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Schönes, altes Haus
Im Gespräch mit Bischof Egon Kapellari

Falter, Wien, Nr. 4/1985

Die katholische Kirche hat neuerdings vermehrt zu aktuellen tagespolitischen Fragen Stellung bezogen. Aus diesem Grund schien es uns sinnvoll, ein Gespräch mit einem der höchsten katholischen Würdenträger Österreichs zu führen.

Die Fragen stellten Christian Reder und Christian Ankowitsch.

 

 

Für den heutigen Umgang mit Gläubigkeit ist es doch signifikant, dass selbst der Marxismus-Leninismus unter die "Herrschaftsreligionen" eingereiht wird, wie z. B. im RowohIt-Atlas "Hunger und Waffen" (1981). Wie steht ein Mann der Kirche zu solchen Interpretationen?

Wir können niemandem unsere eigene Sprachregelung vorschreiben. Der Begriff Religion ist ebenso schutzlos wie der Begriff Kirche. Man redet gern vorn Buddhismus als von einer atheistischem Religion und der Katholik Friedrich Heer verwendete das Wort Kirche auch für totalitäre politische Parteien, indem er von "Parteikirchen" sprach. In diesem Wort steckt ebensoviel Kommunismus- wie Kirchenkritik. Für mich ist Religion Bindung an einen personalen, ansprechbaren Gott. Und Kirche ist die Gemeinschaft derer, die sich in der Vermittlung zu Gott an die unverwechselbare Gestalt Christi binden. Viel wichtiger als solcher Namens- oder Markenschutz ist aber die Frage, ob das Christentum die heutige Herausforderung durch konkurrierende Daseinsdeutungen und Lebensmodelle besteht. Ein Blick auf die vielen Christen unter den Trägem des Friedensnobelpreises der letzten zehn Jahre ergibt einen nicht unwichtigen Teil der Antwort.

Es sind in den letzten Jahren doch auch die Sinne dafür geschärft worden, wo wir es im säkularen - im weltlichen, sich nicht um Transzendenz kümmernden - Bereich überall mit Mythen, mit Ritualen zu tun haben. Die Mythenforschung erlebt eine Hochblüte. Der "Mythos der Maschine" (Lewis Mumford) oder die Mythen von Fortschritt, Technik, Medizin (Ivan Illich) verweisen auf fest im Leben verankerte profane Formen von Gläubigkeit, jedoch kaum auf die Annäherung an eine emanzipatorische Vernunft.

Man kann doch Gott anerkennen, ohne die Vernunft und ihre Anwendung gleich zu bremsen; ohne den "Fall Galilei" in Serie zu reproduzieren. Daß übrigens nicht nur Religion pathologisch degenerieren kann, sondern auch eindimensionale Vernunft, gehört zum eisernen Repertoire heutiger Zivilisationskritik. Kritiker den Christentums und der Kirche haben zeitweise glauben machen wollen, die Kirche sei sozusagen daran schuld, daß die Dampfmaschine nicht schon früher erfunden worden ist. Im Gegensatz dazu hat Carl Amery in seinem Buch über das "Ende der Vorsehung" behauptet, die biblische Beauftragung des Menschen mit der Herrschaft über die Schöpfung hätte die heutige, scheinbar ausweglose Zivilisationskrise verursacht. Anklagen gegen den Irrationalismus religiösen Glaubens und Anklagen gegen die "gnadenlose" Rationalität jüdisch-christlichen Glaubens lösten einander paradoxerweise ab.

Im materiellen und ideellen Supermarkt

Es besteht doch ein Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Krisenanzeichen und wachsenden - vielfach außerkirchlich gedeckten - spirituellen Bedürfnissen. Das zeigt sich am Interesse an einer selektiven Nutzung fremder Religionen. Man könnte sich vorstellen, daß eine Art von vergleichender Religionswissenschaft, gleichsam als Ersatzreligion, künftig großen Zulauf hat, als ein Herstellen von Verbindungen, ähnlich der Ethnologie.

Religionswissenschaft stellt nur fest. Sie ordnet Gottesbilder usw. Ein Markt von Modellen, Bildern und Meinungen erspart aber nicht Lebensentscheidungen, religiöse Entscheidungen, die auf einem anderen existentiellen Niveau getroffen werden als die Wohl angesichts eines materiellen der ideelIen Supermarktes. Die Frage ist schließlich, ob ein Gott sei, nicht als Gegenstand unseren Besitzen, als Wahrheit im Sack, sondern als Adressat unserer Sehnsucht - so ähnlich hat Max Horkheimer kurz vor seinem Tod geredet. Die Frage ist, ob wir bei allen Ausfahrten und Ausgriffen in Transzendenz immer nur uns selbst, unserem Projektionen begegnen, oder einem realen Gegenüber, en dein wir Du sagen können. Ich habe mehrmals von zwei katholischen Ordensleuten gehört, die seit Jahrzehnten in Ostasien tätig waren und sich intensiv mit Fragen zwischen Buddhismus und Christentum befaßt haben. Einer ist tiefer als je davon überzeugt, man könne christlichen Glauben auch in einem buddhistischen Horizont leben. Der andere ist zur gegenteiligen Überzeugung gekommen und hat sich von allen Vermittlungsversuchen abgewandt.

Es ist aber nicht zu übersehen, daß es neben der latenten Anziehungskraft kontemplativer Erkenntniswege phasenweise nicht ohne "Schamanismus und archaische Ekstasetechnik" geht, so der Buchtitel bei Mircea Eliade (1961. dt. 1957). Für die Dada-Bewegung und ihre künstlerischen Zeitgenossen waren solche vorwiegend außereuropäischen Einflüsse enorm wichtig, in Wien finden sie sich bei Konrad Bayer oder Oswald Wiener, dann der Umweg Castaneda, anschließend Hans-Peter Duerrs "Traumzeit", Fritjof Capra, usw.

Was Sie da aufzählen, ist der christlichen Mystik wahrscheinlich In manchem benachbart und wird sich von ihr auch in vieler Hinsicht unterscheiden. Die Bibel selbst treibt so etwas wie Religionskritik an den orgiastischen Kulturen Kanaans. In der christlichen Mystik wurde der Begriff dar "nüchternen Trunkenheit" geprägt, ein Unterschied zu dem, was Baudelaire mit seiner Devise "Man muß sich allezeit berauschen" und Huxley mit seiner Evasion in die "chemischen Ferien" gemeint haben.

Wenn Ihnen Kontemplation und Ekstase als Methode gleicherweise fremd, ja verdächtig sind, welche Mechanismen könnten dann forciert werden, um eine Identität von Denken und Handeln zu fördern, um gesellschaftlichen Druck - an dein die Kirche ja weiterhin beträchtlichen Anteil hat - wenigstens auf emanzipiertere Verhaltesweisen auszurichten?

Das Wort "Mechanismen" erscheint mir für einen humanen Lötungsansatz als zu flach. Es klingt für mich so wie "Selbstmanipulation" mit der man vieles tun kann, außer sich selbst im vollen Sinn den Wortes so erlösen. Für ein erfülltes Leben kann man als Mensch im allgemeinen und noch einmal sie Christ gewiß vieles Wichtiges von anderen lernen: vergessene östliche Weisheit und wohl auch vergessene westliche Weisheit wären vom Boden aufzuheben und in das Leben zu integrieren. Aber man soll kein Schwamm sein, der einfach alles aufsaugt. Vor Jahren habe ich gegen die damalige innerkatholische Inflation das Wortes "Meditation" ein bißchen polemisiert und gesagt, nicht alles zwischen Joga und Joghurt ist christliche Meditation.

Moralische Leistungsgesellschaft - Einbahnstraße des Radikalismus

Sie haben im Zusammenhang von Fragen zwischen Religion und Kunst vor einer einseitigen Ethisierung, Politisierung der Religion gewarnt.

Ich erinnere mich oft an ein Abendessen im kleinen Kreis mit Manès Sperber nach einem Vortrag, den er für die damals von mir geleitete Studentengemeinde gehalten hatte. Sperber sagte, er wolle uns als Jude auf das christliche Proprium, so wie er es verstünde, hinweisen. Wir hätten Gnade zu verkünden und nicht das Gesetz. Angesichts der gegenwärtigen moralischen und politischen Defizite glauben nicht wenige Christen, vor allem junge, das Christentum sei einfach Moral und Politik ein Spezialfall der Moral. Die mystische Dimension wird vernachlässigt oder gar diskreditiert. Auf diese Weise verwandelt sich aber Christentum in eine moralische Leistungsgesellschaft. Kein Wunder, daß manche Leute aus solchen christlichen Milieus vor Jahren weitergewanden sind in der Einbahnstraße des Radikalismus. Eine Analyse der Terrorszene hat dies deutlich gemacht. Christentum ist, wenn man die Bibel nicht in selbstverfügter Auswahl liest, eine Balance zwischen Mystik und Ethik, Aktion und Kontemplation, oder wie immer man die gemeinte Komplementarität formulieren will.

Zum Stichwort Politisierung: In der Deutschen Bundesrepublik etwa bezeichnen sich bürgerliche Parteien noch als christlich-demokratisch, als christlich-sozial, im Unterschied zu Österreich, wo es seit der Zwischenkriegszeit diesbezüglich eine gewisse Zurückhaltung gibt. Ein Helmut Kohl oder ein Franz Josef Strauß bedienen sich jedoch noch recht häufig des Begriffes des christlichen Politikers. Was macht für Sie einen christlichen Politiker aus?

Das ist eine schwierige Frage. Ein christlicher Politiker und eine Partei, die den ererbten Namen "christlich-demokratisch" oder christlich-sozial" nicht bequemlichkeitshalber aufgegeben haben, sind heute von mehreren Seiten her in Schwierigkeiten. Da ist einmal die simplifizierende Lust der Gegner, Theorie und Praxis eines solchen Politikers oder einer solchen Partei am Hochethos der Bergpredigt zu messen und dann natürlich allemal zu leicht zu finden. Was etwa in mancher Variante marxistischer Politik theorieimmanent als unschuldig weil notwendig gilt - z. B. Gewaltausübung im Interesse eines erhofften "Reiches der Freiheit" - das wird dem christlichen Politiker oder seiner Partei so leicht nicht verziehen.

Anscheinend großmütiges Verzeihen wird doch gerade im politischen Bereich allzu schnell zu einem opportunistischen Umgang mit der belastenden Vergangenheit - siehe den Fall Frischenschlager.

Verzeihen müssen zunächst die am meisten Verletzten. Das waren In diesem Fall die Angehörigen der Opfer von Marzabotto. Der dortige Pfarrer hat, wie man lesen konnte, versucht, die Bevölkerung zum Verzeihen zu bewegen. Er hatte keinen Erfolg. Ich kann mir vorstellen. wie schwer ihn diene Weigerung getroffen hat, weit das ja auch eine Weigerung gegenüber dem ist, das der Pfarrer Sonntag für Sonntag predigt und im Alltag Leuten vorleben will. Ferner stehende Menschen, auch solche in hoher politischer Verantwortung, können das Verzeihen fördern und bedanken. Sie können es nach meiner Auffassung aber nicht Überspringen und eine symbolische Stellvertretung übernehmen.

Zurück zu (vermeintlich) Christlichem in der Politik...

Es im nun zwar prinzipiell berechtigt, an den Christen und seine Gemeinschaften hohe Ansprüche zu stellen. Manche Anklagen gegen Christen wegen deren angeblichem oder wirklichem Pharisäertum kommen allerdings selbst von Pharisäern. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen meiner Universitätslehrer, der bei einer politischen Disputation zornig ausrief, wir müßten froh sein. daß es Politiker gebe, die bereit seien, sich für andere Leute die Hände schmutzig zu machen, Eine zweite Schwierigkeit für das Selbstverständnis einer politischen Parteials christlich beruht in der durch das jüngste Konzil verstärkten Einsicht, dass Christen in moralischen Fragen, die mit Sachfragen fundamental verknüpft sind, legitim verschiedener, ja gegenteiliger Auffassung sein können. Sie haben dann nicht das Recht einander den Glauben oder eine authentische christliche Praxis abzusprechen. Diese Pluralität der Einsichten und der praktischen Konsequenzen erschwert die Formierung der Christen zu einer politisch praktischen "acies formata" und begüntigt ihre Ansiedlung in verschiedenen, miteinander konkurrierenden Parteien. Aus dem Evangelium sind selten direkte Handlungsanweisungen für eine konkrete politische Situation zu gewinnen. Dennoch gibt en solche Imperative als Grenzen menschlicher Autonomie, als Grenzen der Verfügbarkeit über menschliches Leben am Beispiel der Abtreibung oder der Euthanasie. Prägend für Charakter und Stil den christlichen Politikers und der von ihm dominierten politischen Gemeinschaften werden Haltungen sein, für die er zwar kein Monopol hat, denen aber sein Glaube Schubkraft verleihen müßte: Ein hohes Maß an Redlichkeit und Uneigennützigkeit, die Bereitschaft zum Kompromiß bei gleichzeitiger Achtsamkeit für die Übergänge vom legitimen zum faulen Kompromiß.

Die Urfrage der Kirche ist nicht, wieviele Intellektuelle sich in ihren Reihen finden

Ein aktuelles Konfliktfeld ergibt sich aus dem Verhältnis der Kirche, zumal der katholischen Kirche zu den Frauen.

Viele Frauen fühlen sich durch feministische Attacken gegen die Kirche, ob sie von innerhalb oder außerhalb der Kirche kommen mögen, nicht vertreten. Es bleibt aber genug an echten und auch lösbaren Problemen übrig. Bei einer einschlägigen Tagung habe ich meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß sich in der Kirche für die Frauen noch viele verschlossene Türen öffnen werden, was ja auch in den letzten Jahren immer wieder geschehen Ist. Die Priesterweihe für die Frau wird nach meiner Überzeugung aber nicht möglich sein, weil die bisherige Praxis der Kirche eine normative Interpretation der frühkirchlichen Ordnung ist. Es fehlen hier Zeit und Platz für genauere Argumente. Man sollte aber nicht vergessen, daß die gesamte orthodoxe Kirche und die sogenannten vorchalzedonischen Kirchen (Kopten, Armenier usw.) ebenfalls dieser Überzeugung sind.

Aus der SPÖ waren zuletzt einige, eher zaghafte Stimmen zu hören, die besorgt sind, daß ihr der Kontakt zur Intelligenz verloren geht. Die anderen Parteien, oder auch die Kirche, reden derzeit weniger von ihren diesbezüglichen Problemen. Unter dem Begriff "katholischer Intellektueller" fällt einem gerade noch Friedrich Heer ein, dem ja zeitlebens genug Schwierigkeiten gemacht worden sind, denn wird es schon schwierig, vielleicht noch Günther Nenning, der öffentlich als Christ auftritt...

Die Urfrage der Kirche ist nicht, wieviele Wissenschaftler, Künstler und sonstige Intellektuelle sich in ihren Reihen finden, sondern wieviele Glaubende es in ihr gibt. Franz von Assisi hat beispielsweise bald schon Intellektuelle und Künstler in großer Zahl angezogen, obwohl er sich um beide Bereiche selbst wenig gekümmert hat. Ähnliches gilt vom halbvergessenen Wiener Stadtheiligen Clemens Maria Hofbauer, zu dessen Kreis immerhin Friedrich Schlegel, Brentano und Eichendorff gehört haben. Wo religiöser Glaube wirklich stark ist, da ist er auch wertprägend, wertwandelnd, kulturprägend oder um ein abgebrauchtes Wort zu strapazieren "weltverändernd".

Die Schauplätze für den Wertewandel haben ich aber längst verselbständigt. Die Parteigrenzen sind aufgebrochen, das Links-Rechts-Schema löst isch auf, Impulse kommen von "außen". Sehen Sie da eher Gefahren oder Möglichkeiten?

Ich glaube nicht so ratsch daran, daß sich die Parteien auflösen oder durch dauerhafte neue ersetzt werden. Aber die Sorgen darüber muß ich jenen überlassen, die dafür hauptverantwortlich sind. Was die katholische Kirche betrifft, so kann sie nach meiner Überzeugung viel Pluralität aushalten, ja sogar benötigen, und viele zentrifugale Kräfte überstehen, solange sie "katholisch" ist. Sie ist nicht eine Festung, aber sie ist ein schönes, altes, weiträumiges Haus, aus dem eine neue Generation zeitweise mit Affekt wegziehen will, in das sie aber später vielleicht gern zurückkommt. Kirche ist Geduld, hat Augustinus gesagt. Natürlich darf man das Bild vom Haus nicht pressen oder monopolisieren. Kirche ist auch eine Gemeinschaft unterwegs und noch vieles andere.

Hainburg: aufgezehrtes Vertrauen in Institutionen

Unübersehbar war die Präsenz der Kirche in Hainburg, sehr im Unterschied zu vorangegangenen Anlässen wie Zwentendorf oder die Arena-Bewegung. Es wurden Messen gelesen und der Kardinal meldete sich zu Wort.

Themen wie Zwentendorf sind zunächst keine Spezialaufgabe für Bischöfe, sondern Anfragen an jeden Staatsbürger. Hier verbinden sich technische Sachkompetenz oder Inkompetenz mit Hoffnungen auf eine bessere Zukunft oder mit Ängsten vor einer Katastrophe. Der seinerzeitige Disput um Zwentendorf gedieh nicht von fern zu einem Konflikt, der dem Kampf um das Atomkraftwerk Gorleben in der Bundesrepublik vergleichbar wäre. So konnte die Kirchenleitung diesen Disput der innerkatholischen und sonstigen Auseinandersetzung als Ergebnis einen offenbar unvermeidlichen Meinungspluralismus überlassen. Tatsächlich haben sich gegen und für Zwentendorf, wenn auch in untenschiedlichem Ausmaß, sehr viele Katholiken und katholische Gruppen zu Wort gemeldet und so die Bereitschaft bekundet, Verrantwortung zu übernehmen.

Und Hainburg war als Problem so anders, daß sich auch Bischöfe zu Wort melden mußten?

Der Konflikt um Hainburg zeigte besorgniserregende Tendenzen zu einer Destabilisierung jener parlamentarischen Demokratie, zu welcher es für einen politisch erfahrenen und verantwortungsbewußten Staatsbürger kaum eine Alternative geben wird. Hainburg wurde ihr viele das Symbol für eine Kette von Ereignissen, die eine Menge Vertrauen in die Zukunft und in die für deren Gestaltung verantwortlichen Institutionen aufgezehrt haben. In dieser Situation wer ein Wort der Kirchenleitung nach meiner Überzeugung nicht mehr entbehrlich. Es war nicht leicht, dieses Wort so zu sagen, daß schon gegebene Polarisierungen zwischen jenen, die ökologische Ängste haben und den anderen, die um ihre Arbeitsplätze besorgt sind, nicht noch vergrößert wurden. Ich denke aber, es ist gelungen, dies zu vermeiden.

Beim Streit um Hainburg war doch auf beiden Seiten viel Irrationalismus zu bemerken: Wenn jetzt verstärkt von Wertewandel geredet wird, dann hört man vor allem von "Opfer", "Verzicht' und "Askese". Das sind Begriffe, die auch in der kirchlichen Argumentation ihren festen Platz haben. Daß es vielen um eine Auflehnung gegen das sture Weiterlaufen der ganzen Maschinerie und um demokratische Strukturen gegangen ist, das geht demgegenüber eher unter.

Ich bin davon überzeugt, daß die hier anstehenden Probleme nicht weniger, sondern mehr Vernunfteinsatz brauchen werden. Das hat ja auch der Papst in seiner Wiener Rede vor Wissenschaftlern und Künstlern gesagt. Gefühl ist schon gar hier nicht alles. Aber Gefühl ist nicht nichts. Der sich manchmal irrational gebende Protest gegen Zerstörung der Umwelt usw. hat doch ein rational auszumachendes Ziel: Ein Leben, eine Gesellschaft, wo - wie Adorno gesagt hat - die "alles durchdringende Kälte - sich nicht durchsetzen kann. Um das zu erreichen, wird man ohne die von Ihnen anscheinend inkriminierten Haltungen wie Opfer, Verzicht und Askese nicht auskommen. Die Frage ist, wie sie begründet und wo sie verankert werden können. Religion ist jedenfalls ein Boden, auf dem sie wachem können. Sie können hier auch pathologisch degenerieren. Das zeigt uns ein Blick in den Iran oder in manche europäische Vergangenheit. Aber es gibt ja wohl keine Anatomie ohne entsprechende Pathologie. Man braucht sich angesichts dieser Gefahr nicht lähmen zu lassen. Was die Kirche und ihren Beitrag betrifft, fällt mir ein distanziert anerkennendes Urteil des Kolumnisten einer großen bundesdeutschen Tageszeitung ein. Er schrieb vor etwa zwei Jahren am Schluß eines einschlägigen Feuilletons "Die Kirche ist nicht unterzukriegen". In saloppe Sprache verhüllt ist das ein unverzichtbarer Teil meiner Überzeugung.

 

Bischof Dr. Egon Kapellari
geboren 1936 in Leoben/Steiermark als Sohn eines Bergarbeiters. 1953 Matura am Realgymnasium Leoben, von 1953-57 Jurastudium in Graz. Promotion zum Dr. jur.; 1957-62 Studium der Philosophie und Theologie in Salzburg und Graz. 1961 Priesterweihe in Graz; 1962 bis Anfang 1964 Kaplan in einer Grazer Pfarre; 1964-81 Hochschulseelsorger und Studentenpfarrer der kath. Hochschulgemeinde in Graz, Leechgasse; 1973 Ernennung zum Monsigniore (= päpstlicher Ehrenkaplan); 1975-80 Generalassistent der kath. Aktion Steiermark; Ende 1981 Ernennung zum Bischof von Gurk in Klagenfurt; Referent für Jugendfragen in der österr. Bischofskonferenz (= Jugendbischof). Kapellari gilt als aussichtsreichster Kandidat für die König-Nachfolge als Kardinal.
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© Christian Reder 1985/2001