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Universität für angewandte Kunst Wien
Hans Ulrich Reck: Interface 5
Hans Ulrich Reck
Reck on the Body
 

Szenario einer künfigen Museumsarbeit

in: Hans Ulrich Reck (Hg.): Zur Zukunft des Erinnerns in der Medienkultur
Arbeitsbericht der Lehrkanzel für Kommunikationstheorie an der Hochschule für angewandte Kunst Wien
Heft 1
Wien 1993

Textfassung eines Vortrags über Museumsfragen

Weitere Beiträge von Hans Ulrich Reck, Wolfgang Müller-Funk, Heidi Grundmann, Wolfgang Zinggl, Dietmar Steiner

 

 

Als Ansatz zu einigen, eher pragmatischen Überlegungen möchte ich mich - auch aus staatssymbolischen Gründen - des Burgtheaters bedienen und eine Stimme aus ihm zitieren, von einem, der es nach Jahren der Mühe gerade wieder verläßt.

Ignaz Kirchner redet nämlich (im Profil dieser Woche - Nr. 21/92) nicht lange herum. Zitat: >Das Burgtheater ist ein Status, sonst gar nichts.<, >Die Strukturen an diesem Hause können nicht aufgebrochen werden< und weiter >Die Verweigerungsfront ist sogar stärker geworden. Ich nenn' das mittlerweile eine Aussitz-Mentalität. Es geht hier ums Aussitzen, es geht nicht um Strukturveränderung.<

In anderen Worten: Pensionsorientierte Arbeitsweisen sind hierzulande in etablierten Kulturbereichen das Signifikante schlechthin. Die Dynamik dahinter: Irgendwann, später, gerade noch zu Lebzeiten, geht die persönliche Rechnung auf, als sonderbare Kompensation. Das schafft nicht Freiheiten, sondern Abwehrhaltungen; Ignaz Kirchner spricht auch nicht das hier so beliebte >Persönliche< an, sondern berechtigterweise die uniformierenden Mechanismen.

Gewissermaßen als Experte für Strukturen, zu dem ich unter anderem geworden bin, ermuntern mich solche Aussagen, solche Gutachten von künstlerischer Seite, weil ich andernorts ständig Parallelen dazu sehe, weil ich dauernd mit solchen Fragen nach aktivierenderen Arbeitssituationen zu tun habe.

Nur: Ich habe auch Erinnerungen - unser generelles Thema hier - und die beweisen mir in einem fort, wie sich solche Klagen wiederholen, seit Jahrzehnten, ohne irgendein Arbeitsgebiet zu verschonen, gelegentlich eruptiv-zornig, meistens ermattet-perspektivelos. Das Burgtheater als Eingangsbeispiel zu nehmen ist vielleicht zu plakativ-absurd, man kann - bezogen auf Strukturen jetziger und künftiger Arbeitsweisen - genauso an Spitäler denken, an Ministerien, Kommunalverwaltungen, Universitäten, an die desolaten Verhältnisse im Justizbereich, an den Mediensektor mit seiner oligarchischen Verkrustung - oder eben an Museen, als wieder in den Blickpunkt geratene Einrichtungen der Erinnerungsverwaltung, über die ich heute etwas äußern soll.

Analogien zwischen noch so unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern ergeben sich aus den Deformationskräften der >unsichtbaren Architekturen<, also der Regelgeflechte, die das Geschehen prägen. Die >gesteigerte Unsichtbarkeit<, von der heute schon die Rede war, ist der generelle Kontext dafür.

Stichworte dazu: >verwaltete Welt<, >durchorganisierte Welt<, angeblich >ökonomisierte Welt<, Dominanz des Immateriellen, Entmaterialisierten. Schon die sich in diesen Begriffen widerspiegelnde Totalität und die unentwirrbare Verflechtung von allem und jedem produziert Lähmung, produziert Desinteresse.

Irgendwo insular anzufangen mit neuen Strukturen, die - sagen wir - >freiere<, ungestörtere, intensivere Arbeitsweisen ermöglichen oder wenigstens nicht behindern, damit inhaltliche Fragen aufgewertet werden, ist kaum einem der Akteure zuzumuten.

Es wird auch nicht belohnt. Einer medialen Vermittlung widersetzt sich diese Problematik. Es gibt daher nur eine laue öffentliche Diskussion darüber. Der normale Ablauf ist folgender: Man muß sich drüberschwindeln, flüchten oder irgendetwas Neues, Zusätzliches inszenieren, damit im Kern alles beim alten bleiben kann.

Ein Wunder ist es also nicht, daß sich gestalterische Politik - die in erster Linie als Strukturpolitik im weitesten Sinne verstanden werden könnte - von diesen Fragen und all den ermüdenden Details fernhält, selbst wenn es politisch bloß um eher nebensächliche Bereiche geht. Hans Ulrich Reck hat, genau in diesem Sinn, von >zukunftsloser Politik< gesprochen.

Damit in Kauf genommen wird eine >Verwahrlosung der Strukturen< mit all ihren Pseudoelementen, Simulationen, So-tun-als-ob-Systemen. Kulturtheoretisch sind dem vielleicht heitere, spielerische Seiten abzugewinnen.

Auf Arbeitssituationen bezogen halten sich m. E. die Belustigungseffekte in Grenzen. Denn die Paralysierung >intelligenter Energien<, um es etwas pathetisch auszudrücken, bräuchte innerhalb und außerhalb von Institutionen, Firmen, Behörden ja keineswegs jenes marginale, Romantikern und Bürokraten vorbehaltene Thema zu sein, das es zu sein scheint, seitdem der Markt auch in angestammt staatlichen Betreichen mehr oder minder alles regeln soll.

Immerhin geht es dabei um entscheidende Vorfragen dazu, was auf welche Weise produziert wird.

Weil sie nur sporadisch und verlegen gestellt werden, bleiben selbst die unmittelbar erfahrbaren Arbeitsbereiche so diffus, als Teil scheinbar offenliegender Zusammenhänge, eingebunden in scheinbare Mitbestimmung nach irgendwann ausgehandelten Regeln, in die scheinbare Argumentierbarkeit von Entscheidungen, von Ergebnissen, von Input-Output-Relationen, in die scheinbare Autonomie >geschützter< Beamter, in scheinbar geordnete Finanzierungswege etc. etc.

Soweit eine eher generelle Skizze zum Umfeld der Arbeit in bzw. mit Institutionen.
Die zugehörige These: Mit Kraftakten Einzelner, auch im künstlerischen Bereich, lassen sich Institutionen nicht nachhaltig umbauen. Von Zeit zu Zeit muß eine möglichst radikale Evaluierung der organisatorisch-strukturellen Bedingungen angesagt sein, sonst bleibt jedes gestalterische Bemühen Dekoration.

Zu meinem engeren Thema >künftige Museumsarbeit< einige Erinnerungspunkte:
- Auf Bundesebene fließen derzeit rd. 5 Mrd. S. außertourlich in diesen Sektor (hauptsächlich für Baumaßnahmen, die eine Hälfte für Renovierungen, die andere Hälfte für das Museumsquartier im Messepalast)
- mit der Teilrechtsfähigkeit ist die betriebliche Beweglichkeit etwas erhöht worden
- auch die Erneuerung der internen Strukturen wird nach Jahrzehnten verwalterischer Passivität in Angriff genommen.

Mit Einzelheiten zum enervierenden Hick-Hack um detailverwobene Beharrungsmechanismen möchte ich hier nicht fadisierend wirken; deshalb konzentriere ich mich auf die Betonung einiger Hauptpunkte, die schließlich - eher fragend - zu einem Szenario künftiger Museumsarbeit führen.

Strukturentwicklung in Museen muß u. a. bei Überlegungen zu den Grundaufgaben ansetzen, nämlich Sammeln, Bewahren, Erforschen, Vermitteln (wie es bei uns sogar gesetzlich festgeschrieben ist).

Daß keine dieser angeblich unbestrittenen Aufgaben auch nur hinreichend erfüllt wird, demaskiert die Beliebigkeit solcher Maximalansprüche. Dieter Bogner hat diese unreflektierte Museumsdefinition, ganz in meinem Sinn, als >obsolet< bezeichnet, weil die damit verbundenen Gewichtungen einfach nicht stimmen. Wörtlich genommen würden, bei offensiver Auslegung solcher Anforderungen, Museumsmonster entstehen. In der hiesigen Realität stehen ihnen - in augenfälliger Polarität - immer noch eher ärmliche, Überforderung mit Passivität und Einzelaktionen kaschierende Institutionen gegenüber, denen jahrzehntelang Eigeninitiative abgewöhnt worden ist.

Auf welche erfüllbare Aufgaben soll man sich also konzentrieren? Was müßte abgebaut werden? Wo ergeben Schwerpunktverlagerungen und neue Konzentrationen einen Sinn? Normal wäre, daß >neue< Inhalte von >alten< Strukturen aufgerieben werden. Wie aber lassen sich also auf der Basis veränderter Strukturen für Institutionen neue Inhalte entwickeln?

Zum Thema >Sammeln<

Für Sammlungsankäufe stehen allen österreichischen Bundesmuseen zusammen rd. 30 Mio. öS. jährlich zur Verfügung. Was dafür gekauft wird, was zusätzlich an Schenkungen hereinkommt, beschäftigt sonderbarer Weise auch eine interessierte Öffentlichkeit und die Medien kaum.

Das meiste davon verschwindet genauso, als ob es sich um Privatsammlungen handeln würde. De facto hat eine >Privatisierung< der staatlichen Sammlungen längst stattgefunden. Sie >gehören< gleichsam den zuständigen Kustoden. Das hat einige positive, genauso aber zahllose verfestigende, abwehrende Komponenten.

Wie sehr administrative >Strukturen<, also Regelungen, das Geschehen bestimmen, zeigt sich daran, daß in einem von mir analysierten Wiener Museum 80 % der Ankäufe unterhalb des Limits, ab dem ministerielle Genehmigungen einzuholen sind, stattfinden (jetzt 50.000.- früher 30.000.- öS.). Man kauft also lieber kleinteilig um nicht ansuchen zu müssen, selbst wenn es fast nie Ablehnungen von oben gibt. Vorfragen jeder Sammlungspolitik sind also die Arbeitsstruktur, die Entscheidungsabläufe, die Budgetkompetenzen.

Bei der Sammlungspolitik - wo wird sie eigentlich markant greifbar? - dreht sich alles - vorerst durchaus zu Recht - um Objekte. Daß die Gewichtung zwischen Objekten und Informationen ein überdenkenswertes Strukturelement bilden sollte, hat trotz angeblicher >Informationsgesellschaft<, trotz aller Betonung des >Immateriellen< kaum einen Stellenwert. Archivfunktionen sind eher Nebenaufgaben. Das Museum, als Ort gespeicherten Wissens, ist eine Fiktion. Der Künstler mit seinem Werkzusammenhang verschwindet hinter Objektanhäufungen, hinter Themenkonzepten, hinter einem Name-Dropping, von dem das Museumsverhalten uniformiert wird.

Zum Thema >Erforschen, Bewahren, Vermitteln<

Wie es um die Wissenschaft in Museen bestellt ist, möchte ich hier nur sehr vorsichtig fragen. In Wahrheit ist auch sie gewissermaßen >privatisiert<, findet noch am ehesten in der Freizeit statt. Der Alltag ist Verwaltung. Auch die Kontakte zu Universitäten oder Kunsthochschulen laufen eher über >private< Kontakte. >Öffentlichkeit< dafür gibt es nur punktuell.

Von den Arbeitssituationen ausgehend müßten Strukturentwicklungen also dezidiert bei den Berufsbildern von Kustoden, von Kunsthistorikern, von Wissenschaftlern ansetzen; inkl. der Ausbildungswege, der Mobilität, inkl. mehrdimensionaler, bereichsübergreifender Berufschancen, inkl. Aufwertung theoretisch-wissenschaftlichen Arbeitens.

Daß in den mir intern genauer bekannten Museen ein auffallend schlechtes Betriebsklima herrscht, führe ich primär auf die Unhaltbarkeit überkommener Anforderungen, Arbeitsweisen und Entscheidungsvorgänge zurück und auf unreflektierte Diskrepanzen zwischen Berufsvorstellungen und tatsächlichen Möglichkeiten. Ansonsten hätte es längst schon einen massiven Reformschub geben müssen.

Die ständestaatlichen Aspekte prolongieren sich in ungebrochener Enge. Währenddessen übernehmen Leute mit sozusagen unwissenschaftlichen Biographien das Geschehen; Künstler als Ausstellungsgestalter, Ausstellungsmacher und Museumsleiter verschiedensten Backgrounds. Als deprimierende Zukunft droht anscheinend die Herrschaft von Kulturmanagern. Seitens der angestammten Fachsparten sind die Reaktionen darauf erstaunlich hilflos geblieben.

Spezielle Desasterbereiche sind alle sogenannten betrieblichen Agenden, also das was man unter >normaler< Funktionsfähigkeit verstehen könnte. Z. B. die Inventarisierung, die Informationsaufarbeitung insgesamt, denn wenn es schlicht nicht um Hunderttausende künstlerisch-musealer Objekte gehen würde, sondern etwa um Münzen oder gar Goldbarren, wären die jahrzehntelangen Fahrlässigkeiten dabei nie toleriert worden. Ein anderes Beispiel: Die Restaurierung (oder ist bekannt geworden, daß daraus Kapital geschlagen, daß Bedrohtes unter Einsatz leistungsfähiger Werkstätten den Sammlungen zugeführt wird, daß Bestände und Neuzugänge systematisch in optimale Zustände gebracht werden?).

Anzumerken ist wohl auch, daß es beim >Bewahren< darauf ankommt, wer es mit Engagement gut macht; der Vergleich zu Privaten durfte für staatliche Museen nicht sehr erfreulich ausfallen. Im übrigen ist auch die Leistungsfähigkeit hiesiger Bibliotheken, als sammelnde Einrichtungen, radikal in Frage zu stellen, besonders was Angebot, Aktualität, Zugänglichkeit, internationale Vernetzung betrifft. Ihre Rückständigkeit geht derzeit noch in Debatten um attraktivere Museen völlig unter.

Wie antiquiert der staatliche Umgang mit seinen Antiquitäten immer schon gewesen ist, belegt etwa die vor über 100 Jahren publizierte >Vertrauliche Denkschrift über die Lage am K.K. österreichischen Museum für Kunst und Industrie< (1885). In ihr hat der schließlich als unliebsamer Kritiker und Aktivist entlassene Ministerialbeamte Armand Freiherr von Dumreicher Feststellungen von zeitloser Deutlichkeit getroffen, die die angeblich so guten alten Museumszeiten wie heutige Zustände erscheinen lassen. Zitat: >Die Sammlungstätigkeit erfolge systemlos, die Aufstellung der Objekte erfolge konfus, auch sei es überhaupt nie zu einer sorgfältigen Sichtung der Sammlungsbestände gekommen, die etwa das Wertvolle vom weniger Qualitätvollen geschieden hätte. Es gebe keinen wissenschaftlichen Katalog der dauernd ausgestellten Bestände, was das Studium der Sammlungen sowohl durch das Publikum als auch durch die Schüler der Kunstgewerbeschule erschwere, ja sogar unmöglich mache. Sogar der Zettelkatalog (das heißt das Inventar) sei lückenhaft, und da auf vielen Objekten die Inventarnummer fehle, sei es nun überhaupt nicht mehr möglich, bestimmte Stücke zuverlässig zu identifizieren ...<.

D. h. der >Skandal< als allseits akzeptierter Normalzustand, die Frage nach Strukturentwicklungen als Beschäftigungstherapie, die Überforderung jeder Neuorientierung durch uferlose, ererbte Probleme.

Einige zusammenfassende Thesen
(als stichwortartige Auszüge aus umfangreicheren konzeptionellen Arbeiten)

- Auf eine sehr lakonische Formel gebracht, sehe ich das Museum als leistungsfähige Kopfstelle für interessante Projekte; solid betreute Sammlungen sind die Basis dafür.

- Neu zu überlegen sind die Funktionen eines Museums
- als öffentliche Institution
- als Betrieb
- als Zentrum eines Kooperationsnetzwerkes (mit entsprechenden Impulsen für die Szenerie freischaffend-geistigen Arbeitens und diversester Zulieferungen).

- Überdies wäre es auch nicht so falsch, die zwei grassierenden konträren >Denkschulen< auch im Detail von Tabuisierungen zu befreien:

Die eine, die >klassische<, empfindet die angebliche Entökonomisierung als befreiend, denn das Odium des Warencharakters kann sich so verflüchtigen. Das Bild vom >romantischen< Sammler und Liebhaber, der sich nie von etwas trennen würde, dem Preisentwicklungen völlig egal sind, weil es ihm um das Objekt, um das Kunstwerk geht, läßt sich aufrechterhalten und möglicherweise auf den Besucher übertragen. Nachteil dabei ist, daß in einer durchökonomisierten Welt so weder die Pflege und Bewahrung solcher Werte, noch deren Zuwächse und Ergänzungen als Investitionen bzw. Betriebskosten zur Vermögenssicherung und Wertsteigerung eine Verankerung finden. Vieles bleibt nebulos ideell.

Eine zweite, sich in letzter Zeit verstärkt bemerkbar machende Denkschule setzt genau da an und postuliert, daß erst die Akzeptierung des Warencharakters aller dieser Dinge, und insbesonders von Kunst, Prozesse bestärkt, die ein entsprechendes Interesse auf sie ziehen und damit für Ankäufe, Bearbeitung, Publikationen, Ausstellungen die adäquaten >Betriebsmittel< logisch machen würde. In letzter Konsequenz führt dies zu Museen, die wie Unternehmen, die >Kulturgüter< zu ihrem Gegenstand machen, bilanzieren, die ihren Vermögensstand also regelmäßig bewerten und die durch Käufe und Verkäufe diesbezüglich einen Handlungsspielraum und eine >Kontrollinstanz< - den Markt eben - haben.

Auch wenn letzteres für ein Museum momentan unrealistisch erscheint, zeigt es doch die Problematik, wie passiv - trotz aller neuen Ansätze - staatlicherseits mit dem enormen Vermögen der Museumsbestände umgegangen wird und auf wie wenig budgetäres Interesse diese Werte und die Bedingungen für Wertsteigerungen (Aufarbeitung, Restaurierung, Publikationen, Ausstellungen, Handel) stoßen. Abbild all dessen ist der weiterhin aristokratisch-privat-schlampige Umgang mit diesen Besitztümern (vor dem Hintergrund eines Vermögens, dessen Wert man gar nicht genau zu kennen braucht). Seine >bürgerliche< (kaufmännische) Variante wäre die penible Kontoführung, die jährliche Bilanzierung, ein Interesse an Kurssteigerungen, die Spekulation, das Arbeitenlassen von eingesetztem Kapital. Liebhaberei kann in beiden Fällen dazutreten; vom Staat wird sie - über die Steuergesetze - normalerweise diskreditiert.

So oder so: Bezüglich neuer Arbeitsstrukturen könnten folgende Prioritäten die Diskussion um Gewichtungen bestimmen:
-Sammlungen/sprich: Objekte
-Archivfunktionen/also Aufwertung von Informationssammlungen
-Ausstellungen/Veranstaltungen
-Trennung von Daueraufgaben und Projekten; Projekte nicht als >Nebenaufgabe<, sondern als eigentlich-dynamische Elemente, für die entsprechende Service- und Unterstützungsfunktionen vorzusehen sind (gleichermaßen für Ausstellungsprojekte, Forschungsvorhaben, Reorganisationsmaßnahmen etc.)
Daraus ergibt sich ein plausibler Raster für die Neuordnung von Inhalts- und Arbeitszusammenhängen.
Es ergeben sich aus dieser Betonung einer >Projektorientierung< aber auch markante Parallelen und Brücken zur von anderen Referenten betonten Abwendung von nicht mehr haltbaren Auffassungen von >Linearität< der (geschichtlichen) Abläufe. Es gehört also auch das grassierende >lineare< Vor-sich-hin-Arbeiten radikal in Frage gestellt, auf das notwendige Erledigen von >Daueraufgaben< reduziert.

Museen mit stärkerer betrieblicher Autonomie brauchen - wenn sie ernst genommen wird - neue Arbeitsstrukturen, neue Personalsysteme, neue Budgetabläufe, neue Entscheidungsstrukturen - mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Berufsbilder, nicht nur der Kustoden. >Management< ist dabei kein Modell für mich, soferne damit nicht eine sensitiv-professionelle Prozeßsteuerung im Rahmen neu-überdachter Verantwortlichkeiten gemeint ist, logischerweise inklusive der notwendigen Durchsetzungstalente.

Generell und inhaltlich unmittelbar wirksam stehen für mich projektorientierte Arbeitsweisen im Zentrum, zur Überwindung der internen Abkapselungen, d.h. z. B. auch projektorientiertes Sammeln (weg von der Konzentration auf einzelne Gelegenheiten), also etwa umfassende Dokumentationen zu einem Künstler, zu Themen; frühzeitige Bemühungen um Nachlässe, um Dokumente, um Modelle, Prototypen, Vergängliches, um die Dokumentation unrealisierter Projekte.

Die Strukturen gehören also in eine Richtung verändert, die den bisher prototypischen Museumsbeamten, den Kustoden, von seinem Dasein als passiver Sammlungsverwalter befreien, ihn zum wissenschaftlichen Experten mit bestimmten Fachschwerpunkten machen, der sich auf forschende Projektarbeiten konzentrieren, der im Rahmen übergreifender Konzepte wieder seine ureigendsten Intentionen einbringen kann.

Kontext dafür ist die Fragestellung: Was kann und müßte ein staatliches Museum, also eine öffentliche Instanz, anders, besser, profilierter, gründlicher ... machen, als eine in keine vergleichbaren Verpflichtungen eingebundene Einrichtung?

Weniger dramatisch formuliert, auch wenn es simpel klingt: Aktiv werden, wo andere vergleichbare Einrichtungen nicht aktiv werden. / Bestehende Stärken entweder ausbauen oder als nicht mehr kleinweise verbesserbar akzeptieren / Periodische Neuinterpretation der Stärken und Schwächen / Bestehende Schwächen gezielt eliminieren bzw. gebietsweise ausdrücklich in Kauf nehmen / Bereiche ausdrücklich als abgeschlossen erklären / Interessensgebiete definieren / zeitlich befristete Sammlungsschwerpunkte / etc.

Priorität für ein Sammeln wichtiger Objekte und Dokumente, die (noch) keinen Markt haben, die sonst verloren gehen würden, die noch bearbeitet werden müssen; um die sich sonst kaum wer kümmert

Politik für die Relation Ausgestelltes/Depotbestände: z. B. Sekundär- und Tertiärsammlungen, rascherer Wechsel des Ausgestellten, Durchforstung, Reduktion, Dauerleihgaben, Tausch, Verkauf (von letzteren passiert einiges ohnedies, wenn auch tabuisiert)

Das Museum als >Knotenpunkt< innerhalb von Strukturen, die Kontinuitäten bei künstlerisch/gestalterischen Leistungen bestärken sollen; durch Gegenwartsbezüge, als Veranstalter, als Sammler von Objekten und Informationen, als Auftraggeber, als Herausgeber von Publikationen etc. - Stichworte: Auftragskultur, Projektkultur, Aktivierung und Professionalisierung des Umfeldes (bis hin zu Druckereien, Lichttechnik, Verlagen, Grafik)

Gerade im Projektbereich müßte die angebahnte Öffnung durch Professionalisierung der Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern, mit Künstlern, der Kooperation mit sozusagen >ungewöhnlichen< Partnern neue Stabilitäten schaffen. Der Dilletantismus dabei ist ja fast schon sprichwörtlich (und bindet anderwärtig nutzbare Energien).

Ausformulierte Papiere über die eigene Museumspolitik braucht wahrscheinlich kein Haus; weil das Fließende, Prozeßhafte, Offene Phantasievolle sich im Idealfall in Projekten ohnehin deutlich ausdrückt - soferne formal, inhaltlich und programmatisch Linien, die ein Haus prägen, erkennbar werden. Träger dessen können nur Personen sein, die man arbeiten läßt. - Läßt man sie ??

Der Kontext dazu ist die alte Frage, inwieweit veränderte Strukturen veränderte Inhalte provozieren. Daß sie reziprok genauso gilt, also über Inhalte Strukturen angepaßt werden, ist für mich der fraglichere Teil dieses >Wo setze ich an<-Spieles.

Nachsatz: Knappe Budgets sind geringere Hindernisse als unerträgliche Arbeitsstrukturen und Bürokratismen.

Damit ich nicht zu pragmatisch schließe möchte ich bezüglich einer musealisierten >Zukunft des Erinnerns< nicht fürstliche Kuriositätenkabinette (die wieder im Werden sind) oder glatte Dienstleistungsmuseen (die sich Kulturmanager als Hoffnungsgebiet wünschen) als resümierende Metapher benutzen, sondern die eigenen Erinnerungen an ziemlich schlichte Einblicke in Sammlungsgewohnheiten, in Sammlungsleidenschaften. Sie waren verbunden mit ängstlich-faszinierten Forschungsreisen in bestimmte, nicht allgemein zugängliche Räume, auf Dachböden, in Keller, in Winkel unter irgendwelchen Stiegen, wo sich alles mögliche angesammelt hatte, mit dem man etwas anfangen konnte.

In diesem Sinne halte ich das sozusagen klassische Museum, das sich nicht generellen Modernisierungstrends unterwirft, in dem aber die Aktivisten endlich animierende Arbeitsmöglichkeiten vorfinden und auch der >Schmetterlingsforscher< nicht dauernd seine Intentionen verteidigen muß, für das eigentliche >Szenario künftiger Museums-arbeit<. Nur: Radikale Reformen - mit tausenden Details - sind selbst bei dieser genügsam-konservativen Intention einfach notwendig.

Zusammengefaßt geht es also um die Frage, welche Formen von Statik und Dynamik (in meiner Sprache: von Strukturen und Projekten) welche Inhalte provozieren.

 

 
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© Christian Reder 1993/2001