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Falter Verlag
   

Man debattiert wieder...

Falter, Wien, Nr. 26/1985

...über Hochschulen und Hochschulpolitik. In einem eben im Falter Verlag erschienenen Buch ist nun ein Konzept vorgelegt worden. Am Beispiel der Hochschule für angewandte Kunst.

 

 

19. Dezember: Präsentation der im Falter-Verlag erschienene Studie "Neuorientierung von Kunsthochschulen" (Autoren: Oswald Oberhuber, Manfred Wagner, Gernot Figlhuber, Friedrich Kadroska, Christian Reder; Vorwort: Bundesminister Heinz Fischer; 411 Seiten, 60 Tabellen und Darstellungen, 45 Fotos, öS. 380.-) vor einem vorweihnachtlichen Publikum. Der Schauplatz: Die Hochschule für angewandte Kunst in Wien, von der die Initiative zur Erarbeitung dieser Konzeption ausgegangen ist.

Nicht nur, weil die Zustände auf akademischem Boden wiedereinmal Wutausbrüche provoziert haben - Arnulf Rainer: "lch biete an, mehrere Jahre oder ganz, auf Professur und Gehalt zu verzichten, wenn dafür andere Künstler als Gastprofessoren, egal wie, auch als Jobsharing, an die Akademie kommen." Christian Attersee: "Eine dritte Akademie, eine Akademie der Jetztzeit (...) zu gründen, halte ich längst schon für sinnvoll." (Umriß 3+4/85) - könnten es diese längerfristigen Überlegungen schaffen, im logischerweise kontroversiellen, meist aber von bloßen Verteidigungsintrigen angewärmten Klima zu bestehen. Daß in Permanenz Chancen vertan werden, die Wirkung des künstlerischen Potentials zu erhöhen, läßt sich ja nicht auf Fragen der Besetzungspolitik reduzieren. Aus der Enge gegenwärtiger Verhältnisse kann nur über neue Organisationsformen herausgefunden werden und diese Intention war für die Arbeitsgruppe "Neuorientierung" von vorneherein bestimmend - auch für mich, als für das Kapitel "Organisationsmodeli" verantwortlichem Mitautor, der deshalb hier knapp berichten, nicht aber Beurteilungen fortführen will.

Was in Gründerzeiten alles möglich ist (und wieder sein könnte), läßt sich in Archiven ausforschen. 1862 z.B. - Johann Nestroy war gerade gestorben - kam eine Wiener Delegation von der Londoner Weltausstellung zurück und beschloß, es den damals sehr initiativen Engländern gleichzutun; schon zwei Jahre darauf wurde das Österreichische Museum für Kunst und Industrie und wenig später eine ihm angeschlossene Kunstgewerbeschule (die Vorläuferin der heutigen Hochschule für angewandte Kunst) gegründet. Wie weitreichend der Erfolg diesen, auch beim Ausbau sehr zügig unterstützten Vorgehens war, ist im Beitrag Manfred Wagners nachzulesen.

Oswald Oberhuber, seit sechs Jahren Rektor, hat die Vorstellung eines analogen - wenn auch über völlig. andere Maßnahmen zu erzielenden - Entwicklungsschubs. Isolierung von Kunst und angewandter Kunst ist seine Sache nicht. Die organisatorische, räumliche und kommunikative Beengtheit jetziger Kunsthochschulen müßte aufgesprengt werden. Erst die Arbeit in offen zugänglichen Atelierhallen, technisch entsprechend ausgestatteten Studios und Werkstätten und ein permanent wechselndes Informations- und Animationsangebot würde zu einer durchgehenden, ringsum spürbar werdenden Belebung führen. "Kunst ist nicht erlernbar" sagt er in seinem programmatischen Einleitungssatz, "denn der Inhalt Kunst ist in jedem vorhanden, er muß nur geweckt werden". Neben dem ideellen Grundzug künstlerischen Denkens geht es ihm ausdrücklich auch um Materie, um "die Einbringung wirtschaftlichen Denkens, das die Kunst nicht ausschließen kann". Die banausische Spirale von der Bekämpfung und Abschiebung hin zu vordergründiger Integration künstlerischer Arbeit müsse durch offensivere Strategien öfter durchbrechen werden, und zwar insbesonders durch die "Aktivierung der interdisziplinären Zusammenarbeit und ungenutzter Kooperationsmöglichkeiten" im Rahmen neu strukturierter, ausdrücklich auf die "selbstbewußte Mitgestaltung zeitgenössischer Kultur" ausgerichteter Kunsthochschulen. Die Domus-Akademie in Mailand nimmt (wie Friedrich Kadrnoskas Marktanalysen zu entnehmen ist) in diesem Sinn auch unbekümmert beträchtliche EWG-Mittel, um "weit in die Zukunft projizierte Untersuchungen" finanzieren zu können. Auf einen Widerstandsgeist wird dennoch gepocht. Akademieleiter Andrea Branzi führt (im Falter 24/85) etwa den Erfolg des italienischen Designs ("Mit dem zum ersten Mal eine nationale Kultur modern geworden ist"), vor allem darauf zurück, daß "die oppositionelle Kultur das kulturelle Gleichgewicht des Landes zu verschieben suchte".

In der Wiener Sysyphos-Situation hingegen werden gerade Talente meistens hart geprüft. Oberhuber glaubt, ihnen mit "neuen" Kunsthochschulen das Leben erleichtern zu können: Abbau der Verbeamtung, Professuren auf Zeit, Internationalisierung, aktuelles, vielfältiges Informationsangebot, Aufwertung und Ausbau der Werkstätten, Basisjahr statt Aufnahmsprüfung, neues Funktions- und Gehaltsscherna, fünfköpfiges Direktorium (für maximal zwei Fünfjahresperioden), Aktivierung der Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen, Initiativen für die Arbeitsplatzbeschaffung in gestalterischen Bereichen, verstärkte Übernahme von Forschungsaufträgen usw. usw.

Zu meinem "Entwurf einer projektorientierten Organisation" nur einige weitere Stichworte: Autonomiegead über Personl- und Budgethoheit absichern, Gesamtetat statt bürokratische Einbindung in die Kameralistik, Personal- und Sachkostentransparenz als Planungs- und Mitbestimmungsbasis. Projekte sollen nicht bloß nebengeordnete "Anhängsel", sondern die primäre Arbeitsform sein, auf deren Unterstützung die Betriebssysteme ausgerichtet sind (was, wie dargestellt, nicht bloß Einzelmaßnahmen, sondern eine gründliche Organisationsentwicklung erfordert). Mittels durchdachter Projektorientierung und damit ermöglichter Organisationsvielfalt - die von kompetenter Professionalität bis zu experimenteller "Unorganisiertheit" reichen muß - könnte nicht nur an Kunsthochschulen eine Verlebendigung der Arbeitsweise und ein Zurückdrängen von Demotivierungsursachen bewirkt werden. Mangel herrscht nicht so sehr an Stabilisierungsfaktoren als an Beweglichkeit. Wie weit sich letztere strukturell aktivieren läßt, ohne daß die Beliebigkeit vollständig die Macht übernimmt, dürfte eine Grundfrage dafür sein, was im Umkreis von Kunsthochschulen künftig alles "zusarnmengebracht" wird.

 

 
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© Christian Reder 1985/2001