Eine Reform von Innen erscheint für österreichische
Verhältnisse eher ungewöhnlich. Bedeutet dieses
Vorhaben gleichzeitig Kritik an den herrschenden Zuständen
an der Hochschule für angewandte Kunst?
Oberhuber: Man kann dies auch ein wenig anders sehen. Die
heutigen Probleme sind allgemeiner Natur und beschränken
sich selbstverständlich nicht auf unsere Schule.
Die Verantwortung dafür liegt meiner Meinung nach nicht
ausschließlich beim Gesetzgeber, sondern sowohl Universitäten
als auch Kunsthochschulen haben die Pflicht, zeitbezogen zu
denken und sind zumindest mitschuldig, wenn gravierende Probleme,
wie dies heute der Fall ist, auftreten. Eine Neuinterpretation,
eine Neuorganisation ist in gewissen Zeitabständen immer
erforderlich. Auch die Entwicklung im Kunstbereich ist davon
nicht ausgenommen. Im wesentlichen haben wir zwei sogenannte
Wellen hinter uns: die alte, akademische Form des Kunststudiums
und danach - wie ich es nenne - die Humanisierung der Kunst,
also die Konfrontation mit zusätzlichen Produktionsbereichen
über die klassischen Disziplinen hinaus, in einer angewandten
Art. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es unerläßlich,
sich mit einer dritten Phase, einer Neudefinition des Studiums,
auseinanderzusetzen.
Stehen bei Ihren Überlegungen inhaltliche Probleme
im Vordergrund oder gehen Sie davon aus, daß die vorhandene
Struktur den heutigen Anforderungen und Aufgaben in keiner
Weise mehr entspricht?
Oberhuber: Sowohl als auch.
Ein sinnvolles Kunststudium muß neben der Abdeckung
der manuellen Ausbildung vor allem einen starken Akzent auf
die geistige Auseinandersetzung legen.
Hat also das relativ junge Universitätsorganisationsgesetz
nicht jene Voraussetzungen geschaffen, um eine solche wie
von Ihnen skizzierte Neuorientierung zu ermöglichen?
Oberhuber: Nein. Natürlich nicht.
Wenn Sie zum Beispiel die Musikausbildung und die bildende
Kunst vergleichen, dann werden Sie verstehen, was ich meine.
Die Ausbildung von Musikern hat primär sehr viel mit
dem Handwerk, also mit dem Beherrschen eines Instrumentes
zu tun, Komposition wird ohnehin weniger berücksichtigt.
In der bildenden Kunst geht es neben diversen anderen Aspekten
vor allem um die schöpferische und geistige Dimension.
Somit kann dieses Gesetz für keine der beiden Disziplinen
stimmen.
Ihr Reformanspruch erscheint nun in Form einer Publikation,
die auch die Öffentlichkeit erreichen wird. Welches
Ziel verbinden Sie damit?
Oberhuber: Unsere Überlegungen beschränken sich
nicht ausschließlich auf die Hochschule für angewandte
Kunst, sondern haben durchaus auch für andere Hochschulen
und Universitäten Gültigkeit.
Daß sich insgesamt das Modell der Universität verändern
muß, daran glaube ich fest, und das kommt auch in unserer
Studie deutlich zu. Ausdruck.
Was sind nun Ihre Intentionen und Vorstellungen konkret
bezogen auf Ihre Hochschule?
Reder: Ein wesentliches Problem, auf das ich im Zuge meiner
internen Strukturanalyse gestoßen bin, sind die zunehmenden
Bürokratisierungstendenzen, die Aufsplitterung in einzelne
Fachbereiche ohne interne und externe Kooperation, das unausgeschöpfte
Potential auf dem gesamten Sektor interdisziplinärer
Zusammenarbeit. Davon ausgehend habe ich ein Modell entwickelt,
das ich projektorientierte Organisation nenne. Mehr Flexibilität
und das schnellere Reagieren auf neue Gegebenheiten, somit
eine deutliche Verlebendigung des Lehrangebotes, sind auch
die Anliegen der Mitautoren wie Oberhuber, Wagner und Figlhuber.
Ein weiterer Punkt ist die - als Gegengewicht zu offensiver
Vielfalt und Beweglichkeit notwendige - Stabilisierung der
Struktur, die mit einer neuen Direktoratsverfassung erreicht
werden soll. Diese Direktoratsverfassung sieht im wesentlichen
vor, daß anstelle des breiten Gesamtkollegiums einerseits
und dem Rektor andererseits ein fünfköpfiges Direktorium,
zusammengesetzt aus den einzelnen Fachbereichen, tritt.
Heute hat in vielen Belangen das zuständige Ministerium
ein entscheidendes Mitspracherecht. Welche Rolle spielt
nun das Ministerium in Ihren Überlegungen?
Oberhuber: Die heutige Stellung des Ministeriums ist in gewisser
Hinsicht ein Unglück.
Eigentlich sollte das Ministerium ein Beschaffungsamt ohne
Behinderung sein. Gegen Kontrollfunktionen und andere Hilfestellungen
ist nichts zu sagen. Heute tritt jedoch das Ministerium in
vielen Fällen als Verhinderungsapparat auf, und ermöglicht
kaum einen Entscheidungsfreiraum.
Vielleicht können Sie einige Beispiele bringen?
Oberhuber: Jeder Einkauf über 20. 000 Schilling setzt
ein Ansuchen beim Ministerium voraus. Damit kommt es immer
wieder vor, daß wir auf dringend erforderliche Lehrmittel
monatelang warten müssen, Ähnlich verhält es
sich bei der Berufung von Gastprofessoren. Gegen eine nachträgliche
Kontrolle habe ich absolut nichts einzuwenden, wenn aber die
Kontrolle schon vorher eintritt, erschwert dies jegliche Art
von Initiative ungemein.
Das heißt Forderung nach eigener Budgethoheit und
damit verstärkter Autonomie?
Oberhuber: Selbstverständlich.
Reder: Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß
dies alles mit politischer Absicht gepflegt wird. Dies scheint
mir auch der Grund dafür zu sein, daß Reformen
überhaupt ausbleiben. Diese Struktur ist genauso im gesamten
Bereich der öffentlichen Verwaltung zu finden. Unsere
Kritik richtet sich daher auch gegen den krassen Mangel an
Transparenz.
Eigentlich hat niemand hier an dieser Hochschule den Überblick.
In diesem verschlungenen Dickicht und der administrativen
Zentralisierung entstehen selbstverständlich Tendenzen,
die von Apathie bis zu Boykottmaßnahmen reichen, und
die kreativen Kräfte rasch lähmen.
Mit Ihren Reformabsichten wollen Sie offensichtlich gewachsene
und gefestigte Strukturen radikal aufbrechen.
Ist ein derartiger Anspruch in einer Atmosphäre wie
heute, wo kaum Entscheidungen getroffen werden, nicht Utopie?
Oberhuber: Gerade die überschaubare Struktur unserer
Hochschule könnte ein Modellfall sein.
Möglicherweise kann es uns gelingen, hier die Universität
des nächsten Jahrhunderts zu entwickeln.
Auch wenn wir großen Unwillen mit unseren Vorschlägen
hervorrufen und scharf kritisiert werden sollten, glaube ich,
daß der Versuch, derartiges in Angriff zu nehmen, schon
wichtig genug ist. Andererseits wäre es auch denkbar
zu sagen, die Schule bleibt so wie sie ist, und dieses neue
Modell, das uns vorschwebt, könnte abgesondert und ganz
woanders realisiert werden, ein neues Schulmodell in einem
neuen Gebäude.
Was ist nun Ihr konkretes Anliegen und die Stoßrichtung
Ihrer Publikation?
Reder: Unsere Vorstellungen haben sich - und das möchte
ich vorweg sagen - aus einem komplexen Analyseprozeß
heraus entwickeit. Ein mir wichtig erscheinender Punkt ist
zum Beispiel die Reform der internen Struktur.
Wenn man sich etwa vor Augen führt, daß ein Rektor
heute einen Stellvertreter und eineinhalb Sekretärinnen
zur Seite hat, so ist das für eine Organisation mit rund
tausend "Mitarbeitern" eine unglaublich schwache
Koordinierungsausrüstung. So fehlt auch jegliche zentrale
Unterstützungs- und Beratungsinstanz. Aus diesen Überlegungen
heraus, sind wir zu der neuen Direktoratsverfassung gekommen,
mit leistungsfähigen Zentralen Diensten, großen
Werkstätten, einer Projektagentur, usw.
Heute arbeitet dieses Haus ohne jegliche Unterstützung
im Sinne von Querverbindungen. Ein wichtiger Schritt war in
diesem Zusammenhang auch die neugeschaffene Lehrkanzel für
Kunst- und Wissenstransfer, deren Hauptaufgabe es ist, in
Theorie und Praxis eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
aufzubauen.
Was bringt Ihr neues Modell den Studenten?
Reder: Mehr Vielfalt und Beweglichkeit durch Profess auf
Zeit, durch Projektstudien, durch eine Öffnung nach außen,
durch verstärkte interne Kooperation. Außerdem
sieht unser Konzept die Abschaffung der Aufnahmeprüfung
in der heutigen Form vor. Statt dessen führen wir ein
sogenanntes Orientierungsjahr ein, denken also an ein striktes
Anti-Numerus-clausus-Konzept, da wir davon ausgehen, daß
sich bei einem solchen Prozeß ohnedies vieles von selbst
entscheidet.
Denken Sie dann an eine Aufnahmsprüfung nach diesem
"Orientierungsjahr"?
Oberhuber: Nein. Es gibt überhaupt keine Aufnahmsprüfung.
Vielmehr wollen wir erreichen, daß jeder Student sich
selbst ein umfassendes Bild machen kann, daß er selbst
entscheidet, was er und bei wem er in Hinkunft studieren wird.
Die Studenten haben somit die Möglichkeit, gleichzeitig
unter verschiedenen Angeboten zu wählen, was einer Niveausteigerung
gleichzusetzen ist. Eine solche Vorgangsweise entspricht vielmehr
unserem heutigen Denken, wo sich laufend vieles ändert.
Demgemäß muß es auch das Ziel sein, ein hohes
Maß an Flexibilität in der Ausbildung zu ermöglichen.
Wie auch immer muß die geistige Erziehung stärker
im Vordergrund stehen als bisher.
Für die manuelle Arbeit stelle ich mir Werkstätten
mit entsprechenden Dimensionen vor, also Hallen, damit ein
Student, wenn er wirklich besondere Ideen hat, diese tatsächlich
in allen Details realisieren kann.
Also Arbeitsmethoden, wie man sie auch in der Industrie
vorfindet?
Oberhuber: Ja natürlich, und auch alle Voraussetzungen
für das Handwerk.
Bei einer Reihe der von Ihnen geplanten Maßnahmen
werden Sie sich die Professoren zu Feinden machen. So entscheidet
heute ein Professor, nach welchen Kriterien auch immer,
wer bei ihm studieren darf ...
Oberhuber: ... wichtig ist, daß der Bewerber, also
der zukünftige Student, die Möglichkeit zur Mitentscheidung
hat.
Seit der Gründung von Kunsthochschulen hat man immer
nur von der großen Begabung gesprochen, die sofort erkennbar
ist.
Das ist natürlich ein Irrtum.
Ihre Reformbemühungen könnte man auch weniger
spektakulär als eine Adaptierung dieser Schule an die
heutigen Anforderungen unserer Gesellschaft und gleichzeitig
als eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Zielsetzung
und Aufgabe der Hochschule für angewandte Kunst sehen.
Oberhuber: Ja, so würde ich das auch formulieren ...
Reder: Wir gehen davon aus, daß eine Hochschule für
angewandte Kunst eine entscheidende Plattform für die
Mitgestaltung zeitgenössischer Kultur sein muß.
Dazu gehört auch der Abbau von Berührungsängsten
mit all dem, was man als Realität bezeichnen könnte,
und der Angst vor wirtschaftlichem Denken, die sich so leicht
zur Diskriminierung alles Künstlerischen ausnützen
läßt.
Das ist zweifellos ein Reizthema, um so mehr würde
uns Ihre Definition zum Verhältnis Kunst und Wirtschaft
interessieren.
Oberhuber: Darauf könnte ich antworten mit der Wiener
Werkstätte oder dem Österreichischen Werkbund. Es
gehört zur Tradition dieser Schule, die Wirtschaft zu
unterstützen. So war die Ausgangsbasis für die Vermarktung
der Produkte der Wiener Werkstätte die Schule. Allerdings
waren die Voraussetzungen damals anders. Es ging nicht um
Massenartikei, sondern um die Qualität im einzelnen.
Gerade in Österreich gibt es in der Geschichte der Produktkultur
viel Positives. Weniger positiv war vielleicht die Vermarktung,
und das auch heute noch.
Besteht nicht die Gefahr, daß die Schule Handlanger
der Wirtschaft wird?
Reder: Natürlich soll die Hochschule nicht eine umsatzorientierte
Gestaltungsfirma werden. Daher müssen bei jedem Projekt
entsprechende Überlegungen angestellt werden, um sich
einer blinden und kurzsichtigen Kommerzialisierung gar nicht
auszuliefern. Eine wichtige Position der Schule wäre,
daß es ihr gelingt, Kräfte zu aktivieren, natürlich
auch auf der Auftraggeberseite, gründlicher und manchmal
auch langfristiger zu arbeiten, also das Interesse an unkonventionellen
Forschungsaufträgen zu wecken. Wo findet sich denn sonst
noch ein derartiges Potential, wie gerade an dieser Hochschule?
In gewisser Hinsicht ist die Domus-Akademie in Mailand ein
gutes Beispiel dafür.
Sie bekennen sich also zu einer gegensätzlichen Vorgangsweise?
Reder: Ja. Wir sind uns des Widerspruchs zwischen reiner
Kunst und angewandter Kunst bewußt; er ist per Definition
nicht zu lösen, sollte aber ständig in uns wach
bleiben. Kooperationen sind letztlich nur wirkungsvoll, wenn
zum richtigen Zeitpunkt auch Widerstand geleistet wird, einem
also die Freiheit Nein zu sagen nicht abgekauft werden kann.
Ursprünglich wurde die Hochschule für angewandte
Kunst auf Initiative des gleichnamigen Museums gegründet.
Wie sehen Sie die heutige und zukünftige Position dieser
beiden Institutionen zueinander?
Oberhuber: Eine stärkere Verknüpfung wäre
unser Ziel. Es gäbe eine Fülle von Möglichkeiten,
eine ganze Reihe von Maßnahmen zu koordinieren, egal
ob es sich da bei um Ausstellungen oder um die Förderung
von Produktentwicklungen handelt.
Ich hatte immer die Vorstellung, daß der Leiter dieses
Museums enger an unsere Schule gebunden ist, und könnte
mir auch vorstellen, daß er eine bestimmte Lehrtätigkeit
bei uns ausübt.
Eine abschließende Frage: Was sind die persönlichen
Beweggründe des Oswald Oberhuber?
Oberhuber: Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich denke mit
und handle dementsprechend.
Außerdem ist es meine Aufgabe, als Rektor darauf zu
reagieren, was die Zeit von uns fordert und vorauszudenken.
Mehr ist es nicht.
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