19. Dezember: Präsentation der im Falter-Verlag erschienene
Studie "Neuorientierung von Kunsthochschulen" (Autoren: Oswald
Oberhuber, Manfred Wagner, Gernot Figlhuber, Friedrich Kadroska,
Christian Reder; Vorwort: Bundesminister Heinz Fischer; 411
Seiten, 60 Tabellen und Darstellungen, 45 Fotos, öS. 380.-)
vor einem vorweihnachtlichen Publikum. Der Schauplatz: Die
Hochschule für angewandte Kunst in Wien, von der die Initiative
zur Erarbeitung dieser Konzeption ausgegangen ist.
Nicht nur, weil die Zustände auf akademischem Boden wiedereinmal
Wutausbrüche provoziert haben - Arnulf Rainer: "lch biete
an, mehrere Jahre oder ganz, auf Professur und Gehalt zu verzichten,
wenn dafür andere Künstler als Gastprofessoren, egal wie,
auch als Jobsharing, an die Akademie kommen." Christian Attersee:
"Eine dritte Akademie, eine Akademie der Jetztzeit (...) zu
gründen, halte ich längst schon für sinnvoll." (Umriß 3+4/85)
- könnten es diese längerfristigen Überlegungen schaffen,
im logischerweise kontroversiellen, meist aber von bloßen
Verteidigungsintrigen angewärmten Klima zu bestehen. Daß in
Permanenz Chancen vertan werden, die Wirkung des künstlerischen
Potentials zu erhöhen, läßt sich ja nicht auf Fragen der Besetzungspolitik
reduzieren. Aus der Enge gegenwärtiger Verhältnisse kann nur
über neue Organisationsformen herausgefunden werden und diese
Intention war für die Arbeitsgruppe "Neuorientierung" von
vorneherein bestimmend - auch für mich, als für das Kapitel
"Organisationsmodeli" verantwortlichem Mitautor, der deshalb
hier knapp berichten, nicht aber Beurteilungen fortführen
will.
Was in Gründerzeiten alles möglich ist (und wieder sein könnte),
läßt sich in Archiven ausforschen. 1862 z.B. - Johann Nestroy
war gerade gestorben - kam eine Wiener Delegation von der
Londoner Weltausstellung zurück und beschloß, es den damals
sehr initiativen Engländern gleichzutun; schon zwei Jahre
darauf wurde das Österreichische Museum für Kunst und Industrie
und wenig später eine ihm angeschlossene Kunstgewerbeschule
(die Vorläuferin der heutigen Hochschule für angewandte Kunst)
gegründet. Wie weitreichend der Erfolg diesen, auch beim Ausbau
sehr zügig unterstützten Vorgehens war, ist im Beitrag Manfred
Wagners nachzulesen.
Oswald Oberhuber, seit sechs Jahren Rektor, hat die Vorstellung
eines analogen - wenn auch über völlig. andere Maßnahmen zu
erzielenden - Entwicklungsschubs. Isolierung von Kunst und
angewandter Kunst ist seine Sache nicht. Die organisatorische,
räumliche und kommunikative Beengtheit jetziger Kunsthochschulen
müßte aufgesprengt werden. Erst die Arbeit in offen zugänglichen
Atelierhallen, technisch entsprechend ausgestatteten Studios
und Werkstätten und ein permanent wechselndes Informations-
und Animationsangebot würde zu einer durchgehenden, ringsum
spürbar werdenden Belebung führen. "Kunst ist nicht erlernbar"
sagt er in seinem programmatischen Einleitungssatz, "denn
der Inhalt Kunst ist in jedem vorhanden, er muß nur geweckt
werden". Neben dem ideellen Grundzug künstlerischen Denkens
geht es ihm ausdrücklich auch um Materie, um "die Einbringung
wirtschaftlichen Denkens, das die Kunst nicht ausschließen
kann". Die banausische Spirale von der Bekämpfung und Abschiebung
hin zu vordergründiger Integration künstlerischer Arbeit müsse
durch offensivere Strategien öfter durchbrechen werden, und
zwar insbesonders durch die "Aktivierung der interdisziplinären
Zusammenarbeit und ungenutzter Kooperationsmöglichkeiten"
im Rahmen neu strukturierter, ausdrücklich auf die "selbstbewußte
Mitgestaltung zeitgenössischer Kultur" ausgerichteter Kunsthochschulen.
Die Domus-Akademie in Mailand nimmt (wie Friedrich Kadrnoskas
Marktanalysen zu entnehmen ist) in diesem Sinn auch unbekümmert
beträchtliche EWG-Mittel, um "weit in die Zukunft projizierte
Untersuchungen" finanzieren zu können. Auf einen Widerstandsgeist
wird dennoch gepocht. Akademieleiter Andrea Branzi führt (im
Falter 24/85) etwa den Erfolg des italienischen Designs ("Mit
dem zum ersten Mal eine nationale Kultur modern geworden ist"),
vor allem darauf zurück, daß "die oppositionelle Kultur das
kulturelle Gleichgewicht des Landes zu verschieben suchte".
In der Wiener Sysyphos-Situation hingegen werden gerade
Talente meistens hart geprüft. Oberhuber glaubt, ihnen mit
"neuen" Kunsthochschulen das Leben erleichtern zu können:
Abbau der Verbeamtung, Professuren auf Zeit, Internationalisierung,
aktuelles, vielfältiges Informationsangebot, Aufwertung und
Ausbau der Werkstätten, Basisjahr statt Aufnahmsprüfung, neues
Funktions- und Gehaltsscherna, fünfköpfiges Direktorium (für
maximal zwei Fünfjahresperioden), Aktivierung der Kooperation
mit Wirtschaftsunternehmen, Initiativen für die Arbeitsplatzbeschaffung
in gestalterischen Bereichen, verstärkte Übernahme von Forschungsaufträgen
usw. usw.
Zu meinem "Entwurf einer projektorientierten Organisation"
nur einige weitere Stichworte: Autonomiegead über Personl-
und Budgethoheit absichern, Gesamtetat statt bürokratische
Einbindung in die Kameralistik, Personal- und Sachkostentransparenz
als Planungs- und Mitbestimmungsbasis. Projekte sollen nicht
bloß nebengeordnete "Anhängsel", sondern die primäre Arbeitsform
sein, auf deren Unterstützung die Betriebssysteme ausgerichtet
sind (was, wie dargestellt, nicht bloß Einzelmaßnahmen, sondern
eine gründliche Organisationsentwicklung erfordert). Mittels
durchdachter Projektorientierung und damit ermöglichter Organisationsvielfalt
- die von kompetenter Professionalität bis zu experimenteller
"Unorganisiertheit" reichen muß - könnte nicht nur an Kunsthochschulen
eine Verlebendigung der Arbeitsweise und ein Zurückdrängen
von Demotivierungsursachen bewirkt werden. Mangel herrscht
nicht so sehr an Stabilisierungsfaktoren als an Beweglichkeit.
Wie weit sich letztere strukturell aktivieren läßt, ohne daß
die Beliebigkeit vollständig die Macht übernimmt, dürfte eine
Grundfrage dafür sein, was im Umkreis von Kunsthochschulen
künftig alles "zusarnmengebracht" wird.
|
|