In seinen fragmentarischen Bemerkungen über den Sammler
weist Walter Benjamin1 auf dessen "Kampf gegen die Zerstreuung"
hin; (vermeintlich) Zusammengehöriges wird gehortet, ein Totalitätsanspruch
wird spürbar. An den für das Mittelalter signifikanten Verhaltensweisen
fällt ihm in diesem Zusammenhang auf, daß die Menschen damals
"tatsächlich gewöhnt waren, selbst über das Geringste ihrer
Besitztümer eigens und umständlich durch Testament zu verfügen"2
und für die Renaissancezeit notiert er sich Giorgio Vasaris
Behauptung, daß der Begriff "Groteske" von den Grotten komme,
in denen Sammler ihre Schätze aufbewahren. Georges Bataille
wiederum, unter dessen Mithilfe die Texte zu Benjamins "Passagen-Werk",
aus denen hier zitiert wurde, in der Pariser Bibliotheque
Nationale versteckt und gerettet worden sind, hat schon 1933
herausgearbeitet, daß eine Gesellschaft genauso wie ein Individuum
"ein Interesse an erheblichen Verlusten und Katastrophen haben
könnte, die bestimmten Bedürfnissen gemäß, leidenschaftliche
Depressionen, Angstkrisen und letztlich einen gewissen orgiastischen
Zustand hervorrufen".3
+++
Ein Sammeln, Verstecken, Vererben und Zerstören von Kunstschätzen
bekam gerade im Inferno des letzten Weltkrieges, in dem der
Wert menschlichen Lebens für die eigene Seite zwar theatralisch
idealisiert, insgesamt jedoch eliminiert worden ist, eine
vorher unbekannte Dimension. So waren seit 1943 in den Stollen
der Salzbergwerke im Gebiet von Altaussee, Kunstwerke aus
ganz Europa eingelagert worden, um sie der Gefährdung durch
Bombenangriffe zu entziehen. Auch Hitlers persönliche Sammlung
befand sich darunter, bis zuletzt war sie für ihn ein wichtiges
Objekt weiterer Planungen. Noch am 29. April 1945, einen Tag
vor seinem Tod, bestimmte er in seinem privaten Testament:
"Ich habe meine Gemälde in den von mir im Laufe der Jahre
angekauften Sammlungen niemals für private Zwecke, sondern
stets nur für den Ausbau einer Galerie in meiner Heimatstadt
Linz a. d. Donau gesammelt. Daß dieses Vermächtnis vollzogen
wird, wäre mein herzlichster Wunsch".4 Dieser, im Bunkersystem
unter der Berliner Reichskanzlei verfaßte letzte Wille steht
in makabrem Gegensatz zum "Nero-Befehl" vom 19. März und nachfolgenden
Vernichtungsanordnungen, nach denen alles, was dem Feind nutzbar
sein könnte, zu zerstören sei. Während des ganzen Krieges
hat er sich intensiv mit der Zusammenstellung dieser Sammlung
beschäftigt. "Noch in den Jahren 1943/44", so Joachim C. Fest,
"wurden dreitausend Gemälde für Linz erworben und, ungeachtet
aller finanziellen Kriegsbelastungen, einhundertfünfzig Millionen
Reichsmark dafür aufgewendet. Als die Münchner Räumlichkeiten
nicht mehr ausreichten, ließ Hitler das gesammelte Gut in
Schlössern wie Hohenschwangau oder Neuschwanstein, in Klöstern
und Berghöhlen aufbewahren. Allein im Depot Altaussee, einem
Salzbergwerk aus dem 14. Jahrhundert, wurden bei Kriegsende
6755 Gemälde Alter Meister geborgen, ferner Zeichnungen, Grafiken,
Gobelins, Skulpturen und zahllose Kunstmöbel: letzter Ausdruck
einer ins Unüberschaubare gewachsenen, infantilen Aneignungsgier.
Unter den Gemälden befanden sich Werke Leonardo da Vincis
und Michelangelos Brügger Madonna, berühmte Arbeiten von Rubens,
Rembrandt, Vermeer, der Genter Altar der Gebrüder van Eyck
und daneben beispielsweise Hans Makarts "Die Pest in Florenz",
das Hitler auf dringende Bitten hin von Mussolini zum Geschenk
erhalten hatte. Der aus dem Bunker des Führerhauptquartiers
erteilte und vom Gauleiter Oberdonau, August Eigruber, unter
Exekutionsdrohung weitergeleitete Befehl zur Sprengung des
Depots war nicht befolgt worden".
Darüber, warum dieser Befehl nicht mehr befolgt wurde, heißt
es in österreichischen Darstellungen regelmäßig: "Rettung
von im Altausseer Salzbergwerk verlagerten Kunstschätzen durch
österreichische Widerstandskämpfer".6 Im derzeit verwendeten
Schulbuch "Zeitgeschichte" wird das etwas präzisiert: "Die
‚Partisanengruppe Salzkammergut' (um den KZ-Flüchtling Plieseis)
umfaßte gegen Kriegsende rund 500 Personen. Diese Organisation
verhinderte die Vernichtung wertvollster Kunstgegenstände,
die ( ... ) durch die NS-Machthaber in die Luft gesprengt
werden sollten".7
In Hugo Portischs aufwendiger TV-Sendung "Österreich II"
8 wiederum ist von einem darüber hinausgehenden Kreis an Beteiligten
die Rede. Dort wird der Bergarbeiter Alois Raudaschl als der
"Macher von der ganzen Geschichte" bezeichnet. Er hatte Zugang
zum Gestapo-Chef Ernst Kaltenbrunner, der sich damals in der
Gegend aufgehalten hat, und den habe er eben ersucht, "daß
er das nicht zulassen, daß er das verhindern möchte, weil
unsere Existenz dann beim Teufel ist". Die Kunstwerke waren
demnach eine Sache, die Arbeitsplätze im Bergwerk eine zweite,
mindestens ebenso wichtige. Kaltenbrunner und der Gauleiter
Eigruber (die beide später als Kriegsverbrecher hingerichtet
worden sind) hätten per Telefon "furchtbar gestritten", weil
dieser auf der Sprengung bestand, aber "dann hat der Kaltenbrunner,
der Gestapochef, dem Raudaschl den Befehl gegeben, sofort
die Bomben rausliefern zu lassen vom Berg". Und im Filmtext
heißt es dann, "schließlich helfen alle zusammen, auch die
Salinenleitung und zwei Widerstandsgruppen, geführt von Gaiswinkler
und Plieseis. Aber es sind die Bergleute, die die Bomben nun
herausholen".
In älteren Darstellungen ist hauptsächlich von drei Schlüsselpersonen
die Rede, vom Kunsthistoriker Hermann Michel, von Sepp Plieseis
und von Albrecht Gaiswinkler, also immer von jenen, die bereits
kurz nach dem Krieg eigene schriftliche Darstellungen ihrer
führenden Rolle bei den Widerstandsaktionen geliefert hatten.9
Otto Molden spart in seiner umfangreichen Arbeit über den
Österreichischen Freiheitskampf 1938-194510 die Ereignisse
im Ausseer Land sogar gänzlich aus, indem er auf die Existenz
der "ausführlichen Publikation" Albrecht Gaiswinklers verweist.
In einer neueren Aufarbeitung der Ereignisse um die Bergung
der Kunstschätze11 kommt keiner dieser drei Namen vor, es
wird von einem gemeinsamen Vorgehen der "Vertreter der Saline",
des "aktiven Widerstandes" und der "Betreuer, Bergungsleiter
und Restauratoren" gesprochen, die Bomben selbst seien letztlich
auf Anweisung von Bergrat Otto Högler entfernt worden. Nur
im Personenregister ist erwähnt, daß Gaiswinkler und Plieseis
in der Widerstandsbewegung zusammengearbeitet haben, der es
unter anderem um die Rettung der Kunstschätze gegangen ist.
Der Tenor der Geschichtsschreibung hat sich demnach in diesem
Fall von der Herausstellung von Einzelpersonen und Leitern
von Widerstandsgruppen hin zu einer Betonung der Gemeinsamkeit
bei Widerstandsleistungen entwickelt; Namen treten in den
Hintergrund oder werden eliminiert.
So wird Hermann Michel, nach dem Krieg immerhin Direktor
des Naturhistorischen Museums, nirgends mehr erwähnt, obwohl
er nach seinen eigenen Darstellungen eine Hauptfunktion innehatte
und den Bergbau und seine Depots selbst den Amerikanern übergeben
hat. 12
Seine NS-Karriere, die ihn bis in die Kommission zur Verlagerung
der Kunstschätze geführt hat, rechtfertigte er damit, einer
jener Angehörigen des Widerstandes der ersten Stunde gewesen
zu sein, die bereits seit 1938 der Parole folgten, nach der
sie "als wahre ‚Wächter'" versuchen sollten, unter allen Umständen
auf ihren Dienstposten zu verbleiben und daß sie sich hiezu
aller Mittel bedienen dürften".13 Von der Bergung schreibt
er, daß die Aktionen von der Gruppe Gaiswinkler, der von den
Engländern mit dem Fallschirm abgesetzt worden war, geleitet
wurden ("zu der auch ich als bewaffnetes Mitglied gehörte").
Die Widerständler im Salzbergwerk selbst seien Mitglieder
der von Sepp Plieseis geführten Gruppe "Fred" gewesen, von
der bei Gaiswinkler allerdings nur ganz am Rande die Rede
ist. Plieseis aber erwähnt in seinem Buch Gaiswinkler nur
einmal, als Führer der "besten Gruppe". die er selbst "in
monatelanger Arbeit gesammelt, geschult und ausgebildet hatte".
Von dieser Feststellung distanziert er sich jedoch später:
"Wir Freiheitskämpfer hatten zu dieser Zeit nicht die kleinste
Verbindung mit Fallschirmspringern, ja, die hatten keine Ahnung,
daß im Stollen Kunstschätze lagen. Die waren erst wenige Tage
vorher abgesprungen und suchten Unterschlupf für sich." 14
Die Berichte der drei, ursprünglich als Hauptverantwortliche
aufgetretenen Akteure widersprechen sich demnach diametral
und man braucht nur die Bücher von Plieseis und Gaiswinkler
zu lesen, um auf eine Fülle weiterer Ungereimtheiten zu stoßen.
Das Buch von Plieseis erschien bereits 1946; merkwürdig
ist, daß der Herausgeber der Neuauflage von 1971, Julius Mader,
im Vorwort behauptet, daß sich das Buchmanuskript im Nachlaß
des Autors gefunden habe und nun veröffentlicht würde, ohne
daß ein Wort über die Erstausgabe verloren wird. 15
Sepp Plieseis (1913-1966) war Sozialist, später Kommunist,
kämpfte in den Internationalen Brigaden in Spanien, kam dann
in französische Lager, in Gestapohaft, nach Dachau und schließlich
ins Lager Hallein, von wo er im August 1943 fliehen konnte.
Er wurde zum Kopf der Widerstandsgruppe "Willy" (später "Fred"),
einer Auffangorganisation für Flüchtlinge, Deserteure und
Verfolgte und gibt an, bereits 1944 die Weisung zur Rettung
der Kunstschätze gegeben zu haben, ohne dabei allerdings dann
selbst in Erscheinung zu treten. Aktiv wäre die von ihm aufgebaute
Widerstandsgruppe "Salzberg" mit ihren achzig Bergleuten unter
der Leitung von Markus Preßl und von Bergmeister Danner geworden.
Hermann Michel hätte, wie einige andere auch "gegen Ende der
faschistischen Herrschaft ebenfalls die Freiheitsbewegung
mit Informationen versorgt", der von anderen Zeugen als Hauptakteur
bezeichnete Bergarbeiter Alois Raudaschl kommt nur anonym,
als "zuverlässige Mittelsperson" zu Kaltenbrunner vor. Nachdem
die Bomben aus dem Stollen entfernt und ihr Rücktransport
verweigert worden war, hätte die "Oberste Bergbehörde" zur
Vermeidung weiteren Schadens angeordnet, die Eingänge zuzusprengen.
Für Plieseis "eigentlich eine ganz überflüssige Direktive,
denn die Freiheitskämpfer der Gruppe ‚Salzberg' sorgten jetzt
von sich aus schon dafür, daß jede weitere Gefährdung unterblieb".
Zusammenfassend heißt es dann: "So ist schließlich die Erhaltung
aller Schätze einzig und allein das Werk der österreichischen
Freiheitskämpfer der Gruppe ‚Salzberg' gewesen".
Albrecht Gaiswinkler schildert in seinem 1947 erschienenen
Buch16, wie er, der Sohn eines Salinenarbeiters aus Bad Aussee,
Sozialdemokrat, revolutionärer Sozialist und vorübergehend
Kommunist, 1940 mit Valentin Tarra, Johann Moser und Hans
Renner eine Widerstandsgruppe gründete, als Soldat in Frankreich
zur Resistance überlief, in England zum Fallschirmspringer
ausgebildet und am 9. April 1945 mit drei anderen über dem
Höllengebirge abgesetzt worden ist. Seine Widerstandsgruppe
"Georg" soll rasch auf fast 300 Mann angewachsen sein. Ihre
Aktionen klingen vielfach grotesk und unglaubwürdig: Wichtige
Gestapo-Leute werden so eingeschüchtert, daß sie jede Menge
falscher Papiere liefern, mit falschen Offiziersuniformen
verschafft man sich überall Zutritt, eine eigene österreichische
Regierung mit hohen SS-Leuten wird installiert, um sie in
Hoffnungen zu wiegen, Unmengen von Gold und Geld werden sichergestellt
und den Amerikanern übergeben, ein General wird auf offener
Straße verhaftet, eine Panzerabteilung und eine ganze Kompanie
werden entwaffnet usw. (und nichts davon wird vom im selben
Gebiet operierenden Plieseis erwähnt). In seiner Schilderung
von der Rettung der Kunstschätze ist von einer "Deputation
aus Bergleuten und Bürgern von Altaussee" die Rede, die bei
Kaltenbrunner die Rücknahme des Sprengbefehls verlangte oder
davon, daß die Freiheitskämpfer selbst (und nicht, wie laut
Plieseis, Beauftragte der "Obersten Bergbehörde") schließlich
als Schutzmaßnahme die Zugänge sprengten. Oft deckt sich der
später herausgegebene Bericht Gaiswinklers plagiathaft bis
in nebensächliche Details und Formulierungen mit dem von Plieseis,
so etwa an der Stelle über den Tod des Widerstandskämpfers
Karl Feldhammer.17
Bei der Brüchigkeit derartiger historischer Quellen ist
es umso signifikanter, daß weiterhin eine umfassende Stellungnahme,
wie jene des damaligen Generaldirektors der Salinen, Emmerich
Pöchmüller (1902-1963)18, gleichsam mit einem Tabu belegt
ist, so als ob Forschungen zur Zeitgeschichte auf die Darstellungen
von NS-Parteigängern verzichten könnten. Im sonstigen politischen
Alltag sind derartige Berührungsängste jedenfalls immer nur
kurzfristig aufgetreten; und zu den Methoden einer sorgfältigen
Geschichtswissenschaft dürfte es im allgemeinen gehören, alle
wichtigen Quellen (besonders auch die gegnerischen) einzubeziehen.
Pöchmüllers 1948 erschienenem Buch zufolge, wurden ab dem
Sommer 1943 die "Führersammlung", beschlagnahmter Besitz aus
den besetzten Gebieten, Bestände des Wiener Kunsthistorischen
Museums, der Albertina, der Nationalbibliothek, das Museums
für angewandte Kunst, des Naturhistorischen Museums, des Museums
für Völkerkunde, anderer Museen und solcher aus Klöstern und
Kirchen eingelagert. Ab dem 10. April 1945 waren auf direkten
Befehl von Gauleiter Eigruber Kisten mit Bomben in die Stollen
gebracht worden (Aufschrift: "Vorsicht Marmor, nicht stürzen"),
damit bei einer Feindannäherung die Zugänge verschüttet werden
konnten. Da die Sowjettruppen jedoch inzwischen dabei waren,
Wien einzunehmen, wollte dieser schließlich das gesamte Bergwerk
sprengen lassen. Pöchmüller habe davon, so berichtet er, am
13. April erfahren und unmittelbar darauf einen engeren Kreis
von Mitarbeitern (darunter Otto Högler, Carl Sieber, Max Eder,
Hermann Michel, die auch in anderen Quellen als Mitwisser
genannt werden) davon informiert. Es sei rasch eine Übereinstimmung
erzielt worden, daß der Plan Eigrubers verhindert werden müsse.
Mit technischen Einwänden wurden Terminverschiebungen erreicht,
am 22. April langte ein urgierter, von Bomann gezeichneter
Funkspruch Hitlers ein, daß nicht eine Vernichtung, sondern
gegebenenfalls eine Verschüttung der Bergungsorte durchzuführen
sei. Am 28. April habe Pöchmüller dann schriftlich die Entfernung
der Bombenkisten angeordnet, obwohl hohe Parteifunktionäre
unter Exekutionsdrohungen auf einer Sprengung bestanden. Sie
sollte unter Gestapo-Schutz von einem Sonderkommando durchgeführt
werden. Schließlich konnte noch der Kommandant der Wachmannschaften,
Feldwebel Filip, für die Verhinderungsaktion gewonnen werden.
Über Vermittlung von Alois Raudaschl kam es dann zum schon
erwähnten Treffen mit Kaltenbrunner, bei dem der Betriebsleiter
Otto Högler (von dessen Anwesenheit und Schlüsselrolle in
anderen Quellen nichts berichtet wird) eine absichernde Rückendeckung
erreichte. Das war am Abend des 3. Mai und bereits in derselben
Nacht wurden auf Höglers konkrete Anweisung hin und unter
Aufsicht des Bergmeisters Alfred Jud die Bomben aus dem Berg
geschafft. In einer Arbeiterversammlung am selben Tag hatten
sich alle für eine Sabotage des Zerstörungsbefehls ausgesprochen
und Freiwillige zur kritischen Nachtschicht gemeldet. 19 Bei
Plieseis (S. 291) heißt es demgegenüber: "Die Freiheitskämpfer
stürzten sich schon Minuten später zwischen die SS-Wachen
und transportierten die mörderischen Kisten in einen nahen
Wald". Am 5. Mai schließlich (zwei Tage vor der Gesamtkapitulation
in Reims, die am 9. Mai in Kraft trat) wurden noch die Eingänge
zugesprengt, am 17. Mai waren die Freilegungsarbeiten unter
amerikanischer Kontrolle so weit, daß die Stollen mit den
unversehrten Kunstsammlungen wieder betreten werden konnten.
Captain R. Posey, ein amerikanischer Kunstexperte, Oberbergrat
Mayerhoffer und der bald darauf als NS-Funktionär inhaftierte
Generaldirektor Pöchmüller waren die ersten, die wieder in
die Gänge vordrangen.
Nach Pöchmüllers Darstellung war die Rettung der Kunstschätze
und des Salzbergbaus eine hektische Abfolge risikoreicher
Widerstandsleistungen der Betriebsangehörigen, also von in
die Befehlsstrukturen integrierten Leuten, unter seiner Gesamtleitung.
Von Plieseis (und Gaiswinkler) wird sie als alleiniger Erfolg
organisierter Widerstandsgruppen bezeichnet. Zu simpel wäre
es, auf eine Wahrheit, die irgendwo "in der Mitte" liegt,
hinzuarbeiten, wie das neuerdings durch die Betonung deren
"gemeinsamen" Widerstandes versucht wird. Werden die ursprünglichen
Quellen kritisch einander gegenübergestellt, so wird plausibel,
daß sich die Bergarbeiter auf Initiative und mit voller Unterstützung
ihrer Vorgesetzten (insbesonders Generaldirektor Emmerich
Pöchmüller, Betriebsleiter Otto Högler und Bergmeister Alfred
Jud) praktisch geschlossen einer Zerstörung widersetzt haben
und so vom Betrieb selbst der entscheidende Beitrag geleistet
worden ist, ohne daß dies nachher eine öffentliche Anerkennung
gefunden hätte.
Ein "organisierter" Widerstand paßte besser ins Bild, selbst
wenn es zu ihm nur lose Kontakte gab und sich später viele
Opportunisten seiner bedienten; einmal installierte Sprachregelungen
behielten ihre Kraft. Am meisten hat Albrecht Gaiswinkler
profitiert, der Krankenkassenbeamter und von 1945-1949 SPÖ-Nationalratsabgeordneter
wurde. Sepp Plieseis war später als Beamter der Stadt Ischl
und als KP-Funktionär tätig. Emmerich Pöchmüller bemühte sich
jahrelang um eine Klarstellung der Ereignisse (1951 bestätigte
ihm ein Gericht nicht etwa den üblichen "Befehlsnotstand",
sondern daß er sowieso der "normalen Rettungspflicht" hätte
nachkommen müssen) und ging schließlich in die Bundesrepublik.
Vom "größten Museum aller Zeiten", dessen Wert damals auf
dreieinhalb Milliarden Dollar geschätzt worden war, ist offenbar
alles gerettet worden.20 Die Aufbewahrungsbedingungen waren
im Bergwerk besser als in den meisten Museen: "einwandfreie
Frischluft durch ausgezeichnete natürliche Bewetterung, eine
Sommer und Winter stets gleichbleibende Temperatur von 70
C und eine relative Luftfeuchtigkeit von 74 bis 79%". Für
Forschungen zur Zeitgeschichte gelten manchmal auch sehr lange
derartige, einer Konservierung dienliche Zustände.
|
|
- Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, Suhrkamp,
1982. S. 269f
- zit. nach: Johan Huizinga: Herbst des
Mittelalters, Kröner Verlag. 1975 (1924/ 41), S.338
- Georges Bataille: Die Aufhebung der Okonomie,
Rogner & Bernhard, 1975 (1933 ff.). S. 10
- zit. nach: Joachim C. Fest: Hitler. Eine
Biographie. Ullstein. 1976. S. 1018
- Joachim C. Fest, a. a. O. S. 726f.
- z. B. bei Erika Weinzierl: Österreich.
Zeitgeschichte in Bildern, 1918-1968, Tyrolia-Verlag, 1968;
Bildunterschrift unter einem oft publizierten Foto mit geöffneten
Bombenkisten
- Walter Göhringer / Herbert Hasenmayer
(unter wiss. Beratung von Ludwig Jedlicka): Zeitgeschichte,
Hirt-Verlag, 1979, S. 96
- ORF-Nachlese, Wien, Nr.2/1983
- Sepp Plieseis: Vom Ebro zum Dachstein.
Lebenskampf eines österreichischen Arbeiters. Verlag Neue
Zeit, Linz, 1946 Bericht Hermann Michel in: Hans Becker:
Österreichs Freiheitskampf, Verlag der Freien Union der
ÖVP, Wien, 1946, S. 29 f. Albrecht Gaiswinkler. Sprung in
die Freiheit, Ried-Verlag, Wien-Salzburg, 1947
- Otto Melden: Der Ruf des Gewissens. Der
österreichische Freiheitskampf 1938-1945, Herold, Wien,
1958, S.19
- Harry Slapnicka: Oberösterreich als es
"Oberdonau" hieß (1938 -1945). OÖ Landesverlag, Linz 1978,
S. 90f.
- Bericht Hermann Michel in: Hans Becker.
1946, a. a. 0.. S. 30
- Hermann Michel: Bergungsmaßnahmen und
Widerstandsbewegung. Annalen des Naturhistorischen Museums,
Wien, Bd.56, 1948
- Plieseis 1946/71, a. a. 0., S. 303 und
sein Leserbrief an den "Neuen Mahnruf", Wien, vom 27.10.1960
- Plieseis, 1946 (s. Anm. 9) ist ident
mit: Sepp Plieseis: Partisan der Berge. Lebenskampf eines
österreichischen Arbeiters. Globus Verlag, Wien, 1971. Zit.
S. 285, 290, 292
- Albrecht Gaiswinkler, 1947, a. a, O.
...O., Zit. S.273
- Plieseis, 1946/71, S.270: "Sie eilte
die Treppe hinab und fragte, wer so früh ins Haus wolle.
‚Aufmachen! Polizei! Schnell, sonst schlagen wir die Tür
ein.' Sie erschrak zu Tode. ‚Wartet doch noch so lange,
bis ich mir etwas übergeworfen habe. Ich kann euch doch
nicht im Hemd reinlasse."
Gaiswinkler, 1947. S. 163: "Sie huschte die Treppe hinab
und fragte, wer da sei. Aufmachen! Sofort öffnen oder wir
schlagen die Tür ein! Hier Polizei! ... schrie eine rauhe
Stimme ... ‚Ja doch, gleich. Wartet's doch einen Augenblick,
bis ich mir was übergezogen habe!' erwiderte sie. ‚Im Hemd
kann ich euch doch nit hereinlassen.'"
- Emmerich Pöchmüller: Weltkunstschätze
in Gefahr. Pallas-Verlag, Salzburg 1948
- In verschiedenen, unmittelbar nach dem
Krieg aufgenommenen Zeugenerklärungen direkt Beteiligter,
die dem Autor vorliegen, wird die Darstellung Pöchmüllers
bestätigt; als an der Bergung der Bomben direkt beteiligte
Arbeiter werden genannt:
Johann Angerer, Franz Danner I und Il. Johann Gaisberger,
Leopold Gaisberger, Karl Gotschmann. Max Peer, Johann Pucher,
Franz Temel, Eusebius Wimmer, Heinrich Wimmer, Franz Zwickl
und für den Abtransport: Leo Angerer, Matthias Brandauer,
Johann Egger, Franz Grießhofer, Hermann Haim, Johann Peer,
Johann und Eusebius Wimmer.
Zum 40. Jahrestag der Ereignisse soll nun im Mai 1985 eine
Gedenktafel, allerdings wieder ohne Namensnennung, angebracht
werden, auf der "die Leiter der Saline und Bergleute" für
ihre Widerstandsleistung geehrt werden (Salz aktuell, Bad
Ischl 3/84)
- Ob in Österreich aufgetauchte Kunstwerke
aus jüdischem Eigentum wirklich alle an rechtmäßige Besitzer
zurückgelangten, wurde kürzlich von amerikanischer Seite
im"ARTnews"-Magazin (Dez.84) in Zweifel gezogen; "Die Presse"
(vom 6. 12. 84) konterte auffallend empört: "man wird es
mit Fassung tragen" ... "angesichts so törichter Verdächtigungen".
Plötzlich war dann doch von einem "der seit fünfzehn Jahren
bestgehüteten Vermögensgeheimnisse der Republik" ("Die Presse".
14.12. 84) die Rede. Etwa 4000 Objekte werden noch verwahrt,
in einem Depot des ehemaligen Kartäuserklosters Mauerbach,
aber auch in verschiedenen Bundesmuseen und österreichischen
Botschaften. Minister Fischer kündigte an, sie Ende 1985
öffentlich auszustellen und dann - voraussichtlich zugunsten
von NS-Opfern - zu versteigern. Gegenüber neu auftauchenden
Eigentumsansprüchen werde man "großzügig sein".
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