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Buchbesprechung:
Neuorientierung von Kunsthochschulen

Umriss, Wien, Nr. 3+4 / 1985

Gespräch an der Hochschule für angewandte Kunst: "Reform von innen" zwischen Peter Noever (Umriss), Oswald Oberhuber und Christian Reder
An der eben erschienenen Publikation ist schon die Entstehungsgeschichte bemerkenswert: Eine Hochschule beschäftigt sich selbst mit ihren längerfristigen Perspektiven, das Ministerium zeigt Interesse durch die Vergabe eines Forschungsauftrages, externe Experten werden beigezogen, die Ergebnisse verschwinden schließlich nicht in Schubladen, sondern werde publiziert - und mit der Realisierung einzelner Vorschläge wurde bereits begonnen.
Im folgenden Gespräch mit Oswald Oberhuber, Rektor der Hochschule für angewandte Kunst (Initiator des Projektes), und Christian Reder (Vorstand der neugeschaffenen Lehrkanzel für Kunst- und Wissenstransfer) werden die Vorstellungen der Autorengruppe diskutiert.

 

 

Eine Reform von Innen erscheint für österreichische Verhältnisse eher ungewöhnlich. Bedeutet dieses Vorhaben gleichzeitig Kritik an den herrschenden Zuständen an der Hochschule für angewandte Kunst?

Oberhuber: Man kann dies auch ein wenig anders sehen. Die heutigen Probleme sind allgemeiner Natur und beschränken sich selbstverständlich nicht auf unsere Schule.
Die Verantwortung dafür liegt meiner Meinung nach nicht ausschließlich beim Gesetzgeber, sondern sowohl Universitäten als auch Kunsthochschulen haben die Pflicht, zeitbezogen zu denken und sind zumindest mitschuldig, wenn gravierende Probleme, wie dies heute der Fall ist, auftreten. Eine Neuinterpretation, eine Neuorganisation ist in gewissen Zeitabständen immer erforderlich. Auch die Entwicklung im Kunstbereich ist davon nicht ausgenommen. Im wesentlichen haben wir zwei sogenannte Wellen hinter uns: die alte, akademische Form des Kunststudiums und danach - wie ich es nenne - die Humanisierung der Kunst, also die Konfrontation mit zusätzlichen Produktionsbereichen über die klassischen Disziplinen hinaus, in einer angewandten Art. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es unerläßlich, sich mit einer dritten Phase, einer Neudefinition des Studiums, auseinanderzusetzen.

Stehen bei Ihren Überlegungen inhaltliche Probleme im Vordergrund oder gehen Sie davon aus, daß die vorhandene Struktur den heutigen Anforderungen und Aufgaben in keiner Weise mehr entspricht?

Oberhuber: Sowohl als auch.
Ein sinnvolles Kunststudium muß neben der Abdeckung der manuellen Ausbildung vor allem einen starken Akzent auf die geistige Auseinandersetzung legen.

Hat also das relativ junge Universitätsorganisationsgesetz nicht jene Voraussetzungen geschaffen, um eine solche wie von Ihnen skizzierte Neuorientierung zu ermöglichen?

Oberhuber: Nein. Natürlich nicht.
Wenn Sie zum Beispiel die Musikausbildung und die bildende Kunst vergleichen, dann werden Sie verstehen, was ich meine. Die Ausbildung von Musikern hat primär sehr viel mit dem Handwerk, also mit dem Beherrschen eines Instrumentes zu tun, Komposition wird ohnehin weniger berücksichtigt. In der bildenden Kunst geht es neben diversen anderen Aspekten vor allem um die schöpferische und geistige Dimension. Somit kann dieses Gesetz für keine der beiden Disziplinen stimmen.

Ihr Reformanspruch erscheint nun in Form einer Publikation, die auch die Öffentlichkeit erreichen wird. Welches Ziel verbinden Sie damit?

Oberhuber: Unsere Überlegungen beschränken sich nicht ausschließlich auf die Hochschule für angewandte Kunst, sondern haben durchaus auch für andere Hochschulen und Universitäten Gültigkeit.
Daß sich insgesamt das Modell der Universität verändern muß, daran glaube ich fest, und das kommt auch in unserer Studie deutlich zu. Ausdruck.

Was sind nun Ihre Intentionen und Vorstellungen konkret bezogen auf Ihre Hochschule?

Reder: Ein wesentliches Problem, auf das ich im Zuge meiner internen Strukturanalyse gestoßen bin, sind die zunehmenden Bürokratisierungstendenzen, die Aufsplitterung in einzelne Fachbereiche ohne interne und externe Kooperation, das unausgeschöpfte Potential auf dem gesamten Sektor interdisziplinärer Zusammenarbeit. Davon ausgehend habe ich ein Modell entwickelt, das ich projektorientierte Organisation nenne. Mehr Flexibilität und das schnellere Reagieren auf neue Gegebenheiten, somit eine deutliche Verlebendigung des Lehrangebotes, sind auch die Anliegen der Mitautoren wie Oberhuber, Wagner und Figlhuber.
Ein weiterer Punkt ist die - als Gegengewicht zu offensiver Vielfalt und Beweglichkeit notwendige - Stabilisierung der Struktur, die mit einer neuen Direktoratsverfassung erreicht werden soll. Diese Direktoratsverfassung sieht im wesentlichen vor, daß anstelle des breiten Gesamtkollegiums einerseits und dem Rektor andererseits ein fünfköpfiges Direktorium, zusammengesetzt aus den einzelnen Fachbereichen, tritt.

Heute hat in vielen Belangen das zuständige Ministerium ein entscheidendes Mitspracherecht. Welche Rolle spielt nun das Ministerium in Ihren Überlegungen?

Oberhuber: Die heutige Stellung des Ministeriums ist in gewisser Hinsicht ein Unglück.
Eigentlich sollte das Ministerium ein Beschaffungsamt ohne Behinderung sein. Gegen Kontrollfunktionen und andere Hilfestellungen ist nichts zu sagen. Heute tritt jedoch das Ministerium in vielen Fällen als Verhinderungsapparat auf, und ermöglicht kaum einen Entscheidungsfreiraum.

Vielleicht können Sie einige Beispiele bringen?

Oberhuber: Jeder Einkauf über 20. 000 Schilling setzt ein Ansuchen beim Ministerium voraus. Damit kommt es immer wieder vor, daß wir auf dringend erforderliche Lehrmittel monatelang warten müssen, Ähnlich verhält es sich bei der Berufung von Gastprofessoren. Gegen eine nachträgliche Kontrolle habe ich absolut nichts einzuwenden, wenn aber die Kontrolle schon vorher eintritt, erschwert dies jegliche Art von Initiative ungemein.

Das heißt Forderung nach eigener Budgethoheit und damit verstärkter Autonomie?

Oberhuber: Selbstverständlich.

Reder: Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß dies alles mit politischer Absicht gepflegt wird. Dies scheint mir auch der Grund dafür zu sein, daß Reformen überhaupt ausbleiben. Diese Struktur ist genauso im gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung zu finden. Unsere Kritik richtet sich daher auch gegen den krassen Mangel an Transparenz.
Eigentlich hat niemand hier an dieser Hochschule den Überblick. In diesem verschlungenen Dickicht und der administrativen Zentralisierung entstehen selbstverständlich Tendenzen, die von Apathie bis zu Boykottmaßnahmen reichen, und die kreativen Kräfte rasch lähmen.

Mit Ihren Reformabsichten wollen Sie offensichtlich gewachsene und gefestigte Strukturen radikal aufbrechen.
Ist ein derartiger Anspruch in einer Atmosphäre wie heute, wo kaum Entscheidungen getroffen werden, nicht Utopie?

Oberhuber: Gerade die überschaubare Struktur unserer Hochschule könnte ein Modellfall sein.
Möglicherweise kann es uns gelingen, hier die Universität des nächsten Jahrhunderts zu entwickeln.
Auch wenn wir großen Unwillen mit unseren Vorschlägen hervorrufen und scharf kritisiert werden sollten, glaube ich, daß der Versuch, derartiges in Angriff zu nehmen, schon wichtig genug ist. Andererseits wäre es auch denkbar zu sagen, die Schule bleibt so wie sie ist, und dieses neue Modell, das uns vorschwebt, könnte abgesondert und ganz woanders realisiert werden, ein neues Schulmodell in einem neuen Gebäude.

Was ist nun Ihr konkretes Anliegen und die Stoßrichtung Ihrer Publikation?

Reder: Unsere Vorstellungen haben sich - und das möchte ich vorweg sagen - aus einem komplexen Analyseprozeß heraus entwickeit. Ein mir wichtig erscheinender Punkt ist zum Beispiel die Reform der internen Struktur.
Wenn man sich etwa vor Augen führt, daß ein Rektor heute einen Stellvertreter und eineinhalb Sekretärinnen zur Seite hat, so ist das für eine Organisation mit rund tausend "Mitarbeitern" eine unglaublich schwache Koordinierungsausrüstung. So fehlt auch jegliche zentrale Unterstützungs- und Beratungsinstanz. Aus diesen Überlegungen heraus, sind wir zu der neuen Direktoratsverfassung gekommen, mit leistungsfähigen Zentralen Diensten, großen Werkstätten, einer Projektagentur, usw.
Heute arbeitet dieses Haus ohne jegliche Unterstützung im Sinne von Querverbindungen. Ein wichtiger Schritt war in diesem Zusammenhang auch die neugeschaffene Lehrkanzel für Kunst- und Wissenstransfer, deren Hauptaufgabe es ist, in Theorie und Praxis eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aufzubauen.

Was bringt Ihr neues Modell den Studenten?

Reder: Mehr Vielfalt und Beweglichkeit durch Profess auf Zeit, durch Projektstudien, durch eine Öffnung nach außen, durch verstärkte interne Kooperation. Außerdem sieht unser Konzept die Abschaffung der Aufnahmeprüfung in der heutigen Form vor. Statt dessen führen wir ein sogenanntes Orientierungsjahr ein, denken also an ein striktes Anti-Numerus-clausus-Konzept, da wir davon ausgehen, daß sich bei einem solchen Prozeß ohnedies vieles von selbst entscheidet.

Denken Sie dann an eine Aufnahmsprüfung nach diesem "Orientierungsjahr"?

Oberhuber: Nein. Es gibt überhaupt keine Aufnahmsprüfung.
Vielmehr wollen wir erreichen, daß jeder Student sich selbst ein umfassendes Bild machen kann, daß er selbst entscheidet, was er und bei wem er in Hinkunft studieren wird. Die Studenten haben somit die Möglichkeit, gleichzeitig unter verschiedenen Angeboten zu wählen, was einer Niveausteigerung gleichzusetzen ist. Eine solche Vorgangsweise entspricht vielmehr unserem heutigen Denken, wo sich laufend vieles ändert. Demgemäß muß es auch das Ziel sein, ein hohes Maß an Flexibilität in der Ausbildung zu ermöglichen. Wie auch immer muß die geistige Erziehung stärker im Vordergrund stehen als bisher.
Für die manuelle Arbeit stelle ich mir Werkstätten mit entsprechenden Dimensionen vor, also Hallen, damit ein Student, wenn er wirklich besondere Ideen hat, diese tatsächlich in allen Details realisieren kann.

Also Arbeitsmethoden, wie man sie auch in der Industrie vorfindet?

Oberhuber: Ja natürlich, und auch alle Voraussetzungen für das Handwerk.

Bei einer Reihe der von Ihnen geplanten Maßnahmen werden Sie sich die Professoren zu Feinden machen. So entscheidet heute ein Professor, nach welchen Kriterien auch immer, wer bei ihm studieren darf ...

Oberhuber: ... wichtig ist, daß der Bewerber, also der zukünftige Student, die Möglichkeit zur Mitentscheidung hat.
Seit der Gründung von Kunsthochschulen hat man immer nur von der großen Begabung gesprochen, die sofort erkennbar ist.
Das ist natürlich ein Irrtum.

Ihre Reformbemühungen könnte man auch weniger spektakulär als eine Adaptierung dieser Schule an die heutigen Anforderungen unserer Gesellschaft und gleichzeitig als eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Zielsetzung und Aufgabe der Hochschule für angewandte Kunst sehen.

Oberhuber: Ja, so würde ich das auch formulieren ...

Reder: Wir gehen davon aus, daß eine Hochschule für angewandte Kunst eine entscheidende Plattform für die Mitgestaltung zeitgenössischer Kultur sein muß. Dazu gehört auch der Abbau von Berührungsängsten mit all dem, was man als Realität bezeichnen könnte, und der Angst vor wirtschaftlichem Denken, die sich so leicht zur Diskriminierung alles Künstlerischen ausnützen läßt.

Das ist zweifellos ein Reizthema, um so mehr würde uns Ihre Definition zum Verhältnis Kunst und Wirtschaft interessieren.

Oberhuber: Darauf könnte ich antworten mit der Wiener Werkstätte oder dem Österreichischen Werkbund. Es gehört zur Tradition dieser Schule, die Wirtschaft zu unterstützen. So war die Ausgangsbasis für die Vermarktung der Produkte der Wiener Werkstätte die Schule. Allerdings waren die Voraussetzungen damals anders. Es ging nicht um Massenartikei, sondern um die Qualität im einzelnen. Gerade in Österreich gibt es in der Geschichte der Produktkultur viel Positives. Weniger positiv war vielleicht die Vermarktung, und das auch heute noch.

Besteht nicht die Gefahr, daß die Schule Handlanger der Wirtschaft wird?

Reder: Natürlich soll die Hochschule nicht eine umsatzorientierte Gestaltungsfirma werden. Daher müssen bei jedem Projekt entsprechende Überlegungen angestellt werden, um sich einer blinden und kurzsichtigen Kommerzialisierung gar nicht auszuliefern. Eine wichtige Position der Schule wäre, daß es ihr gelingt, Kräfte zu aktivieren, natürlich auch auf der Auftraggeberseite, gründlicher und manchmal auch langfristiger zu arbeiten, also das Interesse an unkonventionellen Forschungsaufträgen zu wecken. Wo findet sich denn sonst noch ein derartiges Potential, wie gerade an dieser Hochschule? In gewisser Hinsicht ist die Domus-Akademie in Mailand ein gutes Beispiel dafür.

Sie bekennen sich also zu einer gegensätzlichen Vorgangsweise?

Reder: Ja. Wir sind uns des Widerspruchs zwischen reiner Kunst und angewandter Kunst bewußt; er ist per Definition nicht zu lösen, sollte aber ständig in uns wach bleiben. Kooperationen sind letztlich nur wirkungsvoll, wenn zum richtigen Zeitpunkt auch Widerstand geleistet wird, einem also die Freiheit Nein zu sagen nicht abgekauft werden kann.

Ursprünglich wurde die Hochschule für angewandte Kunst auf Initiative des gleichnamigen Museums gegründet. Wie sehen Sie die heutige und zukünftige Position dieser beiden Institutionen zueinander?

Oberhuber: Eine stärkere Verknüpfung wäre unser Ziel. Es gäbe eine Fülle von Möglichkeiten, eine ganze Reihe von Maßnahmen zu koordinieren, egal ob es sich da bei um Ausstellungen oder um die Förderung von Produktentwicklungen handelt.
Ich hatte immer die Vorstellung, daß der Leiter dieses Museums enger an unsere Schule gebunden ist, und könnte mir auch vorstellen, daß er eine bestimmte Lehrtätigkeit bei uns ausübt.

Eine abschließende Frage: Was sind die persönlichen Beweggründe des Oswald Oberhuber?

Oberhuber: Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich denke mit und handle dementsprechend.
Außerdem ist es meine Aufgabe, als Rektor darauf zu reagieren, was die Zeit von uns fordert und vorauszudenken. Mehr ist es nicht.

 

 

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Manfred Wagner (Rektor-Stellvertreter) zu den Chancen der Realisierung

Eine rasche Realisierung des Konzepts "Neuorientierung" bedürfte eines politischen Paukenschlags der angesichts der übermächtigen österreichischen Bürokratie kaum zu erwarten ist. Allerdings war es möglich, bereits einzelne Gesichtspunkte im Bereich der hochschuleigenen Autonomie zu berücksichtigen. So die Frage der Fluktualität der Professoren (derzeit sind ca. knapp ein Drittel bereits Gastprofessoren mit verlängerbaren Jahresverträgen), so die Erstellung der Studienpläne, die aufgrund der Analogie zur großräumigen Studienordnung den Studenten die flexibelste Lehrangebotsauswahl bietet, die derzeit in Österreich überhaupt möglich ist, so die bereits verwirklichte Fakultätsgliederung (Architektur, Design, Visuelle Kommunikation, bildende Kunst, Kunstpädagogik), so die Erstellung eines Zentralwerkstättenkonzepts (allen Hochschuleinrichtungen und Studenten zugänglich unter nur dem Gesamtkollegium unterstehenden autonomen Leitungen), so die Schaffung einer Lehrkanzel für Kunst- und Wissenstransfer (als Koordinationsstelle hochschuleigener Angebote und hochschulfremder Bedürfnisse).
Sofern die Hochschullegistik aufgrund geplanter Gesetzesnovellen keine weiteren Beschränkungen der Eigenflexibilität erzwingt, ist durchaus denkbar, daß de facto in absehbarer Zeit auf dem Weg zu den Zielsetzungen des Konzepts noch weiter fortgeschritten wird, wenn die Budget- und Raumsituation entsprechend saniert wird.
Da derzeit an allen österreichischen Universitäten Überlegungen für eine effizientere Struktur der Organisation im Gange sind, wird die Diskussion über mehr Flexibilität und Effizienz im Gegensatz zur gängigen Bürokratisierung in Gang gehalten werden.

 

 

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© Peter Noever/Umriss, Oswald Oberhuber & Manfred Wagner 1985 & Christian Reder 1985/2002