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Langsame Aufnahme von Signalen
Eduard März im Gespräch mit Christian Reder

Falter, Wien, Nr. 29/1987

Am Donnerstag, den 9. Juli, verstarb der Ökonom und Wirtschaftswissenschaftler Eduard März. Noch Ende Juni hat Christian Reder ein Gespräch mit ihm geführt: Über die Macht der Banken und die Verstaatlichte Industrie. März sah keinen Lichtstreif am Horizont; dennoch wollte er sich den Glauben an eine kommende ,emanzipatorisch-liberale Ära' nicht nehmen lassen.

 

 

Mit Ihnen, als markantem Verfechter und Theoretiker von Verstaatlichungskonzeptionen gerade jetzt über dieses Thema zu diskutieren, hat angesichts der verkündeten Privatisierungspolitik doch etwas sehr Antizyklisches an sich. Glauben Sie noch an eine Wiederbelebung, an eine Transformierung solcher Prograrnme - nach all den gemachten Erfahrungen?

Wir folgen in Österreich in dieser Frage einfach einem internationalen Trend. In den wichtigsten Ländern der westlichen Welt sind konservative bis reaktionäre Regierungen am Ruder und die haben eine mächtige Privatisierungskampagne eingeleitet, die nun mit einiger Verzögerung auch bei uns wirksam wird. Mit der Austro-Keynesianischen Politik sind wir ja über viele Jahre nicht schlecht gefahren...

...nur hätte sie nicht in enorme Staatsschulden, sondern in eine Politik niedriger Spar- und Kreditzinsen, mit Umleitung privater Ersparnisse, Investitionsanregung und in eine offensive Arbeitsmarktpolitik münden müssen...

Die gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die wir inzwischen geraten sind, waren auch eine Folge davon, dass ein kleines Land in der lsolierung nicht allzu lange eine expansive Politik betreiben kann. Daher die budgetären Schwierigkeiten, der Sparkurs, die konservativen Tendenzen - mit (Teil-) Privatisierung aus budgetären Gründen.

Verdrängt wird aber doch, daß mit der Formel Privatisierung der Gewinne - Verstaatlichung der Verluste nie operiert werden konnte. Bei Rettungsmanövern ist immer nach dem Staat gerufen worden, sei es beim Zusammenbruch der Creditanstalt 1931, seien es analoge Manöver beim selben Institut oder bei der Länderbank während der letzten Jahre.

Das sehe ich absolut genauso. Wenn sich "die Wirtschalt" in einer Krise befunden hat, war die Scheu nie groß - siehe CA -, staatliche Sanierungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen; als Entprivatisierung sozusagen. Heute wiederum soll es durch Privatisierungserlöse lukrativer Unternehmen, wie etwa der E-Wirtschaft, genau umgekehrt laufen. Mit diesem Trend aber müssen wir vorläufig rechnen. Wir sind hier total in der Defensive und es muß auch zugegeben werden, dass der Staat dringendst Zuschüsse aus dieser Richtung braucht.

Eine Drehscheibe dieser Politik ist der - weitgehend verstaatlichte - Bankenapparat. Er ist doch zur Plattform von Politik schlechthin geworden, nicht nur wegen Personen wie Vranitzky, Androsch, Taus, auch wegen der zugehörigen Berater, Lobbies, Strukturen und wegen der Möglichkeiten, über kumulierte Werbemilliarden der Konzernbetriebe, die in den Medien veröffentlichte Meinung stark zu beeinflussen.

Wir haben da nicht einen Apparat vor uns. Die Länderbank z. B., die. bekanntlich keinen so großen Industriekonzern besitzt wie die CA, ist längst nicht so privatisierungsfreundlich wie diese. Die CA muß z. Z. versuchen, ihren stark gefährdeten Konzern teilweise abzustoßen und dafür kommen natürlich vor allem ausländische Käufer in Frage, da nur sie die entsprechende Potenz haben.

Unkontrolliertes Agieren der Banken

Jetzt wird der Auslandsanteil unserer Wirtschaft auf ein Drittel geschätzt?

Ja, und wir können uns langsam ausrechnen, an welchem Tag es die Hälfte und mehr als die Hälfte sein wird. Schon aus diesem Grund müßten wir versuchen, die Position der Verstaatlichten Industrie zu halten, da ansonsten unsere Industrie- und sogar die Wirtschaftspolitik immer mehr ferngesteuert werden wird. Die Creditanstalt, die auch nach ihrer Verstaatlichung immer als privatwirtschaftliches Unternehmen geführt worden ist, wirft natürlich diese Fragen nicht auf. Sie ist darauf bedacht, möglichst rasch schwarze Ziffern zu schreiben und betrachtet Verkäufe ausschließlich von diesem Standpunkt. Hier müßte eigentlich der Staat eingreifen. Ich glaube nicht, daß es Sache des CA-Vorstandes ist, Politik zu machen. Das sollte der Regierung vorbehalten bleiben.

Bei der Finanzierung des Donaukraftwerkes Nagymaros haben unsere verstaatlichten Banken doch auch handfeste Politik gemacht, Außenpolitik, die fast schon wie ein kolonialistischer Versuch aussieht.

Den Ausdruck Kolonialisierung würde ich in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen. Es lag ja ganz auf der offiziellen ungarischen Linie, mit Auslandshilfe dort ein Kraftwerk zu errichten. Aber daß die sozialistischen Länder eine bisher wenig umweltfreundliche Politik betrieben haben, das ist wohl unübersehbar.

Dennoch halte ich eine strukturelle Machtverlagerung von der Politik hin zur Politik, die in Banken stattfindet, für signifikant. Das war in Österreich doch während der 60er und 70er Jahre lange nicht so ausgeprägt.

Ich glaube, an den Machtverhältnissen hat sich de facto, wenig geändert. Die Privatisierungsfrage stellt sich eben erst jetzt, aus den erwähnten Gründen. Hier hätte meiner Ansicht nach von der Regierung ein klares Konzept ausgearbeitet werden müssen: Wie weit können wir verkaufen, wieviel davon ans Ausland? Ist es gerechtfertigt, diese Banken mit öffentlichen Mitteln zu sanieren? Die Milliardenhilfe für die CA ist ja nichteinmal mit der Auflage verbunden gewesen, wichtige Teile des CA-Konzerns für den öffentlichen oder für den privaten Bereich des Landes zu erhalten. Es sind keine klaren Direktiven gegeben worden, trotz der enormen Summen. Es ist ein Freiraum offen geblieben, in dem die Banken ziemlich unkontrolliert agieren konnten.

Außenseiter hatten in diesem Spiel kaum eine Chance, wie Salcher, der doch permanent aufs Glatteis geführt worden ist. Lacina wiederum muß sich ja jetzt auch irgendwie arrangieren.

Nein, Sie übersehen, daß Lacina unter einem außerordentlichen Zwang steht, das Budgetdefizit zu beschränken. Der Zinsen- und Tilgungsdienst beträgt ungefähr ein Fünftel des Budgets und diese Quote erhöht sich in alarmierender Weise. Diese Zwangslage ist zweifellos auch eine persönliche Tragik für ihn, wo er doch dem linken SP-Flügel zuzurechnen ist. Aber auch ich bin skeptisch und sehe nicht den berühmten Silberstreifen am Horizont. Die amerikanische Wirtschaftspolitik unter Reagan war eine so fahrlässig falsche, daß wir wahrscheinlich in den nächsten Jahren mit noch größeren Schwierigkeiten zu rechnen haben.

Einen wesentlichen Beitrag könnte doch eine Neuauftage des Versuchs, die Ertragszinsen zu besteuern, liefern. Schwarzgeld würde dann, wie selbst in der Schweiz, steuerlich nicht mehr ganz verschont bleiben. Das wird sogar in parteipolitisch nicht blockierten Wirtschaftskreisen vielfach befürwortet.

Es ist die ernste Intention der jetzigen Regierung, im Rahmen einer allgemeinen Steuerreform auch die Zinserträge zu besteuern. Meiner Ansicht nach ist das eine unbedingte Erfordernis für die Sanierung des Budgets und auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit eine überfällige Maßnahme. Wenn von der ÖVP wiederum Widerstand käme, so glaube ich, daß das eine ernste Koalitionskrise zur Folge hätte.

Sie haben bisher primär den drohenden Auslandseinfluß in der Wirtschaft als Verstaatlichungsargument genannt. Wie stehen Sie heute zu gescheiterten Hoffnungen, die mit dieser Politik verbunden waren - Verstaatlichung als Bastion gesellschaftlicher Veränderung, als Chance für eine Humanisierung der Arbeitswelt ... ?

Ich glaube schon, daß von der Verstaatlichten Industrie Impulse in diese Richtung gegangen sind, starke Gewerkschaften, starke Mitbestimmung, innerbetriebliche Sozialpolitik. Im Bereich Umweltpolitik waren sie leider viel geringer. Das ist weitgehend versäumt worden. Die eigentliche - utopische - Hoffnung aber, daß Verstaatlichung eine strukturelle Veränderung unserer gesellschaftlichen Situation bewirken würde, die hat sich als schwerer Irrtum herausgestellt. Wir, die daran geglaubt haben, hatten übersehen, daß nicht die wirklichen Schlüsselindustrien, sondern bloß Grundstoff- und einige Investitionsgüterbereiche erfaßt waren. Das hat eben nur in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg eine gewisse Dynamik bringen können. Schon zu Beginn der 60er Jahre haben sich sehr deutliche Schwierigkeiten abgezeichnet. Entscheidende Veränderungen konnten von dort aus also nicht mehr erwartet werden.

Schwere Irrtümer der verstaatlichten Unternehmen

Man braucht sich jedoch gar nicht in eine konservativ-bürgerliche Argumentation einzureihen, um in Milliardensubventionen für strukturell kaum mehr rettbare Betriebsbereiche zugleich eine gefährliche Blockade jeder Dynamik zur Schaffung zukunftsreicher Arbeitsplätze zu sehen. Die Unfähigkeit zu rechtzeitiger Strukturpolitik als "schwarzes Loch", das von anderswo Finanzmittel in sich hineinsaugt. Auch der exilierte S-Theoretiker Egon Matzner hat, unlängst "die desolaten Verhältnisse in der staatlichen und halbstaatlichen Wirtschaft", die "in erster Linie die SPÖ zu verantworten" habe, als wesentliches Krisenkriterium genannt (Presse, 27./28. Juni).

Hier sind sicher sehr große Versäumnisse geschehen. In die Forschung ist zuwenig investiert worden. Die Notwendigkeit, die Betriebe neu zu strukturieren, wurde nicht zur Genüge erkannt.

Aber auch die betriebliche "Verfügungsgewalt" des Managements und die Personalpolitik haben sich von florierenden Unternehmen oft stark unterschieden. A priori könnte es doch bei geeigneten Organisationsformen sekundär sein, ob der Staat, anonyme Aktionäre oder Privatpersonen Eigentümer sind, wenn es um den Wettbewerb des "besser Wirtschaften" geht. ÖMV oder AUA gehen gut, Steyr bis hin zu Augarten-Porzellan machen Bombenverluste. Und die Kritiker haben als einfache Antwort: Der Staat ist eben kein guter Kapitalist. Sind es die politischen und administrativen Verfilzungen, die hier eine Chancengleichheit untergraben?

Man sollte in dieser Hinsicht nicht übertreiben. Wir haben außerordentlich erfolgreiche verstaatlichte Unternehmen gehabt und haben sie auch heute noch. Manche sind eben in Schwierigkeiten, genauso wie in der Privatwirtschaft. Daß es schwere Fehler gegeben hat, läßt sich nicht bestreiten. Einer davon war sicher, daß wir sehr langsam waren in der Aufnahme von auswärtigen Signalen. Außerdem ist die Subventionsnotwendigkeit primär eine Frage der 80er Jahre, vorher hat es sie kaum gegeben. Auch das wird in den Medien oft falsch dargestellt.

Andererseits dazu eine persönliche Erfahrung: 1972/73 hätte ich im Rahmen einer Beratergruppe die Elin reorganisieren sollen, im Auftrag des damaligen ÖIAG-Chefs Geist, weil in der Holding schon geahnt worden ist, daß da einiges schief läuft. Die Verstaatlichten-Zentrale hat schließlich nicht einmal eine Organisationsuntersuchung durchsetzen können und das Projekt wurde gar nicht begonnen. Jahre später war dann das bekannte finanzielle Debakel da und Elin-Chefs sind wegen Korruption inhaftiert worden. Parallel ist oben dauernd umorganisiert und umbesetzt worden, während unten ständig sichtbar wurde, wie schwerfällig solche Apparate funktionierten. Lapidar gesagt, Multis wie Siemens können sich das nicht leisten.

Sicher nicht. Sie haben offenbar die Situation so dargestellt, wie sie wirklich ist oder war. Nur ist die ÖIAG heute mit bedeutend größeren Rechten ausgestattet. Über Personalbesetzungen allein hat man sicher die Politik dieser Unternehmen nicht genügend beeinflussen können.

Angesichts der drastischen Politik-, Struktur- und Finanzfragen gibt es vermehrt skeptische Stimmen, die ein Absinken Österreichs unter den Entwicklungsstand der Industrieländer befürchten. Es fällt der Begriff "Schwellenland", wie Algerien oder Jugoslawien, als mögliche Zukunft.

Demokratisierung der Gewerkschaftsstrukturen

Da bin ich völlig anderer Meinung. Eine solche Gefahr besteht aus heutiger Sicht keineswegs. Ich brauche nur auf die bedeutenden Exporterfolge: im EG-Raum verweisen, gegen schärfste Konkurrenz. Auch für die Verstaatlichte Industrie sind entscheidende Maßnahmen zur Restrukturierung gesetzt worden. Vor diesem berühmten österreichischen Defätismus würde ich also eindringlichst warnen, Für ihn gibt es wirklich keinen ausreichenden Grund.

Sehen Sie im industrieskeptischen Rot-Grün-Kurs, mit Abkoppelung von der Atomwirtschaft, wie er sich in der BRD zu formieren sucht, zumindest partiell eine diskutable Richtung für die Ausgestaltung einer anderen Art von Informations- und Dienstleistungsgesellschaft? Oder sind das für Sie bloß neue Träume, die so wie Ihre ursprünglichen zu Ent-Täuschungen führen werden?

Daß wir in Österreich außerordentlich konservativ vorgegangen sind und die nukleare Technik nicht übernommen haben, kann nicht eine allgemeine Abkoppelung von anderen großen Modernisierungsströmungen unserer Zeit bedeuten, sei es die Elektronik, die Gentechnik oder irgendeine kleinere industriepolitische Nische. Da müssen wir noch viel aktiver werden.

Donaivitz, VÖEST waren auch kulturell sehr prägende Vorbilder; der Mythos Schwerindustrie. Produktions- und Organisationsformen werden kleinteiliger. Die Bilder ändern sich. Ein nicht der Linkslastigkeit verdächtiger Clemens August Andreas zitiert dauernd das Gerätewerk Matrei als Modell für Mitbeteiligung und Mitbestimmung. Der Falter-Verlag hat seinerseits Jahre solcher Modellversuche hinter sich, Gegenüber Institutionen, Konzernen, Gewerkschaften hat sich beträchtliches Mißtrauen aufgebaut. Der angebliche neue Trend zu Selbständigkeit und anderen Wertvorstellungen jedoch nimmt teilweise sehr eigenwillige, zynische Form n an...

Den Liberalismus hat man oft als die Ära des selbständigen Individuums bezeichnet. Ich glaube aber, daß die wahre liberal-emanzipatorische Ära erst vor uns liegt, durchaus im Sinn der angesprochenen Selbständigkeit, bei der man immer weniger andere für sich denken lassen will. Das wird sich natürlich in einer Umgestaltung unserer wichtigsten Institutionen auswirken. Die großen Gewerkschaften werden weitgehend ihre heutige Struktur ändern müssen, sie demokratisieren müssen. Das Ausbildungssystem muß mit dem sich verschärfenden Tempo der industriellen Entwicklung Schritt halten. Unsere demokratischen Institutionen müßten sich in ganz neuer Weise entfalten. Ein erster Schritt dazu wäre, das hoffnungslos obsolete Listenwahlrecht durch ein Persönlichkeitswahlrecht zu ersetzen. Aber damit schneiden wir eine Fülle von Fragen an, auf die man systematischer eingehen müßte, vielleicht einmal in einem anderen Gespräch.

 

Eduard März
geb. 1908 in Lemberg, Nationalökonom, Wirtschaftshistoriker, Autor, Honorarprofessor,. Profilierter Vertreter der österreichischen Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit, bis 1953 im amerikanischen Exil. Bücher über Karl Marx`Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Österreichs Wirtschaft zwischen Ost und West, zuletzt über Joseph Schumpeter (1983) und eines dreibändigen Werkes über Österreichs Bankengeschichte (ab 1981). Am 9. Juli 1987 erlag er in Wien einem Herzinfarkt.
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© Christian Reder 1987/2001