Die Zustände, innerhalb derer im Normalfall herumargumentiert
werden kann, lassen sich ziemlich plausibel als Unterhaltungsgesellschaft
charakterisieren. Es ist das Showbusiness, nach dessen Regeln
Resonanz entsteht, Resonanz produziert wird.
Seine Symbole: Das gewisse Lächeln, die Sprechblase, der
Bildschirm, der Small-Talk, die Person als Markenartikel.
Wer ausbricht, wer da nicht mehr mit kann, bekommt halt eine
neue Rolle verpasst oder man vergisst ihn eben - und das gilt
keineswegs bloss auf der Ebene öffentlicher Auftritte.
Als wirklich gilt, was in den Medien stattfindet, was Unterhaltungswert
hat. Wirtschaft stellt sich über Werbung dar, genauso Politik;
und mit Kunst wird in der gleichen Weise verfahren.
Kritik, angeblich die Basis demokratischer Verhältnisse schlechthin,
kann - so wie sie stattfindet - nichts anderes sein als ein
Teil solcher Systemzusammenhänge. Fast durchwegs zeigt sie
in Form und Inhalt, dass sie zum verfilzten Bestätigungsinstrumentarium
für dieses und jenes gehört. Das Grundmuster: Loben - Erwähnen
- Auslassen (frei nach den Regeln einer Diplomatenparty).
Wenn es manchmal noch Gründlichkeit gibt, dann interessiert
eigentlich bloss das >Wer gegen wen<. In der Enge hierzulande
nimmt Derartiges oft noch groteskere Züge an als anderswo,
in den Funktionsweisen allerdings verwischen sich längst alle
Unterschiede. Welche anonymen Kräfte hinter dem Gesellschaftsspiel
um Personen wirksam sind - sei es im immer gigantischer werdenden
Fernsehgeschäft, sei es bei den Verlags- und Pressekonzernen,
sei es im Opern- und Festspielbusiness - kommt kaum zur Sprache,
weil der Produktionsprozess des Zur-Sprache-Bringens voll
verwoben ist mit seinen Bedingungen und den diversen Verbergungsinteressen.
Wer beobachtet z. B. schon >freimütig< die personelle Verfilzung
zwischen Zeitungen, ORF, Verlagen, Festivals und ihre Konsequenzen
für das, was sich bisweilen noch kritische Berichterstattung
nennt?
Also: Autonomie verliert sich in Geschmeidigkeit und Selbstzensur.
Die USA - unser gross gewordener Bruder - sind bekanntlich
von puritanischen Intellektuellen gegründet worden und es
gibt die (schon etwas bejahrte) Theorie, dass die dort grassierende
Intellektuellenfeindlichkeit historisch schlicht einem Erholungsbedürfnis
von den rigiden Ansprüchen der Gründerväter entspricht (Richard
Hofstadter: Anti-Intellectualism in American Life, New York
1964). Und Neil Postman, der vor einigen Monaten sogar den
Weg nach Wien gefunden hat, gab seinem 1985 erschienenen Buch
über die Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie
den lapidar-grifigen Titel: >Wir amüsieren uns zu Tode<.
Mit Begriffen wie Informationsgesellschaft und Dienstleistungsgesellschaft,
die als imaginäre Hoffnung durch Krisendebatten geistern,
sollte daher vorsichtig umgegangen werden. Sie blockieren
allzu leicht die Sicht auf hier skizzierte Fragen. Der allein
schon durch solche Bezeichnungen in Aussicht gestellte wunderbar
freie Zugang zu Informationen müsste ja von grundlegenden
macht- und systemtechnischen Konsequenzen begleitet werden,
und wenn künftig jeder möglichst reibungslos irgendwelche
Dienste leisten soll - in der Dienstleistungsgesellschaft
-, so sind damit wohl auch jede Menge Struktur- und Entwicklungsprobleme
verbunden.
Was immer noch mitschwingt, ist die Vorstellung, dass jeder
einen irgendwie bestimmten Platz einnimmt - in Unternehmen,
Institutionen, Verbänden, Parteien (mit längst nicht überwundenen
Anklängen an den Ständestaat, an den Korporationenstatt) -
und der Rest ist eben Konfliktmanagement, weil sich das wieder
so auffällig beschworene >In einem Boot sitzen< und das >Gemeinsinnige<
doch nicht ganz wunschgemäss verwirklichen lässt. Die Leugnung
von Gegensätzen jedoch schadet immer dem Schwächeren.
Zu solchen, letztlich noch recht primitiven Bildern der Rollenverteilung
in einer Gesellschaft gehört es, >die Wirtschaft< als jenen
Sektor zu verstehen, der alles bezahlt (Motto: >Wer zahlt
befiehlt<), den Staat als Einrichtung, der für ein gewisses
Mass man Ordnung und sozialer Sicherheit sorgt - und dann
gibt es auch noch die Kunst, zuständig für das Schöne, Erbauliche,
zuständig für Zerstreuung, Freizeit, Gesellschaftsspiele.
Jedem wird sein Part zugewiesen - dem Spassmacher, dem Unterhalter,
dem Kritiker, genauso dem Revoluzzer.
Die Mechanik diffuser Systeme benutzt sogar jeden Widerstand
dazu, die eigenen Funktionsweisen zu kräftigen.
Nach verschiedenen herrschenden Lehren ist die Autonomie
der Person, die sich in demokratischen Prozessen, nicht also
bloss in >entlegenen< schöpferisch-kulturellen Sphären, als
Möglichkeit abzeichnen sollte, nichts als blanke Fiktion.
Selbst Widerstandshaltungen nützen fast durchwegs , und das
ist ein schwer wegzudiskutierendes Paradoxon, dem bekämpften
Gegner genauso wie dem eigenen Selbstwertgefühl (Ob ein Pinochet
das Attentat auf ihn nicht sogar selbst inszeniert hat, lässt
sich, weil die Wirkung kontraproduktiv ist, kaum unterscheiden).
Dennoch: Wie es um die Autonomie der Person, wie es um die
Konfliktbereitschaft, wie es um den Umgang mit Randgruppen
, wie es um gesellschaftliche Sensibilität, um die Offenheit
Neues, anderes, Fremdes, Verletzliches wahrzunehmen bestellt
ist, das ist bezeichnend für die kulturelle Situation (also
auch für die Behandlung des Themas >Kunst in der Wirtschaft<).
Und dazu gehört unbedingt die Frage, wo und inwieweit Radikalität
- auch diesseits ihres Unterhaltungswertes - zugelassen wird.
Die Forderung nach radikalem Umdenken kommt zwar selbst schon
besorgten Provinzpolitikern sehr häufig über die Lippen, Tatsache
bleibt jedoch, dass Radikalität im ökonomisch-politischen
Bereich tabuisiert ist, nicht zuletzt, weil die Systeme längst
zu anfällig für Gefährdungen sind, ausgeliefert der ihnen
eigenen Automatik, fast ohne Chance für Willensakte. Erlaubter
Schauplatz für Radikalität bleiben, wiederum unter beträchtlichen
Einschränkungen, die Wissenschaft und die Kunst. In lebendiger
Form finden Bemühungen um komplexe Deutlichkeit hauptsächlich
auf subkulturellem Boden statt, ausserhalb der Institutionen,
gleichsam unterhalb der organisierten Welt, wo sich eine Zeitlang
immer wieder Freiräume bilden.
Mit >radikal< muss nicht immer die rücksichtslose Wurzelbehandlung
gemeint sein, es lässt ich auch schlicht als >vollständig<
und >gründlich< übersetzen. Wo allerdings findet Gründlichkeit
in unseren Arbeitsprozessen überhaupt noch statt? Im vorigen
Jahrhundert hat es unter dem Druck der Industrialisierung
noch Streiks gegeben, weil ein handwerklich orientiertes Selbstverständnis
von >guter< Arbeit gefährdet gesehen worden ist.
Der Feind von Radikalität ist der Kompromiss, so wie das
Relative dem Absoluten feindlich ist.
Die Sprache hilft, wenn sie >anspruchslose< Kunst diskreditiert;
sie hilft auch, wenn sie Gelingen mit der Nähe zu Absolutem
gleichsetzt, und sein es - angesichts der in sich zerfallenen
Welt ringsum - bloss als Fragment, als Zeichen, als Anhaltspunkt.
Die Entscheidung darüber, was bestehen kann, gehört eben -
trotz aller Automatismen - zu jenem zentalen kulturellen Prozess,
über den sich, und sei es noch so kontroversiell, verzögert
oder im Verborgenen, Wahrnehmungsfähigkeit und möglicherweise
sogar Identität entwickelt. Und darum geht es ja wohl eher
als um diverse banal-schöngeistige Zugänge zu Kunst.
Wenn man sich gleichsam archetypische, in einander überlagernder
Form überall anztreffende Gegenpositionen vor Augen führt,
wird vielleicht das hier angesprochene Spannungsfeld sichtbarer
und auch, dass wegen solcher Polaritäten ein glattes Ineinandergreifen
unter der Devise Kooperation weder in Bezug auf Kunst noch
sonst wo so ohne weiteres interessante Symbiosen ergib:
Die Mönche - Die Kollaborateure (das Titelthema)
Der Mönch, als Metapher für Distanz zu angeblich Realem,
als Inbegriff für Reduktion, Negation, gelebte Radikalität.
Nahe der Kunst, dem Forschen, dem Nichtstun. Der Anekdote
nach hat einer in franziskanischer Zeit schliesslich seine
karge Zelle nicht mehr verlassen, um niemandem das geringste
Leid zuzufügen, um nicht einmal im Garten unbeabsichtigt eine
Ameise zu zertreten. In der Geschichte mönchischer Haltungen
spiegeln sich die - hier nicht weiter auszführenden - Möglichkeiten
und Unmöglichkeiten wider, inklusive all der Versuche, für
Moral Hochburgen zu errichten. Weder die wiederum machtorientierte
Konsequenz von Rigidität, noch die Gefahr, sich an zu hohen
Ansprüchen zu erwürgen, ersparen es allerdings, analogen gesellschaftlichen
Funktionen Gewicht beizuessen; es sei denn, die Akzeptierung
des Wohltemperierten würde endgültig allgemein.
Die Asketen |
|
Die Geniesser |
Die Schwierigen |
|
Die Verwendbaren |
Die Revolutionäre |
|
Die Reformisten |
Die Konsequenten |
|
Die Beweglichen |
Die Visionäre |
|
Die Pragmatiker |
Die Radikalen |
|
Die Kompromissbereiten |
Die Fundis |
|
Die Realos (nach dem Jargon der Grünen) |
Die Grundsatztreuen |
|
Die Verräter |
Die Einzelgänger |
|
Die Adabeis |
Die Besessenen |
|
Die Kalkulierenden |
Die Verhältnisse begünstigen in aller Regel die zweite Gruppe,
ohne dass daraus allein ein Gut-Böse-Schema abgeleitet werden
könnte.
Die Verräter >ehern< gültiger Grundsätze haben sich bekanntlich
oft grösste Verdienste erworben und die Beweglichen sind plötzlich
auf etwas gestossen, das sie sonst nie gefunden hätten.
Dennoch ist es signifikant, wie Gesellschaften mit ihren
Mönchen, mit den Schwierigen, mit den Konsequenten, mit den
Visionären, mit den Einzelgängern, mit Kompromisslosigkeit
und Besessenheit umgehen und welche Belohnungen sie für Kollaborateure
bereitstellen und welchen Preis diese später möglicherweise
selbst für ihre Kollaboration zu zahlen haben. In der >offiziellen<,
als Betrieb organisierten Welt hat es ganz den Anschein, als
ob jeder Agent bestimmter Interessen sein muss, damit ihm
etwas geboten wird; fast jeder ist sozusagen Angestellter
derselben riesigen Werbeagentur, bloss zwischen den Abteilungen
gibt es manchmal Reibereien.
An Metaphern für diese Gefährdung herrscht kein Mangel: >Seine
Seele verkaufen<, >Das Gesicht verlieren<, >Mit dem Teufel
im Bund sein<.
Und der Teufel, so ein weiterer dieser einfachen Lehrsätze,
steckt im Detail. Sich aus blosser Berührungsangst nicht mit
ihm einzulassen, bietet daher offenbar wenig Schutz. Die Überraschung
steht eher auf seiner Seite.
Auf restlos anonyme Prozesse nimmt die Empfehlung Bezug,
im Zweifel mit der Bank zu spielen, was als Analogie heisst,
dass in der Nähe von Macht und Geld entgegen aller Askese-Predigten
die Chance auf Glück grösser sei, als wenn man sich gegen
sie stellt.
Wie sich Maximalansprüche, die keinerlei solche Einschränkungen
akzeptieren, artikuliert haben, wird im italienischen Anarchisten-Spruch
deutlich: >Vogliamo tutto - e subito!< (>Wir wollen alles,
und zwar sofort!<). Wenn man sich das >sofort< als ungeduldige
Bizarrheit wegdenkt, steckt in diesem >alles< jene die markantesten
Phasen der Moderne charakterisierende Radikalität, in der
es um Identität von Kunst und Leben gegangen ist, um Prozesse
eben, die sich der Verwendbarkeit entziehen, die für sich
existieren, ohne dass man deswegen etwas verkaufen müsste.
Selbst wenn die Distanz zu derartigen Ansprüchen inzwischen
oft recht gross geworden ist und sie nur für Momente erreichbar
scheinen, eröffnet erst ein Empfinden, wie notwendig sie sind,
den Zugang zu Kunst, den Zugang zu dem, was Sein könnte. Max
Horkheimer hat in diesem Zusammenhang von der >Sehnsucht nach
dem ganz Anderen< gesprochen.
Eine Callas hat man Assolutissima genannt, fast in frevelhafte
Übersteigerung des Absoluten, des gleichen >alles<, von dem
soeben die Rede war. Und das Totale an Konzentration und Fähigkeit
ist es, auch in vielen anderen aufspürbaren Fällen, das eine
Potenzierung von Kräften erlebbar macht, so wie sie in der
Normalität des Lebens sonst nicht gelingt.
Nicht vergessen werden darf im Rahmen einer solchen Argumentation,
dass gerade Vertreter politischer Totalität - wenn auch sehr
eindimensional - sehr oft gewusst haben, welche Möglichkeiten
sich da bieten könnten, wie sich derartige Sehnsüchte benutzen
lassen. Hitler wollte bekanntlich Maler und Architekt sein,
Franco hatte genau dieselben Berufswünsche und Mussolinis
Kooperation mit den Futuristen, insbesondere seine lange Freundschaft
mit Marinetti, vervollständigt Ähnlichkeiten bei diesem Triumvirat.
Stalin wiederum, selbst Produzent vieler Bände linguistischer
Studien, hat genauso höchstpersönlich der von ihm erlaubten
Kunst seinen Stempel aufgedrückt. Gleichzeitig waren die von
ihnen repräsentierten Systeme - wie allgemein bewusster sein
sollte - gerade dem Kritikpotential von Kunst in sehr massiver
Weise feindlich gesinnt.
Wie sich derartige Auswirkungen von Machtausübung inzwischen
transformiert haben, müsste unter ständiger Beobachtung stehen;
befreit abhaken lässt sich da nämlich gar nichts. Ein >liberales<
Giesskannenprinzip der Kunstförderung jedenfalls ist nur ein
höchst unbefriedigendes Mittel, um künstlerische Autonomie
und Gegenkräfte zu stärken. Notwendig wären sensibel-engagierte
Vis-a-vis, die sich von Interessenlagen lösen können, nur
gibt's da offenbar Produktionsengpässe.
Kunst hat sehr viel mit Obsession, mit >vernünftiger< Besessenheit
zu tun. Kollaboration, die ungeschriebene Regeln zu deutlich
überschreitet, mach sich meistens im Arbeitsergebnis bemerkbar.
Konkreter werdend:
Die Wiener Wirtschaftsuniversität hat sich künstlerisch in
Leherbs grossflächigem Kachel-Kitsch symbolisieren lasen,
die Technische Universität wiederum im schweizerischen Beton-Uhu
am Karlsplatz. Soviel zum Stand akademischen Kunst- und Selbstverständnisses
im Bereich Wirtschaft und Technik. Wer traut sich da aus diesen
Sektoren noch, der generellen Politik Vorwürfe zu machen,
selbst wenn unübersehbar ist, dass es keiner öffentlichen
Institution, keiner Partei, keinem ÖGB, keiner Raiffeisenorganisation
und fast keinem Wirtschaftsunternehmen hierzulande gelungen
ist, wenigstens hin und wieder, z. B. durch Bauten, Zeichen
zu setzen, die wirkliche >Anhaltspunkte< sind?
Und unverdrossen (so aus der hier zitierten >Presse< vom
6./7. 9. 86, >Der Manager als Mäzen?<) wird appelliert, dass
es an der Zeit sei, >die Kluft zwischen erfolgreichen Wirtschaftstreibenden
und Kulturschaffenden zu überbrücken>, weil doch >Kultur<
einen >wesentlichen Bestandteil der erfolgreichen Vermarktung
Österreichs darstellt<. Selbst >sieben gute Gründe< sollen
helfen, bisher Unbelehrbare oder Überbeschäftigte zu bekehren:
>Die verbesserte Lebensqualität, Umwegrentabilität, Anstösse
zu vermehrter Kreativität, Imagesteigerung, die Erschliessung
neuer Marktsegmente, die Versüssung des Betriebsklimas< (alles
wörtlich!) >und Impulse für neue Entwicklungen<. Dass unmittelbar
unter diesem Bericht eine Anzeige für Thomas Bernhards neuen
Roman >Auslöschung< platziert worden ist und der Kommentar
oberhalb den Titel >Verdummt das Fernsehen?< trägt, zeigt
in einem mehrfachen Sinn, wie sich alles paradox im Kreis
dreht.
Nichts gegen vielleicht gutgemeinte Appelle, nichts gegen
irgendwelche Initiativen zur Geldbeschaffung, es sollte nur
klar sein, dass Derartiges nur an der Oberfläche fortsetzt,
was sowieso das Geschehen prägt:
Der Künstler, als Empfänger milder Gaben (ganz im Gegensatz
zum Modell einer ausbalancierten Dienstleistungsgesellschaft),
der Künstler als Investitionsobjekt und Markenartikel (was
noch am ehesten in der allgemeinen Realität eine Entsprechung
findet), das Interesse für eine Arbeit, die einem als wichtig
eingeredet wird (ganz imGegensatz zum Modell einer auf selbständigem
Urteilen aufgebauten Informationsgesellschaft), das Rechnen
mit Prestige und Applaus (wie es die Unterhaltungsgesellschaft
als erstrebenswert hinstellt).
An die sooft flehentlich angesprochene Wirtschaft gerichtet,
selbst wenn es banal klingt:
Wer ist sie, >die Wirtschaft<, die da immer als Adressat genannt
wird? Wirtschaftliches Subjekt ist jeder; wer daraus eine
Gebermentalität macht, deklariert Macht.
Gaius Maecenas, das sooft genannte Vorbild, war ja gar nicht
der selbstlose Gönner späterer Legenden, sondern ein kühl
berechnender Machtpolitiker, der mit dem Geld seines Kaisers
Augustus Kunst als wichtiges Medium zur Gewinnung öffentlicher
Zustimmung eingesetzt hat.
Einen Bach, einen Mozart konnte auf Dauer niemand umbringen,
gerade weil deren Radikalität so tragfähig ist, während sogar
mächtige Multis irgendwann von Stärkeren oder von einer Krise
verschluckt werden. Selbst wenn man den Geldmassstab in diesem
Zusammenhang bloss als vages Hilfsmittel sieht, so können
sich die werte, die ein Leonardo, ein Palladio, ein Turner,
ein Cezanne, ein Brancusi, ein Mondrian, ein Giacometti im
Alleingang geschaffen haben, spielend mit jeder Ansammlung
von halbwegs beständigem Grosskapital messen. Selbst wenn
das Schaffen beständiger Werte verweigert wird, kommen die
indirekten Wirkungen signifikanter Kunst mit Unkünstlerischem
durchaus mit.
Das Gefälle zwischen wirtschaftlicher und künstlerischer
Produktivität, das es angeblich einseitig-gönnerhaft zu überbrücken
gilt, entbehrt alo jeder rationalen Grundlage. Niemand ist
so produktiv wie der Künstler, dem etwas gelungen ist.
Dass eine starke Wirtschaft der Theorie nah dem kulturellen
Leben förderlich sein müsste, ist wohl unbestritten; nur muss
die insistierende Frage erlaubt bleiben, warum gerade die
reichste und informierteste Gesellschaft, die es je gegeben
hat, so stereotyp verständnislos mit ihren kulturellen Möglichkeiten
umgeht.
Dazu zu guter Letzt einige - wie ich meine - konstruktive
Thesen:
>Kunst in der Wirtschaft< ist, wenn tatsächlich etwas weitergehen
soll, keineswegs eine blosse Marketing- und Benutzungsfrage;
ein routiniertes Inhalieren, ein Auflösen von Polaritäten
macht sogar mehr kaputt als es aufbaut.
Sofern der Zugang zu Kunst nicht aus visionär-rationaler
Einsicht erfolgt, ist es oft schwer begründbare Besessenheit,
die einem in dieses Feld >des Anderen< hineinkippen lässt;
sei es als Sammler, als Bauherr, als Auftraggeber, sei es
durch Beobachten, Zuhören, Lesen.
Es ist also eine - im wörtlichen Sinn - Ergriffenheit,
Berührtheit notwendig, damit die Wahrnehmungsbereitschaft
herausgefordert wird; dafür Situationen zu schaffen ist
wichtiger, als irgendjemandem irgendetwas vorzusetzen, weil
plötzlich >Kultur< angesagt ist. Mit dem Anageln von Bildern,
mit dem Aufstellen von Skulpturen, mit Wettbewerben für
die so beliebten Brunnen ist nichts in dieser Richtung getan.
In Gesellschaften, die ihr Selbstverständnis daraus beziehen,
dass sich in ihnen so ziemlich alles kaufen lässt, könnte
gerade das Nicht-Käufliche, die (räumliche) Situation, das
Ereignis, der respektvolle Umgang mit Kunst, das nicht beliebig
Verwendbare markante Gegenpositionen markieren; das tut
es zwar normalrweise von selbst, allerdings unter dem ständigen
Druck, in Kollaborationsmechanismen hineingezogen zu werden.
Es könnte also ohne weiteres da und dort sinnvoll sein,
Kunst eine Zeitlang in Ruhe zu lassen (vor allem angesichts
des oft hysterisch-betriebsamen Booms auf dem Ausstellungs-
und Museumssektor), wenn auch unter Existenzbedingungen,
die Autonomie ohne Gegengeschäfte möglich machen. Selbst
in modernen Museen macht sich tödliche Uniformiertheit breit,
einmal hängt der Frank Stell rechts, in der nächsten Stadt
links vom Eingang.
Überall ist von Öffnung die Rede (wogegen, wenn auch die
Bedingungen umfassend bedacht werden, nichts Grundsätzliches
einzuwenden ist), nur müsste gerade deswegen auch das Hermetische,
einer Innenwelt zugewandte, das vielfach stille Kristallisationsmöglichkeit
für langsam weiterwirkende Kräfte ist, in seiner abweisenden
Haltung akzeptiert werden, selbst wenn Anspruch und Realität
nicht in der behaupteten, erhofften Konsequenz übereinstimmen.
Seine Verhöhnung heisst nämlich nichts anderes, als eine
schon sehr weit gediehene Bereitschaft, selbst die Fiktion
des Mönchs, die Vorstellung von konsequenter Strenge, als
kulturelle Möglichkeit aufzugeben.
Wenn Kunst als Annäherung an Absolutes verstanden wird,
als voller Einsatz, bei dem es gleichsam ums Leben geht,
dann müsste daraus jedem deutlich werden, dass es dabei
um die Überwindung starker Widerstände geht, um die Überwindung
noch herrschender Konventionen, um die Überwindung noch
limitierter Möglichkeiten.
Daraus, und aus nichts sonst, lassen sich die im Untertitel
angekündigten offenen Oppositionsstrategien - mit denen
auf Strukturen des Empfindens, Denkens und Handelns Wirkung
ausgeübt werden könnte - entwickeln; wenn sich nämlich irgendwo
in der Wirtschaft, in der Politik, in der Kultur (um bei
dieser an sich sonderbaren Dreiteilung zu bleiben) Leute
gegen erkannte Widerstände artikulieren wollen und eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit dafür suchen.
Es kommt also auf Einsichten und konkrete Angebote an,
auf unkonventionelle Koalitionen zwischen Personen, die
bereit sind, gegen die geistlose Mittelmässigkeit aufzutreten
- und jeder, dem ein Fügen in die fast allumfassende Automatik
des Geschehens zuwider ist, zählt als potentieller Arbeitspartner
für solche Projekte dazu.
Mit Kaufen allein ist nichts getan. Schon ein Kunstsammeln
erfordert eine entsprechende Haltung, die Überwindung sozialer
Barrieren, die Überwindung von Informationsbarrieren, eine
Konfliktbereitschaft. Dass der Weg zu signifikanter Kunst
schwierig zu finden wäre, ist eine Ausrede, genauso wie
ein angeblicher Mangel an qualifizierten und couragierten
Architekten oder Rentabilitätsüberlegungen nicht ausreichen,
um all die Banalitäten auf dem Bausektor zu begründen. (Der
ehemalige Versicherungsangestellte und jetzige Salzburger
Bürgerlisten-Stadtrat Voggenhuber z. B. exerziert seit drei
Jahren vor, was mit dem verfügbaren Geld eigentlich möglich
ist: Das Salzburg-Projekt. Entwurf einereuropäischen Stadt.
Wien 1986).
Es kann also nicht darum gehen, bloss irgendwo Kunst anzubringen.
Wichtig wären tragfähige Arbeitsprozesse, die der Kunst
(und angewandter Kunst) ihren Stellenwert nicht nehmen,
die zwischen künstlerischen und wissenschaftlichen Sparten
Verbindungen herstellen und zu Ergebnissen führen, die wegen
der Eingliederung in ökonomische Realitäten nicht gleich
wieder an Substanz verlieren. Dann könnte nämlich zugleich
in bestehende Strukturen eingedrungen werden, mit der unmittelbarn
Wirkung, sie schrittweise z verändern. Wenn über Jahrzehnte
hinweg internationale Expertengruppen mit neuen Konzeptionen
für die heimische Stahlindustrie beauftragt worden sind,
mit einem entsprechenden - und notwendigen - Finanzaufwand,
dann könnte dies, wenn von den Schubladisierungstraditionen
abgegangen würde, als Analogie für viel weiter gefasste
Projekte dienen, die auf eine gründliche Weiterentwicklung
in verschidenen Gesellschaftsbereichen oder Unternehmungen
abzielen.
Offensichtlich ist, dass innerhalb von Institutionen kaum
noch etwas passiert. Bereichsübergreifende >freie< Projektgruppen
sind daher eine einschneidende Möglichkeit, Veränderungen
anzubahnen, Konzeptionen zu erarbeiten, Informationen aus
vielen Bereichen miteinzubeziehen, sofern sie professionell
durchgeführt werden, also einen Dilettantimus bekämpfen,
in den sich gerade Künstlerisches sehr oft drängen lässt.
Die Kompromisslosigkeit von Kunst muss akzeptiert, bestärkt
werden. Bei fairen Arbeitsbedingungen und Verwirklichungsaussichten
werden sich auch >Mönche< nicht einer >Kollaboration< verschliessen.
Wenn sie es doch tun, dann ist das als Gradmesser zu werten,
wie weit gebotene Möglichkeiten von Ansprüchen entfernt
sind. Selbst ein Unvermögen, ein Scheitern, müsste, sofern
es nicht an beeinflussbaren Voraussetzungen selbst gelegen
ist, als >kulturelles< Dokument wichtig genommen werden.
Ohne Anstrengungen in diese Richtung, und seien sie nur
punktuell, Anhaltspunkte also, wird die reale Welt noh mehr
austrocknen. Denn als subversive haltung ist allerorts längst
schon vom >Lob der Faulheit< (so der Titel einer eben im
Residenz Verlag erschienenen Anthologie) oder vom >möglichst
wenig tun< (z. B. bei Lucius Burckhardt: Die Kinder fressen
ihre Revolution. Wohnen-Bauen-Planen-Grünen. Köln 1985)
die Rede, wobei Letzteres ja durchaus auch konstruktiv zu
verstehen ist. Erich Fromm hingegen hat vor zehn Jahren
(in: Haben oder Sein. Stuttgart 1976) noch gläubig feststellen
können: >Jenseits aller politischen Parteien gibt es nur
zwei Lager: die Engagierten und die Gleichgültigen<.
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