Für den heutigen Umgang mit Gläubigkeit ist es doch signifikant,
dass selbst der Marxismus-Leninismus unter die "Herrschaftsreligionen"
eingereiht wird, wie z. B. im RowohIt-Atlas "Hunger und
Waffen" (1981). Wie steht ein Mann der Kirche zu solchen
Interpretationen?
Wir können niemandem unsere eigene Sprachregelung vorschreiben.
Der Begriff Religion ist ebenso schutzlos wie der Begriff
Kirche. Man redet gern vorn Buddhismus als von einer atheistischem
Religion und der Katholik Friedrich Heer verwendete das Wort
Kirche auch für totalitäre politische Parteien, indem er von
"Parteikirchen" sprach. In diesem Wort steckt ebensoviel Kommunismus-
wie Kirchenkritik. Für mich ist Religion Bindung an einen
personalen, ansprechbaren Gott. Und Kirche ist die Gemeinschaft
derer, die sich in der Vermittlung zu Gott an die unverwechselbare
Gestalt Christi binden. Viel wichtiger als solcher Namens-
oder Markenschutz ist aber die Frage, ob das Christentum die
heutige Herausforderung durch konkurrierende Daseinsdeutungen
und Lebensmodelle besteht. Ein Blick auf die vielen Christen
unter den Trägem des Friedensnobelpreises der letzten zehn
Jahre ergibt einen nicht unwichtigen Teil der Antwort.
Es sind in den letzten Jahren doch auch die Sinne dafür
geschärft worden, wo wir es im säkularen - im weltlichen,
sich nicht um Transzendenz kümmernden - Bereich überall
mit Mythen, mit Ritualen zu tun haben. Die Mythenforschung
erlebt eine Hochblüte. Der "Mythos der Maschine" (Lewis
Mumford) oder die Mythen von Fortschritt, Technik, Medizin
(Ivan Illich) verweisen auf fest im Leben verankerte profane
Formen von Gläubigkeit, jedoch kaum auf die Annäherung an
eine emanzipatorische Vernunft.
Man kann doch Gott anerkennen, ohne die Vernunft und ihre
Anwendung gleich zu bremsen; ohne den "Fall Galilei" in Serie
zu reproduzieren. Daß übrigens nicht nur Religion pathologisch
degenerieren kann, sondern auch eindimensionale Vernunft,
gehört zum eisernen Repertoire heutiger Zivilisationskritik.
Kritiker den Christentums und der Kirche haben zeitweise glauben
machen wollen, die Kirche sei sozusagen daran schuld, daß
die Dampfmaschine nicht schon früher erfunden worden ist.
Im Gegensatz dazu hat Carl Amery in seinem Buch über das "Ende
der Vorsehung" behauptet, die biblische Beauftragung des Menschen
mit der Herrschaft über die Schöpfung hätte die heutige, scheinbar
ausweglose Zivilisationskrise verursacht. Anklagen gegen den
Irrationalismus religiösen Glaubens und Anklagen gegen die
"gnadenlose" Rationalität jüdisch-christlichen Glaubens lösten
einander paradoxerweise ab.
Im materiellen und ideellen Supermarkt
Es besteht doch ein Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen
Krisenanzeichen und wachsenden - vielfach außerkirchlich
gedeckten - spirituellen Bedürfnissen. Das zeigt sich am
Interesse an einer selektiven Nutzung fremder Religionen.
Man könnte sich vorstellen, daß eine Art von vergleichender
Religionswissenschaft, gleichsam als Ersatzreligion, künftig
großen Zulauf hat, als ein Herstellen von Verbindungen,
ähnlich der Ethnologie.
Religionswissenschaft stellt nur fest. Sie ordnet Gottesbilder
usw. Ein Markt von Modellen, Bildern und Meinungen erspart
aber nicht Lebensentscheidungen, religiöse Entscheidungen,
die auf einem anderen existentiellen Niveau getroffen werden
als die Wohl angesichts eines materiellen der ideelIen Supermarktes.
Die Frage ist schließlich, ob ein Gott sei, nicht als Gegenstand
unseren Besitzen, als Wahrheit im Sack, sondern als Adressat
unserer Sehnsucht - so ähnlich hat Max Horkheimer kurz vor
seinem Tod geredet. Die Frage ist, ob wir bei allen Ausfahrten
und Ausgriffen in Transzendenz immer nur uns selbst, unserem
Projektionen begegnen, oder einem realen Gegenüber, en dein
wir Du sagen können. Ich habe mehrmals von zwei katholischen
Ordensleuten gehört, die seit Jahrzehnten in Ostasien tätig
waren und sich intensiv mit Fragen zwischen Buddhismus und
Christentum befaßt haben. Einer ist tiefer als je davon überzeugt,
man könne christlichen Glauben auch in einem buddhistischen
Horizont leben. Der andere ist zur gegenteiligen Überzeugung
gekommen und hat sich von allen Vermittlungsversuchen abgewandt.
Es ist aber nicht zu übersehen, daß es neben der latenten
Anziehungskraft kontemplativer Erkenntniswege phasenweise
nicht ohne "Schamanismus und archaische Ekstasetechnik"
geht, so der Buchtitel bei Mircea Eliade (1961. dt. 1957).
Für die Dada-Bewegung und ihre künstlerischen Zeitgenossen
waren solche vorwiegend außereuropäischen Einflüsse enorm
wichtig, in Wien finden sie sich bei Konrad Bayer oder Oswald
Wiener, dann der Umweg Castaneda, anschließend Hans-Peter
Duerrs "Traumzeit", Fritjof Capra, usw.
Was Sie da aufzählen, ist der christlichen Mystik wahrscheinlich
In manchem benachbart und wird sich von ihr auch in vieler
Hinsicht unterscheiden. Die Bibel selbst treibt so etwas wie
Religionskritik an den orgiastischen Kulturen Kanaans. In
der christlichen Mystik wurde der Begriff dar "nüchternen
Trunkenheit" geprägt, ein Unterschied zu dem, was Baudelaire
mit seiner Devise "Man muß sich allezeit berauschen" und Huxley
mit seiner Evasion in die "chemischen Ferien" gemeint haben.
Wenn Ihnen Kontemplation und Ekstase als Methode gleicherweise
fremd, ja verdächtig sind, welche Mechanismen könnten dann
forciert werden, um eine Identität von Denken und Handeln
zu fördern, um gesellschaftlichen Druck - an dein die Kirche
ja weiterhin beträchtlichen Anteil hat - wenigstens auf
emanzipiertere Verhaltesweisen auszurichten?
Das Wort "Mechanismen" erscheint mir für einen humanen Lötungsansatz
als zu flach. Es klingt für mich so wie "Selbstmanipulation"
mit der man vieles tun kann, außer sich selbst im vollen Sinn
den Wortes so erlösen. Für ein erfülltes Leben kann man als
Mensch im allgemeinen und noch einmal sie Christ gewiß vieles
Wichtiges von anderen lernen: vergessene östliche Weisheit
und wohl auch vergessene westliche Weisheit wären vom Boden
aufzuheben und in das Leben zu integrieren. Aber man soll
kein Schwamm sein, der einfach alles aufsaugt. Vor Jahren
habe ich gegen die damalige innerkatholische Inflation das
Wortes "Meditation" ein bißchen polemisiert und gesagt, nicht
alles zwischen Joga und Joghurt ist christliche Meditation.
Moralische Leistungsgesellschaft - Einbahnstraße des Radikalismus
Sie haben im Zusammenhang von Fragen zwischen Religion
und Kunst vor einer einseitigen Ethisierung, Politisierung
der Religion gewarnt.
Ich erinnere mich oft an ein Abendessen im kleinen Kreis
mit Manès Sperber nach einem Vortrag, den er für die damals
von mir geleitete Studentengemeinde gehalten hatte. Sperber
sagte, er wolle uns als Jude auf das christliche Proprium,
so wie er es verstünde, hinweisen. Wir hätten Gnade zu verkünden
und nicht das Gesetz. Angesichts der gegenwärtigen moralischen
und politischen Defizite glauben nicht wenige Christen, vor
allem junge, das Christentum sei einfach Moral und Politik
ein Spezialfall der Moral. Die mystische Dimension wird vernachlässigt
oder gar diskreditiert. Auf diese Weise verwandelt sich aber
Christentum in eine moralische Leistungsgesellschaft. Kein
Wunder, daß manche Leute aus solchen christlichen Milieus
vor Jahren weitergewanden sind in der Einbahnstraße des Radikalismus.
Eine Analyse der Terrorszene hat dies deutlich gemacht. Christentum
ist, wenn man die Bibel nicht in selbstverfügter Auswahl liest,
eine Balance zwischen Mystik und Ethik, Aktion und Kontemplation,
oder wie immer man die gemeinte Komplementarität formulieren
will.
Zum Stichwort Politisierung: In der Deutschen Bundesrepublik
etwa bezeichnen sich bürgerliche Parteien noch als christlich-demokratisch,
als christlich-sozial, im Unterschied zu Österreich, wo
es seit der Zwischenkriegszeit diesbezüglich eine gewisse
Zurückhaltung gibt. Ein Helmut Kohl oder ein Franz Josef
Strauß bedienen sich jedoch noch recht häufig des Begriffes
des christlichen Politikers. Was macht für Sie einen christlichen
Politiker aus?
Das ist eine schwierige Frage. Ein christlicher Politiker
und eine Partei, die den ererbten Namen "christlich-demokratisch"
oder christlich-sozial" nicht bequemlichkeitshalber aufgegeben
haben, sind heute von mehreren Seiten her in Schwierigkeiten.
Da ist einmal die simplifizierende Lust der Gegner, Theorie
und Praxis eines solchen Politikers oder einer solchen Partei
am Hochethos der Bergpredigt zu messen und dann natürlich
allemal zu leicht zu finden. Was etwa in mancher Variante
marxistischer Politik theorieimmanent als unschuldig weil
notwendig gilt - z. B. Gewaltausübung im Interesse eines erhofften
"Reiches der Freiheit" - das wird dem christlichen Politiker
oder seiner Partei so leicht nicht verziehen.
Anscheinend großmütiges Verzeihen wird doch gerade im politischen
Bereich allzu schnell zu einem opportunistischen Umgang
mit der belastenden Vergangenheit - siehe den Fall Frischenschlager.
Verzeihen müssen zunächst die am meisten Verletzten. Das
waren In diesem Fall die Angehörigen der Opfer von Marzabotto.
Der dortige Pfarrer hat, wie man lesen konnte, versucht, die
Bevölkerung zum Verzeihen zu bewegen. Er hatte keinen Erfolg.
Ich kann mir vorstellen. wie schwer ihn diene Weigerung getroffen
hat, weit das ja auch eine Weigerung gegenüber dem ist, das
der Pfarrer Sonntag für Sonntag predigt und im Alltag Leuten
vorleben will. Ferner stehende Menschen, auch solche in hoher
politischer Verantwortung, können das Verzeihen fördern und
bedanken. Sie können es nach meiner Auffassung aber nicht
Überspringen und eine symbolische Stellvertretung übernehmen.
Zurück zu (vermeintlich) Christlichem in der Politik...
Es im nun zwar prinzipiell berechtigt, an den Christen und
seine Gemeinschaften hohe Ansprüche zu stellen. Manche Anklagen
gegen Christen wegen deren angeblichem oder wirklichem Pharisäertum
kommen allerdings selbst von Pharisäern. In diesem Zusammenhang
erinnere ich mich an einen meiner Universitätslehrer, der
bei einer politischen Disputation zornig ausrief, wir müßten
froh sein. daß es Politiker gebe, die bereit seien, sich für
andere Leute die Hände schmutzig zu machen, Eine zweite Schwierigkeit
für das Selbstverständnis einer politischen Parteials christlich
beruht in der durch das jüngste Konzil verstärkten Einsicht,
dass Christen in moralischen Fragen, die mit Sachfragen fundamental
verknüpft sind, legitim verschiedener, ja gegenteiliger Auffassung
sein können. Sie haben dann nicht das Recht einander den Glauben
oder eine authentische christliche Praxis abzusprechen. Diese
Pluralität der Einsichten und der praktischen Konsequenzen
erschwert die Formierung der Christen zu einer politisch praktischen
"acies formata" und begüntigt ihre Ansiedlung in verschiedenen,
miteinander konkurrierenden Parteien. Aus dem Evangelium sind
selten direkte Handlungsanweisungen für eine konkrete politische
Situation zu gewinnen. Dennoch gibt en solche Imperative als
Grenzen menschlicher Autonomie, als Grenzen der Verfügbarkeit
über menschliches Leben am Beispiel der Abtreibung oder der
Euthanasie. Prägend für Charakter und Stil den christlichen
Politikers und der von ihm dominierten politischen Gemeinschaften
werden Haltungen sein, für die er zwar kein Monopol hat, denen
aber sein Glaube Schubkraft verleihen müßte: Ein hohes Maß
an Redlichkeit und Uneigennützigkeit, die Bereitschaft zum
Kompromiß bei gleichzeitiger Achtsamkeit für die Übergänge
vom legitimen zum faulen Kompromiß.
Die Urfrage der Kirche ist nicht, wieviele Intellektuelle
sich in ihren Reihen finden
Ein aktuelles Konfliktfeld ergibt sich aus dem Verhältnis
der Kirche, zumal der katholischen Kirche zu den Frauen.
Viele Frauen fühlen sich durch feministische Attacken gegen
die Kirche, ob sie von innerhalb oder außerhalb der Kirche
kommen mögen, nicht vertreten. Es bleibt aber genug an echten
und auch lösbaren Problemen übrig. Bei einer einschlägigen
Tagung habe ich meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß
sich in der Kirche für die Frauen noch viele verschlossene
Türen öffnen werden, was ja auch in den letzten Jahren immer
wieder geschehen Ist. Die Priesterweihe für die Frau wird
nach meiner Überzeugung aber nicht möglich sein, weil die
bisherige Praxis der Kirche eine normative Interpretation
der frühkirchlichen Ordnung ist. Es fehlen hier Zeit und Platz
für genauere Argumente. Man sollte aber nicht vergessen, daß
die gesamte orthodoxe Kirche und die sogenannten vorchalzedonischen
Kirchen (Kopten, Armenier usw.) ebenfalls dieser Überzeugung
sind.
Aus der SPÖ waren zuletzt einige, eher zaghafte Stimmen
zu hören, die besorgt sind, daß ihr der Kontakt zur Intelligenz
verloren geht. Die anderen Parteien, oder auch die Kirche,
reden derzeit weniger von ihren diesbezüglichen Problemen.
Unter dem Begriff "katholischer Intellektueller" fällt einem
gerade noch Friedrich Heer ein, dem ja zeitlebens genug
Schwierigkeiten gemacht worden sind, denn wird es schon
schwierig, vielleicht noch Günther Nenning, der öffentlich
als Christ auftritt...
Die Urfrage der Kirche ist nicht, wieviele Wissenschaftler,
Künstler und sonstige Intellektuelle sich in ihren Reihen
finden, sondern wieviele Glaubende es in ihr gibt. Franz von
Assisi hat beispielsweise bald schon Intellektuelle und Künstler
in großer Zahl angezogen, obwohl er sich um beide Bereiche
selbst wenig gekümmert hat. Ähnliches gilt vom halbvergessenen
Wiener Stadtheiligen Clemens Maria Hofbauer, zu dessen Kreis
immerhin Friedrich Schlegel, Brentano und Eichendorff gehört
haben. Wo religiöser Glaube wirklich stark ist, da ist er
auch wertprägend, wertwandelnd, kulturprägend oder um ein
abgebrauchtes Wort zu strapazieren "weltverändernd".
Die Schauplätze für den Wertewandel haben ich aber längst
verselbständigt. Die Parteigrenzen sind aufgebrochen, das
Links-Rechts-Schema löst isch auf, Impulse kommen von "außen".
Sehen Sie da eher Gefahren oder Möglichkeiten?
Ich glaube nicht so ratsch daran, daß sich die Parteien auflösen
oder durch dauerhafte neue ersetzt werden. Aber die Sorgen
darüber muß ich jenen überlassen, die dafür hauptverantwortlich
sind. Was die katholische Kirche betrifft, so kann sie nach
meiner Überzeugung viel Pluralität aushalten, ja sogar benötigen,
und viele zentrifugale Kräfte überstehen, solange sie "katholisch"
ist. Sie ist nicht eine Festung, aber sie ist ein schönes,
altes, weiträumiges Haus, aus dem eine neue Generation zeitweise
mit Affekt wegziehen will, in das sie aber später vielleicht
gern zurückkommt. Kirche ist Geduld, hat Augustinus gesagt.
Natürlich darf man das Bild vom Haus nicht pressen oder monopolisieren.
Kirche ist auch eine Gemeinschaft unterwegs und noch vieles
andere.
Hainburg: aufgezehrtes Vertrauen in Institutionen
Unübersehbar war die Präsenz der Kirche in Hainburg, sehr
im Unterschied zu vorangegangenen Anlässen wie Zwentendorf
oder die Arena-Bewegung. Es wurden Messen gelesen und der
Kardinal meldete sich zu Wort.
Themen wie Zwentendorf sind zunächst keine Spezialaufgabe
für Bischöfe, sondern Anfragen an jeden Staatsbürger. Hier
verbinden sich technische Sachkompetenz oder Inkompetenz mit
Hoffnungen auf eine bessere Zukunft oder mit Ängsten vor einer
Katastrophe. Der seinerzeitige Disput um Zwentendorf gedieh
nicht von fern zu einem Konflikt, der dem Kampf um das Atomkraftwerk
Gorleben in der Bundesrepublik vergleichbar wäre. So konnte
die Kirchenleitung diesen Disput der innerkatholischen und
sonstigen Auseinandersetzung als Ergebnis einen offenbar unvermeidlichen
Meinungspluralismus überlassen. Tatsächlich haben sich gegen
und für Zwentendorf, wenn auch in untenschiedlichem Ausmaß,
sehr viele Katholiken und katholische Gruppen zu Wort gemeldet
und so die Bereitschaft bekundet, Verrantwortung zu übernehmen.
Und Hainburg war als Problem so anders, daß sich auch Bischöfe
zu Wort melden mußten?
Der Konflikt um Hainburg zeigte besorgniserregende Tendenzen
zu einer Destabilisierung jener parlamentarischen Demokratie,
zu welcher es für einen politisch erfahrenen und verantwortungsbewußten
Staatsbürger kaum eine Alternative geben wird. Hainburg wurde
ihr viele das Symbol für eine Kette von Ereignissen, die eine
Menge Vertrauen in die Zukunft und in die für deren Gestaltung
verantwortlichen Institutionen aufgezehrt haben. In dieser
Situation wer ein Wort der Kirchenleitung nach meiner Überzeugung
nicht mehr entbehrlich. Es war nicht leicht, dieses Wort so
zu sagen, daß schon gegebene Polarisierungen zwischen jenen,
die ökologische Ängste haben und den anderen, die um ihre
Arbeitsplätze besorgt sind, nicht noch vergrößert wurden.
Ich denke aber, es ist gelungen, dies zu vermeiden.
Beim Streit um Hainburg war doch auf beiden Seiten viel
Irrationalismus zu bemerken: Wenn jetzt verstärkt von Wertewandel
geredet wird, dann hört man vor allem von "Opfer", "Verzicht'
und "Askese". Das sind Begriffe, die auch in der kirchlichen
Argumentation ihren festen Platz haben. Daß es vielen um
eine Auflehnung gegen das sture Weiterlaufen der ganzen
Maschinerie und um demokratische Strukturen gegangen ist,
das geht demgegenüber eher unter.
Ich bin davon überzeugt, daß die hier anstehenden Probleme
nicht weniger, sondern mehr Vernunfteinsatz brauchen werden.
Das hat ja auch der Papst in seiner Wiener Rede vor Wissenschaftlern
und Künstlern gesagt. Gefühl ist schon gar hier nicht alles.
Aber Gefühl ist nicht nichts. Der sich manchmal irrational
gebende Protest gegen Zerstörung der Umwelt usw. hat doch
ein rational auszumachendes Ziel: Ein Leben, eine Gesellschaft,
wo - wie Adorno gesagt hat - die "alles durchdringende Kälte
- sich nicht durchsetzen kann. Um das zu erreichen, wird man
ohne die von Ihnen anscheinend inkriminierten Haltungen wie
Opfer, Verzicht und Askese nicht auskommen. Die Frage ist,
wie sie begründet und wo sie verankert werden können. Religion
ist jedenfalls ein Boden, auf dem sie wachem können. Sie können
hier auch pathologisch degenerieren. Das zeigt uns ein Blick
in den Iran oder in manche europäische Vergangenheit. Aber
es gibt ja wohl keine Anatomie ohne entsprechende Pathologie.
Man braucht sich angesichts dieser Gefahr nicht lähmen zu
lassen. Was die Kirche und ihren Beitrag betrifft, fällt mir
ein distanziert anerkennendes Urteil des Kolumnisten einer
großen bundesdeutschen Tageszeitung ein. Er schrieb vor etwa
zwei Jahren am Schluß eines einschlägigen Feuilletons "Die
Kirche ist nicht unterzukriegen". In saloppe Sprache verhüllt
ist das ein unverzichtbarer Teil meiner Überzeugung.
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Bischof Dr. Egon
Kapellari
geboren 1936 in Leoben/Steiermark als Sohn eines Bergarbeiters.
1953 Matura am Realgymnasium Leoben, von 1953-57 Jurastudium
in Graz. Promotion zum Dr. jur.; 1957-62 Studium der
Philosophie und Theologie in Salzburg und Graz. 1961
Priesterweihe in Graz; 1962 bis Anfang 1964 Kaplan in
einer Grazer Pfarre; 1964-81 Hochschulseelsorger und
Studentenpfarrer der kath. Hochschulgemeinde in Graz,
Leechgasse; 1973 Ernennung zum Monsigniore (= päpstlicher
Ehrenkaplan); 1975-80 Generalassistent der kath. Aktion
Steiermark; Ende 1981 Ernennung zum Bischof von Gurk
in Klagenfurt; Referent für Jugendfragen in der österr.
Bischofskonferenz (= Jugendbischof). Kapellari gilt
als aussichtsreichster Kandidat für die König-Nachfolge
als Kardinal.
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