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Falter Verlag
   

"...das Gewöhnliche und das Anspruchsvolle ..."
Ein Architektur-Gespräch mit Wilhelm Holzbauer.

Falter, Wien, Nr. 8/1985

Gerade die Großbauten der letzten Jahre sind schon dadurch "repräsentativ" für vieles, weil sich immer Mittel und Wege für ein gegenseitiges Unterbieten gefunden haben. Wilhelm Holzbauer, dessen Buch "Bauten und Projekte. 1953-1985" (Residenz Verlag) soeben erschienen ist, hat außerhalb dieser Automatik selbst mehrfach "groß" gebaut. Christian Reder diskutierte mit ihm über Korruption, Gestaltung und die Problematik des Monumentalen.

 

 

Wenn vom Neubeginn einer österreichischen Architektur nach 1945 die Rede ist, dann sind es vor allem Roland Rainer und die Arbeitsgruppe 4 - mit Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Johannes Spalt - denen eine Pionierstellung eingeräumt wird. Ohne dass wir uns jetzt auf zu verkürzte Zensuren einlassen sollten, ergibt sich für mich die Frage, was sich anhand der persönlichen Entwicklung dieser Leute aufzeigen ließe, Roland Rainer z. B. hat ja immerhin auch den beängstigenden Bau der ORF-Maschinerie am KünigIberg zu verantworten, obwohl er parallel dazu ständig von Humanität und Gartenlandschaften gesprochen hat.

Ich halte Roland Rainer für eine irgendwie tragische Person. Ich glaube ihm alles, was er über "humanes Bauen", was er über chinesische und persische Garten oder den Garten schlechthin schreibt. Da steckt eine sehr subtile Philosophie dahinter, die erwarten ließe, daß er auch bei großen Bauaufgaben diese Art von Sensibilität aufnimmt. Er hätte es wahnsinnig gern, daß ihm etwa die von ihm beschriebene Intimität der Karfreitags-Moschee in Isfahan in den eigenen Großbauten gelingt, sei es die Stadthalle oder das ORF-Zentrum. Verwirklichen konnte er sie nur in seinen kleinen Gebäuden. Bei größeren Aufgaben ist er dran Vokabular der modernen Architektur verhaftet, das mit seiner wirklichen Philosophie nichts zu tun hat. Da ist ein persönliches Scheitern sichtbar geworden. In der gerade am Schillerplatz laufenden AIvar AaIto-Ausstellung sieht man deutlich, wie es durchaus gelingen kann, selbst große Bauvolumina aus einem naturverhafteten Denken heraus auf geglückte Weise zu gestalten. Rainer wollte das immer, da bin ich völlig überzeugt davon.

Von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe 4 wiederum wäre fast zu erwarten gewesen, daß sie sich unter die profilierten Vertreter jener Architektur einreihen, die hätte gebaut werden können, wenn ... Zwei damaligen Partner haben tatsächlich wenig Projekte realisiert, im Gegensatz zu Deiner kontinuierlichen Kette verwirklichter Bauten. Gab es da eine Aufspaltung zwischen Theorie und Praxis?

Dem könnte ich nur zustimmen, wenn es richtig wäre. Ich glaube aber, dass das von der Arbeitsgrupppe 4 damals aufgebaute theoretische Gebäude zuwenig Tiefe hatte, um wirklich tragfähig zu sein. Es ist fragmentarisch geblieben und das war, neben unseren heterogenen Charakteren, mit ein Grund für das Auseinanderfallen dieser Gruppe. Ich habe mich nach 12 Jahren endgültig von ihr getrennt, weil mir klar geworden war, daß die Situation unsere eigene schöpferische Kraft verlangte und nicht ein Aufarbeiten der Geschichte, wie wir es mit relativ starkem Echo durch Ausstellungen über Adolf Loos, die Jahrhundertwende, über Kirchen- und Theaterbau gemacht hatten. Dafür sind andere da und es hat sich in dann auch rasch herausgestellt, daß Achleitner dafür eine ganz außerordentliche Kraft geworden ist.

Reine Package-Deals

Ein Sprung in die Wirklichkeit, die uns seither hingebaut worden ist: Nehmen wir nur die massivsten, unübersehbaren Beispiele her, die UNO City von Staber, das AKH natürlich, die Hlaweniczka-Versicherungen, seine Wirtschaftsuni, die Türme in Alt ErIaa, jetzt das Bundesamtsgebäude bei der Urania von Czernin, das Hotel Mariott am Parkring. Schon die Suche nach konkreten Fragen macht einen wortlos ...

... das ist fast zwangsläufig, daß man da sprachlos wird. Mit Architektur hat das alles überhaupt nichts zu tun, Das sind reine Package-Deals, bloße Umhüllungen für irgendein Volumen. Die sogenannte UNO-City ist architektonisch eine Absurdität und städtebaulich ein totales Unding. Sie steht dort wie ein gelandetes ...

...UFO? ...

... ja, vielleicht UFO, aber wie ein sehr schlecht designtes UFO. Und das neue Bundesamtsgebäude in der Radetzkystraße folgt zwar städtebaulichen Grundzügen, nur ist es von so unfaßbarer Banalität, ist es ein so dummes Gebäude, dass es nicht mehr unterbietbar ist.

Ein "Realist" könnte sagen, es ist anderswo auch nicht besser.

Der Unterschied zwischen ernstzunehmender Architektur und kommerzieller Architektur ist anderswo keineswegs so kraß wie bei uns. In Frankreich, in der Bundesrepublik, in den Vereinigten Staaten oder in England werden die wirklich guten Architekten in zunehmendem Maße herangezogen und das strahlt dann aus. Bei uns hier ist das einfach nicht der Fall. Es ist weder der Peichl mit etwas nennenswertem Neuen beschäftigt, noch der Hollein oder ich. In Amerika bestimmen demgenüber ein Richard Meyer, ein Michael Graves oder ein Philip Johnson nicht nur das intellektuelle Geschehen mit, sondern auch das tatsächliche. Hier aber ist es den verantwortlichen Leuten in den Behörden völlig wurscht, ob jemand ein guter Architekt ist, oder ein schlechter oder ob er international anerkannt ist. Sie haben völlig eigene Mechanismen, nach denen sie ihre Aufträge vergeben. Mir ist es total schleierhaft, warum in Cernin der Reihe nach einen Milliardenauftrag nach dem anderen bekommt. Auf was hinauf? Auf nichts hinauf.

Unbegreifliche Vergabemechanismen

Auf einer primitiven Ebene könnte in solchen Fällen die übliche Haberei mitspielen, die natürlich sehr leicht in Korruption übergeht. Es stellt sich aber auch ständig die Frage, ob das Netz nicht längst viel feiner gesponnen und damit im politischen Sinn gefährlich ist.

Bei so unbegreiflichen Vergaben kann sich doch jeder leicht ausrechnen, was da zwischen den Leuten vorgeht. Die Gerüchte um den ausgeschiedenen Bautenminister lassen ja einiges erwarten. Und wenn derselbe Architekt Czernin auch noch eine 30 Millionen-Studie über den Messepalast machen darf, wird man sich doch fragen dürfen, was er bisher mit Museen überhaupt zu tun gehabt hat

Du planst und baust seit langem auch in Amsterdam. Gibt es da erkennbare Unterschiede in der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen?

Es ist auch das Bauen in Amsterdam sehr schwierig. Wir arbeiten aber dort z. B. mit einem fixen Budget mit präzis definierten, nur nach dem Index errechneten Kostensteigerungen und darüber hinaus gibt es keinen Groschen mehr. Das macht man hier rar nicht. Kostensteigerungen werden hingenommen und manchmal eben nicht. Qualifizierter sind die Leute dort auch nicht, nur eines steht für mich fest: Es gibt überhaupt keine Korruption.

Vom Planungsstadtrat Voggenhuber von der Bürgerliste in Salzburg gehen offensichtlich ziemlich positive Impulse aus, sehr im Unterschied zu den sonstigen Zuständen Wie schätzt Du seine Möglichkeiten nach zwei, drei Regierungsjahren ein?

Einerseits ist er jemand, dessen Leidenschaft die Architektur ist, andererseits sieht er immer deutlicher, daß er fast nur in marginalen Bereichen Erfolge erzielen kann. Er hat sich beeindruckende Kenntnisse über Architektur angeeignet und am liebsten wäre er Bauherr für schöne Bauten. Im Gegensatz zu x-beliebigen anderen Politikern, die immer nur von der Wirtschaftlichkeit oder von der Notwendigkeit eines Baues sprechen, nie aber von Qualitäten; sind gerade sie für ihn das zentrale Anliegen.

Und der von ihm eingesetzte Gestaltungsbeirat?

Ich würde nicht sagen, daß er sich nicht bewährt. Wir - also Achleitner, Gino Valle, Breicha, Garstenauer und ich - haben mindestens 10 bis 15 Projekte wirklich wesentlich verbessern können, gerade durch Kleinarbeit Bei größeren Projekten, wie der Bebauung der Forellenweg-Gründe mit 400 Wohnungen wird alles gleich auf die parteipolitische Ebene gezerrt. Es ist völlig absurd, wie sich da plötzlich alle Parteien in die formale Gestaltung einmengen, wo zugleich überall, auf den Schließelberger-Gründen oder auf den Rositten-Gründen Anlagen von einer Scheußlichkeit gebaut werden, über die sich niemand aufregt.

Könnte also ein solcher Gestaltungsbeirat für andere Städte ein Modell sein?

Ich würde so etwas sogar für sehr wesentlich halten. In Salzburg, und das habe ich auch dem Bürgermeister geschrieben, leidet unsere Arbeit vor allem daran, daß der Beirat in die Ecke der Bürgerliste geschoben wird, weil von dort die Initiative kam.

Selbstbewußte Architekturdarstellungen

Es gibt auch Vorwürfe, daß Du trotz Deiner Beiratsfunktion am Umbau des ehemaligen "Kiesel"- Gebäudes (jetzt "Quelle") beteiligt bist.

Ich bin dort auf Drängen Voggenhubers vor Gründung den Beirats architektonischer Konsulent geworden, weil schon zwei Architekten fix beauftragt waren und deshalb kein Wettbewerb stattfinden konnte. Sonst ist da gar nichts. Daß da jetzt Bereicherungsunterstellungen aufgetaucht sind, ist angesichts unserer ehrenamtlichen Beiratstätigkeit doppelt infam. Es gibt da eben politische Diffamierungsinteressen, und ein Beirat, der nichts kostet, ist sozusagen nichts wert. Deswegen müßte er offensichtlich auch normal honoriert werden, wenn er auf Dauer wirksam sein soll.

Zurück nach Wien: Die Chancen wären, zynisch gesagt, gut gewesen, daß die ganze U-Bahn so aussehen würde, wie die "Pionierstation" KarIspIatz in ihrer gestalterischen Bedeutungslosigkeit eines Architekt Schlauss. Jetzt soll es in ähnlicher Form weitergehen, wie ursprünglich begonnen worden ist.

Das stimmt zum Teil. Architekt Schlauss hat ziemlich viele Stationen bekommen. Es ist das erklärte Ziel des Stadtrat Hatzel, die weiteren Aufträge zu streuen. Die Aufträge ergehen jetzt an Leute wie Keimel, die schon diese Stationen an der Gürtellinie gebaut haben, diese braunen, an die Strecke gepickten Lindwürmer, die ich für einen Faustschlag auf das ganze Werk von Otto Wagner halte. Es werden auch frühere Mitarbeiter von mir und meinen Kollegen in der Archltektengruppe U-Bahn beauftragt. Also das, was der Gemeinderat einmal nach dem internationalen Erfolg der von uns gestalteten Stationen auf den Linien U1 und U4 gesagt hat, dass auch die Linie U3 nach einheitlichen Gestaltungsrichtlinien gebaut worden soll, das wird jetzt durchbrochen.

Nähern wir uns Argumenten zu Deiner Bauauffassung. Deine Arbeit ist manchmal sehr subtil und feinnervig, sei es bei der "ersten modernen Kirche der Nachkriegszeit" (Achleitner) in Parsch/Salzburg, sei es beim Haus Stifter in Oberösterreich. Andererseits ist ein Hang zum Monumentalen unübersehbar, der sich über eine zu auffällig spürbare intellektuelle Skepsis hinwegsetzt. Solche Gegensätzlichkeit liefert Anlässe für Kritik an Deinen Bauten, sei es nun das Landhaus Bregenz oder die nächstes Jahr fertige Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg, zwei signifikante öffentliche Gebäude, denen Du ein monumentales Selbstverständnis zuordnest.

Ich habe da eine völlig eindeutige Haltung. Ich glaube an die Hierarchie bei der Interpretation einer Bauaufgabe und ich glaube nicht, daß es sich unsere Zeit erlauben kann, keine architektonischen Monumente zu hinterlassen. Und solche Monumente sollen dort entstehen, wo es sich um die Verwirklichung von Bauaufgaben handelt, die eine Gemeinschaft repräsentieren und nicht das Individuelle. Von verlogenen Architekturdeklarationen, wie "eine demokratische Architektur hat keine Symmetrieachsen mehr" oder "eine demokratische Architektur ist kleingliedrig" halte ich nichts, und auch nichts von einer angeblich "antiautoritären" Architektur ohne Ordnungskonzeption, ohne Räume und Plätze, wo alles aufgelöst und hingestreut ist.

Du postulierst hier ein - sogar direkt im Wortsinn - massives Selbstbewusstsein, etwa für ein Landesparlament oder für eine universitäre Organisation, so als ob beide einen sehr stabilen Stellenwert hätten, inmitten einer im Fluß befindlichen GeseIlschaft. Wenn mir ein solches massives und "organisiertes" Selbstbewußtsein öffentlicher Einrichtungen unterkommt, taucht auch die Notwendigkeit auf, es nicht weiter zu bestärken, es vielleicht sogar zu bekämpfen oder ihm wenigstens dezidierte Fragen zu stellten.

Da muß ich aber gegenfragen, warum Dir eine solche antipodische Haltung angemessen erscheint. Wir kennen doch alle eine Bewunderung für selbstbewußte Architekturdarstellungen, sei es der Markusplatz, sei es Urbino oder Siena. Ich sehe nicht ein, warum in unserer Zeit das grundsätzlich anders sein soll.

Daß es äußerlich auf neue Weise schön sein könnte so, ist eine andere Sache. Kann aber ein solcher Anspruch heute noch stimmig sein, angesichts ganz anderer Machtstrukturen, angesichts der Banalität, die keinen ausläßt?

Ein Esterhazy, den eigentlich nur die Jagd interessiert hat, dürfte vielleicht auch bloß gespürt haben, daß er auf derselben Ebene bleiben muß wie die zeitprägenden Bauherren, um nicht als Hinterwäldler angesehen zu werden und deswegen hat er sich eben erkundigt, wer gut ist. Wer weiß, was ein Joseph I. alles gemacht hätte. wenn nicht ein Fischer von Erlach sein Lehrer für Baukunst gewesen wäre. Und Kaiser Franz Joseph hätte viele der Bauten verhindert, die jetzt als Zeichen seiner Zeit gelten, wie die Kirche am Steinhof oder die Postsparkasse, wenn es nur nach ihm gegangen wäre. Nach dreißig oder hundert Jahren ist es egal, unter welchen Umständen ein wichtiges Gebäude zustandegekommen ist.

Nur, zurückkehrend zu Utopien, für welche bestimmte Architekten agitiert haben oder es manchmal noch tun, auch wenn wir uns auf Österreich beschränken, so leben sie doch von der Vorstellung einer permanent unfertigen Gesellschaft, die sich nicht in ihrem gegenwärtigen Zustand dauernd selbst bestätigt. Soferne Architektur noch auf Visionen von einer besseren Welt aus ist, muß sie doch auf die existierenden Spannungen eingehen, ohne unbefriedigende Strukturen zu konservieren oder ihnen sogar Zeichen zu setzen.

Ich möchte da jetzt etwas Wichtiges ergänzen, korrigieren. In meinen vorher besprochenen Bauten findet sich ja nicht nur Monumentales. Es wird eine fraktionelle monumentale Grundhaltung sichtbar, die in den Einzelheiten immer total aufgelöst wird. Fassade und Vorplatz des Landhauses haben eine gewisse Monumentalität, innen tritt man dann in eine große Halle, von der biegst du links ab und kommst durch ein Foyer in den Landtagssaal. Da ist nichts Axiales mehr. Der Raum ist völlig aufgebrochen und durch die Lichtführung fast zerstört in seiner Geschlossenheit. Er bekommt wieder die Intimität, von der wir vorhin gesprochen haben. Der Universität Salzburg liegen parallele Denkvorgänge zugrunde, ein monumentaler Eingangsbereich, der runde Hof, das Glashaus, dann jedoch ganz gewöhnliche, sozusagen bürgerliche Innenhöfe, ohne Marmor, mit normalem Verputz. Der Grundriß ist der Altstadt Salzburgs nachempfunden. Für mich ist eben Architektur immer geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen dem Gewöhnlichen, dem Ordinären und dem in der Hierarchie gehobenen, dem Anspruchsvollen.

Der Vorwurf des Faschistischen

In der ganzen Wiener Architekturdiskussion ist einerseits immer vom ."Zeichen", vom "Monument" sehr dramatisch die Rede ...

... nur wer hat bis jetzt schon ein Monument gemacht...

...andererseits, wenn dann jemand wie Du mit voller Absicht monumentalere Bauten hinstellt, so kommt sehr rasch der Vorwurf des Faschistischen.

Damit hat fast jeder, der jetzt arbeitet, zu kämpfen. Ein Rossi, ein Krier, ein Ungers haben das genauso zu verkraften, wie ich. Nur weil jemand die Maßlosigkeit der Symmetrie, die Maßlosigkeit der Volumina ins Unermeßliche steigern wollte, wie es Hitler getan hat, kann doch nicht jeder Ansatz, der im formalen Sinn nicht das geringste gemein hat damit, sondern sich konzeptionell mit Symmetrie und Volumen befasst, als faschistisch bezeichnet werden. Das wäre der Tod jeder Entwicklung, mit der wir unsere Städte wieder einem städtebaulichen Kanon annähern könnten.

Nochmals zu - Wiener - Utopien. Es gibt sie weiterhin, die zersplitterte Subkultur mit sehr hohen (zwangsläufig verbalradikalen) Erwartungen und der Erfahrung, dass die dann nie eingelöst werden, selbst wenn es "nur" um ästhetische Fragen geht. Das Bild, das man sich vom anderen macht, das hält nicht, weil der andere nicht zusammenbringt, was man selber in ihn hineinlegt oder selber in seinen Träumen vorhat. Ab irgendeinem Punkt macht jeder dann seine Sache, weil sich frühere Gruppenbeziehungen aufgelöst haben oder in Haß und Verachtung umgeschlagen sind. Walter Pichler hat z. B. unlängst (im UMRIMSS 1/85) neben einem Generalangriff auf Architektur und Architekten auch davon gesprochen, daß er in Wien keine Berufsgruppe kenne, "die untereinander einen derart verwahrlosten Umgang pflegt", wie die Architekten.

Stimmt.

Andererseits hängt beziehungsmäßig alles irgendwie zusammen und blockiert die Urteilskraft.

Die Formen extremer Kameraderie zwischen der Kritik und gerade den jüngeren Architekten halte ich für sehr schädlich. Worauf beziehen sich denn die Kritiken eines Dietmar Steiner oder eines Otto Kapfinger in der "Presse"? Da wird dann das Teegeschäft von Luigi Blau in den Himmel gelobt, oder irgendein kleines Beisel, ein Café der ein Laden. Was daneben alles passiert, wird nie frontal angegangen. Eine Ada Luise Huxtable hätte, wenn sie nicht in New York, sondern in Wien arbeiten würde, sicher andere Wertigkeiten gesetzt und den einen oder anderen der "Groß-Architekten" so lächerlich gemacht, daß sie weg wären von der Szene. Aber sicher gibt es gerade in der "Presse" dauernd Rücksichten auf die Wirtschaft und auf die Verbände usw. Eine Folge von dem Ganzen ist auch, daß die Generation um 40, die eigentlich jetzt die Entwicklung bestimmen sollte, bisher kaum etwas Größeres baut. Der über Lokale erworbene Ruf genügt ihr offenbar.

Andererseits wird die Architekturkritik aber ziemlich alleingelassen, wenn es um die Analyse komplexer Zustände gehen soll.

Mir ist es trotzdem schleierhaft, daß sich alle nur über Hainburg aufregen, nicht jedoch über die Tauernautohahn, bei der die Techniker einen der schönsten Bereiche der Alpen auf brutalste Weise verwüstet haben. In Zederhaus z. B., eine ursprünglich noch völlig intakte lyrische Ortschaft, führt die Autobahn direkt über die Dächer und alles ist hin. Und mit der Wildbachverhauung ist es genauso. Die Nazis haben sich mit Alwin Seifert einen fähigen Reichsbeauftragten für die Gestaltung der Autobahnen geleistet, dessen Trassierung zwischen München und Salzburg sich jeder einmal zum Vergleich anschauen sollte. Unter Roosevelt hat es das auch gegeben, z. B. beim "Merrit-Parkway" von Connecticut nach New York, dessen Fahrbahnen auseinander- und wieder zusammenführen, mit Landschaftsinseln dazwischn, so daß die Straße nicht als Zerstörer der Landschaft auftritt. Daß es bei den jetzt hier diskutierten "Umweltschutzbeauftragten"nicht nur um Schutz, sondern genauso um Gestaltung gehen müßte, hat offensichtlich noch wenig Resonanz gefunden, nicht einmal bei den neuen politischen Gruppierungen.

 

Wilhelm Holzbauer
geb. 1930 in Salzburg. Architekt. Professor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien; wichtige Bauten der letzten Zeit: Stationen der Wiener U-Bahn (1971-1982) und der Schnellbahn in Vancouver (1981-1986) - mit Marschalek/Ladstätter/Gantar -. Haus Stifter, Ottensheim bei Linz (1978). Wohnanlage der Gemeinde Wien "Wohnen Morgen", Wien 15 (1979). Haus Dichand, Wien 19 (1981) Vorarlberger Landhaus, Bregenz (1981), Wohnbebauung Berlin-Kreuzberg (1985), Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg (1982 - 1986), Rathaus und Oper Amsterdam (1979-1986).
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© Christian Reder 1985/2001