Mit Ihnen, als markantem Verfechter und Theoretiker von
Verstaatlichungskonzeptionen gerade jetzt über dieses Thema
zu diskutieren, hat angesichts der verkündeten Privatisierungspolitik
doch etwas sehr Antizyklisches an sich. Glauben Sie noch
an eine Wiederbelebung, an eine Transformierung solcher
Prograrnme - nach all den gemachten Erfahrungen?
Wir folgen in Österreich in dieser Frage einfach einem internationalen
Trend. In den wichtigsten Ländern der westlichen Welt sind
konservative bis reaktionäre Regierungen am Ruder und die
haben eine mächtige Privatisierungskampagne eingeleitet, die
nun mit einiger Verzögerung auch bei uns wirksam wird. Mit
der Austro-Keynesianischen Politik sind wir ja über viele
Jahre nicht schlecht gefahren...
...nur hätte sie nicht in enorme Staatsschulden, sondern
in eine Politik niedriger Spar- und Kreditzinsen, mit Umleitung
privater Ersparnisse, Investitionsanregung und in eine offensive
Arbeitsmarktpolitik münden müssen...
Die gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die
wir inzwischen geraten sind, waren auch eine Folge davon,
dass ein kleines Land in der lsolierung nicht allzu lange
eine expansive Politik betreiben kann. Daher die budgetären
Schwierigkeiten, der Sparkurs, die konservativen Tendenzen
- mit (Teil-) Privatisierung aus budgetären Gründen.
Verdrängt wird aber doch, daß mit der Formel Privatisierung
der Gewinne - Verstaatlichung der Verluste nie operiert
werden konnte. Bei Rettungsmanövern ist immer nach dem Staat
gerufen worden, sei es beim Zusammenbruch der Creditanstalt
1931, seien es analoge Manöver beim selben Institut oder
bei der Länderbank während der letzten Jahre.
Das sehe ich absolut genauso. Wenn sich "die Wirtschalt"
in einer Krise befunden hat, war die Scheu nie groß - siehe
CA -, staatliche Sanierungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen;
als Entprivatisierung sozusagen. Heute wiederum soll es durch
Privatisierungserlöse lukrativer Unternehmen, wie etwa der
E-Wirtschaft, genau umgekehrt laufen. Mit diesem Trend aber
müssen wir vorläufig rechnen. Wir sind hier total in der Defensive
und es muß auch zugegeben werden, dass der Staat dringendst
Zuschüsse aus dieser Richtung braucht.
Eine Drehscheibe dieser Politik ist der - weitgehend verstaatlichte
- Bankenapparat. Er ist doch zur Plattform von Politik schlechthin
geworden, nicht nur wegen Personen wie Vranitzky, Androsch,
Taus, auch wegen der zugehörigen Berater, Lobbies, Strukturen
und wegen der Möglichkeiten, über kumulierte Werbemilliarden
der Konzernbetriebe, die in den Medien veröffentlichte Meinung
stark zu beeinflussen.
Wir haben da nicht einen Apparat vor uns. Die Länderbank
z. B., die. bekanntlich keinen so großen Industriekonzern
besitzt wie die CA, ist längst nicht so privatisierungsfreundlich
wie diese. Die CA muß z. Z. versuchen, ihren stark gefährdeten
Konzern teilweise abzustoßen und dafür kommen natürlich vor
allem ausländische Käufer in Frage, da nur sie die entsprechende
Potenz haben.
Unkontrolliertes Agieren der Banken
Jetzt wird der Auslandsanteil unserer Wirtschaft auf ein
Drittel geschätzt?
Ja, und wir können uns langsam ausrechnen, an welchem Tag
es die Hälfte und mehr als die Hälfte sein wird. Schon aus
diesem Grund müßten wir versuchen, die Position der Verstaatlichten
Industrie zu halten, da ansonsten unsere Industrie- und sogar
die Wirtschaftspolitik immer mehr ferngesteuert werden wird.
Die Creditanstalt, die auch nach ihrer Verstaatlichung immer
als privatwirtschaftliches Unternehmen geführt worden ist,
wirft natürlich diese Fragen nicht auf. Sie ist darauf bedacht,
möglichst rasch schwarze Ziffern zu schreiben und betrachtet
Verkäufe ausschließlich von diesem Standpunkt. Hier müßte
eigentlich der Staat eingreifen. Ich glaube nicht, daß es
Sache des CA-Vorstandes ist, Politik zu machen. Das sollte
der Regierung vorbehalten bleiben.
Bei der Finanzierung des Donaukraftwerkes Nagymaros haben
unsere verstaatlichten Banken doch auch handfeste Politik
gemacht, Außenpolitik, die fast schon wie ein kolonialistischer
Versuch aussieht.
Den Ausdruck Kolonialisierung würde ich in diesem Zusammenhang
nicht gebrauchen. Es lag ja ganz auf der offiziellen ungarischen
Linie, mit Auslandshilfe dort ein Kraftwerk zu errichten.
Aber daß die sozialistischen Länder eine bisher wenig umweltfreundliche
Politik betrieben haben, das ist wohl unübersehbar.
Dennoch halte ich eine strukturelle Machtverlagerung von
der Politik hin zur Politik, die in Banken stattfindet,
für signifikant. Das war in Österreich doch während der
60er und 70er Jahre lange nicht so ausgeprägt.
Ich glaube, an den Machtverhältnissen hat sich de facto,
wenig geändert. Die Privatisierungsfrage stellt sich eben
erst jetzt, aus den erwähnten Gründen. Hier hätte meiner Ansicht
nach von der Regierung ein klares Konzept ausgearbeitet werden
müssen: Wie weit können wir verkaufen, wieviel davon ans Ausland?
Ist es gerechtfertigt, diese Banken mit öffentlichen Mitteln
zu sanieren? Die Milliardenhilfe für die CA ist ja nichteinmal
mit der Auflage verbunden gewesen, wichtige Teile des CA-Konzerns
für den öffentlichen oder für den privaten Bereich des Landes
zu erhalten. Es sind keine klaren Direktiven gegeben worden,
trotz der enormen Summen. Es ist ein Freiraum offen geblieben,
in dem die Banken ziemlich unkontrolliert agieren konnten.
Außenseiter hatten in diesem Spiel kaum eine Chance, wie
Salcher, der doch permanent aufs Glatteis geführt worden
ist. Lacina wiederum muß sich ja jetzt auch irgendwie arrangieren.
Nein, Sie übersehen, daß Lacina unter einem außerordentlichen
Zwang steht, das Budgetdefizit zu beschränken. Der Zinsen-
und Tilgungsdienst beträgt ungefähr ein Fünftel des Budgets
und diese Quote erhöht sich in alarmierender Weise. Diese
Zwangslage ist zweifellos auch eine persönliche Tragik für
ihn, wo er doch dem linken SP-Flügel zuzurechnen ist. Aber
auch ich bin skeptisch und sehe nicht den berühmten Silberstreifen
am Horizont. Die amerikanische Wirtschaftspolitik unter Reagan
war eine so fahrlässig falsche, daß wir wahrscheinlich in
den nächsten Jahren mit noch größeren Schwierigkeiten zu rechnen
haben.
Einen wesentlichen Beitrag könnte doch eine Neuauftage
des Versuchs, die Ertragszinsen zu besteuern, liefern. Schwarzgeld
würde dann, wie selbst in der Schweiz, steuerlich nicht
mehr ganz verschont bleiben. Das wird sogar in parteipolitisch
nicht blockierten Wirtschaftskreisen vielfach befürwortet.
Es ist die ernste Intention der jetzigen Regierung, im Rahmen
einer allgemeinen Steuerreform auch die Zinserträge zu besteuern.
Meiner Ansicht nach ist das eine unbedingte Erfordernis für
die Sanierung des Budgets und auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit
eine überfällige Maßnahme. Wenn von der ÖVP wiederum Widerstand
käme, so glaube ich, daß das eine ernste Koalitionskrise zur
Folge hätte.
Sie haben bisher primär den drohenden Auslandseinfluß in
der Wirtschaft als Verstaatlichungsargument genannt. Wie
stehen Sie heute zu gescheiterten Hoffnungen, die mit dieser
Politik verbunden waren - Verstaatlichung als Bastion gesellschaftlicher
Veränderung, als Chance für eine Humanisierung der Arbeitswelt
... ?
Ich glaube schon, daß von der Verstaatlichten Industrie
Impulse in diese Richtung gegangen sind, starke Gewerkschaften,
starke Mitbestimmung, innerbetriebliche Sozialpolitik. Im
Bereich Umweltpolitik waren sie leider viel geringer. Das
ist weitgehend versäumt worden. Die eigentliche - utopische
- Hoffnung aber, daß Verstaatlichung eine strukturelle Veränderung
unserer gesellschaftlichen Situation bewirken würde, die hat
sich als schwerer Irrtum herausgestellt. Wir, die daran geglaubt
haben, hatten übersehen, daß nicht die wirklichen Schlüsselindustrien,
sondern bloß Grundstoff- und einige Investitionsgüterbereiche
erfaßt waren. Das hat eben nur in den ersten beiden Jahrzehnten
nach dem Krieg eine gewisse Dynamik bringen können. Schon
zu Beginn der 60er Jahre haben sich sehr deutliche Schwierigkeiten
abgezeichnet. Entscheidende Veränderungen konnten von dort
aus also nicht mehr erwartet werden.
Schwere Irrtümer der verstaatlichten Unternehmen
Man braucht sich jedoch gar nicht in eine konservativ-bürgerliche
Argumentation einzureihen, um in Milliardensubventionen
für strukturell kaum mehr rettbare Betriebsbereiche zugleich
eine gefährliche Blockade jeder Dynamik zur Schaffung zukunftsreicher
Arbeitsplätze zu sehen. Die Unfähigkeit zu rechtzeitiger
Strukturpolitik als "schwarzes Loch", das von anderswo Finanzmittel
in sich hineinsaugt. Auch der exilierte S-Theoretiker Egon
Matzner hat, unlängst "die desolaten Verhältnisse in der
staatlichen und halbstaatlichen Wirtschaft", die "in erster
Linie die SPÖ zu verantworten" habe, als wesentliches Krisenkriterium
genannt (Presse, 27./28. Juni).
Hier sind sicher sehr große Versäumnisse geschehen. In die
Forschung ist zuwenig investiert worden. Die Notwendigkeit,
die Betriebe neu zu strukturieren, wurde nicht zur Genüge
erkannt.
Aber auch die betriebliche "Verfügungsgewalt" des Managements
und die Personalpolitik haben sich von florierenden Unternehmen
oft stark unterschieden. A priori könnte es doch bei geeigneten
Organisationsformen sekundär sein, ob der Staat, anonyme
Aktionäre oder Privatpersonen Eigentümer sind, wenn es um
den Wettbewerb des "besser Wirtschaften" geht. ÖMV oder
AUA gehen gut, Steyr bis hin zu Augarten-Porzellan machen
Bombenverluste. Und die Kritiker haben als einfache Antwort:
Der Staat ist eben kein guter Kapitalist. Sind es die politischen
und administrativen Verfilzungen, die hier eine Chancengleichheit
untergraben?
Man sollte in dieser Hinsicht nicht übertreiben. Wir haben
außerordentlich erfolgreiche verstaatlichte Unternehmen gehabt
und haben sie auch heute noch. Manche sind eben in Schwierigkeiten,
genauso wie in der Privatwirtschaft. Daß es schwere Fehler
gegeben hat, läßt sich nicht bestreiten. Einer davon war sicher,
daß wir sehr langsam waren in der Aufnahme von auswärtigen
Signalen. Außerdem ist die Subventionsnotwendigkeit primär
eine Frage der 80er Jahre, vorher hat es sie kaum gegeben.
Auch das wird in den Medien oft falsch dargestellt.
Andererseits dazu eine persönliche Erfahrung: 1972/73 hätte
ich im Rahmen einer Beratergruppe die Elin reorganisieren
sollen, im Auftrag des damaligen ÖIAG-Chefs Geist, weil
in der Holding schon geahnt worden ist, daß da einiges schief
läuft. Die Verstaatlichten-Zentrale hat schließlich nicht
einmal eine Organisationsuntersuchung durchsetzen können
und das Projekt wurde gar nicht begonnen. Jahre später war
dann das bekannte finanzielle Debakel da und Elin-Chefs
sind wegen Korruption inhaftiert worden. Parallel ist oben
dauernd umorganisiert und umbesetzt worden, während unten
ständig sichtbar wurde, wie schwerfällig solche Apparate
funktionierten. Lapidar gesagt, Multis wie Siemens können
sich das nicht leisten.
Sicher nicht. Sie haben offenbar die Situation so dargestellt,
wie sie wirklich ist oder war. Nur ist die ÖIAG heute mit
bedeutend größeren Rechten ausgestattet. Über Personalbesetzungen
allein hat man sicher die Politik dieser Unternehmen nicht
genügend beeinflussen können.
Angesichts der drastischen Politik-, Struktur- und Finanzfragen
gibt es vermehrt skeptische Stimmen, die ein Absinken Österreichs
unter den Entwicklungsstand der Industrieländer befürchten.
Es fällt der Begriff "Schwellenland", wie Algerien oder
Jugoslawien, als mögliche Zukunft.
Demokratisierung der Gewerkschaftsstrukturen
Da bin ich völlig anderer Meinung. Eine solche Gefahr besteht
aus heutiger Sicht keineswegs. Ich brauche nur auf die bedeutenden
Exporterfolge: im EG-Raum verweisen, gegen schärfste Konkurrenz.
Auch für die Verstaatlichte Industrie sind entscheidende Maßnahmen
zur Restrukturierung gesetzt worden. Vor diesem berühmten
österreichischen Defätismus würde ich also eindringlichst
warnen, Für ihn gibt es wirklich keinen ausreichenden Grund.
Sehen Sie im industrieskeptischen Rot-Grün-Kurs, mit Abkoppelung
von der Atomwirtschaft, wie er sich in der BRD zu formieren
sucht, zumindest partiell eine diskutable Richtung für die
Ausgestaltung einer anderen Art von Informations- und Dienstleistungsgesellschaft?
Oder sind das für Sie bloß neue Träume, die so wie Ihre
ursprünglichen zu Ent-Täuschungen führen werden?
Daß wir in Österreich außerordentlich konservativ vorgegangen
sind und die nukleare Technik nicht übernommen haben, kann
nicht eine allgemeine Abkoppelung von anderen großen Modernisierungsströmungen
unserer Zeit bedeuten, sei es die Elektronik, die Gentechnik
oder irgendeine kleinere industriepolitische Nische. Da müssen
wir noch viel aktiver werden.
Donaivitz, VÖEST waren auch kulturell sehr prägende Vorbilder;
der Mythos Schwerindustrie. Produktions- und Organisationsformen
werden kleinteiliger. Die Bilder ändern sich. Ein nicht
der Linkslastigkeit verdächtiger Clemens August Andreas
zitiert dauernd das Gerätewerk Matrei als Modell für Mitbeteiligung
und Mitbestimmung. Der Falter-Verlag hat seinerseits Jahre
solcher Modellversuche hinter sich, Gegenüber Institutionen,
Konzernen, Gewerkschaften hat sich beträchtliches Mißtrauen
aufgebaut. Der angebliche neue Trend zu Selbständigkeit
und anderen Wertvorstellungen jedoch nimmt teilweise sehr
eigenwillige, zynische Form n an...
Den Liberalismus hat man oft als die Ära des selbständigen
Individuums bezeichnet. Ich glaube aber, daß die wahre liberal-emanzipatorische
Ära erst vor uns liegt, durchaus im Sinn der angesprochenen
Selbständigkeit, bei der man immer weniger andere für sich
denken lassen will. Das wird sich natürlich in einer Umgestaltung
unserer wichtigsten Institutionen auswirken. Die großen Gewerkschaften
werden weitgehend ihre heutige Struktur ändern müssen, sie
demokratisieren müssen. Das Ausbildungssystem muß mit dem
sich verschärfenden Tempo der industriellen Entwicklung Schritt
halten. Unsere demokratischen Institutionen müßten sich in
ganz neuer Weise entfalten. Ein erster Schritt dazu wäre,
das hoffnungslos obsolete Listenwahlrecht durch ein Persönlichkeitswahlrecht
zu ersetzen. Aber damit schneiden wir eine Fülle von Fragen
an, auf die man systematischer eingehen müßte, vielleicht
einmal in einem anderen Gespräch.
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Eduard März
geb. 1908 in Lemberg, Nationalökonom, Wirtschaftshistoriker,
Autor, Honorarprofessor,. Profilierter Vertreter der österreichischen
Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit, bis 1953 im amerikanischen
Exil. Bücher über Karl Marx`Theorie der wirtschaftlichen
Entwicklung, Österreichs Wirtschaft zwischen Ost und West,
zuletzt über Joseph Schumpeter (1983) und eines dreibändigen
Werkes über Österreichs Bankengeschichte (ab 1981). Am
9. Juli 1987 erlag er in Wien einem Herzinfarkt. |
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