Information Aktuelle Projekte Biografie Publikationen Zentrum Transfer Transferprojekte-RD.org





www.ChristianReder.net: Publikationen: Über Mönche und Kollaborateure
LINKS
Kunstforum
   

Über Mönche und Kollaborateure
Möglichkeiten für offene Oppositionsstrategien

Kunstforum, Köln, Bd. 87/1987

Symposion >Kunst in der Wirtschaft.
Theorie und Praxis einer möglichen Beziehung<

Schloss Buchberg am Kamp / NÖ, September 1986

Weitere Beiträge: Roland Goeschl, Richard Kriesche, Jorrit Tornquist, Mario Terzic, Patrick Schierholz, Horst G. Haberl, Peter Baum, Martin Schwarz, Josef Kübler / Eternit, Helmut Haschek u.a.

 

 

Die Zustände, innerhalb derer im Normalfall herumargumentiert werden kann, lassen sich ziemlich plausibel als Unterhaltungsgesellschaft charakterisieren. Es ist das Showbusiness, nach dessen Regeln Resonanz entsteht, Resonanz produziert wird.

Seine Symbole: Das gewisse Lächeln, die Sprechblase, der Bildschirm, der Small-Talk, die Person als Markenartikel.

Wer ausbricht, wer da nicht mehr mit kann, bekommt halt eine neue Rolle verpasst oder man vergisst ihn eben - und das gilt keineswegs bloss auf der Ebene öffentlicher Auftritte.

Als wirklich gilt, was in den Medien stattfindet, was Unterhaltungswert hat. Wirtschaft stellt sich über Werbung dar, genauso Politik; und mit Kunst wird in der gleichen Weise verfahren.

Kritik, angeblich die Basis demokratischer Verhältnisse schlechthin, kann - so wie sie stattfindet - nichts anderes sein als ein Teil solcher Systemzusammenhänge. Fast durchwegs zeigt sie in Form und Inhalt, dass sie zum verfilzten Bestätigungsinstrumentarium für dieses und jenes gehört. Das Grundmuster: Loben - Erwähnen - Auslassen (frei nach den Regeln einer Diplomatenparty). Wenn es manchmal noch Gründlichkeit gibt, dann interessiert eigentlich bloss das >Wer gegen wen<. In der Enge hierzulande nimmt Derartiges oft noch groteskere Züge an als anderswo, in den Funktionsweisen allerdings verwischen sich längst alle Unterschiede. Welche anonymen Kräfte hinter dem Gesellschaftsspiel um Personen wirksam sind - sei es im immer gigantischer werdenden Fernsehgeschäft, sei es bei den Verlags- und Pressekonzernen, sei es im Opern- und Festspielbusiness - kommt kaum zur Sprache, weil der Produktionsprozess des Zur-Sprache-Bringens voll verwoben ist mit seinen Bedingungen und den diversen Verbergungsinteressen.

Wer beobachtet z. B. schon >freimütig< die personelle Verfilzung zwischen Zeitungen, ORF, Verlagen, Festivals und ihre Konsequenzen für das, was sich bisweilen noch kritische Berichterstattung nennt?

Also: Autonomie verliert sich in Geschmeidigkeit und Selbstzensur.

Die USA - unser gross gewordener Bruder - sind bekanntlich von puritanischen Intellektuellen gegründet worden und es gibt die (schon etwas bejahrte) Theorie, dass die dort grassierende Intellektuellenfeindlichkeit historisch schlicht einem Erholungsbedürfnis von den rigiden Ansprüchen der Gründerväter entspricht (Richard Hofstadter: Anti-Intellectualism in American Life, New York 1964). Und Neil Postman, der vor einigen Monaten sogar den Weg nach Wien gefunden hat, gab seinem 1985 erschienenen Buch über die Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie den lapidar-grifigen Titel: >Wir amüsieren uns zu Tode<.

Mit Begriffen wie Informationsgesellschaft und Dienstleistungsgesellschaft, die als imaginäre Hoffnung durch Krisendebatten geistern, sollte daher vorsichtig umgegangen werden. Sie blockieren allzu leicht die Sicht auf hier skizzierte Fragen. Der allein schon durch solche Bezeichnungen in Aussicht gestellte wunderbar freie Zugang zu Informationen müsste ja von grundlegenden macht- und systemtechnischen Konsequenzen begleitet werden, und wenn künftig jeder möglichst reibungslos irgendwelche Dienste leisten soll - in der Dienstleistungsgesellschaft -, so sind damit wohl auch jede Menge Struktur- und Entwicklungsprobleme verbunden.

Was immer noch mitschwingt, ist die Vorstellung, dass jeder einen irgendwie bestimmten Platz einnimmt - in Unternehmen, Institutionen, Verbänden, Parteien (mit längst nicht überwundenen Anklängen an den Ständestaat, an den Korporationenstatt) - und der Rest ist eben Konfliktmanagement, weil sich das wieder so auffällig beschworene >In einem Boot sitzen< und das >Gemeinsinnige< doch nicht ganz wunschgemäss verwirklichen lässt. Die Leugnung von Gegensätzen jedoch schadet immer dem Schwächeren.

Zu solchen, letztlich noch recht primitiven Bildern der Rollenverteilung in einer Gesellschaft gehört es, >die Wirtschaft< als jenen Sektor zu verstehen, der alles bezahlt (Motto: >Wer zahlt befiehlt<), den Staat als Einrichtung, der für ein gewisses Mass man Ordnung und sozialer Sicherheit sorgt - und dann gibt es auch noch die Kunst, zuständig für das Schöne, Erbauliche, zuständig für Zerstreuung, Freizeit, Gesellschaftsspiele. Jedem wird sein Part zugewiesen - dem Spassmacher, dem Unterhalter, dem Kritiker, genauso dem Revoluzzer.

Die Mechanik diffuser Systeme benutzt sogar jeden Widerstand dazu, die eigenen Funktionsweisen zu kräftigen.

Nach verschiedenen herrschenden Lehren ist die Autonomie der Person, die sich in demokratischen Prozessen, nicht also bloss in >entlegenen< schöpferisch-kulturellen Sphären, als Möglichkeit abzeichnen sollte, nichts als blanke Fiktion. Selbst Widerstandshaltungen nützen fast durchwegs , und das ist ein schwer wegzudiskutierendes Paradoxon, dem bekämpften Gegner genauso wie dem eigenen Selbstwertgefühl (Ob ein Pinochet das Attentat auf ihn nicht sogar selbst inszeniert hat, lässt sich, weil die Wirkung kontraproduktiv ist, kaum unterscheiden).

Dennoch: Wie es um die Autonomie der Person, wie es um die Konfliktbereitschaft, wie es um den Umgang mit Randgruppen , wie es um gesellschaftliche Sensibilität, um die Offenheit Neues, anderes, Fremdes, Verletzliches wahrzunehmen bestellt ist, das ist bezeichnend für die kulturelle Situation (also auch für die Behandlung des Themas >Kunst in der Wirtschaft<).

Und dazu gehört unbedingt die Frage, wo und inwieweit Radikalität - auch diesseits ihres Unterhaltungswertes - zugelassen wird. Die Forderung nach radikalem Umdenken kommt zwar selbst schon besorgten Provinzpolitikern sehr häufig über die Lippen, Tatsache bleibt jedoch, dass Radikalität im ökonomisch-politischen Bereich tabuisiert ist, nicht zuletzt, weil die Systeme längst zu anfällig für Gefährdungen sind, ausgeliefert der ihnen eigenen Automatik, fast ohne Chance für Willensakte. Erlaubter Schauplatz für Radikalität bleiben, wiederum unter beträchtlichen Einschränkungen, die Wissenschaft und die Kunst. In lebendiger Form finden Bemühungen um komplexe Deutlichkeit hauptsächlich auf subkulturellem Boden statt, ausserhalb der Institutionen, gleichsam unterhalb der organisierten Welt, wo sich eine Zeitlang immer wieder Freiräume bilden.

Mit >radikal< muss nicht immer die rücksichtslose Wurzelbehandlung gemeint sein, es lässt ich auch schlicht als >vollständig< und >gründlich< übersetzen. Wo allerdings findet Gründlichkeit in unseren Arbeitsprozessen überhaupt noch statt? Im vorigen Jahrhundert hat es unter dem Druck der Industrialisierung noch Streiks gegeben, weil ein handwerklich orientiertes Selbstverständnis von >guter< Arbeit gefährdet gesehen worden ist.

Der Feind von Radikalität ist der Kompromiss, so wie das Relative dem Absoluten feindlich ist.

Die Sprache hilft, wenn sie >anspruchslose< Kunst diskreditiert; sie hilft auch, wenn sie Gelingen mit der Nähe zu Absolutem gleichsetzt, und sein es - angesichts der in sich zerfallenen Welt ringsum - bloss als Fragment, als Zeichen, als Anhaltspunkt. Die Entscheidung darüber, was bestehen kann, gehört eben - trotz aller Automatismen - zu jenem zentalen kulturellen Prozess, über den sich, und sei es noch so kontroversiell, verzögert oder im Verborgenen, Wahrnehmungsfähigkeit und möglicherweise sogar Identität entwickelt. Und darum geht es ja wohl eher als um diverse banal-schöngeistige Zugänge zu Kunst.

Wenn man sich gleichsam archetypische, in einander überlagernder Form überall anztreffende Gegenpositionen vor Augen führt, wird vielleicht das hier angesprochene Spannungsfeld sichtbarer und auch, dass wegen solcher Polaritäten ein glattes Ineinandergreifen unter der Devise Kooperation weder in Bezug auf Kunst noch sonst wo so ohne weiteres interessante Symbiosen ergib:

Die Mönche - Die Kollaborateure (das Titelthema)

Der Mönch, als Metapher für Distanz zu angeblich Realem, als Inbegriff für Reduktion, Negation, gelebte Radikalität. Nahe der Kunst, dem Forschen, dem Nichtstun. Der Anekdote nach hat einer in franziskanischer Zeit schliesslich seine karge Zelle nicht mehr verlassen, um niemandem das geringste Leid zuzufügen, um nicht einmal im Garten unbeabsichtigt eine Ameise zu zertreten. In der Geschichte mönchischer Haltungen spiegeln sich die - hier nicht weiter auszführenden - Möglichkeiten und Unmöglichkeiten wider, inklusive all der Versuche, für Moral Hochburgen zu errichten. Weder die wiederum machtorientierte Konsequenz von Rigidität, noch die Gefahr, sich an zu hohen Ansprüchen zu erwürgen, ersparen es allerdings, analogen gesellschaftlichen Funktionen Gewicht beizuessen; es sei denn, die Akzeptierung des Wohltemperierten würde endgültig allgemein.

Die Asketen Die Geniesser
Die Schwierigen   Die Verwendbaren
Die Revolutionäre   Die Reformisten
Die Konsequenten   Die Beweglichen
Die Visionäre   Die Pragmatiker
Die Radikalen   Die Kompromissbereiten
Die Fundis   Die Realos (nach dem Jargon der Grünen)
Die Grundsatztreuen   Die Verräter
Die Einzelgänger   Die Adabeis
Die Besessenen   Die Kalkulierenden

Die Verhältnisse begünstigen in aller Regel die zweite Gruppe, ohne dass daraus allein ein Gut-Böse-Schema abgeleitet werden könnte.

Die Verräter >ehern< gültiger Grundsätze haben sich bekanntlich oft grösste Verdienste erworben und die Beweglichen sind plötzlich auf etwas gestossen, das sie sonst nie gefunden hätten.

Dennoch ist es signifikant, wie Gesellschaften mit ihren Mönchen, mit den Schwierigen, mit den Konsequenten, mit den Visionären, mit den Einzelgängern, mit Kompromisslosigkeit und Besessenheit umgehen und welche Belohnungen sie für Kollaborateure bereitstellen und welchen Preis diese später möglicherweise selbst für ihre Kollaboration zu zahlen haben. In der >offiziellen<, als Betrieb organisierten Welt hat es ganz den Anschein, als ob jeder Agent bestimmter Interessen sein muss, damit ihm etwas geboten wird; fast jeder ist sozusagen Angestellter derselben riesigen Werbeagentur, bloss zwischen den Abteilungen gibt es manchmal Reibereien.

An Metaphern für diese Gefährdung herrscht kein Mangel: >Seine Seele verkaufen<, >Das Gesicht verlieren<, >Mit dem Teufel im Bund sein<.

Und der Teufel, so ein weiterer dieser einfachen Lehrsätze, steckt im Detail. Sich aus blosser Berührungsangst nicht mit ihm einzulassen, bietet daher offenbar wenig Schutz. Die Überraschung steht eher auf seiner Seite.

Auf restlos anonyme Prozesse nimmt die Empfehlung Bezug, im Zweifel mit der Bank zu spielen, was als Analogie heisst, dass in der Nähe von Macht und Geld entgegen aller Askese-Predigten die Chance auf Glück grösser sei, als wenn man sich gegen sie stellt.

Wie sich Maximalansprüche, die keinerlei solche Einschränkungen akzeptieren, artikuliert haben, wird im italienischen Anarchisten-Spruch deutlich: >Vogliamo tutto - e subito!< (>Wir wollen alles, und zwar sofort!<). Wenn man sich das >sofort< als ungeduldige Bizarrheit wegdenkt, steckt in diesem >alles< jene die markantesten Phasen der Moderne charakterisierende Radikalität, in der es um Identität von Kunst und Leben gegangen ist, um Prozesse eben, die sich der Verwendbarkeit entziehen, die für sich existieren, ohne dass man deswegen etwas verkaufen müsste.

Selbst wenn die Distanz zu derartigen Ansprüchen inzwischen oft recht gross geworden ist und sie nur für Momente erreichbar scheinen, eröffnet erst ein Empfinden, wie notwendig sie sind, den Zugang zu Kunst, den Zugang zu dem, was Sein könnte. Max Horkheimer hat in diesem Zusammenhang von der >Sehnsucht nach dem ganz Anderen< gesprochen.

Eine Callas hat man Assolutissima genannt, fast in frevelhafte Übersteigerung des Absoluten, des gleichen >alles<, von dem soeben die Rede war. Und das Totale an Konzentration und Fähigkeit ist es, auch in vielen anderen aufspürbaren Fällen, das eine Potenzierung von Kräften erlebbar macht, so wie sie in der Normalität des Lebens sonst nicht gelingt.

Nicht vergessen werden darf im Rahmen einer solchen Argumentation, dass gerade Vertreter politischer Totalität - wenn auch sehr eindimensional - sehr oft gewusst haben, welche Möglichkeiten sich da bieten könnten, wie sich derartige Sehnsüchte benutzen lassen. Hitler wollte bekanntlich Maler und Architekt sein, Franco hatte genau dieselben Berufswünsche und Mussolinis Kooperation mit den Futuristen, insbesondere seine lange Freundschaft mit Marinetti, vervollständigt Ähnlichkeiten bei diesem Triumvirat. Stalin wiederum, selbst Produzent vieler Bände linguistischer Studien, hat genauso höchstpersönlich der von ihm erlaubten Kunst seinen Stempel aufgedrückt. Gleichzeitig waren die von ihnen repräsentierten Systeme - wie allgemein bewusster sein sollte - gerade dem Kritikpotential von Kunst in sehr massiver Weise feindlich gesinnt.

Wie sich derartige Auswirkungen von Machtausübung inzwischen transformiert haben, müsste unter ständiger Beobachtung stehen; befreit abhaken lässt sich da nämlich gar nichts. Ein >liberales< Giesskannenprinzip der Kunstförderung jedenfalls ist nur ein höchst unbefriedigendes Mittel, um künstlerische Autonomie und Gegenkräfte zu stärken. Notwendig wären sensibel-engagierte Vis-a-vis, die sich von Interessenlagen lösen können, nur gibt's da offenbar Produktionsengpässe.

Kunst hat sehr viel mit Obsession, mit >vernünftiger< Besessenheit zu tun. Kollaboration, die ungeschriebene Regeln zu deutlich überschreitet, mach sich meistens im Arbeitsergebnis bemerkbar.

Konkreter werdend:
Die Wiener Wirtschaftsuniversität hat sich künstlerisch in Leherbs grossflächigem Kachel-Kitsch symbolisieren lasen, die Technische Universität wiederum im schweizerischen Beton-Uhu am Karlsplatz. Soviel zum Stand akademischen Kunst- und Selbstverständnisses im Bereich Wirtschaft und Technik. Wer traut sich da aus diesen Sektoren noch, der generellen Politik Vorwürfe zu machen, selbst wenn unübersehbar ist, dass es keiner öffentlichen Institution, keiner Partei, keinem ÖGB, keiner Raiffeisenorganisation und fast keinem Wirtschaftsunternehmen hierzulande gelungen ist, wenigstens hin und wieder, z. B. durch Bauten, Zeichen zu setzen, die wirkliche >Anhaltspunkte< sind?

Und unverdrossen (so aus der hier zitierten >Presse< vom 6./7. 9. 86, >Der Manager als Mäzen?<) wird appelliert, dass es an der Zeit sei, >die Kluft zwischen erfolgreichen Wirtschaftstreibenden und Kulturschaffenden zu überbrücken>, weil doch >Kultur< einen >wesentlichen Bestandteil der erfolgreichen Vermarktung Österreichs darstellt<. Selbst >sieben gute Gründe< sollen helfen, bisher Unbelehrbare oder Überbeschäftigte zu bekehren: >Die verbesserte Lebensqualität, Umwegrentabilität, Anstösse zu vermehrter Kreativität, Imagesteigerung, die Erschliessung neuer Marktsegmente, die Versüssung des Betriebsklimas< (alles wörtlich!) >und Impulse für neue Entwicklungen<. Dass unmittelbar unter diesem Bericht eine Anzeige für Thomas Bernhards neuen Roman >Auslöschung< platziert worden ist und der Kommentar oberhalb den Titel >Verdummt das Fernsehen?< trägt, zeigt in einem mehrfachen Sinn, wie sich alles paradox im Kreis dreht.

Nichts gegen vielleicht gutgemeinte Appelle, nichts gegen irgendwelche Initiativen zur Geldbeschaffung, es sollte nur klar sein, dass Derartiges nur an der Oberfläche fortsetzt, was sowieso das Geschehen prägt:
Der Künstler, als Empfänger milder Gaben (ganz im Gegensatz zum Modell einer ausbalancierten Dienstleistungsgesellschaft), der Künstler als Investitionsobjekt und Markenartikel (was noch am ehesten in der allgemeinen Realität eine Entsprechung findet), das Interesse für eine Arbeit, die einem als wichtig eingeredet wird (ganz imGegensatz zum Modell einer auf selbständigem Urteilen aufgebauten Informationsgesellschaft), das Rechnen mit Prestige und Applaus (wie es die Unterhaltungsgesellschaft als erstrebenswert hinstellt).

An die sooft flehentlich angesprochene Wirtschaft gerichtet, selbst wenn es banal klingt:
Wer ist sie, >die Wirtschaft<, die da immer als Adressat genannt wird? Wirtschaftliches Subjekt ist jeder; wer daraus eine Gebermentalität macht, deklariert Macht.

Gaius Maecenas, das sooft genannte Vorbild, war ja gar nicht der selbstlose Gönner späterer Legenden, sondern ein kühl berechnender Machtpolitiker, der mit dem Geld seines Kaisers Augustus Kunst als wichtiges Medium zur Gewinnung öffentlicher Zustimmung eingesetzt hat.

Einen Bach, einen Mozart konnte auf Dauer niemand umbringen, gerade weil deren Radikalität so tragfähig ist, während sogar mächtige Multis irgendwann von Stärkeren oder von einer Krise verschluckt werden. Selbst wenn man den Geldmassstab in diesem Zusammenhang bloss als vages Hilfsmittel sieht, so können sich die werte, die ein Leonardo, ein Palladio, ein Turner, ein Cezanne, ein Brancusi, ein Mondrian, ein Giacometti im Alleingang geschaffen haben, spielend mit jeder Ansammlung von halbwegs beständigem Grosskapital messen. Selbst wenn das Schaffen beständiger Werte verweigert wird, kommen die indirekten Wirkungen signifikanter Kunst mit Unkünstlerischem durchaus mit.

Das Gefälle zwischen wirtschaftlicher und künstlerischer Produktivität, das es angeblich einseitig-gönnerhaft zu überbrücken gilt, entbehrt alo jeder rationalen Grundlage. Niemand ist so produktiv wie der Künstler, dem etwas gelungen ist.

Dass eine starke Wirtschaft der Theorie nah dem kulturellen Leben förderlich sein müsste, ist wohl unbestritten; nur muss die insistierende Frage erlaubt bleiben, warum gerade die reichste und informierteste Gesellschaft, die es je gegeben hat, so stereotyp verständnislos mit ihren kulturellen Möglichkeiten umgeht.

Dazu zu guter Letzt einige - wie ich meine - konstruktive Thesen:

>Kunst in der Wirtschaft< ist, wenn tatsächlich etwas weitergehen soll, keineswegs eine blosse Marketing- und Benutzungsfrage; ein routiniertes Inhalieren, ein Auflösen von Polaritäten macht sogar mehr kaputt als es aufbaut.

Sofern der Zugang zu Kunst nicht aus visionär-rationaler Einsicht erfolgt, ist es oft schwer begründbare Besessenheit, die einem in dieses Feld >des Anderen< hineinkippen lässt; sei es als Sammler, als Bauherr, als Auftraggeber, sei es durch Beobachten, Zuhören, Lesen.

Es ist also eine - im wörtlichen Sinn - Ergriffenheit, Berührtheit notwendig, damit die Wahrnehmungsbereitschaft herausgefordert wird; dafür Situationen zu schaffen ist wichtiger, als irgendjemandem irgendetwas vorzusetzen, weil plötzlich >Kultur< angesagt ist. Mit dem Anageln von Bildern, mit dem Aufstellen von Skulpturen, mit Wettbewerben für die so beliebten Brunnen ist nichts in dieser Richtung getan.

In Gesellschaften, die ihr Selbstverständnis daraus beziehen, dass sich in ihnen so ziemlich alles kaufen lässt, könnte gerade das Nicht-Käufliche, die (räumliche) Situation, das Ereignis, der respektvolle Umgang mit Kunst, das nicht beliebig Verwendbare markante Gegenpositionen markieren; das tut es zwar normalrweise von selbst, allerdings unter dem ständigen Druck, in Kollaborationsmechanismen hineingezogen zu werden.

Es könnte also ohne weiteres da und dort sinnvoll sein, Kunst eine Zeitlang in Ruhe zu lassen (vor allem angesichts des oft hysterisch-betriebsamen Booms auf dem Ausstellungs- und Museumssektor), wenn auch unter Existenzbedingungen, die Autonomie ohne Gegengeschäfte möglich machen. Selbst in modernen Museen macht sich tödliche Uniformiertheit breit, einmal hängt der Frank Stell rechts, in der nächsten Stadt links vom Eingang.

Überall ist von Öffnung die Rede (wogegen, wenn auch die Bedingungen umfassend bedacht werden, nichts Grundsätzliches einzuwenden ist), nur müsste gerade deswegen auch das Hermetische, einer Innenwelt zugewandte, das vielfach stille Kristallisationsmöglichkeit für langsam weiterwirkende Kräfte ist, in seiner abweisenden Haltung akzeptiert werden, selbst wenn Anspruch und Realität nicht in der behaupteten, erhofften Konsequenz übereinstimmen. Seine Verhöhnung heisst nämlich nichts anderes, als eine schon sehr weit gediehene Bereitschaft, selbst die Fiktion des Mönchs, die Vorstellung von konsequenter Strenge, als kulturelle Möglichkeit aufzugeben.

Wenn Kunst als Annäherung an Absolutes verstanden wird, als voller Einsatz, bei dem es gleichsam ums Leben geht, dann müsste daraus jedem deutlich werden, dass es dabei um die Überwindung starker Widerstände geht, um die Überwindung noch herrschender Konventionen, um die Überwindung noch limitierter Möglichkeiten.

Daraus, und aus nichts sonst, lassen sich die im Untertitel angekündigten offenen Oppositionsstrategien - mit denen auf Strukturen des Empfindens, Denkens und Handelns Wirkung ausgeübt werden könnte - entwickeln; wenn sich nämlich irgendwo in der Wirtschaft, in der Politik, in der Kultur (um bei dieser an sich sonderbaren Dreiteilung zu bleiben) Leute gegen erkannte Widerstände artikulieren wollen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit dafür suchen.

Es kommt also auf Einsichten und konkrete Angebote an, auf unkonventionelle Koalitionen zwischen Personen, die bereit sind, gegen die geistlose Mittelmässigkeit aufzutreten - und jeder, dem ein Fügen in die fast allumfassende Automatik des Geschehens zuwider ist, zählt als potentieller Arbeitspartner für solche Projekte dazu.

Mit Kaufen allein ist nichts getan. Schon ein Kunstsammeln erfordert eine entsprechende Haltung, die Überwindung sozialer Barrieren, die Überwindung von Informationsbarrieren, eine Konfliktbereitschaft. Dass der Weg zu signifikanter Kunst schwierig zu finden wäre, ist eine Ausrede, genauso wie ein angeblicher Mangel an qualifizierten und couragierten Architekten oder Rentabilitätsüberlegungen nicht ausreichen, um all die Banalitäten auf dem Bausektor zu begründen. (Der ehemalige Versicherungsangestellte und jetzige Salzburger Bürgerlisten-Stadtrat Voggenhuber z. B. exerziert seit drei Jahren vor, was mit dem verfügbaren Geld eigentlich möglich ist: Das Salzburg-Projekt. Entwurf einereuropäischen Stadt. Wien 1986).

Es kann also nicht darum gehen, bloss irgendwo Kunst anzubringen. Wichtig wären tragfähige Arbeitsprozesse, die der Kunst (und angewandter Kunst) ihren Stellenwert nicht nehmen, die zwischen künstlerischen und wissenschaftlichen Sparten Verbindungen herstellen und zu Ergebnissen führen, die wegen der Eingliederung in ökonomische Realitäten nicht gleich wieder an Substanz verlieren. Dann könnte nämlich zugleich in bestehende Strukturen eingedrungen werden, mit der unmittelbarn Wirkung, sie schrittweise z verändern. Wenn über Jahrzehnte hinweg internationale Expertengruppen mit neuen Konzeptionen für die heimische Stahlindustrie beauftragt worden sind, mit einem entsprechenden - und notwendigen - Finanzaufwand, dann könnte dies, wenn von den Schubladisierungstraditionen abgegangen würde, als Analogie für viel weiter gefasste Projekte dienen, die auf eine gründliche Weiterentwicklung in verschidenen Gesellschaftsbereichen oder Unternehmungen abzielen.

Offensichtlich ist, dass innerhalb von Institutionen kaum noch etwas passiert. Bereichsübergreifende >freie< Projektgruppen sind daher eine einschneidende Möglichkeit, Veränderungen anzubahnen, Konzeptionen zu erarbeiten, Informationen aus vielen Bereichen miteinzubeziehen, sofern sie professionell durchgeführt werden, also einen Dilettantimus bekämpfen, in den sich gerade Künstlerisches sehr oft drängen lässt. Die Kompromisslosigkeit von Kunst muss akzeptiert, bestärkt werden. Bei fairen Arbeitsbedingungen und Verwirklichungsaussichten werden sich auch >Mönche< nicht einer >Kollaboration< verschliessen. Wenn sie es doch tun, dann ist das als Gradmesser zu werten, wie weit gebotene Möglichkeiten von Ansprüchen entfernt sind. Selbst ein Unvermögen, ein Scheitern, müsste, sofern es nicht an beeinflussbaren Voraussetzungen selbst gelegen ist, als >kulturelles< Dokument wichtig genommen werden.

Ohne Anstrengungen in diese Richtung, und seien sie nur punktuell, Anhaltspunkte also, wird die reale Welt noh mehr austrocknen. Denn als subversive haltung ist allerorts längst schon vom >Lob der Faulheit< (so der Titel einer eben im Residenz Verlag erschienenen Anthologie) oder vom >möglichst wenig tun< (z. B. bei Lucius Burckhardt: Die Kinder fressen ihre Revolution. Wohnen-Bauen-Planen-Grünen. Köln 1985) die Rede, wobei Letzteres ja durchaus auch konstruktiv zu verstehen ist. Erich Fromm hingegen hat vor zehn Jahren (in: Haben oder Sein. Stuttgart 1976) noch gläubig feststellen können: >Jenseits aller politischen Parteien gibt es nur zwei Lager: die Engagierten und die Gleichgültigen<.

 

 
oben
 

© Christian Reder 1987/2001