunion waren und daß sie nicht selbständig
denken können. Sie machten bloß Propaganda für die Russen.
Ich war auch immer der Meinung, daß es beim gegebenen Stand
der gesellschaftlichen Entwicklung sehr gefährlich sei, auf
eine einzige Partei zu bauen. Politische Arbeit war solange
verboten gewesen. Eine Propaganda gab es nur im Untergrund.
Erst sehr kleine Gruppen hatten ein politischen Bewußtsein.
Jede Partei mußte daher vom Ausland abhängig werden und das
hieß vor allem, vom "Großen Bruder" unmittelbar im Norden.
Von meiner Familie und der Schule her hatte ich ein starkes
Gefühl für eine nationale Unabhängigkeit mitbekommen, und
das vertrug sich nicht mit dem politischen Weg, der sich da
längst abzeichnete. Das Volk ist eindeutig gegen die Russen
und deren Leute, und so ist es überhaupt keine Frage, daß
ich auf seiner Seite kämpfe.
Das führt uns jetzt doch noch zu deinem persönlichen Werdegang
...
... ja, vielleicht, vielleicht macht er einigen noch verständlicher.
Meinen Geburtstag weiß ich nicht, aber ungefähr bin ich jetzt
42 Jahre alt oder ein Jahr mehr oder weniger. Ich bin aus
Paktia, und in Dragoi in Tani geboren, in dem Gebiet, wo ich
jetzt auch kämpfe. Dort war ich in der Volksschule und habe
nachher als erstes Kind ein Stipendium für das Rahman-Baba-Gymnasium
in Kabul bekommen, weil ich der Beste war. Meine Eltern waren
kleine Bauern, und mein Vater ist, als ich drei war, an der
Cholera gestorben. Wir waren sehr arm und ich mußte oft betteln,
damit wir nach Tagen wieder irgendetwas zu essen bekommen
haben. Nach der Mittelschule wurden im Rahmen des damaligen
5-Jahres-Planes jedes Jahr fünf Kinder ins Ausland geschickt.
Da war ich dann auch darunter, und sollte nach Schweden, aber
unterwegs bin ich überredet worden, in der Bundesrepublik
zu bleiben. Das war 1965, und ich habe Mathematik und Physik
inskribiert, aber alles war dermaßen neu für mich, jedes Fundament
der Technik war eine so enorme Frage, daß ich kaum richtig
studieren konnte. Fernsehen war für mich neu, aber genauso
etwa ein Zigarettenautomat. Tagelang habe ich darüber nachgedacht,
warum den die Kinder nicht kaputt machen, wo er doch keine
Wache hat. Und natürlich kam dauernd der Gedanke, warum nicht
auch wir das alles haben. Schließlich habe ich die reine Naturwissenschaft
aufgegeben, weil sie mir zuwenig politische Möglichkeiten
eröffnet hat, und bin zur Lehrerausbildung übergewechselt,
wieder mit dem Hauptfach Mathematik und Physik. 1972 habe
ich auf der Hochschule für Erziehung in Frankfurt mein erstes
Staatsexamen gemacht. Promovieren wollte ich über das Thema
der Erwachsenenbildung in Afghanistan, um so endlich mein
Land und die sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Zustände
dort kennenlernen und analysieren zu können. Es hatte damals
die Alphabetisierung von Erwachsenen begonnen, aber als ich
1973 nach Kabul zurück kam, durfte ich dort nicht mittun und
darüber dissertieren. Sie haben gesagt, du bist ein fertiger
Lehrer und jetzt arbeitest du auch als Lehrer. Das war ich
dann auch, in zwei verschiedenen Orten auf dem Land und dann
in Kabul bis zum Putsch, 1978. Ich bin dann bald verhaftet
worden und war acht Monate lang im Gefängnis, weil sie wußten,
daß ich ihnen kritisch gegenüberstand. Als ich freikam bin
ich in die Berge geflüchtet, zurück nach Tani, wo ich zu Hause
bin, und dort kämpfe ich bis jetzt.
Daß es mit den Karmal-Leuten doch noch zu irgendeiner Form
der Zusammenarbeit kommt, ist aus deiner Sicht ausgeschlossen?
Das ist völlig unmöglich. Sie haben der Bevölkerung dermaßen
viel angetan, daß sich das nie wieder gutmachen läßt. Niemand
wird ihnen das je vergessen.
Die Fundamentalisten bauen jedoch ihrerseits auf Terror
und auf eine aufgezwungene radikale Re-Islamisierung. Jetzt
haben sie den Flüchtlingen sogar Musik und Tanz verboten.
Das sind Erscheinungen im Rahmen der Rückständigkeit unserer
Gesellschaft, die eben auch solche Strömungen begünstigt.
Ich bin aber überzeugt davon, daß freie Wahlen genügend unabhängige
Leute, nach oben bringen würden, die positive Entwicklungen
beschleunigen, und der Typ jetziger Parteiführer dann keine
große Chancen hat. Es gibt ja im Land sehr viele inzwischen
anerkannte Persönlichkeiten, die nur noch keine Möglichkeit
hatten, sich im Ausland zu äußern, weil sie im Kampf stehen.
Sie haben aber doch alle nur regionale Bedeutung.
Die uns immer vorgeworfene Aufsplitterung und Regionalisierung
ist doch auch eine Folge der materiellen Bedingungen. Wenn
wir dabei unterstützt würden, die zu demokratisieren, dann
würde endlich eine Chancengleichheit gefördert. Wenn die unabhängigen
Gruppen solche Mittel zur Verfügung hätten wie die Parteien,
könnten sie die Leute viel schneller gewinnen. Materielle
Anreize wirken natürlich, weil es allen sehr schlecht geht.
Um unseren Kampf langfristig fortsetzen zu können, brauchen
wir einfach in den befreiten Gebieten vorläufige Regierungen
als Muster und Basis für eine künftige Gesamtregierung. Jetzt
schaffen wir bloß immer die Regierung ab, dort wo Kabul keine
Macht mehr ausüben kann, füllen aber diese Leere noch nicht
auf. Und die Parteien kümmert das überhaupt nicht. Dabei wäre
es so wichtig, daß wir in den befreiten Gebieten - und die
umfassen ja einen Großteil des Landes -kleine Regierungsbezirke
herstellen, in denen Repräsentanten der Bevölkerung für deren
Bedürfnisse arbeiten und übergeordnete Aufgaben übernehmen,
wie z. B. schon in Panjshir, in Teilen Nuristans oder in Uruzgan.
Ich allein kann das nicht, weil ich zuwenig Unterstützung
bekomme. Aber ich versuche wenigstens in den paar Dörfern
meines Gebietes, daß wir dort eine Art Selbstverwaltung schaffen,
und wir haben auch vorerst einmal soetwas wie ein Büro, das
diese Arbeit leistet. Die Parteien haben aber keine Vorstellung
von einer zukünftigen Regierung, und vielleicht merken sie
auch, daß sich bei so einem Mitregieren auf lokaler Ebene
das Bewußtsein der Bevölkerung dahingehend entwickeln würde,
daß ihre eigenen Chancen schwinden. Ohne Bezirksregierungen
wird es jedenfalls dem Feind leichter gemacht, Gebiete erneut
anzugreifen, die mit großen Verlusten befreit worden sind.
In den abhängigen Gebieten wiederum können die Russen mit
großen Ausgaben künstlich Verbesserungen herstellen, während
wir trotz vieler Bemühungen da nicht mithalten können. Erst
wenn wir eine eigene Verwaltung aufbauen und mehr Auslandshilfe
bekämen, könnten wir eine direkte Vergleichsmöglichkeit schaffen
und endlich mehr für die Bevölkerung direkt tun, sodaß deren
Not nicht zu sehr durch korrupte Angebote ausgenützt werden
kann.
Das ist aber doch eine zweite Seite eures Dilemmas, daß
eine politische oder humanitäre Unterstützung überall so
stark auf den Umgang mit "Zentralgewalten" ausgerichtet
ist. Selbst positiv einzuschätzende Hilfsaktionen tun sich
ja mit einem sehr dezentralen Gegenüber schwer.
Ja sicher, es ist schwierig, bei unserer Form der Nichtorganisiertheit.
Sie macht uns zwar einerseits fast unbesiegbar, erschwert
es aber auch sehr, Perspektiven und eine Kontinuität zu entwickeln.
Du warst doch voriges Jahr in Europa, in Frankreich, in
der Bundesrepublik und in der Schweiz - als einer der ganz
wenigen unabhängigen Widerstands-Kommandanten. Ein langes
Interview mit dir ist ja auch vom österreichischen Rundfunk
übernommen worden. Hat sich dadurch konkret irgendetwas
ergeben?
Meine Frau und mein Kind leben ja in Deutschland, und ich
habe aus der Studienzeit noch viele Freunde. Über sie und
andere bekomme ich Spenden für unsere Entwicklungsprojekte,
für die Schule, für den Arzt, für die Landwirtschaft, und
sie haben mir auch die Reise ermöglicht. Das deutsche Visum
hat aber über ein Jahr gedauert. Ich habe in vielen Städten
gesprochen und endlich einmal die Aufmerksamkeit von den Parteien,
die ja auch bei euch nicht gerade viel Sympathien haben, auf
den unabhängigen Widerstand gelenkt und auf die demokratischen
Gruppen. Es war nicht mein Ziel, durch so eine Reise eine
sogenanne politische Persönlichkeit zu werden und mit Staaten
Beziehungen herzustellen. Mir war es wichtig, daß man mehr
über jene weiß, die selbst kämpfen, und so von unten ein verstärkter
Druck ausgeübt werden kann, damit möglichst den selbständigen
Gruppen mehr geholfen wird.
Auf internationaler Ebene scheint aber vieles weiterhin
ganz anders zu laufen. Selbst unter Flüchtlingen ist jetzt
verstärkt von der Möglichkeit die Rede, daß Afghanistan
geteilt werden könnte, in eine nördliche und eine südliche
Einflußsphäre, wie in Korea oder Vietnam, oder in mehrere,
eventuell sogar über die jetzigen Grenzen hinausgehende
Nationalstaaten, mit einem Pashtunistan oder Belutschistan
zum Beispiel. Eure eigenen Dezentralisierungsideen würden
dem sogar irgendwie entgegenkommen.
Ich bin fest davon überzeugt, daß kein Afghane irgendeine
Teilung will. Wenn die Ausländer mit so einer Möglichkeit
spekulieren, dann ist das ihre Sache und zeigt, wen sie in
Wahrheit wollen. Afghanistan braucht ein föderalistisches
Regierungssystem, in dem jede Region oder Volksgruppe eine
eigene Regierung hat und sie so für die wirtschaftliche und
kulturelle Entwicklung selbständig verantwortlich sein kann.
Von diesen Regionen soll dann eine Zentralregierung getragen
werden. In der darf keine bestimmte Volksgruppe dominieren,
auch nicht die Pashtunen, und ich bin selber einer.
Das Kabul-Regime ist ja auch völlig pashtunisch oder von
indifferenteren Städtern dominiert. Taraki und Amin waren
Pashtunen; Karmal gibt sich als solcher, gilt aber als Tadshike.
Ja, und das sagt ja einiges. Die Bevölkerung ist aber jetzt
bewaffnet und sie wird weder eine neue Herrschaft von Pashtunen
oder bestimmten anderen akzeptieren. Eine gemeinsame Zentralregierung
über sehr autonomen Stammesgebieten ist die einzige Möglichkeit,
da sich sonst auch in Zukunft ein Bürgerkrieg nicht vermeiden
lässt.
Überall wird bestätigt, daß die Sowjetunion etwa 100.000
Soldaten im Land hat, ihre militärische Präsenz also nicht
erhöht. Flüchtlinge berichten allerdings, daß sie im Westen
Raketenstellungen baut und ein Raketenversuchsgelände eingerichtet
hat. Daß sie den Krieg nicht noch weiter eskaliert, wird
manchmal als Signal einer Rückzugsbereitschaft interpretiert.
Ich bin fest davon überzeugt daß die Sowjetunion nicht einfach
spontan nach Afghanistan gekommen ist. Sie hat Pläne hier
und sie will nicht zurück. Von den Raketenstellungen habe
ich zwar noch nichts gehört, es stimmt aber einfach nicht,
daß sie den Einsatz nicht erhöhen. Es gibt ja inzwischen eine
Bahnlinie bis in die Gegend von Mazar-i-Sharif im Norden,
damit sie ständig Soldaten und Material hereinbringen können,
ohne daß das jeder auf der Straße oder in der Luft sieht.
Es ist doch keine Frage, wir haben jetzt keine Grenze mehr
mit der Sowjetunion. Unser Land ist nicht mehr afghanisch,
es ist ein Sowjetisch-Afghanistan. Es gibt eigentlich kein
Karmal-Regierung mehr. Die Sowjetunion regiert ja praktisch
direkt. Da ist die Frage überflüssig, wieviele Soldaten sie
hier haben, wer kann das so genau wissen. Sie schicken ja
auch ihre Flugzeuge oft direkt aus der Sowjetunion zum Angriff.
Insgesamt also weiterhin sehr deprimierende Aussichten.
Die Sowjetunion kann uns natürlich auf Dauer mit Gewalt regieren,
auch wenn wir uns 20 oder 30 Jahre lang wehren. Militärisch
besiegen können wir sie nicht, das ist ja klar. Aber wenn
uns endlich materiell wirklich geholfen würde, dann würde
auch der Aufwand für die Sowjetunion so steigen, daß sie ihn
nicht mehr leisten kann.
Wer wären aber für euch Fremde, akzeptable Freunde?
Wer uns helfen will.
Egal wer?
Egal wer.
Und eine Gefahr neuer Abhängigkeiten siehst du keine?
Sie werden aus den Erfahrungen der Sowjetunion lernen, der
wir doch sehr deutlich zeigen, daß wir nicht abhängig sein
wollen. Und deswegen werden wir auch keine neuen Herren haben,
vielleicht aber endlich einmal neue Freunde.
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You were religious or communist:
there is no middle or other way.
V. S. Naipaul:
Among the Bellevers. An Islamic Journey.
1981
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So sagten sie also von uns, wir
seien Trotzkisten, Faschisten, Verräter, Mörder, Feiglinge,
Spione und so weiter. Ich gebe zu, daß das nicht angenehm
war, besonders wenn man an einige der Leute dachte,
die dafür verantwortlich waren. Es ist nicht schön,
wenn man sieht, wie ein fünfzehnjähriger spanischer
Junge auf einer Bahre aus der Front getragen wird, mit
seinem verwirrten, weißen Gesicht unter der Decke hervorschaut,
und man sich dann die gewissenlosen Leute in London
und Paris vorstellt, die Broschüren schreiben, um nachzuweisen,
dass dieser Junge ein verkappter Faschist sei.
Ich hoffe, dass sie den Krieg gewinnen werden und alle
Ausländer, ob Deutsche, Russen oder Italiener, aus Spanien
vertreiben.
George Orwell:
Mein Katalonien. Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg.
1938 (1964)
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